Traurig blickten sie ihn an, fast ein wenig verloren.
Und sie waren zweifellos noch sehr jung.
Die eine schien noch keine Zwanzig zu sein und die andere schien die Grenze gerade erst überschritten zu haben.
Links im Bild saß eine große Braunhaarige, die mit dem Filzmantel, neben ihr, wesentlich kleiner, ein dunkelblondes Mädchen, die jüngere von beiden.
Und die hübschere, dachte Kristoff sich.
Niedliche Sommersprossen zierten ihr so unschuldig wirkendes Gesicht.
Es fiel ihm schwer zu glauben, dass diese beiden Mädchen Nacht für Nacht ihren Körper für ein paar Scheine verkauft hatten.
Kristoff hatte diese Tiff auf einem Bild schon einmal gesehen, als man es ihm gezeigt hatte, in der Nacht nach deren Mord.
Es war eine logische Schlussfolgerung, dass das Mädchen neben ihr Kat war.
Aber wenn er sie finden wollte, dann musste er ihren Geruch kennen.
Doch wie sollte er wissen, welcher zu ihr gehörte?
Nach kurzem Überlegen kehrte Kristoff in das Schlafzimmer zurück, das Bild ließ er in seine Hosentasche gleiten.
Bestimmt ging er auf den Kleiderschrank zu und nach einigen Minuten Durchwühlens, fand er, was er gesucht hatte.
Tief atmete er den Geruch des Pullovers, welches sie auch auf dem Foto getragen hatte, in sich ein und erkannte, dass sie es war, die so herrlich nach Rosen und Regen duftete.
Diesen Geruch würde er nicht so schnell wieder vergessen, also konnte er jetzt auf die Jagd nach ihr gehen.
Nach ihr, oder ihrer Leiche.
Kurzerhand schob er den Pullover in seine Lederjacke.
Kristoff hörte ich noch einmal um und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, als er erst die Wohnung und dann das Gebäude wieder verließ.
Die Straßen waren immer noch so voll wie vor einer Stunde, die Huren standen an den Straßenecken und stiegen in fremde Autos, Obdachlose soffen sich die Birne hohl und Dealer tauschten Geld und Drogen.
Alles war wie immer.
Bis auf den Geruch, den Kristoff nun endlich identifizieren konnte.
Kat schwankte verwirrt umher. Ein hupendes Auto raste an ihr vorbei, doch es spielte für sie keine Rolle, wie knapp der Opel an ihr vorbeigeschrammt war.
Ihr war egal, dass er sie um ein Haar überrollt hätte. Ihr war egal wohin sie ging.
Das einzige, was zählte war dieser alles verzehrende Hunger. Hunger, der sich einfach nicht stillen lassen wollte, was auch immer sie aß.
Würde sie verhungern müssen?
Oh, Kat war noch genug bei Verstand um zu wissen, was das bedeutete. Sie wusste, oder ahnte vielmehr, was es bedeutete, dass normale Nahrung ihr nicht mehr half.
Es war lächerlich, gerade zu idiotisch. Kats Verstand wehrte sich dagegen.
Und doch gab es keine andere Erklärung.
Tief in ihrem Innersten wusste Kat, dass es Blut war, das sie brauchte.
Doch sie weigerte sich dem Drang einem Menschen an die Kehle zu springen nachzugeben.
Sie hatte am eigenen Leib miterlebt, was es heißt von einem Monster angefallen zu werden. Lieber würde sie verhungern als selbst so etwas Grauenvolles tun.
Doch Kat spürte, dass sie so nicht mehr lange weitermachen konnte. Sie sah alles wie hinter einem dicken Schleier, hörte alles gedämmt wie hinter einer dicken Schneeschicht…
Ihre Beine bewegten sich wie von allein, liefen weiter, obwohl Kat am liebsten kraftlos zu Boden gesackt wäre.
Sie spürte, wie sie in eine enge Gasse einbog, und dachte: Nicht schon wieder,“ als sie plötzlich gegen etwas, hartes, großes rannte.
Benebelt taumelte Kat ein paar Schritte zurück, und erkannte einen großen, braunhaarigen Mann vor ihr, von solcher Wildheit und Schönheit, dass es ihr selbst in dem erzeitigen Zustand den Atem verschlug.
Etwas an ihm schien sie magisch anzuziehen, doch sie konnte nicht genau sagen, was es war.
Sie wollte ihm nicht wehtun, nicht diesem Hunger nachgeben, der so an ihr nagte.
Kat versuchte, an dem großen Mann vorbeizukommen, weg von ihm, soweit es ging.
Doch er ließ es nicht zu.
Er packte sie an den Armen, nicht fest, aber hart genug, damit sie sich nicht losreißen konnte.
„Bitte, ich muss weg!“ krächzte Kat mit einer rauen Stimme, die ihr gar nicht zu gehören schien.
Der Hunger trocknete ihre Kehle derart aus, dass sie kaum noch in der Lage war zu sprechen.
Seltsamerweise machte es Kat plötzlich sehr viel aus, dass sie so dreckig und durcheinander, vielleicht sogar ein wenig verrückt aussah.
„Ich habe dich überall gesucht,“ meinte der Mann ruhig.
Oh Gott, was für eine Stimme er hatte?
Kat wurden die Knie ganz weich, was nicht nur an ihrer Müdigkeit und Erschöpftheit lag.
„Nein…. Gefährlich…“
Kats Kraft verließ sie von Sekunde von Sekunde mehr. Lange würde sie nicht mehr bei Bewusstsein halten konnte.
„Bitte…“
Dann, plötzlich, wurde Kat schwarz vor den Augen und sie spürte, wie sie in eine tiefe, beruhigende Ohnmacht glitt.
Kristoff sah das schlaffe Bündel in seinen Armen an. Sie war noch zarter und hübscher, als auf dem Bild.
Und dünn… viel zu dünn.
Er konnte ihre Knochen spüren, und sehen, dass die Haut sich dünn über ihrem Fleisch spannte.
Eine Perücke saß nur noch halb auf ihrem Kopf.
Kristoff strich sie ihr vollkommen herunter und hob das Mädchen hoch.
Wie verzweifelt sie gewesen war. So voller Angst.
Kristoff war überrascht gewesen, sie in so einem Zustand vorzufinden.
Es war deutlich zu sehen, dass sie seit ihrer Wandlung keinen Tropfen Blut zu sich genommen hatte.
Und das war schon Tage her.
Das war ungewöhnlich. Sehr sogar.
Normalerweise töteten die neuen Vampire, die jeglicher Aufsicht frei waren, bereits mehrere Stunden nach ihrer Wandlung zum ersten Mal.
Diese Vampirin hier hatte noch nie jemanden getötet.
Ihre Aura leuchtete silbern. So eine strahlende Aura hatte er bisher bei noch keinem Lebewesen gesehen.
Und sie zeigte, dass sie noch nie jemanden verletzt hatte.
Ganz egal, was Kristoff auch schon erlebt hatte, die Erfahrungen hatten ihn gelernt, dass Auren niemals, niemals, logen.
Nichts hätte ihn mehr überraschen können. Gott, die Kleine musste eine eiserne Disziplin haben, die nicht einmal jemand wie er aufbringen konnte.
Das war merkwürdig. Sie war noch viel zu jung, als Mensch und auch als Vampir.
Doch darüber würde er sich später Gedanken machen müssen. Jetzt musste er erst einmal die Kleine in Sicherheit bringen.
Er hätte sie in eines der vampirischen Krankenhäuser, die als Waschsaloons oder Blumengeschäfte getarnt waren, aber er wollte sie nicht allein lassen, nicht in diesem Zustand.
Außerdem musste er Victoria sofort Bericht erstatten. Es war ohne Zweifel eine sehr ereignisreiche Nacht gewesen, das musste sie wissen.
Kurzerhand lief Kristoff mit dem Mädchen durch die engen Gassen und vermied es, jemanden über den Weg zu laufen. In dieser Gegend hier mochte es zwar so sein, dass es keinen kümmern würde, wenn man einen Mann beobachtete, der eine Frau auf den Armen trug, die aussah wie tot.
Doch dort, wo er hin musste, würde es sehr wohl auffallen.
Kristoff hielt an einem Gassenausgang inne und überlegte, was er als nächstes tun sollte, als sein Blick auf einen glänzenden Porsche fiel, der vor einem billigen Motel angehalten hatte.
Es war nicht schwer zu erraten, was der offensichtlich reiche Besitzer hier machte.
Der Kerl war wohl der Meinung, die Nutte würde nur sein Auto ruinieren. Normalerweise hätte so etwas ihn aufgeregt, dass das Auto wichtiger war als ein Mensch, aber diesmal dankte er dem Schwein.
Für jemanden wie ihn war es ein Leichtes das Auto zu knacken und kurz zu schließen.
Vorsichtig, fast zärtlich legte Kristoff die Blondine auf den weichen, ledernen Rücksitz, bevor sich selbst hinter das Steuer klemmte und davonraste.
Sollte der Wagen doch als gestohlen gemeldet werden. In ein paar Tagen würde man ihn irgendwo auf einem Supermarktparkplatz blitzblank geputzt auffinden.
Der Porsche rauschte die Straßen entlang. Kristoff lebte mittlerweile lange genug in L.A. um zu wissen, wo er fahren musste, damit der dem Verkehr entgehen konnte.
Der Horizont färbte sich schon rosa, als er endlich die Hollywood Hills erreichte.
In einer blassgelben Villa, umgeben mit Elektrozaun und bewacht von den besten Wachmännern des Landes, befand sich der Sitz der Königin der Vampire.
Nicht wenige Stars und Sternchen hier gehörten ihrer Spezies an, aber es war ihnen bisher immer gelungen es der Öffentlichkeit vor zu enthalten.
Die Tarnung war einfach perfekt.
Ja, natürlich waren hier Tag und Nacht die Paparazzi unterwegs, aber keinem war es je gelungen einen Blick in eine der Villen zu erhaschen.
Und selbst wenn, sie hätten doch nichts entdeckt.
Die sichtbare Einrichtung war nur zum Schein. Unter den Beverly Hills erstreckte sich ein riesiges unterirdisches Gebilde, in dem das nächtliche Leben der Vampire statt fand.
Wie die Vampire es schafften sich unter Tags blicken zu lassen und sogar Filme drehen konnten, war kein Geheimnis.
Man musste dazu nur einmal im Monat, genau bei Vollmond, den heiligen Saft einer Hibiskusblüte zu sich zu nehmen, und das Sonnenlicht konnte einem nichts mehr anhaben.
Sobald die Wachleute erkannten, dass Kristoff der Fahrer des Wagens war, ließen sie ihn passieren und schlossen die Tore wieder sorgfältig hinter ihm.
Den Wagen stellte er in der Garage ab, bevor er die immer noch bewusstlose Frau durch einen Geheimgang in das unterirdische Gewölbe trug.
Wie in einem Traum
Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich, ich würde träumen. Dann kam mir der Gedanke, ich wäre tot.
Nichts hätte mich mehr überraschen können. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist es eigentlich logisch. Menschen werden doch nur zu leicht hinter das Licht geführt. Sie sehen nur das, was sie sehen wollen. Man kann es Dummheit oder Ignoranz nennen. Doch letztendlich ist es vielleicht auch besser so für sie. Wie gesagt, manchmal ist es besser, wenn man nicht alles weiß.
Kat öffnete blinzelnd die Augen. Wo war sie hier? Das Bett auf dem sie lag, war viel zu weich. Und hier drinnen roch es zu gut. Nach… irgendeiner Blume. Noch nie hatte Kat etwas so gutes gerochen.
Die seltsamen Erinnerungen an die letzten Tage waren schwach und unwirklich. Was war denn nur passiert? Warum wäre sie am liebsten jedem an die Kehle gegangen? Und warum, zur Hölle, hatte das Tageslicht nur so weh getan?
Was auch immer dieser Freier ihr angetan hatte, jetzt war sie nicht mehr auf der Straße und auch nicht in ihrer Wohnung.
Dann tauchte das Bild eines wunderschönen Mannes vor ihrem geistigen Auge auf. Der Mann war das letzte gewesen, das sie gesehen hatte, als sie bewusstlos geworden war.
Wie seltsam. Hatte er sie hierher gebracht?
Wenn ja, warum? Sie fühlte keinen Schmerz, nein, sie fühlte sich fast schon gut.
War sie entführt worden?
Aber wenn es so wäre: Warum war sie dann nicht gefesselt? Warum lag sie dann auf einem so weichen Bett mit einer derartig flauschigen Decke bedeckt?
Das alles ergab einfach keinen Sinn.
Vielleicht war sie ja auch tot. Aber Kat glaubte nicht wirklich daran. Es fühlte sich viel zu echt an.
Träumen kam auch nicht wirklich in Frage. Nein, sie war sich sicher dass es Realität war.
Nur, wo war sie?
Vorsichtig und zögerlich setzte Kat sich auf und sah sich in dem dunklen Raum um.
Es war ein Schlafzimmer, ein sehr, sehr großes Schlafzimmer und das Schönste, das sie je zu Gesicht bekommen hatte.
Alles war weiß-gold. Die Wand und der Boden waren weiß wie Schnee, so wie auch die Bettwäsche. Das Bettgestell, die Kommode und der Kleiderschrank schimmerten in einem rötlichen Goldton.
Moment. Warum konnte Kat solche Details überhaupt erkennen? Es war viel zu dunkel dafür.
Andererseits dürfte sie auch diesen feinen Blumengeruch nicht wahr nehmen. Sie kannte sich nicht gut mit Blumen aus. So etwas gab das Leben als Nutte leider nicht her.
Und so ein Zimmer erst recht nicht.
Sie war allein, das wurde ihr klar, als sie ihren Blick im Zimmer herumschweifen ließ.
Wo auch immer sie war, ein Krankenhaus war es jedenfalls nicht.
Sie hörte leise Schritte, doch sie waren weit entfernt und das Einzige, das sie hören konnte.
Was zur Hölle tat sie hier? Was hatte sie hier bloß verloren? Das war kein Zimmer, in dem man eine Prostituierte zum Schlafen legte. Kein Freier würde sie zum Sex mit in so ein Bett nehmen, schon gar nicht nur um sie in Ruhe schlafen zu lassen.
War ihr etwas entgangen? Hatte sie im Lotto gewonnen und wusste es nicht mehr?
Nun wurden die Schritte lauter, sie kamen eindeutig näher. Es war eine Frau, es sei denn der Mann würde Stöckelschuhe tragen.
Vor ihrer Tür blieb sie stehen und ein, zwei Sekunden später klopfte es zaghaft.
„Ja?“ rief Kat nervös. Man klopfte, bevor man in ein Zimmer kam? Das war ihr neu, so etwas tat man in ihrer Welt nicht. Zumindest nicht, wenn die Tür nicht abgeschlossen war.
Die goldene Klinke wurde hinunter gedrückt und die Tür nach innen aufgestoßen.
In der Tür stand tatsächlich eine Frau. Eine schöne Frau, ohne Frage.
Aber auch eine, die nicht hier sein sollte.
Das konnte nicht sein, musste sich um eine Verwechslung handeln.
Oder vielleicht träumte Kat doch.
Doch eins war sicher: Die Frau in der Tür konnte definitiv nicht Jennifer Garner sein!
Man konnte von ihrem Viertel sagen was man wollte, aber selbst dort wusste man, wie die Hollywoodsternchen aussahen.
Und das war eindeutig Jennifer Garner.
Was nicht möglich war.
„Ich träume,“ hauchte Kat und rieb sich die Augen.
Jennifer jedoch lachte nur und schloss die Tür hinter sich.
„Nein, tust du nicht.
Ich verstehe, warum du das glaubst, aber es ist nicht so. Kristoff wird dir das später alles noch erklären, aber bevor du mich mit dem Namen ansprichst, mit dem ich berühmt geworden bin, nenn mich Julia.“
Hä? Jetzt verstand Kat gar nichts mehr. Was ging hier vor?
Was tat sie hier in diesem traumhaften Zimmer mit einer berühmten Schauspielerin, die ihr gerade erklärte, dass sie eigentlich Julia hieß?
Das war doch wohl ein Witz, oder?
Andererseits… Kat strich über das weiche Laken und musste feststellen, dass es ein sehr realistischer Traum wäre. Noch nie hatte sie im Traum etwas fühlen können. Und ihre Kopfschmerzen, die plötzlich einsetzten, widerlegten diese Theorie auch.
Dass sie tot war, schloss Kat aus, denn dann würde sie nicht mir Jennifer Garner, oder Julia eben, reden, sondern sich im Bett mit Will Smith wälzen.
„Wie kann das sein? Ich meine, wie? Wo? Warum?“ stammelte Kat und schüttelte verwirrt den Kopf.
„Du bist in der Villa meiner… Chefin. Du kennst sie sicher. Marcia Cross.
Kristoff hat dich hier her gebracht,“
Marcia Cross, die Chefin von Jennifer Garner? Ja, sicher.
Und wer war Kristoff?
Jennifer – Julia, wie auch immer – schien ihren verwirrten Gesichtsausdruck zu bemerken, denn sie lächelte und sagte: „Marcia heißt eigentlich Victoria, und Kristoff ist der junge Mann, der dich gefunden hat. Er wird gleich zu dir kommen und dir alles erklären. Er besteht darauf es selbst zu tun,“
Kat nickte. Es war bestimmt gut einmal mit jemanden zu reden, der kein berühmter Schauspieler war. Aber woher konnte sie wissen, dass er nicht auch irgendein weltberühmter Star war, der auf die hirnrissige, völlig unverständliche Idee kam, mit Kat zu reden.
Doch wenn es wahr war, was Julia sagte, dann war es der Kerl, der sie gefunden hatte. Und soweit sich Kat noch erinnern konnte, war der kein ihr bekannter Schauspieler oder Sänger gewesen.
Allerdings war sie der Ohnmacht verdammt nahe gewesen, da konnte es schon sein, dass es ihr einfach nicht aufgefallen war.
Manche Leute freuten sich wie verrückt, einem Star gegenüber zu stehen. Aber Kat fand das eher beängstigend und merkwürdig.
Außerdem sagte Julia, dieser Kristoff würde ihr alles erklären. Na bitte, sie wollte es wissen. Wollte wissen, was sie hier tat, warum sie hier war.
Und nicht tot auf der Straße.
„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht,“ meinte Julia und trat zur Tür, die Klinke bereits in der Hand.
Kat nickte dankbar, brachte allerdings kein richtiges Lächeln zustande. „Ich lebe, oder?“ Mit einem Stirnrunzeln fügte sie nachdenklich hinzu: „Und ich habe nicht das Bedürfnis, dich zu essen,“
Julia nickte noch einmal knapp, bevor sie Kat wieder alleine ließ. Sie sperrte die Tür nicht zu. Kurz überlegte sie, ob sie einfach abhauen sollte, verwarf den Gedanken allerdings fast sofort wieder. Das war eine dumme Idee. Sie wusste nicht, wo sie hier war und warum. Wenn sie wissen wollte, warum sie in einem Ansturm aus Empfindungen und unter den seltsamsten Umständen auf einmal Blutdurst verspürt hatte und die Sonne scheinbar ihre Augen verätzen hatte wollen, musste sie hier bleiben.
Danach konnte sie sich immer noch einen Plan überlegen, wie sie von hier verschwinden konnte, ohne mit aufgeschlitzter Kehle und eiskaltem Körper in einer verlassenen, schmutzigen Gasse zu verenden, und dort langsam zu verfaulen wie Gemüse und von Ratten in Mundgerechte Häppchen gebissen und dann gegessen zu werden.
Ein leises aber bestimmtes Klopfen riss Kat aus ihren Gedanken. Vorsichtig und misstrauisch rutschte sie ans andere Ende des Bettes und behielt die Tür fest im Blick.
„Ja?“
Langsam öffnete sich die weiße Tür, die offenbar nicht verschlossen war, was bedeutete, dass sie nicht eingesperrt war, ein gutes Zeichen.
In der Erwartung, Julia wieder vor sich zu sehen überlegte sie sich, was sie sie als nächstes Fragen sollte.
Doch es war nicht die Schauspielerin, die nun vor ihr stand. Oh nein, vor ihr stand ein großer, muskulöser Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften, einer von der Sorte, von dem alle Frauen heimlich träumten.
Kat erkannte seine braunen Haare. Das war der Mann, gegen den sie gerannt war, bevor sie bewusstlos geworden war, der Mann, der sie hierher gebracht hatte.
Auf einmal war es ihr unglaublich wichtig, wie sie aussah. Prüfend ließ sie ihre Augen über ihren Körper gleiten und musste entsetzt feststellen, dass sie immer noch in ihrer Arbeitskleidung steckte, das völlig verdreckt und voller Blut war, ebenso ihre Haut. Gott, sie musste grässlich aussehen!
„Geht es dir gut? Hast du sich erholt?“
Kat wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann vor ihr zu. Was hatte Julia gesagt, wie er hieß? Kristoff?
„Ja… es geht schon.
Wo bin ich hier? Was ist mit mir passiert?“
Er blickte sie forschend an, als erwartete er, dass sie gleich anfing zu heulen oder auf ihn loszugehen. Doch das hatte Kat nicht vor. Dazu war sie viel zu verwirrt und durcheinander.
„das ist eine lange Geschichte. Ich hatte gehofft, dass du es mir erklären könntest.
Ich habe dich in dieser Gasse gefunden, nachdem ich lange nach dir gesucht habe. Ich weiß, was mit dir seitdem passiert ist. Ich habe dich in einem Auto hierher gebracht, aber ich muss wissen, was vorher geschehen ist.“
Kat seufzte und strich sich die verfilzten Haare zurück. „Okay… ich… ich werde versuchen, dir alles zu sagen, was ich weiß.“
Kat räusperte sich und setzte sich bequemer auf dem Bett hin. „Willst du dich nicht auch setzen? Es könnte länger dauern.“
Doch Kristoff schüttelte entschieden den Kopf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt.
Sein Blick war distanziert und er beobachtete jede ihrer Bewegungen, sah sie von oben bis unten an und Kat konnte das Gefühl nicht loswerden, dass auch Unverständnis in seinen Augen lag, so als verstünde er etwas nicht, was sie anbelangte.
„Ich arbeitete vor dem Kino, wie jeden Abend. Ich stand da und wartete. Es war die Nacht nach Tiffs Tod, oder vielleicht ein wenig später. Natürlich hatte ich Angst, dass es mich erwischt, doch mir blieb keine andere Wahl als wieder auf die Straße zu gehen. Jetzt, wo ich allein war, wie sollte sich da die Miete zahlen können?
Also ging ich diese Nacht ebenfalls wieder auf meinen Platz und wartete, bis jemand mich entdeckte und mitnahm.
Wie konnte ich wissen, dass es dieser Killer war?
Erst als er mich… mich in den Hals… biss, und mein Blut trank, wurde mir klar, dass das der Mörder war, der Mann, der die anderen Prostituierten getötet hatte.
Mir war klar, dass ich sterben würde, aber ich kämpfte, denn ich wollte nicht sterben. Ich weiß noch, dass ich ihn blutig biss und irgendwie bin ich dann wohl entkommen, aber wie genau weiß ich nicht mehr. Ich wurde bewusstlos, und als ich wieder aufwachte, verspürte ich diesen Hunger, den kein Essen der Welt stillen konnte.“
Während Kat erzählte, was passiert war, sagte Kristoff kein Wort, er bewegte sich nicht, sein Blick war aufmerksam auf sie gerichtet, doch er hatte sich verändert. In seinen Augen stand nicht mehr die kühle Gleichgültigkeit von vorhin, sondern etwas Abweisendes, Verständnisloses. Kat brauchte nicht einmal zu raten, woher das kam. Sie war eine Hure und ein Mann wie er, groß, gutaussehend und aus offenbar ziemlich guten Verhältnissen konnte nicht verstehen, was jemanden dazu bewegen konnte seinen Körper zu verkaufen. Sie verstand seine Abneigung, doch es war nicht richtig, dass sie Reichen über sie urteilten, sie wussten nicht, was es hieß um das Überleben kämpfen zu müssen und in einer Gosse aufzuwachsen.
„Was ist mit mir passiert? Ich habe keine Wunde, obwohl er mich gebissen hat und warum tut mir die Sonne weh, wieso will ich Blut trinken? Bitte, sag, was mit mir nicht stimmt.“
Kristoff drücke sich von der Wand ab und kam näher. Seinen Blick wandte er nicht eine Sekunde von ihm ab, aber das konnte auch Kat nicht. Seine Augen… Gott, er hatte so schöne Augen. Strahlend blau wie das Meer, und auch genauso tief. Kat konnte den Blick einfach nicht losreißen, auch wenn ihr klar war, wie dumm sie sich verhielt.
„Du wurdest gewandelt. Dass du den Mistkerl gebissen hast, hat dir dein Leben verlängert. Ob es dein Leben gerettet hat oder dich verflucht hat musst du selbst entscheiden.
Dieser Mann, von dem wir noch immer nicht wissen, wer er ist, ist ein Vampir. Wir alle sind Vampire. Julia, Victoria, ich. Und du nun auch.“
Vampire? Ja, klar. Nun wusste Kat mit Sicherheit dass sie in einem Film gelandet war. Marcia Cross und Jennifer Garner? Die würde doch nie im echten Leben mit ihr reden oder sie ansehen, sie, eine Hure. Sie war nicht Julia Roberts in Pretty Woman.
Andererseits… der Mann hatte sie gebissen, ihr Blut getrunken und sie hatte etwas von seinem in den Mund bekommen. Und nun dieser Durst nach Blut. Das war nicht normal.
Aber konnten Vampire wirklich existieren?
Und sollte sie wirklich einer von ihnen sein? Es viel ihr schwer zu glauben, und doch… Kristoff sah viel zu gut und gefährlich aus, um ein normaler Mensch zu sein. Kein Mann konnte solche Augen haben, ein so ebenmäßiges Gesicht…
„Wenn ich dir glauben würde… warum wissen die Menschen nichts von euch… uns?“
„Weil wir nicht entdeckt werden wollen. Wir wissen es, uns zu verstecken und unsere Existenz zu verbergen und geheim zu halten.“
Okay, vielleicht mochte das ja irgendwie funktionieren, aber was wenn einer von ihnen verhaftet wurde?
„Wenn jemand im Gefängnis sitzt, für mehrere Jahrzehnte, dann muss es doch auffallen, dass derjenige nicht altert.“
Kristoff schüttelte den Kopf. „Das passiert nicht. Kein Vampir wird verhaftet. Wir sind zu schnell um uns erwischen zu lassen und wenn einer von uns ein Verbrechen begeht, klären wir das. Wir haben die Verantwortung und wir kümmern uns auch darum.“
„Also gibt es eine Vampirpolizei?“
Das erste Mal, seit sie ihn gesehen hatte, lächelte Kristoff. Und es stand ihm ausgezeichnet, es ließ ihn noch jünger aussehen als er es ohnehin tat und seine Augen funkeln. Er sah so unglaublich gut aus. Jemand wie er musste einfach eine Frau haben und verheiratet sein.
Doch der Anflug von Wärme verschwand aus seinem Gesicht so schnell wie er gekommen war und er wirkte wieder so ernst wie vorher. Seine Augen blickten sie immer noch abwertend an und Kat versuchte den Drang zu ignorieren, sich vor ihm rechtzufertigen.
„Okay… und… und gibt es ein Gegenmittel, etwas, womit ich wieder ein Mensch werden kann?“
Kristoff runzelte die Stirn. „Du willst wieder ein Mensch sein? Wieso? Um zurück in dein erbärmliches Leben zu können? Liebst du deinen Job so sehr?“
Seine Stimme war nicht verachtend oder angeekelt, sondern ungläubig, als könne er nicht verstehen, warum sie ihr jetziges Leben der Unsterblichkeit vorziehen wollte.
Kat sah Kristoff lange an, ehe sie ihm antwortete: „Ich will weder dieses Leben noch diesen Job. Ich hasse beides. Aber was soll ich als Vampir machen? Ich werde unsterblich sein, wie soll ich da in LA bleiben können, ohne dass es auffällt? Nicht, dass mir viel an LA läge, aber ich habe nicht das Geld um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen. Und jetzt, da ich die Miete für die Wohnung ohnehin allein zahlen muss, weiß ich nicht, wie ich das bezahlen soll.“
Es schien, als dachte der große, dunkelhaarige Vampir über das nach, was er gesagt hatte, als überlegte er, was er ihr nun sagen sollte.
„Vampire arbeiten nicht, schon gar nicht als Huren. Die meisten von uns sind reich, und die, die es nicht sind, leben bei jemandem, der es ist. Manche kümmern sich um Haus uns Zimmer des jeweiligen Herrn oder der Herrin. Sie werden dafür bezahlt, bekommen Unterkunft und Nahrung umsonst. Du brauchst nicht mehr zurückzukehren. Hier findet sich bestimmt jemand, der sich um dich kümmert.“
Was er da sagte, klang unglaublich und einfach fantastisch. Sie musste ihren Körper nie wieder verkaufen, nie wieder mit jemanden Schlafen, den sie nicht leiden konnte, der sie abstieß? Es klang wie der Himmel, unfassbar und zu schön um wahr zu sein.
„Und du meinst… das geht?“ Kat wusste selbst, wie hoffnungsvoll ihre Stimme klang, doch sie konnte nichts dagegen tun.
Kristoff nickte ernst und entfernte sich wieder ein paar Schritte. „Ja, sicher. Bei deinem Aussehen und deinem jungen Alter finden sich bestimmt viele, die sich dazu bereiterklären würden.“
„Ach? Und… kann ich mir aussuchen, zu wem ich gehen will?“
Kristoff legte den Kopf schräg und sah sie mit einem seltsamen Funkeln in den Augen an. „Im Grunde ja. Aber ich hatte gehofft, du würdest vorerst mit mir kommen. Ich habe dich gefunden und hierher gebracht, ich fühle mich für dich verantwortlich. Außerdem bin ich keine Berühmtheit, das heißt du hättest deine Ruhe und es stände dir frei, nachts aus dem Haus zu gehen.“
Kat konnte nicht anders – sie musste ihn einfach mit offenem Mund anstarren. Was er da sagte… hatte er ihr gerade wirklich angeboten, mit ihm zu kommen? Dieser große, mysteriöse und überaus gutaussehende Mann wolle sie mit zu sich nehmen? Freiwillig? Dabei hatte sie doch gedacht, dass er sie verachtete, oder zumindest das, was sie tat um Geld zu verdienen.
„Ja, ich… ja, okay. Ich werde mit dir kommen.“
Kristoff nickte knapp. „Gut, dann wäre das geklärt. Du kannst dich duschen und im Schrank liegt etwas für dich zum Anziehen. Wenn der Abend anbricht, hole ich dich hier ab.“
Ohne auf eine Antwort zu warten oder noch etwas zu sagen, drehte er sich um und verließ das Zimmer mit anmutigen, raubtierhaften Bewegungen.
Kristoffs Haus
Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Sein Gesicht, auch wenn es fast immer ernst und undurchdringlich aussah, zog mich magisch an. Doch am meisten faszinierten mich seine Augen, diese wunderschönen Augen, die einem bis tief auf die Seele blicken konnten. Ich erinnere mich noch, wie fassungslos ich gewesen bin, als er mir anbot, mich mit zu sich zu nehmen. Mir hätte nichts Besseres passieren können.
Die Dusche tat unglaublich gut, außerdem stellte es eine unglaubliche Erleichterung für sie dar, sich den Dreck und die verwischte Schminke abwaschen und ihre verfilzten Haare waschen zu können. Sie schrubbte ihre Haut so lange, bis sie wund und rot war. Doch Kat wollte das Gefühl loswerden, das sie immer bekam, wenn sie ihren Job ausführte. Sie wollte sich nicht schmutzig und benutzt fühlen.
Nachdem sie das heiße Wasser abgedreht und sich in ein weiches, flauschiges Handtuch gehüllt hatte, trat sie vor den Schrank und druchstöberte die Regale nach etwas, das sie tragen konnte.
Schließlich entdeckte sie eine dunkelblaue Röhrenjeans und ein langärmerliges, türkises T-Shirt, darunter zog sie sich einen einfachen, bequemen weißen Baumwoll BH an und ein dazugehöriges Höschen. Sie wollte etwas Bequemes tragen, denn die Kleidung, in der sie arbeitete war alles andere als das. Und da es so aussah, als müsse sie ihn auch nie wieder ausführen, wollte sie sich nicht mehr mit unbequemen, zwickenden Sachen herumplagen.
Wenig später klopfte es schon wieder an ihrer Tür und Julia steckte den Kopf hinein.
„Kristoff wartete in der Garage auf dich ich bringe dich zu ihm.
Bist du fertig?“
Kat blickte an sich hinunter und nickte. Zum Mitnehmen hatte sie nichts, also nickte sie und folgte Julia, die einen langen, marmonen Gang entlangschritt.
Immer wieder warf Julia ihr Seitenblicke zu, Neugierde blitzte in ihren Augen.
Irgendwann konnte Kat es nicht mehr aushalten und fragte: „Was? Was ist? Warum siehst du mich so an? Habe ich etwas im Gesicht?“
Julia schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, nein, das ist es nicht.
Es ist nur so, dass ich es immer noch nicht fassen kann, dass Kristoff dir tatsächlich angeboten hat mit ihm zu kommen.“
„Was ist daran so merkwürdig? Ich habe gedacht, Vampire nehmen andere auf, die sich ein eigenständiges Leben nicht leisten können.“
„Ja, das ist auch so.
Jeder Vampir, der jemanden verwandelt muss ihn aufziehen, erziehen und sich um ihn kümmern, bis es nicht mehr nötig ist. Die meisten nehmen auch andere Vampire auf, welche, die verstoßen wurden oder deren Erschaffer tot oder verschwunden sind, oder eben welche wie dich.
Aber Kristoff hat das noch nie gemacht. Er hat noch nie jemanden zu sich genommen.“
„Auch nicht die, die er verwandelt hat?“
„Nein. Aber das liegt nicht daran, dass er nicht ehrenhaft und gewissenhaft wäre. Es liegt einfach daran, dass er noch nie in seinem ganzen Leben, jemanden in einen Vampir verwandelt hat.“
„Was? Ich dachte, jeder Vampir verwandelt ein paar Leute, entweder um sie zu retten oder weil sie es wollen. Wie es aussieht, ist das Leben als Vampir doch gar nicht so schlecht, oder? Ich habe zwar keine Ahnung von den Regeln und so, aber das lerne ich schon noch.
Warum hat er es noch nie getan, jemanden verwandelt, meine ich? Ist es etwas Schlimmes oder Ungewöhnliches, dass er es nicht getan hat?“
Julia dachte über Kats Worte nach und wägte ab, was sie sagen sollte um die Sache am besten zu erklären.
Zögernd setzte die schöne, berühmte Vampirin an: „Es ist… an sich ist es nichts ungewöhnliches, wenn ein junger, neuer Vampir noch nie jemanden verwandelt hat. Man muss es auch nie tun, aber die meisten kommen früher oder später in eine Lage, in der sie es doch tun. Geliebte Menschen, die sie nicht verlieren wollen, Leute, die im Sterben liegen und deren Leben sie retten und nicht zu vergessen jene, die von unserer Existenz irgendwie wissen – sie müssen zu uns gehören, damit sie nicht in Versuchung kommen können, uns zu verraten.
Aber wenn man so als ist wie Kristoff… ja, da ist es sehr ungewöhnlich, würde ich sagen. Er ist bei der Entstehung unserer Art dabei gewesen, ebenso Victoria, die mich gewandelt hat, nebenbeibemerkt, also ist er einer der Ältesten. Er hat jedes hohe Amt, das man ihm anbot, abgelehnt. Keiner weiß, wieso.“
Kat dachte über Julias Worte nach. Kristoff war also einer der Ältesten, war sogar bei der Entstehung dabei gewesen. Also hatte er eigentlich das Anrecht auf einen hohen Posten. Victoria war genauso alt wie er und war nun die Königin der Vampire, soweit sie das richtig mitbekommen hatte. Genau genommen hätte Kristoff also auch das Recht auf diesen Posten oder zumindest auf einen nächst höheren. Es gab wenige Leute, die so eine Chance nicht ergreifen würden.
„Irgendeinen Grund wird es dafür schon geben, meinst du nicht?“
Julia zuckte mit den Schultern, auf diese elegante Art, die Kat neidisch werden ließ.
„Ja, sicher. Aber er hat ihn noch nie jemanden verraten. Auch sonst ist er eher unter sich, führt das Leben eines einfachen Kriegers, ein wenig abgeschieden und allein. Manchmal kommt er zwar her, aber manchmal sehen wir ihn hier Monate nicht. Ich weiß nicht viel über ihn. Am besten kennt ihn wohl Victoria, die Königin, aber sie spricht nie darüber.“
Kat hatte nun schon gehört, dass die beiden, Victoria und Kristoff, seit der Erschaffung der Vampire lebten, aber noch niemand hatte erwähnt, wie lange das her war. Doch zu fragen traute sie sich noch nicht. Diese Wesen waren bestimmt älter als sie sich vorstellen konnte. Menschen sprachen schon nicht gern über ihr Alter, vielleicht galt das auch bei den Vampiren.
Und sie wollte nicht gleich an ihrem ersten Tag in ein Fettnäpfchen treten. Noch immer schien ihr alles so unwirklich, so fernab jeglicher Realität. Das hier… das alles. Die Villa, die berühmten Schauspieler. Das war einfach zu viel. Vielleicht war es ganz gut, wenn sie mit Kristoff ging und sich erst einmal Gedanken darüber machte, was sie jetzt war und was mit ihr geschehen war. Bisher hatte sie sich über die Umstände ihrer Wandlung noch keine Gedanken gemacht, zu viel anderes war passiert. Sie wusste nichts über Vampire oder was sie taten oder was nicht. Das würde sie Kristoff fragen, später, wenn sie alleine waren.
Gott, wie lange war dieser Gang bitte? Sie liefen schon ewig, zumindest kam es Kat so vor, und noch immer änderte sich in der Umgebung nichts. Die Villa musste größer sein, als sie gedacht hatte.
Endlich kamen sie zu einer kleinen Halle, die ebenfalls aus hellem Marmor gebaut war. Sie war schön und elegant, ohne Frage. Aber viel zu viel für Kat. Niemals war sie je in einer so schönen Halle gewesen. Sie hatte sich nie vorstellen können, jemals über so schönen, edlen Boden zu gehen. Auch jetzt kam sie sich so vor, als verdiene sie es nicht so eine schöne Halle zu betreten. Sie war eine Hure, ein Straßenkind, niemand, den man in eine solche Villa einlud.
Julia hielt vor einem schmalen Treppenabgang an und wandte sich Kat zu. „Geh einfach die Treppen hinab, am Ende ist gleich die Garage. Kristoff wartet dort schon auf dich.
Machs gut… und wenn du etwas brauchst, du weißt ja, wo du mich findest.“
Kat nickte dankbar und erwiderte Julias Lächeln. Noch nie waren ihr so elegant gekleidete Menschen begegnet, auch wenn sie bisher nur Julia und Kristoff gesehen hatte. Julia war schöner als alle Frauen, die sie kannte und hatte auch wesentlich mehr Stil. Mit so jemandem konnte sie niemals mithalten.
„Danke, dass ich… dass ich hier sein durfte.“
Julia winkte elegant ab, so elegant, dass es Kat einen Stich versetzte. „Ach, kein Thema.“
Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging mit schwungvollen, großen Schritten den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Kat atmete einmal tief durch und verdrängte den Gedanken, dass sie niemals mit Julia mithalten können würde, dass sie einfach nicht in diese Welt gehörte und es auch nie würde, so nett die Frau auch gewesen war. Bestimmt hatten sie Vorurteile ihr gegenüber, und das konnte sie ihnen ja nicht einmal verdenken.
Kristoff wartete tatsächlich in der schwach beleuchteten Garage auf sie, in der hunderte, größtenteils sehr teure Autos standen. Er stand gekleidet in dunklen Lederklamotten an eine schwarze, schnittige Limousine gelehnt da und sah sie eindringlich an.
„Da bist du ja. Komm, rein mit dir, dann können wir los.“
Kat nickte und trat zögerlich an das Auto. Selbstverständlich ließ sich der männliche Vampir auf den ledernen Fahrersitz sinken, doch Kat zögerte. Niemals war sie in so einem Wagen gefahren, keiner ihrer Kunden besaß so ein teures Modell, nicht einmal die besser betuchten. Einen Moment fragte sie sich, ob sie das schöne Auto nicht vielleicht beschmutzte, wenn sie darin saß. Sie war doch ein Nichts, ein Niemand. Und dieses Auto gehörte zu einem Jemand.
Die getönten Scheiben des Wagen glitten hinunter und Kristoff rief ihr zu: „Na komm, willst du ewig da rumstehen?“
Kat fing sich wieder und ließ sich neben den dunkelhaarigen Vampir gleiten.
Eine Weile fuhren sie schweigend durch die Gegend. Zuerst verließen sie die Garage, dann das Anwesen und schließlich Beverly Hills. Hier war Kat noch nie gewesen, sie konnte sich an der Umgebung gar nicht sattsehen.
Doch schließlich ließen sie die Hills hinter sich und letztendlich auch die Skyline von LA. Sie fuhren eine einsame Landstraße entlang, so lange, bis keine Häuser mehr zu sehen waren. Sein Haus musste ja noch abgeschiedener sein, als sie gedacht hatte.
Sie wusste nicht einmal, in welche Richtung sie fuhren. Trotzdem sie nicht wusste, wohin sie fuhren, war sie aufgeregt. Sie hatte LA noch nie in ihrem Leben verlassen. Wo auch immer sie hinfuhren, es würde ihr gefallen. Da war sie sich sicher.
Obwohl es dunkel war, konnte Kat alle Details der Umgebung sehen. Die Grashalme und die Bäume in der Nacht schienen ihr so deutlich sichtbar zu sein wie tagsüber. Ob das an ihrem neuen Dasein als Vampir lag?
Sie würde Kristoff später danach fragen.
Dieser lenkte den Wagen auf einen schmalen Weg, der schlecht betoniert war und noch weiter weg von anderen Häusern führte. Am Horizont konnte Kat etwas glitzerndes, sich Bewegendes ausmachen. War das…? Ja, das musste das Meer sein!
Kat konnte kaum noch still sitzen vor Aufregung. Nie in ihren Leben hatte sie das Meer gesehen, das kühle Wasser auf ihrer haut gespürt. Nun würde sie es endlich sehen, in echt und nicht nur auf Bildern.
„Alles okay?“ fragte Kristoff und sah sie besorgt an. Er musste gespürt haben, dass sie nervös war und es falsch interpretiert haben.
„Nein, mir geht es gut. Es ist nur… ich war noch nie am Meer.“
Der dunkelhaarige Vampir riss verwundert die Augen auf und starrte sie ungläubig an. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich lebte sie in LA, einer Stadt, die direkt am Meer lag. „Was? Du warst noch nicht am Meer? Wirklich noch nie?“
Kat schloss die Augen und nickte. „Ja, es stimmt. Ich hatte nie die Zeit oder das Geld um an den Strand zu fahren. Genau genommen habe ich meinen Stadtteil nie verlassen.“
Fassungslos schüttelte Kristoff den Kopf, starrte weiterhin aus der Frontscheibe. Seine Augen glitzerten in der Nacht, Kat konnte den Blick nicht davon losreißen. „Dann werde ich es dir zeigen.“
Kat krallte sich erschrocken in den Ledersitz, als Kristoff aufs Gas stieg und beschleunigte. Sie war sicher, dass es gegen ein Gesetz verstoß auf einer so schlechten Straße so schnell zu fahren. Aber das Gesetz der Menschen galt für Vampire nicht oder konnte ihnen nichts anhaben. Außerdem bezweifelte Kat, dass hier in der Gegend Polizei sein würde.
Kristoff hielt vor einer großen Villa aus weißem Stein. Elegant hob sie sich von der Umgebung ab und die Silhouette zeichnete sich dunkel in der Nacht ab. Der Eingang bestand aus einem großen Torbogen und war aus Glas, so wie die gesamte linke Seite des Erdgeschosses, in der sich das Wohnzimmer befand, soweit sie von draußen erkennen konnte.
„Wow. Dein Haus ist einfach… wow.“
Mehr brachte Kat nicht heraus, sie konnte die Schönheit des Anwesens gar nicht erfassen, welches direkt am Meer lag.
„Ja, es ist schön, nicht wahr?
Na komm, ich zeig dir Mal das Meer.“
Kat nickte bloß und folgte Kristoff. Der Sand unter ihr sank ein und Kat war versucht die Schuhe auszuziehen und von sich zu schleudern um den weißen Puder unter den Füßen spüren zu können.
Das Wasser spülte in sanften Wellen an den Strand und beruhigte allein mit seinem Rauschen. Das Geräusch klang wie Musik in ihren Ohren.
Tränen traten ihr in die Augen und sie musste sich zusammenreißen um nicht anfangen zu weinen. „Ich dachte nicht, dass ich das Meer jemals sehen würde. Dachte, ich wäre für immer und ewig in meinem Leben gefangen, das ich so sehr gehasst habe. Ich habe nie erwartet, dass ich es jemals sehe oder in die Nähe davon komme.
Es ist so schön…“
Am Rande bekam sie mit, dass sich Kristoff neben sie stellte, ganz dicht, so dicht, dass sie ihn spüren konnte. Gänsehaut überzog ihre Haut und wohlige Schauder liefen ihr über den Körper.
Langsam drehte sich Kat zu ihm um und sah ihn an.
Er war ein ganzes Stück größer als sie und seine schultern waren breit genug, dass sie sich hinter ihm verstecken konnte.
Er blickte sie aus seinen wunderschönen Augen an, und Kat war nicht in der Lage den Blick loszureißen. Er war so schön, Gott, er war so schön.
„Ich wollte nie das sein, was ich war. Aber was sollte ich tun? Ich bin dort geboren worden und aufgewachsen. Ich hatte keine Wahl. Kein Geld um zur Schule zu gehen und in einer Bar wollte mich keiner anstellen, sie fanden immer, ich sei zu jung. Das bin ich vermutlich auch. Ich habe meinen Job immer gehasst, mehr gehasst als alles andere. Ich habe oft davon geträumt von doch abzuhauen und ein gutes, schönes Leben zu führen und vielleicht zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich wollte nie eine Hure sein.“
Die letzten Worte hauchte sie nur noch. Sie schämte sich für das, was sie getan hatte, was sie gewesen war, mehr als je zuvor. Sie wollte nicht, dass Kristoff sie so sah. Er sollte nicht denken, sie sei ein liderliches und leicht zu habendes Mädchen, nur weil sie diesen Beruf ausgeübt hatte. Ihr war es auf einmal wichtig, dass er sie verstand, verstand dass sie das nicht freiwillig getan hatte.
Kat senke den Kopf, sie konnte ihn nicht länger ansehen, wollte die Abscheu und den Ekel in seinen Augen nicht sehen.
Behutsam und unendlich zart fasste Kristoff sie unter dem Kinn und hob ihren Kopf, bis sie ihn wieder ansehen musste.
„Es tut mir leid.“
Es tat ihm leid? Was tat ihm leid? Es gab nicht, wofür er sich entschuldigen musste.
Verwundert erwiderte Kat seinen Blick. Anstatt der erwarteten Gefühle standen in seinen Augen Mitleid und etwas anderes, das sie nicht identifizieren konnte.
„Was tut dir leid? Du kannst doch nichts dafür. Es war meine Mutter, die von zu Hause abgehauen ist und zur Hure wurde, mich damit zu diesem Leben verdammte. Du hast mich nicht auf die Straße geschickt. Du hast mich gerettet!“
Kristoff schüttelte den Kopf, ließ ihren aber nicht los und sein Blick wanderte keinen Augenblick von ihr weg.
„Das meinte ich nicht.
Es tut mir leid, dass du so ein Leben führen musstest, dazu verdammt warst so etwas zu tun und keine Möglichkeit hattest dem zu entfliehen.
Und es tut mir leid, dass ich dich verachtet habe, für das, was du tust. Dass du deinen wunderschönen, jungen Körper an so ekelhafte Mistkerle verkaufst. Es tut mir leid, dass ich Vorurteile hatte und dich für etwas verurteilt habe, wofür du im Grunde nichts konntest.“
„Ist schon okay, ich bin es gewohnt.
Wirklich, ist schon in Ordnung.“
„Nein, ist es nicht. Ich fand dich vom ersten Moment an, als ich dich sah, wunderschön. Du warst verdreckt und ausgehungert und hattest diese Perücke am Kopf und diese grässliche Schminke im Gesicht. Und doch warst du in dem Moment schöner als alle Frauen, die ich je zuvor gesehen habe.
Ich habe dich nicht hierher mitgenommen, weil du mir Leid tatest oder weil ich dich gefunden habe, sondern weil du mich faszinierst und du etwas tief in mir bewegst. Als ich doch so fand, halb tot und voller Blut, da spürte ich diese unglaubliche Wut in mir, diesen Hass, der sich gegen den richtete, der dir so etwas angetan hatte. Ich brachte dich zu Victoria und ich bestand darauf, dass sich Julia um dich kümmerte, ließ keinen anderen Mann in deine Nähe.
Sag mir, woran das liegt. Sag mir, wieso ich immer an dich denken muss!“
Kat konnte nicht anders – sie starrte Kristoff ungläubig an, völlig fassungslos über seine Worte. Er musste an sie denken? Er musste an sie denken, die auf den Strich gegangen war und ihr Leben lang in dem heruntergekommensten Stadtteil gelebt hatte? Das klang unglaublich, absolut unglaublich.
Kat spürte, wie sie ihr Herzschlag - der mit der Verwandlung nicht aufgehört hatte, was bedeutete dass sie nicht untot war – beschleunigte und sich ein warmes Kribbeln in ihrem Körper ausbreitete.
Er war ihr so nah, dass sie seine Wärme spüren konnte und wenn sie einatmete, konnte sie seinen unglaublich männlichen Duft nach Regen und Wind riechen. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch und machten Purzelbäume. Noch nie hatte sie sich so bei einem Mann gefühlt, noch nie so sicher und so nervös. Sie wollte, dass er sie küsste. Doch sie hatte sich bisher nie gewünscht geküsst zu werden, hatte es verabscheut wenn die Kunden es getan hatte. Dennoch verspürte sie jetzt dieses Verlangen seine Lippen, diese unglaublich männlichen Lippen, auf den ihren zu spüren.
Am Rande bemerkte Kat, wie sich der Mond im Wasser reflektierte und dass tausende und abertausende Sterne am Himmel leuchteten. Es war unglaublich ruhig, nichts war zu hören außer dem Rauschen des Meeres und ihrem Atem.
„ich weiß es nicht,“ hauchte Kat so leise, dass sie es als Mensch selbst kaum gehört hätte.
Einen Moment standen sie sich noch gegenüber, die Augen fest aufeinander geheftet, im nächsten lagen sie sich in den Armen und küssten sich.
Kaum berührten sich ihre Lippen vergaß Kat alles um sich herum. Alles andere wurde aufgelöst, ihre Welt reduzierte sich einzig und allein auf den Mann, der sie sanft und leidenschaftlich zugleich in den Armen hielt. Feuer raste durch ihre Ader, Gänsehaut kroch ihr über den Körper und sie hätte sich vergessen können, für immer in seinen Armen liegen können.
Heftig atmend lösten sie sich voneinander. Schweigend sahen sie sich an, Kat berührte mit den Fingerspitzen ihre Lippen, auf denen sie ihn noch schmecken konnte.
Sie rang nach Atem, suchte nach Worten um das Schweigen zu brechen, doch ihr Gehirn war ein einziger Brei.
„Das, das war…“
„Unglaublich?“ beendete Kristoff ihren Satz. Wie benommen nickte sie.
Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz im Magen, der sie schwanken ließ. Diese Art von Schmerz hatte sie schon einmal gespürt, es war gar nicht so lange her. Das war kurz nach ihrer Verwandlung gewesen und sie wusste, was es bedeutete: Sie hatte Hunger, Hunger nach Blut.
Kristoff fing sie auf, als sie aus dem Gleichgewicht verriet, die plötzliche Schwäche überkam sie und riss sie mit sich.
„Hey… ganz ruhig. Du bekommst gleich Nahrung, ich sorge schon dafür.“
Kristoff nahm sie auf die Arme und trug sie zu dem Haus, seine Stimme war leise und sanft, beruhigte sie auf einer tiefe Ebene. Kat nickte und ließ sich von ihm halten, durch die Tür ins Wohnzimmer tragen und auf das Sofa setzen.
Die Couch war unglaublich bequem und aus hellem Leder. Genauso geschmackvoll und doch männlich wie der Rest des Raumes.
„Warte hier, ich hole dir schnell einen Blutbeutel.“
Kristoff brauchte nicht einmal eine Minute, bis er wieder da war und sich vor Kat hinkniete, in seiner Hand hielt er einen Beutel, wie man ihn aus dem Krankenhaus kannte.
„Das kann ich doch nicht…. Blut trinken… nein…“
Kristoff schüttelte den Kopf. „Du kannst und du musst. Außerdem hast du es schon einmal gemacht. Ich habe dir etwas eingeflößt, als du bewusstlos und halb am Verhungern warst.
Trink jetzt, danach erkläre ich dir alles über Vampire, was du wissen willst.“
Kat dachte über den Vorschlag nach und überlegte, ob sie ihren Ekel überwinden sollte und ihr Interesse stillen, oder ob sie es bleiben lassen sollte.
Die Neugierde siegte, also nahm Kat ihm den Blutbeutel aus der Hand und hielt ihn sich recht unbeholfen vor das Gesicht.
„Was soll ich machen?“
Anstatt ihr eine Antwort zu geben, ritzte Kristoff den Beutel auf und hielt ihn ihr vor die Nase. Fast augenblicklich fuhren zwei spitze Zähne aus ihrem Zahnfleisch und stachen in ihre Unterlippe. Die Prozedur war nicht wirklich schmerzhaft, fühlte sich aber ungewohnt und seltsam an.
„Schlag die Zähne einfach in den Beutel. Den Rest erledigen deine Instinkte.“
Und er behielt Recht. Kaum dass ihre Zähne durch die dünne Plastikschicht gedrungen waren – kein sonderlich schwieriges Unterfangen, die Zähne waren ziemlich scharf – begann sie wie von selbst zu saugen, wie an einem Strohhalm. Das kalte Blut füllte ihren Mund und schmeckte gar nicht so, wie sie es vermutet hätte.
Es schmeckte nicht ekelig und nach Eisen, es hatte einen Geschmack, den sie nicht identifizieren konnte, sie aber an Erdbeere erinnerte und etwas anderes, vielleicht Minze und ein Hauch Schokolade. Kat wusste nicht wie, aber es stand für sie außer Frage, dass dies Blut von einer Frau war, Mitte bis Ende zwanzig. Konnte man so etwas aus Blut herausschmecken? Es schien so.
Im Nu leerte sich der Beutel und der Schmerz im Magen verschwand und hinterließ das wohl bekannte Gefühl der Sattheit. Es fühlte sich gut an und Kat spürte sofort, wie ihr wärmer wurde.
„Das Blut wirkt aber schnell gegen Hunger.“
Kristoff nickte, nahm ihr den Beutel aus der Hand und legte ihn auf den gläsernen Wohnzimmertisch, auf dem mindestens 3 Fernbedienungen lagen, alle für den riesigen Flachbildfernseher am anderen Ende des Raumes.
Dann setzte er sich neben Kat und nahm ihre Hand in seine. Seine Haut war ebenfalls warm, angenehm war, aber rau, so als hätte er früher viel mit der Hand gearbeitet und gemacht. Wieder fragte sie sich, wie alt er wohl war.
„Also… meine Zähne ziehen sich bei Geruch von Blut von selbst aus und Sonnenlicht tut mir weh. Ich kann besser sehen, besser hören vermutlich auch und riechen nehme ich an, ist auch dabei. Was noch? Oder was schadet mir? Ich will wissen, worauf ich achten, was ich wissen muss.“
Kristoff lehnte sich auf der Couch zurück, behielt ihre Hand aber in seinem Griff.
„Nun, was du aufgezählt hast stimmt alles. Dazu kommt noch, dass wir stärker und schneller sind als Menschen und bis auf einige Ausnahmen auch unsterblich.
Töten kann man uns nur, indem man uns enthauptet, verbrennt oder mit einem Holzpflock pfählt. Allerdings können wir auch verhungern, solltest du also in Gefangenschaft kommen, sieh zu dass du an Blut kommst, sonst überlebst du nicht allzu lange.
Sonnenlicht tut weh, vor allem den jungen Vampiren. Umso älter wir werden, umso weniger schmerzhaft ist es. Töten tut es uns nicht. Angenehm ist es aber auch nicht.
Es gibt keine übergewichtigen Vampire, da das Blut vollständig verbraucht wird, das heißt dass man nicht übergewichtig werden kann und welche, die es waren, sind es nach einiger Zeit nicht mehr. Es gibt keine Kohlenhydrate oder Fette mehr, nurnoch Nährstoffe, die wir brauchen. Leider ist die Nebenwirkung davon, dass es einige Vampire gibt, die zu wenig wiegen und zu dünn sind, aber eigentlich sollte das auch kein Problem sein, solange man sich nicht nur von Tierblut ernährt.“
Das klang… gut. Keine Angst haben zu müssen in der Sonne zu verbrennen war gut und nur drei oder vier mögliche Todesarten haben verlieh dem Ganzen noch einen zusätzlichen Reitz. Sie wollte nicht allein sein, die Ewigkeit allein verbringen, aber die Aussicht, dass man auch schwere Verletzungen und vermutlich Krankheiten überleben konnte, war ein Geschenk des Himmels.
„Verletzungen heilen bei uns viel schneller, auch Knochenbrüche.
Das Vampirvolk ist sich uneinig, ob es ein Fluch oder ein Segen ist.“ Fuhr Kristoff fort.
„Und du? Wie siehst du das?“
Abwesend, fast als bemerke er nicht, was er tat, beschrieb Kristoff kleine Kreise mit seinem Daumen auf ihrem Handrücken. Jede Berührung seiner Finger sandten ihr einen wohligen Schauer über den Rücken und sie spürte, dass sie Gänsehaut bekam. In seiner Nähe schlug ihr Herz immer viel schneller als es sollte, und die Schmetterlinge in ihrem Bauch wollten einfach keine Ruhe geben. Die ganze Zeit sahen sie sich an und Kat konnte den Kuss einfach nicht vergessen, immer wieder dachte sie daran, wie er seine Lippen sanft auf ihre gelegt hatte.
„Für mache mag es ja ein Segen sein, aber nicht für mich. Ich war dabei, wie wir verflucht wurden, ich war da. Ich habe alles verloren, was mir je etwas bedeutet hat. Mein zu Hause, meine Frau, ja, sogar meine Kinder. Und ich weiß, dass es zum Teil meine Schuld war.“
Kat schüttelte energisch den Kopf und legte ihm die freie Hand auf das Knie.
„Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn du willst, kannst du mir davon erzählen.“
Mit einem Mal sah er unglaublich traurig aus, dunkle Schatten legten sich über seine Augen und verdunkelten sie. Sein Kiefer war angespannt und Kat konnte seine Qual spüren. Sie wollte ihn in die Arme nehmen und ihn fest an sich drücken, doch etwas in seinem Gesichtsausdruck hielt sie davon ab es zu tun.
„Es tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen…“
Kristoff schüttelte den Kopf. „Ich schon okay. Ich habe es lange genug in mich hineingefressen, vielleicht tut es gut es jemanden einmal zu erzählen, jemanden, der damals nicht dabei war, jemand wie du.“
Kat nickte nur, wagte nichts zu sagen, da sie ihrer Stimme nicht länger vertraute. Sie war gerührt, dass er es ausgerechnet ihr erzählen wollte und sie hatte vor, dieses Geschenk anzunehmen und mit Würde zu tragen.
„Es war 1478, wir lebten auf einer Insel, auf der ein großer, mächtiger Vulkan stand. Unser Volk verehrte ihn, zumindest sollte es so sein. Doch wir glaubten nicht daran, dass er uns Erlösung bringen würde und über uns wachte. Gott, wir waren jung und dumm.
Und lenkten den Ärger des Vulkans auf uns. Er brach aus – doch anstatt und zu töten verfluchte er uns, verwandelte und in das, was wir sind, in Vampire. Alle Bewohner dieser Insel waren ab diesem Zeitpunkt unsterblich, gefangen in ihren eingefrorenen Körpern. Die Kinder wurden nie erwachsen, die Alten blieben alt. Meine Frau konnte es nicht ertragen, zusehen zu müssen, wie unser Baby nicht alterte, immer ein kleines Baby blieb. Auch sie selbst konnte nicht mit dem leben, was sie war. Sie gab mir die Schuld an unserem Fluch, weil ich einer von denen war, die den Ärger des Vulkans auf sich beschworen hatten.“
Kristoff drückte Kats Hand fester, doch er schien es gar nicht zu merken. „Sie tötete zuerst unseren Sohn und dann sich selbst. Er war drei Jahre alt, sah aber aus wie 6 Monate. Seitdem habe ich es nie mehr gewagt, auch nur in die Nähe einer Frau zu kommen, die mir etwas bedeutet.“
Kat streckte ihre Hand aus und strich Kristoff eine dunkle Locke aus dem Gesicht. „Das war nicht deine Schuld. Ihr habt ja nicht wissen können, was das für Folgen haben wird. Das mit deiner Frau und deinem Sohn tut mir leid, es tut mir so unendlich leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll um dich zu trösten. Aber deine Frau hatte unrecht. Es war nicht deine Schuld! Sie hat dir bestimmt auch nicht wirklich die Schuld gegeben, aber sie war verzweifelt wegen eurem Sohn, sie wusste wahrscheinlich gar nicht mehr, was sie tat!“
Kristoff sah Kat mit einer Mischung aus Verwunderung und Verehrung an. „Du… du gibst mir nicht die Schuld?“
Kat schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, und das solltest du auch nicht. Es ist passiert und es hilft nichts, in der Vergangenheit zu verweilen. Lebe! Lebe weiter! Deine Familie hätte nicht gewollt, dass du in deiner Trauer versinkst!“
Kat kniete sich auf die Couch neben Kristoff und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. Ihr Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt, sie konnte seinen Atem auf ihren Wangen spüren.
„Bitte… lebe weiter!“ Mit mir, fügte sie in Gedanken hinzu.
Dann, plötzlich war auch noch der letzte Abstand zwischen ihnen überwunden und sie küssten sich. Es war kein sanfter Kuss, zumindest nicht nur. Er schmeckte nach Verzweiflung und Leidenschaft. Kristoff vergrub seine Hände in ihren Haaren, Kat fuhr mit ihren hektisch über seinen Oberkörper, zerrte an seinem schwarzen T-Shirt, zerrte es ihm über den Kopf.
Seine Brust fühlte sich unglaublich an – muskulös, stark und unglaublich hart.
Sie konnte seinen schnellen Herzschlag unter ihren Händen fühlen und das erste Mal in ihrem Leben hatte sie selbst den Wunsch, mit jemanden zu schlafen.
„Nicht hier,“ keuchte Kristoff. Er hob sie mühelos hoch, ohne seine Lippen von ihr zu lösen, und trug sie mit schnellen, großen Schritten die Treppen hoch in den ersten Stock, durch offene Türen hindurch in sein Schlafzimmer. Kat bekam noch am Rande mit, wie er sie auf seidige Laken legte, dann war jeder vernünftige Gedanke aus ihrem Kopf gelöscht und es gab nur noch ihn, nur noch Kristoff in ihrer Welt.
Im Angesicht des Mörders
In seinen Armen fühlte ich mich sicher und geborgen, ja, fast geliebt. Ich wollte ihn nicht verlassen, denn in seiner Gegenwart war ich so glücklich wie nie zuvor. Ich wusste, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Aber noch hing ein Damoklesschwert über uns. Mir war klar, dass der Mörder gefasst werden musste, und zwar um jeden Preis. Er hatte Tiff getötet, dafür musste er büßen.
Kat erwachte blinzelnd aus dem Schlaf. Ein großer, muskulöser Körper presste sich an sie, hielt sie eng umschlungen. Sie hatten… es getan. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie es freiwillig getan und es auch noch genossen. Es war das Schönste, was sie je erlebt hatte und sie wollte immer so in seinen Armen liegen bleiben.
„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“
Kat blickte zu Kristoff auf, der sich mit dem Ellbogen abgestützt hatte und sie beobachtete, fast zärtlich ansah. „Morgen. Ja, habe ich. Du? Wie lange beobachtest du mich?“
Kristoff lächelte und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Eine Weile. Du siehst so friedlich und jung aus, wenn du schläfst.“
Kat spürte, wie sich Röte in ihr Gesicht stahl, angesichts seiner Worte. „Ach, Quatsch. Stimmt gar nicht.“
„Doch, es ist wahr.“ Mit einem Mal wurde er ernst. „Es steht dir viel besser als das ganze Make-up und das billige Outfit, mit dem ich dich gefunden habe. Warum wählt ein Mädchen wie du so ein Leben, so einen Beruf aus? Das kann ich nicht verstehen.“
Kat rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Sie hatte gewusst, dass er das früher oder später fragen würde und sie würde ihm alles erzählen, so wie auch er ihr alles erzählt hatte. Er hatte es verdient. Und angesichts ihrer Gefühle für ihn, schuldete sie es ihm fast. Außerdem wollte sie, dass er wusste, dass sie dieses Leben niemals freiwillig gewählt hätte.
„Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich ein anderes Leben geführt, einen anderen Weg gewählt.
Aber die hatte ich eben nicht. Meine Mutter geriet in die Gegend, da war sie gerade einmal 16. Irgendwann wurde sie schwanger, mit mir, und sie hatte nicht das Geld, um die Gegend zu verlassen und sich eine andere Wohnung zu suchen. In einem Restaurant arbeiten lassen wollte sie keiner und auch in keiner Bar. Andere Arbeitsstellen gab es in dieser Gegend nicht und meine Mutter war allein, sie wusste nicht einmal, wer der Vater war.
Um die Miete zahlen zu können musste sie weiter auf die Straße, und nach meiner Geburt brauchte sie Geld dringender denn je. Also ging sie weiter auf die Straße und ich wuchs als Tochter einer Hure auf. Mit 16 wurde ich selber eine, als meine Mutter starb. Ich hatte die Wahl: auf die Straße gehen oder die Wohnung verlieren. Ich habe mehrmals versucht, von der Gegend weg zu kommen. Ich habe es nie geschafft.“
Kristoff sah sie an, strich ihr behutsam über das Gesicht, streichelte ihre Wange.
„Das wusste ich nicht. Es tut mir leid, dass ich so über dich geurteilt habe. Aber jetzt ist das vorbei. Ich verspreche dir, du wirst nie wieder dorthin zurück müssen. Du gehörst jetzt zu mir.“
Freudenstrahlend und außer sich vor glück schlang Kat ihm die Arme um den Hals und drückte ihn eng an sich. „Heißt das, wir sind… ein Paar?“
Kristoff nickte und wühlte mit seinen großen Händen in ihrem Haar. „Ja, wenn du es so nennen willst. Ich möchte, dass du bei mir bleibst, hier mit mir lebst. So wie bei dir, habe ich mich noch nie gefühlt, und das meine ich wirklich ernst. Schon als ich dich fand, verdreckt und halbtot, war ich fasziniert von dir. Du bist jung, aber ich werde dir alles über das Vampirdasein beibringen, was du möchtest. Das verspreche ich dir.“
„Ja… ich möchte bei dir bleiben und hier mit dir leben, von dir lernen. Auch wenn du viel, sehr viel älter bist als ich, das ist mir egal. Ich war schon vom ersten Moment, als ich dich sah, so groß und so stark, in dich verliebt.“
Kristoff küsste sie zärtlich und Kat bettete ihren Kopf auf seine Brust. „Aber bevor ich das alles hinter mir lasse, meine Vergangenheit, muss ich noch etwas tun. Und das möchte ich nicht allein machen.“
Kristoff ahnte, worauf sie hinauswollte und hörte ihr zu. „Ich muss den Mistkerl finden, der Tiff und die anderen Mädchen getötet hat und wegen dem ich jetzt ein Vampir bin. Nicht, dass ich das bedauern würde, denn ich habe dich ja gefunden, aber er muss gestoppt werden.
Bitte, Kristoff, hilf mir dabei.“
Eine Weile war es vollkommen still, nur unterbrochen von dem gleichmäßigen Streicheln über ihr Haar. Er schien nachzudenken und sie ließ ihn. Er war auf der Jagd nach dem Mörder gewesen, das wusste sie. Auch, dass er ihn töten wollte, war ihr klar, sie hoffte bloß, er ließ sie dabei sein. Sie musste ihn noch einmal sehen, den Mann, der ihre Freundin getötet hatte. Die einzige richtige Freundin, die sie je gehabt hatte, eine Freundin, die mehr eine Schwester für sie war.
„Ja. Ja, natürlich helfe ich dir. Auch wenn ich dich nicht gerne in seine Gegenwart lasse, nicht noch einmal. Aber ich verstehe, dass du das musst. Aber ich werde dabei sein und ich werde ihn töten. Das will ich dir nicht auflasten.“
Zufrieden lächelnd kuschelte sich Kat noch enger an ihn und hauchte einige sanfte Küsse auf seine nackte Brust.
„Dann wäre das abgemacht.
Wann machen wir uns auf die Jagd?“
„Morgen Nacht. Wir werden so lange suchen, bis wir ihn gefunden haben.
Und wenn das alles vorbei ist, dann kehren wir hierher zurück.“
„Ja“, seufzte Kat und schloss die Augen, als sie erneut von Müdigkeit übermannt wurde. „Oh ja.“
Als sie am nächsten Abend aus dem Bett krochen, erinnerte sich Kat mit glühenden Wangen an all die vergangenen Stunden und was er mit ihr gemacht hatte. Sie hatte sich noch nie so sicher gefühlt, wie in seinen Armen, noch sie so geborgen. Sie wusste, dass sie ihn liebte, auch wenn das kaum möglich schien nach nur so kurzer Zeit. Und doch war es so.
Sie war glücklich und wenn der Mörder endlich getötet war, wäre es perfekt. Das Leben, das sie sich immer erträumt hatte, als Ärztin in einem international anerkannten Krankenhaus zu arbeiten, einen Arzt zu heiraten und Kinder zu bekommen, war in weite Ferne gerückt. Alles, was sie jetzt noch wollte, war mit Kristoff hier zu leben, in diesem wunderschönen Haus. Das war alles, was sie wollte.
Diese Nacht und auch die nächsten zwei verbrachten sie damit, durch LA zu ziehen und nach irgendeinem Zeichen, einem Anhaltspunkt zu suchen. Vergebens. Sie fragen Passanten und Nutten, ob sie irgendetwas gesehen hätten, etwas Auffälliges bemerkt hätten. Doch das hatten sie nicht. Es schien, als sei der Mörder wie von der Bildfläche verschwunden.
Die Tage verbrachten sie glücklich im Bett, sie unterhielten sich auch viel. Kat erfuhr immer mehr über Kristoff, und auch sie erzählte ihm von sich, von ihren früheren Träumen und wie diese sich jetzt geändert hatten. Eines Tages, sie lagen eng umschlungen in dem riesigen Bett, erzählte sie ihm von ihrem Namen, ihrem echten Namen.
„Meine Mutter nannte mich Katherine Haley. Ihr Nachname war Rhule, also bekam ich auch den. Sie war wohl in einer wohlhabenden Gegend aufgewachsen, wie auch immer. Der Name war wohl ein Überbleibsel aus ihrem früheren Leben, aber so genau hat sie es mir nie erzählt.
Als ich als Hure anfing, passte der Name nicht mehr. Die meisten Leute in der Nachbarschaft waren ebenfalls in diesem… Gewerbe tätig, deswegen nannten sie mich von Anfang an immer nur Kat. Als ich ebenfalls anfing am Strich zu arbeiten, übernahm ich diesen Namen, wurde zu Kat. Ich wollte nicht, dass Katherine sich so verkaufte, also war ich nicht mehr sie, sondern nur noch die Nutte Kat.
Die will ich jetzt aber nicht mehr sein. Nenn mich nicht mehr Kat, bitte.“
„Katherine… ja, der Name passt zu dir. Ich wusste von dem Moment an, als ich dein Foto in der Wohnung fand, dass du nicht in diese Gegend gehörst.
Ich werde dich Kate nennen, wenn das für dich soweit in Ordnung ist.“
Kate… ja, das gefiel ihr, es war eine häufige Abkürzung für Katherine, auch wenn es recht ähnlich war wie Kat, doch das machte nichts. Für Kristoff war sie jetzt Kate.
Am vierten Tag der Suche nach dem Mörder, waren sie erfolgreich. Sie stießen so gegen Mitternacht auf eine ausgesaugte Leiche, eine Frau, die ganz offensichtlich eine Prostituierte war. Kate drehte es fast den Magen um, als sie die Tote mit ihren leeren, blicklosen Augen sah. Wenn sie daran dachte, dass Tiff auch so ausgesehen haben musste, selbst in ihrem Tode noch war ihr Gesicht schmerz- und angstverzerrt gewesen, oder dass sie auch beinahe so da gelegen hätte.
Kristoff schien ihren Gedankengang zu spüren, denn er trat zu ihr und nahm sie fest in seine Arme, drückte sie schützend an sich.
„Geht es, oder willst du nach Hause gehen?“
Nach Hause, das hörte sich schön an. Aber Kate schüttelte den Kopf und meinte entschlossen: „Nein, jetzt, wo wir endlich seine Spuren haben, und ich nehme an, du kannst sie verfolgen, da kann ich nicht einfach aufhören und klein bei geben.
Ich spüre, dass es heute Nacht passiert. Ich weiß es einfach.“
Kristoff ließ sie widerstrebend los und ergriff stattdessen ihre Hand.
„Also gut. Dann komm, lass uns gehen. Ich kann der Spur von hier aus folgen.“
Von da an war er vollkommen konzentriert. Er wusste genau, wohin er gehen musste, entschlossen führte er sie durch enge Gassen und breite Straßen, immer weiter hinein in das Viertel, in dem Kate früher gelebt hatte. Früher… dabei war es noch gar nicht so lange her. Doch es fühlte sich an wie ein früheres Leben.
Wie es schien, war der Mistkerl immer noch auf der Jagd, vermutlich wollte er zurück zu seinem Auto, das er bestimmt zurückgelassen hatte, damit man es nicht erkennen konnte. Er würde diese Nacht noch einmal töten, wurde Kate schlagartig klar.
Kristoff schien das genauso zu sehen, denn er zog sie nun schneller hinter sich her, immer schneller, bis sie fast schon rannten.
Mittlerweile erkannte Kate die Gegend wieder, erinnerte sich daran, dass sie diese Straße schon einige Male entlang gegangen war. Doch anstatt der großen Straße noch weiter zu folgen, bogen sie in eine kleine, ja, gerade zu winzige Sackgasse ein – und trafen prompt auf den Mörder.
Er war abgelenkt, beugte sich über eine junge, rothaarige Frau, die offenbar bewusstlos, und hoffentlich nicht schon tot war.
Er schien sie nicht zu hören, was ihnen einen Vorteil verschaffte.
Kristoff bedeutete Kate, dass sie stehen bleiben und kein Geräusch machen durfte, während er selbst sich lautlos an den großen Vampir anschlich.
Mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung, die ein menschliches Auge kaum wahrnehmen könnte, zerrte er den Mörder von dem Opfer, das sich langsam wieder zu regen begann, hinunter und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen die Mauer.
Man konnte hören, wie ihm die Knochen brachen, doch er schien in seinem Wahnsinn nichts zu spüren, denn er rappelte sich sofort wieder auf um sich auf Kristoff zu stürzen.
Während die beiden mit Händen und Fangzähnen aufeinander los gingen und Kate fast wahnsinnig wurde vor Angst um Kristoff, kniete sie sich neben das Mädchen, das gerade wieder zu sich gekommen war. Am Hals hatte es nur eine kleine Verletzung, also hatte der Mistkerl gerade erst angefangen. Vermutlich war sie aus Schock und Angst in Ohnmacht gefallen, doch jetzt wirkte sie gehetzt und zu Tode verängstigt, sie sah Kate mit schreckensgeweiteten Augen an.
Kate beugte sich zu dem Mädchen hinunter und flüsterte ihr zu: „Mein Freund und ich sind hier, um den Mistkerl endgültig aufzuhalten. Dir passiert nichts mehr, wenn du jetzt gehst.
Lauf, geh ins Krankenhaus, aber sag nicht, was hier gerade passiert, hörst du? Lauf und setzte alles daran, aus dieser Gegend hinaus zu kommen. Na los!“
Das ließ sich das Mädchen nicht zweimal sagen. Sie rappelte sich auf und warf noch einen Blick zurück, ehe es, so schnell ihre Beine sie trugen, wegrannte.
Erleichtert wandte sich Kate wieder dem Kampf zu, der immer noch im vollen Gange war.
Zu ihrem Entsetzen musste sie zusehen, wie der Mörder Kristoff mit seinen Fangzähnen eine große Wunde am Hals riss, doch ihr Geliebter keuchte nicht einmal auf, ließ sich keine Sekunde aus der Fassung bringen.
Doch man merkte, dass ihn langsam aber sicher die Kraft verließ, doch irgendwie wusste sie, dass er nicht aufgeben würde, selbst wenn er dabei starb. Und das konnte Kate nicht zulassen.
„Halt! Hört auf!“
Tatsächlich hielten die beiden Vampire inne und wandten ihre Aufmerksamkeit ihr zu. An den Mörder gewandt sagte sie: „Mich willst du. Dir mag es entgangen sein, aber in der Nacht, als du mich ausgesaugt hast, habe ich dich gebissen. Du dachtest ich bin tot, aber in Wahrheit habe ich mich verwandelt. Du hast versagt, dieses eine Mal hast du versagt, du erbärmlicher Wicht!“
Mit einem wütenden Zischen, ja, er schien förmlich außer sich zu sein, stürzte der Mörder sich auf sie und Kate blieb keine Zeit auszuweichen oder sich zu wehren. Ergeben schloss sie die Augen und betete zu Gott, dass es Kristoff gelingen würde, ihn zu töten und dass er über ihren Tod hinwegkommen würde.
Doch der erwartete Schmerz blieb aus, der Mörder versenkte seine Zähne nicht in ihrem Hals.
Blinzelnd blickte Kate auf – und sah ihn Kristoffs Augen.
Er starrte sie an, während seine Zähne tief versenkt in dem Hals des Mörders versenkt waren und sein Leben aussaugten.
Der Mörder versuchte sich noch zu wehren, doch bei jeder Bewegung riss seine Wunde nur noch weiter auf, außerdem verließen ihn seine Kräfte.
Es dauerte keine Minute, bis der Mistkerl tot zusammenbrach und zu Staub zerfiel.
Kate sah Kristoff fragen an, worauf er hin ihr erklärte, dass das ein normaler Prozess sein, bei toten Vampiren.
Erleichter, dass es nun endlich vorbei war, dass sie nun endlich den Tod ihrer Freundin gerächt hatte, ließ sie sich in Kristoffs Arme sinken.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, seine Aufmerksamkeit auf dich zu lenken?“
Kate drückte ihr Gesicht fest gegen seine Brust und seufzte. „Ich konnte nicht zulassen, dass er dich tötet. Ich liebe dich doch.“
Kristoff hauchte einen Kuss auf Kates Haar. „Und ich liebe dich.
Komm, lass uns nach Hause gehen.“
Kate richtete sich auf und sah Kristoff strahlend an. „Ja, nach Hause.“
Ende
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2010
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