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Undeath


Geschöpfe der Nacht


Prolog


Vor über 5000 Jahren lag dort, im heutigen Italien, ein Vulkan.
In seiner vollen Größe ragte er aus der Mitte einer kleinen Insel, in der Nähe der Küste Venedigs.
Nicht viele lebten dort, doch die, die es taten, hatten keine Angst vor dem großen Berg.
Vampyre wurde er ehrfurchtsvoll von ihnen genannt.
Niemals brach er aus. Und die Leute wurden immer törichter, lachten über die alten Legenden und belächelten den Vulkan als einen ruhigen, netten kleinen Berg.
Niemand mehr glaubte, dass er Macht besaß oder gefährlich war. Keiner hatte mehr Ehrfurcht vor dem heiligen Berg ihrer Vorväter.
Die Kinder der Kinder dachten schon, er würde niemals ausbrechen, als es eines Tages doch geschah.
Es war ein warmer Sommerabend.
Die Sonne war eben noch hinter dem Horizont verschwunden und die Bewohner der Insel reparierten die letzten Schäden ihrer Lehmhütten, als ein furchtbares Erdbeben alles in seinen Grundfesten erschüttern ließ.
Kinder schrien um Hilfe und verkrochen sich unter die Schaffelle, während die Babys weinten.
Männer drückten ihre Frauen unter sich auf den Boden, um sie vor herabfallenden Stroh und Holzteilen zu beschützen.
Die Ältesten jedoch verließen ihre sicheren Hütten und traten auf die große Wiese, die den Fuß des Berges säumte.
Jeder von ihnen starrte den Vulkan an, und alle wussten, dass es nun soweit war.
Seit Anbeginn der Zeiten, war der Berg noch kein einziges Mal explodiert.
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dies geschehen musste.
Dunkler Rauch, färbte den Himmel und verdüsterte die Welt.
Asche und Steine fielen auf die Welt hinab.
Die Leute dachten, ihnen stünde der Weltuntergang bevor.
Alles war dunkel, selbst das Meer färbte sich schwarz.
Dann, mit einem gewaltigen Knall, wurde es hell.
Nicht hell wie am Tag. Nein.
Alles, alle Bäume, alle Hütten, jeder Grashalm und jede Blume färbte sich rot.
Das Wasser sah aus wie Blut und der Himmel glühte, als wäre er Feuer.
Lava rieselte auf die Insel herab und eine heiße, dampfende Druckwelle rauschte den hang hinunter, genau auf das Dorf zu.
Mit einem Mal wurde alles zerstört, was die Bewohner aufgebaut hatten.
Das Inferno zerstörte alles. Kein Tier überlebte.
Doch die Menschen starben nicht.
Wie durch ein Wunder verbrannte sie das Feuer nicht.
Oh nein.
Ihnen passierte etwas, was den Lauf der Dinge für immer ändern sollte.
Anstatt sie zu töten, verlieh der Vulkan ihnen einen Fluch.
Schlimmer, als der Tod es hätte sein können.
Die Insel ging an jenem Tag unter, und verschwand für immer von der Bildfläche.
Die Menschen schwammen ans Ufer und feierten ihr Überleben.
Sie dachten, die Götter wären ihnen gnädig gewesen.
Doch alles Essen konnte sie nicht sättigen, kein Wasser der Welt konnte ihren Durst löschen.
Das einzige, was sie von nun an brauchten, war Blut.


Auf den Straßen L.A.s


L.A., 2009


Ich erinnere mich kaum noch, wie es ist ein Mensch zu sein. Mit jedem Tag, der vergeht, verblassen meine Erinnerungen weiter.
Wie Pizza schmeckt? Ich kann es mir nicht einmal ansatzweise vorstellen.
Irgendwann werde ich nicht einmal mehr wissen, wie es ist wenn einem kalt oder heiß ist.
Jede Stunde frage ich mich, warum das Schicksal mich auserkoren hat.
Keiner kann mir diese Frage je beantworten.
Und vielleicht, wirklich nur vielleicht, sollte es einfach nur so sein.


In einer kleinen, schäbigen und heruntergekommenen Wohnung in Los Angeles, kleidete sich Kat für ihre Arbeit, die mit Einbruch der Dunkelheit beginnen würde.
Mit geschickten Fingern schnürte die 18 Jährige ihre Overkneestiefel aus Lack zu und schlüpfte rasch in den extrem knappen roten Minirock, den sie jeden Abend trug und für den sie in der ganzen Siedlung bekannt war.
Ihre Oberbekleidung bestand lediglich aus einem abgenutzten Leder BH. Das einzige Modell, das sie besaß.
Ihre langen Nägel waren rot lackiert. Den gleichen Farbton hatten auch ihre Lippen und die langen Ohrringe, die ihre Schultern berührten.
Die Wimpern tuschte sie sich mit einem billigen Artikel, das sie mit ihrem letzten erhaltenen Geld bezahlt hatte.
Der Spiegel, vor dem sie stand und sich betrachtete, hatte einen riesigen Sprung und war komplett verschmiert.
Doch in dieser Gegend L.A.s gab man kein Geld für Putzmittel aus.
Das bisschen, das man hatte, benötigte man für Essen, Miete und ab und zu ein paar Dingen, die man für die Arbeit brauchte.
Als sie fertig war, ging sie zurück ins Wohnzimmer, das fast noch schlimmer aussah als das Bad.
Die Tapete fiel an einigen Stellen fast schon von der Wand und unter der Decke wuchs der Schimmel.
Die wenigen Möbel, die hier herumstanden waren alt oder kaputt. Viele von ihnen waren aus der Mülldeponie gestohlen, aus Ermangelung an Geld.
Man konnte es drehen und wenden wie man es wollte.
In ihrem Job bekam man nicht gerade viel Geld.
Es war traurig, wie tief man sinken konnte, aber letztendlich tat man alles, um zu überleben.
Die kleine, rote Handtasche aus billigem Lack lag neben dem alten Ledersofa, das nach Bier und Sex stank.
Es kam ab und zu vor, dass ein Mann in der Wohnung übernachtete.
Das Bett, welches allein aus einem alten, morschen Holzgestell bestand und einer billigen Matratze aus schlechtem, schimmligem Material, war zu persönlich für solche Gesichtchen.
Deswegen das Sofa.
Der Fernseher war aus der Steinzeit. Schlechtes Bild, schlechter Ton.
Aber besser als gar nichts.
Gerade liefen die 7 Uhr Nachrichten und verkündeten, dass ein Mörder irgendwo in ihrer Gegend sein Umwesen trieb und bereits einige Prostituierte sein Opfer geworden waren.
Natürlich jagte es einem Angst ein, so etwas zu hören.
Nur konnte es sich in dem Business keiner leisten deswegen auf das Geld zu verzichten.
Es gab einige, die es taten, doch das waren dann die, die auf der Straße landeten oder sich das Leben nahmen.
Kat ging das Risiko ein. Ihr blieb keine andere Wahl.
Nun meldete der Nachrichtensprecher, dass sich vergangene Nacht ein Unfall ereignet hatte, nur ein paar Straßen von hier.
Opfer waren ein angesehener Geschäftsmann und eine Nutte ohne Namen.
Ihre Identität war noch unklar, aber Kat wusste, wer es war.
Gina. Sie hatte nur eine Straße weiter gestanden.
Sie hatten sich gekannt und ein paar Mal miteinander gesprochen.
Sie spürte, wie erneut Ärger in ihr hochkochte.
Natürlich trauerte alle Welt um den Mann, aber wer kümmerte sich schon um das Mädchen?
Sie war ja bloß eine Hure gewesen. Wen kümmerte es schon, dass sie nun tot war?
Eine Nutte weniger in L.A.
Wen störte es?
Die Polizei würde sicher nicht lange nach ihrer Identität suchen. Sie war unbekannt und würde es vermutlich auch bleiben.
Sie war niemand für die anderen.
Doch für die Mädchen, die hier mit ihr gearbeitet hatten, war sie jemand gewesen.
Eine Freundin, vielleicht so etwas wie eine Schwester.
Vor allem die Mädchen, die neu hier waren, brauchten eine Bezugsperson, die ihnen alles zeigte und ihnen half, sich zu Recht zu finden.
„Kat, bist du fertig?“ rief Tiffany aus der kleinen Küche der Wohnung.
Kat antwortete ihrer Mitbewohnerin und besten Freundin: „Ja! Ich komme schon!“
Tiffany hatte sie vor drei Jahren auf der Straße aufgelesen und ihr einen Platz zum Bleiben verschafft.
Kat hatte dann beschlossen, ihr Geld auf die gleiche Weise zu verdienen wie ihre Freundin – durch Prostitution.
Irgendwann war dann klar gewesen, dass Kat bei Tiff wohnen bleiben würde. Also lebten sie nun zusammen, teilten sich eine Wohnung, ein Bad, ein Bett.
Die Küche war das Schlimmste der ganzen Wohnung.
Überall lagen Essensreste und Scherben, hauptsächlich von zerbrochenen Flaschen Bier oder Wodka.
Dreck an der kaputten Spüle und am Fliesenboden.
Mäuse lebten in jeder Ecke und das Licht funktionierte nur alle Lichtjahre.
Tiff stand an den alten Küchenschrank gelehnt da in ihrem knappen Latexkleid. Ihr rotes Haar trug sie extravagant hochgesteckt mit mindestens drei Spangen.
Billiger Schmuck aus Plastik baumelte an ihren Ohren und um ihren Hals.
Man nahm, was man kriegen konnte und beklagte sich nicht.
Nicht hier.
Abseits von Juwelen.
Wenn man in so einer Gegend lebte, begann man die Reichen irgendwann zu hassen.
Es war weniger der Neid oder die Eifersucht.
Es war die Arroganz, die einen wütend machte.
Und die Ignoranz.
Die Blindheit jener, die das Gold in die Wiege gelegt bekamen, nicht einmal dafür arbeiten mussten und das Leben einer Nutte nur belächelten.
Tiff musterte Kat von oben bis unten, wie jeden Abend, und nickte.
„Dann lass uns loslegen,“ Die anfängliche Begeisterung und der Enthusiasmus waren schon lange aus ihrer Stimme gewichen und hatten Unwillen und so etwas wie Frustration Platz gemacht.
Kat ging es nicht anders, bis auf die Tatsache, dass es ihr von Anfang an keinen Spaß gemacht hatte.
Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wie sie überhaupt in diese Gegend geraten war.
Tiff sperrte die Wohnungstür mit ihrem Schlüssel zu und hing sich den dann an ihre Kette um den Hals, damit sie ihn immer bei sich trug.
Das wenige, das man besaß musste man schließlich bewahren.
Niemand konnte sich hier leisten bestohlen zu werden.
Das war auch der Grund, warum keiner hier eine Geldtasche besaß.
Der Aufzug hatte vermutlich nie funktioniert, oder niemand wagte es ihn auszuprobieren, jedenfalls war er nie in betrieb.
Kat und Tiff klapperten mit ihren überhohen Absätzen die drei Stöcke hinunter.
Überall in den Gängen und im Treppenhaus stank es nach Alkohol, Zigarettenqualm und Urin.
Anfangs hatte diese Mischung Kat fast umgehauen und jedes Mal ihren Würgereiz herausgefordert, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewohnt.
Die Nacht war überraschend kühl und windig.
Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen, es war sternklare Nacht.
Leuchttafeln und Schriften in blinkenden Lichtern wiesen auf diverse Kinos, Theater oder Bars hin, doch die meisten in dieser Gegend waren heruntergekommen oder alt.
Kat und Tiff gingen eine Reihe Straßen entlang, bis sie vor einem großen Kino stehen blieben – ihr Platz.
Hierher kamen sie jede Nacht.
Auch wenn das Kino veraltet war und jetzt gerade Titanic gespielt wurde, kamen hier doch einige Leute vorbei, die Lust auf ein klein wenig Spaß hatten.
Kat hatte von den Deutschen Puffs gehört.
Dort konnten Mädchen angestellt werden und die Betten, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, nutzen.
Man musste nicht Nacht für Nacht in der Kälte stehen und beten, dass jemand kam, der auch halbwegs viel Geld ausgab.
Dort tanzten die Mädchen, um die Männer zu beeindrucken, an Stangen, so wie in den GoGobars.
Außerdem wurden ihnen alle Dinge dort zur Verfügung gestellt.
Es war vielleicht kein besserer Job dort, aber es war leichter.
Und sicherer.
Man musste nur daran denken, was in den USA und England in der Vergangenheit mit Prostituierten passiert war.
Da war es sicherlich besser in einem Lokal zu arbeiten, dort, wo andere Leute in der Nähe waren.
Sofern man es freiwillig tat und nicht dazu gezwungen wird.
Vor dem bunt strahlenden Eingang setzte sich Kat in Pose und stemmte die Hände kess in die Hüften.
Mit den Blicken, die sie tagelang im Spiegel geübt hatte, musterte sie die fahrenden Autos und wartete darauf, dass einer hielt und ihre Dienste in Anspruch nahm.
Tiff wurde bereits nach nur einer Stunde abgeholt.
Sie winkte Kat mit ihrer Handtasche, bevor sie in den roten Civic stieg und davonbrauste.
Kat schob die Dollarscheine, die sie zum Wechseln immer dabei hatte, noch tiefer in ihren BH, damit man nicht die kleinste Ecke sehen konnte.
Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, standen zwei weitere Huren, die eine platinblond, die andere mit nachschwarzen Haaren.
Wie alt waren sie?
Höchstens 16.
Wie konnte es nur dazu kommen, dass Mädchen, die eigentlich in die High School gehen sollte, hier auf der Straße endeten?
Kaum jemand scherte sich darum. Die Polizei half auch nicht viel weiter.
Wen wunderte es denn dann noch, dass einige von den Mädchen Drogen nahmen?
Anders konnte man das Leben hier doch kaum ertragen.
Jeden Tag fürs Überleben arbeiten.
Wer wollte da nicht einmal einfach nur vergessen können?
Kat selbst wusste es aus erster Hand.
Als sie 15 war, war sie den Drogen verfallen. Anfangs nur gelegentlich, doch dann war es immer häufiger geworden.
Mit 17 hatte sie es dann aufgegeben. Das Geld brauchte sie für andere Dinge und Koks gehörte nicht gerade zu den billigsten Drogen am Markt.
Ab und zu zog sie sich noch etwas billiges Koks hinein, aber nur bei speziellen Gelegenheiten.
Es war dumm und Kat wusste das. Es ruinierte den Körper, verstümmelte die Seele – es war nichts, worauf man stolz sein konnte.
Doch man geriet leicht in solche Kreise, wenn man in dieser Gegend lebte.
Die Leute taten es, um abzuschalten, zu vergessen, wo und wer sie waren – doch lange hielt das ohnehin nicht an.
Aber man dachte sich, warum aufhören? Auf der Straße sterbe ich so oder so, ist es dann nicht egal, wie?
Es war unglaublich dumm, so etwas zu denken.
Nur, wie brachte man das den Süchtigen bei, die an jeder Ecke standen?
Einmal drinnen, kam man nur schwer wieder heraus.
Keine Hure dachte an die Zukunft.
Einige wurden schwanger, aus Unachtsamkeit, und mussten ihre Kinder alleine hier aufziehen.
Man sagte immer, das würde einem nicht passieren.
Doch dann traf es einen doch.
Es war so wie russisches Roulette.
Die Chancen auf eine Krankheit, den Drogentod oder eine ungewollte Schwangerschaft standen immer besonders gut.
Dass man jedoch jemals hier rauskam, unter 2 Prozent.
Kat war noch nie in ihrem Leben in einem Kino gewesen, hatte noch nie in einem Restaurant gegessen.
Wenn man hier geboren wurde, träumte man nur von solchen Dingen.
Die meisten erfuhren nie, wie es sich anfühlte, in einem schönen Kleid zu Abend zu essen oder ein Date zu haben.
Knutschereien in einer Gasse, das war hier Alltag. Für Romantik war nicht viel Platz.
Viele Leute wussten noch nicht einmal, wer ihr Vater war.
Kat wusste es auch nicht. Ihre Mutter hatte es nicht einmal gewusst.
Es war traurig, doch nach einer Weile hörte man auf, sich zu fragen was für ein Schwein der Vater gewesen sein muss, dass er sich lieber eine Nutte holte, anstatt sich eine Freundin zu suchen.

Die Nacht war zu kühle für die Jahreszeit.
Kristoff reckte seine Nase in die Luft und sog das Aroma der Nacht in sich hinein.
Es würde bald regnen. Ohne Zweifel.
Noch allerdings schimmerten die Sterne hell am Himmel und die Mondsichel beleuchtete die enge Gasse, in der Kristoff stand, eng an die Mauer gelehnt.
Er war auf der Lauer. Ein gefährlicher Jäger, der nur darauf wartete über seinen Gegner herzufallen und ihn zu töten.
Jede Nacht schwärmte er aus.
So auch diese.
Es war eine ganz gewöhnliche Nacht. Jagen, töten. Das waren seine Aufgaben, die er meisterhaft und gekonnt erledigte. Das war es, was er am besten konnte.
In seiner vollen Kampfmontur wartete Kristoff, dass sich etwas regte, dass das, was er zu riechen glaubte, auf ihn zukam, sich durch unachtsame Schritte verriet.
Der Vampir, der gerade um die Ecke bog, roch nach Blut.
Nicht sein Blut. Auch nicht das eines anderen seiner Art.
Menschenblut.
Ein deutliches Zeichen, dass er sich gerade erst ernährt hatte – und den Menschen irgendwo verblutet liegen gelassen hatte.
Vampire von seinem Schlag kannte Kristoff. Sie waren rücksichtslose Kreaturen, voll bei Sinnen.
Sie wussten genau, was sie taten. Natürlich gab es auch Vampire, die geistig nicht klar waren. Doch im Großen und Ganzen wussten sie ganz genau, was sie taten.
Und sie hielten sich für etwas Besseres, dachten, sie stünden über allen Menschen.
Dabei bedachten sie nicht einmal, dass sie früher selbst welche waren.
Ihnen schien das egal zu sein, oder sie dachten einfach nicht darüber nach.
Es waren selbstsüchtige, machtversessene Monster, die jeden töteten, der sich ihnen in den Weg stellte.
Es sei denn, sie wurden vorher getötet.
Kristoffs Hand legte sich auf die Pistole in seinem Gürtel, die er fast geräuschlos aus dem Halfter zog und entsicherte.
Der Vampir schlich mit in die Taschen gerammten Händen durch die schmale Gasse und war wohl noch zu sehr im Blutrausch, um zu bemerken, dass er nicht länger allein war.
Sie vergaßen in ihrer Überheblichkeit zu leicht, dass es Vampire gab, die sie gerne tot sahen.
Dieser hier schien jedenfalls nicht zur vorsichtigsten Sorte zu gehören, oder er war einfach zu dumm, um sich Sorgen zu machen.
Mit einem gezielten Schuss streckte Kristoff den Vampir nieder.
Silberkugeln.
Die halfen immer.
Für einen Vampir gab es nichts Tödlicheres, obwohl das Tageslicht recht nahe dran war.
Kristoff trat an die Leiche des jungen Mannes herab.
Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht auf dem trockenen Beton.
Schwarzes Blut breitete sich um seinen Körper herum aus und tränkte den hellen Anzug, der ohnehin schon voller Menschblut war.
Angewidert rümpfte Kristoff die Nase und holte aus seinem Mantel eine Schachtel Streichhölzer hervor.
Das brennende Hölzchen warf er direkt auf den leblosen Vampirkörper.
Mit einem gewaltigen Satz sprang Kristoff weg von den Flammen, die für einen Vampir so gut wie immer tödlich waren.
Der Mann brannte schon nach wenigen Sekunden lichterloh, wie ein Haufen trockenes Stroh.
Doch die Flammen waren nicht gelb oder orange.
Auch nicht rot.
Sie glühten in einem dunklen, jedoch unfassbar kräftigen Violett.
Kristoff wartete, bis das Feuer gänzlich heruntergebrannt war und von dem Vampir nichts mehr übrig war, außer einem Haufenn bedeutungsloser Asche.
Seine Vorgesetzten erwarteten von ihm, dass er den Schmutz beseitigte, doch Kristoff fand, dass die anderen Vampire ruhig wissen sollten, dass sie nicht sicher waren.
Sie sollten wissen, dass es Vampire gab, die ihnen an die Pelle rückten und sie einen nach dem anderen langsam auslöschte.
Genau das war Kristoffs Aufgabe.
Und auch wenn er nicht immer mit den Mitteln seiner Vorgesetzten einverstanden war, war es genau das, was er tun wollte.
Rache üben an jenen, die ihm genommen hatten, was er geliebt hatte.


Bis Mitternacht hatte Kat 20 Dollar bei einem schmierigen alten Mann verdient, der wohl sonst keine Frau jemals ins Bett gebracht hätte.
Seine widerlichen Vorstellungen waren selbst für jemanden, der das jede Nacht machte, fast zu viel gewesen.
Umso mehr war Kat froh, als sie aus dem Wagen stieg und zu ihrem Platz vor dem Kino zurückkehrte.
Blinkende Lichter säumten die ganze Straße, und jetzt, wo es Mitternacht wurde, waren da auch viel mehr Menschen als zuvor.
Dutzende Männer und Frauen liefen über die Straße in diverse Bars.
Einige hingen an Straßenecken herum und rauchten Gras oder tranken ihr Bier.
In einer Gasse aus der anderen Straßenseite verkaufte ein Mann mit Kapuzenshirt einer jungen Frau Drogen und links daneben saß ein Obdachloser, der sich Heroin in die Venen jagte.
Es war ein ganz gewöhnlicher Abend.
Selten war nichts auf der Straße los. Das einzige, das die Leute von der Straße fernhalten konnte, war die Polizei.
Doch die scherte sich nicht genug um diese Gegend, weswegen sie nur ein oder zweimal im Monat vorbeifuhr und dann auf eine fast menschenleere Gegend traf.
Es war erstaunlich wie schnell die Leute ihre Sachen packen und in den Clubs oder leerstehenden Häusern verschwinden konnten.
Kat blickte die Straße hoch, die direkt ans Meer führte.
Das Meer.
Kat lebte hier, seit sie denken konnte und davor.
Doch das Meer hatte sie noch nie gesehen.
Die Hollywoodschönheiten, die nur ein paar Straßen weiter lebten, sahen es jeden Tag und nahmen es als Selbstverständlich.
Keiner von ihnen dachte je daran, wie es wäre, auf der Straße zu leben.
Man konnte alles schönreden.
Auch das Leben als Prostituierte.
Und genau das taten die Reichen und Schönen. Niemand wollte den Tatsachen ins Auge sehen.
Kats Wut richtete sich genau auf diese Leute – und ein wenig auf ihre Mutter.
Sie war nicht hier geboren worden. Nein, sie hatte ihr schönes Leben für ein bisschen mehr Freiheit aufgegeben und war dann letztendlich hier gelandet.
Und nach nur einem Monat war sie schwanger geworden.
Wie oft hatte ihre Mutter ihr die Geschichte erzählt, als sie im Selbstmitleid versunken war und Kat es war, die sie wieder hatte herausziehen müssen?
Als sie erfuhr, dass sie schwanger war, wollte sie zurück zu ihren Eltern gehen, die sie so überstürzt verlassen hatte und ihnen dabei das Herz gebrochen hatte.
Doch diese waren nicht länger bereit sich ausnutzen zu lassen.
Sie hatten sie wieder fort geschickt. Zurück hierher.
Kat wäre gerne auf ihre Großeltern wütend gewesen.
Doch irgendwie verstand sie sie besser, als sie ihre Mutter verstanden hatte.
Es war nicht richtig zu gehen und dann zurück zu kommen, wenn man Geld und Hilfe brauchte.
Kat rückte ihre Perücke zurecht, die ihr eigentliches Haar verbarg.
Vielleicht war es dumm zu glauben, wenn man den Kunden das echte Haar nicht zeigte, bliebe etwas am eigenen Körper nur sich selbst.
Es war dann etwas, das nicht beschmutzt war.
Aber Kat glaubte daran. Sie könnte sich nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn sie das letzte, das ihr geblieben war und noch unbeschmutzt war, auch noch voller unerträglicher Gedanken wäre.
Wenn einen alles an seinen Beruf erinnert, jeder Fleck Haut, konnte man nicht einmal tagsüber vergessen, was man nachts bereit war zu tun, um zu überleben.
Abgesehen davon kamen leuchtend rote Haare besser an. Sie wirkten aufreizender und auf die Kunden anziehender.
Die künstlichen Haare fielen Kat bis zur Taille und waren beinahe schnürlglatt.
Mit speziellen Spangen fixierte sie sie jeden Abend an ihren echten Haaren, damit sie bei der Ausübung ihres Jobs nicht verrutschte.
Es hatte immer gut funktioniert.
Keinem der Kunden war je aufgefallen, dass Kat vom Hauttyp keine Rothaarige war.
Aber schließlich achteten die Männer auch eher auf andere Dinge, als die Haare…
Kat hatte wirklich keine allzu hohe Meinung von Männern.
Ihrer Auffassung nach wollte sie alle, ausnahmslos, nur das eine.
Sie konnte nicht verstehen, wie sich manche ihrer Kolleginnen in einen ihrer Stammkunden oder dem Junkie an der nächsten Ecke verlieben konnten.
Sahen sie denn nicht, dass sie nur auf das eine aus waren?
Doch Kat stand es nicht zu sich in die Dinge anderer einzumischen.
Wenn sie glaubten durch einen Mann aus dieser Hölle hinaus zu kommen, wollte Kat ihnen diese Illusion nicht zerstören.
Denn das Träumen hielt sie alle aufrecht und sorgte dafür, dass sie nich verrückt wurden und sich vom nächsten Dach stürzten.
Kat träumte nicht von Männern oder einer Ehe.
Auch nicht von Kindern.
Sie träumte davon, eines Tages die Welt zu sehen. Raus aus L.A. zu kommen, das Meer zu bewundern, in der untergehenden Sonne, und einen anderen Kontinent besuchen.
Tiff kletterte aus einem grauen Kombi, vollkommen zerstrubbelt und durcheinander.
Kat warf ihr einen besorgten Blick zu, doch die andere steckte ihre Schiene nur rasch in ihren BH und richtete sich die Frisur.
„Alles klar?“ fragte Kat.
Tiff sah aufgeschreckt zu ihr hinüber. Doch als sie erkannte, dass es nur Kat war, nickte sie und meinte: „Alles in Ordnung.
Der Kunde hatte nur ein paar…. Spezielle Wünsche.“
Kat nickte und wandte sich wieder der Straße zu.
Ja, die speziellen Wünsche der Kunden.
Das war es, vor dem so viele Mädchen hier Angst hatten.
Keine konnte es sich leisten, nein zu sagen, doch oft waren sie so ausgefallen, dass sie danach derart verschreckt und aufgescheucht waren, dass mit ihnen die restliche Nacht nichts mehr anzufangen war.
Kat wusste genau, von was sie sprach.
Jedes Mädchen musste das ein oder andere Mal etwas tun, was es lieber gelassen hätte und niemals freiwillig getan hätte, wenn es das Geld nicht so dringen bräuchte.
Vielleicht wäre es einfacher Geld zu verdienen in einer Gegend, in der weniger Huren am Straßenrand standen.
Dann war die Auswahl kleiner.
Aber es stand Kat auch nicht zu, sich darüber aufzuregen.
Schließlich tat jeder was er tun musste um zu überleben.
Ein großer Mann in Unterhemd verprügelte drüben auf der anderen Straßenseite einen anderen Mann, der es gewagt hatte ihn anzusehen.
In anderen Gegenden hätte das noch Blicke auf sich gezogen, doch nicht hier.
Keiner kümmerte sich darum. Jeder sah zu, dass er selbst zurechtkam.
Man legte sich nicht mit den Leuten hier an.
Das bedeutete bloß Ärger.
Ärger, den sich hier niemand leisten konnte.
Die Zeit verging sehr langsam.
In dieser Nacht musste Kat nur in vier Autos steigen.
Es war generell keine allzu geschäftige Nacht, und Kat war froh, dass es auch solche Nächte gab.
Doch die Miete stand bald wieder an und mit dem bisschen Geld, das sie verdient hatte, konnten sie sich nicht viel mehr als das leisten.
Tiff und Kat schleppten sich kurz nach Tagesanbruch zurück in die Wohnung, wo Kat sich sofort ihrer Kleider entledigte und in ein altes, ausgewaschenes T-Shirt schlüpfte.
Das Bett im Schlafzimmer war klein, doch irgendwie schafften die beiden Frauen es, sich zu zweit darauf schlafen zu legen.
Jede Nacht, bevor Kat die Augen schloss und einschlief, sammelten sich Tränen in ihren Augen und der letzte Gedanke, bevor sie einschlief, war ein Gebet, dass die Hölle bitte bald enden solle.


Tiffs Tod


Viele Leute glauben, Vampire wären alle so cool wie Edward in Biss oder Mick St. John in Moonlight. Aber ihnen sollte klar sein, dass es auch unter uns Mörder gibt. Nicht alle sind so selbstlos und gutmütig und bei weitem sind nicht alle geistig gesund.
Es gibt auch unter uns Individuen, die sich von den anderen unterscheiden.
Ihr nennt sie Psychophaten, wir nennen sie Orcans.


„Ich frage mich, wie es wohl ist in einem Wasserbett zu schlafen und in einer Badewanne voller duftender Krems zu baden,“ seufzte Tiff.
Kat zuckte mit den Schultern und sah ihre Freundin ernst an.
„Ich weiß es nicht.
Und, Tiff, wir werden es nie wissen,“
Tiff seufzte genervt auf und verdrehte die Augen. Mit den Händen in die Hüften gestemmt starrte sie Kat wütend an.
„Das weiß ich, Kat.
Aber sieh dich hier einmal um! Glaubst du ich würde das alles hier ertragen, wenn ich nicht ab und zu an etwas anderes denke?
Ich weiß, dass du versuchst realistisch zu bleiben, aber ich weiß auch, dass du oft daran denkst das Meer zu sehen.“
Kat sah zu Boden.
Tiff hatte ja recht. Aber dieses ganze Gerede von Wohlstand zeigte ihr immer wieder nur, was sie nicht hatte und was die Reichen und Schönen im Überfluss für sich beanspruchen konnten.
„Es tut mir leid,“ meinte sie schwach und wischte sich eine feuchte Strähne aus dem Gesicht.
Das zerfledderte Handtuch, das sie um ihren Körper geschlungen hatte, hatte definitiv auch schon bessere Tage gesehen, doch wenigstens hatte es seinen Nutzen.
Das Wasser, mit dem sie sich einmal im Monat duschen konnten, war eiskalt und stank nach Abwasser.
Doch dieser eine Tag war der Tag, auf den sie den ganzen Monat wartete.
Auch wenn das Wasser nicht das frischeste war, so erfüllte es doch seinen Zweck, und zwar wusch es all die dreckigen Erinnerungen von ihrem Körper.
So stellte Kat es sich jedenfalls vor.
„Das letzte, was ich gebrauchen könnte, wäre ein langes Leben!“ bemerkte Tiff.
„Ja.
Ich meine, jetzt ist es gerade zu noch leicht für uns.
Wir sind noch keine 20 und attraktiv.
Aber was ist in 10 Jahren? Oder in 20?
Kein Mann, der unsere Dienste beansprucht, schläft mit einer Greisin,“
Tiff nickte zustimmend.
Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, aber wenn man alt war, war man arbeitslos und folglich auch obdachlos.
Viele Mädchen brachten sich eher um, bevor sie dieses noch schlimmere Schicksal ereilte.
Kat setzte sich auf die abgenutzte Couch und streckte die Beine von sich.
„Hast du dich auch schon einmal gefragt, warum es gerade uns getroffen hat?“
Tiff ließ sich neben Kat sinken und sah sie verwirrt an.
„Wie meinst du das?“
Kat zögerte. „Na, ich meine, dass wir hier sind und jemand anderes in einer schönen Villa ein Glas Champagner genießt.“
Tiff sagte eine Weile nichts und starrte nachdenklich vor sich hin.
Kat drückte auf die Fernbedienung, worauf der Fernseher auf Kanal Eins einschaltete.
„Ja, sicher habe ich das.
Aber ich denke nicht, dass wir hier sind, weil wir es verdienen. Wir haben Pech.
Aus einem Topf von Was-weiß-ich-wie-vielen-Menschen sind ein paar herausgepickt worden um reich zu sein.
Wir hatten das Unglück hier gelandet zu sein.“
Kat dachte über Tiffs Worte nach.
Es war richtig, was sie sagte. Es stimmte.
Aber man fragte sich doch immer wieder, warum gerade ich?
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dich umzubringen?“ fragte Kat und sah Tiff ernst an.
Tiff schwieg und Kat dachte schon, sie würde gar nicht mehr antworten.
„Ja, das habe ich.
Viele Male.
Ich hab’s nicht getan,“
Kat blickte wieder auf den Bildschirm, auf dem gerade eine billige Seifenoper gespielt wurde.
Reich und Schön. So hieß sie.
Na, wie passend.
„Ich auch.
Wie oft ich es schon fast getan habe, habe ich irgendwann aufgehört mitzuzählen,“ gestand Kat, ohne ihren Blick von dem Kitsch abzuwenden, der sich gerade im Fernsehen abspielte.
„Kat.
Warum?“
Dasselbe hätte sie Tiff auch fragen können.
Dich Tiff war zwei Jahre älter als Kat und drei Jahre länger im Geschäft.
Viele Huren machten ihren Job nicht länger als 5 Jahre.
„Ihr glaubt alle an die Liebe.
Ihr denkt euch läuft eines Tages ein Mann über den Weg, der euch hier rausholt.
Ich aber habe den Glauben daran noch nie gehabt.
Männer sind Arschlöcher. Alle, ohne Ausnahme.
Das ist mein Glaube, verstehst du?
Ihr denkt, einer von ihnen wird euch eines Tages hier herausholen.
Aber ich denke, dass ich ewig hier bleiben werde.“
Tiff antwortete nicht darauf.
„Dann tust du mir leid.“ War ihr einziger Kommentar, ehe sie sich die Fernbedienung aus Kats Hand schnappte und den Kanal wechselte.
Der Nachrichtensprecher informierte die Zuseher gerade über einen Einbruch vergangene Nacht in Beverly Hills.
Was, dachte Kat, macht es schon, wenn einem Reichen wie Tom Cruise ein wenig Geld gestohlen wurde?
Das brachte ihn noch lange nicht um.
Sie schon.
Aber über Einbrüche in ihrer Gegend wurde nie berichtet.
Die nächste Meldung war, dass der Prostituiertenmörder schon wieder getötet hatte.
Das Opfer, ein Mädchen von 16 Jahren, war in einer Gasse blutleer aufgefunden worden.
Nachdem ein Kunde sie abgeholt hatte, war sie nicht mehr zurückgekehrt.
„Es besteht der Verdacht, dass der Mörder sein Fahrzug jede Nacht wechselt, weswegen keine Konkrete Warnung vorliegt,“ teilte der Mann den Zuschauern mit.
Kat schnaubte.
Der Mörder war ein kluger Mann. Keine Frau würde in ein Auto steigen, von dem man wusste, dass ein Mann es fuhr, bei dem schon ein paar Huren nachher tot aufgefunden worden waren.
So aber hatte man die Wahl zwischen weiter machen wie bisher, oder aufgeben und den Job an die Angel hängen.
„Was meinst du? Sollen wir uns frei nehmen, bis der Kerl gefasst ist?“ fragte Tiff scherzhaft.
Kat lachte trocken. „Als ob wir uns das leisten könnten,“
Am selben Abend stieg Tiff in einen braunen Kombi – und kam nicht mehr zurück.

Kat kehrte morgens allein nach Hause zurück. Sie wusste instinktiv, dass sie Tiff nie wieder sehen würde.
Schluchzend warf sie sich auf das Bett. Alles in der Wohnung erinnerte sie an Tiff.
An die lustige Tiff. Ihre einzige Freundin.
Kat schlief diesen Tag nicht.
Sie lag nur da und weinte still vor sich hin.
Das Leben hier hatte ihr so viel abverlangt. Jetzt hatte man ihr auch noch ihre Freundin genommen.
Warum hasste das Leben sie so sehr?
Kat war es herzlich egal, was aus ihr werden würde. Das war zwar nicht gerade selbsterhaltend, aber es kümmerte sie wirklich wenig, was aus ihr werden würde.
Deshalb ging sie auch diese Nacht wieder auf die Straße.
Der Platz, an dem sonst immer Tiff gestanden hatte, war an diesem Abend so furchtbar leer.
Keine andere Nutte stellte sich auf ihren Platz, aus Respekt und Ehrbietung.
Kat hatte diese Nacht nicht viele Kunden.
Wer wollte schon ein Mädchen mit vom weinen geschwollenen Augen?
Spät nachts, weit nach Mitternacht, hielt ein roter Ferrari direkt vor dem Kino.
Zuerst dachte Kat, der Autobesitzer warte auf jemanden, bis ihr endlich klar wurde, dass sie es war, den der Fahrer wollte.
Sie war alles andere als in Stimmung, aber das änderte nichts daran, dass Kat das Geld brauchte und dieser Kunde sah ziemlich reich aus, also konnte sie sich diese Chance nicht entgehen lassen.
Flüchtige Gedanken an den Mörder verdrängte Kat sofort.
Der Kunde war ein gut aussehender Mann, schätzungsweise in den 20ern.
Seine Haare hatte er mit viel Mühe zu vielen kleinen Stacheln geformt und sie mit einer doppelten Menge Haarspray fixiert.
Mit diesen rot gefärbten Igelstacheln sah er aus wie ein Teenager. Allein sein Gesicht ließ erkennen, dass er bereits ein erwachsener Mann war.
Er sah wirklich nicht übel aus, im Gegensatz zu den meisten anderen Männern, die ihre Dienste in Anspruch nahmen.
Es wunderte Kat, dass er hier war. Er hatte es bestimmt nicht schwer eine Freundin zu finden.
Was den leisen Verdacht in ihrem Hinterkopf wieder lauter werden ließ.
Doch Kat ignorierte es eisern.
Sie hatte gelernt, die Angst zu unterdrücken und auszublenden.
„Was kann ich für dich tun, Süßer?“ säuselte Kat ihre typische Begrüßung für Kunden.
„Das Übliche. Einen schnellen Quickie auf dem Heimweg nach der Arbeit,“
Kat nickte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, der, Himmel und Hölle noch Mal, aus dem weichsten Leder war, das sie je gesehen hatte.
Der Mann fuhr seinen Ferrari die Straße entlang und bog ihn dann in eine dunkle, verlassene Seitengasse.
Das ungute Gefühl in Kat wusch weiter an und ihr Herz schlug auf einmal doppelt so schnell.
Aber Kat ließ sich davon nicht beirren, als er den Wagen anhielt und den Motor abstellte.
Es kam öfter vor, dass die Kunden sie in eine Seitengasse brachten, wo sie ungestört waren.
Aber trotzdem hatte Kat das Gefühl, als sei dieses Mal etwas anders.


Allein in der Dunkelheit


Ich weiß noch, wie schmerzhaft es war. Und ich erinnere mich noch an die Verwirrung und die Angst, als ich erwachte.
Erst weiß man nicht, was mit einem geschehen ist, oder wo man ist. man denkt, alles sei in Ordnung, man hätte zu viel getrunken oder hätte einen Kreislaufkollaps gehabt.
Nach und nach wird einem dann aber klar, was wirklich geschehen ist. Was man von nun an ist.


Kaum dass der Kunde sich von seinem Gurt befreit hatte, kletterte Kat auf dessen Schoß und begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
Der Mann lächelte vielsagend und strich Kat eine Strähne der Perücke hinter das Ohr.
Kat hasste seine Berührung. Sie war so kalt. Außerdem jagte sie ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
Aber sie riss sich zusammen und versuchte eine Gänsehaut zu unterdrücken.
Der Mann begann nun, das restliche Kunsthaar von ihrem Hals zu streichen und hielt es mit der anderen Hand an ihrem Rücken fest, sodass es nicht nach vorne fallen konnte.
Während Kat langsam das Hemd von seinem muskulösen Oberkörper schälte, beugte der Mann sich nach vorne und küsste ihren hals, direkt auf die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr.
Unter dieser Berührung erzitterte Kat, nicht nur weil sie kitzelte.
„Du bist eine schöne Frau,“ murmelte der Mann an ihrem Hals, ohne seine Lippen jedoch ganz von ihrer Haut zu nehmen.
„Sonst wäre ich ja wohl auch nicht hier,“ nahm Kat das Kompliment zur Kenntnis.
Viele Männer, die zu ihr kamen, nahmen sie wegen ihrem Äußeren, das sie scheinbar ziemlich antörnte.
Wohl auch wegen der Körpergröße, denn Kat war nicht sonderlich groß und die Männer schienen es zu lieben, selbst der größere zu sein.
Das stärkte ihr Selbstbewusstsein sicherlich.
Deshalb bedeuteten Kat solche Komplimente nicht sonderlich viel.
„Das stimmt. Ich nehme nur Mädchen mit, die mir gefallen.
Deine Freundin Tiff war auch ein sehr hübsches Mädchen,“
Bei diesem einen Satz, zuckte Kat derart heftig zusammen, dass der Mund des Mannes von ihrem Hals rutschte.
In dem Moment, als die Worte seinen Mund verließen, wusste sie, das sie auf dem Schoß des Mörders saß und praktisch nur darauf wartete getötet zu werden.
Sie würde diese Nacht nicht überleben und irgendwie war Kat darüber nicht so schockiert und traurig, wie sie es hätte sein müssen.
Aber für jemanden wie sie bedeutete das Leben nicht sonderlich viel. Das einzige, wovor sie Angst hatte, war, dass es ein langsamer, qualvoller Tod sein könnte.
Wenn es passierte, sollte es schnell vorbei sein.
„Du riechst noch besser als all die anderen Frauen. Viel besser, oh ja.
Ich kann es kaum erwarten dich zu schmecken.“
Was? Hatte Kat es hier mit einem kranken Psychophaten zu tun, der Menschenfleisch zum frühstück verspeiste?
So hatte Kat sich ihr Ende wirklich nicht vorgestellt.
Kat schloss ihre Augen und erwartete schon halb, dass er sie erstechen würde, als sie plötzlich seine Lippen erneut auf ihrem Hals spürte.
Was denn, würde er sie etwa bei lebendigem Leib essen?
Mühsam unterdrückte Kat die Tränen, die in ihren Augenlidern brannten.
Ihr Atem ging immer schneller und das Adrenalin rauschte ihr durch die Venen.
Doch er tat nichts. Er wartete und quälte sie damit. Sie wusste nicht, was er als nächstes tun würde.
Sie wusste nur eins: Am Morgen würde sie tot in dem Winkel einer Gasse liegen und von einem Obdachlosen entdeckt werden, wie die Mädchen vor ihr auch.
Kat konnte ein Schluchzen nicht länger unterdrücken.
Als es ihr über die Lippen kam, lachte der Mann einmal höhnisch auf.
Es schien ihm zu gefallen, dass Kat Angst vor ihm hatte.
„Nicht doch.
Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Es wird ganz schnell gehen, versprochen,“ flüsterte er ihr ins Ohr.
Ekel packte Kat und am liebsten hätte sie den Mann von sich gestoßen, doch er hielt sie so fest, dass sie sich nicht rühren konnte.
Wieder wanderte sein Mund über ihren Hals, direkt zu der Stelle, an der ihre Hauptschlagader pulsierte.
Kat versuchte den Mann mit den Händen zu kratzen und von sich zu schieben, aber sie war viel kleiner und viel dünner als der Mann, der mindestens dreimal die Woche in ein Fitnesscenter gehen musste, um so eine Figur zu bekommen.
„Lass mich gehen, bitte. Ich erzähl auch keinem etwas hiervon. Ich verspreche es.“ versuchte Kat den Mann zu überreden.
Sosehr sie ihr Leben auch hasste und verachtete, sie wollte nicht so und nicht an diesem Ort sterben.
„Warum sollte ich dir glauben?
Außerdem habe ich Hunger,“
Kat spürte, wie sich etwas Scharfes, Spitzes durch ihre Haut bohrte, immer tiefer hinein, bis es die Pulsader durchtrennt hatte.
Dann ging alles schnell.
Kat realisierte, dass der Mann ihre gerade die Pulsader durchbissen hatte und sie dabei war zu verbluten.
Sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb zu handeln, und sie sah keinen Ausweg, wie sie jetzt noch entkommen konnte.
Doch Aufgeben wollte Kat nicht, auch wenn sie wusste, dass sie sterben würde.
Wenn sie es tat, dann sollte er wenigstens eine Erinnerung an sie haben, etwas, das ihn nie wieder vergessen lassen würde.
Und so tat Kat das Einzige, was sie tun konnte.
Sie schlug ihre Zähne in den Arm des Mannes, mit dem er sie gepackt hatte.
Der Mörder schien zu beschäftigt zu sein um zu bemerken, dass Kats Zähne seine Haut durchstießen und sich so tief in sein Fleisch gruben, dass sie sein Blut schmecken konnte.
Sie hoffte, dass er auf Ewig diese Narbe tragen würde.
Der Mann knurrte, ließ jedoch immer noch nicht von ihr ab.
Kat fragte sich, wie krank ein Mensch sein musste, um so viel Blut zu trinken.
Hatte er Halluzinationen, in denen er sich vorstellte ein Vampir zu sein?
Wusste er denn nicht, dass es so etwas nicht gab?
Aber was spielte das jetzt für eine Rolle?
Er tat es, und Kats Glieder wurden von Sekunde zu Sekunde schwerer und sie spürte, wie die Müdigkeit sich in ihre Knochen fraß.
Ihre Augenlider flatterten und sie war kaum noch in der Lage sie offen zu halten.
Alle Kraft sank aus ihren Knochen und sie konnte nicht länger zubeißen.
Das Fleisch entglitt ihr und zurück blieb nur der salzige Geschmack seines Blutes.
Normalerweise hätte sie sich geekelt und den Mund ausgespült, aber im Moment war sie sogar für das Offenhalten der Augen zu kraftlos.
Kat glitt immer mehr in einen Dämmerzustand und sie spürte noch, wie das Leben aus ihr hinausglitt.

„Wie viel?“ fragte der eine Mann einen zweiten, kleineren.
„50 Dollar, billiger geht’s nicht!“ beschwor der Kleine und bekräftigte seinen Satz mit einem Kopfnicken.
Kristoff stand dicht an die Wand gelehnt da und lauschte den beiden Männern bei ihrem Gespräch.
Er war nicht ohne Grund hier. Victoria hatte ihn ausgesandt, um nach illegalen Aktivitäten in der Vampirwelt Ausschau zu halten und es sofort zu melden, falls er fündig werden sollte.
In letzter Zeit hatten die Aktivitäten der Orcans zugenommen und es hatte wiederholt Angriffe auf das restliche Vampirvolk gegeben.
Kristoff war diese Nacht tatsächlich auf ein paar Orcans gestoßen.
Man erkannte sie leicht an den Tatus, die sie alle über ihrer linken Augenbraue trugen.
Es kennzeichnete sie als eine der Ihren und wenn man einer der Ihren sein wollte, musste man eine Reihe gefährlicher Prüfungen überstehen.
Man konnte die Orcans eine äußerst gefährliche Vampirgang nennen. Davon gab es mehrere.
Doch die Orcans waren die am weiten gefährlichste von allen.
Die Bloodhounds und die Shootbrooster waren zwar auch ziemlich gefährlich, aber im Vergleich zu den Orcans kleine, bedeutungslose Gangs, die aus jungen Vampiren bestand, die sich für cool hielten und dachten, sie müssten rebellieren um bemerkt zu werden.
Doch die Orcans waren anders.
Sie töteten nicht nur, wie es ihnen gerade passte, man musste außerdem ein krankes Hirn und eine psychophatische Anlage haben, um ihnen beitreten zu können.
Natürlich wurde das nicht getestet, aber niemand, der gegen die kranken Ideen der Orcans war, durfte bei ihnen mitmachen.
Und niemand, dem solche Sachen gefielen, konnte geistig gesund sein.
Man konnte sie vergleichen mit den Serienkillern der Menschen.
Natürlich gab es auch unter den Vampiren nicht mehr Psychopathen als unter den Menschen, und die Gang bestand auch nicht aus hunderten von Leuten, sondern nur aus gut 20.
Doch diese 20 waren die gerissensten und gefährlichsten Vampire der ganzen Stadt.
Niemanden war es je gelungen auch nur einen von ihnen zu verletzen, vom Töten gar nicht erst zu reden.
Aber die Orcans hatten viele Verbündete.
Seien es nun junge Einzelgänger oder andere Gangs, insgesamt betrug die Anazahl der Orcan Anhänger und Verbündeten über 200 in LA.
Es gab auch Menschen, die mit ihnen dealten, nur wussten die wenigsten über Vampire bescheid.
Das, was Kristoff gerade beobachtete, war so etwas.
Der kleine Mann, ein untersetzter Drogendealer, übergab dem Vampir gerade eine Packung mit weißem Pulver.
Hierbei handelte es sich um nichts anderes als Staubzucker, was allerdings auf Vampire die gleiche Wirkung hatte wie Kokain auf Menschen.
Viele der Gangvampire waren Staubzuckerbahängig. Die Einnahme dieser Droge bewirkte Wut und Tobsuchtsanfälle.
Darunter mussten hauptsächlich Menschen leiden, wenn sie von einem Vampir in der Luft zerrissen wurden, nur weil der gerade high war.
In diesem Zustand waren Vampire zwar außerstande Blut zu sich zu nehmen, doch das bedeutete nicht, dass sie deswegen weniger töteten.
ganz im Gegenteil.
Die Aggressivität nahm immer mehr zu und dann war es ihnen egal, ob sie einen der Ihren oder jemand anders töteten.
Kristoff beobachtete die Geldübergabe und erst als er sich sicher war, dass der Mensch weg und außer Sichtweite war, schlich er sich leise, fast geräuschlos an den Vampir heran.
Kristoff wollte gerade zu einem Schuss ansetzen, als der Orcan ihn roch oder spürte und herumwirbelte.
Genau das war der Grund, weshalb noch kein Orcan je getötet worden war. Niemand war besser und achtsamer als sie, nicht einmal Kristoff.
„Dummer Junge,“ fauchte der Orcan.
Kristoff zielte auf den Vampir, doch der war schneller. Mit einem gewaltigen Satz sprang der Orcan auf das nächste Dach und verschwand in der Nacht.
Kristoff sah ihm fluchend hinterher. Wieder hatte er es nicht geschafft einen der Orcans zu töten.
Würde es ihm je gelingen?

Als Kat erwachte, war die Sonne bereits hoch am Himmel.
Zuerst dachte sie, das hier wäre das Jenseits, das Leben nach dem Tod.
Doc dann roch sie den Straßendreck und sie sah, Leuchtschilder an den Eingängen der Bars.
Das hier war das wirkliche Leben.
Aber wie? Wie konnte Kat überlebt haben? Der Mann hatte ihr Blut getrunken, sie hatte doch gespürt wie er die Halsschlagader durchgebissen hatte.
Selbst wenn er sie losgelassen hätte, wäre sie verblutet.
Warum also war sie noch hier? Warum lag sie sicher und lebendig auf einem Haufen Müllsäcke in einer engen Seitengasse?
Hatte er sie hier abgelegt, wie einen Haufen Müll? Das war selbst für ein Mädchen wie sie erniedrigend.
Automatisch fuhr Kat mit der Hand an die Stelle, an der der Mörder sie gebissen hatte.
Doch alles was sie spürte waren zwei harte, runde Narben.
Woher kamen diese Narben? Und warum hatte sie keine klaffende Wunde?
Hatte sie das alles nur geträumt? Oder hallizuniert?
Sie konnte sich zwar nicht daran erinnern Drogen genommen zu haben, aber was hieß das schon?
Aber warum kamen ihr die Erinnerungen an den Mörder so real vor? Und woher kamen diese kleinen, kreisrunden Narben?
Kat beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, und erst einmal zurück nach Hause zu gehen und sich dieser schlammigen Kleidung zu entledigen.
Sie stützte sich am Boden auf um sich hochzustemmen.
Doch schneller als sie es für möglich gehalten hätte und mit viel weniger Kraft als normalerweise nötig gewesen wäre, stand sie plötzlich auf den Beinen, leicht schwankend, aber auf den Beinen.
Nach einer solchen Nacht hätte Kat eigentlich gar nicht so schnell auf die Beine kommen können, aber sie war noch zu verwirrt, um genauer auf diese Ungewöhnlichkeit einzugehen.
Kat trat auf die Straße – und somit mitten in die Sonne.
kaum dass sie der erste Sonnenstrahl erreichte, begann ihre Haut zu brennen. Nicht in Flammen, sondern sie schmerzte, als stünde sie in Feuer.
Augenblicklich wurde ihre haut rot, so als hätte sie einen schweren Sonnenbrand.
Kat schrie erschrocken auf und sprang mit einem gewaltigen Satz zurück in die schützende Gasse, und somit in den kühlenden Schatten.
Was stimmte mit ihr nicht? Noch nie hatte sie dermaßen auf Sonne reagiert.
Keine Droge, die sie kannte, löste solche Reaktionen hervor.
Instinktiv verzog sie sich in die hinterste Ecke, eng zusammengekauert, und weinte sich in den Schlaf.

Als sie erneut erwachte, war es bereits dunkel.
Kat fühlte sich viel besser als vorher, irgendwie nicht mehr so geschwächt.
Doch ihre Gedanken waren verwirrt.
Träumte sie immer noch? Aber wenn nicht, was war es gewesen, das ihr Leben so durcheinander gebracht hatte?
Kat war so verwirrt, dass sie nicht einmal wusste wohin sie eigentlich ging. Sie wusste nicht mehr, wo sie wohnte, oder, wo genau sie war.
Sie lief durch die Straßen, in der Hoffnung etwas Essbares zu finden, das das Brennen in ihrer Kehle löschen konnte.
Der Hunger, der so stark und so intensiv war, dass sie glaubte zusammenbrechen zu müssen.
Doch in ihrer Verwirrung konnte sie nicht einmal einem Obdachlosen auf der Straße das Brot aus den Händen reißen. Es war, als täte sie das, was sie tat, automatisch.
Ihre Gedanken drifteten dermaßen ab, dass sie kurze Zeit nicht einmal mehr wusste, warum sie hier war.
Sie hätte ihren Hunger stillen können, aber jeder Geruch nach Essen stieß sie ab und ließ sie einen weiten Bogen um jedes Restaurant machen.
Sie fand nicht, was sie brauchte, und so lief sie immer weiter durch die Straßen, auf der Suche nach irgendetwas.
Es vergingen drei Tage, an denen sie schlief, und zwei Nächte, in denen sie ziellos durch die Gegend irrte und ab und zu von einem Autofahrer angehupt wurde, der etwas von ihr wollte.
Doch Kat war nicht dazu in der Fassung, ihren Job auszuführen, wenn sie denn noch wüsste, was der war.
Der Hunger wurde von Stunde zu Stunde stärker, aber Kat wusste nicht, wie sie ihn stillen konnte.
Der Durst, der den Hunger praktisch verstärkte, machte die Lage nur noch schlimmer und Kat wollte nicht einmal wissen, wie sie aussah.
Und so irrte sie weiter umher.

Im Quartier der Vampire


Als ich durch die Straßen irrte, und keine Ahnung hatte, was mit mir nicht stimmte, da war das einzige Gefühl, dessen ich mir bewusst war, die Angst. Warum und wovor wusste ich nicht, aber es war da und es lähmte mich.
Ich dachte schon, ich würde ewig herumirren auf der Suche nach nichts, als er plötzlich vor mir stand. Mein Held, mein Retter.


Kristoff rannte durch die Straßen, erneut.
Sein neues Ziel war ein Gangmitglied der Bloodhounds, der am vorigen Abend einen Obdachlosen getötet hatte und der im Verdacht stand, mit den Orcans zu kooperieren.
Seine Pistole hielt er einsatzbereit in seiner Hand und seine Sinne waren wachsam und geschärft.
Es war schon lange Routine, nachts durch die Straßen zu streifen, dass er gar nicht mehr wusste, was er vorher gemacht hatte.
Er konnte sich ein Leben ohne die nächtliche Streife gar nicht mehr vorstellen.
Er lebte nur noch dafür.
Das klang traurig, aber wenn man ewig lebte, musste man mit Verletzungen und Enttäuschungen und Schmerz umzugehen lernen.
Und der beste und einfachste Weg, das zu tun, war, sich abzulenken.
Kristoff hatte in dieser Nacht bereits drei tote Obdachlose gefunden, allesamt ermordet, aber keiner davon war von einem Vampir getötet worden.
Es war vergleichsmäßig eine ruhige Nacht, beinahe schon zu ruhig.
Aber das hatte nichts zu bedeuten.
Meistens wurden die toten Huren von keinem Vampir gefunden.
Warum, war Kristoff schleierhaft, aber bisher war jede Nacht seit letztem Vollmond eine Tote gefunden worden.
Bis auf die Nacht vor drei Tagen.
Das war ungewöhnlich, und sollte eigentlich nicht passiert sein.
Nicht, dass ihn das störte.
Es machte ihn bloß unruhig.
Es war kein gutes Zeichen, dass in jener Nacht keine Leiche ausfindig gemacht worden war.
Denn was auch immer der Grund für deren Abwesenheit war, der Mörder hatte ganz bestimmt keine Pause gemacht.
Das konnte nur eines bedeuten: Wer auch immer das Opfer gewesen war, war nun ein Vampir.
Ein hungriger Vampir, der frei auf der Straße herumlief.
Aber es war nicht Kristoffs Job eine neugeborene Vampirin ausfindig zu machen, die höchstwahrscheinlich bei den Orcans war.
Er wusste zwar nicht sicher, ob es wirklich so war, aber er hatte jetzt keine Zeit das nachzuprüfen.
Kristoff lief bis nach Mitternacht umher, als er beschloss, diese Nacht einmal etwas früher aufzuhören, und beschloss, vielleicht doch noch einmal in der näheren Umgebung nachzuforschen, ob irgendwo eine neugeborene Vampirin gesehen worden war.
Kristoff glaubte eigentlich nicht daran, sie zu finden.
Wenn – falls- sie wirklich verwandelt wurde, dann musste der Mörder das gewusst oder wahrscheinlich sogar gewollt haben.
Vielleicht wollte es das Mädchen.
In diesen Fällen war sie zu hundert Prozent bei den Orcans, oder zumindest bei der Gang des Mörders.
Kristoff versprach sich gar nichts davon, jetzt noch einmal zu sehen, ob er sie fand.
Aber sein Ehrgefühl und alles was ihm heilig war, hinderten ihn daran die Sache einfach zu vergessen.
Er wusste, dass es sinnlos war, aber er war kein Mann, der so einfach eine Sache auf sich beruhen ließ, die noch unerklärt war.
Nach einer Weile fand sich Kristoff in einem armen Viertel wider.
Auf der Straße hingen Obdachlose herum, an den Straßenecken standen Prostituierte.
Das potenzielle Opfer vor drei Nächten musste auch hier gearbeitet haben.
Kristoff beschloss, dass er einige von ihnen wenigstens nach dem Aussehen, vielleicht sogar den Namen des vermeintlichen Opfers, wenn es denn eines gegeben hatte, fragen.
Eine große, blonde Frau stand vor einer Diskothek, und kaute gelangweilt an einem Kaugummi herum.
Sie war wirklich nicht mehr die Frischste, deshalb wusste sie vielleicht am ehesten, wer hier vor drei Tagen verschwunden war.
Sie war bestimmt schon lange hier und wenn er Glück hatte, kannte sie die meisten Mädchen an dieser Straße.
„Süßer, wenn du auf ein Schäferstündchen aus bist, dann komm mit der Karre!“ sagte die Frau und musterte Kristoff von oben bis unten, als er an sie herantrat.
„Ich werde es mir merken.
Aber deswegen bin ich auch nicht hier.
Vor drei Tagen soll hier ein Mädchen verschwunden sein,“
Die Blonde seufzte und stemmte die Hände in die Hüften.
„Hör zu, Süßer, hier verschwindet seit einiger Zeit jede Nacht ein Mädchen.
Woher soll ich wissen, wann wer verschwunden ist?“
Kristoff fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht.
„Dann lass es mich so ausdrücken,…?“
„Nenn mich Pussy,“
„Lass es mich so ausdrücken, Pussy, wer von den verschwundenen und toten Mädchen, ist das, das nicht gefunden wurde,“
Ihren Namen, der nicht ihr echter war, sprach er angewidert aus. Kristoff hatte nie viel für Huren übrig gehabt. Er hielt sie für Schlampen und Weiber, die zu faul waren ihr Geld anders zu verdienen.
Er hätte lieber mit einem anderen Menschen gesprochen als mit dieser Nutte, aber ihm blieb keine Wahl, denn die Opfer hatten nun einmal zu den Prostituierten hier gehört, und nicht etwa zur gehobenen Mittelschicht.
Erkenntnis blitzte in Pussys Augen auf, ihr schien einzufallen, um wen es sich handelte.
„Ja, sicher.
Das war Kat, gleich gegenüber hat sie immer gestanden, dort vorm Kino.
N paar Tage vor ihr is ihre Freundin Tiff draufgegangen. Der Typ hat sie erledigt, du weißt schon, dieses Arschloch das uns in Angst und Schrecken versetzte.
Nun, jedenfalls is sie seit n paar Tagen nich mehr aufgetaucht, un keiner hat sie gesehen.
Meinst du sie is tot?“
Also gab es doch ein Opfer.
Gut, er hatte noch keine Gewissheit, aber Huren verschwanden nicht einfach so von einem Tag auf den anderen.
„Sie is in so nen Wagen gestiegen und nich mehr zurückgekommen.
Hab sofort gewusst dass es der Mörder war, als sie nich mehr kam.
Schade drum. Sie war n hübsches Mädchen, 18, oder so.“ fuhr Pussy fort.
18. Wie kam ein so junges Mädchen bloß dazu so einen Job auszuführen?
Und die kranken Hirne, die auch noch ihre Dienste in Anspruch nahmen.
Kristoff hatte nicht viel für solche Perversen übrig, sie widerten ihn einfach nur an.
„Weißt du ihren richtigen Namen, oder zumindest wo sie gewohnt hat?“ fragte Kristoff die Frau in billigem Lack, die vor ihm posierte und ihre Hüften extra zur Schau stellte.
Ihr Rock war so kurz, dass man ihren Hintern sehen konnte und außer einem BH aus rotem Lack trug sie obenrum gar nichts.
Sie war zwar nicht mehr allzu jung, aber dafür sah sie noch ganz gut aus. Für eine Nutte zumindest.
„Ihren richtigen Namen weiß ich nicht, aber sie hat hier gleich um die Ecke gewohnt.
Apartment drei oder so, glaub ich mal.“
Kristoff notierte sich die Adresse geistig, bevor er zu letzten Frage überging.
„Kannst du sie vielleicht beschreiben?
Ich meine, wie sie ausgesehen hat,“
„Na sicher, Süßer.
Sie hat immer rote Haare gehabt, aber ich glaub nich dass das ihre echten waren.
Sie war kleiner als die meisten hier, aber hat eine echt verdammt gute Figur gehabt.
Weißt du, nicht zu dünn, genau richtig halt.
Na ja, mehr gibt’s auch nich zu sagen.
Die meisten hier von uns tragen Kontaktlinsen und Perücken. Muss ja keiner wissen, wer wir sind, oder?“
Diese Frauen verkauften ihren Körper, aber wenn es um Augenfarbe und Haare ging wollten sie nicht, dass jemand wusste wie sie wirklich aussahen?
Für Kristoff ergab das keinen Sinn, aber es war ihm zu gleichgültig, ums ich weiter damit zu beschäftigen.
„danke,“ murmelte er, bevor er Pussy einen 10er in die Hand drückte und in die Richtung lief, in der Kats Wohnung lag.
Das Wohngebäude war heruntergekommen, wie die anderen in dieser Gegend auch.
Überall stank es nach Abfällen und anderen unidentifizierbaren Dingen, über die Kristoff lieber nicht nachdenken wollte.
Im dritten Stock fand er schließlich die Tür, auf der die Namen Tiff und Kat geschrieben waren.
Es war nicht schwer die Türe zu öffnen und in die Wohnung der beiden Prostituierten einzudringen.
Was er dort sah, überraschte ihn keineswegs.
Überall stank es, wie im restlichen Gebäude, und alle Möbel waren zentimeterdick mit Staub eingedeckt.
Ob das daher kam, dass nie jemand sauber machte, oder von der Tatsache herrührte, dass seit drei Tagen niemand mehr hier gewesen war – es war auf jeden Fall abstoßend.
Leere Kondompackungen lagen am Boden und Getränkeflaschen, vorwiegend Wodka, standen überall herum.
Kristoff rümpfte unwillkürlich die Nase. Das besserte seine Meinung von den Prostituierten nicht gerade.
Leise schloss er die Tür hinter sich und trat endgültig in die Wohnung ein.
Viele persönliche Sachen gab es hier nicht, was ihn aber keineswegs verwunderte.
Es gab nur ein Schlafzimmer und ein altes, klappriges Modell eines Doppelbettes, das die Jahrtausendwende nicht ganz unbeschadet überstanden hatte.
Bettwäsche, lose Kleidungsstücke, die am Boden verstreut herumlagen, waren von Flecken bedeckt.
Kristoff öffnete den Kleidungsschrank, der so alt sein dürfte wie er selbst.
Vorwiegend Lack und billiges Kunstleder, alles Arbeitsuniformen, in allen Farben.
Unordentlich waren sie einfach in den Kasten geworfen worden, achtlos hineingeschmissen, als hätten die Besitzer keine Zeit gehabt um sie zusammenzufalten.
Kristoff wühlte in dem Kleidungshaufen herum, mit der Hoffnung ein Bild von einem der beiden Mädchen zu finden.
Doch er fand nichts.
Fluchend wandte er sich von dem Schrank ab und lief zur Kommode hinüber, deren Schubladen beinahe herausfielen.
Kristoff griff gleich in die Oberste, und als er sie wieder herauszog, hielt er einen pinken Lackslip in der Hand.
Achtlos warf er ihn fort, und ging zur nächsten Lade über.
Aber auch dort fand er nur plüschige Handschellen und eine Peitsche.
Es gab keinen Zweifel an dem Beruf der Bewohner hier.
Kristoff fragte sich unwillkürlich, was mit dem zeug geschehen würde, jetzt, wo die beiden Frauen verschwunden oder tot waren.
Sicher würde der Vermieter diese Gegenstände einfach verkaufen und seine Kasse damit aufstocken.
Kristoff verließ das geradezu winzige Schlafzimmer und kehrte in das Wohnzimmer zurück.
Außer einem alten Fernseher, der vermutlich einer der ersten Farbfernseher gewesen sein musste, gab es keine elektronischen Geräte in der Wohnung.
Die Couch war abgenutzt und die Federn sprangen deutlich sichtbar heraus.
Kristoff konnte sich nicht vorstellen, wie jemand so leben konnte, eingepfercht wie ein Tier in einem Käfig, mehr oder weniger auf den Tod wartend.
Er verstand nicht, wie jemand so ein Leben wählen konnte, wie jemand sich so etwas nur antun konnte.
Aber, dachte er, du bist ja schließlich auch kein Mensch.
War es nie gewesen.
Woher sollte er also wissen, wie sie tickten?
Aufmerksam darauf achtend, ob sich jemand der Wohnung näherte, durchstöberte er weiter die Wohnung, auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, der ihm eventuell helfen könnte.
Verdammt, was tat er hier überhaupt?
Er wusste ja nicht einmal mit Sicherheit, dass der Mörder sie verwandelt hatte.
Wäre er nicht so sicher gewesen, dass der Mörder ein Vampir war, wäre er nicht hier.
Er wusste zwar nicht, was er sich erhoffte, aber immerhin konnte die Spur dieses Mädchens, Kat, falls sie wirklich überlebt hatte, ihn zum Mörder führen.
Das war der einzige Grund, warum er hier und nicht auf der Straße war.
Die Küche war fast vollständig leer. Außer einem steinharten Brot und einer Packung halb verschimmelten Käse fand der nicht essbares.
Kristoff fragte sich, womit sich diese Frauen ernährt hatten.
Überall konnte er die beiden riechen.
Was ihn nicht verwunderte.
Vielmehr überraschte ihn der Duft einer der beiden.
Da war dieser Hauch von wilden Rosen und von einer regnerischen Sommernacht, die in der Luft hing und gar nicht hierher passte.
Kristoff wusste nicht, zu welchem der Mädchen der Geruch gehörte, aber gegen seinen Willen faszinierte er ihn.
Kristoff schüttelte den Kopf und wandte sich der letzten Schublade in dem Raum zu.
Anfangs klemmte sie ein bisschen, doch mit einem Ruck riss er sie auf.
Ein Schwall Papiere kam ihm entgegen und er konnte gerade noch in letzter Sekunde einige Blätter auffangen, bevor sie auf dem klebrigen Boden aufkamen.
Kristoff sah sie sich genauer an.
Es waren Rechnungen, nichts besonderes, aber ganz unten im Stapel entdeckte er ein altes zerknittertes Foto.
Es zeigte die zwei Mädchen nebeneinander auf einer Mauer hocken, gekleidet in den einzigen normalen Sachen, die Kristoff vorhin im Schlafzimmer gefunden hatte – die eine trug einen weiten, schlabberigen Wollpulli, der ihr bis zu den Knien reichte und darunter eine schwarze Leggins, während die andere in einen schwarzen Filtzmantel gehüllt war.
Das Lächeln der beiden war echt, als hätte gerade jemand einen Witz erzählt, aber es erreichte nicht ihre Augen.
Traurig blickten sie ihn an, fast ein wenig verloren.
Und sie waren zweifellos noch sehr jung.
Die eine schien noch keine Zwanzig zu sein und die andere schien die Grenze gerade erst überschritten zu haben.
Links im Bild saß eine große Braunhaarige, die mit dem Filzmantel, neben ihr, wesentlich kleiner, ein dunkelblondes Mädchen, die jüngere von beiden.
Und die hübschere, dachte Kristoff sich.
Niedliche Sommersprossen zierten ihr so unschuldig wirkendes Gesicht.
Es fiel ihm schwer zu glauben, dass diese beiden Mädchen Nacht für Nacht ihren Körper für ein paar Scheine verkauft hatten.
Kristoff hatte diese Tiff auf einem Bild schon einmal gesehen, als man es ihm gezeigt hatte, in der Nacht nach deren Mord.
Es war eine logische Schlussfolgerung, dass das Mädchen neben ihr Kat war.
Aber wenn er sie finden wollte, dann musste er ihren Geruch kennen.
Doch wie sollte er wissen, welcher zu ihr gehörte?
Nach kurzem Überlegen kehrte Kristoff in das Schlafzimmer zurück, das Bild ließ er in seine Hosentasche gleiten.
Bestimmt ging er auf den Kleiderschrank zu und nach einigen Minuten Durchwühlens, fand er, was er gesucht hatte.
Tief atmete er den Geruch des Pullovers, welches sie auch auf dem Foto getragen hatte, in sich ein und erkannte, dass sie es war, die so herrlich nach Rosen und Regen duftete.
Diesen Geruch würde er nicht so schnell wieder vergessen, also konnte er jetzt auf die Jagd nach ihr gehen.
Nach ihr, oder ihrer Leiche.
Kurzerhand schob er den Pullover in seine Lederjacke.
Kristoff hörte ich noch einmal um und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, als er erst die Wohnung und dann das Gebäude wieder verließ.
Die Straßen waren immer noch so voll wie vor einer Stunde, die Huren standen an den Straßenecken und stiegen in fremde Autos, Obdachlose soffen sich die Birne hohl und Dealer tauschten Geld und Drogen.
Alles war wie immer.
Bis auf den Geruch, den Kristoff nun endlich identifizieren konnte.


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Tag der Veröffentlichung: 31.10.2009

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