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Kapitel 1 The Family
Endlich waren sie angekommen. Nach der langen und anstrengenden Reise war es für alle ein freudiges Erlebnis, endlich das neue Haus betrachten zu dürfen. Vor allem Lucy war Feuer und Flamme, als sie das riesige Anwesen zum ersten Mal in Augenschein nehmen durfte. Die Tür der Kutsche wurde von außen geöffnet und ihr Vater reichte Lucy die Hand um ihr das Aussteigen zu erleichtern. Vincent de Ceré war trotz seines Alters von 35 Jahren immer noch ein gut aussehender Mann. Er trug einen blauen Frack und seine künstliche braune Haarpracht glänzte im Licht des Morgens. Mit größter Vorsicht setzte die 14 jährige Lucy de Ceré zuerst den einen, dann den anderen Fuß auf den Boden. Sie musste gut aufpassen, da sie ihr neues Kleid nicht ruinieren wollte. Im Gegensatz zu ihren Eltern trug Lucy ihre natürlichen Haare. Sie war schon als Kind mit langen blonden Haaren gesegnet worden. Doch was sie direkt nach ihnen am meisten liebte waren ihre Kleider. Kofferweise hatte sie sie alle in der Kutsche mitgebracht. Lucy de Ceré liebte Kleider. So oft wie nur möglich stellte sie ihre neuen Stücke zur Schau und je mehr Rüschen und Farben, desto besser. Doch es wäre ein Fehler, das junge Mädchen arrogant zu nennen. Sie war liebenswürdig und stets freundlich, jedoch hatte sie einen sehr ausgeprägten Sinn für Abenteuer und damit verbundene Schwierigkeiten, was vor allem ihrer Frau Mama immer und immer wieder Kopfzerbrechen bereitete. Ihre Mutter – Victrorica de Ceré hielt nicht viel von dem starken Drang ihrer Tochter, neues zu entdecken. Wenn es nach ihrer Meinung ginge, wäre das Mädchen schon lange an einen wohlhabenden Grafen verheiratet worden, um das Vermögen der eigenen Familie etwas aufzustocken. Doch sie war keine schlechte Mutter, natürlich liebte sie ihre Kinder von ganzem Herzen. Zu Lucys Glück war ihr Vater bisher strikt dagegen gewesen, sie heiraten zu lassen, immerhin war sie immer noch sein kleines Mädchen. Bei ihrer älteren Schwester Marianne war jedoch schon alles verloren. Sie interessierte sich kein bisschen für die Männerwelt. Auch trug sie keine Kleider, ja nicht einmal Röcke!! Wirklich sehr unschicklich für eine Dame in ihrem Alter. Immer hing sie in ihren Büchern. Für sie waren diese wie ein Ersatz für ihre fehlenden Kontakte zur adeligen Außenwelt. Aus diesem Grund hatte Marianne bis jetzt auch noch keinen Mann gefunden. Dabei stand doch in wenigen Monaten ihr sechzehnter Geburtstag vor der Tür. Doch sie bemühte sich nicht einmal um einen Mann. Die Frau Mama war zutiefst entsetzt über dieses Verhalten, doch sie konnte nichts ausrichten um Marianne dazu zu nötigen, sich endlich einen Partner zu suchen. Das jüngste Mitglied der Familie Ceré war jedoch nicht Lucy! Da gab es noch einen kleinen Bruder namens Julius. Erst vor kurzem wurde im engsten Kreis der Familie dessen zweiter Geburtstag gefeiert. Dieser Tag war für alle ein ganz besonderes Erlebnis, da er während seiner Feier sein erstes Wort sprach! Doch er sagte nicht das von den Eltern erhoffte Mama oder Papa, nein, was er sagte war einzig und allein das Wort „Kuchen“. Lucy konnte sich damals nicht zurückhalten und prustete los, woraufhin sie sich prompt eine Ohrfeige ihrer Mutter einfing mit der Begründung: „Eine junge Dame sollte nicht so offen ihre Emotionen zeigen, das zeugt von schlechten Manieren.“. Julius war der kleine Engel der gesamten de Ceré Familie. Immer wenn die Mutter von ihm sprach, schwang in ihrer Stimmte ein zufriedener Unterton mit. Allen anderen Verwandten hatte sie mit Stolz verkündet, dass Julius später einmal ein erfolgreicher General der Armee werden würde. Wenigstens eines ihrer Kinder schien somit einige rosige Zukunft vor sich zu haben. Soviel zu Lucys Familie, nun der Grund, warum alle fünf gerade mit staunenden Augen vor einem riesigen Anwesen standen und sich einfach nicht sattsehen konnten. Vor einigen Wochen hatte sie ein Schreiben des Gemeindevorsitzenden erreicht. Darin wurde erwähnt, dass ihre erst kürzlich verstorbene Großtante ihnen ihren gesamten Besitz vermacht hatte. Obwohl ihre Eltern dem Erbe zuerst misstrauisch entgegensahen, da sie sich fragten, warum Großtante Emma, die mit den Cerés nur weit entfernt verwandt war, ihnen ihr Anwesen und ihr Vermögen vermachen sollte, waren sie nach einer Besichtigung durchaus mit dem Beschluss der Kinder, aus dem alten kleinen Haus in das geerbte umzuziehen einverstanden, immerhin war die alte Villa der Familie bald schon zu klein für den Nachwuchs. Und nun waren sie endlich alle angekommen. Das Gelände umfasste einen großen Rosengarten, einen kleinen See der in einem klaren Blau schimmerte, einige große Wiesen und ein an das Haus angrenzendes Gästehaus. Auch ein Pferdestall war vorhanden, was Lucy nur noch umso mehr begeisterte, denn Lucy mochte Tiere. Als Lucy das Haus betrag verschlug es ihr den Atem! Überall, alles war mit Gold und Marmor verziert und eine gewundene Treppe führte von der Eingangshalle hinauf in den obersten Stock. Der erste Eindruck war einfach überwältigend uns sowohl Lucy als auch dem Rest der Familie de Ceré fehlten die Worte, die nötig wären um dieses Gefühl zu beschreiben. Letztendlich war es Marianne, die das Schweigen brach: „ Ich werde mich dann fürs erste einmal zu Bett begeben, wenn ihr es mir gestattet, ich bin sehr erschöpft, die Anreise war für mich eine anstrengende Unternehmung“. Lange Reisen taten Marianne einfach nicht gut, danach ging es ihr immer nicht gerade blendend und sie musste sich eine Weile ausruhen. „Wenn es mir erlaubt ist, dann werde nun auch ich mein Zimmer aufsuchen.“, fragte Lucy hoffnungsvoll. Sie wollte unbedingt ihren neuen Raum inspizieren! Hier gab es bestimmt viele Abenteuer zu erleben, man musste nur genau hinsehen. „Wenn ihr euch beide nicht so wohl fühlt, dann wäre es wohl das Beste, wenn ihr euch etwas zu Bett begebt, ihr dürft gehen.“, entschied Vincent de Ceré. Während Marianne sich langsam aus ihrem Sessel erhob und sich einfach auf den Weg zu ihrem neuen Schlafgemach begab, stand Lucy mit erhobenem Kopf vor ihren Eltern, trat einige Schritte zurück und versank mit einem schnellen Knicks tief in ihren Röcken. Auf dem Weg nach oben ließ sie ihren Blick noch ein letztes Mal über die Eingangshalle schweifen, dann begab sie sich nach oben. Da sie das erste Familienmitglied war, welches den ersten Stock betrat - ihre Schwester hatte sie bereits auf der Treppe überholt, lag es nun an ihr, einen Raum für sich auszuwählen. Sie wanderte eine Weile ziellos durch die Gänge, bis sie letztendlich vor einer großen Tür aus schwerem Eichenholz zu stehen kam. Schon allein die Tür mit ihren eingearbeiteten Ornamenten war ein wunderschöner Anblick, der Lucy bereits vor Neugierde auf das dahinter liegende Zimmer erzittern ließ. Mit einer schnellen Handbewegung drehte sie den goldenen Tür Knauf einmal herum und trat ein. Was ihre Augen dort auf den ersten Blick erfassen konnten, sah für sie aus wie das Himmelreich! Ein weitläufiger Raum erstreckte sich nun vor ihr. Das Zimmer schien nur mit den edelsten Möbeln ausgestattet zu sein. Kommoden aus dunklem glänzenden Holz befanden sich zur linken und zur rechten eines gigantischen Himmelbettes, welches gut ein drittel des gesamten Zimmers einnahm. Schnell drehte das Mädchen sich um, um die noch weit geöffnete Tür zu schließen, damit ihre Mutter sie nicht dabei beobachten konnte, wie sie in diesem Moment etwas extrem unschickliches tat. Sie raffte die Unterröcke ihres Kleides zusammen, trat ihre glänzenden Schuhe in die Ecke ihres Schlafgemachs und eilte nun mit schnellen Schritten auf ihr Bett zu und ließ sich mit einem Jauchzen fallen. Die Matratze und die Stoffe die sich nun unter ihr befanden fühlten sich so herrlich weich an, ganz anders als in ihrem vorherigen Zuhause, wo manche Kissen teilweise noch mit Stroh anstatt Daunen gefüllt gewesen waren. Des Öfteren hatten diese üblen Juckreiz verursacht und verströmten zudem einen nicht immer angenehmen Geruch. Doch auf diesen mit Federn gefüllten Kissen und Decken könnte Lucy sofort einschlafen, und wirklich, sie war bereits dabei in das Reich der Träume zu versinken, als ihr noch im letzten Moment einfiel, dass sie ja noch gar nicht schlafen durfte! Sie hatte immer noch ihr Kleid an! Sollte sie sich etwa selbst ausziehen? Nein, gar keine Frage, selbstverständlich würde Lucy das nicht tun, wofür hatte sie denn eine Zofe! Apropos Zofe, wo war sie eigentlich? Lucy hatte sie nach dem Antritt der Reise gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, wahrscheinlich war sie zusammen mit den anderen Dienstboten immer noch auf dem Weg, denn selbstverständlich wurde der Familie immer die beste Kutsche mit den schnellsten Pferden zugesprochen, was die Reisedauer deutlich verkürzt hatte. Die Dienstmädchen würden gewiss noch Stunden brauchen, bis sie ankommen würden. Lucy seufzte, was sollte sie nur solange tun? Naja, sie konnte ja auch noch einmal aufstehen und sich zu ihrer Schwester begeben um sich nach deren Befinden zu erkundigen. Lucy richtete sich wieder auf, sprang aus dem Bett, zog ihre Schuhe wieder an und schlüpfte leise aus dem Raum. Erst als sie nun unschlüssig im Flur stand, fiel ihr wieder ein, dass sie ja gar keine Ahnung hatte, welches Zimmer ihre Schwester sich überhaupt ausgesucht hatte. „Wahrscheinlich ein kleines schlichtes, das eher unauffällig war, damit niemand auf die Idee kommt, sie dort zu suchen, immerhin will sie doch immer ihre Ruhe haben.“, dachte sie sich. Nun gut, es würde sich schon noch herausstellen, wo Marianne sich befand. Lucy wanderte eine Weile durch die Gänge und blieb mal hier, mal da stehen, um die Portraits an den Wänden zu begutachten. Auf den meisten war eine alte Dame, welche nach Lucys Meinung höchstwahrscheinlich Großtante Emma war, zu sehen. Doch da waren auch andere Gemälde, die nur ihr unbekannte Personen darstellten. Lucy kümmerte sich nicht weiter darum. Nach einiger Zeit ihr fast endlos erscheinenden Suchens fand sie schließlich eine Tür, unter der schwaches Licht hinausschien, das musste es sein, immerhin zündete ihre Schwester Abends immer gerne die ein oder andere Kerze an! Lucy drückte die Klinke nach unten und schob die Tür langsam auf, damit die alten Scharniere nicht so laut quietschten, denn sie hasste dieses Geräusch. Schnell huschte Lucy in den angrenzenden Raum und tatsächlich fand sie dort – welch große Überraschung – ihre liebe Schwester Marianne, die auf ihrem Bett kauerte und in einem sehr alt aussehenden Buch las. „Nun, ich dachte mir schon, dass du früher oder später hier auftauchen würdest, deshalb habe mich mir vorgenommen noch eine Weile wach zu bleiben, um dir im Falle deines Erscheinens wie immer ein paar interessante Geschichten erzählen zu können, Schwesterchen.“ „Na wenn das so ist, dann erzähl mir doch bitte wovon die heutige Lektüre handelt, liebe Schwester.“, meinte Lucy mit einem belustigten Unterton in der Stimme und ließ sich nach einer übertriebenen Verbeugung sanft auf das Bett ihrer großen Schwester sinken. „Heute“, meinte Marianne mit leiser Stimme, „ geht es um die Asen.“. Lucy war etwas verwirrt „Was sind denn nun schon wieder Asen?!“, rief sie leicht erbost aus, immer nannte ihre Schwester Namen, mit denen sie nichts anfangen konnte! „Psssst, nicht so laut Lucy, wenn die Frau Mama uns hört, bekommen wir großen Ärger! Also, ich werde es dir erklären: Die Asen sind ein nordisches Göttergeschlecht, um welche sich viele Mythen ranken. Du musst wissen, dass die Germanen nicht wie wir an einen Gott, sondern an mehrere Götter gleichzeitig geglaubt haben. Der oberste Gott, ist Odin. Er besitzt nur ein Auge und wird von den Menschen als der Allvater bezeichnet. Er sitzt in Walhalla auf seinem Thron, von welchem er über alle neun Wekten blicken kann. Auf seinen Schultern sitzen die beiden Raben Munin und Hugin, welche von dort aus über das Land und Walhalla wachen und ihm stets die neusten Informationen bringen, zu seinen Füßen die beiden Wölfe Geri und Freki, die als seine Jagdhunde fungieren. Odin wacht unter anderem über die Seelen der verstorbenen Krieger, denn du musst wissen, dass diese nach ihrem Glauben nach dem Tod nach Walhalla kamen. Dort mussten sie dann vor Odin treten und nachdem dieser über sie richtete, durften sie ihr Leben nach dem Tod in Walhalla fortsetzen, wo sie tranken und essen konnten so viel sie wollten,je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtete. Doch die eigentliche Stadt der Götter die vom Asengeschlecht abstammten, war Asgard, die in der Krone des Weltenbaumes Yggdrasil lag. Doch der schöne Schein konnte trügen und so hatte auch Odin Feinde. Du musst wissen,sogar sein eigener Sohn Lo-“, Marianne stoppte mitten im Wort und blickte mit vor Schrecken geweiteten Augen auf, in der Tür stand die Mutter und sah mit zornesrotem Gesicht auf die beiden Mädchen herab. Mit einigen schnellen Schritten durchquerte sie den Raum bis zum Bett, holte aus und verpasste Marianne eine schallende Ohrfeige! „WIE OFT MUSS ICH DIR NOCH SAGEN, DASS GOTTESLÄSTERLICHE DINGE IN UNSEREM HAUS VERBOTEN SIND!! ES IST SCHON BLASPHEMIE ETWAS DERGLEICHEN ZU LESEN!!“, schrie sie aus vollem Hals. Die Familie der Céres war eine sehr gläubige Gemeinschaft und alles, was sich auch nur annähernd mit etwas beschäftigte, was die Existenz Gottes infrage stellen könnte, war unter der Aufsicht der Frau Mama Victorica streng verboten. In dieser Hinsicht war sogar der Vater einmal einer Meinung mit seiner Frau, obwohl er aus meist aus Faulheit darauf verzichtete, am Sonntagmorgen die Kirche aufzusuchen, so bestand er immer ausdrücklich darauf, dass seine beiden Töchter, ja sogar schon sein kleinster Sohn den Herrn ehren sollten. Doch auch, wenn die Mutter Marianne wieder und wieder zurechtwies, Lucy wusste genau – bereits in ein paar Tagen würde Marianne ihr einen weiteren Teil dieser Geschichte erzählen. Nach einigen Minuten ebbte die Standpauke Victoricas langsam ab. Sie wandte sich um und wurdesich erst jetzt bewusst, dass Lucy sich noch immer im Raum befand, anscheinend war sie völlig vergessen worden. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte die Mutter sie ruhig überspringen können, aber sie setzte bereits an zu sprechen. Lucy zog in Erwartung des gleich folgenden Vortrages schützend ihre Schultern hoch, doch alles was sie erntete war ein böser Blick in welchem die unmissverständliche Botschaft lag, zu gehen. Mit einem flauen Gefühl im Magen neigte Lucy schnell den Kopf und huschte dann mit schnellem Schritt zurück in ihr Schlafgemach und siehe da, sie wurde schon erwartet. Anscheinend waren nun auch die letzten Nachzügler eingetroffen, denn in ihrem Zimmer stand schon ihr Dienstmädchen Mina bereit um ihr aus ihrem Kleid zu helfen.Gelangweilt ließ Lucy das Umkleiden über sich ergehen und warf sich, einige Minuten später, mit ihrem Nachtkleid in ihr Bett. Sie gab Mina das Zeichen, dass es für sie nun an der Zeit war sie allein zu lassen. Sogleich zog die Magd sich zurück. Lucy lag noch einige Zeit wach und dachte über das nach, was Marianne ihr heute erzählt hatte. Götter… wie sie wohl sein mochten? Und während Lucy sich noch eine Zeit lang über das Leben damals Gedanken machte, sank sie auch schon in einen tiefen Schlaf.


Kapitel 2: First Meeting
Nach einer geruhsamen Nacht hatte die Familie de Cére sich am Morgen bereits zum ersten Mahl des Tages versammelt, während bereits zu dieser frühen Stunde die Sonne erbarmungslos vom Himmel brannte. Für gewöhnlich pflegte der Vater nicht mit der Familie zu speisen, sondern zog sich meist in seine Räume zurück, während der Rest das familiäre Miteinander genoss. An diesem Tag jedoch war auch Vincent am Esstisch vertreten und genoss sichtlich, was die Dienstmädchen heute serviert hatten. Doch er war nicht nur erschienen, um einige Zeit mit seiner Familie verbringen, was Lucy schon klar geworden war, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Anscheinend stand heute etwas Wichtiges auf dem Programm, aber was konnte es sein? „Nun denn, ich möchte euch nicht länger auf die Folter spannen und nun endlich verkünden, was heute auf dem Tagesplan steht. Marianne.. also deine Mutter und ich haben beschlossen, dass für dich langsam die Zeit gekommen ist…“, begann Vincent zögerlich zu sprechen, wurde jedoch sogleich von seiner ältesten Tochter unterbrochen: „Zeit für was??“, fragte Marianne misstrauisch, während sie ihren Vater abschätzend musterte.Indessen beschloss die Mutter dem Vater unter die Arme zu greifen und vollendete den Satz: „ … dir einen Mann zu suchen. Wir wollen, dass du dir noch innerhalb der nächsten 2 Monate einen Verlobten suchst. Noch heute Mittag brechen wir auf, wir werden einem großen Ball beiwohnen und egal welche Einwände du hegst, du wirst dich nach dem Verzehr des Frühstücks in dein Zimmer begeben, wo Angelika dir in dein Kleid helfen wird und du wirst es hinnehmen, ohne Widerrede, hast du das verstanden?“. Mariannes Gesichtszüge sprachen Bände, doch sie wusste, dass sie sich dem Willen der Mutter fügen musste, zumindest für diesen Moment. Da sie bereits fertig mit ihrem Essen war erhob sie sich still von ihrem Stuhl und rauschte ohne ein Wort in Richtung ihres Ankleidezimmers davon, im Schlepptau eine zutiefst verunsicherte Zofe. Zögerlich wandte Lucy sich nun an ihre Eltern: „Und was ist mit mir, darf ich euch auch zu dem Ball begleiten?“, fragte sie vorsichtig, während sie mit ihrer Gabel in ihrem Kuchenstück herumstocherte. Sie wusste genau, dass sie bei diesen Themen vorsichtig sein musste, da ihre Mutter nicht besonders erpicht darauf war, sie in die höheren Kreise der Gesellschaft mitzunehmen, da es ihr an damenhaftem Verhalten mangelte. Victorica meinte immer, sie müsse erst lernen, ihre überschäumenden Gefühle in Zaum zu halten. „Nein, du wirst hierbleiben und auf den kleinen Julius achtgeben, während wir fort sind, denn er ist noch zu jung um allein zu bleiben und wir möchten ihn nicht in die Obhut des Personals geben.“, meinte ihr Vater bestimmend. „Was möchtet ihr damit sagen Vater? Wie lange werdet ihr denn abwesend sein?“, fragte Lucy, deren Neugier langsam geweckt wurde, denn wenn die Eltern und Marianne nicht hier waren, dann konnte sie sich wenigstens in Ruhe umsehen. Und Julius konnte sie ja mitnehmen, wenn sie auf Erkundungstour ging, denn der Kleine war normalerweise sehr pflegeleicht. „Wir werden für ungefähr 3 Tage weg sein, aber du bist ja nicht allein, das Personal ist ja auch noch hier.“, erwiderte Vincent de Cére in der Hoffnung seine Tochter damit nicht allzu sehr zu enttäuschen, denn er wusste, wie gerne sie mit auf den Ball gegangen wäre. Doch zu seiner Überraschung, sah Lucy gar nicht so deprimiert aus, wie er erwartet hatte. Wenn man allerdings einmal den Charakter seiner Tochter in Betracht zog, dann war es wahrscheinlicher, dass sie wiedereinmal irgendetwas plante. Nun ja, solange sie dabei nichts allzu schlimmes anstellte, sollte es ihm recht sein. Und genau wie er es sich vorgestellt hatte, begann Lucy bereits einen Plan zu entwickeln. Als erstes musste sie sich nun umziehen, denn sie trug immer noch eines ihrer unscheinbarsten Kleider. Das neue hatte sie nach dem gestrigen Abend erst einmal in ihrem Schrank unterbringen lassen, damit es auch ja keine Falten bekam. Welches sie heute tragen würde, um ihre Familienmitglieder zu verabschieden stand noch nicht fest, aber wenn die Eltern das Anwesen in Beisammensein mit ihrer lieben Schwester verlassen würden, wollte sie auf jeden Fall nicht mehr so unansehnlich wirken, wie in diesem Moment. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf erhob sie sich vom Tisch und begab sich ohne auf die nötigen Benehmensregeln zu achten schnellen Schrittes in ihr Zimmer.

Nun war es also soweit… Lucy lag mit ausgestreckten Armen in ihrem großen Bett. Vor ungefähr einer Stunde hatten sich ihre Familienmitglieder auf den Weg in die weit entfernte Stadt begeben. Eigens zu diesem Anlass hatte sie erneut das Kleid von gestern getragen, da Lucy fand, dass ihr neues Stück perfekt dazu geeignet war. Nicht zu farbenfroh, in einem zarten Rosa und nicht zu unscheinbar, was dank der vielen Rüschen sowieso unmöglich erschien, hatte sie sich von allen verabschiedet. Im Moment war Lucy allerdings nur froh, diesem Kleidungsstück entkommen zu sein, denn obwohl es aussah, als wäre es federleicht, so fühlte es sich jedoch tonnenschwer an. Von ihrer Zofe hatte Lucy sich ein neues bringen lassen. Das Kleid, das sie nun trug hatte den Farbton eines reifen Pfirsichs und war in eigentlich jeder Hinsicht komfortabler zu tragen, da es weniger einzeln anzulegende Stücke und weniger Unterröcke vorzuweisen hatte. „Luuschi spielen gehn!!“, quengelte Julius, welcher schon seit einiger Zeit neben ihrem Bett am Boden saß und sich langweilte. „Ist ja schon gut, wir gehen ja schon, komm her Julius.“. Lucy sprang aus dem Bett und nahm ihren kleinen Bruder mit Schwung auf ihre Arme. Der kleine Junge war genauso aufgeweckt wie Lucy und würde sie ihn nicht tragen, wäre Julius wahrscheinlich innerhalb weniger Sekunden verschwunden, denn obwohl er erst zwei Jahre alt war, hatte Lucy bereits jetzt schon manchmal Schwierigkeiten ihn wieder einzuholen. Mit Julius auf dem Arm verließ Lucy ihr Zimmer und lief die große Treppe hinunter bis in die Küche, wo auch schon die beiden zuständigen Dienstmädchen auf sie warteten. Die erste trug einen großen Korb der bis zum Rand mit allerlei Dingen, darunter Rosinenbrot, frischer Saft und vielem mehr gefüllt war, während das zweite Mädchen eine Decke und einen Sonnenschirm bei sich trug. An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, dass das ganze Essen eher für den kleinen als für Lucy gedacht war, denn Julius war einfach glücklich, wenn er etwas essen konnte. Nachdem Julius unter der Aufsicht seiner gut gelaunten Schwester den Inhalt des Kores mustern durfte, machte sich die kleine Gruppe auf den Weg zum See. Als sie eben diesen dann endlich erreicht hatten, war Lucy doch sehr erleichtert, denn obwohl die Strecke dorthin an sich gar nicht so lang war, so war sie mit dem kleinen Julius auf den Armen zum ersten erheblich langsamer und musste sich zudem auch um einiges mehr anstrengen. Nach einigen wenigen Minuten waren dann die letzten Vorbereitungen beendet und Lucy ließ sich gemeinsam mit ihrem Bruder mit einem tiefen Seufzen auf die Decke sinken, um dort einen Augenblick in Ruhe zu verharren. Nach der kleinen Pause, die sie sich wirklich redlich verdient hatte, wies Lucy die beiden Mädchen an, zu ihrer Arbeit im Hause zurückzukehren. Zuerst waren sie sich nicht ganz sicher, ob es die beste Idee wäre Ihre junge Herrin allein zu lassen, denn obwohl sie nicht viel älter waren als Lucy, so waren sie sich doch bewusst, dass sie sich manchmal auf ziemlich waghalsige Aktionen einließ. "Ich möchte euch nun bitten euch endlich zurück zu ziehen! Es liegt heut nicht in meinem Sinn, mir Ärger oder anderes einzuhandeln, also seid nicht besorgt.", erklärte die junge Dame den beiden Bediensteten. "Ja, aber der Junge Herr..", setzte eine der beiden an. "Julius ist bei mir in guten Händen, so geht doch nun endlich, es wartet bestimmt noch genügend Arbeit auf euch oder etwa nicht?", sagte Lucy mit etwas mehr Nachdruck. Die Dienstmädchen blickten sich kurz an und kamen dann endlich (wenn auch etwas widerwillig) ihrem Wunsch nach. Endlich waren die beiden also allein. Von ihrer Decke aus konnte Lucy den Rand des Sees betrachten. Auf den ersten Blick erschien es, als ob man über einige kleinere Felsen unter Wasser langsam in das seichte Wasser laufen könnte, es wäre also eine Überlegung wert, dort einmal schwimmen zu gehen.

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Tag der Veröffentlichung: 10.06.2012

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