Nalomo
Kapitel 1:
Nalo starrte durch die Fensterscheiben des verlassenen Hauses auf die Straße hinaus. Ein paar einsame Autos fuhren über die sonst so belebte Straße. Es war eine wundervolle Herbstnacht, dachte er leise bei sich. Bald würde die Sonne aufgehen, er würde wieder seine ursprüngliche Gestalt annehmen und das Monster in ihm würde wieder friedlich schlummern. Nalomo war ein hübscher Junge mit schwarzen Haaren, die ihm fast bis zu den Schultern reichten. Niemand konnte ahnen, was seine eisblauen Augen schon alles gesehen hatten, so viel Leid und Tod und Dinge, die einen Menschen höchst wahrscheinlich allein vom puren Anblick in den Wahnsinn treiben würden. Doch langsam wurde nervös. Seit langem hatte er nun schon daraufgewartet seinen Plan endlich in die Tat umsetzten, er wollte – in die Schule gehen. Bei genauerer Betrachtung musste es wohl sehr seltsam klingen, doch er hatte keine Wahl, 1. wäre er vor ein paar Tagen fast von der Polizei geschnappt worden, die ihn in die Schule verfrachten wollten, wo er tagsüber angeblich hingehörte und 2. musste er sich endlich wieder neue Ausrüstungsgegenstände beschaffen. All das war wichtig für den weiteren Verlauf seiner Mission. Der einzige Grund für Nalos Nervosität war, dass er Angst davor hatte, dass die Menschen erkannten was er war - ein Vampir. Obwohl es für die Menschen dort draußen so aussehen mochte, als sei wäre er 16 Jahre alt, so stimmte dies in keiner Hinsicht. An seinem 327. Geburtstag hatte er beschlossen mit dem Zählen aufzuhören. Nalo schüttelte den Kopf. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Er entfernte sich vom Fenster und schlurfte einen endlos scheinenden Gang entlang. An den alten vermodernden Wänden hingen einige Bilder, die die früheren Bewohner des Hauses zeigten. Nach einiger Zeit in der er die ihm bereits bekannten Gemälde während des Laufens betrachtet hatte, blieb er vor einer großen Tür stehen. Dahinter lag das Schlafzimmer. Früher war es bestimmt einmal ein schöner Raum gewesen, doch nun war von der einst so wundervollen Ausstattung nicht mehr viel übrig. Eine Kommode, die früher einmal farbig gestrichen sein musste, lehnte schief an einer Wand. Ein großes Fenster bot einen schönen Ausblick auf die nächtliche Landschaft. Obwohl das schon seit Jahren leerstehende heruntergekommene Haus sich in einer Stadt befand, so konnte man von dieser Seite doch einen Fluss und eine teilweise bewaldete Fläche erkennen, die sich mit ihren abgeernteten Feldern kilometerweit erstreckte. Nalo fühlte sich hier wie zuhause. Er war sehr froh, dass er als er durch das Tor in diese Welt gekommen war dieses Anwesen am Rande der Stadt entdeckt hatte. Nalo drehte sich um und bewegte sich langsam auf das verstaubte Bett zu, dass sich in der Ecke des Zimmers befand. Auch dieses Möbelstück hatte seine einstige Pracht verloren. Die Farben waren matt geworden, doch es erfüllte seine Aufgabe noch gut. Nalo legte sich hin und gab sich den Träumen hin. Seine Art konnte, er wusste nicht, ob es noch andere wie ihn gab, nicht schlafen. Doch Nalo vermisste das Schlafen nicht, denn er hatte in seinem zweiten Leben eine neue, außergewöhnliche Fähigkeit erlangt – das Träumen. Doch diese Art von Traum war anders, als alles, was die Menschen sich jemals auch nur vorstellen konnten. Es war ein atemberaubendes Gefühl. Man versank in einem Meer aus Farben, von denen jede einzelne der Traum eines Menschen war. Nalo konnte sich jede beliebige Farbe greifen und dabei sein, bei all den Dingen, die die Menschheit erlebte, wenn sie schlief. Doch er hatte auch die Erfahrung gemacht, dass es schlechte Träume gab, die er meiden musste. Meistens hatten diese Alpträume eine braune oder schwarze Färbung. Nalo hatte schon früher bemerkt, dass er die Träume beeinflussen oder gar verändern konnte. Einmal war er in einen dunklen Traum, so hatte er sie genannt, geraten. Fast hätte er sich dem Gefühl, dass der Traum in ihm hervorrief hingegeben. Es fühlte sich so verlockend an, die Macht, die man über die Träume der Menschen hatte gegen sie zu richten, sich an ihrer Angst und ihrem Unglück zu weiden! Doch Nalo hatte es geschafft der Versuchung zu wiederstehen. Er hatte sich geschworen, seine Macht niemals für solche Zwecke zu missbrauchen. Obwohl Nalo träumte, war er wach. Er konnte alles um ihn herum hören. Die Mischung dieser zwei Wirklichkeiten war berauschend wie eine Droge. Nalo genoss dieses Gefühl wie nichts anderes auf der Welt, denn es ließ ihn vergessen.
Irgendetwas piepte. Nalo streckte sie Hand aus und suchte nach der Quelle des
Geräusches. Es war der Wecker, den er erst kürzlich gefunden hatte. Schade drum, nachdem er gerade mit voller Kraft darauf geschlagen hatte, war das Ding nicht mehr zu gebrauchen. Nalo richtete sich auf und suchte nach den Klamotten, die er eigens für diesen Zweck gestohlen hatte. Er griff nach der Hose und dem Hemd und begann sich umzuziehen. Er griff unters Bett und stellte erfreut fest, dass sich die Spiegelscherbe, die er bei einem früheren Besuch in dieser Welt dort abgelegt hatte, sich noch immer an Ort und Stelle befand. Er änderte noch einige Kleinigkeiten bis er mit seinem Aussehen zufrieden war und griff dann nach dem Rucksack, der – nebenbei erwähnt – auch gestohlen war. Dann machte er sich aufbruchsbereit. Als er das Haus verließ ging gerade die Sonne auf. Nalo schlenderte gemütlich die Straße entlang. Es war für ihn zwar etwas unangenehm, sich bei Tageslicht draußen aufzuhalten, aber er konnte das ertragen. Nachdem er sich noch etwas in der Stadt umgesehen hatte, erreichte er die Schule um ca. 10 vor 8. Aus Telefongesprächen mit dem Direktor, bei denen Nalo sich immer als sein Vater ausgegeben hatte, wusste Nalo, dass er in die Klasse 9c kommen würde. In diesem Moment betrat Nalo das Schulgelände. Es sah gar nicht so schlimm aus. Ein einigermaßen großer Pausenhof mit einigen Bänken und Da der Unterricht um Punkt acht Uhr begann, hatte er keine weiteren Schwierigkeiten, rechtzeitig sein Klassenzimmer zu erreichen. Als er vor der Tür stand, atmete er noch ein letztes Mal tief durch, dann öffnete er sie und betrat den Raum. Schlagartig verstummten alle Gespräche. Jeder starrte ihn an, während Nalo sich einen der wenigen freien Tische aussuchte. Bevor irgendjemand ihn ansprechen konnte, rauschte auch schon die Lehrerin ins Zimmer. Sie schien sehr wütend zu sein und schleppte ein Mädchen hinter sich her. „ Es ist wirklich eine Unverschämtheit von dir, Emily ! Am ersten Schultag schon zu spät kommen!“, maulte die Lehrerin das Mädchen an. „ Aber ich....“, „Nichts aber! Du hältst jetzt deinen Mund und setzt dich da hin!“. Die Lehrerin wies mit dem Finger auf den noch freien Platz neben Nalo. Nachdem die Lehrerin ihre Standpauke beendet hatte, grölte die ganze Klasse. Jeder lachte. Jeder, nur er nicht. Mit hochrotem Kopf setzte das Mädchen namens Emily sich auf den ihr zugedachten Stuhl. „ Ausgerechnet neben mich.... das hat mir gerade noch gefehlt!“ , dachte er. Für ihn war es sehr riskant neben einem Menschen zu sitzen, denn das Blut welches in ihren Adern floss und der Geruch, den sie verbreiteten, brachte ihm immer wieder die Erkenntnis, zu was er geworden war und rief unweigerlich die Erinnerung an jenen Tag herauf, an dem er seine Beherrschung zum ersten und letzten mal überschätzt hatte. Den Rest der ersten Stunde versuchte er sich auf die Lehrerin zu konzentrieren. Die nächsten Stunden vergingen alle wie im Flug, jedoch hatte er nichts erfahren, was er nicht schon wusste. Nachdem Schüler sowie auch Lehrer allesamt das Schulgelände verlassen hatten trat er aus seinem Versteck. Er war noch etwas geblieben, da Nalo dachte, bestimmt noch einige nützliche Gegenstände finden zu könnte, die er benötigte. In Gedanken versunken schenderte er einen Gang entlang, doch er entdeckte das Mädchen erst, als es bereits zu spät war. Beide krachten frontal zusammen und alle Bücher, die das Mädchen getragen hatte lagen überall auf dem Boden verstreut. „Ähh.. Ähm.. Entschuldigung..“ . Sie hob den Kopf und erstarrte mitten in der Bewegung. „Nicht so schlimm.“, meinte Nalo gelassen. Er bückte sich und begann die Bücher aufzuheben. „Das brauchst du nicht aufheben, ich kann das auch selbst machen...“, meinte sie verlegen. Jetzt wusste Nalo auch wieder, woher er dieses Mädchen kannte. Es war seine Banknachbarin Emily. Auch ihr schien das gerade bewusst zu werden, denn sie nahm ihm schnell die restlichen Bücher ab, drängte sich an ihm vorbei, bedankte sich noch knapp und eilte dann in Richtung Ausgang. Nalo zog sich zurück, er würde in der Nacht wiederkommen, wenn er sichergehen konnte, dass sich nicht einmal mehr der Hausmeister im Gebäude befand.
Kapitel 2:
Oh Nein, er hatte sich schon wieder getäuscht! Nalo stand hinter einer Säue und beobachtete die Nachtschicht – eine polnische Putzfrau – dabei, wie sie den Boden schrubbte. Konnte er vielleicht.. NEIN, das wäre zu riskant. Während er noch darüber nachdachte, wurde der Drang in ihm die Frau anzufallen immer größer. Naja, bestimmt würde niemand ihr Fehlen bemerken. Er trat von hinten an sie heran, dabei zog sich seine Haut zurück. An ihre Stelle trat eine schwarze so gut wie undurchdringliche Schicht. Dies war sein Tarn- und Jagdreflex, durch ihn konnte er regelrecht mit der Nacht verschmelzen. Er machte ihn schneller und auch widerstandsfähiger gegen äußere Einflüsse. Seine Schneidezähne wurden länger und schärfer und gerade als er den letzten Schritt machen wollte, drehte sich die Frau um und begann zu schreien. Nalo schlang seinen Arm um ihren Hals und brach ihr mit einem Ruck das Genick. Die Dame sackte in sich zusammen, doch noch bevor ihre Seele ihren Körper verlassen konnte biss Nalo zu. Am schlimmsten war es für ihn, wenn sein Opfer schon tot war , wenn er zu biss. So übertrugen sich immer alle Gedanken und Erlebnisse des Menschen auf ihn. Solange seine Auswahl jedoch noch lebte , hielt sich der Ansturm aus Erinnerungen relativ in Grenzen. Er sah in Fetzen ihres Lebens wie sie von ihrem Vater geschlagen und missbraucht wurde. Schließlich war es zu ende und er ließ den Körper der Frau erleichtert fallen. Bei ausländischen Menschen war es des öfteren der Fall, dass ihre Kindheiten nicht besonders toll verlaufen waren, doch wie schon gesagt, bei dieser armseligen¬ Putzfrau war es besonders schlimm gewesen. Nalo packte die Frau bei den Schultern und schleppte sie zum Hinterausgang der Schule. Er schätzte sie auf ca. 40-50 Jahre, doch für ihr Alter war sie erstaunlich leicht. Nach 10 Minuten in denen er zum Glück niemanden begegnete hatte er eine der vielen Brücken der Stadt erreicht. Im Stillen verabschiedete sich Nalo von ihr, dann warf er sie über das Geländer und sah zu, wie ihre Leiche in den Fluten des Flusses verschwand. Nalo entschloss, dass er das Schulgelände in dieser Nacht nicht mehr betreten wollte. Stattdessen wanderte er durch die Stadt und sah sich die einzelnen Häuser an. Gerade wollte er sich wieder von einem kleinen Haus abwenden, als aus eben diesem lautes Geschrei zu hören war. Vorsichtig bewegte er sich näher an das Haus heran. Er bahnte sich einen Weg durch die Hecken und duckte sich unter den Fenstersims. Er streckte sich ein wenig, so dass er halbwegs gut beobachten konnte, was dort vor sich ging. Er sah einen Mann mittleren Alters, der wutentbrannt irgendjemanden lautstark beschimpfte. Soeben fiel Nalo auf, dass er seine Position sehr schlecht gewählt hatte, denn da das Fenster fest geschlossen war konnte er nur grob hören was innerhalb des Hauses gesprochen wurde. „Du kleines Arschkind! Wärst du doch nur bei deiner Mutter, dieser Schlampe geblieben, dann hätte ich dich nicht die ganze Zeit am Hals!“, schrie er darauf los. „Das hätte ich auch viel lieber getan, nur dumm, dass das Miststück sich nach Amerika verpisst hätte!“, kam eine ebenso wütende wie verletzte Antwort zurück. „So redest du nicht mit mir.“. Der Mann ging einen Schritt vorwärts und holte ein kleines Messer aus seiner Hosentasche. Es blitzte bedrohlich in seiner Hand. Langsam holte er aus: „Das hätte ich schon viel früher tun sollen!“. Das Mädchen ( an der Stimme hatte Nalo erkannt, dass es eines sein musste) schrie auf. Das reichte jetzt!! Nalo sprang auf und krachte durch die Fensterscheibe ins Haus. Beide, das Mädchen und ihr Vater drehten sich nach ihm um. Das Mädchen begann fürchterlich zu schreien und die Augen des Mannes sahen aus, als wollten sie aus ihren Höhlen quellen. Nalo machte einen Schritt – so schnell, dass der Vater des Mädchens nicht einmal realisierte, was da gerade mit ihm geschah streckte Nalo die Hand aus und packte ihn am Hals. Langsam aber sicher drückte er ihm die Luft ab. Sein Opfer keuchte und japste, aber es gab kein Entkommen. Nach einigen Sekunden verdrehten sich die Augen des Mannes und er sackte tot in sich zusammen. Nalo drehte sich um, um nach dem Mädchen zu sehen. Sie kauerte am Fuße einer Treppe und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Was war denn nur los mit ihr? Nalo sah an sich herunter. Oh Nein! Jetzt konnte er verstehen, warum sie so viel Angst hatte! Er war immer noch in seiner Jagdform! Während er den Kopf schüttelte hörte Nalo das leise Rascheln von Kleidung und als er aufblickte, war das Mädchen bereits durch die Tür des Hauses weggelaufen. Nunja, da konnte Nalo jetzt auch nichts dagegen tun. Er packte den Toten am Kragen und schleppte ihn in sein Bett. Wer auch immer ihn dort finden würde, würde hoffentlich denken, dass er an einem Herzinfarkt gestorben war. Auf dem Nachhauseweg dachte er nocheinmal an das Mädchen. Woher kam sie ihm nur so bekannt vor? Die Erkenntnis traf ihn mit solcher Wucht, dass er zu zittern anfing. Das junge Mädchen, das fast vom Vater ermordet worden wäre, war seine Banknachberin Emily!
Kapitel 3:
Was sollte er jetzt nur tun? Irgendwie musste er sie wiederfinden. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie gerade gänzlich unter Schock stehen würde, immerhin hatte Emily gesehen, wie er ihren Vater ermordet hatte, was genauer betrachtet eigentlich ja positiv war, da er sonst sie getötet hätte, aber das würde das Mädchen im Moment wohl nicht verstehen. Nalo konnte nur hoffen, dass sie jetzt nichts dummes anstellte! Das hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt, er hatte doch schon genügend Probleme, aber es war ja fast klar gewesen, dass er nicht ein einziges Mal seine Ruhe haben konnte. Während er so über seine Probleme nachdachte, war ihm gar nicht aufgefallen, dass er schon seit einiger Zeit bei seinem Haus angekommen war. Er schlüpfte durch das Kellerfenster in seine Behausung und machte sich schleunigst auf den Weg zum Schlafzimmer. Obwohl er keine Mürdigkeit in diesem Sinne fühlen konnte, so war er doch schon ziemlich erschöpft von den Strapazen dieser Nacht. Erleichtert ließ Nalomo sich auf sein staubiges altes Bett fallen, mit dem er so viele Erinnerungen verband und begann zu Träumen. Heute waren viele Dunkle Farben unterwegs, doch er hielt sich streng an seine eigenen Regeln und suchte weiter, bis er etwas sehr seltsames entdeckte:
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Großvater, der vor fast vier Jahren an Lungenkrebs verstorben ist und der immer an mich geglaubt hat.