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Langsam und stoßweise ging ihr Atem. Sie zitterte, traute sich nicht auch nur die kleinste Bewegung zu machen, den leisesten Laut von sich zu geben. Ihre Angst war so groß, dass sie die Schmerzen nicht mehr spürte. Wie lange sie schon hier lag, wusste sie nicht.
Aber eines wusste sie sicher: Sie war auf ihn hereingefallen. Auf den Mann, der sich Clancy nannte und sich selbst als Künstler bezeichnete.
Ob sie Model wäre, hatte er sie gefragt. Ob sie Interesse an einem spontanen Fotoshooting hätte, hatte er sie gefragt. Ob sie etwas dagegen hätte, wenn er etwas Blut mit ins Spiel bringt, hatte er sie gefragt.
Und sie hatte ihm genau die Antworten gegeben, die er hören wollte: Nein, ja, ja.
Sie war kein Model, wollte allerdings gerne mitmachen. Und gegen etwas Kunstblut hatte sie auch nichts.
Kunstblut... Wie naiv sie doch gewesen war.
Wieso sie noch lebte, wusste sie nicht. Aber sie hatte Angst. Angst, dass er wieder kommen würde und es zu Ende brächte.
Und dann kam er.
Er kam und öffnete die Tür.
Er kam, sie hörte seine Schritte.
Er kam, sie sah sein überbreites Lächeln schon vor ihrem inneren Auge.
Er kam, dann blieb er stehen.
„Wie geht es Ihnen, Veronica?“, fragte er, als wäre nie etwas geschehen.
Sie schwieg. Und sie hatte Angst, unvorstellbare Angst.
Würde sie etwas falsches sagen, würde er sie töten.
„Wie es Ihnen geht, habe ich gefragt.“
„Was wollen sie von mir?!“, brachte sie schließlich heraus.
Jetzt war es vorbei, da war sie sich sicher.
„Wissen Sie, wieso Sie hier sind?“
Sie schüttelte den Kopf. Gab es überhaupt einen Grund dafür?
„Wissen Sie... Ich habe Sie auf einer Kunstausstellung gesehen, im Mai, erinnern Sie sich? Der Künstler hieß... Jean Babtiste glaube ich. Seine Bilder schreien fast vor Leidenschaft, Sie müssen sich erinnern!“
Sie nickte kurz.
„Interessieren Sie sich für Kunst, Veronica?“, hakte er nach.
Wieder nickte sie kurz. Für weitere Worte hatte sie nicht den Mut, ihr Hals war wie zugeschnürt.
„Ich liebe Kunst, Veronica... Ich bin selbst Künstler, wissen Sie? Aber ich mache andere Kunst, nicht auf Leinwänden oder in Mamor...“
Sie schwieg, wollte nur weg von diesem Ort. Aber sie konnte nicht fliehen, sie spürte ihre Beine nicht mehr.
„Viele Leute verstehen meine Kunst nicht... Das ist wirklich schade. Finden Sie nicht auch, Veronica?“
Sie nickte kurz. Wenn sie ihm zustimmte, konnte er nicht sauer werden. Oder?
„Die Menschen sind Abschaum. Sie beurteilen einen nur nach materiellen Werten! Und Menschen sind dumm... Respektlos... Menschen sind hässlich. Nicht von außen, aber von innen. Verstehen Sie, was ich meine, Veronica?“
Ein weiteres Nicken.
„Nein! Nein, Sie lügen mich an! Sie sind eine Lügnerin, Veronica! Sie sind auch nur eine von denen, Sie haben keine Ahnung von Kunst!“, er schrie sie an, doch dann schlug seine Stimmung schlagartig um. „Haben Sie Angst vor mir, Veronica?“
Sie nickte. Ja, das hatte sie wirklich.
„Wieso denn?“, fragte er nach.
„Sie... Sie haben mich... verletzt...“, erklärte sie.
„Das ist alles? Dann müssten Sie aber vor vielen Dingen Angst haben, Veronica... Und ich selbst dürfte das Haus nicht mehr verlassen. So sind die Menschen, Veronica, sie verletzen einander.“
„Nein... Nein... nein...“, sie wurde immer leiser, doch wiederholte die Silbe, das Wort, immer weiter.
„Sie glauben mir nicht! Aber ich habe Recht, sie werden schon sehen! Menschen verletzen einander!“, er holte ein Messer hervor. „Ich bin ein Mensch, Veronica, und sie auch.“, er stach in ihren rechten Oberschenkel. Sie schrie vor Schmerz auf.
„Sehen Sie? Sehen Sie, Veronica?! Menschen verletzen einander!“
Tränen liefen ihr Gesicht herunter.
„Aber Menschen verletzen sich nicht nur körperlich, Veronica... Obwohl sie festgekettet sind, verletzen Sie mich... Es tut weh, dass Sie Angst vor mir haben... Und sie verstehen nichtmal, wieso ich das überhaupt tue...“, obwohl seine Stimme zwar traurig klang, sah man in seinem Gesicht keinerlei Gefühlsregungen.
„Sie sind ein Mensch, Veronica... Sie gehören zu diesem Abschaum... Aber ich werde Ihnen helfen, das verspreche ich Ihnen! Ich verwandele Sie in etwas wunderschönes, etwas reines, Sie dürfen wieder ein Engel sein, Veronica! Sie müssen keiner von diesen Menschen bleiben, mit diesen hässlichen Seelen. Ich helfe Ihnen, Veronica!“, er umklammerte den Griff seines Messers und sah ihr in die Augen. Ihre waren rot, geschwollen, Tränen flossen heraus. Seine waren leer, den Blick auf einen Punkt fixiert, ohne jegliche erkennbaren Gefühle.
„Bitte! Bitte lassen Sie mich gehen!“, flehte sie und er setzte das Messer an ihre Kehle.
„Das werde ich, Veronica... Ich lasse Sie gehen, in eine andere Welt. Und Ihren Körper verwandele ich in ein Kunstwerk.“, er trennte ihre Hauptschlagader durch und machte sich sofort daran, auf sie ein zu stechen. Da noch etwas Blut durch das Herz floss, quoll es ihm entgegen. So machte es ihm Spaß... Wie schon vielen Frauen zuvor hatte er Veronica helle Kleidung anziehen lassen, welche einen starken Kontrast zu dem dunkelrotem Blut hatte.
Dann begann er sein 'Meisterwerk'. Ganz vorsichtig setzte er Sein Messer an ihrem Scheitel an und durchtrennte die oberste Hautschicht. Er arbeitete langsam und vorsichtig, trennte ihre Kopfhaut ab. Mit dem zuvor bereitgestelltem Nähzeug fing er nun an, die Haut verkehrtherum, mit der äußeren Hautschicht nach innen, wieder an ihrem Kopf zu befestigen. Veronica sollte etwas ganz Besonderes sein.
Das Werk eines besonderen Künstlers.
Das Werk Clancy's.

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Tag der Veröffentlichung: 10.09.2010

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