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Der Zuschauer

Dunkelheit legte sich über das Land.

 

Das Tagwerk war getan. Nein nicht solches, wie es noch sein Vater zu verrichten hatte. Sein Tagwerk war weniger körperlicher Art. Eher das eines Denkers, eines Träumers und eines Menschen, dessen größter Feind ihm allmorgendlich aus dem Spiegel entgegensah. Bleich, dunkeläugig, obwohl er die Augenfarbe des Sommerhimmels hatte, und dem dunklen Schatten, der einst ein Bart werden wollte, es aber nie über Drei-Tage-Stoppeln hinaus geschafft hatte.

 

Nachdenklich strich er sich über sein früh ergrautes Haar. Er stand am Fenster und verfolgte die letzten Sonnenstrahlen überm Horizont. Die Aussicht ermöglichte  ihm die wenigen Minuten des Tages, an denen er sich wirklich und echt fühlte. In denen er begriff, was es mit der Zeit auf sich hatte.

 

Er war für sich. Alles gehörte ihm. Seine Erinnerungen, die Geschichten, die erzählten und die unerzählten. Nichts musste er teilen. Nicht die Luft die er atmete, noch das Wort, das ein Gehör brauchte.

 

Die Stunde machte sich bemerkbar. Immer. Ein leichter Schmerz in der Magengegend, ein unruhiges Zucken am Auge. Es war so weit.

 

Er setzte sich auf den Balkon. Eine Decke um den schmalen Körper geschlungen.  Dann knipste er das Leben an. Während seines um ihn im Nebel versank, sprudelte anderes aus ungezählten Quellen hervor.

 

Da waren sie.

 

Lichter in der Dunkelheit. Hinter Glas, in einem Monitor. Sie begrüßten ihn wie alte Freunde.

 

Er war on.

Nebelende

Die Krüppelkiefern beugen ihr Haupt auch ohne Sturm. Krumm stehen sie hinter den Dünen im Nebel. Leise schlägt das Meer an den Strand. Rhythmisch wie der Flügelschlag der Möwe.

 

Nirgendwo ein Ende in Sicht. Nicht auf dem Meer, nicht auf dem Strand oder im Hinterland. Alles verschwindet im Grau. Die Luft ist schwer vom Wasser und legt sich wie eine Decke um mich. Die Nässe dringt durch die Fasern. Entführt mir die Wärme. Sie steigt auf und verliert sich in der Leere über mir. Greifbar bleiben nur die Kiesel. Klein und bunt und kalt.

Geschmolzener Schnee

Straße der Nacht

Schattenbäume

Dazwischen ich

 

Schneeflocken

Wirbel und Tanz

Im Traume

 

Das Ende so klar

In Tropfen gezählt

Gespiegelt: Nichts

Ohne dich

 

 

 

nichts blieb von

deinem ich bleib

ich bin du nicht

ich war ohne dich

werde ich nicht sein

nicht da nicht hier

in keiner Welt

bleibt dein ich bleib

Eingehüllt

 

gekleidet in  den Mantel der Verzweiflung

die Taschen längst zerrissen und stets leer

halt ich die Sehnsucht um den Hals geschlungen

wie einen Schal, zu lang, zu warm, zu schwer

 

 

und glitzernd spinnt ein Faden seine Knoten

hält unentwirrbar fest an dem Verstand

ertränkt Vernunft die unverstand´ne Ahnung

von dem versteckten, tief entfachten Brand

 

 

todmüde raffe ich die losen Schichten

der Eitelkeit um meinen kalten Leib

ein Windhauch stemmt sich gegen alte Zweifel

erstarkt, wird Sturm, bläst fort die Bitterkeit

 

 

er trägt mit sich die leise sanfte Stimme

die mir den Mantel von den Schultern nimmt

die mich erfüllt mit unbekannter Hoffnung

und meinen Schal noch enger um mich schlingt

Mondsteine

Bauchschmerzen. Auch meine gekrümmte Haltung ändert nichts daran. Mit angezogenen Knien sitze ich im Staub und werfe Mondsteine in das All. Sie nehmen Kurs auf die Erde. Ich beobachte ihren Flug. Die Bahn, die sie am Himmel ziehen, wenn sie verglühen.  Sie kommen nicht an. Nicht einer.

 

Es ist die Seite des Mondes, die immer der Erde zugewandt ist. Auf der sie immer sichtbar bleibt. Doch scheint die Zeit eingefroren. Stillstand. Stille.

 

Die Erde wechselt ihr Antlitz. Tag und Nacht wandern vor meinen Augen vorbei. Kontinente und Meere, schwarz, grün, braun und blau. Die Lichter in der Nacht, zeugen von Leben. Bis zu mir. Ohne mich.

 

Ich habe mich selbst auf den Mond geschossen, denke ich, und blicke hinter mich. Dort beginnt das Dunkel …

Hängebrücke

 

Hoch oben am Felsen

Aufgehängt, schwebt

Ein Steg über der Tiefe.

Nebelverhangen im

Grundton aus Furcht

Erklingen die Schritte

Bedroht in

Rhythmus

Und Kraft.

Ein Schwanken, Erzittern,

Chaos im Innern und Angst

Krümmen Anfang und

Ende in eine Richtung.

 

(Akrostichon)

Hoffnung und Zorn

 

Als die Geige verstummte, verlor das Meer seinen Klang. Eine Rauschen blieb. Das Ende einer Geschichte. Schnee auf dem Bildschirm der Zeit.

 

Wenn der Morgen durch den Himmel bricht und die Nacht sich in Träumen verliert, gebiert die Angst zwei Söhne. Die Sonne wärmt den einen, der andere kneift geblendet die Augen zusammen. Lachen. Zaghaft klingt es aus des Kleineren Mund. Er wächst nicht so schnell, läuft gebrechlich an der Liebe Hand.

 

Das Lachen des Anderen ist wie der Raureif einer frühen Oktobernacht auf der Herbstrose. Für den Moment ein berührendes Bild, doch letztlich tödlich.

 

Der Eine klammert sich an einen Strohhalm. Der Andere nimmt sich, was er braucht.

 

Wer wird am Ende überleben?

Wort auf Grund

In der Finsternis bahne ich mir einen Weg. Durch die Berge und Täler des Verstandes. Steige hoch hinauf in dem Versuch zu Verstehen. Stürze tief hinab bei der Erkenntnis, dieses nicht zu vermögen. Dann blättere ich zurück. Lese erneut die Worte der Weisheit und des Trübsals, höre und erspreche sie. Lasse sie auf der Zunge zergehen und in mein Inneres rieseln. Einige davon kommen an. Andere verglühen auf dem Weg und hinterlassen bittere Asche. Wieder andere platzen Seifenblasen gleich, bevor sie Eingang finden. Doch jenes, was den Grund der Dunkelheit erreicht, erblüht in einem warmen Licht, treibt aus in den unglaublichsten Farben. Lässt Bilder erwachsen und Filme laufen. Aus dem Herzen in den Kopf und wieder zurück. Ein neues Leben.

 

Und am Ende schlage ich das Buch zu, trinke meinen Tee aus. Der Blick fällt aus dem Fenster in die reale Welt. Grau, verregnet und kalt …

Die Drei

Gesprungener,

der du der Kanzel  entronnen,

dem Teufel im Fluge das Zepter geklaut.

 

Geflohener,

der an der Straße die Bäume

mit Nägeln bestückt und die Rinde geschält.

 

Gebrochener,

der aus Angst vor der Leere

die Schwärze mit Geistern aus Schmerzen befüllt.

 

Die Drei sind der Eine und einer ist drei,

doch keiner von ihnen ist wirklich dabei.

Verloren

Ein Sturm, der tobt, gibt lange keine Ruhe,

er hallt noch nach, wenn alles schon verstummt.

Ich werd nicht los, was lange mich begleitet.

Kann nicht so sein, wie du mich gerne willst.

 

Sei ohne Furcht, leg dich auf meine Hände.

Sie tragen dich, wie salzig schweres Meer.

Lass einfach los, gestatte dir zu treiben,

es ist der Weg, er findet sich von selbst.“

 

Ich höre dich, auch wenn du das bestreitest.

Ich weiß um mich und deinen weisen Rat.

Doch glaub ich dir kein einz´ges deiner Worte

weil du nicht lebst, was du mir nahe legst.

 

Denn du, mein Freund, hast dich längst aufgegeben.

Du hast die Furcht in Flaschen abgefüllt.

Nichts trägt dich hier, du kannst nicht mehr vertrauen,

ein Schattenspiel, das mich nicht mehr erreicht.

Schwarze Wälder

Tief im Dunkel dieser Tage
Zwischen Bäumen alt wie Stein
Trägt das Holzgesicht Geheimnis
Kalt und wärmer, groß und klein

 

Finsternis verschluckt die Sonne
Spiegel ohne Spiegelbild
Lautlos atmet dieses Leben
Manchmal zarter, manchmal wild

 

Steil der Abgrund in die Tiefe
Schwarz das Ende nach dem Fall
In die Seele eines Menschen
Ohne Echo, ohne Hall

Weisheit (?)

Ein Wolkengreifer

himmelwärts

gestreckt den langen Arm.

 

Ein Steineschlucker

tief gebückt

mit Last in seinem Darm.

 

Ein Sternensänger

lieblich tönt

der Träume Wohlgestalt.

 

Ein Seepferdfänger

gut versteckt

im Meeresalgenwald.

 

Ein Niemand sieht den

anderen nicht,

ein jeder bleibt allein.

 

So bleiben auch bei

Trennungen

die Schmerzen eher klein.

Übergang

 

Im Takt der Sonne

zählt jeder Schlag

die Zeit

 

Stillstand

 

lebendig in

Erinnerung

Halt fest, bis es schmerzt

Mein Blick hinter den Gedanken irrt ruhelos umher. Traumlos über steinige Felder und durch heißen Staub. Zu lange schon außerhalb, einer Richtung beraubt. Wenige Schatten säumen den Weg und verblassen in der Dämmerung. Im Dunkel das Nichts.

 

Doch werde ich berührt. Spüre die Wärme Deiner Hand in meinem Rücken. Die Finger, die sich um meinen Nacken legen, kurz bevor der Abgrund droht. Worte, die sich in meine Augen schreiben und mir Fesseln anlegen. Fesseln, die verhindern, dass ich mir noch mehr Schaden zufüge. Du hast ihn gefunden, den fehlenden Teil meines Ichs und hältst ihn in zitternden Händen. 

 

Dein Gesicht sehe ich nicht, Dein Blick brennt sich hinter meine Stirn.

 

Halt fest, bis es schmerzt und die Abdrücke Deiner Finger sich durch tiefe Schichten bohren. Trag mich nach Hause, wenn ich mich nicht mehr auf den Beinen halten kann und die Angst mir den Atem raubt. Betäub mich, wenn ich schreiend um mich schlage. Schweige mit mir, wenn mich nur noch die Musik zu erreichen vermag.

 

Aber nur ein Wunsch, ein Gedanke zählt wirklich. Er stellt die Wände der Welt wieder senkrecht und deckt die Leere zu:

 

Einmal Deine Hand in meiner zu halten.

Dein ist Mein

du bist traurig und ich weine deine Tränen
wie Salzkristalle wachsen sie in mir

 

deine Angst  verschnürt mir meine Kehle
die Not in dir behält mich fest im Griff

 

du bist glücklich, ich lache durch den Morgen
mir ist nach tanzen, ich fühl mich wie ein Kind

 

bist du wütend, verliert mich die Beherrschung
ich bin ganz heiser von deinem lauten Schrei

 

und wenn du träumst, erkenne ich die Bilder
sie füllen tief in mir die Sehnsucht wieder auf

 

Ich fühle das, was dir die Welt bedeutet.
Oder war es umgekehrt?

Schwarze Angst

schwer trägt die Nacht
die Furcht der Verlorenen
die Haltlos ins Dunkle
der Schatten verbannt

 

es bleiben die Geister
im Nebel lebendig
und halten der Panik
die faulige Hand

 

sie kriechen durch
endlos verzweigte Synapsen
erfrieren den Zugang zu
Freude und Glück

 

erschaffen Gedanken
Gefühle und Schmerzen
und bringen das Leben
ins Nichtsein zurück

Was wir sehen, und was nicht

Die Oberfläche ist rissig, die Poren trocken. In jede Falte erfülltes Leben gemalt. Das Lachen grub sich ein. So viele Male. Mit schmalen Wangen und grauem Haar sitzt er auf der Bank vor dem Haus. Die Augen geschlossen, wärmt die Frühlingssonne das schlanke Gesicht. Der Geruch von Erde und erwachendem Gras zieht in seine Nase. Frühling. Die langen Finger schieben sich unter seine Jacke, legen sich auf die Brust. Halb wachend, halb träumend, halb schlafend.

 

Das kleine Tor quietscht leise, als es vorsichtig geöffnet wird. Leise Sohlen nähern sich dem Träumenden. Schlanke Hände berühren ihn sacht und ein Wesen lässt sich geschmeidig auf die Wiese ihm zu Füßen sinken. Ein Kopf legt sich auf den Oberschenkel. Seine Finger wandern in das seidig glänzende Haar und streicheln zärtlich über die zarte Haut ihres Nackens.

 

Die andere Hand schließt sich um ihre Finger. Sie verschlingen sich ineinander und sie zieht die sehnige Hand an ihre Lippen. Legt die warme Wange hinein.

 

„Ich bin da.“

 

Das Flüstern lässt ihn die Augen öffnen und auf sie hinunterschauen. Das Leben in dem Grau nimmt sie gefangen. Klar und sanft streichelt sein Blick ihr Gesicht.

 

„Ich weiß.“

Anders

 

Mein Freund,

Deine Augen sind der Eingang zur Welt. Klar wie das eiskalte Wasser des Bergsees  sehe ich das Leben in ihnen. Lebenserfahrung. Ruhe, ja Ruhe strahlen sie aus, aber auch das Schelmische, Andere, dass mich immer wieder zum Lachen bringt. Du bist Du und nimmst mich mit auf Deine Reise.

In meinem Kopf klingen Deine Worte und binden mir ein Segel um den Leib. Abheben möchte ich. Davonfliegen. Unsere Sehnsüchte wirbeln unter dem Tuch und tragen uns davon. Weit über das Land, das Meer hinein in die Zeit. Eine Zeit, die nur uns gehört. Die uns jung oder alt macht, schlank oder kräftig, groß oder klein. Eine Zeit, in der alle Regeln und Verpflichtungen verstummen und Oberflächen verblassen.

Dein Lachen weht uns voran. Der lächelnde Blick zur Seite, ein Gedanke, den Du mir nicht verrätst. Und Deine Hand, die sanft und doch fest die meine hält.

Lass uns fliegen, mein Freund. Den Träumen hinterher jagen und vor den Sehnsüchten verstecken. Im Sonnenlicht des Lebens tanzen und in der Nacht als Sternenfänger Glasperlen suchen.

Lass mich Dein Traumfänger sein.

Impressum

Texte: Sappho Sonne
Bildmaterialien: Sappho Sonne
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2014

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