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16. Dezember 1891
Abschied für immer

Wunderschön und eiskalt war die Nacht, der Schnee glitzerte im Schein des Vollmondes und die Luft war unheimlich klar. Einige Wolken verschleierten die Sicht auf die Sterne. Nur ab und zu funkelte eine glühende Sternschnuppe auf und verzierte den mitternachtsblauen Himmel mit einem leuchtenden Band.
Die ganze Landschaft wirkte wie verzaubert. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Im Norden erstreckte sich an einem Hügelzug das kleine Dorf, fast unsichtbar wegen seiner dicken Schneedecke und nur als dunkle Silhouette in der Ferne zu erkennen.
Das alte, verwunschen aussehende Gutshaus mit den vielen kleinen Türmchen und unzähligen Anbauten wirkte auf den ersten Blick wie verlassen. Etwa 5 Kilometer weit vom Dorf entfernt, stand es etwas erhoben auf einem kleinen Hügel, mit dunklen Fenstern, die wie leere Augen in die Nacht starrten.
Doch auf der anderen Seite des Hauses, die einem zugefrorenen See und dem Wald zugewandt war, fiel ein Lichtschimmer durch eines der grossen Glasfenster im Erdgeschoss.
Es war, als herrschte zwischen dem Raum im grossen Haus und dem Dunkel der Nacht eine unsichtbare aber mächtige Barriere.
Drinnen brannte ein heisses Feuer im Kamin, welches dem kleinen Raum Wärme und Licht brachte, genau das was draussen in der Nacht fehlte.
Alles wirkte so ruhig, so idyllisch so märchenhaft, so trügerisch.
Ein lautes, kratzendes Husten zerschnitt die Stille und zerstörte den Moment der Harmonie.
„Laviniana?“ der junge Mann, der auf einem Stuhl neben dem grossen, hölzernen Bett sass, schaute besorgt auf die Frau, die darin lag.
„Alles wird gut.“ sagte er mit brechender Stimme.
„Nein…wird es nicht.“ wisperte die Frau mit einer Stimme, so schwach dass sie kaum hörbar war.
„Doch!“ meinte er etwas bestimmter.
Die Frau hustete wieder gequält auf, die Hand an die schmerzende Brust gepresst. Ihr Atem ging schwer und sie röchelte die ganze Zeit.
Eine einzige, glitzernde Träne floss an der Wange des jungen Mannes hinunter, während Laviniana erschöpft ihre Augen schloss.
Mit unendlichem Schmerz blickte er auf das hinunter, was von seiner einst wunderschönen, willensstarken Frau übrig geblieben war. Ein magerer, ausgezehrter Körper wie der einer alten Frau, ein eingefallenes Gesicht, das Leuchten in den Augen verschwunden.
Noch vor einem Monat umwellte eine prächtig blonde Lockenpracht ihr Gesicht. Die dünnen, fast grauen Strähnen die sie jetzt hatte, waren nichts dagegen.
„Es tut mir so leid Laviniana, es tut mir so leid“, wiederholte er immer wieder.
Laviniana brachte ein schwaches Lächeln zustande. Nur mit Mühe konnte sie noch ihre Augen öffnen.
„Du kannst…nichts…dafür.“ versuchte sie ihn zu besänftigen.
Er schüttelte den Kopf und vergrub ihn in seinen Händen. Warum sie? Dachte er verzweifelt. Laviniana ist noch so jung, sie hat es nicht verdient schon jetzt zu sterben.
Das ewige Leben wird eine Strafe für mich sein, dachte er. Und sie hat nicht einmal ein Ende. Ich hasse das Schicksal, es ist so ungerecht. Warum nimmt es mir das Liebste, das ich habe? Das einzige, wofür ich noch lebe?
„Devin…?“
Der junge Mann schreckte auf.
„Liebling, was ist?“ fragte er und blickte in die grossen, feenhaften Augen seiner Frau.
„Ich… ich war nicht…ich habe…“ sie stockte, hustete und verzog unter grossen Schmerzen ihr Gesicht.
„Beruhige dich“, sagte er sanft. „Du musst nicht mehr sprechen, es ist alles gut.“
„Nein…ich…hör zu…“ ihre Stimme versagte und sie klammerte ihre Hand fest in seine.
„Ich liebe dich, hörst du?“ Jetzt schrie er beinahe.
Ihr Atem wurde schwächer, ihre Hand lockerte sich, eiskalt fühlte sie sich an. Noch zuckten ihre Lieder und die Nasenflügel bebten sachte.
„Was immer du noch sagen wolltest mein Schatz, ich liebe dich. Und ich werde nie, nie, nie mehr eine Frau so lieben wie dich. Das verspreche ich dir, beim Namen unserer Liebe. Bis in alle Ewigkeit.“
Laviniana öffnete ihre Augen ein letztes mal und fand Devins Blick. Er sah Angst, Verzweiflung und Traurigkeit darin.
Dann schloss sie die Augen. Ein schwaches Leuchten umhüllte sie kurz und für einen Moment verwandelte sie sich in die betörend schöne Laviniana, mit blondem langen Haar, perfektem Körper und einem fein modelierten Gesicht, die sie früher war.
Dann verschwand sie und hinterliess ein leeres Bett und ein leeres Herz.
„Laviniana!“ schrie Devin fast ohnmächtig vor Schmerz und sackte auf dem Fussboden vor dem Bett zusammen.
Immer wieder schrie er ihren Namen, obwohl er tief in seinem Herzen wusste, dass sie nie mehr zurückkommen würde.
Die Zeit verging, die Sonne erhob sich golden strahlend über dem Horizont, die ganze Landschaft erwachte zum Leben, doch Devin konnte nur an den Tod denken. Was brachte es ihm nun noch aufzustehen und den schönen neuen Tag zu begrüssen, ohne Laviniana hatte es keinen Sinn mehr.
„Devin.“ Er schreckte auf, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er drehte sich um und blickte in das Gesicht seines besten Freundes Carl. „Komm.“ Sagte dieser sanft und half ihm sich aufzurichten und führte ihn zu den grossen Sesseln. Devin wischte sich eine Träne aus den geröteten Augen.
„Alles ist vorbei,“ sagte er.
„Nein, ist es nicht,“ sagte Carl. „Ich weiss Laviniana hat dir alles bedeutet, doch ihr hattet so eine wunderschöne Zeit zusammen. Denk nicht an das, was noch alles hätte sein sollen, denk an das was ihr gemeinsam erlebt habt!“
Devin schüttelte den Kopf und beklagte sich, dass es nicht gerecht ist, dass gerade sie, die wunderschöne und von Herzen gute Frau, so jung sterben musste.
„Sie war 19, Carl.!“
Carl nickte und er kannte Devin zu gut um zu wissen, dass keine Worte ihn mehr trösten konnten. Doch er war sich sicher, die Zeit würde alles heilen.
„Sie war doch so stark, ich kann nicht verstehen warum sie diese Krankheit bekam.“
„Trotzdem Devin, sie war zu schwach und ich habe mir schon so meine Gedanken gemacht, als ihre Verwandlung nicht wie bei den anderen schon kurz nach Einkunft in Mirrors-Hall einsetzte, sondern sich die Veränderungen erst nach einem halben Jahr bemerkbar machten.“
Devins Augen füllten sich wieder mit Tränen.
„Und immer ihre Zusammenbrüche, die sie vertuschen wollte. Und vor allem, ihre Mutter…sie ist keine von uns!“
„Ich weiss Carl,“ sagte Devin verzweifelt.
Diese Tatsachen wollte er nicht hören, schon seit zwei Jahren war er sie am verdrängen. Sein Kopf hatte ihn immer wieder gewarnt, doch sein Herz konnte nicht mehr stoppen, es hatte sich unwiderruflich in Laviniana verliebt.
Von Anfang an war es eine zum Scheitern verurteilte Sache gewesen, doch er hatte die Vorzeichen ignoriert.
„Ich dachte, ich könnte sie retten.“ Sagte er verbittert.
„Du hast alles getan, was in deiner Macht stand, Devin. Quäle dich nicht zu sehr, du hast keine Schuld.“
„Aber wie soll es nun weitergehen, Carl?“
„Willst du die Schule weiterführen Devin?“ fragte dieser.
„Ja, natürlich. Ich sehe sonst keinen Sinn mehr in meinem Leben.“ Traurig schweifte sein Blick nach draussen, wo die Wintersonne strahlte und alles in goldenes, warmes Licht tauchte. Schon wieder kamen ihm fast die Tränen.
„Wirklich? Bist du dir sicher, Devin? Ich könnte eine Weile auch alleine die Schule übernehmen und du fährst irgendwo hin und erholst dich. Kannst du dich auf die neuen Schüler konzentrieren, in wenigen Monaten beginnt das Schuljahr neu. Es ist noch so viel zu tun, schon nur die Briefe mit den Einladungen die wir noch verschicken müssen. Denkst du nicht, es überfordert dich?“
Zum ersten mal lächelte Devin wieder ein wenig. „Nein,“ sagte er bestimmt. „Mirrors-Hall ist mein Zuhause, das liebste was ich noch habe. Und ich brauche Arbeit, das lenkt mich ab.“
Carl nickte zwar, auf seiner Stirn bildete sich aber eine nachdenkliche Falte.
„Danke Carl, du bist mein bester Freund und ich weiss es wirklich zu schätzen, was du alles für mich tust und ich bin sicher du würdest diese Schule ohne mich hervorragend führen, aber ich kann hier nicht einfach weggehen.“
Die beiden schwiegen eine Weile, dann fragte Devin: „Wo ist eigentlich Dustin? Meine Frau stirbt…“ er stockte kurz und musste sich zuerst wieder fassen, bevor er weitereden konnte, „…und mein Zwillingsbruder lässt sich nicht blicken?“
Carl schnaubte. Devin wusste, dass Carl nicht allzu viel auf Dustin hielt. „Er ist schon seit gestern Morgen verschwunden, genau seit dann als Laviniana im Speisesaal zusammenbrach. Er ist einfach gegangen. Keine Ahnung, was er wollte. Aber vergiss ihn, er ist es nicht wert, dass man sich über ihn aufregt.“
Devin sagte nichts mehr. Dustin war schon immer sehr flatterhaft gewesen. Oft verschwand er einfach, ohne jemandem etwas zu sagen Bis jetzt war er immer wieder aufgetaucht und so würde es auch heute sein. Doch es verletzte ihn sehr, dass sein Zwillingsbruder nicht zu ihm kam um ihn zu trösten. Der Mensch, der ihm sein langes Leben lang immer am nächsten stand.
Aber wenn er sich eingestand, er hätte überhaupt nicht erwartet, dass Dustin Lavinianas Tod wirklich sehr bedauern würde. So hart es auch klang, die beiden mochten sich nicht sehr. Laviniana benahm sich immer etwas zurückhaltend und irgendwie merkwürdig wenn Dustin dabei war. Und vor ihrer Hochzeit hatte Dustin noch sehr eindringlich mit Devin über Laviniana geredet. Er wollte unbedingt verhindern, dass sich Devin mit ihr vermählte.
„Warum nicht, Dustin?“ Hatte er gefragt.
„Sie ist nicht die gute, schöne und perfekte Frau, für die du sie hältst. Sie spielt ein falsches Spiel.“
„Was hat sie denn gemacht, Dustin?“ antwortete Devin damals verärgert.
„Sie…ich kann es dir nicht sagen. Aber ich bin dein Zwillingsbruder, Devin! Bitte vertrau mir…sie ist nicht die richtige für dich.“
Devin hatte nur verärgert den Kopf geschüttelt und seinem Bruder befohlen, das Weite zu suchen. Seit diesem Vorfall, hatte sich das Verhältnis der beiden Brüder deutlich abgekühlt. Sie sprachen nie mehr über diese Sache, Devin hatte sie verdrängt und auch Dustin hatte nach der Hochzeit nie mehr etwas davon erzählt…
„Devin!“ Carls stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Was?“ sagte er erschrocken.
Carl schwieg, doch er sah sehr besorgt aus, und da gab sich Devin einen Ruck und sagte: „Komm Carl, es gibt so viel zu tun.“
Devin erhob sich, klopfte den Staub von seinem schwarzen Anzug. Ein lächeln spielte um seine Lippen, doch seine Augen erreichte es nicht.


14. Juli 2011
Ankunft in Mirrors-Hall

„Krass man! Ey, Ruby sieh dir das an, das glaubst du nicht!“
Ruby richtete sich auf und rieb sich mit den Händen ihre verschlafenen Augen.
„Was ist Keira?“ fragte sie.
„Boah, sie dir diesen fetten Kasten an! Das nenn ich eine Partylocation.“
Keira verstrubbelte vor Aufregung ihre schulterlangen, blonden Haare und ein dickes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Keira, das ist eine Schule.“ Verdarb Ruby ihr den Spass.
„Schule ist Party.“ Gab diese nur schnippisch zurück. Dann wurden sie beide nach vorne geschleudert, weil der Chauffeur ihres Autos abrupt bremste.
„Hey!“ rief Keira dem Chauffeur zu. Doch dieser dieser stieg nur aus ohne ein Wort zu sagen und als sie die Türen öffnen wollten, merkten sie dass sie verschlossen waren.
„Alter!“ rief Keira wütend, „was soll der Scheiss!“
Der Chauffeur drehte sich langsam nach hinten zu Keira um. „Gnädige Damen“ sagte er mit einer unheimlich arroganten Stimme. „Darf ich sie bitten, noch ein wenig Geduld zu haben und hier im Auto zu warten? Ich hole gleich den Schlüssel für das Tor, dann fahre ich sie hinein.“
„Schon gut.“ Beschwichtigte Ruby, „Es tut mir leid, Mister.“ Sie warf Keira einen bösen Blick zu.
„Du kannst doch zu einem Chauffeur nicht Alter sagen!“
„Stimmt“, entgegnete Keira cool. „ Er is ja nicht mein Lehrer.“
Ruby seufzte nur und schüttelte den Kopf. Sie hatte Keira erst vor einem Tag am Londoner Flughafen getroffen, doch war sie sich schon ziemlich sicher, was sie für eine Art Mensch war.
„Aber der Typ sieht eigentlich recht heiss aus. Ein bisschen altmodisch sein Anzug, aber der spielt echt in meiner Liga. Was meinst du, er ist doch etwa dreissig?“
Ruby stöhnte leise auf.
„Du bist doch siebzehn.“ Sagte Ruby.
„Ja eben.“ Meinte Keira.
Ruby fand den Chauffeur zwar auch ziemlich symphytisch, seine blonden Haare waren ziemlich cool aufgegelt gewesen und seine hellblauen Augen leuchteten aus seinem markanten Gesicht heraus. Doch er war etwas dreissig, sie siebzehn. Da kam ihr gar nicht in den Sinn, das sie etwas mit ihm haben möchte. Im Gegenteil zu Keira - diese schwärmte gerade ein bisschen unter der Gürtellinie von dem Chauffeur, so dass Ruby beinahe rot wurde.
Um sich ein wenig abzulenken, griff sie in ihre Handtasche und beförderte einen ziemlich zerknittert aussehenden Brief zum Vorschein. Sie hatte ihn bestimmt schon tausendmal gelesen und konnte ihn immer noch nicht ganz begreifen. Dieser Brief war der Grund, warum sie hier in diesem Auto irgendwo abgelegen in England war, hunderte von Kilometern weit weg von ihrem Zuhause. Dieser Brief war auch der Grund, warum Keira neben ihr sass. Sie beide waren so unterschiedlich, doch hatte das Schicksal den gleichen Weg für sie gewählt.
Langsam faltete sie das weisse Papier auseinander und las:

Sehr geehrte Miss Rubinia Ruscue

Hiermit teile ich ihnen mit, dass sie an der „Vampire-School of Mirrors-Hall“ aufgenommen wurden.
Diesem Brief liegt ein Flugticket von New York nach London Heathrow sowie ein Zugticket nach Roofbarrow bei. Dort wird sie ein Chauffeur erwarten.
Sicher haben sie jetzt viele Fragen und wissen nicht, was wir von ihnen wollen.
Sie wurden schon vor ihrer Geburt ausgewählt, denn sie sind ein Vampir und die Verwandlung wird kurz nach ihrer Ankunft in Mirrors-Hall eintreten. Nur hier sind sie in dieser schwierigen Phase gut aufgehoben und wir können ihnen helfen.
Fragen sie noch nicht nach dem Sinn…achten sie auf die Zeichen! Sie begeben sich in ernsthafte Lebensgefahr, wenn sie die Reise nicht antreten.

Ich hoffe, bis bald
D. Arnield-Noxtown

Als sie zum ersten mal den Brief gelesen hat, hat sie erstmals laut losgelacht. Sie hatte gedacht, es ist irgendeine Verarschung von einem Spinner. Ihr Lachen ist aber verschwunden, als sie das Flugzeugticket entdeckt hatte. Trotzdem hatte sie nicht daran geglaubt und das Ticket mit dem Brief in ihrem Schreibtisch verstaut.
Sie hatte es weder ihrer Mum noch ihrem Dad erzählt und dann einfach vergessen. Bis etwas merkwürdiges Geschehen war.
Es war Mittwoch und sie hatte ihren freien Nachmittag. Mit ihrer besten Freundin Ella war sie in ihrem Lieblingscaffè. Der Kellner hatte ihr gerade ihren Lieblingseisbecher gebracht und sie wollte davon kosten. Sie nahm einen Löffel Eis in den Mund und liess ihn langsam auf ihrer Zunge schmelzen. Komisch, hatte sie gedacht. Es schmeckt nach gar nichts.
Und so ist es weitergegangen. Was immer sie essen wollte, es schmeckte nach nichts!
Doch das war nicht alles. Eines morgens wachte sie auf und sie hätte schwören können, dass ihre Haare etwa 15 cm länger waren.
Schnell hatte sie sie am Morgen im Badezimmer noch abgeschnitten, damit niemand etwas merkte.
Was geschieht mit mir? Fragte sie sich.
Dann erinnerte sie sich an den Brief. …achten Sie auf die Zeichen… stand da. Aber sie hatte ihn noch einmal weggelegt, weil das was hier stand schlichtweg nicht möglich war.
Doch dann ist etwas Unglaubliches geschehen und sie konnte die Sache nicht mehr verdrängen.
Am Morgen stand sie wie gewohnt auf und machte sich auf den Weg in die Schule. Etwas gedankenlos lief sie über sie stark befahrene Strasse. Ein hellblauer Van hatte sie aber irgendwie übersehen, und so kam es dass sie voll in seine Fahrbahn geriet. Sie hatte keine Chance mehr, weg zu rennen und so raste er mit voller Wucht in sie herein. Im Moment des Zusammenpralls sah sie in die vor Schrecken weit geöffneten Augen des Van-Fahrers. Sie erwartete grosse Schmerzen, ihren Tod und sah schon ihr Leben wie ein Film vor sich ablaufen.
Der Van traf sie voll an den Beinen, was sie aber nur als leichten Stoss spürte und sie flog leicht wie eine Feder durch die Luft und landete etwa 5 Meter weiter auf dem Trottoir. Völlig erstaunt, dass sie überhaupt keine Schmerzen hatte, blieb sie erstmals eine Weile liegen. Dann rannten viele Passanten und der Van-Fahrer auf sie zu, um zu schauen was ihr passiert war. Alle waren richtig verblüfft, als sie an ihrem Körper nirgends denn kleinsten Kratzer fanden. Fassungslos rappelte sie sich auf und lief der staunenden Menschenmenge davon.
Zuhause kramte sie sofort den Brief hervor. Dann schaue sie auf das Datum, welches auf dem Flugticket stand. „13 Juli… verdammt das ist heute!“ hatte sie geschrien. Als sie festgestellt hatte, dass ihr Flug schon in zwei Stunden war, hatte sie eiligst gepackt, ihren Eltern eine Nachricht geschrieben und nahm ein Taxi zum New Yorker Flughafen.
Und jetzt sass sie tatsächlich hier in England und konnte noch immer nicht ganz glauben, dass das hier kein Traum war.
Ein lautes Klopfen an die Fensterscheibe des Autos holte Ruby und Keira endgültig in die Realität zurück. Sofort beendete Keira ihre Schwärmerei für den Chauffeur, da dieser gerade geklopft hatte. Er öffnete ihnen die Türe und liess sie aussteigen.
„Danke, Sir“ sagte Keira und schenkte ihm ein offenherziges Lächeln. Ruby stieg hinter Keira hinaus, den Blink gesenkt, weil sie die Sonne blendete.
„Willkommen in Mirrors-Hall.“ Sagte eine dunkle und angenehme Männerstimme.
Langsam hob Ruby ihren Kopf und sah in die strahlend blauen Augen eines etwa 20 jährigen, jungen Mannes. Seine Augen fixierten sie, ja es schien als würde er ihre Seele fesseln. Sie konnte nicht länger diesem Blick standhalten und senkte ihren Kopf wieder.
Der Mann gab Keira die Hand. An ihrem Gesicht konnte Ruby genau sehen, was Keira dachte: Hier steht der bestaussehendste, schönste Mann aller Zeiten. So sexy, so geheimnisvoll, so…
„Ich bin Devin Noxtown.“ Sagte er wieder mit dieser betörenden Stimme.
„Hallo Mr. Noxtown. Ich bin Keira.“ Flötete Keira. „Keira Alicia Keeler.“
Der Mann nickte und wandte sich Ruby zu. Mit seiner Hand fuhr er sich durch das etwas längere, schwarze Haar.
„Hallo!“ sagte er zu Ruby. „Sie sind doch Miss Rubinia Ruscue? Willkommen!“ er gab ihr die Hand, aber sie traute sich nicht, ihn anzusehen.
Scheu flüsterte sie: „Guten Tag, Mr. Noxtown.“
„Carl, vielen Dank, dass du die Mädchen abgeholt hast. Ich weiss eigentlich ist das ja Gustavs Aufgabe. Aber du weisst ja, er ist immer schrecklich mürrisch am ersten Schultag.“
„Schon in Ordnung, Devin.“ Meinte der Chauffeur zu Mr. Noxtown. Keiras Augen weiteten sich. „Sie sind nicht der Chauffeur?“ wandte sie sich ein wenig erschrocken an Carl.
Ruby sah ein wenig belustigt in ihre Augen und merkte, dass es Keira unglaublich peinlich war, dass sie ihn „Alter“ genannt hatte.
„Nein.“ Sagte Mr. Noxtown. „Mr. Whittingfield ist mein Vertreter, das heisst der zweithöchste Mann auf Mirrors-Hall.
Keiras solariumgebräunte Haut wechselte schlagartig auf tomatenrot und Ruby musste leise kichern.
Dann packte Mr. Noxtown den Koffer von Ruby und Mr. Whittingfield den von Keira.
„Meine Damen, sie sind sicher müde.“ Meinte Mr. Noxtown. „Carl und ich zeigen euch eure Zimmer, dann habt ihr Zeit euch ein wenig auszuruhen. Um sieben gibt es Nachtessen in der grossen Halle, ich werde euch noch zeigen, wo die Räumlichkeiten liegen.
Als wäre er leicht wie eine Feder hob er Rubys Koffer hoch und lief auf dem breiten Kiesweg auf das Haus zu. Endlich hatte Ruby Zeit, ihn unauffällig zu beachten.
Beim Laufen warf mit einer schwungvollen Kopfbewegung seine Haare nach hinten. Sie waren etwas länger und schienen auf den ersten Blick schwarz. Doch Ruby sah, dass sie dunkelbraun waren, wenn man nur genau hin schaute und die Sonne darauf schien.
Er hatte eine hohe Stirn mit dunklen, schmalen Augenbrauen die sein Gesicht ständig etwas kritisch aussehen liessen. Seine Nase war schmal und gerade, die Wangenknochen ziemlich hoh. Er sah aus, als sei er ein direkter Urahn einer alten, englischen Adelsfamilie.
Seine Lippen waren voll und symmetrisch, sein Kinn markant, seine Haut war ziemlich blass, was ihn ein wenig kränklich aussehen liess. Aber Ruby fand ihn einfach göttlich, sie hatte noch nie so einen schönen Mann gesehen.
Mr. Noxtown hatte aber wohl gemerkt, dass Ruby ihn anstarrte und schaute fragend zu ihr hinüber, sie wurde rot und senkte denn Blick. Nun waren sie beim grossen Eingangstor angekommen. Carl, der zuvorderst war, öffnete das Tor und liess Keira und Ruby zuerst hinein.
Das erste, was Ruby sah, war ein riesiges Gemälde einer jungen Frau mit blonder Lockenpracht. Es hing gegenüber an einer Wand, mit goldenem Rahmen. Die grossen, dunkelblauen Augen der jungen Frau schauten etwas kühl, der Mund war zu einem etwas gemeinen Lächeln verzogen. Ruby fragte sich, wie jemand so ein Bild aufhängen konnte. Sicher, die Frau war wunderschön, die feinen Augenbrauen, die hohen Wangenkoche und der zierliche Mund wirkten richtig edel und anmutig. Doch Ruby fand die Frau überhaupt nicht sympathisch, im Gegenteil. Für Ruby wirkte ihr Lächeln so, als hätte sie ein Geheimnis, ein dunkles, abscheuliches Geheimnis, das am besten für immer im Verborgenen bleiben sollte.
Als sie rechts neben dem Gemälde vorbei gingen, konnte Ruby am unteren Rand des Rahmens lesen: L. Noxtown, Frühling 1890. Sie dachte, dass diese Frau eine Ururgrossmutter oder so von dem heutigen Mr. Noxtown war und deshalb das Bild noch hier hing. Sie wandte sich davon ab und folgte den anderen in die grosse Eingangshalle.
Hier verschlug es ihr die Sprache. Der Raum war riesig, sicher 5 Meter hoch und etwa 15 auf 10 Meter gross. An den Seiten gab es zwar keine Fenster, dafür war aber alles verspiegelt. Das einzige Licht kam von einem kleinen Kronleuchter mit etwa 100 Kerzen von der ebenfalls verspiegelten Decke. Und trotzdem war der Raum hell und lichterfüllt. Die Flamme der wenigen Kerzen wurden von den Spiegeln nämlich tausendfach gespiegelt, und so schien der Raum voller Licht und Kerzen. Bei genauerem Hinsehen erkannte Ruby, dass die Spiegel an den Wänden nicht einfach glatt waren, sondern aus unzähligen, kleinen diamantförmigen Stücken bestanden. Sie bildeten eine unebene Fläche, die das Licht der Kerzen in noch viel mehr Richtungen streuten, als ein glatter Spiegel es schon getan hätte.
Der Abschluss des Raumes bildete eine gewaltige Freitreppe, die, ebenfalls mit verspiegelten Seiten, hinauf führte.
Mit offenem Mund schaute sich Ruby um. Und sogar Keira, die sonst nur schwieg, wenn es etwas zu essen gab, war sprachlos.
„Willkommen in Mirrors-Hall“, sagte Devin Noxtown und lächelte.


Das Tagebuch von Lady Nightmore

Müde und erschöpft liess sich Ruby auf das weiche Himmelbett in ihrem grossen Zimmer fallen. Die Zeitumstellung machte sich erst jetzt recht bemerkbar.
Nein, ich darf jetzt noch nicht schlafen. Mr. Noxtown hat gesagt, dass ich noch zum Abendessen kommen muss. Ruby stellte sicherheitshalber ihr Handy. Dann legte sie sich wieder hin und sah sich ein wenig im Zimmer um. Wie überall in diesem Haus hatte es hier viele Spiegel. Eine hübsche Schminkkommode stand an der einen Wand, an einer anderen ein grosser Kleiderschrank. Sie stand rasch auf und spähte hinein, hoffte etwas Interessantes zu finden. Aber er war leer. Auch in einer verzierten Holztruhe, die unter dem grossen Fenster mit Buntglas stand, war nichts. Etwas enttäuscht zog sie die Schublade des kleinen Nachttisches heraus. Schon wieder nichts. Als sie die Schublade wieder zumachen wollte, klemmte diese. Und obwohl Ruby alle Kraft aufwendete, um sie wieder zu verschliessen, es gelang ihr nicht. Sie versuchte, die Schublade etwas hinauszuziehen, vielleicht würde sie sich ja so lockern. Ruby schrie leise auf, als die Schublade sich ohne Widerstand hinausziehen liess und mit einem Poltern auf den Boden, fast auf ihre Füsse, fiel.
Schnell hob sie sie wieder auf und hoffte, dass sie nicht beschädigt war.
Sie versuchte erneut, die Schublade in das Loch zu bringen, aber irgendetwas klemmte und so spähte sie in das Loch hinein. Überrascht bemerkte sie ein kleines, braunes in Leder gebundenes Buch. Sie nahm es heraus, legte es aufs Bett und brachte endlich die Schublade hinein. Dann widmete sie sich dem Buch. Es sah ziemlich alt aus, beim raschen Durchblättern sahen die Seiten gelblich und vergilbt aus. Beim näheren Hinsehen erkannte Ruby, dass jemand das ganze Buch mit heller Tinte in einer kleinen, fein geschwungenen Schrift vollgeschrieben hatte.
Auf der ersten Seite begann sie zu lesen und war sofort gefesselt von der Lebendigkeit des Textes.

18. Juli 1890

Geliebtes Tagebuch, wenn du wüsstest, wie sehr ich dieses Haus hasse! Schon nur der Geruch, so alt und abgestanden, als wäre hier jemand gestorben!
Sie haben gesagt, dass Mirrors-Hall mein neues Zuhause sein wird, doch habe ich hier kein Gefühl von Heimat. Es ist so düster und die vielen Spiegel machen mich nervös. Ich weiss sowieso nicht, warum ich hier bin. Vor einer Woche bekam ich diesen seltsamen Brief, ich habe ihn Mutter und Vater gezeigt weil ich nicht gewusst habe, was damit zu tun sei. Vater hat so ernst geschaut, doch hatte ich dass Gefühl, er verstehe. Mutter war den restlichen Abend sehr aufgelöst und redete nicht viel. Doch alles was mein Vater mir sagte, war, dass ich es verstehen würde. Meine Koffer wurden in Windeseile gepackt und nun bin ich hier. Ich fühle mich so einsam, so verlassen! Seit wenigen Minuten bin ich nun in diesem Zimmer, das meins sein soll. Und was haben sie mir erzählt, was haben sie darüber gesagt, dass ich hier bin? Nichts. Kein Wort.

Hier endete der Eintrag vom 18 Juli. Bevor Ruby
Weiterlesen konnte, öffnete sich ohne Vorwarnung ihre Zimmertüre. Mit einer reflexartigen Bewegung versteckte Ruby das Buch unter ihrem Kissen.
„Scheisse man, geile Bude!“
Der junge Mann, der soeben unerwartet in Rubys Zimmer geplatzt war, sah sich beeindruckt um.
„Der Kasten hat ja echt was in sich!“
Sprachlos sass Ruby auf dem Bett und starrte ihn an.
Da endlich bemerkte er sie. Eigentlich hätte Ruby jetzt erwartet, dass er sich entschuldigen wird und das Zimmer wieder verlässt. Aber es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass sich noch jemand im Zimmer befand, dass allen Anschein nach auch nicht seins war.
Im Gegenteil. Er begann zu grinsen und pfiff dann leise.
„Und du Täubchen gehörst wohl auch zum Inventar.“
Ruby hatte keine Chance zu reagieren, da kam er schon auf sie zu, packte ihre Hand und schüttelte sie.
„Hi, ich bin Chester, doch nenn mich bitte Chess.“ Er grinste sie immer noch an und fuhr sich mit der Hand durch sein sehr kinnlanges, dunkles Haar.
Sprachlos über seine Frechheit konnte Ruby immer noch nichts entgegnen.
„Naja, jedenfalls, ich glaube, dass Zimmer hier ist falsch.“
„Ja…das ist es.“ Sagte Ruby tonlos und mit eiskalter Stimme.
Doch er blieb einfach bei seinem Lächeln und erzählte weiter.
„Dieser schmierige Typ da, Newtown-oder so- wollte mich zu meinem Zimmer führen. Hallo? Ich meine…wie schwul klingt denn das, bitte schön? Ich hab dem gesagt, dass ich das alleine schaffe. Und wenn ich ehrlich bin, hat es sich gelohnt.“
Er setzte sich neben Ruby und legte ihr den Arm um die Schulter.
Aber jetzt reichte es ihr endgültig. Grob stiess sie Chess an der Schulter von sich weg.
„Nein… es hat sich nicht gelohnt.“ Sagte sie wütend und stand auf. „Und ER heisst Mr. Noxtown!“ fügte sie spitz hinzu.
„Oh entschuldige…ich wusste nicht dass Fräulein auf unseren Mr. Schleim steht.“ Antwortete er spöttisch.
Obwohl es Ruby wollte, konnte sie nicht verhindern, dass sie errötete.
„Was ist denn hier los? Chessi…kleiner, kommst du mit mir? In meinem Zimmer ist so eine grosse Spinne!“
Chester und Ruby blickten zur Tür, wo Keira in einem enganliegenden schwarzen Minikleid erschienen war und gerade eben mit ihrer verführendsten Stimme gesprochen hatte.
„Ich komme.“ Sagte Chess sofort und lief zu ihr. Er lief ohne einen Blick zurück zu Ruby an Keira vorbei aus dem Zimmer.
Als er gegangen war und auch Keira schon hinausgewandt hatte, drehte sie sich noch einmal kurz zu Ruby um.
„Spassbremse.“ Stiess sie verächtlich hervor und lief weg.
Laut fiel die Tür hinter ihr zu und Ruby war wieder alleine.
Dann herrschte Stille und sie kam sich so unendlich alleine vor. Sie wünschte sich, dass sie wieder zuhause bei ihren Eltern in New York wäre. Sie zog ihr Handy hervor und lass die vielen Nachrichten, die ihre Eltern und ihre Freunde geschickt hatten. Sie war so schnell von New York abgehauen, dass sie sich von niemandem richtig verabschiedet hatte und sie hatte ja auch nie jemanden den Brief und die Tickets gezeigt. Ihre Eltern schrieben immer wieder, was denn los sei, ihre Freunde baten sie, sich zu melden und zurückzukommen.
Doch sie hatte allen immer die gleiche Nachricht geschickt: Es geht mir gut, macht euch keine Sorgen. Vielleicht kann ich es euch eines Tages erklären…
Ruby bekam Tränen in den Augen und dann konnte sie nicht mehr anders: Sie legte sich hin, vergrub das Gesicht in den Kissen und begann hoffnungslos zu Schluchzen. Ihre Tränen machten das Kissen nass und es schüttelte sie vor Weinen.
So bleib sie eine lange liegen, fühlte sich einsam, verlassen und völlig fehl am Platz. Warum konnte sie die Situation nicht einfach so locker nehmen, wie Chess und Keira?
Wieder musste sie heulen, weil die zwei jetzt sicher in Keiras Zimmer ihren Spass hatten, Chester wusste, dass sie Mr. Noxwtown mochte und vor allem: weil Chester Recht hatte.
Sie hatte sich im ersten Augenblick in Devin Noxtown verliebt, als sie seine strahlend blauen Augen gesehen hatte.
Sie hörte auf zu weinen, schloss die Augen und träumte ein bisschen von ihm. So konnte sie sich beruhigen und ihre Tränen hörten auf zu fliessen.
Als sie das Kissen etwas zurechtrückte, fiel das kleine Tagebuch auf den Boden. Als Ruby es aufhob, fiel ihr erst auf, dass hinten auf dem Buchdeckel ein Name eingrafiert war. Lady L. Nightmore stand in verschnörkelten Lettern da. Ehrfürchtig strich Ruby über den Namen und dachte sich, dass sie ja wenigstens noch die Einträge darin lesen konnte, um sich von ihrem Elend abzulenken. Auch wenn das Tagebuch schon sehr alt war, die Einträge darin waren sehr aktuell für Ruby, sie hatte das Gefühl dass jemand genau die gleichen Sorgen wie sie hatte.
Mit zittrigen Fingern blätterte Ruby zum zweiten Eintrag im Tagebuch.

19 Juli 1890

Mein liebstes, treues Tagebuch! Vielleicht gibt es doch einen Grund, hier zu bleiben und mich ein wenig zu freuen. Vorhin war gerade Frühstück und da habe ich nebst drei Mitschülern, wie sie der Hausherr nannte, einen sehr charmanten Mann kennen gelernt! Er ist ein ehemaliger Schüler von hier, der dem Hausherr noch zur Hand geht. Seine Blicke, die er mir zuwarf, waren aber eindeutig vielversprechend! Ich habe mein schönstes Lächeln aufgesetzt, ihn die ganze Zeit angestarrt und dadurch ziemlich nervös gemacht.
Ich liebe es, Männer nervös zu machen, ich liebe es wenn sie rot werden und ihre Bewegungen unkontrolliert und hektisch werden. Ich glaube die grösste Macht auf dieser Welt haben nicht Waffen, nicht irgendwie Geld und Diamanten, nein, es kommt schlussendlich immer auf die Magie einer Frau an.


Devin Noxtown

Nachdem Ruby eine Weile resigniert neben dem Tagebuch gelegen hatte, klopfte es leise an ihre Tür. Leicht genervt stand sie auf und erwartete Keira oder Chester.
Sie öffnete die Türe nur einen kleinen Spalt, um sie sofort wieder schliessen zu können.
Als sie jedoch in die strahlend blauen Augen von Mr. Noxtown blickte, war ihr Ärger augenblicklich verflogen.„Das Abendessen war vor einer Stunde. Miss Ruscue, ist etwas nicht in Ordnung?“ Seine Stimme klang besorgt.
Ich rieb mir die vom Weinen geröteten Augen und versuchte ein Grinsen. „Ich war nur müde vom Flug und habe geschlafen.“ Sagte ich wenig überzeugend.
Plötzlich war mir alles schrecklich peinlich. Dieser atemberaubend schöne Mann stand an meiner Zimmertür und ich stand da, in meinen ältesten und wirklich hässlichsten Jeans, einem dicken Wollpullover mit Flecken, verstrubbeltem Haar und verweintem Gesicht.
„Müde vom Flug… ach so.“ Meinte er und schaute mich prüfend an.
„Möchten sie nicht noch etwas essen, Miss Ruscue?“ fragte er.
So konfus mir diese Situation war, hatte ich doch das Essen total vergessen und merkte jetzt erst, dass mein Magen knurrte.
„Ja gerne.“ Antwortete ich.
„Gut, dann kommen sie mit. Vom Essen ist noch etwas übrig! Die Küche hat heute Kartoffeln mit Braten gekocht, es ist exzellent!“
Mit einer eleganten Armbewegung deutete er auf den Flur hinaus, als wäre ich eine reiche und schöne englische Lady. Für einen kurzen Moment verwandelte sich der lässig gekleidete Devin Noxtown in einen richtigen, englischen Adelsmann mit schwarzem Anzug, Kravatte und diplomatischer Frisur. Erschrocken blinzelte ich, das Bild verschwand und ich sah ihn wieder normal, mit schwarzem T-Shirt und Jeans.
„Ist alles in Ordnung?“ Fragte er. „Sie sehen plötzlich so bleich aus, Miss?“
„Was?“ stammelte ich verwirrt. Okay, das hier ist jetzt wirklich peinlich! Erst erwischt er mich heulend und dann habe ich noch so eine komische Vision und falle fast in Ohnmacht.
Mit zittrigen Beinen, trat ich in den Flur und sagte betont lässig: „Nein, entschuldigen sie. Ich habe nur lange nichts mehr gegessen und mir war nur ein wenig schwindelig.
Oh mein Gott, der muss mich ja für völlig idiotisch und verrückt halten!
Entschlossen, jetzt nichts mehr falsch zu machen und mich nicht mehr vor diesem göttlichen Mann zu blamieren, lief ich den Flur entlang in Richtung der grossen Treppe. Doch schon nach drei Schritten, hörte ich wie sich Mr. Noxtown hinter mir räusperte und dann mit einem hörbaren Schmunzeln in der Stimme sagte: „Miss Ruscue… wir müssen in diese Richtung.“ Mit der Hand zeigte er in genau die entgegengesetzte Richtung.
„Oh“ sagte ich nur, und drehte mich schleunigst um, damit er mein rotes Gesicht nicht sah.
Devin Noxtown dicht hinter mir -was mich unglaublich nervös machte- lief ich zur Treppe und dann in den Speisesaal. Diesen hatte er mir schon gezeigt, bevor ich auf mein Zimmer ging. Die Tür befand sich neben der Eingangstür und führte in einen grossen, hellen Saal mit einem Boden aus purem Spiegel. An der Decke hingen viele kleine Kronleuchter, in denen noch Kerzen brannten. Ich fragte mich, wer sich immer die Mühe machte, sie alle anzuzünden.
Draussen war es bereits am Dämmern, ich sah wie der hellgraue Himmel von einigen dunklen Wolken bedeckt war. Durch die riesigen Glasfenster konnte ich direkt zum anderen Trakt von Mirrors-Hall hinüber schauen, denn Mirrors Hall ist U-Förmig gebaut.
Auf der anderen Seite des Saals sah ich ebenfalls durch die Glasfenster hinaus.
Zu meinem Erstaunen erblickte ich einen riesigen See. Ich hatte ihn bei meiner Ankunft heute Nachmittag gar nicht bemerkt. Am Ufer des Sees standen drei grosse Bäume, die sich stak im Wind hin und her bewegten. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, dass der See aber ganz ruhig war, er war glatt wie ein Spiegel und leuchtete leicht silbern. Beim Anblick des Sees wurde mir leicht unheimlich, ich konnte ich verstehen wieso, aber irgendetwas fand ich an diesem See ziemlich merkwürdig.
Mr. Noxtown der meinem Blick gefolgt war, erklärte mir: Das ist der Lake Mirror. Nach ihm wurde Mirrors-Hall benannt. Der See ist immer glatt, nie gibt es Wellen, nie kräuselt er sich. Es gibt eine alte Legende darüber, warum das so ist. Ich finde die Geschichte wunderschön, auch wenn sie sehr traurig ist.“
Ich horchte auf. Für alte Geschichten und Legenden hatte ich schon immer was übrig.
„Bitte, erzählen sie sie mir!“ Bat ich. Zwar hätte ich mir am liebsten danach auf den Mund geschlagen, weil ich so kindisch darum bat. Aber was solls, ich möchte die Geschichte hören.
Er schmunzelte, stellte mir einen Telller voll lecker aussehender Kartoffeln mit einem Stück Fleisch hin und meinte dann: „Ja, ich habe noch etwas Zeit und erzähle es ihnen gerne.
Er ging zum grossen Fenster, welches gegen den See gerichtet war und schaute hinaus. Ich setzte mich und beobachtete ihn. Das Kerzenlicht leuchtete auf seine dunkelbraunen Haare und liess sie glänzen und sein Shirt spannte sich ein wenig über seinen breiten Schultern. Ich konnte nicht essen. Er war so schön, so sexy, so heiss…wie soll ich da essen? Ich hätte ewig hier sitzen können und ihn einfach nur anstarren.
Dann drehte er sich um, und das Kerzenlicht spiegelte sich in seinen leuchtend blauen Augen. Es lies ihn allgemein noch schöner wirken, seine Gesichtskonturen verwischten leicht und liessen ihn mystisch wirken.
Dann begann er zu erzählen. Ich lauschte seiner tiefen und angenehmen Stimme und vergass mein eigentlich leckeres Essen vollends.


Das Geheimnis des Lake Mirror

„Vor etwa 500 Jahren war hier nur die raue Landschaft. Es gab das Dorf noch nicht, es gab Mirrors Hall noch nicht und es gab auch keine Menschen hier.
Nur der See war hier, umgeben von grossen und mächtigen Wäldern, von saftigen Wissen auf denen das Wild graste überall herrschte nur Stille und Frieden.
Doch da kam es, dass ein junger Mann sich zufällig in dieses Gebiert verirrt hatte. Er war alleine, seine Kameraden mit denen er auf der Jagd war, kamen alle bei einem Raubüberfall ums Leben.
Schon seit drei Tagen war er nun unterwegs und hatte die Orientierung komplett verloren. Er hatte Hunger, war aber zu schwach zum Jagen. Er hatte auch Durst, doch fand er nirgend eine richtige Quelle. Mühsam schleppte er sich einen Hügel hinauf, als er oben angekommen, einen grossen und wunderschönen See erblickte. Mit letzter Kraft kroch er den Hügel auf der anderen Seite wieder hinunter und kniete am Ufer in den Sand. Gierig trank er das köstliche, reine Wasser. Nach dem Trinken fühlte er sich so gut, dass er neue Hoffnung bekam und tapfer aufstand. Als er sich erhoben hatte, blickte er direkt in das Gesicht einer jungen und wunderschönen Frau. Sie stand dicht vor ihm im Wasser und war so lautlos gekommen, dass er nichts gemerkt hatte und ein wenig erschrak. Er schaute sie an und stellte fest, dass sie nicht eine gewöhnliche Frau war. Ihr Kopf mit dem langen, ganz hellblondem Haar war normal, ebenso ihr Oberkörper. Doch sie hatte keine Beine. Stattdessen schien sie ab dem Bauch nur noch aus Wasser zu bestehen, dass aussah wie ein langer Rock und mit dem leicht wogenden See verschmolz. Sie schaute ihn überrascht mit schönen hellgrauen Augen an.
„Wer bist du?“ fragte er. Dem Mann war es egal, dass sie keine richtige Frau war, sondern mehr ein Fabelwesen. Er hatte ihre Augen gesehen und darin sah er eine grosse Einsamkeit. Er sah, wie schön sie war. Und nur das war ihm wichtig.
„Ich bin Seranayota.“ Sie sprach mit leiser und zarter Stimme. „Ich bin ein Wassergeist. Ich bin kein Mensch, ich bin keine echte Frau.“ Sie klang so traurig. „Es ist besser du gehst wieder, mein Jäger.“
Doch der junge Mann wollte nicht gehen und so blieb er an genau diesen See. Viele, viele Wochen hat er dort verbracht, nur am Strand lebend und mit Seranayota sprechend.
Zu zweit waren sie glücklich, glücklich in ihren Gesprächen über seine Welt, ihr Zuhause und über alle Dinge des Lebens.
Doch bald darauf fanden andere Leute das Tal und auch den See. Sie lachten den Mann aus, weil er lieber mit dem Wassergeist sprach als mit den richtige Frauen anzubändeln.
„Du hast ja nicht einmal ein Haus für sie.“ Lachten die Leute. Seranoyata wurde immer wie trauriger, sie wollte nicht das ihr Mann ausgelacht wurde und wegen ihr nicht zur Gemeinschaft gehörte.
„Was liebst du am meisten in dieser Welt,“ fragte er sie eines Tages. „Spiegel.“ Antwortete sie. „Denn sie lügen nicht, und das meine ich ernst. Ein Spiegel ist das einzige im Leben, das nie lügt.“
Ein wenig gekränkt war der Mann schon. „Du bist das wichtigste in meiner Welt,“ sagte er. „Und auch ich werde dich niemals belügen.“
Weil er sie aber immer noch so sehr liebte, baute er direkt am Strand ein Haus für sie. Es war viel grösser und viel schöner als all die anderen Häuser des Dorfes. Der Mann stattete es mit allen Spiegeln aus, die er finden konnte und als es fertig war nannte er es Mirrors-Hall. Er ging zum Ufer, wo Seranoyata schon auf ihn wartete. Er nahm sie bei der Hand und sagte: In diesem Haus werden wir zwei für immer glücklich sein, ich habe es nur für dich und mich gebaut.
Die zwei lebten einen Tag dort. Doch schon in der ersten Nacht bekam Seranoyata schrecklich Heimweh nach ihrem See.
„Stört es dich, wenn ich wieder dort wohne?“ fragte sie ihren Mann. „Ich bin ein Wassergeist. Ich bin nicht für das Leben hier gemacht. Sie h mich doch nur an!“
Der Mann war zutiefst verstört, und bat sie: „Nein, bitte geh nicht. Es ist mir doch egal wer du bist. Hauptsache du bist du. Ich will nur dich.“
Doch Seranoyata wandte sich ab und ging in den See hinaus. Es war das letzte mal, dass er sie gesehen hatte.
Doch jeden Tag ging der einsame Mann an den Strand. Er wartete auf seine Frau, doch der See blieb starr und glatt wie ein Spiegel.
Da erkannte er, dass sie ihn wohl nie wirklich geliebt hatte, denn auch ihre Seele war wie ein Spiegel. Glatt und kalt, doch wenigstens zeigte er immer die Wahrheit. Und die Wahrheit war, dass sie nicht zusammenpassten, dass sie nicht für einander geschaffen waren, weil sie zu unterschiedlich sind.
Er drehte sich um und ging in sein Haus zurück.“
Mr. Noxtown schwieg eine Weile.
Dann fragte ich: „Und, was ist dann passiert?“
Er zuckte mit den Schultern. „Nichts. Die Legende sagt, dass sich seither die Oberfläche des Sees nie mehr bewegt habe. Und der Mann lebte für den Rest seines Lebens alleine in Mirrors-Hall.“
Das ist wirklich traurig“, sagte ich. „Ich verstehe aber Seranayota nicht. Warum ist sie einfach gegangen?“
Mr. Noxtown sagte: „Sie ging wahrscheinlich, weil sie nicht stark genug war um seine grosse Liebe zu ertragen. Ich weiss es nicht genau…aber ich glaube sie hatte Angst all seine Erwartungen erfüllen zu müssen. Aber wissen sie was die Legende noch besagt? Eines Tages wird der See wieder Wellen haben.“
„Wann? Und wieso?“ fragte ich.
Devin Noxtown klang plötzlich verbittert. „Es heisst, wenn ein Mann hier in diesem Haus mit seiner Frau glücklich bis ans Lebensende hier lebt wird der Fluch gebrochen.“
„Das ist noch nie passiert hier? Nicht in all den 500 Jahren?“ fragte ich erstaunt.
„Nein,“ sagte er und lief eilig aus dem Saal.


Die erste Nacht im Haus der Spiegel

Etwas verstört blieb ich alleine und abrupt abgewiesen in dem grossen und dunklen Speisesaal. Was immer Devin Noxtown an dieser alten Legende fand, es schien ihn unglaublich traurig zu machen.
Da er nicht zurückkam, ass ich höflicherweise mein Essen auf und stellte den leeren Teller auf ein kleines Tischchen. Etwas unentschlossen stand ich auf und beschloss, in mein Zimmer zurück zu kehren. Als ich die Tür einen Spalt geöffnet hatte und in den Raum mit der grossen Freitreppe treten wollte, erblickte ich Devin Noxtown gegenüber von mir, unter dem grossen Bild mit der schönen blonden Frau stehend. Mit zittrigen Fingern sah ich, wie er nach der roten Rose griff, die auf einem kleinen Tischchen unter dem Bild stand, und sie in einen Abfalleimer unter dem Tischchen warf. Dann sah ich, dass er bereits eine neue, blutrote Rose in der Hand hielt und sie statt der alten in die Vase stellte. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er weinte.
Plötzlich drehte er sich zu mir um, aber sein Gesicht wirkte ziemlich gefasst.
Nur als ich tief in seine Augen blickte, erkannte ich dass er litt. Ich wusste nicht wieso und auch nicht wie lange schon, aber er sah plötzlich so furchtbar alt aus, obwohl ich ihm höchstens 22 Jahre gegeben hätte. Es war wieder wie die Vision vor meinem Zimmer, er trug plötzlich einen altmodischen, schwarzen Anzug samt einem schwarzen Hut.
Als ich blinzelte, war der Spuk wieder vorbei.
„Um acht Uhr Frühstück, im Speisesaal.“ Sagte er in ganz nüchternen Ton. Ich nickte nur, und machte dass ich davon kam.
In meinem Zimmer zog ich ein weisses T-Shirt an und legte mich müde ins Bett. Ich beschloss, noch kurz ein kleines Stück in dem alten Tagebuch zu lesen und dann zu schlafen.

20 Juli, 1889

Es ist morgen früh und bald muss ich wieder in den Speisesaal gehen. Der einzige tröstliche Gedanke ist nur Er. Ich wüsste sonst wirklich nicht, warum ich das aufreizende, kirschrote Kleid angezogen habe.
Ich weiss genau, dass es wider wie gestern sein wird. Dieser grosse, für mich hässliche Saal, vollgefüllt mit Leuten, die ich nicht kenne. Mit meinen 2 Mitschülern, zum einen diese dämliche Bäuerin namens Sophia. Ich verachte sie, sie kommt nicht wie ich aus vornehmem Hause sondern wuchs auf einem Bauerngut auf. Sie trägt einfache Kleider, aus braunem und kratzigem Stoff. Ich freue mich schon auf ihre neidischen Blicke, wenn sie mein neues Kleid sieht!
Und dann ist da noch Thomas. Auch nicht gerade die beste Partie. Er kommt aus London, seine Eltern hatten in der Stadt ein kleines Buchgeschäft. Er hält sich wohl für etwas ganz gescheites, jedenfalls hat er gestern versucht, den Hausherr und IHN mit albernem Wissen zu beeindrucken.
Ja, ich werde mit Thomas und Sophia wieder an einem Tisch sitzen, mit dabei der Hausherr und natürlich Er.

Wow, dachte ich. Diese Lady Nightmore war ja eine richtige Zicke. Ich fand sie gar nicht mehr so sympathisch wie am Anfang. Diese Sophia tat mir ein bisschen Leid.
Ich schaute auf mein Handy. Nun war es halb zehn, aber ich war so müde, dass ich gleich einschlief.
Ich drehte die kleine, altmodische Lampe an meinem Bett aus und kuschelte mich in die weichen Kissen. Es war nun ganz dunkel im Zimmer.
Ich schlief sehr unruhig in dieser Nacht. Zuerst konnte ich lange nicht einschlafen und wälzte mich dauernd hin und her, dann hatte ich diesen merkwürdigen Traum. Eigentlich erinnerte er mich eher an die zwei merkwürdigen Visionen die ich heute hatte. Sie waren nur kurz, doch empfand ich sie als sehr intensiv, wie es auch der Traum war.
Ich stand draussen vor Mirrors-Hall, es war etwa Nachmittag und das Haus war zuerst ganz ruhig und sah fast verlassen aus. Dann plötzlich öffnete sich die Tür und ich sah wie Mr. Noxtown hinaustrat. Er wirkte etwa drei Jahre jünger als ich ihn in Erinnerung hatte und trug so einen altmodischen Anzug, den er schon in meinen Visionen hatte. Hinter ihm kam ein blonder Mann hinaus, er kam mir irgendwie bekannt vor. Erst beim zweiten Mal hinschauen erkannte ich ihn als Carl Whittingfield, dem Vertreter von Mr. Noxtown und unser Chauffeur von heute. Ich sah, wie eine grosse, dunkelbraune Kutsche mit vier hellen Pferden vor Mirrors-Hall hielt. Zuerst stieg der Kutscher, ein kleiner schlanker Mann mit schwarzem Schnurrbart, vom Kutschbock hinunter und öffnete die Türen der Kutsche. Als erstes stieg ein Junge von etwa 17 Jahren aus der Kutsche, mit einem weissen, etwas schmutzigen Hemd, grauen Leinenhosen und einem dunkelgrauen Béret auf dem Kopf. Er drehte sich zur Kutsche um und half einem etwa gleichaltrigen Mädchen in einem braunem, fast sackartigen Kleid aus der Kutsche. Sie hatte ihre dunklen, langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. In ihrem Arm hielt sie einen geflochtenen Korb.
Der Junge hielt seine Hand erneut zur Kutsche hin, doch die Person, welche noch in der Kutsche war lehnte sein Angebot ab und stieg selbst aus.
Mir verschlug es fast die Sprache. Mit feinen, Samtschühchen in Perlrosa stieg sie mit langen, eleganten Beinen aus der Kutsche aus und stand selbstsicher auf den Boden. Sie trug ein herrliches weisses Kleid, mit vielen Spitzen und Bändern, das ihre zarte Figur höchst vorteilhaft in Szene setzte. Ihre langen, blonden Haare wehten wie reine Seide im sanften Wind. Mit riesigen dunkelblauen Augen, wie bei einer Fee, schaute sie in die Welt. Ihre Haut war blass, nur die Wangen schimmerten leicht rosa. Ihre langen, dunklen Wimpern verliehen ihr zusätzlich etwas Melancholisches. Sie hob den Kopf ein wenig und schaute in Richtung Mirrors-Hall. Ihr bis jetzt ausdrucksloses Gesicht verwandelte sich in ein gequältes Lächeln. In dem Moment erkannte ich sie, sie war die Frau auf dem Porträt, das in der Eingangshalle von Mirrors-Hall hing. Und Ruby war sich noch bei etwas anderem sicher, sie war die mit Abstand schönste Frau, die sie je gesehen hatte.
Dann war der Traum vorbei. Schweissüberströmt erwachte ich und schaute sofort auf die Uhr, es war erst zwölf Uhr. Seufzend schloss ich wieder die Augen und versuchte einzuschlafen.


Frühstück bei Tiffanys

Mein Handy weckte mich am Morgen um viertel nach sieben mit einer fröhlichen Melodie aus einem unruhigen und alles anderen als erholsamen Schlaf. Schlaftrunken stand ich auf und ging zum Fenster. Der Himmel war wie gestern grau und Wolkenverhangen und der Tag sah schon mal nicht wirklich verheissungsvoll aus. Ich schnappte mir ein paar frische Sachen zum Anziehen samt dem Duschzeug und verzog mich erst einmal eine halbe Stunde in das kleine, aber luxuriöse Badezimmer meinem Zimmer gegenüber.
Als ich fertig war, trat ich vor den grössten Spiegel in meinem Zimmer und begutachtete mich. Obwohl ich nicht so gut und auch nicht so viel geschlafen hatte, sahen meine Wangen frisch und rosig aus, was mich erstaunte. Auch hatte ich keine Augenringe, was bei mir sonst öfters der Fall war. Plötzlich breitete sich auf meinem Gesicht ein kleines Lächeln auf und unbewusst wurde mir klar, dass Mirrors-Hall mir gut tat. Ich wusste nicht wieso und überhaupt nicht warum ich das dachte, aber es kam ganz instinktiv aus einem Bauchgefühl heraus.
Meine langen und geraden Haare fielen mir fast bis zur Taille, ich war es mir jetzt schon gewohnt, dass sie in der Nacht so schnell wuchsen. Als ich sie berührte, fühlten sie sich sehr weich und seidig an und im Licht des dämmrigen, beginnenden Sommertages leuchteten sie herrlich kastanienbraun mit einem Hauch von Kupfer.
Meine dunkelblauen Augen, die ich sonst etwas düster fand, strahlten heute ungewöhnlich hell.
Ich trug heute ein enges, kurzes schwarzes Kleid, das ich vor einer Woche noch in New York gekauft hatte. Ich trug sonst nie solche Sachen, aber in Mirrors-Hall fühlte ich mich wohl damit.
Als ich noch etwas länger und genauer im Spiegel betrachtete, wurde mir auf einmal klar, was der Hauptgrund meiner Veränderung war: Er. Obwohl Devon Noxtown manchmal abweisend war, sich komisch benahm und irgendwie ein merkwürdiges Geheimnis hatte, war er einfach der schönste und göttlichste Mann der Welt. Ich fand, dass er Humor besass und total nett und gentlemanmässig war.
Ich warf einen hastigen Blick auf mein Handy und sah, dass es Zeit war, hinunter zu gehen. Ich war schon ein wenig nervös, ich erwartete sehr viele Leute, genauso wie es Lady Nightmore in ihrem Tagebuch beschrieben hatte und ich fragte mich ob ich auch mit Mr. Noxtown und Mr. Whittingfield samt Chester und Keira an einem Tisch sitzen würde. Daher war ich überrascht als im Speisesaal nur einer der 9 langen Tische gedeckt war und nur sieben Teller parat standen. Mr. Noxtown und Mr. Whittingfield sassen schon da, ebenfalls Chester und eine Frau, die sich sofort als Maggie Thunstein vorstellte, die Köchin. Ein älterer, mürrisch dreinblickender Mann stellte sich als Gustav vor, der Mann für alles hier in Mirrors-Hall. Ich setzte mich neben Chester, der mich zu meinem Erstaunen ziemlich freundlich anschaute. Als ich es bei ihm mit einem schüchternen Hallo probierte, grinste er mich sogar an.
Ein wenig entspannt versuchte ich, die Situation zu geniessen und schaute mir das Frühstücksangebot an. Butter, frische Brötchen, Aufschnitt und Waffeln lagen bereit und ich hatte sogar Hunger. Nur war ich schon ein bisschen traurig, denn wie schon erwähnt kann ich den Geschmack der Dinge, die ich esse, nicht mehr spüren. Was mich leicht irritierte, war, dass bei Gustav, Mr. Noxtown und Mr. Whittingfield nur ein Pappbecher stand. Da er nicht durchsichtig war, konnte ich den Inhalt nicht sehen, nahm aber an, dass er mit Kaffee gefüllt war.
Leider blieb die Situation nicht lange so, denn etwa um zehn nach acht rauschte wie ein Engel Keira hinein. Als Morgenoutfit hat sie ein langes, weisses Kleid gewählt mit Glitzersteinen um das tiefe Dekolleté. Ihre Haare hatte sie mit viel Gel und glitzerigen Spangen zu einem kleinen Kunstwerk verziert. Doch das beste war, dass sie eine grosse Handtasche bei sich trug, (hallo, wer braucht schon eine Handtasche um zu Frühstücken?)auf welcher gross geschrieben und für allemann lesbar stand: Breakfast at Tiffanys. Sie hatte wohl extra bis zehn nach acht gewartet, damit sie auch die volle Aufmerksamkeit bekam, jedenfalls begrüsste sie alle mit einem affektierten Küsschen links, Küsschen rechts. Als sie das auch bei Chester machte, verzog er das Gesicht, zwar so dass sie es nicht sah, aber dafür ich. Wir sahen uns an, und er verdrehte die Augen. Ich glaube, er findet sie doch nicht so toll, wie ich dachte. Trotzdem möchte ich gerne noch wissen, was mit ihm und ihr in ihrem Zimmer noch lief, nachdem er die angeblich monströse Spinne beseitigt hatte…
Um das plötzlich herrschende Schweige zu unterbrechen, fragte Mr. Noxtown uns: „Miss Ruscue, Mr Darkade, Miss Keeler. Ihr habt sicher eine Menge Fragen…“
„Warum sind wir hier?“ platzte Chester lautstark hinaus.
„Was passiert mit uns?“ kam es auch aus mir.
Drei Sekunden lang war es unheimlich still, dann kam Keira mit der dämlichsten und unpassendsten Frage, die ich je gehört habe: „Kann man hier in der Nähe überhaupt shoppen?“
Irritiert guckten Chester und ich uns schon zum zweiten mal an diesem Tag an.
Mr. Noxtown überging die Frage einfach, nur von Gustav kam ein lautes Räuspern, während Mr. Whittingfield grinste.
„Ich werde euch all eure Antworten zeigen.“
Und ohne darauf zu achten, ob wir mit dem Frühstück fertig sind, was mir geschmackslos aber auch keinen Spass machte, stand Mr. Noxtwon auf. Er sah uns herausfordernd an und so folgten wir ihm einfach. Als wir aus dem Speisesaal traten, erinnerte ich mich plötzlich an meinen merkwürdigen Traum. Ich hatte nämlich das Bild von der blonden, schönen Frau gesehen. Ich weiss nicht warum, aber ihr Anblick liess mich jedes Mal frösteln. Ich hatte aber keine zeit mehr, länger darüber nachzudenken, denn Devin führte uns durch eine Tür in einen Raum, den ich mir niemals, nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können.


Die Halle der Ahnen

Als erstes sah ich schon mal nicht viel, es war dunkel und roch auch ein weinig muffig. Ich hörte wie Keira empört hüstelte und sich mit ihren Fingern gar nicht vorhandenen Staub aus dem Kleid klopfte.
Dann flammte ein Streichholz auf und in Mr. Noxtowns Händen begann eine Kerze zu glühen.
Endlich konnte ich mich ein wenig umsehen. Natürlich war auch hier alles voller Spiegel, so dass das kleine Licht schon ausreichte um viel in dem riesigen Raum zu beleuchten. Bis an die etwa 10 Meter hohe Decke standen Bücherregale voll mit Büchern, dazwischen immer wieder Spiegel. Die Atmosphäre war so grandios und unbeschreiblich, dass mir wirklich der Mund offen blieb.
Als ich nach oben schaute, bemerkte ich dass die ganze Decke aus Glas bestand, nur war es so schmutzig dass fast kein Tageslicht durchschimmerte.
Als ich so gedankenversunken nach oben starrte und den andern folgte, wurde mir plötzlich leicht schummerig. Ich nahm meinen Blick von der Decke weg und schaute zu den anderen, dabei blieb ich stehen da ich wirklich fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Was ich sah, verschlug mir die Sprache. Chester und Keira waren verschwunden, an ihrer Stelle standen zwei andere Personen, die ich zwar nicht kannte aber schon gesehen hatte. Zum einen war es der Junge mit der Leinenhose und dem schmutzigen Hemd, genau der junge Mann aus meinem Traum. Er lief hinter Devin Noxtown her, als wäre das hier alles normal. Wo vorher Keira stand, befand sich plötzlich eine sehr schlanke Frau, mit hellem blondem Haar das ihren ganzen Rücken bedeckte und leicht wie Seide schimmerte. Ich schluckte leer, da ich auch sie erkannt hatte, auch ohne ihr Gesicht zu sehen. Es war die geheimnisvolle Schöne aus meinem Traum, nur dass sie damals ein weisses Kleid trug. Plötzlich kam mir der vorher so dunkle Raum unnatürlich hell vor, als ich zur Decke schaute, wusste ich auch wieso.
Das Glas… es war nicht mehr schmutzig. Blitz blank poliert liess es eine Menge von Sonnenstrahlen herein, was den grossen Raum voller Bücher viel behaglicher wirken liess.
„Sophia…“
Ich erschrak als ich den Namen hörte und schaute zu Mr. Noxtown der sich zu mir umgedreht hatte. Schlagartig wurde es dunkel um mich.
„Ich heisse nicht Sophia.“ Sagte ich und schaute ihn fragend an. Da bemerkte ich, dass der fremde Junge und die unbekannte Schöne verschwunden waren. Stattdessen standen wieder Keira und Chester da und schauten mich an, als wäre ich eine Irre.
„Ehhh…ich habe nicht Sophia gesagt, sondern Rubina?!“ Sagte Mr. Noxtown. Ich schüttelte verwirrt den Kopf, was war nur mit mir los?
„Ich habs falsch verstanden“, murmelte ich nur und schwieg dann, den Kopf zum Boden gesenkt.
Die anderen schauten zwar skeptisch.
„Du hast so komisch gestarrt.“ Sagte Chester.
„Ja und wir wollen doch weiter!“ sagte Keira.
„Jaja, ich komme.“ Sagte ich und löste den Blick vom Boden. Als ich zur Decke schaute, war das Glas wider schmutzig. Darum ist es also so plötzlich dunkel geworden! Das heisst aber noch lange nicht, dass ich auch verstehe was mit mir geschieht. Werde ich etwa verrückt…oder bin ich es schon? Ist das hier eine Irrenanstalt? Ich weiss nur, dass wenn ich nicht sofort einmal ein paar Antworten bekomme, ich ausflippe.
Als nächstes betraten wir einen weiteren, diesmal völlig dunklen Raum durch eine schwere und reich verzierte Holztür. Ich trat als letzte hinter Chester ein, noch ganz in Gedanken versunken, ob ich wohl jemals eine Antwort erhalten werde, warum ich hier bin.
Dann begann Mr. Noxtown zu sprechen. Es war dunkel, ich wusste nicht genau wo ich hier stand, meilenweit von meinem Zuhause weg, mit mir eigentlich völlig fremden Personen, aber was er in diesem Moment sagte, werde ich wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen. Wie auch? Schliesslich waren diese Worte auch mein Leben.
„Das hier,“ begann Mr. Noxtown, „ist die Halle der Ahnen. Es ist die Halle der Ahnen von allen Vampiren, die es in England gab, gibt und je geben wird. Jedes dieser Bücher hier“ er schwenkte mit dem Arm hin und her und wie von Zauberhand erschien in seiner linken Hand eine lodernde Fackel „enthält die Namen dieser bestimmten Personen.“
Endlich konnte ich etwas erkennen, wie im vorherigen Raum hatte es auch hier viele Regale voller Bücher. Es waren aber noch mehr, noch viel mehr Bücher, alle sahen gleich aus, schwer, alt und gross mit goldig glänzenden Rücken. Ich sah zur Decke, alles war vollgestapelt mit diesen Büchern, vor mir und neben mir erstreckten sich meterlange Korridore, alle voll mit diesen Bücher.
„Auch eure Namen sind hier. Keira Alicia Keeler. Feierlich sprach er ihren Namen aus und lief zielstrebend auf die rechte Seite und nahm ein Buch aus dem Regal. Er gab es ihr und die sonst so naive und überdrehte Keira nahm es in ihre Hände, als wäre es das kostbarste was sie je gesehen hatte. Erst als sie es hielt, bemerkte ich auf dem Buchrücken golden einlasiert in schnörkeliger Schrift, der Familienname Keeler. Ehrfurchtsvoll stich sie darüber, bevor sie es aufschlug. Zu meiner und wohl auch zu Chesters und Keiras, waren die Seiten leer. Fragend, und mit grossen Augen schaute sie zu Mr. Noxtown. Doch dieser lächelte nur. „Berühre es. Nur du kannst es dazu bringen, seine Geheimnisse preis zu geben.“
Sanft strich sie mit den Fingern über das Papier und erschrak zuerst, weil auf dem weissen Hintergrund eine Schrift in blutrot erschien. Als wir alle einen Blick darauf geworfen hatte, wurde bald klar, dass es sich um eine lange Namenliste handelte.
Sie begann mit dem alten Namen Nura Keeler, versehen mit den Datum 1610. Dann gingen die Namen weiter, Isaboa 1705, Kera 1798, Luzifa 1850, dann Alicia 1910 und schlussendlich Keira Aicia 1993.
Keira schluckte leer. „Das bin ich“, stammelte sie und zeigte zitternd auf ihren Namen. „Wer sind diese Leute!“ fragte sie und zeigte auf die kleine Liste von Namen, die oberhalb standen.
„Deine Vorfahren, Keira, Alicia ist deine Grossmutter.“
„Ich habe sie nie kennen gelernt! Mein Vater hat nie über sie gesprochen! Ich weiss nur, dass sie während des zweiten Weltkriegs als mein Vater klein war, verschwunden ist! Und warum stehen hier nur weibliche Namen? Mein Grossvater, mein Vater… sie sind nicht erwähnt!“
Mr. Noxtown wusste wieso. „Deine Familie hat nur weibliche Träger des Vampirgens. Das kommt oft vor bei noch sehr jungen Familien, deine stammt ja aus 1610. Das ist sehr jung, du wirst heute noch andere Familiensehen bei denen der Ursprung weit vor Christi zurückgeht!“
Gedankenverloren blätterte Keira in den noch leeren Seiten des Buches herum.
„Warum sind sie noch leer?“ fragte sie. „Ich dachte hier wird jeder Name stehen, von jeden Vampir den es noch geben wird!“
„Hast du eine Schwester?“ fragte Mr. Noxtown. „Oder eine Tante, eine Cousine oder wer weiss was, eine weibliche Person die von deiner Mutter abstammt?“
Keira brauchte nicht lange zu überlegen.
„Nein,“ sagte sie.
Mr. Noxtown schwieg. Gehen wir weiter zu Chester, sagte er.
Keira war ganz blass geworden, sie drehte sich plötzlich um und rannte davon. Wir alle wussten wieso und liessen sie gehen um ihre Gedanken zu verarbeiten. Keira würde nie Kinder haben, ihre Familie würde nicht weiterbestehen und wahrscheinlich wollte sie gar nicht wissen warum nicht.
Mr. Noxtown lief zu einem Büchergestell und holte Chesters Buch hervor, ein sehr alt aussehendes ,mit dickem Ledereinband welcher seltsam roch und tiefschwarz war.
Er schlug es auf und auf etwa 100 Seiten standen Namen, am Anfang einige Seiten ohne Datum dann der erste Name mit Datum: Norr 23. „Mr. Noxtown lächelte, ja hier begannen die Menschen die Jahre zu zählen…
Er schlug das Buch ganz zuhinterst auf, auf der letzten Seite ganz zuunterst stand: Nahmys 6051. Jetzt staunten ich und Chester.
Chester suchte seinen Namen, den er etwa in der Hälfte des Buches fand, oben seinem Namen stand Chestfield 1904. „Mein Grossvater!“rief er. „Ich habe ihn auch nie kennengelernt.“
„Nun Rubina“ sagte Mr. Noxtown zu mir. „Dein Buch habe ich noch nicht gefunden…“
„Was?“ stotterte ich enttäuscht.
„Ich weiss nicht wieso, aber es ist wirklich noch nicht aufgetaucht!“
Ein wenig befremdet sah ich ihn an. Ich wusste nicht genau wieso, aber irgendwie hatte ich das Gefühl das er mich anlog.
„Wir könnten es ja gemeinsam suchen“, schug ich vor.
„Nein, nein!“ wehrte er bestimmt ab. „geht jetzt besser nach draussen und erholt euch. Tut mir leid Miss Ruscue.“
Ich nickte und ging dann mit Chester grübelnd hinaus. Als ich hinter ihm, die Türe zur Spiegelhalle durchquerte, verspürte ich einen leisen Windhauch. Erschrocken drehte ich mich um.
Ich sah wie das Mädchen aus meinem Traum dort stand, neben einem kleinen Tischchen, selbst unter dem verschmutzten Glasdach konnte ich sie erkennen, weil sie schwach leuchtete.
Es war nicht die kühle, wunderschöne Blonde. Es war die etwas ärmlich aussehende Braunhaarige, mit den schlichten Kleidern.
Sie stand stumm da, als sie mir in die Augen blickte, deutete sie mit ihrem Arm in die Richtung der Bücherregale.
Voller Entsetzten schlug ich die Tür zu.


Aus vergangener Zeit

In meinem Zimmer versuchte ich erstmal, die Enttäuschung zu verdauen über das nicht vorhandene Ahnenbuch, über das Seltsame Benehmen von Mr. Noxtown und den Schrecken über meine komischen Visionen.
Seufzend vergrub ich den Kopf in den Händen, meine Gedanken schwirrten wie Schmeissfliege in meinem Kopf hin und her.
Ich stand auf, öffnete das Fenster um mich etwas abzukühlen.
Da ich wirklich nicht weiter wusste, beschloss ich mich ein wenig mit dem Tagebuch von Lady Nightmore abzulenken.
Ich nahm es unter dem Kopfkissen hervor, setzte mich auf einen Sessel und begann den nächsten Eintrag vom 21 Juli, 1889.

Geliebtes Tagebuch

Endlich bin ich ihm nähergekommen. Er ist von diesem Ort hier, ja das weiss ich. Und eigentlich verachte und verschmähe ich alles, alles von hier. Doch bei ihm ist es anders. Er ist klug, viel klüger als dieser nichtsnutzige Hausherr und ich bin mir sicher er wäre besser in dieser Position. Nach einer Besichtigung der Halle der Ahnen wie der Hausherr er genannt hatte, traf ich ihn zufällig auf meinem spaziergang am Ufer des grossen, perlfarbenen Sees. Er stand da, ich erblickte nur seine Shilouette von hinten, mir abgewandt.
Mein kirschrotes Kleid streifte einen Ast, es knackte leise und er drehte sich besonnen um. Mit einem leisen Lächeln begrüsste er mich. Stock steif blieb ich stehen, gefesselt von seinem begehrlichen Blick und seinem wunderschönen Körper. Es gab eine Verbundenheit zwischen uns, das war und beiden klar. Aber es war verboten, ich wusste es, doch was hätte ich tun können? Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu.
Er sagte: wir dürfen nicht, ich bin so etwas wie dein Lehrer…
Doch er nahm meine Hand und führte sie an seinen Mund. Ohhh, wie es knisterte, zwischen uns, es brannte förmlich!
Doch dann, wie ein Versprechen, hielt er pötzlich eine schwarze Rose in der Hand. Er gab sie mir, drehte sich um und lief davon. Doch jeder seiner Schritte schien zu sagen: Warte nur ein wenig, hab Geduld…

Noch verwirrter als vorher schloss ich das Buch wieder. Was ist das jetzt? Eine tragische Liebesgeschichte…. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Die Beschreibungen m Tagebuch hatten sich nicht als tröstlich erwiesen, nein noch mehr Geheimnisse traten auf.
Jedenfalls hatte ich gar keine Lust mehr, weiter zu lesen und verstaute das Buch in meinem Reisekoffer.
Um meine Gedanken endlich zu beruhigen ging ich hinaus, zog Schuhe an und verliess das Haus. Ich ging in den Park und gedanken verloren stand ich plötzlich am See. Wie immer war er total glatt und undurchsichtig. Ohne dass ich es wollte, schweiften meine Gedanken wieder zu Devin Noxtwon. Ich seufzte leise. Ich war mir sicher, dass er ein Geheimnis hatte, villeicht betraf es auch mich. Warum legt er bei dem Poträt der jungen, blonden Frau die mir immer im Traum erschien Rosen nieder? Warum erzählte er mir die Geschichte vom See und dass es nie eine glückliche Liebe in Mirrors-Hall gegeben hat? Und warum will er mir mein Ahnenbuch nicht zeigen?

Impressum

Texte: Die Rechte dieses Buches liegen alleine bei der Autorin und auch das Cover farf nicht füt kommerzielle Zwecke gebraucht werden.
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle enttäuschten Frauen und Mädchen die doch noch an die Liebe glauben und niemals aufgeben, nach dem Einen zu suchen, der anders ist.

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