Kammer der Vollkommenheit
Eines Abends sass ich äusserlich ruhig und innerlich voller Verlangen vor dem rötlich-orangen funkelnden knisternden Kaminfeuer. Die Tinte meiner Feder spiegelte das lodernde Feuer in wundersamen Lichtfunken an den Wänden wieder. Ich denke an Dich, meine geliebte wunderbare Venus. Ich schliesse meine Augen, dein süsser Duft steigt in meine Nase und füllt meinen Körper mit deinem ganzen Sein. Deine Augen erinnern mich an goldene blubbernde Vulkanseen, ich versinke darin und möchte niemals mehr auftauchen. Du hältst mich gefangen. Ein Gedanke an dich und mein Verstand entführt mich in andere Welten. Mein Herz schlägt durch meinen physischen Körper und lässt meine Säfte im Eiltempo vorwärts treiben. Meine Gedanken reisen zurück an jenen Abend.
Ein prächtiger Ball ging in meinem Sonnenschloss von Statten. Aus allen Herrenländern waren sie angereist, die Noblen, die Edlen, die Mächtigen. Doch ich wollte allen eine Freude bereiten. Auch das Volk war geladen. Die Mägde, die Knechte, die Handwerker, die Steuereintreiber. Ein gigantisches Feuerwerk eines Balles sollte es werden. Alles war vorbereitet. Die Tische stöhnten unter den beladenen Speisen und Tränken. Herrlich anzusehen war es für jedermann. Das Auge sog den Prunk in sich auf. Um es niemals wieder zu vergessen. Um in jedem Augenblick unseres dahineilenden Lebens wieder diese kostbaren Momente aufhorchen zu lassen. Ich sass in meinem samtenen gold-grün verzierten Sessel. Zur rechten meine Gemahlin, zur linken mein Berater. Unzählige Augenpaare waren erwartungsvoll auf mich gerichtet. Ich spürte die Anspannung. Was hatte der Herrscher zu verkünden?
Ich erhob mich langsam, ordnete meine wallenden Kleider, holte nochmals tief Luft und sprach: “Mein verehrtes geschätztes Volk! Es ist vollbracht. Alle Menschen sind unter diesem Dach heute versammelt. Schaut zur Decke, Ihr Lieben. Seht Ihr die funkelnden Diamanten strahlen? Für jeden von Euch ist einer angebracht worden. Sie sehen aus wie glitzernde Sterne. All diese Kostbarkeiten sollen Euch gehören. Egal aus welcher Schicht Ihr kommt. Jeder hat seinen Beitrag geleistet. So lasst uns feiern und bevor Ihr freudig und glücklich nach Hause eilt, holt Euch Euren Diamanten.“ Ein Raunen ging durch die Menge. Alle Köpfe waren nach oben gerichtet. Ein Strahlenmeer blitzte an der Decke und die unzähligen Kerzen liessen die edlen Steine in allen Facetten glänzen. Das Fest war eröffnet. Rauschend wurde es gefeiert und für ein paar Stunden vergass die letzte Katze das Mausen und erfreute sich des Glücklichseins. Ich prostete einem alten Freund zu als sie erschien.
Ich hielt sie für einen von der Decke gefallenen Diamanten, so sehr strahlte sie in ihrem Sein. Mit einem Lächeln kam sie auf mich zu, verneigte sich vor mir und hielt sich auf einem Knie. „Hoch mit Euch, Teuerste. Was wünscht Ihr von Eurem König?“ Ich nahm ihre behandschuhte Hand in meine und liess sie erheben. Sie blickte direkt und offen in mein Gesicht. Nie zuvor hatte ich solche Augen gesehen. Sie sahen direkt in mein Herz. Sie funkelten und mir verschlug es den Atem. Etwas leiser sprach sie:“ Ich gehöre heute Nacht Euch allein. Ich erfülle Eure Herzenswünsche.“ Eine unsichtbare Hand liess mich sie um die Hüfte halten und aus dem Ballsall führen. Neugierige Blicke folgten uns. Ich sah sie nicht. Ich fühlte nur dieses zauberhafte Gefühl des Schwebens. Wortlos gleiteten wir durch die mächtigen Räume bis wir vor meiner Schlafkammer ankamen. Sie öffnete die Tür, liess uns eintreten und schloss sie wieder.
Viele Nächte hatte ich in meiner Kammer verbracht, doch diese Nacht war anders. Sie fühlte sich wie in einem Traum an. Ich wollte nicht erwachen, also erlaubte ich mir auch nicht, mich zu kneifen. Sie half mir aus all meinen umschlungenen Gewänder, schlüpfte aus ihrem purpurroten Gewand und Hand in Hand bestiegen wir das Gemach. Die schweren rot-gold verzierten Vorhänge schlossen sich um uns und liessen uns in eine andere Welt fliegen. Ich verlor mich in ihren süssen weichen Lippen und als sie meine berührten, fühlte ich einen Orkan durch meinen Körper wehen. Sie hauchte ihren ganzen Zauber in mich und es gab keine Möglichkeit der Flucht mehr. Wir umarmten uns wie Ertrinkende auf einem untergehenden Schiff im Meeressturm und versanken in den wogenden Wellen. Unsere Körper erforschten sich gegenseitig und konnten sich nicht mehr lösen. Niemals zuvor empfand ich ein solch zugleich himmlisches und höllisches Gefühl. Es zog mich hinab und gleichzeitig hinauf. Himmel und Erde vereinten sich und niemand konnte sie aufhalten. Wir entkamen dem Sog nicht. Wir liessen uns aufsaugen, uns vereinen, um niemals mehr ein Teil zu sein. Vollkommen. Ich fühlte mich niemals zuvor so vollkommen wie in diesen Nachtstunden.
Der Vorhang wurde aufgerissen und die strahlende Sonne blendete meine noch schläfrigen Augen. Mein Kammerdiener stand da wie jeden Morgen und wünschte mir einen wunderbaren schönen Tag. Er entfernte sich aus meinem Schlafgemach und ich sah mich um. Niemand lag neben mir. Ich war allein. Also war es doch nur ein Traum. Es fühlte sich so wirklich an. Als ich mich noch schlaftrunken aus dem Bett räkelte, fühlten meine Hände etwas Flauschiges. Ich erblickte ein rotes Strumpfband. Kein Traum. Vollkommen. Ich fühlte mich sogleich wieder vollkommen. Niemals hab ich ihren Namen erfahren. Ich weiss nicht wo sie lebt und was sie tut. Doch das Strumpfband verlässt keinen Augenblick mein Dasein. Wenn mein Verstand manchmal des Lebens fast verzweifelt, holt mich das Band zurück in diese vollkommene Welt. Diese Welt, die irgendwo existiert, die jedoch niemand auf einer Karte eingezeichnet hat. Eine Welt, die den meisten von uns verschwiegen ist. So erschuf ich mein Anwesen. Mein Park soll alle Menschen jetzt und in Zukunft einladen, sich dieser anderen Welt wieder bewusst zu werden.
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen Menschen, die grenzenlose Träume und Phantasien lieben.