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ES LEBE DIE DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK!
ODER KAPVERDEN...

(Von Pierre Sanoussi-Bliss)

Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Hallelujah! Bloss weg hier! Welche Flecken Welt hat der reiselustige Ossi nach der Wende noch nicht bereist?

Ich schau ins Internet: Google earth: Australien? Nee. Dort leben 95 % der weltweit giftigsten Tiere. Aber die Menschen sollen da freundlich sein. In Deutschland ist das umgekehrt.

Klick. Die Erde auf dem Monitor dreht sich schneller. Uuuuunnd... Stoppp! Wie heisst das? Zoom. Kapverden? Schon mal gehört. Gern als Insider-Tip gehandelt. Nix Giftiges UND nette Menschen.

Also Kapverden in die Suchmaschine. Klick. Reiseanbieter Neckermann. Darf man das? Warum nicht. Was soll dieses elitäre Gehabe. 15 Jahre als Ossi am Liepnitzsee gezeltet und jetzt einen auf etepetete machen? Also Neckermann. Klick.

Die Fotos zeigen ein sehr anheimelndes Hotel.
"Odjo D`Agua". Nur 45 Zimmer und kein Beliebt-bei-deutschem-Publikum-Vermerk ("Sind Sie nicht Tatort? Ach, nee, Derrick!", "Kann es sein, dass Sie einen Doppelgänger haben?", "Darf ich ein Foto...?". Schwups, dicke Frau im Arm).
Gut, Kapverden. Schatz fragen. Schatz nickt. Hauptsache weg. Weihnachten nicht kauend auf Sofa mit Papst und besinnlicher Merkel. Und Silvester um 22 Uhr ins Bett gehen dürfen. Helau! Klick. Gebucht.

Zurück zu Google earth. Zoom auf Insel Sal, Hotelort Santa Maria. Schade, dass man noch nicht genau erkennen kann, was die Leute auf ihren Tellern haben (Kack-stop nicht vergessen!). Ist das da eine Baustelle next to the hotel? Was sprechen die eigentlich da? Schahatz!? Kapverdisch? Keene Ahnung. Aha.

Da ist eine Baustelle! Zwei! Eine links, eine rechts neben dem Hotel. Wie kriegt Neckermann das auf den "aktuellen" Katalogfotos in Internet hin, dass man die nicht sieht? Es lebe die digitale Bildbearbeitungs- software!

Und nun? Gebucht ist gebucht. Mail to Neckermannzentrale Oberursel. Baustelle? Antwort: Nein! Google-earth-Fotos veraltet! Schönen Urlaub! Und Tralala!

Puhchen. Danke. Leichte Zweifel, aber Glaube an das Gute in Oberursel...

Kapverden! Der Flieger dreht noch eine nächtliche Runde über Sal. Bunte Lichter blinken uns vom Ufer "unserer" Bucht Vertrauen erweckend entgegen. Alles wird gut.

Die Passkontrolle dauert ewig. Warum machen solche Miniländer immer so ein Riesenbohei bei der Ein- und Ausreise? Wer versteckt sich schon auf 100 qkm Ödland und begibt sich freiwillig ein Leben lang auf Nahrungssuche? Die DDR lebt!

Nach meinem letzten Kuba-Aufenthalt habe ich 2 Stunden gebraucht, um das Land wieder verlassen zu dürfen. Es war dem kubanischen Grenzbeamten irgendwie nicht klarzumachen, dass ich kein Kubaner bin, der mit einem gefälschten Pass flüchten will, und dass auf diesem Planeten noch anderswo Millionen Schwarze ohne Castro überleben. Und noch nie kubanischen Rum getrunken haben.

Ich bin drin! Schatz auch. Andere aber nicht, da die neckermannschen Oberurseler es wohl nicht geschafft hatten, die zurückgefaxten Visaanträge rechtzeitig zu bearbeiten. So bezahlen viele, als sich endlich ein kapverdischer Beamter mit Ohne-mich-geht-hier-gar-nichts-Blick einfindet, um die maulende Einwandererschlange abzukassieren, nochmal die im Reisepreis bereits enthaltene Visagebühr.

Irgendwer redet auf mich ein. Portugiesisch. Klar. Wo haben die nicht geraubzugt. Ich erwidere diesem tiefschwarzen Mann auf deutsch, dass ich kein Wort verstehe und meinen Hexaglott vergessen habe.

Er bequatscht mich ungerührt weiter, während er mit diversen Muschelketten wedelt, und so fange ich meinerseits und zeitgleich zu erzählen an, was es im Flieger so zu essen gab, dass wir Comfort-Class geflogen sind, weil Schatz mit seiner Grösse von Zweimeterundfünf sonst aus der Economy wieder heraus geschweisst hätte werden müssen, dass ich hoffe, von seiner Art Gastfreundlichkeit den Urlaub über verschont zu bleiben, dass mir entfallen ist, ob ich den Geschirrspüler zu Hause noch angestellt habe, oder in drei Wochen im selbigen "unsere kleine Farm" wiederfinde, und dass das einzige Portugiesische, das ich kenne, Telmo Pires heisst, ein toller Fado-Sänger ist und bei mir in Berlin im Haus wohnt.

Nun hat er`s kapiert, dreht sich abrupt um und sucht sich andere Opfer, die ja momentan reichlich und derangiert aus dem Flughafen auf den Altar gespuckt werden.

Wir folgen der freundlichen Neckermannfrau zu einem kleinen Bus, der einen Anhänger hat, auf den wir alle unsere Koffer bugsieren, von denen allerdings einige während der Fahrt bodenwellenbedingt herausspringen und auf die Strasse poltern, was der Fahrer aber erst nach motorüberdröhnendem Geschrei von uns Businsassen zur Kenntnis nimmt. Er hält an und lädt sie wieder auf.

Es wird plötzlich Beifall geklatscht im Bus und mir scheint es, als hätten einige Touris schon seit der Landung auf`s Applaudieren gewartet. Aber man macht das ja jetzt leider nicht mehr. Soo uncool...

Die dicke Frau, die im Bus vor mir klemmt, nutzt das entstandene Einheitsgefühl mit der an mich gerichteten Frage, wer denn nun der Nachfolger von Rolf Schimpf bei "Der Alte" wird. Immerhin, richtige Adresse. Aber falscher Zeitpunkt. Erstens weiss ich`s nicht und zweitens bin ich grade tausende Kilometer geflogen, um genau diesen Fragen zu entkommen. Und genau das sage ich ihr auch und habe einen Fan weniger auf der Welt. Sorry, ZDF!

Da. Einchecken. Zimmer 111. Gestutzt hätte ich nur bei 666. Aber so...? Wir hieven unsere Koffer eine kleine Treppe hoch und...

Zwei riesige Zimmer! Ein begehbarer Schrank, ein sau- beres Bad, TV, Safe, sowie ein kleiner Balkon vorneraus mit Blick auf`s Meer.

Aufatmen! Auspacken. Abendbrot (so Lala). Umfallen. Schlafen. Gehämmer.

Pressluftgehämmer!!! 6.45 Uhr! Ich trete mit schwer verpennter Ungläubigkeit auf den gerade entdeckten Hintenrausbalkon und bin schlagartig wach. Ich throne tatsächlich wie Julia auf dem Balkon direkt über einer belebten, sie ahnen es, Baustelle.
Es war weder Nachtigall noch Lerche. Und Neckermann macht`s möglich, dass mir nach Jahren zum ersten Mal wieder Wuttränen in die Augen schiessen. Schatz und ich sind für 3100 Euro pro Person auf einer Baustelle einquartiert worden. Eine geballte Ladung Kundenverachtung! Sekunden später sitze ich am hoteleigenen Computer der Rezeption...

Ich haue in die Tasten und wundere mich, wie leicht es mir fällt um diese Uhrzeit 100 Zeilen Hass zu verfassen. Gesendete Nachricht speichern. Klick. Senden. Guten Morgen, Oberursel! Durchatmen.

Frühstücken. Schatz isst schon und schluckt dazu schwarze Mumpe, hier im Hotel Kaffee genannt. Schlückchen, Zack, Herzkasper! Ich erwische am "reichhaltigen Buffett" 2 Scheiben Wurst der einzig vorhandenen Sorte und muss schon wieder unwillkürlich an die DDR denken. Da habe ich aber schon die soeben eingetroffene Neckermannfrau im Visier.

Ich stürze sie sanft beiseite und mutiere zum Meckermann. Während ich neben mir stehe und mich fühle als wäre ich einer dieser schmerbäuchigen Meckersäcke, die in Sommerlöchern gern vor die Kamera geschubst werden, höre ich mich übertrieben freundlich die arme Frau zutexten. Sie behält ihr Lächeln. 10 Uhr. Kapverden. Das Gesicht sitzt.

Ich schliesse daraus, dass ich nicht der Erste mit dieser Art Anliegen bin. Eigentlich will ich nur Ruhe. Und eventuell eine zweite Wurstsorte. Die knapp 4 Sterne des Hotels müsse ich landeskategorisch sehen, sagt sie. Dritte Welt und so. Sehe ich ein. Aber den deutschen
4-Sterne-Reisepreis nicht.

Zimmerwechsel. Ich werde in eine Kaninchenbuchte geführt. Der Lachanfall überkommt mich unvorhergesehen. Verhandlungen. Neckermannfrau gegen absolut emotionslose Rezeptionistin.

Mir wird ein neuer Raum eröffnet. Halb so gross wie der gebuchte, aber akzeptabel für 20 Tage ohne Ehekrach. Meerblick. Im Stehen, da man zwischen Meer und Zimmer noch ein anderes Hotel auf den Strand geklotzt hat.

20 Minuten Kofferpacken in 111. Umzug nach 426.
20 Minuten Koffer auspacken und Mumpe vom Frühstück dabei rausschwitzen. Ich bin stolz auf meinen unkomplizierten Schatz. Kann auch sein, dass seine Urlaubsreife die Energie für Rebellion minimiert hat. Strand, wir kommen!

Die Sonne steht hoch am Himmel und wir mit grossen Augen an dem kleinen Strandabschnitt, den das Hotel sein eigen nennt.

Dicht gedrängt stehen dort 30 Liegen, die mit Handtüchern oder Bier trinkenden Briten belegt sind. Und siehe da, zwei Liegen sind noch frei! Und die Frau mit der Rolf-Schimpf-Millionärsfrage ist auch nicht da. Es gibt doch einen Gott und wir lassen uns nieder.

Zeitgleich beginnen schwarze, weissverstaubte Arbeiter Steine aus dem 2. Stock des Baustellenrohbaus hinter uns in eine grosse Blechwanne zu werfen, was den Beach-barmann dazu veranlasst, die plärrige Klingklangklong-Weltmusik, die aus seinem Ghetto- blaster fällt, noch etwas lauter zu drehen. Ich bin zu schwach, um meinen iPod aus dem Zimmer zu holen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie drei Spatzen dabei sind, einen gerade erst flügge gewordenen Artgenossen zu zerhacken. An diesem Tag rutsche ich nur noch kurz auf dem versifften Strandklo aus.

Weihnachten! Achja. Wir duschen unter einem Strahl, der uns an Heesters beim Pinkeln denken lässt. Jeder braucht 30 Minuten. Ein Glück, dass der StRandsand NICHT so fein ist, wie von Neckermann versprochen.

Hunger! Im Hotelrestaurant, unserem Hotelrestaurant, werden wir abgewiesen. Wir hätten reservieren müssen, weil Weihnachten ist. Heiland, wirf Hirn vom Himmel! Christi Geburt? In mir strampelt ein kleiner Teufel und lacht sich eins, als er durch meine Augen die fünf noch freien, nicht eingedeckten Tische entdeckt.

Wir lassen es gut sein. Ist ja Weihnachten und niemand da, der die mir einfallenden Schimpfworte behutsam ins Portugiesische übersetzt.

Schlaff in himmlischer Ruh trotten wir durch das aus Träumen geborene Santa Maria. Trauben von Nahrungssuchenden stehen vor den wenigen, tja, sagen wir mal Essräumen, deren Eigentümer tatsächlich willens sind, Weihnachten Umsatz zu machen.

Wir stellen uns nicht an und mir fallen die beiden Bananen wieder ein, die ich in weiser Voraussicht tagsüber im Gestänge unseres Strandsonnenschirmes deponiert habe. Minuten später sitzen wir beide Banane zuzelnd nackt im Bett und leisten uns (wie gesagt: Weihnachten) zum Dessert muffige Cracker und köstlich warmes Wasser aus der Minibar.

Als ich Tage später, nach relativ ruhiger Nacht (auf den Kapverden wird scheinbar ausschliesslich nachts im Hotel gewaschen) zur Rezeption komme, um ins Internet zu gehen, sitzt die lächelnde Neckermannfrau am Tisch, mit einer am Weihnachtsabend in Zimmer 111 einquartierten Familie.

Ich sehe die Gesichter und weiss alles. Siehe oben.

Der Computer ist kaputt. Sorry, the Internet is broken. Aha, das gibt`s also auch.

Auf dem Weg in den baufälligen Internetladen "3D" male ich mir aus, wie die Oberurseler Entschuldigung lauten könnte.

Der Computer brummt. Sie haben nicht geantwortet. Die Neckermannfrau erzählt mir später, dass meine Mail einfach an sie weitergeleitet wurde. Aber nun sei ja alles in Ordnung. Ja, sage ich, hole meine Kamera und dokumentiere alles um mich herum für YouTube dot com, Sevenload dot de, MyVideo dot de, Google dot com slash video, Holidaycheck dot com, Hotelbewertungen dot de, Anwalt dot dot dot

Am folgenden Tag wird am Strand vor unserer Baustelle, äh... unserem Hotel ein Kabelgraben zwischen den belegten Liegen ausgehoben und eine Überwachungskamera installiert. Niemandem ist der Zweck so recht klar.

Klauen denn böse Kapverdianer zerlegene, verpupste Strandliegen um Handtuchweitwurf zu üben? Das halte ich, bei allem Gekiffe auf der Insel, nun doch für ziemlich unwahrscheinlich.

Die Überwachungskamera bringt mir wieder dieses launige DDR-Gefühl, welches ich die ganze Zeit temporär in mir spüre. Die DDR...! Mir schiesst Margot Honecker durch den Kopf. Tät sie hier urlauben, sie würde es lieben. Und sie lebt ja noch! Sie wird doch wohl nicht...? Macht`s Neckermann möglich?

"Liebe Frau Honecker! Ich kann mir vorstellen, dass sich Ihre Blauspülung in der kapverdischen Gischt gut macht, aber bedenken Sie bitte auch all die Armadas von Fliegen, die sich am Strand über Sie hermachen. Nicht gleich, was Sie denken, sondern weil die Einheimischen die angenehme Eigenschaft haben, ihre gefangenen Fische in unmittelbarer Strand- und Touristennähe abzuschuppen und auszunehmen, ohne (und ich betone ohne) die Abfälle hernach ins Meer zu spülen. Das wird von einigen Touris als "total urig" und "naturbelassen" empfunden, aber eben nur von einigen.

Der entstehende infernalische Gestank wird allerdings etwas durch Gruppen von streunenden Hunden abgemildert, die gern ihr Geschäft auf den, zum Fischschuppen genutzten Steinen verrichten. Eine effektive, geruchsbindende Massnahme, wie wir erstaunt feststellten.

Vielleicht sollte ich, der durch Volksbildung Ihnen auf ewig Verbundene, noch erwähnen, dass auch hin und wieder gemeinnützige Arbeit am Strand und in den Strassen von den Touristen erwartet wird, indem sie den Dreck wegräumen, den die Einheimischen einfach überall hinterlassen. Verkehrte Welt? Nicht doch. Wir haben diese ganze westliche Wegwerfkultur doch erst auf diese, einst unberührten Eiländer gebracht. Da müssen wir nun auch toleraaaa... Tut mir Leid, die Taste klemmt."

Das war nur ein hingekritzelter Briefentwurf, den ich so natürlich nicht abgeschickt habe. Abgeschickt, besser gesagt aufgegeben, habe ich aber etwa 20 Urlaubskarten an Angehörige und Freunde. Wer weiss, wo die bei all dieser Globalisierung gelandet sind. Ich hätte mich natürlich vor dem Urlaub durchaus mal erkundigen können, woran man auf den Kapverden tote Briefkästen erkennt... Nein, woran man Briefkästen erkennt.

Auf unserem Rückflug (ich kam ohne Probleme raus) entdecke ich auf unserer exorbitanten und unerklärlichen "Extras"-Rechnung, dass wir im Hotelrestaurant noch zwei Mal essen gehen werden.

Und zwar genau 14 Tage nach unserer Abreise.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

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