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Gestörte Beziehungen im Freizeitbereich
Der „Neue“ – Mobbing in Vereinen
Wir alle kennen Vereine oder Clubs, in denen Menschen gerne zusammenkommen, z. B. den Kegelclub, den Handballverein, den Tennisclub, den Kirchenchor oder den Wanderverein.
Die Motivation, in einen Verein einzutreten, ist zunächst das Interesse an seinem sachlichen Zweck. Ebenso wichtig, wenn nicht in manchen Vereinen sogar vorrangig, ist für die Mitglieder das „Vereinsleben“, also die Geselligkeit, die ihnen der Verein bietet. Jede Kommunikation zwischen Menschen ist aber grundsätzlich auch störanfällig und so kann es auch in einem Verein zu gestörten Beziehungen innerhalb der Gruppe kommen. Die Eigendynamik dieser Kommunikationsstörungen kann in Einzelfällen auch zum Mobbing führen. Ein Beispiel aus einem Kirchen- chor:
Leo, 59:
Als Vorruheständler suchte ich mir neue Betätigungsfelder.
Da ich früher schon immer gern in einen Chor gegangen wäre, aber keine Zeit für derartige regelmäßige Veranstaltungen hatte, meldete ich mich in einem Kirchenchor an. Von der Altersklasse her passte ich eigentlich sehr gut hinein, vom Erscheinungsbild eher weniger. Während die Masse den „Rentnerbeige-Einheitslook“ zu bevorzugen schien, war ich Kontrastprogramm und kam mir in gelbem Anorak, grüner Hose und bunt gestreifter Ringelmütze wie ein Paradiesvogel vor. Meine Farbenfreude in der Kleidung spiegelt mein Lebensgefühl wider und nie zuvor habe ich deshalb irgendwo Ablehnung erfahren.
Natürlich ist mir nicht entgangen, dass manche Menschen schon ein bisschen geschmunzelt haben, aber „geschnitten“ wurde ich deshalb nie. Anders war das im Chor.
Obwohl die Chormitglieder vordergründig freundlich zu mir waren, merkte ich bald, dass über mich getuschelt und gelacht wurde. Bei Chorproben wurden Kommentare abgegeben, die ich hören sollte: „Der singt absolut schief und daneben.“ Darauf ein anderer: „Nicht so laut, sonst fängt das sensible Weichei noch an zu heulen.“ Ich habe den Chor einige Male nach der Chorprobe zum Bierchen eingeladen, um die Situation zu verbessern. Am Ende war ich so zermürbt, dass ich aufgab und den Chor verließ.
Die Motive für das Mobbing sind in diesem Fall offensichtlich.
Der „Neue“ ist anders als die Gruppenmitglieder, er kleidet sich auffallend und er wirkt unsicher und schwach, er gilt als „Weichei“. Seine Andersartigkeit wirkt störend und er wird in der Gruppe nicht ernst genommen.
Ein Vereinsmitglied kann sich in vier von einander unabhängigen Kategorien besondere Anerkennung in einer Gruppe verschaffen und zwar:
• durch Können, damit trägt das Mitglied maßgeblich zur Erreichung des erklärten Zieles des Vereins bei, z. B. wenn Leo über eine außergewöhnlich gute Stimme verfügen würde,
• durch Geld, wenn Leo seinen Chor maßgeblich finanziell unterstützen würde,
• durch gesellschaftlich hervorgehobene Stellung und
• durch eine attraktive Persönlichkeit.
Da Leo in keiner der vier Kategorien wenigstens das gefühlte Durchschnittsniveau erreichte, hatte der Chor offenbar kein besonderes Interesse an ihm und so wurde er auf subtile Weise aus der Gruppe gedrängt.
Auch wenn das Mobbing für Leo mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden war, muss doch eingeräumt werden, dass es wesentlich leichter ist, einen Verein zu verlassen als einen Arbeitsplatz, wie es im vorangegangenen Abschnitt geschildert wurde.
Missgunst und Neid im Bekanntenkreis „Gute Freunde und Bekannte mobben sich doch nicht!“,
würden Sie sagen – wenn Sie es noch nicht erlebt haben. Es geht ja auch nicht um einzelne Bekannte, sondern um eine Gruppe von Bekannten, sagen wir, vier bis sechs Ehepaare, kurz, den „Bekannten- kreis“. Man trifft sich regelmäßig zu Geburtstagen, zu Grillfesten und zu Freizeitaktivitäten, wie z. B. Tagesausflügen. Daneben gibt es die wunderbare Erfindung des „Kaffeeklatsches“, der aber den Damen vorbehalten ist. Männer organisieren gern z. B. eine Wanderung
mit Übernachtung, überlassen aber oft die „Kommunikationsarbeit“ lieber den Frauen. Damit tragen vor allem die Frauen die Verantwortung für die Qualität der Beziehungen innerhalb des Bekanntenkreises. Das heißt auch, wenn sich Störungen einstellen, betreffen diese zunächst fast immer die Beziehungen der Frauen untereinander.
Ursachen
Welche Art von Störungen können auftreten?
Eifersucht und Neid lassen sich oft beobachten. Diese Gefühle werden provoziert, wenn sich eine Frau aus dem Bekanntenkreis vom Durchschnitt besonders abhebt, sei es, dass sie besonders attraktiv auf Männer wirkt, intelligenter und selbstbewusster ist, besonders „tolle“ Kinder hat oder wegen ihres Berufes einen größeren finanziellen Spielraum hat als die anderen. Eifersucht, Missgunst und Neid sind die
Triebfedern für die Aggressionen in der Gruppe. Anders als am Arbeitsplatz oder im Verein ist das Opfer der Aggressionen nicht eine schwache, unsichere Person, sondern ein Mensch, der den anderen der Gruppe etwas voraus hat und der, wenn es gerecht zugehen würde, Anerkennung verdiente.
Das Phänomen, dass Frauen einander bekämpfen, nennt man umgangssprachlich „Stutenbissigkeit“ und ist in der Wissenschaft als „Krabbenkorbphänomen“ beschrieben worden. Fischer brauchen, wenn sie Krabben gefangen haben, den Korb nicht zuzudecken, denn jede Krabbe, die versucht, sich zu befreien, wird von den anderen Krabben zurückgeholt. Warum ist das bei Frauen auch so? Alle sitzen in einem „Korb“ und fühlen sich im Einklang. Wenn eine der Frauen nun versucht, aus dem Korb auszusteigen, weil sie mehr Talent, Durchsetzungswillen und Ehrgeiz als die anderen hat, dann neigen andere Frauen dazu, sie wieder herunter zu ziehen, weil es die Harmonie der Gruppe stört. Nichts bedroht Frauen mehr, als eine andere tüchtige Frau. Frauen, die auf irgendeinem Gebiet in Führung gehen, verlieren die Geborgenheit und Zugehörigkeit der Gruppe.
Wenn Eifersucht, Neid und Missgunst die Ursachen für Mobbing sind, dann bedarf es nur noch eines Anlasses, um den Mobbingkrieg gegen das Opfer zu entfachen. Solch ein Anlass könnte schon darin bestehen, dass ein Gruppenmitglied eine bestimmte Person aus dem Kreis überschwänglich lobt.
Formen der Angriffe
Die Formen der Angriffe reichen von der getarnten Aggression, der üblen Nachrede bis hin zur Ausgrenzung. Frauen neigen dazu, ihre Aggressionen getarnt und verdeckt auszutragen.
Eine offene Auseinandersetzung scheint zu riskant, denn es ist schwer abzuschätzen, ob man dem anderen gewachsen ist. Deshalb wird möglichst unauffällig auf allen Ebenen mit strategischem Einfallsreichtum gegen die Rivalen gearbeitet.
Verbündete werden gesucht. Im Gegensatz zu Männern, die ihren Gegner durch Leistung zu übertrumpfen suchen, reicht Frauen, die seelische Gewalt ausüben, das selten. Sie neigen dazu, die andere Frau auch als Person ausschalten zu wollen. Das heimliche Ziel besteht darin, „under cover“ viele Personen mit möglichst großem Einfluss in ihre Angriffstaktik hineinzuziehen.
Die getarnte Aggression
Es handelt sich hier um scheinbar witzige Bemerkungen, kleine Sticheleien, Spötteleien und ironische Bemerkungen, mit denen der Mobber auf Kosten des Gemobbten in der geselligen Runde der Gruppe schallendes Gelächter erzielt.
Gegenstand ist irgendeine Schwäche des Opfers – und bei jedem Menschen findet man eine solche. Auch peinliche Begebenheiten aus der Vergangenheit werden gern aufgespießt.
Alles wird gut verpackt, beispielsweise als vermeintliches Kompliment, so dass es nicht als Angriff erkannt werden soll. Diese scheinbar harmlosen Attacken zeigen oft schon den Beginn eines Mobbingkrieges. Es kommt bereits hier darauf an, dass sich das Opfer schlagfertig verteidigt, am
besten durch einen Gegenangriff.
Eine weitere Spielart des Mobbings ist die verdeckte Aggression in der Form der üblen Nachrede.
Wenn über andere – nicht Anwesende – getratscht wird.
Da man sich ausrechnen kann, dass jeder einmal „dran“ ist, wird dieses Verhalten in der Gruppe oft nicht allzu übel genommen, schließlich kann man sich bei nächster Gelegenheit revanchieren. Ernst wird es aber, wenn die Gruppe beginnt, sich auf eine Person als Opfer zu fokussieren. Dann macht man sich nicht mehr nur über persönliche Schwachpunkte der Zielperson lustig, sondern es werden auch Gerüchte gestreut und Unwahrheiten behauptet mit dem Ziel, das Opfer endgültig zu demontieren. Und dann gibt es noch die sehr wirksame Waffe der Ausgrenzung.
Die Ausgrenzung
Das Opfer wird nicht mehr eingeladen und erfährt später von der Einladung durch Zufall oder weil sich jemand „verseelische plappert“. Mit fadenscheinigen Entschuldigungen, wie „Ich kann nicht jedes Mal alle meine Bekannten einladen, an meinen Tisch passen nur neun Personen“ oder „Ich dachte, du bist im Urlaub“, wird versucht, die Ausgrenzung zu kaschieren.
Die Ausgrenzung ist auch bei Zusammenkünften mit den Ehepartnern zu spüren, bei denen das Opfer nicht übergangen werden kann, wenn man die Körpersprache der übrigen Gruppenmitglieder wahrnimmt und registriert, wer neben wem steht, sitzt oder wer sich mit wem unterhält.
Carola, 57:
Ich kam zufällig in einen Kreis, der im Gegensatz zu mir sehr außen- gesteuert und konsumorientiert war. Wenn ich mit der Gruppe unterwegs war, war ich die Einzige, die zwar mit zum Shoppen ging, aber nichts kaufte, weil ich nichts brauchte. Von einer dieser Damen musste ich mir dann auch in spitzem Ton sagen lassen: „Man kann sich auch noch zu Tode sparen.“ Ich selbst konnte diese Bemerkung in keiner Weise nachvollziehen und konterte darauf: „Satter als satt kann man nicht sein, ich habe alles, was ich brauche.“
Ich merkte aber, dass ich aufgrund meines Andersseins, meiner Abweichung, zunehmend ausgegrenzt wurde oder mit verächtlichen Blicken oder Bemerkungen bedacht wurde. Für mich war das alles unerfreulich und nicht nachvollziehbar. Ich habe doch auch keine spitzen Bemerkungen über das Shoppingverhalten der anderen gemacht. Lange habe ich gegrübelt, warum man mich nicht mochte und schlecht behandelte.
Irgendwann ging mir das so auf den Geist, dass ich mir einen neuen Bekanntenkreis suchte, wo ich so akzeptiert wurde, wie ich war.
Doris, 64:
In meinem Damen-Kaffeekränzchen war ich die Einzige, die im Gegensatz zu den anderen immer berufstätig war und eigenes Geld verdiente. Obwohl ich immer eingeladen wurde, merkte ich, dass die Gruppe alles andere als wohlwollend war, eines Tages sogar übergriffig wurde und mir vorhielt, dass ich eine eigene Pension bekam. Daraufhin
machte ich klar: „Die Pension bekomme ich nicht geschenkt, die habe ich mir erarbeitet.“
Auf ganz miese Art und Weise versuchte man, sich auf meine Kosten zu verlustieren und mich vorzuführen. Die Gastgeberin verpackte die größte Unverschämtheit in ein Kompliment, indem sie sagte: „Ach wie siehst du heute wieder gut aus, nicht so aufgedunsen, wie sonst schon mal.“
Hätte ich nicht meinen guten Tag und meinen inneren Kampfanzug an gehabt, wäre mir die Kinnlade bestimmt heruntergefallen und alle hätten auf meine Kosten einen Lacher gehabt. Ich konterte: „Im Gegensatz zu dir kann ich mit meinen Genen sehr zufrieden sein.“
Dieser Schlagabtausch, bei dem es gezielt unter die Gürtellinie ging, zeigte mir, wie vergiftet die Atmosphäre war. Ich zog meine Konsequenzen und setzte mich von diesen „toxic people“ ab.
Wer permanent solchen Attacken wehrlos ausgesetzt ist, kann davon sogar krank werden.
Copyright © Sankt Ulrich Verlag
Texte: Sankt Ulrich Verlag
ISBN: 978-3867442046
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
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