Cover

Einführung



Frauen ohne Einfluss in der Kirche?



„Licht aus, Spot an!“ Wir knipsen das Licht über 2000 Jahren Christentums-Geschichte aus und richten den Lichtkegel nacheinander auf sechs ausgewählte Frauen. Nicht auf die wohl- und wundertätigen Heiligen, sondern auf die geistig brillierenden Frauen. Auch sie gab es in der Geschichte der Kirche. Sie meldeten sich mündlich und sogar schriftlich zu Wort, vor allem als leidenschaftliche Mahnerinnen der Päpste

, geliebt und verfolgt zugleich. Das Potential von Frauen – oft genug unterdrückt und verschüttet – kommt in ihnen exemplarisch ans Tageslicht. Grundlage für die innere Kraft, aus der heraus sie die Päpste bewegten, ist die persönliche, aber auch gesell- schaftsverändernde Befreiung durch Jesus Christus: Er begegnete beiden beiden Geschlechtern ohne Vorbehalt und Privileg.
Der Aufruf des Paulus zur Freiheit: „Es gibt weder Mann noch Frau in Christus“ (Gal 3,28) bedeutete, dass in der Gemeinde der von Jesus Befreiten nun kein Privileg mehr darin liegen sollte, als Mann geboren zu sein. Das war etwas völlig Neues im Blick auf die anderen Religionen. Auch wenn sich nur wenige Jahrzehnte später die (allerdings vorläufigen) neutestamentlichen Gemeinde- Regelungen wieder am Zeitgeist und an den historischen Gebräuchen orientierten und die Frauen in ihrem Wirkungsbereich zunehmend einschränkten. In anderen Religionen werden Frauen zumeist unter der Kategorie ihrer Fruchtbarkeit hochgeschätzt (Hinduismus, Islam) oder aufgrund eben dieser geringer geachtet (Theravada- Buddhismus).
Vor allem wegen ihrer Sinnlichkeit werden Frauen in den meisten Religionen als Versucherinnen verachtet und stark reglementiert. Wenig üblich war für Frauen in der Geschichte der Religionen die Ausübung von geistigen

Tätigkeiten. Von daher ist gerade die hier vorliegende Dokumentation der Briefe an die Päpste von besonderer Bedeutung: Sie zeigen den Esprit, mit dem die Frauen das Wort Gottes intelligent auslegten, und den Charme, mit dem sie ihre kraft- und geistvollen Botschaften den Päpsten präsentierten.
Erst in den letzten Jahrzehnten der Frauenforschung kamen Biographien und Weisheitslehren von Frauen ans Licht, durch die unsere Kirchengeschichte als ein Zusam- menspiel von beiden Geschlechtern neu verstanden werden kann. Der Beitrag der Frauen in der Geschichte des Christentums hat einen ganz eigenen Wert, der nicht an den theologischen Leistungen der Männer gemessen werden sollte. Bereits die Christinnen der Antike hatten entdeckt, wie sehr sie ihre Berufung zur ehelosen Nach- folge Christi freisetzte von ihrem Eingespanntsein in Ehe und Mutterschaft. Anders als ihre römischen Geschlechts- genossinnen waren sie frei für die intellektuelle und geistliche Beschäftigung, bis hin zur Lehrtätigkeit bzw. zum Katechetendienst für Frauen, aber auch für ratsuchende Priester.
Seit dem 4. Jahrhundert ist neben dem Abba (dem geistlichen Vater) auch die Amma (die geistliche Mutter) bekannt. Prägend waren Frauen wie die Apostelin und Paulusschülerin Thekla (1. Jh.), die Klostergründerin und Äbtissin Melania die Ältere (342–410), die Asketinnen oder Wüstenmütter (parallel zu den Wüstenvätern) wie Makrina die Jüngere (327–380), oder die hl. Nino (um 325–361), die als Missionarin und Klostergründerin Georgien im 4. Jahrhundert zum Christentum führte.
Nach diesen weisen Müttern der Antike setzten sich im Mittelalter und der Neuzeit immer wieder einzelne heilige Frauen – neben ihrem karitativ-diakonischen Dienst und ihrem bekennerhaften, asketischen Leben – auch in geistiger theologischer Arbeit

mit dem Wort Gottes auseinander. Als sich die Wirren der Völkerwanderung gelegt hatten, kristallisierte sich die besondere Stellung der Ordensfrau heraus, die frei war, sich dem Studium und der Bildung zu widmen.
Auch Frauen aus den kirchlichen Gemeinschaften der Reformation haben natürlich in ihrem Umkreis prägend gewirkt, suchten aber – begreiflicherweise – weder den Kontakt zum Papst noch traten sie mit einem speziellen Anspruch für die weltweite Kirche auf.
Im 20. Jahrhundert war dann endlich auch das Universi- tätsstudium für Laien-Frauen geöffnet. Die Feministische Theologie bildete sich heraus und Netzwerke zwischen Laien entstanden, wodurch eine wesentlich intensivere Mitgestaltung in der Kirche möglich wurde als in den Jahrhunderten zuvor. In diesem Band vertritt Edith Stein die Generation der studierten heiligen Laien, da sie ihren mahnenden Brief an Pius XI. geschrieben hatte, bevor sie ins Kloster eintrat. Seither mischen sich Frauen sehr wohl in die Kirchenpolitik ein und prägen die Theologie- geschichte mit. Doch auch weiterhin bleibt die Frage nach der gegenseitigen Anerkennung und Wahrnehmung von Männern und Frauen in der Kirche offen. Die hier vorgestellten Frauen entwickelten eigenständige Neuansätze im Hören auf Gott – als Prophetinnen

. Ihr Ziel war es, die Kirche durch klare und auch harte Worte in den gottgeplanten Zustand zu versetzen und zu heilen. Sie kritisierten den Papst und die Kirchenfürsten – bis hin zu Beschimpfungen und Belei- digungen: Birgitta von Schweden nannte einmal einen Kardinal einen „Affen“. Dabei blieben sie aber immer in der Gemeinschaft mit ihrer Mutter Kirche. Sie nahmen starke Hemmnisse und Verfolgungen in Kauf und waren dennoch ihrer prophe- tischen Berufung treu, ohne sich aus der Gemeinschaft der Kirche zu lösen, worin sie sich von den Reformatoren unterscheiden.

Das kritische Potential der Patroninnen Europas



Papst Johannes Paul II. (1978–2005) schien dieses prophetisch-kritische Potential von Frauen in der Kirche nicht zu scheuen. Denn er erhob 1999 ausgerechnet drei Frauen zu Mit-Patroninnen Europas, die als leiden- schaftliche Mahnerinnen der jeweiligen Päpste in ihrer Zeit aufgetreten waren: Birgitta von Schweden, Caterina von Siena und Edith Stein – sie sollen nun als Für- bitterinnen bei Gott für Anliegen Europas angerufen werden können. Sie alle sind heilige, d. h. von Gott und der Autorität der Kirche geprüfte und anerkannte Vorbilder, und zugleich „aufmüpfige“ Frauen. Sie hatten dem jeweiligen Stellvertreter Christi mutige bis unverschämte Briefe geschrieben, ihn bezüglich seines Lebensstils an die Nachfolge Jesu erinnert und ihn zu Reformen gedrängt: die hl. Birgitta von Schweden

, Beraterin des schwedischen Königspaares, die den Papst zur Buße und zur Rückkehr nach Rom rief; die hl. Caterina von Siena

, die in ihren nur 33 Lebensjahren eine erstaunliche politische Wirksamkeit entfaltete und sicher die literarisch bedeutendsten Briefe des Spätmittelalters verfasste; die hl. Edith Stein

, die schon wenige Wochen nach der Machtergreifung Hitlers den Papst aufforderte, das Schweigen gegen die juden- feindliche und in zweiter Linie auch christenfeindliche Ideologie des Nationalsozialismus zu brechen.
Noch weitere Frauen hatten in der Kirchengeschichte diesen Weg der Kommunikation über und mit dem Stellvertreter Christi in Rom gewählt: die hl. Hildegard von Bingen

, die sich ihre prophetische Begabung von höchster Autorität bestätigen ließ, um dann den Papst auch an seine Aufgaben

zu erinnern; Mary Ward

, die im Zuge ihres Kampfes für die Gleichstellung von Frauen in der Bildung einige Wochen eingekerkert wurde und deren Selig- sprechung noch immer aussteht; die sel. Elena Guerra, eine italienische Ordensfrau, die die Kirche an ihren ureigenen Auftrag erinnerte, immer wieder um die Kraft des Heiligen Geistes zu bitten, um nicht allein aus eigener Anstrengung zu handeln.

„Eure Töchter werden Prophetinnen sein“ (Joel 3, 16)



Die Mahnerinnen traten auf als prophetisch Begabte, sei es im Stand der Ordensfrau (Hildegard, Mary Ward – ihr Orden wurde allerdings erst lange nach ihrem Tod anerkannt), als Ehefrau bzw. Witwe (Birgitta), als Ange- hörige eines Drittordens (Caterina), als Mitglied eines Säkularinstituts (Elena Guerra) oder als Laien-Singlefrau (Edith Stein). Wie wird diese offensichtlich prophetische Begabung von Frauen, wie sie sich in der Kirchen- geschichte zeigte, in der Bibel behandelt? Schon im Alten Testament ist von einigen wenigen Prophetinnen die Rede (Hulda, Debora, Miriam, Sara, Abigail, Hanna und Esther). Das Neue Testament kennt dann nach Johannes dem Täufer keinen Propheten mehr im alttestamentlichen Format. „Maria und die Frauen“

werden allerdings in der Apostelgeschichte eigens erwähnt, als an Pfingsten der Heilige Geist herab kam und sie zu vielfältigen Diensten in der Kirche befähigte. Männer und Frauen empfingen nun unterschiedslos die Gaben des Heiligen Geistes, die Charismen, (Apg 2,17; 1 Kor 12,8–10) darunter auch die prophetische Rede, die mit Visionen und der Gabe der Erkenntnis verbunden ist. Auch Paulus setzt selbt- verständlich voraus, dass Frauen im Gottesdienst prophetisch redeten (1 Kor 11,5).
Im Mittelalter konnte dann eine Frau, die wie Hildegard, Birgitta oder Caterina als vom Heiligen Geist begabt anerkannt war, faktisch eine Machtfülle ausüben, die sonst nur Äbtissinnen innerhalb ihres Klosters innehatten oder Adlige im Herrschaftsbereich ihres Mannes oder Sohnes. Diese Machtfülle wuchs allerdings ganz unscheinbar aus einer innigen geistlichen Freundschaft mit Jesus hervor. Aus dieser persönlichen Gottesbeziehung heraus, so schrieb Edith Stein, seien Frauen zwar nicht als Priesterinnen erwählt, wohl aber „als Sendboten seiner [d. h. Gottes] Liebe, als Verkünderinnen seines Willens an Könige und Päpste, als Wegbereiterinnen seiner Herrschaft in den Herzen der Menschen“ (ESGA 13, 77).
Die Kritik einer prophetisch-begabten Frau, die ihre Stimme erhob gegen die Mängel der Kirche und ihrer geweihten Vertreter, war den Kirchenfürsten natürlich lästig. Aber in Ausnahmen wurde diese prophetische Begabung vom Papst selbst sogar hoch geschätzt, wie wir an Hildegard, Birgitta, Caterina und Elena Guerra sehen. Die heiligen Mahnerinnen appellierten an die höchste kirchliche Instanz, den Papst, einzuschreiten und Inno- vationen durchzusetzen – allerdings mit unterschiedlichem Erfolg: Während Birgitta den feigen Rückzug des Papstes Urban V. aus Rom nur noch mit düsteren Prophezeiungen begleiten kann, bewegt ihre Nachfolgerin Caterina Papst Gregor XI. sehr wohl zur Rückkehr nach Rom, wird dann allerdings von seiner Schwäche enttäuscht. Dagegen hat Elena Guerras Drängen, die Heilig-Geist-Spiritualität in der Kirche zu fördern, großen Erfolg bei Papst Leo XIII., sie bewegt ihn dazu, mehrere Schreiben über den Heiligen Geist zu verfassen. Edith Steins Forderung nach einer Stellungnahme gegen die Judenverfolgung wird von Papst Pius XI. nur unbefriedigend in der Enzyklika Mit brennender Sorge

aufgegriffen. Ob die Mahnungen zum Erfolg führten oder nicht – die Frauen selbst sind bis heute unvergessen, während man sich kaum noch an ihre Briefpartner, die jeweiligen Päpste, erinnert.

Kennzeichen der Mahnerinnen



Ein hervorstechender Zug an diesen leidenschaftlichen Mahnerinnen war ihre Hartnäckigkeit, mit der sie Hindernisse umschifften und Konflikte durchkämpften. Die Mahnerinnen beeindruckten durch ihre Persönlichkeit, ihre Tatkraft und Initiative, aber auch durch ihren über- durchschnittlichen Intellekt und ihre hohe Bildung.
An Caterina fällt vor allem ihr Charme auf, der sogar ihre Spötter bekehrte, wie z. B. den Theologen Gabriele da Volterra OFM, einen Inquisitor und „Lebemann“: Am Ende des Verhörs bat Volterra zwei Anwesende, sein gesamtes Hab und Gut zu verschenken, und führte von da an sein Leben demütig als Diener im Refektorium seiner Ordens- brüder.
Die Mahnerinnen sprachen nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen des Gekreuzigten und Auferstandenen, sie empfingen Weisungen und Offenbarungen im Gebet. Wie man wohl einen Papst beraten könne, fragte sich Maria Widl, Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Erfurt, in einem Interview (CIG 10/2008); darüber würde sie sich gerne einmal mit Caterina von Siena austauschen. Sicher war der Schlüssel dazu die tiefe persönliche Gemeinschaft mit Jesus im Gebet, wie Edith Stein aufzeigte: „In der stillen Zwiesprache gottgeweihter Seelen mit ihrem Herrn werden die weithin sichtbaren Ereignisse der Kirchengeschichte vorbereitet, die das Angesicht der Erde erneuern. […] Und Frauen, die gleich ihr [Maria] sich selbst völlig vergaßen […], erwählte der Herr mit Vorliebe zu seinen Werkzeugen, um Großes in der Kirche zu vollbringen: eine heilige Birgitta, Katharina von Siena.“ (ESGA 19, 52) Die Mahnerinnen waren im übrigen keine Einzelkämpferinnen.
Bis auf Edith Stein, die sich der Gemeinschaft der Karmeli- tinnen anschloss, gründeten sie alle eigene neue Gemein- schaften, in denen sie Gleichgesinnte fanden für ihre verbindliche Art, ihre Freundschaft mit Gott zu leben.

Copyright © Sankt Ulrich Verlag

Impressum

Texte: ISBN: 978-3867441452 Sankt Ulrich Verlag
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Leseprobe

Nächste Seite
Seite 1 /