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Und dann erzählte Magda, Haperts blondzöpfige, rundliche Frau, zunächst etwas befangen, sie habe in der ersten Nacht, in der sie auf ihrem neuen Platz schliefen, einen Traum gehabt. In diesem Traum hatte sie eine Schar von Engeln gesehen, die über der Lichtung schwebten und über die Wagen wachten. Ein wunderbarer Traum, den sie morgens allen weitererzählte.
Daraufhin ergriff wieder Hapert das Wort und schilderte, wie er sich das Dorf vorstellte. Er geriet ins Schwärmen. Und Hedwig sah, er freute sich aufrichtig über das schöne Stück Land, das ihm und seinen Leuten zugefallen war. Fische in den Flüssen, Wild in den Wäldern, Honig zur Genüge … Ein wahres Paradies, dieses Schlesien. Auf dem Anger soll eine Kirche stehen. Mit den beiden Nachbar- dörfern, die dazukommen sollen, müßte es genügend Seelen für einen Pfarrer geben. Ihnen, den Siedlern, war ja auch das Recht zugestanden worden, den Pfarrer selbst zu wählen. Dieser müsse aus der Heimat sein. Und Ordnung wollte Hapert unter den Seinen halten. Jedem solle es gutgehen. Aber alle müßten fleißig arbeiten. Denen, die unverschuldet in Armut fallen, durch Krankheit oder andere Not, Witwen und Waisen, werde man helfen. Er werde sich um die Seinen sorgen wie ein Vater, sagte Hapert selbstbewußt und sah sich in der Runde um. Und zuversichtliche Gesichter nickten ihm zu. Sie werden viel Arbeit und Mühe haben, aber ihren Kindern werde es besser gehen als ihnen. Und das wird der beste Lohn für sie alle sein.
Und um Gottes Segen werden sie stets aufrichtig beten. Es gebe einen Siedlerspruch, sagte Hapert: Den ersten der Tod, den zweiten die Not, den dritten das Brot. Doch in Schlesien werden sie mit Sicherheit nicht so lange aufs eigene Brot warten müssen. Hier fühle man sich umsorgt. Er habe Pläne zuhauf, fuhr Hapert eifrig fort. Er könne gar nicht alles erzählen, wie er sich dies und jenes vorstelle, denn das würde bis zum Abend dauern. Wie herrlich die Siedlung gelegen ist, kann wohl jeder sehen. Am Rande des Dorfes fließt ein Bach, das Wasser wird sehr wohl ein Mühlenrad bewegen können. Er habe einen Mann dabei, der etwas vom Mühlenbau versteht. Überhaupt habe er darauf geachtet, Handwerker mitzunehmen. Einen tüchtigen Schmied, einen Schreiner und einen Bäcker und vor allem bauerfahrene Männer.
Herzogin Hedwig versprach, zur ersten Kindestaufe ins Dorf zu kommen, und verabschiedete sich von den hoffnungsfrohen Leuten. Auf dem Rückweg summte sie leise Marienlieder vor sich hin. Dieses aufblühende Leben beglückte sie. Sie durfte es behüten. Was konnte es Schöneres geben. Sie streichelte den Hals der Stute Gunda und spielte mit ihrer Mähne. Sie durfte die Hoffnung haben, daß hier etwas entstand, das Jahrhunderte überdauern wird: Siedlungen freier Menschen, die nicht gequält und geschunden werden dürfen. Dafür wird sie sorgen mit all ihrer Kraft. Sie sah das Land vor sich: Schlesien! Wie es aus dem Boden wuchs: Dörfer und Städte, Kirchen und Klöster. Von tüchtigen Menschen errichtet.
Sie dachte aber auch an die in den Wäldern vor sich hinlebenden Einheimischen. Auch sie sollen in die Gunst des aufblühenden Lebens kommen. Auch ihnen soll es gutgehen. Sie sollen lernen, so zu leben wie die Neuen. Den Acker bebauen nach deren Art, den Eisenpflug benutzen. Mühlen bauen. Bäckereien, Brauereien. Oder noch besser: Die Einheimischen sollen sich mit den Neuen zusammentun. Mit ihnen zusammenleben, heiraten untereinander. Ja, so soll es sein. So werden die alten und neuen Bewohner zusammenwachsen und glücklich sein, zusammen ein neues Volk sein: Schlesier.
Schlesien … dachte sie. Das Land entsteigt der Dämme- rung. Ihre Hand fand die kleine Figur der Gottesmutter, die sie immer an ihrer Brust trug, und sie betete dankbar: Heilige Gottesmutter, hilf mir, diesen Menschen zu helfen.
Von Hapertsdorf aus begab sich Herzogin Hedwig nach Röchlitz, um da nach ihren Kindern zu sehen, mit ihrer alten Freundin Jutta zu sprechen und sich etwas zu erholen, denn dazu war die kleine Burg da.
Abends, nachdem die Kinder zu Bett gebracht worden waren, setzten sich die beiden Frauen mit einigen Vertrauten an das wärmende Feuer in der Halle, um den ausklingenden Tag zu genießen. Da übertönte ein heftiges Klagegeschrei in der Halle das ruhige Gespräch.
Eine laute Weiberstimme verlangte in der Sprache der Einheimischen Zugang zur Herzogin. Man hörte die beschwichtigenden Stimmen der Ritter, die dem Weibe dies verwehren wollten. Die Fürstin schickte den Pagen, um den Vorgang zu klären. Der kam bald zurück und berichtete: Eine Alte, deren Sohn im Turm sitzt. Morgen soll er gehängt werden.

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Texte: Sankt Ulrich Verlag ISBN: 978-3867440035
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2010

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