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Kann ich Verstorbenen verzeihen?



Ein 45jähriger Mann kam zu mir wegen der Lähmung
seiner rechten Hand. Er konnte seit Jahren nicht mehr mit dieser Hand essen; sie versagte ihm den Dienst. Alles andere gelang, nur nicht das Essen. Das mußte seine linke Hand erledigen. Außerdem konnte er schon lange nicht mehr in die Kirche gehen, weil er in der Nähe einer Kirche von Brech- und Würgereizen gequält wurde.
Eine seltsame Krankheit. Was war passiert?
Als er 16 Jahre alt war, gab es eine heftige Auseinander- setzung mit dem Vater. Dieser wollte ihn mit dem Stock schlagen; doch der Junge bemächtigte sich des Stocks und schlug seinen Vater. Von diesem Tag an sprach der Vater kein Wort mehr mit seinem Sohn. Er strafte ihn durch Ignoranz. Jahre später starb der Vater an Krebs. Der Sohn entwickelte allmählich eine Art von Selbstbestrafung aufgrund verdrängter Schuld- und Zorngefühle. Die Unerreichbarkeit des Vaters machte ihn wütend und leidend zugleich. Seine rechte, schlagende Hand ver- weigerte ihm die Nahrungszufuhr; sie erstarrte und war wie gelähmt.
Alle Therapieversuche blieben erfolglos; lediglich während der Hypnosen setzte die Lähmung aus. Danach kam sie wieder.
Ich machte die Unversöhnlichkeit zum Thema, sein
wütendes Interesse am verstorbenen Vater, seine nicht gelebte Sehnsucht und Vergebung. Einer inneren Eingebung folgend, sagte ich ihm, er könne nur gesund werden, wenn er sich und seinem Vater vergeben könne. Das war für ihn ein schwerer Schritt; denn stets schlug er ja nach dem, was er ersehnte.
Eines Tages gingen wir zum Grab des Vaters. Er legte einen Brief auf das Grab; darin standen alle seine Verletzungen, Sehnsüchte, Bitterkeiten, Schuldigkeiten und Hoffnungen. Er bat seinen Vater um Verzeihung und sprach ihm ebenfalls seine Vergebung zu. Dabei weinte er heftig. Am Schluß verbrannte er den Brief.
Einige Wochen später besuchte ich ihn und stellte fest, daß er völlig geheilt war.


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Texte: erschienen im Sankt Ulrich Verlag
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2010

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