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Du bist so hell!



Ich bin da, wirklich da.
Ich. In Ghana.
Feuchte Wärme schlägt mir ins Gesicht, die letzten Erinnerungen an den Schnee zu Hause schmelzen. Auch ich schmelze, mitsamt meinen unzähligen Bedenken. Die vielen Abschiedswünsche von Freunden, Bekannten und Kollegen wiegen nicht mehr ganz so schwer wie noch vor ein paar Stunden. Waren sie es, die das vollbepackte Flugzeug sicher über die Sahara getragen haben?
Jetzt bin ich da, roter Staub bedeckt meine Schuhe. Ich atme tief. Mein Rucksack wird von Atemzug zu Atemzug leichter. Die Nacht hüllt das Rollfeld in ein schwarzes Tuch.
Eine steifgliedrige Passagiertraube schiebt mich auf das Flughafengebäude zu. „Kotoka Airport Accra“ leuchtet ein Schild in der Ferne. Der Duft nach Kakaobutter streifte schon in Amsterdam durch die kalte Flughafenluft. Jetzt ist er überall, dringt aus allen Poren, vermischt sich mit der feuchten Hitze.
Schweiß rinnt unter meiner Winterjacke, bedeckt meine Haut. Genauso hat es sich beim letzten Mal auch angefühlt – Ankommen in Ghana. Tief ziehe ich die Hitze in meine Lungen. Den Geruch nach Erde und verbranntem Holz, nach Motorenöl und saurem Schweiß, nach exotischen Früchten, verdorbenem Fisch und salzigem Meerwasser. Wie sehr hat sich meine Nase nach diesem Geruch gesehnt! In Deutschland habe ich ihn manchmal in kleinen, verstaubten, afrikanischen Läden gesucht.
Nun erinnern sich auch meine Augen. Die bunten Malereien am Flughafengebäude, die riesige Akwaaba- Aufschrift auf dem grauen Beton. Akwaaba heißt Will- kommen. Auch die Männer in ihrer dunkelgrünen Uniform kommen mir bekannt vor. Ihr Gesichtsausdruck ist unbewegt, Maschinenpistolen stecken in ihren Gürteln.
Im Flughafengebäude hat sich eine lange Schlange vor dem Schalter eines Beamten gebildet. Mit wichtiger Miene stempelt er Einreisegenehmigungen in Reisepässe. Ich sehe mich um. Die wenigen weißen Gesichter wirken farblos und unsicher zwischen den lebhaft palavernden Afrikanern. Manche von ihnen schleppen riesige Taschen. Ist das etwa ihr Handgepäck?
Ein Geschäftsmann mit hellgrauem Haar und sehr
dunkler Haut schwenkt ungeduldig seinen Aktenkoffer. Er schwitzt genauso wie ich. Das pinkfarbene Plastikhandy eines kleinen Jungen bimmelt ununterbrochen. Immer wieder drückt er auf den Knopf, andere Passagiere drehen sich irritiert um. Sein Vater ermahnt ihn mehrmals, gibt ihm dann eine Ohrfeige.
Die blasse Frau vor mir hat einen schwedischen Reisepaß in der Hand. Ich halte mich in ihrer Nähe. Zum Glück ist kein Spiegel da, wahrscheinlich wirkt mein Gesicht in dieser Umgebung genauso fehl am Platz wie ihres. Überall hängen Plastiktannenzweige und bunte Glaskugeln. Kaum zu glauben, daß auch hier, in dieser Hitze, erst vor ein paar Tagen Weihnachten war.
Ich fühle mich ein bißchen unwohl, ängstlich. Was, wenn ich nicht ins Land gelassen werde? Oder wenn niemand da ist, der mich abholt? Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Ich habe keine Ahnung, was mich hinter dem Zollschalter erwartet. „Next one!“ Die Stimme des Beamten klingt ungeduldig.
Eine weiße Hand, die noch immer einen schwedischen Reisepaß hält, legt sich auf meine Schulter. Ich bin an der Reihe.
Hastig krame ich unter dem strengen Blick in dunkelgrüner Uniform nach meinen Papieren. Einen Augenblick später habe ich den Stempel in meinem Paß.
Wie konnte ich nur vergessen, daß die Uhren auf diesem Kontinent anders gehen als in Deutschland! Daß „eight o, clock“ „nicht vor halb neun“ heißt. Jetzt weiß ich es wieder.
Es ist Morgen, zehn nach acht, ich stehe frisch geduscht im Wohnzimmer. Von Frühstück noch keine Spur. Die Nacht war schrecklich, viel zu heiß. Ich bin gerädert, habe mich vor zehn Minuten mühevoll aus dem Bett gequält. Denn um acht Uhr gibt es Frühstück, hieß es gestern.
Der große, dunkle Holztisch steht allein im Morgenlicht. Ich schaue mich um. Das also ist das Haus von Dr. Akuffo, der mich gestern abend vom Flughafen abgeholt hat. In seinem Krankenhaus in Tema, 20 km von der Hauptstadt Accra entfernt, werde ich in den nächsten Monaten arbeiten. Die dunklen Mahagonimöbel waren mir in der Nacht nicht aufgefallen.
In der Ecke steht sogar ein Klavier.
Draußen höre ich ein Schaben. Das Geräusch rührt von einem kleinen Handbesen aus Stroh her. Meine Ohren erinnern sich, in Afrika beginnt der Tag mit Fegen. Das ist in der Stadt nicht anders als auf dem Land. Bei Familie Akuffo wird es noch durch tägliches Autowaschen ergänzt. Ich blicke durch ein Fliegengitter. Ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren fegt den asphaltierten Hof. Zwei Jungen waschen den schwarzen Mercedes. Ein Ford Fiesta trocknet bereits in der Sonne. Die Kinder schauen in meine Richtung. Autowaschen. Täglich. Was für eine Ver- schwendung. Und das in Afrika!
Dr. Akuffo kommt, nur mit einem Handtuch um die Hüften, die Treppe herunter. Gestern hatte er einen dunkelblauen Anzug an. Weil mein Flugzeug Verspätung hatte, wartete er in der Diplomatenloge auf mich. Er trägt eine Sonnen- brille mit großen Gläsern. Seine Haut ist auffallend straff und glänzend für seine 62 Jahre. Wahrscheinlich nimmt er Kakaobutter.
„Du bist schon wach?“ Ich nicke mit einem Seitenblick auf die große Wohnzimmeruhr. Es ist schon nach halb neun. Mrs. Akuffo erscheint im Bademantel, auf dem Kopf ein gehäkeltes Haarnetz. Sie ist dreizehn Jahre jünger als ihr Mann, eine schöne Frau mit majestätischer Ausstrahlung. Ungeduldig mahnt sie das fegende Mädchen, vor dem Tor noch besser zu kehren. Das Mädchen heißt Comfort.
Mrs. Akuffo hatte sich mir am Abend zuvor als Beatrice vorgestellt. Ich mochte sie sofort. Jetzt nimmt sie mich herzlich in die Arme. „Wir sind so froh, daß du gut angekommen bist!“ Und im nächsten Atemzug mit schneidender Stimme: „Acweley, Frühstück!“
Ich zucke zusammen und stelle mich vorsichtshalber wieder neben ihren Mann. Der liest jetzt die Morgen- zeitung. Ein älteres Mädchen kommt aus der Küche. Mit gesenktem Blick deckt sie den großen Tisch. Gebratene Eier, Marmelade, Schwarztee, Nescafé und Ananas. Lecker.
Nur das Mädchen tut mir leid. Später erfahre ich, daß Acweley achtzehn Jahre alt ist und die Tochter einer Cousine von Mrs. Akuffo. In Ghana ist es üblich, daß wohlhabende Familien, die in der Stadt wohnen, Kinder ärmerer Verwandter bei sich aufnehmen.
„Für eine bessere Ausbildung“, sagt Dr. Akuffo. Im Gegenzug helfen sie im Haushalt. Comfort und die beiden Jungen, Moses und Kwaku, gehen in Tema zur Schule. Acweley besuchte nur wenige Jahre eine Dorfschule. Lesen und Schreiben hat sie nie gelernt. Auch Englisch, die offizielle Landessprache, ein Relikt aus der Kolonialzeit, versteht sie kaum.
Sie möchte Friseurin werden. Als Mrs. Akuffo uns den Rücken zuwendet, zupft sie verstohlen an meinen Haaren.

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Texte: ISBN 978-3-86744-118-6 erschienen im Sankt Ulrich Verlag
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2010

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