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Anne und Max



Wir mögen den Sommer auch hier

Ich habe ein sehr nettes Patientenehepaar, die solltest du mal kennenlernen, die machen einen glücklichen Eindruck – und kommen im Übrigen auch immer zusammen in die Praxis“, erzählt mein Ehemann. Sie hatten ihm kürzlich einen Reiseprospekt aus Südtirol mitgebracht – dorthin sollte Peter unbedingt mit mir fahren. Das machte sie mir gleich sympathisch. Nach der Visite ging das Gespräch mit den beiden – so mein Mann – immer über diverse herrliche Urlaubsziele, denn das Ehepaar (sie: Jahrgang 1935, er: Jahrgang 1932) ist ausgesprochen reiselustig.
Und so besuchte ich die beiden Charlottenburger, die sich 1952 im damals französischen Sektor des Wedding kennengelernt hatten. Lebensmittel waren knapp, erzählen sie. Es gab sie nur auf Lebensmittelkarten oder auf dem Schwarzmarkt, weshalb die Verliebten planten, nach Australien auszuwandern. Aber ihr Ausreiseantrag wurde abgelehnt, und so suchte sich Anne eine Anstellung in der Konfektion einer Schneiderei, da Max als Werkzeugmacher
zunächst arbeitslos war. Schließlich fand er eine Stelle im Auftragszentrum von Siemens. 1954 heirateten sie.
„Zuerst hatten wir keine eigene Wohnung, und als wir genug Platz für Kinder hatten, kam keins.“
„Glück ist, wenn man gesund und mit dem, was man erreicht hat, zufrieden ist“, so Annes Definition.
Und Max: „Glück ist, eine feste und gute Arbeit zu haben und natürlich Freunde.“ Beide sprechen auch von der freien Bewegungsmöglichkeit und der finanziellen Sicherheit, die zu ihrem Glück beitragen. Als Berliner, die die Blockade und den Mauerbau erlebt haben, wissen sie sehr wohl, was Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeutet.
Glücklich sind sie beide, antworten Anne und Max quasi unisono, weil sie erstens gesund sind, zweitens ihr Auskommen haben, und drittens weil sie zusammen sind. Seit der Pensionierung machen sie auch nur noch, was ihnen gefällt: Kegeln, Radfahren, Anne trifft sich ab und an mit den Kolleginnen von früher, aber im Prinzip „gehen wir immer zusammen überall hin. Wir kniffeln auch jeden Tag drei Spiele um Geld“, erzählt Anne, die Gesprächigere von beiden. Als sie noch berufstätig war, habe Max acht Jahre lang gekocht und den Haushalt geführt, jetzt mache sie das wieder.
„Die großen Dinge entscheidet er“, erklärt Anne, „und kleine Sachen entscheide ich“, so ihr Erfolgsrezept einer glücklichen Ehe. Aber was sind große Dinge? „Na, was politisch gewählt wird und so.“ Und kleine Sachen? „Alles rund um unser Alltagsleben, zum Beispiel wohin unsere nächste Reise geht.“
Ich muss lachen in Anbetracht dieser Regelung – kein Wunder, dass bei den beiden die Harmonie durch nichts gestört wird. Sieht so ihr Rezept für das Glück im All- gemeinen aus?
„Das sieht jeder Mensch anders“, relativiert Max. Sicher gehören Gesundheit, das eigene Auskommen und eine Bezugsperson, mit der man Freud und Leid teilen kann, unbedingt dazu. Anne sagt von sich selbst, dass sie Optimistin sei und meistens an eine Lösung für alle Probleme glaubt. Auch Fernreisen, wie beide sie unter- nehmen, seien nicht unbedingt erforderlich, um glücklich zu sein. „Wir mögen die Sonne und den Sommer auch hier“, beteuert Max, der früher viel Tischtennis gespielt hat.
Während Anne über ihre Ängste und Sorgen am liebsten mit ihrem Arzt spricht und im Zusammenhang mit dem Alter und zunehmenden Krankheiten auch an den Tod denkt, verdrängt Max lieber seine Sorgen.
„Das ist doch der Lauf der Welt, Max, dass der Tod zum Leben gehört“, tröstet sie ihren Mann. Aber wenn man eben nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt, dann wird es einem doch schwer ums Herz. Beide Partner sind sich einig, dass sie nach dem Tod verbrannt und anonym bestattet werden möchten. „Und wenn ich in Amerika sterben sollte oder sonst wo, dann möchte ich auch nicht wieder nach Deutschland transportiert werden“, erklärt Anne, „sondern am liebsten wäre es mir, wenn meine Asche ins Meer gestreut würde“.
Ich möchte das Gespräch aber wieder aufs Leben lenken und frage beide, in welchen Situationen sie die Zeit vergessen.
Wieder antwortet Anne zuerst: „Beim Lesen. Am liebsten historische Romane.“ Max liebt dagegen Kreuzworträtsel und beschäftigt sich täglich mehrere Stunden damit. Beim Erwachen denkt Anne: „Hoffentlich ist das Wetter heute schön!“
Max stimmt gleich zu: „Ja, das Wetter ist meistens das erste Thema.“
Wann immer möglich verbringt das Ehepaar den Winter in südlichen Gefilden. Der Tagesablauf wird gleich danach besprochen, montags ist Waschtag, freitags steht oft ein Mittagessen im Kaufhaus auf dem Plan, sowie der Einkauf fürs Wochenende.
Wenn es die Jahreszeit mit sich bringt, isst er am liebsten Spargel, sie generell frischen Fisch. „Den gibt es aber nicht hier um die Ecke, dafür müssen wir dann schon in die Wilmersdorfer Straße“, erklärt Anne.
Ihre Freizeit verbringen beide im Sommer am liebsten auf dem Balkon oder im Schlosspark Charlottenburg. Im Winter treffen sie sich dreimal in der Woche mit Freunden, so Anne. „Und wenn es mit dem Wetter nicht zu schlimm ist, spazieren wir auch durch die Laubenkolonien hier“, ergänzt Max. Einer von Max’ Kegelbrüdern besitzt eine Wohnung in Florida, USA, die mietet das Ehepaar oft.
Was die Zukunft betrifft, wünscht sich Max: „Man kann nur hoffen, dass es wieder wirtschaftlich aufwärts geht, und dass Arbeitsplätze geschaffen werden“, und Anne fügt hinzu: „Mehr soziale Gerechtigkeit müsste sein, und vor allem plädieren wir für Mindestlöhne. Dieses Lohndumping ist ja furchtbar!“ Mit ihrer Friseurin unterhält sie sich regelmäßig darüber.
Beide fragen sich auch, was mit dem ganzen Abfall zukünftig passieren soll und hoffen auf mehr Einigkeit in der Gesellschaft. Als persönlichen Wunsch äußern beide, solange sie leben geistig rege und immer zusammen zu bleiben, denn der Familienkontakt zu weiteren Verwand- ten sei nur locker.
Das Glücksbarometer hat sich sehr wohl im Laufe der Jahre gesteigert.
„Es ging immer höher“, erklärt Anne.
„Mein größter Wunsch war eine eigene warme Wohnung“, erzählt Max. Mit zunehmendem Wohlstand sind sie auch immer glücklicher geworden. Allerdings: Wenn es Reibungspunkte gab, dann meistens wegen Geld. „Obwohl“ räumt Anne ein, „er hat immer sein Gehalt schön bei mir abgegeben, wie sich das gehört“, und lacht. „Max konnte nämlich nicht mit Geld umgehen.“
Viel geraucht hat er, aber das ist schon lange vorbei.
Als Anne nach einer dreimonatigen Indienreise schwer- krank in der Klinik lag, fühlte Max sich völlig allein- gelassen.
„Zuverlässigkeit ist seine Stärke“, antwortet Anne, als ich nach Max’ Charaktereigenschaften frage. Andererseits käme er nicht mit der Zeit zu Rande, sei verträumt und nicht besonders ehrgeizig. „Meine Frau ist verlässlich“, äußert sich Max, außerdem schätzt er ihren Optimismus. Aber besonders ordentlich sei Anne nie gewesen. Ihrer Beziehung hat es offenbar nicht geschadet.


Copyright © Sankt Ulrich Verlag GmbH, Augsburg

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Texte: ISBN 978-3-86744-113-1 erschienen im Sankt Ulrich Verlag
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2010

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