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Anna und Roberto: Wenn zwei die Welt umarmen …
Eine münchnerisch-brasilianische Liebe: Die Geschichte von Anna (32) und Roberto (32) kann wohl nur das Internet zuwege bringen. Zwei Menschen, die auf nahezu entgegen- gesetzten Seiten der Erdkugel leben, lernen sich kennen und lieben. Deutschland trifft Brasilien, heiße Tänze inbegriffen. Anna und Roberto umarmten mit ihrer Hochzeit im Jahr 2005 die ganze Welt.
Fernweh
Anna zog es schon früher hinaus in die Ferne. „Ich war mit meiner Freundin in Portugal, in Mosambik, in El Salvador und schließlich 2004 zum Karneval in Brasilien.“
Es war, als würde sie ihre wahre, innere Heimat suchen, die sie dann auch fand – nicht in einem fernen Land, sondern ganz in der Nähe ihres Heimatortes. Vor zehn Jahren war sie nach München gekommen, um ein Jahrespraktikum in einem Kindergarten zu absolvieren und hatte eine Begegnung, die ihr ganzes Leben veränderte: „Dort war ein brasilianisches Mädchen. Ihre Mutter zeigte mir einmal, wie man Samba tanzt. Sie hatten außerdem auch ein brasilianisches Au-pair-Mädchen. Mit ihr war ich in einer Disco und lernte dort viele Brasilianer kennen, die brasilianische Kultur, ihre Musik, die Tänze. Seitdem war ich immer wieder beim Sambatanzen und auf brasilianischen Partys. Ich belegte einen Portugiesisch-Kurs an der Uni und wuchs so nach und nach in die brasilianische Gemeinde hinein. Ich wollte schon nach Brasilien auswandern. Das war meine Kultur. Die Leute sind sehr offen, ich liebe die Musik und die Sprache. Das mit Roberto war nur eine Frage der Zeit.“
Ein virtueller Kuß!
Anna wurde Fremdsprachenkorrespondentin. Beim Studium gab es noch keine Ausbildung in Portugiesisch. „Also mußte ich noch Spanisch lernen. Aber das ähnelt sich ja sehr.“ So bereitete sie sich auf das Kommende vor. Für den Herbst 2004 hatte sie ihre nächste große Brasilienreise geplant und stellte ein halbes Jahr vorher einen Steckbrief von sich ins Internet, um einige Leute aus Brasilien kennenzulernen, die sie dann dort treffen könnte. Aus purer Unternehmungslust, ohne das Ziel zu haben, einen Partner fürs Leben zu finden.
Doch: „Ich bin ein offener Mensch für alles“, sagt sie von sich. „Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, gleich den Traummann zu treffen, aber insgeheim habe ich es doch gehofft.“
Über ihren E-Mail-Provider kam sie zu einer Kontaktseite. Dort stellte sie ihr Profil ein.
„Ich habe es gleich auf Portugiesisch verfaßt, weil ich ja Leute in Brasilien kennenlernen wollte, ich schrieb, daß ich mich für andere Kulturen interessiere, daß ich gerne Sprachen lerne, Sport und brasilianische Musik liebe, daß ich Samba tanze … und daß ich nette Leute suche, die offen und ehrlich sind. Leider habe ich das Profil heute nicht mehr.“
Sie stellte ein Foto von sich mit auf die Seite: „Ein Foto ist für mich das A und O. Ohne Foto habe ich mir gar kein Profil angeschaut.“
Sie bezahlte für einen Monat Mitgliedschaft, das waren zwölf Euro. So konnte sie an die ausgewählten Kontakte direkte E-Mails schreiben, zunächst auf anonymer Basis. „Mir gefiel, daß ich einen virtuellen Kuß schicken konnte. So sah die andere Person, daß ich interessiert war und konnte mir dann ebenfalls eine Mail schreiben. Ich fand auch gut, daß die Mails kamen, aber nicht die Identität ihrer Absender preisgegeben wurde.“
Auch bei dieser Plattform entscheidet also jeder selbst, wann und wem er seine persönlichen, realen Daten offenbart.
Und dann legte Anna los: „Ich habe aktiv Kontakt zu den Leuten aufgenommen. So konnte ich die Personen auswählen. Anfangs war die Auswahl zu groß, so daß ich noch einige Suchkriterien mehr eingab, bis ich schließlich 80 Profile herausgefiltert hatte – alle mit Foto –, die ich dann auch öffnete. Geschrieben habe ich fünf Personen. Darunter Roberto.“
Rio de Janeiro
Roberto – studierter Informatiker – lebte zu diesem Zeitpunkt noch in Rio de Janeiro. Er hatte zunächst gar nicht an Partner- oder Freundschafts-Suche gedacht, als er sein Profil bei einer Kontaktseite einstellte: „Ich kam ebenfalls über meinen E-Mail-Provider auf die Seite. Meine Ex-Kommilitonen, die im Bundesstaat Minas Gerais lebten, wollten mit mir über diese Seite kommunizieren. Deshalb habe ich mich dort angemeldet.“
Sein Profil verfaßte er nur knapp. Es war ja auch nicht nötig, sich groß selbst darzustellen, da seine Studien- freunde ihn schließlich kannten: „Ich habe sehr wenig über mich geschrieben. Was ich mag, welchen Sport ich bevorzuge, daß ich Volleyball, Wandern und Fußball liebe, daß ich studiere. Die Basics. Mit Foto. Das war auch für mich wichtig. Über Kosten und Sicherheit habe ich gar nicht nachgedacht. Anna war die erste, die mir schrieb.“
Babel-Mails
Anna hatte vor allem Vergnügen bei der Internet-Suche: „Es hat Spaß gemacht. Es war auch interessant, welcher Typ von Mensch sich für mich interessierte. Bevor ich mein Profil auf portugiesisch schrieb, hatte ich es ja ein Jahr auf Deutsch. Ich wollte mal meinen Freundeskreis aufmischen und neue Leute kennenlernen. Dabei ging es mir jedoch nie um eine Beziehung. Ich habe auf diese Weise auch zwei nette Freunde kennengelernt.“
Waren denn alle Mails nett, die so kamen? „Nein, natürlich nicht.“
Anna erlebte auch aberwitzige Reaktionen auf ihr portugiesisches Profil: „Ich war ziemlich erstaunt, wie viele Idioten sich online befinden. Leute, die kein Portugiesisch verstanden, schrieben, daß ich so toll sei. Die habe ich gar nicht ernstgenommen.“
Solcherlei Sprachverwirrung ließ schnell eindeutige Schlüsse zu. Doch auch sprachkundige Anmache aus aller Herren Länder blieb nicht aus. „Ich konnte damals schon gut genug Portugiesisch, um genau darauf zu achten, wie jemand sich ausdrückt und was er schreibt. Es gab viele Verheiratete, die dort ein Abenteuer suchten. Ein Spanier schrieb Ausländerfeindliches, als er das Foto von Roberto sah. Ein Portugiese fragte gleich nach intimen Dingen und wollte mich treffen. Ein psychisch Kranker, glaube ich.“
Da ist es ein Glück, anonym zu sein.
Volltreffer
Als die ersten Zuschriften kamen, war auch Roberto zunächst mißtrauisch: „Ich dachte, jemand wollte mich verkohlen. Das gibt es viel in Brasilien. Zum Beispiel ein Schwuler, der ein Frauenbild einstellt, oder meine Freunde aus Minas. Anna war die erste E-Mail, die ich erhalten habe. Das war am 7. April 2004. Sie schrieb nur, daß sie mich kennenlernen möchte.“
Anna hatte ihr Profil gerade erst eingestellt, sortiert und selektiert und jene fünf E-Mails geschrieben. „Ich habe gleich am ersten Tag den Volltreffer gelandet“, erzählt sie.
Dabei hatte sie Roberto zunächst gar nicht schreiben wollen: „Nach Rio de Janeiro wollte ich eigentlich nie, darum wollte ich ihm auch erst nicht schreiben. Roberto hatte auch sehr wenig über sich geschrieben, und auf dem Foto sah er noch so jung aus. Da war ich nicht überzeugt von ihm, weil ich ihn so kaum einschätzen konnte. Andererseits standen da Dinge, die ich auch sehr mag, wie Bergwandern und Klettern. Also schrieb ich ganz lieblos: Ich will dich kennenlernen. Auf portugiesisch: ‚Eu quero conhecer voce.‘ Danach kam eine sehr sympathische E-Mail zurück. Da wollte ich mehr wissen.“
Roberto: „Ich hatte mir ihr Profil gar nicht angesehen, weil ich dachte, daß meine Freunde mich veräppeln wollen.“
Von den fünf E-Mail-Kontakten fand Anna nur die Mails von Roberto wirklich interessant und ein reger Austausch von Mails begann.
Roberto war fasziniert: „Anna war anders als die anderen Frauen. Sie hat immer gesagt, was sie denkt. Wir haben über alles gesprochen: über gute und schlechte Zeiten, über unsere guten und schlechten Seiten. Wir dachten und fühlten das Gleiche.“
Auch Anna erinnert sich: „In der ersten Woche erzählten wir uns schon unsere ganze Lebensgeschichte. Wir hatten die gleich Lebenseinstellung, gleiche Ziele und Werte im Leben. Wir glaubten an uns und wußten schnell, daß wir zusammengehören. Nach einer Woche schickte mir Roberto seine Adresse und Telefonnummer, um zu zeigen, daß ich ihm vertrauen kann. Ich schrieb ihm daraufhin sofort eine Postkarte.“
Sechs Monate lang telefonierten und chatteten sie.
„Nach einem halben Jahr wußte ich von Roberto alles. Und wir waren schon zusammen, weil er es so wollte. Wir wußten, wo wir heiraten wollten, wie viele Kinder wir uns wünschten und so weiter. Wir waren uns sicher, daß wir die allerbesten Freunde werden. Ob die Chemie stimmt, würden wir erst wissen, wenn wir uns treffen.“
Roberto erhielt noch einen anderen virtuellen Kuß, doch den ignorierte er. „Ich hatte mich schon in Anna verliebt.“ Sie löschten ihre Profile. Sie waren beide nur wenige Tage im Netz präsent gewesen – jetzt ging es im wirklichen Leben weiter.
Reisevorbereitungen
Vor dem ersten Treffen mit Roberto in Brasilien sprach Anna mit der Frau eines seiner Kommilitonen. „Sie ist auch eine Deutsche. Als Frau ist es wichtig, sich abzusichern.
Ich habe zwar Roberto schon total vertraut, aber ich habe dennoch mit der Frau telefoniert. Sie sagte mir, daß Roberto total nett ist, und falls wir uns nicht verstehen sollten, könnte ich bei ihr wohnen. Auch ein Freund von mir, ein Brasilianer, den ich in München kennengelernt hatte, bot mir an, bei seiner Cousine in Rio übernachten zu können, falls es mit Roberto nicht klappt. In meinem Haus wohnte außerdem ein Ehepaar. Sie aus Rio, er aus München. Sie trafen Roberto in Rio, bevor ich selber hinflog, und sie sagte zu mir: ‚Nix Chemie. Der paßt perfekt zu dir!‘“
Roberto: „Am 7. April lernten wir uns kennen. Am 11. September kam Anna nach Rio de Janeiro.“
Fremd, vertraut, verlobt
Anna: „Es war komisch. Wir sahen uns am Flughafen das erste Mal. Es war, als ob man eine fremde Person sieht, aber von dieser alles weiß. Wir haben uns gleich geküßt.
Danach hat er mir seine Mama vorgestellt, und wir gingen auf eine Party. Dort dachten alle, wir wären schon fünf Jahre zusammen. Weil es so harmonisch war! Es war eh schon alles vorher klar, und nun stimmte auch noch die Chemie! Roberto hat mich nie belogen im Internet. Alles paßte so perfekt, daß wir uns gleich verlobten.“
Roberto: „Ich habe mich so auf sie gefreut, daß ich ganz sprachlos war, als ich sie sah. Ich konnte nicht glauben, daß sie jetzt da war. Ich hatte schon Angst, daß sie nicht kommt.
Da sie bei der Einreise kontrolliert wurde, dauerte es ewig, bis sie kam. Danach im Auto war ich schon ruhiger. Ich habe sie geküßt, und ich fand es sehr schön, daß sie vom ersten Moment an richtig mit mir zusammen war. Danach, auf der Party einer Freundin, kam es mir so vor, als ob ich schon lange mit ihr zusammen war, weil ich alles von ihr wußte. Sie war die erste Frau, die ich meiner Mutter vorstellte, und sie schlief sofort bei uns.“
Für Roberto war es wichtig gewesen, schon im Internet ehrlich zu sein und seine Gefühle offen zu zeigen, „anderen Personen zu zeigen, daß sie einem vertrauen können, offen sein für Freundschaft.“
Er hielt sich daran, obwohl er auch andere Erfahrungen gemacht haben mußte: „Es gibt so viel Lüge im Internet“, sagt er, „ich dachte, es wäre unmöglich, eine Partnerin dort kennenzulernen, vor allem jemanden, der dann wirklich so ist, wie ich ihn mir vorgestellt habe.“
Sie verbrachten einen ganzen gemeinsamen Monat in Brasilien. Was virtuell begann, war nun real: Sonne und Meer, Partys mit Freunden, eine gemeinsame Sprache, mit Liebe gesprochen.
Anna: „Am 11. Oktober flog ich als Verlobte nach Deutschland zurück und war sehr traurig, noch einmal über drei Monate von Roberto getrennt zu sein, weil er damals gerade seine Diplomarbeit schrieb. Ich wußte genau: Er ist der Mann meines Lebens.“
Roberto: „Ich war auch sehr traurig, als sie wegging. Aber ich mußte so viel lernen, und ich hatte nun einen Ansporn, meine Prüfungen zu bestehen, damit ich im Januar zu Anna
fliegen konnte. Ich lernte für acht Prüfungen und schrieb die Diplomarbeit. So verging die Zeit schnell.“
Am 25. Januar 2005 kam Roberto nach München zu Anna. Auf den Tag genau einen Monat später heirateten sie.
Copyright © Sankt Ulrich Verlag GmbH, Augsburg
Texte: ISBN 978-3-86744-116-2
erschienen im Sankt Ulrich Verlag
Tag der Veröffentlichung: 28.04.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
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