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1. Kapitel
Prolog: Gefühlschaos und Zweifel


« Mit dem Wissen wächst der Zweifel. »
(Johann Wolfgang von Goethe)


Wer rechnete denn schon damit, dass man eines Tages aufstehen würde und sich mit jedem kleinen Schritt, zum Beispiel ins Bad um sich zu waschen und fertig für die Schule zu machen, einem so großen Ereignis nähern würde, dass jemandem das ganze Leben umkrempelte. Gewiss war nicht er der Schuldige für den ganzen Schlamassel, sondern jener junge Mann, den er auf eine schier unglaubliche und doch so naive Art kennen lernte. Es war zuerst ein Vorurteil, durch das er sich zurück an den Schwarzhaarigen, gut gebauten Mann erinnerte, doch so langsam zweifelte er daran, ob dieses Vorurteil wirklich berechtigt war, oder ob er es eigene Arroganz und Dummheit nennen konnte. Doch das Schlimmste an dieser ganzen Aktion war dann doch, dass er seine Gefühle nicht mehr im Griff hatte. Er konnte sie einfach nicht mehr ordnen, und vor allem konnte er das nicht ihm gegenüber. Auf einmal erschien Samuel Lakens ihm so fremd. Und obwohl er es immer noch genoss in seiner Nähe zu sein, war er sich nicht mehr so sicher, ob er noch solch starke Gefühle für ihn hegte, geschweige denn, ob er ihn überhaupt noch liebte.

Nein, er, Damian, hatte ihn nicht, wie so manch anderer vermuten könnte, bei einem Zusammenstoß kennen gelernt, auch wenn so die meisten seiner eigenen „Liebes-Geschichten“ begonnen hatten.. kann man es überhaut Liebesgeschichte nennen?
Zu dieser Zeit würde er es wohl noch als unromantischen und wahrlich beschissenen Zwischenfall bezeichnen.
Und naja, .. kennengelernt hatte er ihn als Nachbar.

Damian wusste damals zwar, dass diese eine Wohnung in seiner Straße mit einem großen Schild „Wohnung frei und günstig zu vermieten“, auf einen neuen Besitzer hoffte, aber er wusste auch, dass sie seit mehr als 1 ½ Jahren leer gewesen war. Es wunderte ihn persönlich, dass diese Wohnung keinen Mieter fand, denn sie lag günstig in der Nähe der Schulinseln und man konnte leicht über eine Busverbindung in die Stadt gelangen.
Daran konnte es wohl nicht liegen, also war eventuell der Preis zu hoch angesetzt und stand nicht in der Relation zu der Lage, denn als ‚schön‘ konnte man diese Straßen und Gassen hier nämlich nicht bezeichnen.
Und dann kam dieser Mann. Von heute auf Morgen. Und hat sie scheinbar nicht nur gemietet, sondern direkt gekauft.

Je mehr Damian darüber nachdachte, je mehr versuchte er sich zurück zu erinnern, wie sich der Neue vorgestellt hatte. Es war ein eigentlich ungewöhnlicher Name in ihrer Region, den man sich aus dieser Tatsacher heraus gut merken konnte: genau - Russell war es gewesen, wenn er sich nicht täuschte.
Es würde aber eh keine Rolle für ihn spielen, schließlich stempelte er diesen Mann ohne gewisse Vorkenntnisse, bereits als Schnösel ab. Sein selbstbewusstes, aber elegantes und dominantes Auftreten wirkten stark, gerade zu erdrückend stark. Kein Wunder, dass er wie angewurzelt an der Tür gestanden hatte, während seine Mutter allerdings – wahrscheinlich ebenfalls geblendet von seiner Grazilität - sich aktiv und euphorisch mit diesem unterhielt.

Er selbst war irgendwann von der Tür weggekrochen und heilfroh, als seine Mutter fröhlich und befriedigt die Tür ins Schloss fallen lies.

„Damian?“, flüsterte es und der Angesprochene zuckte kurz zusammen, als sein Tischpartner ihn mit dem Ellenbogen in die Seite traf. „Lebst du noch?“ Der Junge fing schnell und kurz den Blick des Älteren auf und schielte dann zur Seite, ob der Lehrer auch wirklich an der Tafel seinen Unterricht weiter führte, oder ob Monsieur Mojeu es wieder mal auf ihn mit den kleinen Aussprachefehlerchen abgesehen hatte
„Natürlich“, gab er kurz und schnell zurück, während seine blauen Augen weiterhin an seinem Französischlehrer mit der Beatles- Frisur hafteten.
„Was ist los mit dir? Du wirkst schon seit heute Morgen so abwesend.“
Auch sein Freund fixierte den Lehrer, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie wirklich nicht auffallen würden. Es war wichtig, dass er diesen Test in Französisch mit einer guten Note abschließen würde, um zu verhindern, eine Ehrenrunde zu drehen und mit Sam ins nächste Schuljahr zu kommen.
„Weiß nicht, hmm..“ Der Jüngere von beiden schwieg einige Minuten, bevor er wieder einen Satz formulierte. Er war sich längst nicht mehr sicher, ob er wirklich mit seinem Freund darüber sprechen wollte, wie er es eigentlich noch heute Morgen vorgehabt hatte. Immerhin war da ein anderer Mann und es war dann doch etwas zu riskant – wie er fand – dass er mit seinen Gedanken den anderen eifersüchtig machte.
„Später vielleicht“ Der Rothaarige sah ihn leicht irritiert an. Selten war der Blondschopf so verschlossen und still, und genau das machte ihm jetzt Sorgen. Für einen Moment vernachlässigte er den Blick auf den Lehrer und sah vollends zu Damian.
„Du hast doch was, das merkt man dir an...“ flüsterte er mit einer hochgezogenen Augenbraue. Damian schielte leicht zu ihm. Damit hatte er gerechnet. Sam hasste es ignoriert zu werden, und er hasste es auch, wenn er sich Sorgen machen musste und er hasste es, nicht zu wissen, was los war und auch noch vertröstet zu werden.
„Wirklich, später.“ Flüsterte Damian nochmals und tastete unter dem Tisch mit seiner linken Hand nach der von Sam. Selbst wenn es auf einmal so ungewohnt war und seine Hand trotz Jahre langem Kennens nicht mehr so vertraut wie vor einigen Tagen schien, nahm er diese und drückte sie kurz. „In der Pause. Du weißt doch, wie wichtig diese Prüfung für mich wird“ Sam schnaubte kurz. Er hatte Recht, sein Freund wusste nur zu genau, wie wichtig sie für sein Weiterkommen in der Stufe war.
„In Ordn-“
„Non, non, non!” ertönte die hohe Stimme des Französischlehrers und ließ Damian und Sam hoch fahren und gleichzeitig herumwirbeln.
„Ihr zwei müsst auch immer den Ünterricht stören“ Monsieur Pascal Mojeu schüttelte verständnislos den Kopf. Er hatte das Gefühl, die zwei hätten es bereits auf ihn abgesehen und brannte jede Stunde nur darauf, ihn und seinen Unterricht zu stören, sei es mit Reden, absichtlichem, falschen Französisch, Sticheleien oder dem Äußern von spitzen Kommentaren zu ihm und seiner Frisur. Damian würde ihm bei dieser Anschuldigung bereits die Worte im Mund verdrehen, schließlich war er es, der sich von Monsieur Mojeu verfolgt fühlte. Immerhin kannte er diesen Schnösel jetzt schon seit drei Jahren und jede Französischstunde war seit dem die Hölle. „Lève-toi!“, Monsieur sah zu ihm und deutete die Geste des Aufstehens mit der freien Hand an, in der sich nur das Stückchen weiße Kreide befand.
„Immer wieder aufs neue..“ fluchte Damian seufzend. „Mais, mais mon petit Damian. Ne sois pas si insolent!“ Herr Mojeu fuchtelte mit seinem Stück Kreide in der Luft herum und zeigte dann auf den 17-Jährigen, der keine Ahnung hatte, was der Lehrer da eben zu ihm gesagt hatte. Er hoffte einfach, dass die nächste Frage auf Deutsch kam und auf Deutsch zu beantworten sei.
„Wie lautet das unregelmäßige Partizip von faire?“
Damian räusperte sich, linste zu Sam und versuchte mit Mühe und Not die gelernten Vokabeln aus einer Schublade seines Gehirns zu suchen, und das eben angesprochene Thema wenigstens bis zur Pause hin aus seinem Kopf zu verbannen.
„Mh,...“ Er räusperte sich nochmals. Genau jetzt brauchte der Blondschopf Hilfe.
„Fait“ flüsterte Samuel und sah zu Monsieur Mojeu, der währenddessen begann, einige französische Aussagen an die Tafel zu schreiben.
„Ta réponse?“, fragte er nebenbei und lies von der Tafel ab.
Wie sehr Damian diesen französischen Akzent doch hasste!
„Fait..!“ presste er nur schnell hervor und lies sich direkt danach schnellstens auf seinen Stuhl sinken.
„Oui, fait“, nickte der Lehrer und drehte sich wieder zur Tafel hin und schrieb weiter. „…Montez les livres…“ fuhr er fort. Und ab hier hörte Damian wieder nur mit einem Ohr hin. „Das war mal wieder Sticheln à la Mojeu.“ Stellte Sam fest und kramte in seinem Mäppchen nach einem Stift. „Pf. Ganze drei Jahre verfolgt mich der Typ schon“ Auch er entschloss sich nach meinem Kugelschreiber zu suchen und sah dabei zu seinem Tischpartner.
„Der Typ muss mich wirklich abgrundtief hassen“ seufzte er dabei, zog eine entnervte Grimasse, gab aber schön acht, dass der Lehrer ihn nicht sah - und öffnete sein Heft, sah an die Tafel und machte sich Notizen.
„Scheint so. Obwohl sich das erst zeigt, wenn die Prüfungen geschrieben werden..“ meinte der Rothaarige dazu und sah zu Damian.
„Glaubst du wirklich, der will mich noch ein Jahr demütigen?“, die blauen Augen suchten Blickkontakt mit denen des Älteren.
„..Je nach dem wie gern er dich hat“ Bei diesem Satz musste Sam breit grinsen.
„Haha, das war jetzt fast schon ein bisschen lustig“ Damian schüttelte den Kopf. „Du, unser Klassenprimus, hast ja kein Problem mit den Prüfungen. Manchmal frage ich mich, wieso du überhaupt noch zur Schule gehst! Du hättest Chancen auf einer Privatakademie, oder in einer von diesen Begabtenklassen. Du könntest deine Schullaufbahn verkürzen!“
„Na, und? Hier hab ich dich und den Rest. Da sind mir die paar Jahre mehr egal. Und ich würde dich nur ungern alleine hier lassen, verstehst du?“
„Danke für dein Mitleid“ seufzte er und lächelte leicht. „Vielleicht hätte ich doch lieber Französisch abwählen, und Chemie behalten sollen.“
„Chemie?“ hakte Sam nach. „Das ist viel zu gefährlich für meinen Damian!“
„Na und? Ich hätte mir schon nicht die heiße Natronlauge über den Kopf gekippt.“
„Trotzdem“ Sam legte den Stift bei Seite. „Ich hätte trotzdem Angst um dich, bei dir kann man nie wissen, du schaffst es immer dich in Gefahr zu bringen - selbst wenn uns immer gesagt wird, die Versuche sind Idiotensicher..“
„Hey, soll das jetzt heißen, ich bin ein Idiot für dich?!“ fragte er empört, musste aber seine Stimme unterdrücken, da sonst sein Französischlehrer einen weiteren Grund gehabt hätte, ihn zu mobben.
„Ein Idiot? Hm, nö, nur ein furchtbar lieber Tollpatsch“, meinte Sam um ihn zu beruhigen.

Für ein paar Minuten war es so, wie es am Anfang ihrer Freundschaft war. Sie waren Kumpel, beste Freunde, die sich gut miteinander verstanden. Und genauso fühlte sich Damian jetzt. Was er da fühlte, das war Freundschaft, aber er glaube nicht mehr daran, dass es mehr war als Freundschaft. Wie das vom einen auf den anderen Moment passieren konnte, wusste er nicht. Das einzige, was er wusste, war, das es mit dem schwarzhaarigen jungen Mann zusammen hing. In Gedankenversunken schrieb er weiter hin von der Tafel ab, hörte dem Unterricht wirklich zu und warf Sam nur das ein oder andere Mal einen Blick zu.

Ob er wieder einen Streit mit seinen Eltern hatte?
Die Reaktionen seitens Damian beschäftigten den Rothaarigen so sehr, das er sich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren konnte. Das Gesagte seines Tischnachbarn blockierte sämtliche Französischkenntnisse und zwang ihn dazu, dass seine ganzen Gedanken nur noch den Worten galten. Während er zu Uhr sah, und diese ihm verriet, dass es sowieso noch mehr 20 Minuten bis zur Pause dauern würde, erhob er sich.
„Monsieur Mojeu? Dürfte ich vielleicht ein paar Minuten an die frische Luft? Mir geht es nicht gut.“
Damian sah zu ihm auf und schüttelte leicht den Kopf.
Er wollte doch nicht etwa ihn aus dem Unterricht ziehen?
„Sam Lakens, mhm?.. meinetwegen. Nimm dir noch eine Begleitperson mit..“
Der Lehrer wusste nun schon genau, dass er Damian auswählen würde. Schließlich kannte er beide bereits seit drei langen Schuljahren Jahren und es war doch immer wieder das selbe Spiel, mit der Ausnahme das heute allerdings mal Sam schlecht war.
Ihm als Lehrer war das mehr als Recht, so konnte wenigstens niemand den Unterricht stören.
„Kommst du Damian?“ fragte Sam und nahm sich seine Jacke vom Stuhl. „Aber Sam ich muss—“, der Jüngere sah den Älteren fast schon entsetzt an. Ich denke, sie hatten geklärt, das es wichtig war, das er diese Prüfung bestehen würde.
„Ich helfe dir beim Nachholen“ flüsterte er und zog ihm am Handgelenk nach oben, drückte ihm seine Jacke in die Hand und ging dann langsam in Richtung Tür. Er wollte nun endlich Klarheit schaffen, was mit seinem Freund los war, immer hin schien es so schlimm, das Damian sein frohes, unbewusstes Leben für einen Moment vergessen hatte. „Was sollte die Aktion jetzt, Partner?“, fragte Damian als auch er draußen ankam und die Tür schloss. „Ich will wissen, was mit dir los ist!“, antwortete dieser schon leicht gereizt. „Du weißt genau, dass ich es hasse, wenn du mir etwas verschweigst!“
„Ich sagte doch, später in der Pause!“, rechtfertigte sich der Angesprochene und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut, dann sehe das hier als eine vorgezogene Pause an und schieß los.“ Sam lehnte sich an die Wand und sah zu Damian.
Dieser seufzte.
„Du bist unverbesserlich..“ Damian fuhr sich durch sein Haar.
„Lenk nicht vom Thema ab!“ Sams Augen funkelten.

„Es geht dich nichts an, Sam! Ich verstehe nicht, warum jeder unbedingt so einen Drang verspürt, zu helfen, obwohl ich sage ‚Da ist nichts!‘“
„Weil du lügst, deshalb“
„Ach, meinst du? Glaubst du, ich kann mit 17 nicht auf mich aufpassen? Du hilfst mir nicht mit dieser bescheuerten Ausfragerei, wegen dir verpass ich die Französischstunde und du weißt genau, dass ich mindestens –“
„Dass du mindestens eine 4 brauchst ist mir klar, ich bin nicht blöd, im Gegensatz zu dir. Damian, ich kenne dich lang genug um mit Sicherheit zu sagen, dass da nicht alles in Ordnung ist! Wieso lügst du? Wieso lügst du mich an?!“
„Man, Sam! Was heißt hier ‚nicht blöd im Gegensatz zu dir‘, hm?“, Damian schnaubte.
„Verdammt nochmal!“ Samuel ging einen Schritt auf ihn zu, stemmte die Arme über seinen Schultern an die Wand und fixierte die blauen Augen des Blondschopfes. Damian knirschte und wand den Kopf hin und her, versuchte den braunen Augen zu entkommen.
Nach einer Weile gab er auf und stellte sich dem Blickkontakt.
„Wenn du nicht lügst, warum ist es dann so schwer für dich meinem Blick stand zu halten?“
„Weißt du was, du solltest Jura studieren.“ Verächtlich stemmte er sich gegen den Oberkörper von Sam und drückte ihn weg, zumindest versuchte er es. Sam hielt stand.
„Eingeengt werde ich schon gar nichts sagen“ wehrte Damian sich.

Sein Freund trat einen Schritt zur Seite, allerdings ohne den Blick abzuwenden. Mit der Wand im Rücken blickte er auf Damian herab, der sich gegen die Wand gegenüber seines Gesprächspartners gelehnt hatte. An dieser ließ er sich dieser nach unten gleiten bis er schließlich sanft auf dem Hinterteil landete.

„Also…“ begann er und suchte immer noch nach den richtigen Worten. Er wollte nicht, das sein Freund bemerkte, dass er sich seiner Liebe nicht mehr sicher, wusste aber genau, dass er das Gegenteil der Fall war und die Unsicherheit in der nervösen, leisen Stimme als unangenehmer Ton mit schwebte.
Daher begann er seine Geschichte mit einer Art ‚Es war einmal’ um zu beweisen, dass es vielleicht doch unbedeutend war, obwohl es wahrscheinlich das genaue Gegenteil war.
„Du kennst doch.. das Haus bei uns in der Straße, oder? Das wo schon seit einiger Zeit leer steht.“
Er beobachtete seine Gesichtszüge, die allerdings wieder wenig Regung zeigten.
Sam nickte.
„Es hat einen neuen Besitzer gefunden.. Nicht weiter besonders, aber dieser neue Nachbar.. spukt mir im Kopf rum.“ S
ein Gesprächspartner nickte ein weiteres Mal leicht irritiert.
„Wie alt ist er?“ fragte er und sah auf ihn herab.
„Ich weiß nicht.. Ich selbst hab viel zu wenig mit ihm gesprochen, nur meine Mum war total begeistert.“
Sam zog eine Augenbraue hoch.
„Mhm...“ brummte er einfach nur und sah aus dem Fenster.
Warum hatte er denn auf einmal dieses komische Gefühl, dass er wirklich dachte, dieser Typ wäre Konkurrenz? Aber.. wieso konnte er noch nicht das Gegenteil behaupten.
Damian hasste Lügen und er hasste es belogen zu werden, und er wusste auch, Samuel hasste das Selbe. Also fragte er sich, ist es schlimmer, etwas zu verschweigen als zu lügen? Mit Sicherheit nicht.. Hoffte er zumindest.

Unsicher zog Damian sich an der Wand nach oben.
„Können wir wieder rein?“, fragte der Blondschopf nach einer Minute des Schweigens und legte den Kopf leicht schief.
Der Rothaarige nickte leicht zögerlich. Er war sich ebenfalls nicht sicher, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.
Da war doch wieder einmal dieses unsichere Gefühl, das ihn wachsam werden lies.
Allerdings war es eine Frage der Zeit, wann der Blonde die Katze endlich aus dem Sack lassen würde.

Damian hatte einige Sekunden ratlos und paradox an seinem Platz gestanden, bis er sich dazu entschied, die Tür aufzusuchen und sie langsam zu öffnen. Das Quietschen der Angel lies Sam aus seinen Gedanken aufsehen und er folgte dem Blonden langsam.
Monsieur Mojeu verfolgte das ganze etwas verwirrt und sah ihnen dann bis sie an ihren Plätzen angekommen waren nach.
Er räusperte sich, schlug dann nochmals sein Französischbuch auf und schrieb drei Seitenzahlen an die Tafel.
„Comme le devoir, vous finissez les… .“ Er deutete dabei auf die Kreideziffern und schlug das Buch dann zu. Die Worte drangen zeitverzögert an Damians Ohr.
Die Schulglocke beendete den Unterricht.
„Schönen Tag noch.“, rief der ältere Mann ins Klingeln hinein, was aber bei dem lautstarken Sprechen der Schülerinnen und Schüler untereinander unterging. Während die Restlichen Schüler ihr Frühstückchen auspackten und die Stühle, nachdem sie aufgestanden waren, wieder an den Tisch schoben, blieben Damian und auch Sam sitzen.

„Also..“ sagte der Rothaarige und sah zu dem Blonden, bei dem sich wieder das ungute Bauchgefühl regte, das er sich wieder auf das Thema beziehen wollte.
„Lass uns direkt bei den Hausaufgaben einsteigen.“
Der Blonde nickte leicht und überrascht zugleich, auch wenn er Letzteres unterdrückte. Eigentlich hatte er etwas anderes erwartet, denn so lange wie er Sam bereits kannte, lies er bei bestimmten Themen nie so leicht locker.
Diese rasche Kapitulation überraschte ihn, wenn man es als solche bezeichnen konnte.

Doch das Thema von eben sprach er die ganzen 15 Minuten lang nicht mehr an.


2. Kapitel
Rat


« Weisheit ist nicht so sehr das Wissen, was schließlich zu tun ist, sondern was zunächst getan werden soll. »
(Herbert Hoover)


Rrrrrrrrrrrrrrrring!

Nein, bitte nicht!
Es waren jene Gedanken, die verstärkt mit dem nervenden ‚Rrrrring’ die volle Aufmerksamkeit des Blonden ergattert hatten. Nur ungern hob er den Kopf und entfloh so aus seiner Traumwelt, in der noch soeben ein neues Kunstwerk zu Ende gebracht hatte und gerade einem Besitzer einer äußerst großen und bekannten Galerie berichtete, welche Gefühle seine neue Impression bei ihm hervor gerufen hatte.

Natürlich hatte er versucht dieses nervende Geräusch zu ignorieren, allerdings hätte er sich danach vielleicht gefragt, warum der Mann aus seinen Träumen immer wieder ‚Rrrrring’ gesagt hätte. Seufzend fuhr er sich durch seine blonden Haare und starrte mürrisch zu seinem immer noch klingelnden Wecker.
Zischend und genervt drückte er eine Taste auf dem Display, das Klingeln verstummte augenblicklich.
Eine Weile sah er noch wütend auf seine dunkle Bettwäsche, seufzte anschließend und setzte sich endgültig auf.
Dieser Tag vermochte nicht gerade sein Bester zu werden, das hatte er bereits jetzt schon im Gefühl und so kam es, dass er sich erst nach 10 Minuten des Trübsalblasens aus dem Bett bewegte und im Bad verschwand um nach 20 Minuten frisch frisiert und geduscht zurückzukommen.

Ungeachtet zupfte er ein Hemd heraus, zog es sich über und schlüpfte in die dunkelblaue Hose.

„Damian? Frühstück steht bereit.“
„Komme gleich, Mum...“ rief der Junge zurück und seufzte verlassen. Nicht nur, dass er erst spät gestern Nacht einschlafen konnte, da seine Gedanken nur Sam und seinen eigenen Schuldgefühlen gegolten hatten, und er dadurch noch müde war, sondern auch, weil in dieser Verbindung dieser Typ ihm auch immer noch im Kopf rumspukte.

Damian wusste nicht wieso oder weshalb. Sie hatten noch nicht einmal mit einander gesprochen, und doch setzte sich jede einzelne Faser von diesem Mann in seinem Kopf fest.

Lächerlich! Es war doch wirklich nicht zum Aushalten. Seinen Kopf schüttelnd stand er auf und schlurfte wortwörtlich zu seiner Zimmertür.
„Hmpf..“ Er zog diese hinter sich wieder zu und stieg langsam die Stiegen der Treppe hinunter. „Was solls. Solange ich ihn nicht fast tagtäglich sehen muss.“

Es war ehr ein Wunsch an die Götter dort oben, als eine Feststellung von einer Tatsache, worauf er sich auch noch ein Lächeln abzuringen versuchen würde, wäre die Zeit reif.

Damians verschlafener Blick galt allerdings in diesem Moment seinem Frühstück.
„Morgen..“ murmelte er und warf kurz seiner Mutter und seinem Vater einen Blick zu, der ihnen signalisierte, dass man ihn am besten in Ruhe lassen sollte. Er hatte keine Lust zu Reden, vor allem nicht mit seiner Mutter und noch weniger mit seinem Vater.

Das Verhältnis zwischen Sohn und Eltern war angeknackst seitdem sie wussten, dass er homosexuell war.
Beide hatte nämlich fast der Schlag getroffen, als Damian ihr vorsichtig und ziemlich loyal erklärt hatte, das er sich ehr zum männlichen als zum weiblichen Geschlecht hingezogen fühle. Also konnte er sich nicht darauf verlassen, sie könnte ihm bei seinem kleinen Beziehungsproblemchen helfen. Mehr als den Rat ‚Versuch es mit den Frauen der Schöpfung’ konnte und wollten sie ihm niemals geben, also hatte er kurz darauf beschlossen allein mit kleinen Ausrutschern in Sachen Liebe, Freundschaft, Schule umzugehen und erst einmal still und besonnen über das ganze nachzudenken.

Zunehmend stellte er sich stur und wollte auf eigenen Wegen gehen, auch wenn die Eltern nach zahlreichen Verkupplungsversuchen mit Mädchen seines Alters aufgegeben hatten, seine Triebe zu verändern - sich sogar entschuldigt hatten - war das Vertrauen erst einmal gewichen.
Für ihn war seine Familie keine Familie mehr, sondern viel mehr eine Zwecks-Wohngemeinschaft, aus die er erst kommen würde, wenn sein Studium begann – sollten die Eltern bereit sein, einen Teil des Geldes vorzuschießen. Die Möglichkeit auf ein Stipendium schloss er direkt aus.
Wer verteilte in England schon solche Freikarten für Künstler, wenn die Sportler doch einerseits viel mehr Geld ernteten - wenngleich sie auch genug kosteten - aber wenigstens sichtbaren Ruhm und Ehre in den Nationalmannschaften bringen würden.

Nunja, trotzdem war das ein Problem, dass zu den jetzigen Umständen weder Verbesserung noch Verschlechterung beitrug – also nicht der Rede wert. Und er schweifte wieder einmal ab.

Für seelischen Beistand, den er in dieser WG häufig nicht fand, gab es da auch immer noch Rika und deren Bruder Andrew. Diese Beiden waren eine riesige Hilfe in vielerlei Hinsicht. Zum einen gaben sie dem jungen Künstler immer wieder neue Inspiration für seine Bilder, und zum anderen waren sie für ihn da, wenn er Streit mit jemandem hatte, stets einen guten Rat parat. Sie waren zwar bereits in der 12. Klasse, doch die Tatsachen, dass sie den gleichen Musikgeschmack hatten und sich beide intensiv mit der Photographie beschäftigten, verband die drei miteinander.

Damian seufzte unüberhörbar auf, worauf er bereits einen fragenden Blick seiner Mutter auffing.
„Nichts!“ brummte er und begann sich sein Brötchen mit Butter und Schokoladencreme zu bestreichen. „Rein gar nichts!“ Es war doch wirklich zum Mäuse melken.
Von jetzt auf gleich, Zack! Und die ganze Welt stand für ihn auf dem Kopf.
„Wieder eine schlechte Note in Französisch kassiert?“, erkundigte sich seine Mutter.
„Nein!“ Er brummte erneut.
„Irgendwo anders?“
„Nein!“, er schlang sein Brötchen hinunter. In der Kantine eines riesigen Internats zu frühstücken, seine besten Freunde am selben Tisch, wäre jetzt wahrlich angenehmer. Was würde er geben, jetzt seine Eltern mit Rika und Andrew zu ersetzen.
„Hast du sonst irgendwo Probleme?“, sie sah ihren Sohn an.
„Nein, verdammt nochmal.“ Achtlos schüttete er sich die Milch in den Mund und schluckte.
Seine Eltern blickten sich ratlos an.
„Probleme mit deinem.. ‚Freund‘?“, mischte sich sein Vater ein.
Damian knurrte, rang nach Fassung. Er schob sich die zweite Hälfte bis zum Anschlag in den Mund, aß sie gierig.
Wenn der Tausch nun mal nicht klappte, die beiden nicht aufs Wort zu ihm kamen, musste er halt zu ihnen gehen.
Sein Ziel für heute morgen lautete: Schnellstmöglich aus dem Haus kommen, um in der Schule mit Andrew und Rika zu reden.
Wütend genug war er schon mal, nach der ganzen beschissenen Ausfragerei seiner Eltern, neben einem Rat, den er sich holen würde, konnten die zwei ihn hoffentlich auch noch beruhigen.
Er knallte die Hände auf die Tischplatte, zog sich dann nach oben und stapfte mit rotem Kopf und fauchend die Treppen hoch.

„Ich gehe“, verabschiedete er sich knirschend, nach dem er sich vor etwa 20 Minuten vom Frühstückstisch erhoben hatte und jetzt - angezogen mit der dunkel blauen Uniformjacke über dem weißen Hemd und dem Pullunder, der Schultasche über der Schulter und die Krawatte notdürftig um den Hals geworfen - die Tür öffnete um den Schulweg anzutreten.
„Du bist heute aber früh dran.“, warf seine Mutter ein und musterte ihn ungläubig.
War das wirklich ihr Sohn, der freiwillig und viel zu früh zur Schule aufbrechen wollte?
„Na und..,“ murrte der Blonde desinteressiert. Harte Zeiten erforderten immerhin harte Maßnahmen. Und, selbst wenn es ungewöhnlich für ihn war, bereits so schnell das Weite zu suchen und zur Schule zu gehen, anstatt auf seinem Zimmer eine neue Zeichnung zu beginnen, verließ er trotz allem schnell das Haus und warf die Tür krachend ins Schloss.
„Pff“ Er blies sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
Fast schon wütend stürmte er die Straße hinunter und lies dabei das Elternhaus hinter sich. Sollten sie doch bleiben wo der Pfeffer wächst, sagte er sich, helfen können die mir sowieso nicht. Mit jedem Wort, das er sich innerlich sagte, blies er sich noch mehr auf.
„Nicht zum Aushalten“ fluchte er nach einer Weile, und kam sich selbst langsam lächerlich vor. „Und das alles nur wegen diesem komischen, neuen Nachbar!“

Einige Minuten später kam er bereits an der Schule an. Das Gebäude war groß und der Tumult auf dem Pausenhof lies fast kein Durchkommen zu. Damian hatte es zwar noch nie mit Kindern gehabt, aber heute lies er das die Neulinge auch spüren.
„Steh nicht so dumm rum, Junge“ fuhr er einen Braunhaarigen an, als er diesen fast umgerannt hatte.
„Kannst du nicht die Augen auf machen?“ zischte er kurz danach, als ein schwarzhaariger Junge ihn anrempelte. Doch – anders als die Anderen – tat dieser junge Spund keinen Schritt zur Seite und war weder geschockt und beeindruckt.
„Kannst du dich nicht einfach schmaler machen?“ fragte er ungerührt zurück.
„Werd bloß nicht frech, Kleiner.“ Damian blieb vor ihm stehen und sah ihn fast schon herablassend an, unsicher über die Bildung des Jüngeren. Vielleicht doch keiner vom neuen Frischfleisch.
„Irrtum, aber ich bin bereits in der 8ten.“, sein kühler Blick lies Damian eine Augenbraue hochziehen.
„Wie heißt du?“ entgegnete er direkt und sah den Kleineren an. Er war, geschätzt, nicht größer als 1,60m, hatte schwarze Haare und kalte Augen. Seine Haut war leicht gebräunt und er trug – außer der Schuluniform – noch eine teure Markenuhr.
Irgendwie kam der Junge ihm bekannt vor, auch wenn er sich nicht erklären konnte warum und wieso.
„Ich hätte dir zwar nichts zu erzählen, aber da du ja schon so freundlich fragst..“ Der Kleine musterte ihn misstrauisch. „Mein Name ist Adrian. Aber..“ Selbstsicher, als hätte der junge Schüler Damian erkannt, schob er seine Hände lässig in die Hosentaschen. „Hey, hey.. bist du nicht das Pseudoweib aus unserer Straße?“ fragte dieser danach und hatte bereits ein gehässiges Grinsen auf den Lippen.
Zack.
Der Pfeil hatte den wunden Punkt getroffen. „Wen nennst du hier Weib?“ Der sowieso gereizte Damian schäumte. Der Kleinere sprang etwas zurück und grinste, anscheinend hatte er direkt ins Schwarze getroffen. Damian hingegen würde gleich wohl vor Wut platzen, in die Luft gehen und eine breite psychische Welle der Zerstörung hinter sich lassen.
„Ich geb’ dir gleich Weib! Du kleiner Giftzwerg! Was glaubst du eigentlich, wer du bist?!“

Was für eine Frechheit, dachte der Blondschopf und warf dem Dunkelhaarigen tötende und stechende Blicke zu. Dieser kleine Jüngling hatte es doch gewagt ihn ein Weib zu nennen! Und das nur, weil er längere Haare hatte, und diese in blonden Strähnen einen Teil seines Gesichts verdeckten. „Grrr“ Damian kochte sichtlich.
Der Kleinere bildete sich ein, bereits ein Pfeifen zu hören.
„Du... Was bildest du dir ein?“ Das Knurren klang fast schon wie das eines räudigen Hundes, dem man auf der Straße seines Knochens beklaut hatte. Er ballte seine Hand zur Faust.
„Dir zeig ich’s!“, seine blonden Haare wirbelten im Wind herum, als er auf den Schwarzhaarigen zulief. „Pff. Fast schon lächerlich“, geschickt und ohne große Fehler sprang er zurück, zur Seite, wirbelte wortwörtlich in der Luft herum und stand nach einer Weile hinter ihm. „Ich dachte, die 11ten Klassen hier hätten einiges mehr auf Lager.“ Seine Stimme triefte vor Hohn und Spott. In solch einer Situation ärgerte es ihn dann doch, dass er keinen Sport Leistungskurs genommen hatte, oder gar das Selbstverteidigungs-Angebot genutzt hätte.
Damian zischte vor sich hin, sein Gefühl von heute Morgen war also bestätigt.

„Ach, Damian. Wieso schlägst du dich neuerdings bereits mit den 8.Klässlern?“
„Hmpf..“ Der Angesprochene schnaubte. „Wenn mich jemand Weib nennt, dann weißt du wie ich reagiere, Andrew.“ Er drehte sich nach ein paar Minuten herum.
„Und, seit wann fällst du mir noch in den Rücken?“ Andrew stöhnte leicht auf und ignorierte Damians Worte automatisch.
„Und du, Adrian Russell, scheint, als wärst du wirklich so temperamentvoll wie du behauptest“ Andrew musterte ihn offen. „Auch wenn du ein Landesmeister im Kickboxen bist, reagiere dich woanders ab.“
„Wie man’s nimmt.“ Adrian sah sein Gegenüber musternd an.
„Du solltest dich in Achtnehmen. Das hier ist keine Privatakademie, du solltest dir im Klaren sein, das du einiges abbekommst, benimmst du dich weiter so großkotzig.“ Der 17-Jährige nickte zustimmend, denn Andrews Worte waren wahr.
„Wenn du meinst, Herr Schülersprecher.“ Adrian schielte zu mir. „Bis irgendwann, Blondie.“ Er riss die Augen zugleich auf und starrte ihm wütend nach. „Wie kann er es wagen“ zischte er und ballte wieder die Hand zur Faust. Er war kurz davor gewesen, lockerer zu werden und dann dieser Kommentar, der ihn wieder auf 180 brachte!
„Vergiss ihn einfach, Damian.“ Andrew sah zu ihm. „Du bist einfach viel zu leicht reizbar. Kontrollier dich doch endlich mal.“ sagte er und deutete auf die Schule, zupfte ihm am Ärmel und zog ihn mit. „Du hast mich doch gesucht, oder?“ Die Hände in die Hosentaschen gesteckt drehte er ihm letztendlich unbekümmert den Rücken zu und ging den Weg entlang.
„Ähm.. ja..“ sagte er leicht verunsichert und ging ihm nach. „Wo ist eigentlich deine Schwester?“
Andrew sah zu ihm. „Sie? Leider krank..“, seufzte er und sah während des Gehens zurück zu ihm. „Und das nutzt sie gut aus. Ich darf mal wieder ihre Hausaufgaben machen, den Privatlehrer spielen und wie ein Butler auf ihre besonderen Wünsche eingehen..“ Er seufzte nochmals.
Er seufzte. „Und?“ fragte er und winkte ihn zu sich. „Wie läuft es bei dir?“ Wie immer wusste er, dass etwas nicht stimmte. Natürlich, Damian kam auch einfach nur um mit ihm über Passiertes zu reden, oder weil ihm langweilig war, aber dieser unnatürliche Reiz, den er heute an sich hatte, versicherte dem Älteren, das etwas nicht stimmte. „Nichts läuft“ murrte der Blonde und lies sich auf eine der Steinbänke auf dem Hof fallen. „Ich krieg noch die Krise wenn das so unkontrolliert weiter geht..“
Andrew musterte ihn und stellte sich neben das aus Stein gehauene Objekt. „Stress mit deinem Freund Sam? Oder geht’s um Probleme in der Familie?“, fragte er nebenbei und zog einen Kaugummi aus seiner Tasche. „Zum einen Sam, zum anderen die Schule.. und meine Alten haben mich auch schon heute früh auf die Palme gebracht.. mit ihren dämlichen Fragen, obwohl sie genau wissen, dass sie die letzten sind, von denen ich Hilfe möchte.“, antwortete der Schüler und stellte seine Schultasche auf den Boden.
„Schieß los“ sagte Andrew routinemäßig und lies sich neben Damian nieder.
„Seit neustem..“ begann er und nahm sich ebenfalls einen Kaugummi, „hab ich meine Gefühle nicht mehr im Griff. Und das nur, weil mir anscheinend so ein Typ mit schwarzen Haaren und dunklen Augen den Kopf verdreht hat. Und unser Französischclown Mojeu geht mir auch gewaltig auf den Keks!“
„Du meinst, du weißt nicht mehr ob du Sam liebst?“ fragte er direkt und steckte das Papierchen weg.
Bingo.
Zögerlich nickte er. „Ich kann einfach nicht mehr sagen.. ‚Ich liebe dich’ ohne zu wissen, ob ich es überhaupt noch tue!“
Überlegend blies der 12.Klässler Kaugummiblasen, die mit einem kleinen Blopp platzen. „Und was ist mit diesem komischen Typ, dem du das zu verdanken hast? Liebst du ihn denn?“
Damian sah eine Sekunde zu Boden und dachte nach, ehe ihn das Läuten der Schulglocke aus seinen Gedanken zurück in die Realität holte. „Diesen Schnösel? Ihn lieben?“
„Ziehen wir mal alle Möglichkeiten in Betracht. Dann wäre diese wohl die, die am nächsten liegt.“ hakte Andrew nach und zog eine Augenbraue nach oben, worauf er aber nur wieder ein Nicken als Antwort bekam.
„Ich hab keine Ahnung.“
„Und ich soll dir jetzt sagen, wie du das ganze hier lösen sollst?“, fragte er und lehnte sich nach vorne über, stützte sich auf den Knien ab und sah auf die einzelnen Schülergruppen.
„Ich weiß einfach nicht mehr weiter, und du weißt ja auch, dass ich unmöglich zu meinen Eltern gehen kann!“, protestierte der Blondschopf.
„Ja ja, ist gut“, seufzend stand der junge Mann auf.
„Aber ich will ehrlich sein, Damian, ich habe keine Ahnung, wie ich dir da helfen kann. Versteh mich nicht falsch, aber ich kann dir in dieser Situation keine Entscheidung abnehmen. Es wird dein ganzes Leben beeinflussen und ich will nicht der Schuldige sein“, Andrew legte eine Hand auf seine Schulter und lächelte den Jüngeren leicht an.
„Entweder, rate ich dir zu dem Falschen oder zu dem Richtigen, wobei ich noch nicht mal weiß, was richtig oder falsch sein könnte. Ich meine, wer weiß das schon? Fast nichts im Leben scheint richtig, wenn man es getan hat, oder? Vielleicht musst du erst das vermeindlich Richtige tun damit das Falsche richtig erscheint oder das vermeindlich Falsche tun, damit das Richtige falsch erscheint. Wobei wir dann wieder bei der ersten Frage wären: Was ist denn nun richtig?“
Damian schnaufte. „Dumme Theorie.“
„Die Praxis ist noch dümmer“, versicherte Andrew. „Aber du musst dich so etwas fragen. Nur auf diesem Weg kannst du eine Entscheidung treffen. Vor dem kannst du dich nicht drücken, außer du belügst dich selbst – und damit auch Sam.
Das, mein Lieber, ist ganz allein deine Panne. Es tut mir Leid, aber hierbei bist du auf dich allein gestellt. Ich kann dir nur raten, wirklich nur raten, mit Sam rein Tisch zu machen...“
Schweigen. Damian schien über das Gesagte nachzudenken, und sah dann wieder zu Andrew. „Danke.“
Er hatte bereits ein leichtes Grinsen auf den Lippen, auch wenn der Andrew nicht genau wusste, ob es wirklich Freude oder ob es Leid war, das er zu verstecken versuchte. „Und was Monsieur Mojeu betrifft..“ Er lächelte leicht. „Für dessen Prüfungen gibt’s kein besseres Rezept als Lernen, und da du ja weißt, wie seine Arbeiten aussehen, dürfte das dein kleinstes Problem sein. Ich kann dir aber gerne anbieten, in meinen Unterlagen zu kramen und nach den Tests der letzten zwei Jahre suchen, vielleicht übernimmt er Aufgaben daraus.“
Damian horchte auf.
„Du bist genial, Andrew!“ grinste der Jüngere wieder selbstsicherer, aber vielleicht nicht ganz ehrlich, und hielt ihm die Hand hin, worauf der junge Mann nur einschlug. „Dann sehe ich dich morgen, gleiche Stelle gleiche Welle“ Auf die Lippen des Oberstufenschülers legte sich wieder ein Grinsen, bevor er dann danach sein Gesicht entnervt verzog.
„Wir kommen zu spät!“, erschrocken packte Damian seine Tasche und warf sie sich über die Schulter.
„Mach‘s gut..“, rief der Blonde und sah in die braunen Augen seines Gegenübers, der nur leicht winkte, sich ebenfalls seine Tasche nahm und nach einiger Zeit mit dem Schülermeer verschmolz..


3. Kapitel
Der neue Lehrer


« Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem. »
(Johann Wolfgang von Goethe)


„a’ a’.. Non non, so kann das nischt weiter gehen” Er fuhr zusammen. „Du störst den Ünterricht permanent und kommst jetzt auch noch zu spät.“, gnadenlos hatte Monsieur Mojeu den Jungen fixiert. „Was soll isch denn nur mit dir machen?“ Das laute Prusten der Schüler um ihn herum stachelte ihn nur noch mehr an und er musste sich wirklich zusammenreißen. Schade. Dabei hatte er sich vor dem Unterricht abregen können. Doch nun loderte das Feuer wieder auf – die Glut war entfacht und das Ergebnis blanke Wut.
Am liebsten wäre der Blonde aufgestanden und aus dem Schulgebäude gerannt.


So oder so ähnlich malte er sich die ganze Szene aus, ohne zu ahnen, was ihn gleich wirklich erwarten würde. Vielleicht hätte er sich dann nicht beeilt, vielleicht wäre er noch nicht einmal zum Unterricht erschienen und vielleicht hätte er sich auch in eine andere Klasse versetzen lassen.

„Verdammt. Und ich muss auch unbedingt bei Monsieur Mojeu zu spät kommen! Gerade heute und bei diesem Clown!“, dass das Laufen auf den Fluren verboten war, interessierte ihn im Moment recht wenig. Es war einfach nur wichtig, dass er noch einigermaßen pünktlich ankam – obwohl er bereits ahnte, dass es zu spät war - und so lief Damian Hals über Kopf zwischen ein paar Schülern hindurch und nahm die Kurven so knapp, dass er fast gegen eine Wand geschlittert wäre.
„Wäre ich doch heute morgen im Bett geblieben!“, fluchend blieb er vor dem Klassenraum stehen. Er stütze seine Hände auf seine Knie und beugte sich leicht nach vorne über, völlig außer Atem und nach Luft ringend sammelte er seine Gedanken innerlich. Der Gang an dieser Stelle des Flures war still und man hörte nur das leise Gemurmel durch die Türen. In seiner Klasse allerdings war es außerordentlich still. „Das ist.. fast schon unheimlich..“, flüsterte er, legte eine Hand auf die Tür und drückte das Ohr an das kalte Holz.

„...da Monsieur Mojeu durch einen Unfall in der nächsten Zeit keinen Unterricht halten kann, will ich euch euren neuen Französischlehrer vorstellen. Naja, zumindest wird er ihn solange vertreten bis Pascal wieder genesen ist.“
Die Stimme des Mannes mittleren Alters, zirka um die 56, kam dem 17-Jährigen bekannt vor. Ob es der Schulleiter war? Damian riss ungläubig seine Augen auf.
„Ein Unfall?“ flüsterte er und presste das Ohr weiter an die Tür. Okay, er konnte diesen Mann nicht leiden, aber deshalb hätte er ihm schon lange keinen Unfall gewünscht. Als Lehrer, so fand er, war der Kerl absolut untauglich und schlichtweg eine Bedrohung für einen Schüler, der mit schlechten Ergebnissen in Fremdsprachen sich durch den Dschungel des Vokabelgewirrs hangeln musste – sei es nun Deutsch, Spanisch oder Französisch.

Die Klasse brach in Gemurmel aus und das sanfte Tuch der Stille, welches zuvor noch über der Klasse gelegen hatte, war zerrissen.
„Er ist neu hier in der Gegend und anders als unser Kollege Monsieur Mojeu, ist er kein Franzose. Er hat also keinen französischen Akzent, sondern einen Amerikanischen. Früher hat er – so weit ich weiß – in New York gelebt.“

„So so..“
Es war ein kurzes Lachen, das nur so vor Hohn triefte, und durch welches Damian sofort herumwirbelte. Er blickte mit seinen weit aufgerissenen, erschrockenen und überraschten Augen in die Kalten seines Gegenübers.
„Sieh an, schon beim ersten Mal erwische ich einen Schwänzer.“ Er lachte wieder kurz.

Damian stieg die Röte ins Gesicht und in ihm keimte die wage Vermutung auf, die man ihm zu seiner Missgunst wohl gleich auch noch bestätigen würde.
„Du?!“ fragte der Jüngere von beiden ungläubig.
„Überrascht?“ Der Schwarzhaarige grinste.
„Hätte nicht gedacht, dass du auf die Schule hier gehst, aber wie es aussieht schwänzt du sowieso nur.“
Er plusterte sich auf. „Sie!!“ Damian bemühte sich um eine gerade Haltung. Und halt – warum Siezte er diesen Widerling? –
„Ich bin kein Schwänzer. Ich kam nur zu spät, wie sie anscheinend auch, hm?!“ presste er hervor, um sich zu rechtfertigen. Dem Dunkelhaarigen schien das alles wenig zu interessieren und der Blonde fragte sich, ob er ihn noch kannte.
Man konnte seine Arroganz fast riechen.
Also verharrte er an seinem Platz vor der Tür und starrte ihn sauer, aber wie in Trance gerissen an.

Ausgerechnet dieser Schnösel, durch den seine Welt aus den Fugen geraten war. Ausgerechnet dieser Mann, der ihm seit Tagen im Kopf rumschwirrte.
Ausgerechnet dieser Lehrer würde Mojeus Unterricht übernehmen und somit musste er ihn fast täglich ertragen.
Und ausgerechnet er, Damian, war das Opfer!

„Wie dem auch sei, willst du nicht rein gehen?“, fragte der Lehrer, warf sich seinen schwarzen Aktenkoffer über die Schulter und sah weiter zu dem Jungen.
„Ich… Das ist… unfassbar.“ knurrte dieser nur, gerissen aus seiner Gedankenwelt, die sich wie ein Schleier um ihn gelegt hatte. Er wandte den Blick zur Tür, atmete tief durch und klopfte danach an.
„Herein?“ Der Direktor unterbrach für eine Sekunde seine Biografie über den neuen Lehrer und musterte Damian mit hoch gezogener Augenbraue. „Sie sind etwas spät, finden sie nicht?.“ Er nickte.
„Ich entschuldige mich für die Störung, aber ich...“ Einen Moment lang schwieg er und verarbeitete fieberhaft alles, was er in diesem Moment nicht gebrauchen konnte. Krampfhaft durchwühlte er jede einzelne Schublade in seinem Gehirn und suchte so nach einer Ausrede.
„Er kam mit mir. Und mich hat man noch im Sekretariat aufgehalten, sorry.“
Ungewollt drehte der Blondschopf den Kopf zu dem Älteren und riss sich zusammen, damit nicht die Kinnlade nach unten fallen würde.
Was bildete sich dieser Typ überhaupt ein, dass er auf so eine Idee kam!
Damian schnaubte kurz, drehte sein Gesicht allerdings dann wieder zum Direktor und nickte zögerlich. Wenn es eine Möglichkeit gab, noch einmal heil aus dem Klassenraum zu kommen – dann wohl nur so.
Er konnte sich nicht noch Patzer erlauben, vor allem nicht durch Verspätung oder ähnlich primitives. Glück im Unglück, denn für dieses Mal hatte er keinen Notausstieg geplant gehabt.

Es durfte einfach nicht mehr vorkommen, denn das machte sich zum einen nicht gut in der Schulakte, wenn man ständig auffiel und zum anderen hatte er keine Lust auf die Konfrontation mit seinen Zwangs-WG Mitbewohnern, seinen Eltern.

Damian hatte damit gerechnet, er würde ihn weiter ausfragen, doch der Direktor harkte zu seinem Glück nicht mehr nach. Stattdessen reichte er stolz dem jungen Lehrer seine Hand.

„Mister Russell..“, der Mann, gekleidet in einem Anzug, nickte anschließend noch freundlich zu, auch wenn der Händedruck schon gereicht hätte.
Diese übertriebene Freundlichkeit gegen so einen reichen, widerlichen Schnösel lies Damian kurz angeekelt dem Mund verziehen.

„Klasse 10 F, das ist euer neuer Französischlehrer. Herr Russel, ich werde sie nun verlassen. Wenn sie Fragen oder Probleme haben, Sam Lakens wird ihnen als Klassensprecher zur Verfügung stehen.“
Der Rothaarige stand auf, routinemäßig lief es immer so ab, wenn sie einen neuen Lehrer oder Schüler bekamen: „Im Namen der Klasse freue ich mich Sie an unserer Schule begrüßen zu dürfen“, anschließend verbeugte er sich leicht und warf dann dem blonden Damian einen Blick zu.

Ein leichtes Kopfschwenken auf den freien Platz neben Sam deutete ihm an, er solle sich setzen. Gewiss nicht ohne Grund, vielleicht war es wichtig aber vor allem war es mehr als unnatürlich wie angewurzelt und verkrampft an der Tür zu stehen.
Damian nickte leicht und versuchte die Tatsache, dass er irritiert war, zu verbergen. Wütend war er auch nicht mehr – nur verwirrt. „Ich werde mich setzen“ Er unterdrückte das Gefühl stechenden Blicken durchbohrt zu werden und ging gradewegs direkt zu seinem Sitzplatz, zog den Stuhl weg, setzte sich und stellte die Tasche ab.
„Das macht mich noch wahnsinnig“ knurrte Damian leise und rutschte an den Holztisch heran. „Was der sich einbildet!“ Er schielte zu dem Schwarzhaarigen
„Wenn du den Typen nicht leiden kannst, wieso bist du dann mit ihm gefahren?“ fragte Sam seufzend und fuhr sich durch die Haare. Damian schüttelte energisch den Kopf.
„Und vor allem – woher kennst du ihn?“
„Ich bin nicht mit ihm gefahren!“, erklärte er weiter. „Ich bin zu Fuß gegangen! Der hat mich nur vor dem Direktor in Schutz genommen.. ich war noch bei Andrew und war bis ein paar Minuten außer Atem vor der Tür, weil ich so durch das Gebäude gehetzt bin, bis der da dann hinter mir war und.. und... !“, er erschrak so sehr über seine eigene Unglaubwürdigkeit, dass er selbst immer leiser wurde und schließlich verstummte.
Verdammt, wie unlogisch Wahrheiten doch manchmal klingen konnten!
„Ich werde aus dir manchmal einfach nicht schlau.“ Sam rang sich ein unsicheres und verzweifeltes Grinsen ab. Irgendwas war hier total falsch.
„Warum sollte dir der neue, noch wildfremde Lehrer helfen?“ – „Mir ist er nicht wildfre—“
Er verstummte wieder. Sollte er ihm sagen, dass er der Mann von Neulich war? Der, warum er sich nicht mehr innerlich sammeln konnte und wieso Damian jetzt zweifelte?
Sollte er es ihm jetzt sagen..?

„Mhm..?“ Sam hob leicht gelangweilt den Kopf und sah ihn an.
„Er ist nicht was?“, seine Augenbraue rutschte ein Stückchen nach oben.
„Nichts..“ Damian schüttele den Kopf. Es war besser so, und da er sich immer noch nicht im Klaren war, wie er das ganze regeln würde und ob er Andrews Rat folgen würde, beschloss er alles erst einmal für sich zu behalten.
„..wenn du meinst“ Samuel sah Damian noch einige Sekunden lang an, ehe er wieder nach vorne blickte und den Lehrer ansah.
Schlank, aber gut gebaut, Schwarzhaarig, richtig männlich. Kurz gesagt: Schön.
Das konnte Damian nicht leugnen.
Seine Kehle gab ein aufgeregtes, kurzes Knurren von sich.
Kaum stand der Mann zwei Minuten im Raum, schon drehte sich wirklich alles in seiner Welt um ihn. Konnte man das nicht irgendwo abstellen?

„Nun gut.. einiges werdet ihr bestimmt schon erfahren haben“, Mister Russell nahm den Koffer und stellte ihn mit einem lauten Knall auf dem Pult ab.
„Ich heiße Ryan Russell, ziehe Luzifer als Beinamen allerdings vor, bin geboren in New York und aus privaten Gründen nach England gezogen.“
Auch Damian sah zu dem neuen Lehrer und verschränkte die Arme vor der Brust, trotzig, aber auch neugierig. Schließlich hatte er die Biografie des Direktors nicht mit bekommen, und umso interessanter war es, mehr über diesen neuen Nachbar zu erfahren. Er reizte ihn gerade zu, seine Nase in fremde Dinge zu stecken.
Das Getuschel allerdings, das aus den Ecken am hinteren Ende des Raumes drang, lies ihn herumwirbeln. „..total süß oder?“ Er drehte den Kopf ein Stück weiter. „Ja. Und seine Augen erst!“, schwärmte eine Andere.
„Viel besser als Mojeu. Was schätzt du, wie alt er ist?“
„Hmm, keine Ahnung. Aber ich denke mal noch weit von der 40 entfernt.“
„Toll, so weit war ich auch schon! Vielleicht Anfang 30.“
Wiederum eine andere mischte sich ein und schüttelte den Kopf: „Ist doch total egal, Mädels. Er sieht gut aus, das zählt allein.“ Das Mädchen grinste.
Seufzend drehte Damian wieder den Kopf weg.
„Weiber!“ Nicht wie anders zu erwarten, die Mädchenclique ihrer Schule hatte bereits ein Auge auf den neuen Lehrer geworfen. Er hatte bereits in kürzester Zeit einen Fan Club ergattert.
Damian schnaubte er und verzog das Gesicht. „Wie kann man so einen Idioten süß finden?“ Der Blonde griff hinter seinen Kopf, verschränkte dort seine Arme. Auch wenn er sich ins Geheim das Selbe fragte, wie die kleinen Weiber dort hinten in der Ecke. Gewiss ging von dem Typ dort vorne eine gewisse Faszination aus, die er sich nicht erklären konnte, egal wie sehr er es versuchte. „Pfff“ Er blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Also..“ Der Lehrer nahm sich seine Jacke ab und warf sie über seine Aktentasche. „Wir beginnen mit einer kleinen Vorstellungsrunde. Außerdem interessieren mich eure Noten des letzen Jahres, um einen groben Überblick zu haben, wie schnell ich voran gehen darf, dass auch jeder mit kommt“ Sein Blick wanderte über die Schüler. „Haben wir einen Freiwilligen?“ Lässig lehnte sich der Neue mit dem Rücken gegen das Pult. Es vergingen einige Sekunden, ehe Sam seinen Arm hob. „Ich werde beginnen“, sagte er knapp und stand auf. „Meine Name ist Sam Lakens, ich bin 18 Jahre alt und wohne seit zirka 4 Jahren hier. Mein Traum ist es, einmal als Forscher auf dem Gebiet der Genforschung mitzuarbeiten. Außerdem liebe ich es Filmkritiken zu verfassen, zu lesen und Kunst zu bewundern.“
„Ein vornehmer Herr, was?“ Luzifer lächelte leicht, und wie sich Sam bereits gedacht hatte, war dieses Lächeln schwer einzuordnen. Man sah nicht den ganzen Hohn und Spott den er ihm entgegen brachte, sondern nur einen kleinen Teil. „Was war denn deine letzte Note?“, fragte er, während er um den Tisch herum ging, seine Aktentasche öffnete und ein Büchlein herausholte. „Sehr gut“ sagte der Rothaarige knapp und setzte sich wieder. Damian sah zu Sam. „Wieso hast du begonnen?“ fragte er misstrauisch. „Ganz einfach. Wäre kein Freiwilliger gekommen hätte er mich im Endeffekt auch aufgerufen. Und das nur, weil ich der Klassensprecher bin. Ist dir das noch nie aufgefallen?“ Er grinste leicht. „Und wenn du jetzt 1 + 1 addierst dann...“ Er ahnte bereits böses und erhob sich nur wiederwillig vom Stuhl, als er ein ‚Und der nächste ist Damian Cartwright.’ vernahm. „Ehm.. ja..“ Er räusperte sich leicht. „Schnapp ihn dir Tiger“ flüsterte Sam und lehnte sich genüsslich zurück. „Du hast leicht reden, Sammy“. Der Aufgerufene grummelte eine Weile innerlich, bevor er sich zusammen raufte und sich nochmals räusperte. „Mein Name ist Damian Cartwright, ich bin 17 Jahre alt und lebe seit 12 Jahren hier. Ich lebe für die Kunst und bin selbst freischaffender Künstler mit dem festen Ziel einmal auf diesem Wege Karriere zu machen. Außerdem liebe ich lange Spaziergänge in der Natur, Zeichnen natürlich und Tiere.“
Luzifer zog eine Augenbraue hoch. „Du bist sehr exzentrisch, was?“ fragt er und lehnte sich auf den Tisch. „Das merkt man bereits an deiner Ausstrahlung. Ein Egoist vielleicht..? Eigensinnig auf jeden Fall.“ Er konnte ein leichtes Grinsen nicht verbergen.
„Wer weiß..“ bemerkte Damian und setzte sich wieder, auch wenn er dem Lehrer nun zu gerne an die Kehle gesprungen wäre, diese zusammen gedrückt und ihn einen qualvollen Tod sterben gelassen hätte.
„Was war deine letzte Note?“
„...“ Er schwieg, auch wenn er sich fragte wieso. Schließlich wussten sie alle, das er, was Französisch betraf, eine Niete war. Und doch veranlasste etwas tief in ihm, zu schweigen. Vielleicht wollte er sich die Blamage vor dem neuen Lehrer ersparen, vielleicht war er aber einfach nur feige.
„Verstehe“ Luzifer Russell lächelte leicht. „Der Nächste“, sagte er knapp und sah in die Runde. Sam sah zu mir. „..Angst?“ fragte er und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
„Ja.. vielleicht habe ich bei dem Typen noch mal die Chance, besser zu werden, überhaupt akzeptiert zu werden. Das war meistens mein größtes Problem“, erklärte Damian und sah zu Sam. Dieser nickte leicht. „Vielleicht hast du Recht“, er schob seine Hand in die von Damian. „Ich steh hinter dir, das weißt du ja“
Stimmt. Er stand wirklich hinter ihm. Immer und immer wieder, bei jedem Mist, den er jemals angestellt hatte. „Ich weiß“ lächelte Damian vorsichtig. Trotz allem war er sich nicht sicher wie er mit ihm reden sollte. Für Andrew war das leicht gesagt, er setzte ja auch nichts auf Spiel – anders als der Blonde. Er wollte Sam als Freund behalten, vor allem wusste er eben nur nicht, ob er ihn noch so liebte wie am Anfang. Und genau aus diesem Grund wollte er ihn nicht als Kumpel verlieren. Naiv wie er war, bildete er es sich auch noch ein, dass dies klappen könnte. Lächerlich, dachte er und schluckte.
„Sam?“, es war noch nicht mal mehr ein flüstern, ehr ein Wispern und auf eine seltsame Weise verriet es dem Angesprochenen, dass etwas nicht stimmte. „Mhm..?“ fragte er und wandte den Kopf zu seinem Tischpartner. „Wir müssen reden..“
Der Rothaarige nickte leicht. „Noch heute?“
Damian sah ihn kurz an, ehe er den Kopf schüttelte. „Freitag gegen Abend, bei dir, okay?“ Es klingelte.
Sam nickte stumm, griff ihn jedoch am Ärmel der Schuluniform und zog ihn nochmals runter, auf Augenhöhe. Damian kam zum Sitzen. „Um was geht es denn? Was ist denn los?“ Er erlebte den Jungen selten so in Eile, und die Besorgnis stieg dem Älteren bereits ins Gesicht. „Das.. kann ich dir hier nicht sagen..“, sprach er leise nach einer Weile und sah an dem Rothaarigen vorbei, nach draußen in den Flur. Mit diesen Worten erhob er sich und schnappte sich seine Tasche. „Bis dann, Sammy!“ lächelte er unecht.
„O-okay... bis dann“


4. Kapitel
Spielzeuge


« Wenn du eine weise Antwort verlangst, musst du vernünftig fragen. »
(Johann Wolfgang von Goethe)


Es gibt immer ein Erlebnis, das man nicht vergessen kann, egal wie sehr man es versucht.
Irgendwann ist sie wieder da, die Erinnerung, die, die dich wachsam werden lässt.

„Und wie soll ich das ganze anstellen?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Wispern. Damians Augen brannten und er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste noch nicht einmal, auf wen er sich verlassen konnte. Er fühlte sich einsam, verlassen und er war unentschlossen. Schluss machen war wie sich wirklich rausstellte, leichter gesagt als getan. Damian wollte Sam immer noch als einen guten Freund behalten, auch wenn er bereits jetzt daran zweifelte, ob das überhaupt so möglich war. Er wusste nur allzu Gut wie eifersüchtig der Rotschopf gerne war und wie schnell er sich hintergangen oder betrogen fühlte. Es wunderte ihn immer noch, wie ruhig er auf den Schwarzhaarigen reagiert hatte.
„Die Wahrheit sagen, Damian. Mach dir erst gar keine Hoffnungen darauf, dass er noch was mit dir zu tun haben will.“ Andrew hauchte den Rauch in die Luft und sah in den Himmel. Seine Augen streiften die Wolken und glitten dann über die Umgebung des Parks. Es waren Kinderrufe zu vernehmen und die Luft roch nach feuchter Erde und Blättern.
„Das ist leichter gesagt als getan“ murrte der Jüngere und schnippte ein Insekt von seiner Hose. „Ich will Sam doch nicht verlieren! Es ist eben nur die Luft raus! Das heißt doch nicht gleich... das ich mit ihm auf Kriegsfuß stehen will!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte sich einigermaßen zusammenzureißen. „Du weißt genauso wie ich, dass meine Bemerkung nicht so gemeint war.“ Andrew seufzte und zog wieder an seiner Zigarette. „So schnell wie der Typ glaubt, du würdest ihn betrügen, schmeißt er dich doch direkt raus, sobald du auch nur von Zweifeln sprichst“ Er schnaubte verächtlich. „Es tut mir Leid Damian, aber das brauche ich mir nicht anzutun. Ich helfe dir wirklich gerne, aber komm mir nicht so, als würde ich ihn oder dich beschimpfen.“
Schweigen. Damian sah auf den Boden und fixierte einen kleinen Kieselstein. „..es tut mir Leid. Entschuldige Andrew..“ sagte er nach einer Weile und sah wieder auf. „Aber... ich weiß einfach nicht, wie ich mit meinem Leid umgehen soll.“ Der Angesprochene sah ihn kurz an, überrascht von der schnellen Kapitulation und Einsehens. Es musste wirklich hart um den Jüngeren stehen, und so langsam tat es ihm leid, ihn so zurechtgewiesen zu haben. Er legte eine Hand auf Damians Schulter. „Hör zu, Brüderchen“ lächelte er leicht. „Egal was ist. Du musst ein für allemal klar machen, was zwischen dir und Sam los ist. Es geht nicht, das ihr beide mit einer Lüge weiterlebt.“ Er löschte die Zigarette aus, in dem er sie auf den Boden warf und mit seinen Schuhen platt trat. Damian sah zu ihm. „Ich weiß, dass du Recht hast! Aber ich weiß nicht wie ich das anstellen soll..“ Er stützte sich auf seine Oberschenkel, seine Finger gruben sich angespannt in den Stoff. „Sam hat stets auf mich aufgepasst, mich beschützt, mir geholfen. Ich.. weiß einfach nicht, wie ich es ohne ihn schaffen soll. Ich habe Angst! Ich habe Angst, dass es wieder anfängt“ flüsterte der Blondschopf. Andrew erkannte seine Verzweiflung.. und er konnte sie verstehen. Er war einer der wenigstens, die von der Sache vor 3 Jahren etwas wussten. Er, Sam und Rika waren die einzigsten, denen Damian vertraut hatte. „Mach dich nicht von Sam abhängig..“ sagte Andrew fast schon mahnend und sah zu ihm herunter. „Du bist es nicht. Du hast mich, und du hast Rika.“
„Aber ihr seid nicht da!“ keifte Damian missmutig. In seinen Augen spiegelte sich die Angst vor der Ungewissheit und die Verzweiflung. Andrew schwieg, nachdem er in seinen Augen nur Missmut gefunden hatte. „Ihr seid nicht da, wenn sie kommen und mich brutal zwingen! Ich will das nicht noch mal erleben!“ Er verkrampfte sich immer mehr und begann langsam zu zittern. „Das tut weh, weißt du das? Das.. schmerzt nicht nur am Körper, das schmerzt auch in der Seele!“ Er presste die Augen zusammen und schluchzte. Und er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Hier, an diesem Punkt war er angekommen und keinen Schritt weiter. Ab hier konnte er nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung. Das war es nicht, das wusste Andrew und setzte sich neben Damian auf die Bank. „Beruhige dich..“ flüsterte er unsicher und legte einen Arm um ihn.
Der Blondschopf schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, Andrew! Die Angst macht mich verrückt!“ Es schien so, als hätte die Vergangenheit ihn wieder eingeholt. „Du musst, Damian! Hörst du? Das wird wieder...“, er stockte.
„Das wird was?“ fragte er und blickte ihn an. „Dann kann es wieder gut werden?! Das ich nicht lache!“ Er entzog sich seines Armes und stand auf. „Es tut mir Leid, aber an diesen Spruch glaube ich schon lange nicht mehr. Genauso wenig, wie ich an einen Gott glaube. Wenn es ihn wirklich gibt, wieso hasst er mich dann, dass er mich so straft?“ Er warf sich die Kapuze seines dunklen Pullovers über. „Ich gehe jetzt besser. Wir schreiben, so wie ich unseren Mathelehrer kenne, bestimmt einen Test. Ich sollte lernen..“ Mit diesen Worten ging Damian, dem Älteren den Rücken zugewandt los. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um die feuchten Tränen zu verstecken, wurde sein Gang immer schneller, bis er schließlich lief. In Wahrheit hatte er einfach nur nach einem Grund gesucht, nach Hause zu gehen. Er wollte jetzt einfach nicht mehr reden. Unter keinen Umständen.

Andrew sah ihm nach, hin und her gerissen. Sollte er ihm folgen? Er stand auf und sah ihm nach. „D-Damian! Stell bloß nichts an..!“, rief er ihm unschlüssig nach.

Es dauerte nicht lange bis er am Ende der Straße abbog und das Haus sah. Damian wischte sich nochmals mit seinem Ärmel über die nassen Augen und hoffte, dass seine Eltern, und vor allem nicht seine Mutter im Flur bereits auf ihn warteten. Er kramte in seiner Jackentasche nach dem Hausschlüssel, schloss auf und schob als erstes langsam seinen Kopf durch den schmalen Spalt. „Mhm...“ Damian drückte die Tür auf, trat in den Flur und schloss diese dann genauso schnell wieder, wie er sie geöffnet hatte. Er sah sich noch mal um, bevor er das Weite ergriff und die Stufen der Treppe hinauf stürmte. Still schloss er die Tür, auch wenn er sie in seiner Angst gerne donnernd und krachend in das metallene Schloss geworfen hätte. Sicherheitshalber nahm er den Schlüssel und schloss ab.
Erst dann lies sich der Blondschopf gehen. Es schien ihm so, als würde sich all sein Kummer, seine Angst und seine Furcht verflüssigen und durch Tränen aus seinem Körper herausgeschwemmt werden. „Vielleicht hat Andrew Recht“ schluchzte er leise und zog sich hoch auf sein Bett. „Vielleicht sollte ich mich wirklich nicht von ihm abhängig machen.. Aber.. ich kann nicht allein gegen diese Bastarde ankommen...“ Er drückte sein Gesicht in die Kissen. Je mehr er darüber nach dachte, je klarer wurden die verschwommenen Erinnerungen. Alles spielte sich vor dem Auge des 17 Jährigen ab, wie ein Film. Ein ganz eigener, persönlicher Horrorfilm...:

„Komm her, Püppchen“ Damian fuhr zusammen und drehte sich angewidert und verängstigt zu gleichen Teilen um. Er schluckte. „Sieh an, fast wie ein Hündchen. Brav so.“, das gehässige Grinsen auf den Lippen seines Gegenübers wurde breiter. Allmählich begannen sich weitere Gestalten um ihn herum zu scharen. Es waren jetzt, mit dem Anführer, fünf Leute. „Was.. willst du?“ Er versuchte neutral zu wirken und die Angst mit gespielter Selbstsicherheit zu verstecken. „Ach, komm schon.. du kleiner Homo weißt doch genau, was jetzt kommt, oder?“ Robin kam auf Damian zu, legte die eigene Hand auf seine Wange und strich verächtlich über diese. „Lass das..“ knurrte Damian und schlug sie weg, trat einen Schritt zurück. Doch bereits nach zwei Schritten war es vorbei, der Weg war versperrt von den anderen muskulösen Kerlen. „Ts.Ts. Was für ein böser Hund! Na dann, Jungs, zeigt ihm, was wir mit bösen Hunden machen!“ Was danach geschah, hatte Damian Jahre lang in die tiefsten Schubladen seiner Seele verstaut. Schleierhafte Schatten erschienen in seinem Kopf und er erinnerte sich, wie sie ihm grob gegen die Wand gestemmt hatten, das Anführer auf ihn zu kam und seinen Körper entlang fuhr. Damian wandte sich damals zwischen den dreckigen Berührungen hin und her, doch je mehr er sich wehrte, je fester drückten sie ihn gegen die Wand, bis...

Stopp!! Das war der einzig klare Gedanke, der ihn endlich wieder in die Realität holte.
Bis hierhin, und nicht weiter. Er hob seinen Kopf und starrte zu einer großen, hölzernen Staffelei im anderen Teil seines Zimmers. Damian schluckte.
Wollte er sich wirklich den Kopf über das zerbrechen, was passiert war? Über das, was längst hinter ihm lag und wozu er sich geschworen hatte, keinen Gedanken mehr verschwenden zu wollen? Seine Fingernägel bohrten sich in die Bettdecke.

Nach einer Weile lies er sich kraftlos und aufgelöst zu gleichen Teilen nach hinten fallen. Sein Kopf landete zwischen den zahlreichen Kissen und sein steifer Blick wandte sich an die hölzerne Decke und er seufzte. Schlafen wollte er nicht.. oder besser gesagt, er konnte es nicht. Da war die Angst, vor zahlreichen Alpträumen aus seiner vergangenen Vergangenheit, die ihm die Augen offen hielt, so gern er sie auch für einen Moment geschlossen hätte. Keine fünf Minuten hielt er es aus, so dort zu liegen. Stattdessen raffte er sich zusammen, stand auf und tigerte, wie ein nervöses Raubtier im Käfig, in seinem Zimmer auf und ab. Damian grummelte, teils nervös, teils verängstigt und teils ratlos. Er spürte bereits, wie ihn diese Ungewissheit aggressiv machte, und von hier an, so dachte er, genau von diesem Punkt an, da half selbst seine geliebte Kunst nicht.

Und das wirklich alles nur wegen diesem neuem Lehrer? Es war doch wirklich nicht zum Aushalten. Entschlossen warf er einen Blick aus seinem Fenster. Herbstlich dämmerte es bereits, doch es war immer noch besser, etwas zu unternehmen, als aggressiv in seinem Zimmer zu sitzen und doch nichts tun zu können. Genauso schnell, wie er die Tür angeschaut hatte, war er bereits an sie herangetreten.

Rasend schnell drehte er den Schlüssel im Schloss um, und die Tür war unter einem Klacken geöffnet. Wenn er schon wegen ihm Probleme hatte, wollte er wenigstens alles, wirklich alles über ihn erfahren. Über sich selbst erschrecken fuhr er zusammen. War das schon krankhaft? Es konnte doch nichts schaden, sich einmal zufällig in der Nähe des Hauses umzusehen? Schließlich waren sie ja Nachbarn, da konnte man sich doch gegenseitig mal einen Besuch abstatten.

Mit einem Seufzen öffnete er die Zimmertür einen Spalt breit und blickte auf den ruhigen Flur. Es schien wirklich so, als wären seine Eltern nicht da. Damian schob sich aus dem Zimmer und ging langsam die knarrende Holztreppe hinunter. Immer noch war es so still, das man das Geräusch einer kleinen Nadel, die auf den Boden fallen würde, hören könnte. Wie eine Katze schlich er leise die Treppe hinunter, aus einer unbegründeten Angst, dass seine Mutter vielleicht hinter einer Ecke auf ihn lauern würde. Man konnte schließlich ja nie wissen..!
Er nahm seine Jacke vom Geländer, warf sie sich über und vergewisserte sich, dass er seinen Schlüssel bei sich hatte.

Ein kalter Wind blies ihm ins Gesicht, und während er sich mit aus Reflex geschlossenen Augen, da der Windzug beim ersten Mal in seinen Augen brannte, aus der Tür schob und diese hinter sich schloss, hielt er sich die Hand vors Gesicht. Er öffnete vorsichtig die Augen, welche sich nun langsam an den scharfen Wind gewöhnt hatten. Wie eine unsichtbare Hand durchzauste der Wind seine blonden Haare und Damian kämpfte sich mühsam durch den schmalen Durchzug.

Erst als er den Bürgersteig betrat, und der Wind sich allmählich gleichmäßig ausbreitete, sah er sich um. Die Straße war wie leergefegt, nur das ein oder andere Mal tanzten ein paar Blätter im Wind, oder die Äste der kahlen Bäume knackten. Das jetzt bewohnte Haus lag genau 30 Meter entfernt, hatte einen großen Hof, der umrahmt von einer abbröckelnden Steinmauer, relativ windstill dort lag. Gezielten Schrittes, getrieben von Neugier und einem Hauch von Wut eilte er über die ausgestorbenen Straßen.

„So?“ Es war die aufgebrachte Stimme einer Frau, die bereits 10 Meter zuvor zu hören war und über die gepflasterte Straße hallte. „Ich habe deine Ausreden langsam aber sicher satt! Was, Luzifer, was bildest DU dir eigentlich ein?!“ Damian blieb an der Biegung stehen, sein Blick glitt über Umgebung und blieb an der weit geöffneten Haustür haften. Im ersten Moment kam es ihm noch in den Sinn, sich umzudrehen, und kehrt zu machen, doch wirklich durchsetzen taten sich nur seine Füße und deren Mission lautete, geradewegs weiter zu gehen. Das Klackern von Stöckelschuhen auf dem Steinpflaster wurde langsam aber sicher nervig, je näher er kam desto spezifischer und lauter wurde das Geräusch. Erst jetzt, als der Blondschopf auf den Hof getreten war, sah er die junge Frau, die aus der sperrangelweit geöffneten. Tür getreten war.
„Was regst du dich überhaupt so auf? Der Alte steht eh schon mit einem Bein im Grab.“, der gleichgültige Tonfall der Stimme lies die Frau, die nun direkt vor ihrem Auto stand, sich noch mehr aufplustern. Angewidert und ohne Verständnis verzog sie ihr Gesicht.
Damian zuckte kurz zusammen, diese ihm wohl bekannte Stimme, war der Ursprung seiner Neugierde, und genauso, wie ihm ein eiskalter Schauder über den Rücken gelaufen war, als Luzifer Russell ihn zum ersten mal angesprochen hatte, passierte es wieder.

Seufzend trat der schwarzhaarige Mann aus der geöffneten Tür. „Willst du noch weiter meine Zeit verplempern oder erweist du Gnade und verschwindest?“ Spöttisch lehnte er sich in den Türrahmen. Die junge Frau, die innerlich zu kochen schien, sah ihn mit verschwörerischem Blick an. „Du...!!“ Mit einem tötenden Blick versuchte sie ihn zu durchbohren, doch die immer noch ausdruckslose Mimik des Mannes verhinderte ein Durchkommen. Danach drehte sie sich um – und zum ersten Mal wurde Damian in das Geschehen einbezogen, allerdings nicht freiwillig und hätte er es sich aussuchen dürfen, so hätte er gewiss niemals Ja gesagt.

Sie verschränkte grazil ihre Arme vor der Brust und sah ihn an, der Blick misstrauisch und zugleich verräterisch. „Sieh an, Luzifers neues Spielzeug.“ Sie lachte amüsiert, sah dann über ihre Schulter zu Damians neuem Lehrer.
Luzifer zog eine Augenbraue hoch, zuckte mit den Schultern und ging auf beide zu. „Wie unhöflich von mir, ihn dir nicht vorzustellen.“ Er grinste leicht, stellte sich direkt hinter den Blonden und legte einen Arm um dessen Schulter. Der Atem des Älteren kitzelte den Jüngeren im Nacken und er spürte, wie seine Härchen sich aufstellten. „Ich habe heute ein Date mit ihm, stimmts, Damian?“ Er betonte den Namen deutlich und schmiegte seine Wange an die des Jüngeren. „Was zur Hölle—“ Der Blondschopf riss die Augen auf. Spielzeug? Date?
Luzifer schielte zu ihm. „Spiel mit.. oder ich bringe dich um..“ Es war weniger die Drohung, sondern ehr die Mimik, dieser tot ernste, alles durchbohrende Blick, der den Blondschopf schlucken lies. Mucks Mäuschen still verharrte er in seinen Arm, und wirklich das Schlimmste war, das er es auch noch angenehm fand.

„Du bist unverbesserlich, Luzifer. Willst du mir hiermit etwa sagen, das du den Jungen neuerdings interessanter findest?“
„Wie wahr, Melanie.“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Seit neustem vergreifst du dich also schon an deinen eigenen Schülern.“ Sie zögerte einen Moment. „Arschloch..“
„Könntest du nun verschwinden und uns alleine lassen?“ fragte der Angesprochene gereizt und funkelte aus seinen dunklen Augen der Frau entgegen. Ihre letzte Bemerkung hatte er schlagartig und wie auf Kommando ignoriert. Recht streng genommen war zwischen ihnen auch nichts. Damian hatte immer noch ein Verhältnis mit Sam und.. Ach verdammt! „Meine Antwort war ein deutliches Nein“ Er hob seinen Kopf von der Schulter des 17-Jährigen. Einen Moment lang sah es so aus, als ob sein Gegenüber widersprechen wollte, doch diese Gedanken verwarf die junge Frau wieder, verkniff es sich, etwas zu sagen. Bei diesem Sturkopf hätte es sowieso niemals etwas genützt. Mit einem gequälten Seufzen, und einem besorgten Blick nahm sie aus ihrer Handtasche einen Schlüssel und öffnete ihr Auto. Trist stieg sie in ihren kleinen PKW und war mit dem rhythmischen Summen ihres gestarteten Motors auch schon sogleich wieder verschwunden.

„Endlich“ Gequält seufzte er auf und fuhr sich durch seine schwarzen Haare. „Sie kann einem wirklich den letzten Nerv rauben. Ein besseres Timing wäre gar nicht möglich gewesen. Er schnaubte und richtete sich den Kragen seines dunklen Hemdes auf.
„Bist du sicher, dass du sie gehen lassen willst?.. irgendwie sah sie verletzt aus, hast du das nicht gesehen?“ Der Jüngere von beiden war aus seiner stocksteifen Starre erwacht und suchte einen wohl vergeblichen Blickkontakt mit dem Älteren. „Natürlich habe ich’s gesehen, oder glaubst du, ich bin ein Idiot?“ Seine linke Hand verschwand in seiner Hosentasche und er sah nur einmal kurz zu seinem Schüler, bevor er auf die immer noch geöffnete Haustür zutrat. Und auch wenn Damian wirklich schwul war, so konnte er die junge Dame von eben nicht vergessen. Er konnte nicht anders, als sie zu bemitleiden. „Ich hätte niemals gedacht, dass Sie so ein arrogantes Arschloch sind.“ Aus spöttischer Höflichkeit begann er ihn zu Siezen. Luzifer zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Des einen Unglück, ist des anderen Glück, nicht wahr?“ fragte er und ging zurück in das Haus. Damian ließ er alleine zurück.


5. Kapitel
Stummer Schrei

« Today I'm left here asking
Where has all the time gone now
I'm left alone somehow
Growing up and getting older
I don't want to believe it's over.. »
(aus dem Lied “Say Goodbye” von der Band Skillet)


Es gab Tage, an denen wollte dir nichts glücken. Du wirst geweckt von dem aggressiven Bellen eines Nachbarhundes, der eine hysterisch schreiende Katze verfolgt und stellst dabei mit Entsetzen fest, dass du bereits vor geraumer Zeit auf dem Weg zur Schule sein solltest, allerdings radikal verschlafen hast, da dein Wecker genau an diesem Tag nicht so funktionierte, wie er es hätte tun sollen.
Andererseits gab es auch Tage, die nicht besser sein könnten: Du wachst zur rechten Zeit auf, mit den süßen Gedanken an deinen noch eben geträumten Traum, gehst gut gelaunt zur Schule, wo deine Freunde bereits auf dich warten, und du danach im Klassenraum deinen geschriebenen Englisch Test mit einem A+ zurück bekommst.

Das war der Kreislauf des Lebens, auf Pech folgt Glück, auf Glück folgt Pech, genauso wie auf die Nacht der Tag folgt – und auf den Tag die Nacht. So wie die Gefängnistracht schwarz weiß gestreift war, so war auch das Leben verschieden farbig, mal dunkel und grau, mal bunt und farbenfroh. Aber vielleicht waren es gerade diese Tage, die Damian mehr Angst einjagten, als andere.
„Und wenn du kein geborener Glückspilz bist, dann hüte dich vor den Tagen, an denen dir das Glück winkt. Man soll das Glück nämlich niemals überstrapazieren.“ Und das hatte bereits seine Großmutter gewusst – und es Damian immer wieder eingetrichtert, sodass sich jedes Wort in sein Gehirn eingebrannt hatte.


Die Geschehnisse, die er nun fast fieberhaft im Traum erneut durchlebte, ließen ihn schweißdurchnässt hochfahren und mit weitaufgerissenen Augen an die Wand am anderen Ende seines Zimmer starren. Er konnte nicht sagen, was ihm da Angst einjagte, denn er fand absolut nichts, was dies hätte tun können. Und doch pochte die Glut in seinen Schläfen, sein Herz raste und er atmete schwer. Wahrscheinlich, so kam ihm der Gedanke, wahrscheinlich war es die Ungewissheit, die Damian so in die Enge trieb. Und vielleicht auch ein bisschen der Scham: Woher verdammt noch mal wusste dieser Mann, dass er schwul war?! Und.. bedeutete diese.. Pseudo-Annäherung, diese Umarmung, auch wenn sie nur als Manöver gedacht war, um diese junge Frau los zu werden, vielleicht, das Luzifer selbst schwul war?
Unter gewissen anderen Umständen hätte ihn diese Vermutung vielleicht erfreut, doch wie es nun mal das Schicksal wollte waren diese gewissen anderen Umstände eben nicht vorhanden.
Was Damian ebenfalls noch verunsicherte war die Bemerkung seitens Melanie. Spielzeug?!
Schnaubend lehnte er sich gegen das Bettende. Er fühlte sich klein und mies, verängstigt, dass jemand ihn und Luzifer so gesehen hatte und dass das die Runde in der ganzen Schule drehen würde. Es war sowieso schon schlimm genug, das einige von seiner sexuellen Neigung zu Männern wussten, denn den alltäglichen dummen Blicken, dem Geflüster und dem Lästern in den Fluren war er sowieso schon ausgesetzt. Auch wenn Sam es immer geschafft hatte, dass Damian sich daran erinnerte, sie zu ignorieren, einfach ‚links liegen’ zu lassen, so wollte er doch nicht, das es schlimmer wurde, als es bereits war. Und die Angst, dass sich alles irgendwann einmal in einer Schlägerei ausarten würde, saß ihm bereits immer in den Knochen, wenn er allein, ohne Sam, ohne Andrew oder Rika, durch die Flure ging.

Damian stützte sich immer noch unschlüssig auf seinen Knien ab und sah durch das Fenster zu seiner Rechten. Die Straße war wie leergefegt, trostlos, allein gelassen... Nur das magere Licht von verdreckten Laternen erleuchtete den Asphalt.. und das ein oder andere Mal sah man einen kleinen Schatten darüber huschen.
Ach ja - Wie spät war es eigentlich? Er tastete auf dem Tischchen neben sich nach dem Wecker. „Hm..?“ Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete er das Display. Sein Blick verfinsterte sich schlagartig. „Bereits nach 5 Uhr. Noch nicht mal drei Stunden, bis ich wieder in die Schule gehen muss. Das Leben hasst mich..“ Er seufzte schwer. Und schon wieder kam er sich lächerlich vor.
Wieso so schwer tun? Ganz einfach. Damian legte sich zurück in sein Bett, fuhr sich nochmals durch seine blonden Haare und starrte an die Decke, ehe er die Augen schloss.
Morgen war Freitag und er hatte sich am Abend mit ihm verabredet. Was Sam erwarten würde, war sicherlich nicht einfach zu akzeptieren.. – aber auch nicht einfach zu vollbringen.

Warum musste ihn das Leben so bestrafen? Konnte morgen früh, wenn er aufwachen würde, nicht einfach alles normal sein? Könnte da nicht einfach kein Luzifer Russell sein?

„Schlaf Damian, schlaf.. du musst schlafen..!“, sagte er sich und kroch tiefer unter die Decke. Allerdings wusste er, dass das alles sowieso keinen Zweck hatte. Er würde nicht schlafen, das war genauso sicher, wie die Tatsache, dass sein Wunsch, alles wäre am nächsten Tag wieder „normal“, so wie am Anfang, Realität werden würde.


...
Sein zerknautschter Blick, den sein ehr feminines Gesicht zierte, als er am nächsten Morgen von dem allseits beliebten Klingeln seines Weckers aus dem Schlaf gerissen wurde, dessen träumerischen Schleier er nur gefunden hatte, als er zur Beruhigung einige Schlaftabletten genommen hatte, lies daraufhin deuten das Damians Gedanken noch lange dem nächsten Tag gegolten haben mussten.
Das jedoch ohne Erfolg, was Damian feststellte. Die vergebliche Suche nach den passenden Worten war zwar zwingender Weise vorbei, aber ohne ein Ergebnis. Augen zu und durch. Zu dieser Erkenntnis war er gelangt – und so würde er das ganze wohl regeln.

Das Frühstück fiel an diesem Morgen für ihn aus. Nicht, weil er zu spät war, sondern weil ihm schlecht wurde, als er nur an Essen dachte.
„Damian!“, die Stimme seiner Mutter klang ungewöhnlich besorgt.
„..ja, Mum?“ fragte er nach einer Sekunde des Zögerns. Vielleicht hätte er nicht antworten sollen, aber dafür war es jetzt zu spät.
„Komm runter, frühstücken!“
„..nein“, Damian seufzte schwer. Wieso verstand sie es nicht, dass er heute eben keinen Hunger hatte?
„..was nein?“ fragte seine Mutter, und ihre Stimme nahm einen leicht gereizten und aggressiven Ton an.
„Nein eben..“ murrte der Blonde durch die geschlossene Tür. „Hab keinen Hunger..“ Er verdrehte die Augen. „Und keine Lust“ fügte er leise hinzu.
Es dauerte noch zehn Minuten länger, bis seine Mutter locker lies. Vielleicht wären es nur fünf gewesen, hätte er sein Schweigen schon früher begonnen.

Genervt verzog er das Gesicht. „Aaargh“ schnaubte Damian und begann seine Tasche zu packen und sich weiter anzuziehen. Er feuerte sein Pyjamahemd über seinen Drehstuhl und kramte nach einem frischen, dunklen Pullover.
Als er glaubte, einigermaßen sicher zu sein, huschte er leise ins Bad in der gleichen Etage.
Das Wasser, das aus der Brause der Dusche kam, zischte laut und Damian fluchte energisch, als er feststellte, dass dieses wieder einmal viel zu heiß eingestellt war. Er fuhr zusammen und bemühte sich, die Temperatur zu senken. Dann fand er Zeit, die er wirklich nur unter dem immer noch dampfenden Wasserstrahl fand: zum Nachdenken.

Schule.
Schule = blöd, aber auch kompliziert. Blöd wegen Französisch und anderen Fächern, die Damian auf den Grund nicht ausstehen konnte – und kompliziert wegen der misslichen Lage, in die er nun bedauerlicher Weise geraten war.
Schule + alle Leute dort = Katastrophe. Bis auf wenige Ausnahmen, nämlich seinen kleinen Freundeskreis, die ihn wenigstens so akzeptierten, wie er wirklich war. Schwierig, seit letzter Zeit ziemlich verschlossen und natürlich schwul.
Schule + alle Leute dort + er selbst = Frustration. Weil es einfach nicht klappen konnte. Die wenigen positiven Aspekte wurden von den überwiegenden negativen verschluckt. Das war ein für Damian ungeschriebenes Gesetzt.

Als er sich abtrocknete und seine nassen Haare föhnte seufzte er erneut schwer. So etwas wie eben hätte er gewiss einmal in Mathe sagen können, womit er sich zwar viele Feinde gemacht, aber wenigstens etwas Wahres erzählt hätte.
Sorgsam verpackte er sich in seine Kleidung, meist dunkel und mit vielen karierten Mustern, ehe er sich seine Tasche packte und mit einem schlechten Bauchgefühl die Zimmertür hinter sich schloss. Doch dies alles hielt ihn nicht davon ab, seinen Protest gegenüber dem Gespräch über das Frühstück mit lautem Gepolter auszudrücken, während er die Treppen hinunter sprang. Auch wenn es peinlich klang, Damian wusste nun lange genug, wie sehr seine Mutter dies hasste und wurde zu gleich von dem hitzigen Zischen eines „Damian!“ bestätigt. „Ich bin weg“ rief er noch grinsend durch die halb geöffnete Tür, bevor er diese ebenfalls krachend ins Schloss warf – doch das war wiederum ungewollt gewesen, was Damian allerdings nur kurz kümmerte.

Er musste sich sehr beherrschen nicht doch einen neugierigen Blick zu Luzifer Russells Grundstück zu werfen. Aus unbegründetem Verlangen, doch stehen zu bleiben und vorwitzig einen Blick zu erhaschen und der Angst, diesem Verlangen zum Opfer zu fallen, hetzte er förmlich über den Bürgersteig, die Straße hinunter und verschwand an der nächsten Biegung hinter mehreren Hecken Buchsbaum. Irgendwie, so kam es Damian jedenfalls vor, versuchte er durch ein munteren Eindruck von sich zu übertünchen, wie es ihm in der Realität ging. Auch wenn er wusste, dass es nicht so aussah, als würde er Probleme haben, so wusste er ebenfalls nur zu gut, dass dies einfach gelogen war.
„Damian..!“ Die Stimme nahm er selbst im ersten Moment nicht wahr. Genauso wenig, wie er wusste, wie nah er bereits an der High School angekommen war.
„Damian, hey..!“ Ein ärgerlicher Tonfall war zu vernehmen, bevor Damian herumwirbelte und an den Gelenken gepackt an die Backsteinmauer gepresst wurde. „Wenn nicht anders dann eben so..“ seufzte Samuel.
„...Sam!“ Damian hatte im ersten Moment vor Schreck geweitete Augen. „..Erschreck mich nicht so..“ stammelte er nur. Sam sah ihm an, das der Schreck ihm noch in den Glieder saß. „Damian.. Ich muss jetzt mit dir reden.“ Sam’s klang ernst und Damian schielte nur kurz zu seinen Handgelenken. „I.. Ist was passiert?“ fragte Damian und versuchte so unschuldig zu klingeln, wie ein kleiner Engel. Einen Moment schwieg der Rothaarige. „..das sollte ich wohl dich fragen.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Damian.. was sollte das gestern?!“ fragte er direkt und drückte ihn – vielleicht ungewollt – gegen die harte Mauer. Damian sah Samuel entsetzt an. Sollte er etwa...?
„Was.. was sollte was?“ presste er hervor, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. „Lüg mich nicht an!!“ keifte Sam und sah ihn mit seinen dunklen Augen stechend an. „Was sollte das dort werden, mit Mr. Russell, hm?!“ Auch wenn es nur Worte waren, sie trafen Damian wie ein fester Fausthieb in den Magen. Oder war es doch sein Gewissen, weshalb ihm auf einmal so schlecht wurde?!
„Rede Damian, bitte rede!“ rief Sam und sah ihn weiter an. „Sag mir, dass das, was ich da gesehen hab nicht wahr ist! Sag mir, das er oder du betrunken warst, los!“ Samuel ereiferte sich so sehr, das er bereits rote Wangen hatte und Damian mit lauter Stimme anschrie. „S..S-Sam.. beruhig dich bitte.. schrei nicht so.. ich.. ich..--“
„Samuel Lakens, oder irre ich mich da..?“ Der Genannte horchte auf und drehte sich in einem halben Bogen um, lies Damians Handgelenke los und blickte – ungewöhnlich gelassen und ruhig im Rückbezug auf seinen Wutausbruch – den Älteren an.
„Was sind das für Manieren? Er muss sich dir gegenüber nicht äußern, Samuel, das sollte dir doch bewusst sein, oder irre ich mich?“ Damian lugte über Sams Schulter. Luzifer rückte sich seine Brille zurecht. Er wirkte viel strenger, wenn er diese anhatte, aber unbewusst machte das Damian auch noch an. „Scheiße“ Damians Äußerung wurde von einem scharfen Ausatmen begleitet.
„Und sie müssen sich nicht einmischen“ gab Sam zurück.
„Nicht..? Wie du ihn da aber an die Wand gepresst hast, sah nicht gerade angenehm für den jungen Mann aus.“
„...“ Samuel schnaubte. Selten hatte er ihn so aggressiv und unruhig erlebt. Luzifer konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „So etwas mein Lieber..“ Er zog eine Zigarette aus seiner Packung, verfrachtete diese direkt wieder in seinem Jackett, bevor er wieder zu Sam sah, „ist nur wenige Zentimeter von Körperverletzung entfernt.“ Sam kochte innerlich. Das leise Zischen von dem geöffneten Gasventil am Mister Russells Feuerzeug lies mich aus Sams Deckung zur Seite gehen. Als er ein paar mal das Zündrat andrehte, sprang endlich der winzige Funken über und die Flamme brannte. Luzifer steckte sich seine Zigarette an.
„Rauchen ist auf dem Schulgelände ebenso verboten“, äußerte sich Samuel verächtlich.
„Wie du siehst, stehe ich allerdings nicht auf dem Schulgelände“ gab Luzifer zurück und sah auf Samuel herab.
„...“ Schweigen, solange, bis Sam seinem Französischlehrer den Rücken zudrehte und auf das Gebäude zusteuerte.
„Mhm.. “ Luzifer kratzt sich am Hinterkopf und band sich seinen schwarzen Haare neu zusammen, danach warf er Damian nur noch einen stummen Blick zu, den dieser doch gar nicht mehr wahrnahm.

Er wollte rufen, doch er konnte es nicht.
Sein Mund war zugenäht. Er hatte Angst sich zu verletzen.. Er hatte Angst, ihn zu verletzen.
Ein stummer Schrei: „Sam....!“


6. Kapitel
Der bittere Klang einer Liebessymphonie


« Was er ist und was er war wird jemandem immer erst beim Abschied klar. »
(Autor unbekannt)


Es dauerte seine Zeit, bis er sich durchrang, den Mund aufzureißen und zu schreien. Und was ihm da entglitt, in seiner Hast, hallte über den gesamten Schulhof: „Sam! Sam, warte! Sam, bleib stehen! Bitte, Sam!“ Es waren nur die Worte, die über denn Platz schallten. Bewegen tat er sich nicht. Seine Füße schienen wie auf den Asphalt genagelt zu sein. Der Rotschopf jedoch ging weiter, die Worte von Damian prallten an ihm ab wie die Regentropfen an einer Glasscheibe. „Sam, verdammt, Sam warte!“, Damian setzte nun endlich einen Schritt nach vorne. Er wollte ihm nach rennen, ihn an den Schultern packen, durchschütteln, auf den Boden schmeißen, ihn festbinden, nur um sicher zu sein, er würde zuhören, er würde da bleiben.
Damians Blut schoss in seinen Kopf, und je mehr er sich die Kehle wund schrie, desto mehr begriff er, wie aussichtslos die Situation doch war. Sam würde sich nicht umdrehen, oder gar stehen bleiben. Trotz dieser bekannten Tatsache lies er nicht ab und rief unaufhörlich weiter. Die wenigen Schüler, die bereits angekommen waren, wirbelten mit weit geöffneten Augen herum und beobachteten dieses Schauspiel mit wachsendem Interesse.
Der Schulhof wurde zur Bühne, Damian und Sam in den Hauptrollen eines eigenen, ganz persönlichen Dramas.
Er musste sich wirklich beherrschen, nicht anzufangen zu weinen, auch wenn ihm natürlich danach zu Mute war und seine Augen wie Feuer brannten. Er fasste sich an seine trockene Kehle, lief purpurrot an und sah beschämt weg, aber das Gefühl, das zig Blicke auf ihm lagen, wurde er trotzdem nicht los.

Erst als der Klingeln ertönte wagte er es, von seinen Füßen aufzusehen und den Blick leicht zur Schule zu heben.
Während eine Hälfte der Zuschauer sich erst jetzt wieder regten, hatten einige das Spektakel von eben schon wieder vergessen, strömten durch die weitgeöffneten Türen in die Schule und verteilten sich den in den Fluren und Gängen. Das anfängliche bunte Knäuel, das sich an den Türen aufgestaut hatte und nur langsam zu einem geregelt scheinenden Menschenstrom geworden war, war nun fast völlig verebbt. Um ihn herum standen fast nur noch Oberstufenschüler, die allerdings weniger schaulustig waren und ihren privaten Gesprächen nachgingen, während sie eine Zigarette rauchten.

„Damian..?“ Er zuckte kurz zusammen, doch diese wohl bekannte, warme Stimme kam ihm bekannt vor. „Hey, Damian... was ist denn hier los..?“, an seiner Schulter wurde leicht gerüttelt „Hey..!“
Er sah nun völlig auf und wandte seinen Kopf leicht zur Seite. „R.. Rika..!“ Er blickte direkt in die braunen Augen eines 19 Jahre alten Mädchens mit schwarzgefärbten Haaren. Die lilafarbige Strähne war Rikas Markenzeichen und hing hier verschmitzt und verspielt ins Gesicht. Sie blickte ihn verwundert an, anscheinend hatte sie seine Rufe ebenso wie die anderen mitbekommen. Damian bracht aber immer noch kein Wort heraus. Zu groß war der Scham – und die Blamage.
Einige um ihn herum hatten ein breites Grinsen auf den Lippen und die jüngsten Schüler und Schülerinnen konnten sich ein Prusten nicht verkneifen. Rika realisierte erst langsam, was geschehen war und gerade passierte. „Heh, los, macht das ihr ins Gebäude kommt“ schnaubte sie und stützte die Arme in die Hüften. „Oder ich melde euch!“, scheuchte sie die Jüngeren mit mahnendem Tonfall weg. Die Oberstufenschüler blieben aber allerdings weniger beeindruckt, allerdings zogen sie trotzdem davon, denn es interessierte sie nicht wirklich, was genau da los war. Noch ein bis zwei Jahre und es wäre sowieso alles vorbei, der Fluch wäre dann endlich gebrochen.

Rika warf einen Blick auf die Uhr. „Hm..“ seufzte sie und sah zu Damian. Der Blonde stand immer noch da und gab keinen Ton von sich, was für ihn völlig untypisch war. „Du weißt“ begann Rika, ihre Stimme hatte den mahnenden Ton von eben behalten, aber sie klang längst nicht mehr so streng wie bei den Anderen. „Ich kann Schwänzer nicht leiden, aber.. ich möchte das du hier bleibst und wir uns unterhalten.“ Wie jeden Freitagmorgen hatte Rika auch heute wieder eine Freistunde.
„Und.. was soll ich meinen Eltern sagen, wenn die Schule anruft?“
Rika schüttelte den Kopf. „Das lass mal meine Sorge sein. Immerhin bin ich die Vertretung für unsern guten Andrew, ich regle das für dich. Und du weißt doch auch, dass deine Eltern arbeiten, oder? Du könntest den Anruf als theoretisch heute Mittag noch abfangen und sagen, dass du krank bist.. . Immerhin bist du 17 und keine acht Jahre alt mehr.“ Sie schob ihn sanft von der Stelle in die Richtung der dicken, grauen Mauern, die alle Schüler gerne als improvisierte Sitzbänke ausnutzten und legte ihre Sachen darauf ab. Damian stellte sich schweigend neben sie, aber er fragte sich langsam, weshalb er so still war: Wegen der Tatsache, das er soeben die größte Blamage seines Lebens gehabt hatte – oder wegen Sam... – oder gleich wegen beiden Dingen!?

„So..“ begann Rika und schüttelte ihre schwarzen Haare, um eine lästige Strähne aus dem Gesicht zu bekommen. „Zu aller erst: Was war da eben los?“ Damian sah erst nach kurzer Zeit an. „..du hast das nicht mitbekommen?“, fragte er und runzelte leicht seine Stirn. „Nein, sonst würde ich nicht fragen!“ Sie sah ihn besorgt an. „Andrew hat mir das Meiste erzählt..“ berichtete das Mädchen und sah zur Schule. „Von vorne musst du also nicht beginnen.“
„...mh..“ Er wandte den Kopf ab.
„Komm schon Damian.“ Rika drehte ihn an den Schultern zurück, so dass er keine andere Wahl hatte, als sie anzusehen. „Ich will dir doch nur helfen! Aber das kann ich nur, wenn du mir die Gelegenheit gibst und mir einen... ‚Lagebericht’ vorbringst.. Wenn Fehler erkennen soll und die Fakten nicht weiß, sind Ratschläge nichts mehr wert.“

Damian sah kurz auf den Boden, bevor er wieder etwas sagte: „Was da eben vorgefallen ist..“ Seine Augen begannen wieder zu brennen. „Sam.. er... er glaubt, ich hab ein Verhältnis mit Luzifer.. aber..“ Er schüttelte den Kopf. „Als er mich eben zur Rede stellen wollte, hat er mich an die Mauer gedrückt und meine Handgelenke festgehalten.“ Rika zog eine Augenbraue hoch, nickte allerdings. Das sah Samuel aber gar nicht ähnlich, war ihr einziger Gedanke. „Und.. genau in diesem Moment kam Luzi- also Herr Russel. Er hat.. Sam natürlich zu Recht gewiesen.. und irgendwie kam er auch rechtzeitig. Ich glaube zwar nicht, das er wirklich richtig handgreiflich geworden wäre aber.. es war nicht gerade angenehm.“, gestand er sich ein und lehnte sich ebenfalls gegen die Mauer. „Und was hat Mister Russell zu Sam gesagt?“, fragte sie und zog sich hoch auf den Stein, um sich zu setzen. „Das es strafbar sei.. wegen Belästigung und leichter Körperverletzung..“ Damian sah zu ihr.
„Nun ja.. Wenn ich ehrlich bin: Wo er Recht hat, hat er nun mal Recht.“ Rika stützte ihre beiden Ellenbogen auf den Knien ab und nahm ihren Kopf zwischen beide Hände. „Was du mir da beschrieben hast, sah wirklich fast nach einer Art Vergewaltigung aus.“

„..danach ist Sam wütend in die Schule gestürmt. Und ich konnte nichts anderes als ihm nachzuschreien.“ Er schloss die Augen.
„Er hasst mich. Ich hab es in seinen Augen gesehen.“, sagte er leise.
Einen Moment lang war es still.
„Du, Damian..“, Rikas fragender Blick streifte Damians. „Willst du das alles wirklich so enden lassen?“
„Rika, Sam hasst mich jetzt!“ wiederholte er sich nach einer Minute des Schweigens. „Ich habe doch keine andere Wahl als er so enden zu lassen!“ Rika schüttelte kurz den Kopf. „Weißt du.. ich glaube es war weniger die Tatsache, das du etwas mit Luzifer haben könntest, was ihn so wütend gemacht hatte, sondern ehr das Luzifer selbst sich eingemischt hatte.“ Sie sah zum Schulgebäude und blickte flüchtig auf ihre Uhr. „Du hast Sam stets als einen verständnisvollen, jungen Schüler mit schlauem Köpfchen beschrieben. Diese Reaktion passt nicht zu diesem Bild.. und das weißt du doch selbst auch“ Sie sprang von der Mauer und hing sich ihre Schultasche über die Schulter. „Er ist nicht wütend auf dich, naja, zumindest nicht total, sondern vielmehr auf Mister Russell und eventuell seine eigene Überreaktion.“
„Und.. jetzt?“ fragte Damian unschlüssig.
„Du solltest zu ihm gehen. Nicht in der Schule, sondern zu ihm, nachhause. Ihr solltet reden, unter vier Augen.“, antwortete Rika nur.

„Und wie soll ich mit ihm Schluss machen?“ fragte er direkt.
Sie schwieg eine Sekunde, gerechnet hatte sie mit so etwas, auch wenn sie wohl gehofft hatte, es verhindern zu können.
„Und es ist das, was du willst?“
„Ja.“ Er unterdrückte ein Aufschluchzen, allein der Gedanke tat seiner Seele weh. „Ich will ihm nicht noch mehr weh tun, ich will nicht, dass noch anderes passiert. Weder ihm noch..“ Er knirschte mit den Zähnen. „Weder ihm noch Luzifer.“
„Trotz allen Dingen, an denen dieser Lehrer Schuld ist, nimmst du trotzdem noch Rücksicht?“ hakte sie im Flüsterton nach.
„Du kannst es nicht verstehen, du wirst es niemals verstehen können. Das kann wohl keiner, aber es ist mir egal!“ Damian holte tief Luft: „ Ja, ich will Schluss machen Rika, aber wie?“

„Sei freundlich und hör dir auch an, was er dazu zu sagen hat. Dann sagst du ihm einfach, dass du es für besser hältst, dass ihr eure Beziehung beendet. So mache ich das jedenfalls. Es ist wirklich nicht einfach. Und du wirst es nach meiner Erfahrung nachher bereuen aber trauere ihm nicht nach, denn das macht es umso schwerer. Am besten ist es, ihr geht euch danach erst mal aus dem Weg.“, erklärte sie stehend.
Großartig. In der selben Stadt, der selben Schule, der gleichen Klasse und dem gleichen Sitzplatz war dieser Tipp wohl mehr als schwierig – und schmerzvoll.
„Na gut es ist ein bisschen schwer weil ihr euch in der Schule seht, aber das klappt auch.. irgendwie. Muss es ja und wenn du alles wirklich willst, darfst du keine Sekunde an etwas zweifeln.“, meinte sie und gab ihm zögernd einen Kuss auf die Wange.
„Ich bin sicher, dass du das schaffst, Brüderchen“ grinste sie vorsichtig und drückte ihn an sich.

Damian nickte. „Danke, Rika..“ Er rang sich ein Lächeln ab, als die Schulglocke das Ende der ersten Stunde verhieß.
Die Zeit schien zu rennen. Ein Wettlauf gegen die ungewisse Zukunft, die Damian bevorstand. Und die Sekunden, Minuten und Stunden, die verstrichen, drängten ihm sein Schicksal förmlich auf.

„Was wirst du jetzt machen..?“, fragte sie noch und guckte Damian nochmals an. Damian fing ein weiteres Mal Rikas Blick auf.
„Ich gehe heim..“ sagte er schließlich. „Und heute gegen Abend gehe ich zu ihm.“


Der Morgen verging schleppend, und auch wenn Damian die Schule eigentlich hasste wie die Pest, so viel ihm heute zum ersten Mal auf, wie langweilig es ohne sie werden konnte: immerhin hatte man dort etwas zu erledigen, anders als hier zuhause. Stattdessen lag er ausgestreckt auf seinem Bett und starrte die hölzerne Decke an. Wie spät war es noch mal? Ach ja, genau. Erst zehn Uhr und der Unterricht würde noch bis gut 16 Uhr dauern, denn zu allem Überfluss hatten sie noch Sport.
Er rang sich ein weiteres Lächeln ab.

Sport war das zweite Fach, dass er überalles hasste. Nicht nur, weil er das Ausdauertraining verachtete, sondern auch weil er ein großer Tollpatsch war.
Wenn nicht gerade eine Konstruktion aus Ringen abstürzte, der das Netz des Basketballkorps zerflatterte oder ein Fußball in den Balken des Hallendachs stecken blieb, dann bekam der Blonde gerade einen Tritt ins Schienbein, Schuss an den Kopf oder verknackste sich ein Gelenk, weil er gerade abermals auf die Schnauze gefallen war.
Also war ein positiver Effekt dieses Krankstellens der Vorteil, die Sportstunden sausen zu lassen.

Damian seufzte erneut schwer. Seine Gedanken kreisten immer noch um Sam und den Vorfall von diesem Morgen. Und um das Gespräch mit Rika.
Es gab.. drei Varianten, wie er angehen könnte, wobei zwei davon ihm solch großes Unbehagen bereiteten, dass er Bauchschmerzen bekam.
Eine davon wäre gewesen, mit Samuel per SMS Schluss zu machen, auch wenn ihn solche Methoden nicht gerade ansprachen und sie ihn eigentlich anwiderten, so wäre dies gewiss die Leichteste gewesen.
Noch einfacher wäre es natürlich, er würde das ganze Spektakel von eben ignorieren, es so hinnehmen, und einfach daran glauben, er hätte das Richtige getan und Sam wäre ebenfalls der Meinung es wäre aus und vorbei – wenn er das nicht jetzt schon war.
Damian entglitt ein weiteres Seufzen.
Die ihm aber richtig erscheinende Methode war, wie er zumindest dachte, wohl auch die Fairste, was ihm auch sein Gewissen einredete. Er sollte es ihm direkt sagen, wenn er sich auch bemühen sollte, nicht zu grob vor zu gehen und ihm auf eine gewisse Art und Weise auch weiterhin Respekt zu zeigen. Danach, wenn es vorbei war, sollte er so schnell wie möglich gehen.. und für eine lange, lange Zeit nichts mit Sam zu tun haben. So wie Rika es ihm geraten hatte.

Er gähnte. Alles schien an seinen Nerven zu nagen, machte ihn müde und leicht reizbar.

...

Es war 17 Uhr gewesen als er das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte. Jetzt war es genau 19:37 Uhr und Damian lugte durch den Spalt seiner Tür in den dunklen Flur. Er hatte mehr als zwei Stunde geschlafen und wusste so also nicht, ob seine Eltern da waren – und ob vielleicht ein Anruf von der Schule eingegangen war, den er nicht mitbekommen hatte. Auch wenn er sich manchmal das Gegenteil wünschte – heute wäre es praktischer, seine Eltern müssten Überstunden machen. Dann wäre ihm immerhin ein Problem erspart gewesen. Er hielt für kurze Zeit den Atem an und lauschte. Es war still. Es war nichts zu hören – außer dem gelegentlichen Gurgeln der Heizung.
Angezogen schlich er wie immer die Treppen hinunter und sah sich verstohlen um, immer noch blieb es still. Und dunkel..
Natürlich war es das. Es war ja auch fast Ende Herbst, was erwartete er? Strahlenden Sonnenschein? Damian schüttelte seinen Kopf und zog sich schnell seine dunklen Vans an.


Mit gemischten Gefühlen lief er kurze Zeit später den Weg hinunter.

Der Weg hinunter in Samuels Straße war kurz, es hatte keine 20 Minuten gedauert und Damian sah bereits das Haus. Ob seine Eltern zu Hause waren? Das Auto jedenfalls stand nicht – wie sonst – vor dem Eingang der Garage. Licht brannte allerdings, wenn auch nur in einigen Zimmern. Sam war sicherlich zu Hause.
Damian wusste nicht wie schwer sein Herz war, als er vor der Tür stand und den Zeigefinger hob, um auf die Klingel zu drücken. So viele Gefühle schossen ihm durch den Kopf. Entschlossen betätigte er das runde Knöpfchen.

Es dauerte seine Zeit bis sich etwas im Haus regte, doch dann hörte er wie eine Person die Treppen hinunter stieg und sah zugleich wie das Licht den Flur erhellte. Sekunden später öffnete der Rothaarige die Tür und blickte Damian ruhig an, auch wenn der Blick seitens Sam steif und unnatürlich wirkte. „...“ Damian schwieg, er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. „Wir.. wir waren verabredet..“ flüsterte er nur, so hatte er wenigstens einen Grund wieso er zu ihm kam. Samuel ging einen Schritt zurück. „Komm rein..“, sprach Sam tonlos und schloss die Tür, gleich nachdem er reingegangen war.
Damian legte seinen Schal ab und zog seine Vans schweigend aus.
„Ich muss.. mit dir reden..“ begann er schnell und hastig.
„Aber nicht hier..“ Sam wehrte ab und griff nach dem hölzernen Geländer. „Wir gehen hoch.“ Immer noch zeigte sein Gesicht wenig Regung und seine Stimme klang weiterhin tonlos.

Damian folgte ihm stumm, als er in sein ihm wohlbekanntes Zimmer eintrat. Da war der Schreibtisch, die gemütliche, große Couch auf die sie so manch schöne Erinnerungen hatten und sein großes Bett.
„Sam..“ Damian durchfuhr ein Schauer und er bekam eine Gänsehaut. „Es tut mir Leid, Sam.. was heute Morgen passiert war. Ich hätte hiermit schon viel früher beginnen sollen..“ Der Genannte stand dem Blonden gegenüber. Er realisierte Wort für Wort, Satz für Satz.
Ihm war vollkommen klar, dass es ab jetzt schnell, holprig voran ging.
Fast schon hektisch.
„Ich liebe dich nicht mehr..“ wisperte Damian mutlos und schnell. Er wollte es hinter sich bringen, das, was ihm so viele schlaflose Nächte bereitet hatte und wovor er die meiste Angst hatte sollte nun kurz und schmerzlos von Dannen gehen.. „Es ist vorbei. Ich will.. das wir getrennte Wege gehen.. sonst.. verletzte ich dich womöglich noch mehr.“ Da. Jetzt war es raus. Endgültig.
„..es ist wegen Luzifer, stimmts?“ fragte Sam und zum ersten Mal im Leben zitterte dessen Stimme. Hatte er seinen Freund wirklich an dieses Arschloch verloren?
Damian sah auf. „Ich weiß es nicht..“ sagte er ehrlich und fasste sich mit der rechten Hand an den Linken Oberarm. „Ich weiß nur.. das ich im Moment nichts mehr für dich empfinde.“
Der Rothaarige nickte langsam, denn etwas anderes blieb ihm wohl kaum übrig.
Die Minuten, die nach diesem kurzen Gespräch vergangen waren, kamen Damian vor, als wären es tausend Stunden gewesen. Die unerträgliche Spannung, die auf ihm lastete, lies seine Hand sich im Oberarm verkrampfen. „Ich.. gehe jetzt wohl besser..“ murmelte der Blondschopf und drehte sich langsam um. Er wollte so schnell wie möglich hier weg, das alles hinter sich lassen, weshalb er mit schnellen Schritten die Treppe hinunter stürmte und seine Schuhe wieder anzog.
Mit einem kleinen Abstand folgte Samuel ihm, doch bevor Damian die Tür öffnen wollte, packte sein Ex ihn noch einmal an der Schulter. „Darf ich dich noch um einen kleinen Gefallen bitten?“ fragte der Junge und sah Damian mit seinen eindringlichen, braunen Augen an. „Nur ein letzter Wunsch.“
Er zögerte bevor er nickte.
„Ich wünsch mir einen letzten Kuss..“ sagte der Rotschopf und näherte sich langsam Damians Lippen, nur um ihn nicht zu bedrängen. Doch Damian rang sich zunächst ein Lächeln ab, ehe seine eigenen Lippen sanft den Weg auf die des Anderen fanden, fast wie von selbst.

Und er wusste, es war ein Abschied.
Vielleicht für immer..
...

Sanft drückte der Jüngere den Älteren nach ein paar Sekunden von sich und löste so den Kuss, hielt ihn allerdings mit beiden Händen an dessen Schultern fest. „Bitte denke nicht von mir, ich hätte nur mit dir gespielt. Was ich gefühlt habe, war kein Scherz.. es war Realität. Denke daran..“ Sam nickte. Er lies seinen Ex an den Schultern los und zog langsam die Tür auf, trat hinaus in die Dunkelheit, die nun auch in gewisser Weise seinem Herz herrschte – und schloss sie wieder hinter sich, schnell und präzise, ohne noch einmal zurück zu sehen.
Damian atmete tief, sog die kalte Luft zwischen den Zähnen hindurch ein und sammelte seine Gedanken.

Hinter ihm ertönte die leise Stimme eines Flügels. Die Melodie klang wunderbar sanft, schön und doch so traurig das er sich seine Kapuze der Jacke überwarf und diese tief ins Gesicht zog. Der 17-Jährige wusste genau, wer dieses Instrument spielte und er wusste ebenfalls, das diese niedergedrückte Melodie der Spiegel von Sams Seele war.
Es war die Verzweiflung die Damian wieder Tränen in die Augen trieb und ihn loslaufen lies. Er hatte es wirklich getan, er hatte sich wirklich von Samuel Lakens getrennt.

Ob er es jemals bereuen würde, wusste er nicht.

Und auch wenn die Naivität, welche ihm bereits als Kind in die Wiege gelegt wurde, dem Jungen einredete ,alles könnte gut werden’, wusste er es besser als alle Anderen, dass dies niemals geschehen würde.

Es war vorbei, endgültig und für immer.


to be continued!

Impressum

Texte: Cover-Picture © www.rattenfloh.deviantart.com Story / Characters © Joana Baumgarten
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
» You can’t always get what you want .. .. but if you try sometimes well you might find… & you’ll get what you need! « Für Ricky und Marvin. ♥

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