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Erstes Kapitel


New Denver 2075
 
New Denver College, Colorado. Die junge Vivian Michelli, Marketingstudentin im 2. Semester lief mit eiligen Schritten durch die gläserne Halle des Haupthauses. Draußen legte sich der der allgemeine Tagessmog über die Stadt. Vivian war eine wunderschöne junge Frau die in ihrem Leben alles richtig gemacht hatte. Sie hatte einen attraktiven Staatsanwalt als Freund, ihre Noten waren hervorragend und ihr Vater, der der Polizeichef von New Denver war, war sehr stolz auf sie. Fast rannte sie einen Professor um, weil sie gedankenversunken auf ihrem digitalen Armband herum tippte.
 
„Hoppla, Miss Michelli, passen Sie auf, sonst stürzen Sie noch und brechen sich was“, riet der Professor ihr und sie sah auf.
„Verzeihen Sie Professor Connolly, bin bisschen im Stress. Wir sehen uns zur Vorlesung heute Nachmittag?“, fragte sie und lächelte ihn an.
„Sieht so aus, Sie müssen echt ein bisschen aufpassen, bald sind doch Prüfungen“, ermahnte Connolly sie und ging weiter.
„Ja, da müssen Sie mich nicht dran erinnern, das weiß ich gut genug. Chance anrufen“, bemerkte sie und das Headset an ihrem Ohr wählte die Nummer ihres Freundes.
„Morgen Süße, ich muss gleich in den Gerichtsaal, was gibt’s?“, fragte Chance freundlich.
„Wollt dir nur viel Glück wünschen, mein Schatz und ich freu mich auf heut Abend, ich kann nicht erwarten deine Eltern kennenzulernen“, sagte sie fröhlich und ging Richtung Treppe. Bei ihrem ersten Schritt auf die Stufe brach der Glasabsatz ihres Schuhs und sie stolperte im hohen Bogen die Glastreppen hinunter und blieb bewusstlos und stark blutend am Ende der ersten Treppe liegen.
„Viv, Schatz?“, fragte Chance, der immer noch am Telefon war.
„Hilfe“, hauchte Vivian, bevor sie bewusstlos wurde.
 
Mit lautem Geheul jagte der Notfalltransporter durch die Straßen von New Denver. Verzweifelt versuchte der Sanitäter, der neben Vivian stand die junge Frau am Leben zu erhalten. Mehrere Verletzungen führten dazu, dass sie sehr viel Blut verlor. Der Sanitäter hängte eine Blutkonserve nach der anderen an.
„Wie lang noch bis zum County General?“, rief er dem Fahrer entgegen.
„2 Minuten maximal, wie sieht sie aus?“, fragte der Fahrer.
„Es steht auf der Kippe, sie verliert so viel Blut, keine Ahnung“, erwiderte der Sanitäter, der noch ein Anfänger war und an diesem Tag seinen schwersten Fall vor sich hatte. In den zwei Minuten, die er noch zu überbrücken hatte, musste er noch eine letzte Konserve anlegen und diese Entscheidung sollte er an diesem Tag noch bereuen.
 
Zwei Tage lang kämpften die Ärzte des County Generals um das Leben der jungen Studentin und dank modernster Technik überlebte sie es. Ihr glücklicher Lebensstil war gerettet worden, dachte sie zumindest. Denn als sie zwei Wochen später erneut untersucht wurde, stellten die Ärzte fest, dass sie sich durch eine verseuchte Blutkonserve mit dem HIV-Virus infiziert hatte.
„Verdammt das wird Ihnen noch leidtun, ich verklage Sie und all ihre inkompetenten Ärzte“, fluchte Polizeichef Hawks, als er die Diagnose seiner noch im Koma liegenden Tochter erfuhr, und fuhr sich durch sein lichterwerdendes Haar.
„Heutzutage ist das HIV-Virus nicht mal ansatzweise mehr tödlich, sie kann in ihr altes Leben zurückkehren, wenn sie wiedererwacht“, versprach der Arzt ruhig.
„In ihr altes Leben zurückkehren, haben Sie das wirklich gesagt? Schauen Sie sich ihr GIS an, die Schwester hat gerade das Zeichen eingefügt, sie wird jetzt ihr Leben lang mit diesem Zeichen rumrennen“, entgegnete er und deutete auf den Arm seiner verletzten Tochter. Das GIS war ein Identifizierungskennzeichen in Form eines Strichcodes, dass jeder Mensch in dieser Zeit auf den Oberarm gelasert bekam um so andere Ausweise unnötig machte. Ein kleiner roter Blutstropfen prangte nun auf Vivians GIS (Das Generale Identifikationssystem, kurz GIS wurde 2030 eingeführt, als eine ganze Anzahl von unidentifizierten Leichen in New Denver auftauchten), was sie als Infiziert für ihr ganzes Leben markieren sollte.
„Das ist leider notwendig, Sir, liebend gern würde ich die Tochter des Polizeichefs davon verschonen, aber das gehört zu den allgemeinen Hygienevorschriften, tut mir wirklich leid“, erwiderte der Arzt, der vollkommen aufgelöst vom resoluten Ton des Polizeichefs war.
„Können Sie uns wenigstens sagen, wann unsere Kleine wieder aufwachen wird?“, fragte Viviens Mutter Lilah Michelli den Mediziner.
„Wir haben sie in ein künstliches Koma versetzt, dass die Schwellung ihres Gehirns vermindert werden kann, die Schwellung ist heute Morgen vollständig abgeklungen und wir könnten Sie wecken, wenn Sie wollen“, erklärte der Arzt und die Hawks atmeten auf.
 
Langsam und behutsam brachten die besorgten Eltern der 19-jährigen Vivian bei, dass sie nun für ihr Leben gezeichnet war. Und auch ihr Leben änderte sich daraufhin. Es wurde publik, dass die Tochter des Polizeichefs das Virus in sich trug und zwei Monate später musste Dustin Hawks seinen Hut nehmen und wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Von dem Tag an mussten die Hawks, die eigentlich Luxus gewöhnt waren in einem einfachen Polizeiwohnheim wohnen. Die Beziehung zu ihrem Freund Chance hielt Vivians neuen Zustand nicht stand und das Paar trennte sich sechs Monate nach ihrem Unfall. Vivian studierte weiter, aber sie war ein gebranntes Kind. Ihre Freundinnen wendeten sich von ihr ab und aus der lebenslustigen Studentin mit den kurzen Röckchen und den hohen Schuhen wurde eine missmutige junge Frau mit Sozialphobien.
„Viv, Engel, willst du heute Abend nicht ausgehen? Du bist schon das dritte Wochenende in Folge nur in deinem Zimmer“, bemerkte Lilah, als sie ihrer Tochter zusah, wie sie an ihrem Display ein Computerspiel spielte.
„Wo soll ich den ausgehen, sag mir das, wir Blutsschwestern sind doch in keinem Club gern gesehen“, erwiderte Vivian ohne aufzusehen.
„Du musst nicht alles glauben was im Internet steht und mir gefällt es gar nicht, wie du dich von diesen Frauen runterziehen lässt“, entgegnete Lilah nicht zufrieden.
„Mum, das sind Frauen wie ich, andere Menschen wollen ja nichts mehr mit mir zu tun haben“, entschied Vivian und stoppte ihr Computerspiel.
„Schatz, wir müssen über was wichtiges reden“, bat ihre Mutter ernst und setzte sich zu ihr.
„Man, als du das letzte Mal so ein Gesicht gemacht hast, hast du mir erklärt, dass ich jetzt mit AIDS rumrenne, was hab ich nun, Malaria oder die Beulenpest?“, fragte sie sarkastisch.
„Nein, nichts dergleichen. Du weißt ja, dein Vater ist jetzt im Ruhestand und das Geld ist nicht mehr so flüssig bei uns. Wir können dein Studium nicht länger bezahlen, aber keine Angst, es gibt außerhalb der Stadt eine Einrichtung die sich Level 6 nennt, die wird für deine Pflege, deine Ausbildung und deine wohnliche Situation ab heute aufkommen“, versprach ihre Mutter mit freundlicher Stimme.
„Ihr schmeißt mich raus um mich nach Level 666, den Vorhof der Hölle zu schicken?“, fragte sie entsetzt.
„Wo hast du jetzt schon wieder den Begriff her, Kind, du solltest dich wirklich nicht so lang im Internet rumtreiben, das führt nur zu fürchterlichen Gedanken. Zieh dich an, wir zeigen dir die Einrichtung, die ist wundervoll, glaub mir“, versprach ihre Mutter und ging wieder aus dem Zimmer.
„Marlis, hast du das gehört, die schicken mich ins6 , als hätt ich nicht schon Freunde genug verloren, keiner wird mich im Höllenpfuhl besuchen kommen“, entgegnete Vivian zu ihrer Internetbekanntschaft, die sie immer noch an der Webcam hatte.
„Hey, ich wohn in der 6, es ist wirklich nett hier und die Ärzte sind scharf, glaub mir“, versprach Marlis.
„Du wohnst im 6? Jetzt chatten wir schon über drei Wochen jeden Tag und du hast nie was erzählt“, erkannte Vivian und beendete ihr Spiel um sie wieder auf dem Bildschirm zu sehen.
„Wie du schon sagtest, es kommt dich hier keiner besuchen, ich dachte du als Tochter des Polizeichefs würdest auf mich herabsehen und das tust du anscheinend auch“, erwiderte Marlis.
„Nein, Marlis, tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen, du bist meine Blutsschwester, das weißt du doch und wir halten zusammen, egal was kommt“, entschuldigte sich Vivian.
„Dir wird es hier gefallen, die Anlage ist riesig, versuch mich zu finden, Zimmer 485“, bemerkte Marlis und so beendeten die Freundinnen ihr Gespräch an diesem Tag.

Zweites Kapitel

 
Die bunten Farben des Level 6 brannte in ihren Augen. Sie hatte sich auf einiges vorbereitet, aber nicht auf diese Farbenpracht. Ihre Mutter lächelte sie an und sie lächelte verkrampft zurück während sie den Gang zum Empfangsbüro entlanggingen.
„Schön hier, nicht?“, fragte ihre Mutter.
„Als wäre ein Clown explodiert“, kommentierte Vivian die Szenerie etwas angeekelt.
„Farben sind immer gut, Kind, denk dran, hier wohnen Patienten den es viel schlimmer geht als dir und ein paar hübsche Farben muntern sie sicher auf. Okay, da hinten ist der Empfang, die warten sicher schon auf uns“, ermahnte Lilah sie und brachte sie zu einer Tür auf der auf einer silbernen Plate “Empfang“ stand.
„Die Michellis, schön dass Sie da sind, willkommen im Level 6“, begrüßte ein junger Arzt die Ankommenden. Er war nicht viel älter als Vivian, vermutlich grade mit dem Studium fertig, und hatte noch diesen “Vertrauen Sie mir, ich bin Arzt“-Blick.
„Klingt so, als hätte ich bei einem Computerspiel ein neues Level erreicht“, bemerkte Vivian grummelig.
„Verzeihen Sie meine Tochter, sie kann sich mit der neuen Situation noch nicht so ganz anfreunden. Sie sind sicher Dr. Hawks“, entschuldigte Lilah die miese Laune ihrer Tochter.
„Sicher, das verstehe ich, Sie werden sich bald hier wohlfühlen, Ms Michelli, versprochen“, versprach der junge Arzt und kam nah zu ihr.
„Ich fühl mich nicht wohl, wenn sie so nah an mich rankommen“, erwiderte sie kritisch.
„Keine Sorge, ich bin eine genetische Anomalie, ich bin immun gegen den AIDS-Virus, sie können mich nicht anstecken“, versprach er.
„Das ist ja nett, Doc, aber ich meine eher, dass sie mir körperlich so auf die Pelle rücken, das bin ich nicht gewöhnt“, entschied sie.
„Dann sind Sie wohl noch in keine Polizeikontrolle gekommen, was? Ich muss Ihr GIS scannen für die Eingangstür, denn ab heute werden sie genau kontrolliert“, erklärte er und krempelte ihren Ärmel hoch um ihr GIS zu scannen.
„Klasse, was hab ich angestellt, dass ich jetzt im Knast lande?“, fragte sie mürrisch.
„Sie haben gar nichts angestellt, wir haben unsere Bewohner nur gerne im Überblick, wann sie kommen und gehen, und so“, erkannte der Arzt freundlich.
„Also wie Freigang im Knast. Ich mag den Ort hier immer weniger“, erkannte er.
„Sehen Sie alles nicht so schwarz, ich zeige Ihnen erst mal Ihr Zimmer und dann sehen wir weiter“, bat der Mediziner freundlich und führte die beiden Frauen zu Vivians Zimmer. Dieses war farbenfroh und freundlich so wie der Rest der Klinik, was ihr auch wieder missfiel, weil sie eher auf kalte Farben stand.
„Und der Clown der hier gewohnt hat ist wann abgekratzt?“, fragte sie kritisch.
„Wir haben bei Ihnen wohl eine ganz schwierige Bewohnerin, wir können die Farben auch ändern lassen, wenn Sie das wollen, aber das würde ein bisschen dauern“, bemerkte Dr. Hawks weiter freundlich.
„Ja, die sind alle nett hier, die werden dir alles holen, was du brauchst. Süße, es wird dir hier gut gehen, versprochen“, ermunterte sie Lilah.
„Wir feiern jeden Monat Geburtstag für alle Geburtstagskinder zusammen, wie ich aus Ihren Daten gelesen habe, habe Sie nächste Woche Geburtstag“, versuchte Dr. Hawks sie von den Vorteilen der Klinik zu überzeugen.
„Klasse, ich wollte eigentlich meinen Geburtstag mit meinem Freund auf Hawaii verbringen, jetzt bin ich wieder Single und bin hier, Yippie“, war sie nicht zu überzeugen.
„Ich bringe deine Sachen am Wochenende zu dir, solang musst du mit dem leben was hier ist. Denk daran, das tun wir nicht, um dich zu ärgern, es soll dir hier besser gehen als zu Hause“, erklärte Lilah und sie setzte sich aufs Bett.
„Na ja, kommt auf nen Versuch an. Aber wenn mich einer mit fröhlichen Liedern nervt, gibt’s Tote“, handelte sie.
„Keine Songs, versprochen, außer Sie wollen singen, natürlich. Okay, zu dem Tagesplan von heute, erst mal leben Sie sich hier ein und heute Abend werden Sie untersucht, damit Sie die beste Behandlung bekommen, die Sie verlangen können. Da Sie von 15:00-17:00 Uhr Vorlesungen haben, haben Sie die Untersuchung erst gegen acht Uhr, wir wollen Sie ja nicht stressen“, erklärte der Doktor.
„Super, jetzt kennen Sie auch noch meinen Tagesablauf, vermutlich ist das Einzige was hier noch geheim ist mein Menstruationszyklus“, war sie gar nicht begeistert darüber, was sie alles über sie wussten.
„Ehrlich gesagt ist das auch nicht geheim, aber ich bin Arzt, das ist schon okay“, versprach er und lächelte sie wieder an.
„Lasst mich bitte allein“, forderte sie ruhig.
„Das ist viel was du zu verarbeiten hast, das wird eine schwierige Zeit für dich“, versuchte Lilah ihre Tochter zu beruhigen.
„Raus hier“, brüllte sie plötzlich und der Arzt und Lilah verließen schnell das Zimmer.
„Wir haben einen sehr guten Therapeuten, Ihre Tochter wird sich bald an die Situation gewöhnt haben“, versprach Dr. Hawks, als er vor der Tür zusah, wie Lilah erschöpft auf der Bank vor der Tür platznahm.
„Das muss echt ein verdammt guter Therapeut sein, ich hab sie jetzt sechs Monate versucht umzustimmen, aber ihre Wutausbrüche werden immer schlimmer“, erkannte Lilah erschöpft, die in den letzten Monaten sehr gealtert zu sein schien.
„Darüber müssen Sie sich jetzt keine Sorgen mehr machen, dafür sind wir jetzt da“, versprach der Arzt und legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter.
„Lassen Sie sich einfach nicht alles von ihr gefallen, Sie kann schon ein Biest sein, wenn sie will“, bat Lilah.
„Ich kann da gut dagegenhalten, keine Sorge. Also, lassen Sie uns Ihre Sachen holen und dann führ ich Sie durch unser Haus, dass Sie sehen können, wo Ihre Tochter jetzt leben wird“, plante der Doktor und ging mit ihr zu ihrem Wagen.
 
Eine Stunde nachdem sie in der Klinik angekommen war, musste Vivian zu ihrer Vorlesung. Obwohl sie seit dem Unfall nicht mehr so gern in die Uni ging wie früher, war sie froh aus der Klinik für ein paar Stunden zu entfliehen. Im Gang traf sie Dr. Connolly wieder, zu dessen Vorlesung sie zwar regelmäßig ging, ihn aber seit dem Unfall nicht persönlich gesprochen hatte.
„Ms Michelli, hallo, hab Sie ich echt lang nicht mehr gesehen. Sie haben sich verändert“, erkannte der Professor, als er die sonst topgestylte Studentin in Jeans und einem Collegepullover antraf.
„Ah, wenn Sie meinen, ich muss zur Vorlesung, bin spät dran“, entgegnete sie missmutig.
„Sie haben sich wirklich verändert, Ihre Noten sind auch schlechter geworden in diesem Semester“, erkannte er.
„Man, Sie sind echt die einzige Person in der Uni die nicht weiß, was mit mir los ist, oder?“, fragte sie, als sie realisierte, dass er nach einem Grund für ihren Missmut suchte.
„Ach, Sie meinen ihr Stigma, willkommen im Club, Blutsschwester“, entgegnete er und krempelte seinen Ärmel hoch. Das Zeichen für die AIDS-Erkrankung prangte auch über seinem GIS.
„Sie auch, Professor?“, fragte sie total überrascht.
„Sechs Jahre diesen Dezember, nur hab ich es mir selbst zuzuschreiben, ich hab mich auf die unständige Weise angesteckt. Die Blicke werden weniger werden und die Übelkeit wegen den Medikamenten wird sich legen“, erläuterte er verschmitzt.
„Woher wissen Sie, dass mir übel wird?“, fragte sie.
„Erstens, weil es mir genauso ging in den ersten sechs Monaten und zweitens, sie haben da einen Fleck auf dem Pullover vom Übergeben“, erkannte er und sie zog ihren Pullover etwas von sich weg um den Fleck zu suchen.
„Klasse, jetzt renn ich auch noch rum wie ein Penner, jetzt muss ich mir noch meine Jacke aus dem Spint holen“, erwiderte sie und ging ein paar Schritte weiter.
„Ms Michelli!“
„Ja?“
„Meine Tür ist immer offen für Sie, ich hoffe, Sie wissen das“, entgegnete ihr Professor aber sie ging einfach weiter, ohne ihm zu antworten.
 
Nachdem sie ihre silberne Seidenjacke aus dem Spint geholt hatte ging sie etwas verspätet in die Vorlesung.
Irgendwie konnte sie der Vorlesung aber nicht folgen, so viele Sachen gingen ihr im Kopf herum. Genauso gedankenversunken war sie später auch bei der Untersuchung.
„Ihre Mutter macht sich wirklich Sorgen um Sie“, begann Dr. Hawks ein Gespräch, als sie auf dem Untersuchungstisch lag um gescannt zu werden.
„Sie wollen jetzt nicht wirklich eine psychologische Unterhaltung mit mir führen während ich hier nackt vor Ihnen liege, oder?“, fragte sie cool, die ihre Nacktheit nicht mehr störte da sie regelmäßig nackt gescannt wurde um ihr Krankheitsbild zu verfolgen.
„Okay, anderes Thema, wie war Ihre Vorlesung?“, fragte Dr. Hawks, während er sanft mit dem Scanner über ihren Körper fuhr. Dabei berührte er aus Versehen immer wieder ihre Haut. Seine Hände waren so warm und weich, so weich wie Chances Hände, wenn sie ihren Körper berührt hatten. Plötzlich kamen all die Gefühle heraus, die sie in den Monaten zuvor unterdrückt hatte. Erschreckt setzte Dr. Hawks den Scanner ab, als sie begann zu weinen.
„Hab ich Ihnen irgendwie wehgetan?“, fragte er überrascht. Sie konnte ihm nicht antworten, ihr Schluchzen wurde immer lauter. Behutsam deckte der Arzt ihren Körper mit einer glänzenden blauen Decke zu und trug sie sanft auf ein Bett ins Eck um es ihr gemütlicher zu machen. Dann ging er aus dem Raum und ließ sie alleine trauern.
Als er zurückkam war sie vor lauter Erschöpfung eingeschlafen. Er zog ihr eine weite Hose und ein T-Shirt an und trug sie in ihr Zimmer. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war sie überrascht, dass sie in ihrem Bett lag. Sie schlüpfte in ihre Stiefel und wickelte sich in eine Strickjacke und ging zum Untersuchungsraum zurück. Da der Arzt niemanden zu dem Zeitpunkt untersuchte, klopfte sie zaghaft.
„Ja?“, hörte sie von drinnen und ging hinein.
„Ms Michelli, Morgen, ausgeschlafen?“, fragte Dr. Hawks als sie unsicher zu ihm reinkam.
„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich kleinlaut.
„Hey, kann passieren, Sie sind nicht die Einzige, die dabei weint, ich bin froh, dass Sie sich geöffnet haben, wir können den Scan heute Abend weiterführen, kein Problem“, erwiderte Dr. Hawks und stand auf, um zu ihr zu kommen.
„Es ist nur, es hat mich keiner mehr so sehr berührt seit ich den Virus habe, es war ungewohnt“, erklärte sie ihren Gefühlsausbruch.
„Das ist echt traurig, hat Ihnen keiner gesagt, dass man durch Berührung keinen anstecken kann?“, fragte er besorgt und sie sah ihn kritisch an.
„Klar, dass wissen Sie, aber keiner will das Risiko eingehen, verstehe. Die meisten meiner Kollegen sind genauso, da gibt es den Virus schon 100 Jahre und man ist immer noch so verdammt unsicher, wie man mit den Patienten umgehen muss“, erkannte er mit großen Worten.
„Sie können ja auch große Töne spucken, wenn Sie nicht immun wären, würden Sie auch mindestens zwei Paar Handschuhe tragen, wenn Sie mich untersuchen“, kritisierte Vivian ihren Arzt.
„Sie können ziemlich austeilen, für die Tochter des Polizeichefs, ich hätte sie eher eingeschüchtert eingeschätzt, als ich gehört hab, dass sie hierherkommen“, erklärte Dr. Hawks und sie setzte sich hin, weil ihr schwindelig wurde.
„Man, diese Medikamente bringen mich noch um. Mein Vater ist ein gerechter Vater, ich werde geliebt und geachtet, dachte ich zumindest bist gestern. Krieg ich nen Glas Wasser, oder so?“, fragte sie und rieb sich die Augen.
„Klar, hier, wird Ihnen jeden Morgen schlecht?“, fragte er interessiert und reichte ihr ein Glas Wasser aus einem Wasserspender.
„Ja, wenn ich nicht wissen würde, dass ich keinen Sex hatte in den letzten Monaten würde ich glatt sagen, ich bin schwanger. Aber nein, ich hab ja etwas weniger schönes in meinem Körper was mich umbringt“, erwiderte sie frustriert und nahm einen großen Schluck.
„Wenn ich meinen Scan beendet habe, werden wir Ihr Blut noch mal testen, vielleicht bekommen Sie ja die falschen Medikamente, denn übel sollte ihnen davon nicht werden“, bemerkte der Arzt professionell.
„Ja, sagen Sie das meinem Körper. Gestern bin ich mit ‘nem gottverdammten Kotzfleck auf dem Pullover in die Uni gegangen, noch vor einem halben Jahr mussten meine Schuhe zu meiner Haarspange passen, jetzt ist mir das nicht mal aufgefallen“, klagte sie ihrem Arzt ihr Leid.
„Ihr Körper muss ich erst mal auf die Medikamente einstellen, dann werden Sie Ihr Leben ganz normal weiterleben können“, bemerkte er freundlich.
„Das hab ich schon so oft gehört in letzter Zeit, aber nur von Leuten die das Virus nicht haben, denn man kann sein altes Leben nicht mehr aufnehmen, das alte Leben ist vorbei, man versucht sich unter den kritischen Blicken der anderen ein neues Leben aufzubauen“, erkannte sie harsch zurück.
„Das wird sich auch mal ändern, das verspreche ich Ihnen“, erklärte der Arzt und in dem Moment klopfte es bei ihm.
„Morgen Doc, der Vampir vom Dienst ist wieder da“, bemerkte ein junger Mann in blauem Kittel, der an seiner Tür stand.
„Stimmt, ist ja schon wieder zwei Monate her, gehen wir’s an“, erwiderte Dr. Hawks zu dem Pfleger und legte sich auf den Untersuchungstisch.
„Was wird das jetzt?“, fragte sie erstaunt, als der junge Mediziner seinen Ärmel hochkrempelte.
„Blutspende, ich muss jede acht Wochen in den Diensten der Wissenschaft Blut lassen. Versuch‘ diesmal ne Vene zu treffen, Virge‘“, bat er und etwas ruckartig jagte der Pfleger dem Arzt die Kanüle in den Arm, an dem er den Blutbeutel anhängte.
„Autsch, das hat ich verdient, du bist ein guter Pfleger, Virgil, sorry. Ms Michelli, das ist ­Pfleger Virgil, er wird Sie mit allem versorgen was Sie so brauchen“, erklärte Dr. Hawks während ihm das Blut abgezapft wurde. Es schien ganz normal für ihn zu sein, Blut zu spenden. Für Vivian war das wieder ein heikles Thema, denn es war nicht mehr so üblich, dass Menschenblut verwendet wurde und ausgerechnet so eine Blutspende hatte ihr Leben so auf den Kopf gestellt.
„Man, aus dem Grund hasse ich das, wegen Ihresgleichen kann das passieren, was mir passiert ist“, murrte sie und ging aus dem Raum. Als Virgil, Dr. Hawks verwundert ansah, hörten sie einen dumpfen Schlag.
„Geh ihr nach, ich glaub, sie ist umgekippt“, bat er Virgil und der nickte.

Drittes Kapitel

 
Zwanzig Minuten später lag Vivian mit einer Kochsalzlösung im Arm auf ihrem Bett und Dr. Hawks saß besorgt neben ihr.
„Eigentlich sollte ich kein Mitleid mit Ihnen haben, wenn Sie einfach so ihre Medikamente eigenhändig absetzen“, erwiderte er tonlos, als er etwas bleich von der Blutspende ihre Hand hielt.
„Ich wollte mich in der Uni nicht mehr übergeben müssen, das war so peinlich“, erklärte sie.
„Sie wissen, dass diese Medikamente Sie am Leben halten, oder?“, fragte er forsch.
„Was ist das schon für ein Leben, ein Singleleben in dem ich außer kotzen und Einsamkeit nichts habe“, murmelte sie erschöpft.
„Wollten Sie sich umbringen?“, fragte er entsetzt.
„Nein, wollte ich nicht und wehe das kommt in eine Ihrer Berichte“, drohte sie ihm.
„Wird nirgendwo auftauchen, versprochen. Man, jetzt ist mir schwindelig, bin etwas zu schnell aufgestanden um Ihnen zu helfen“, erwiderte er etwas benommen.
„Sie sollten kein Blut mehr spenden, das ist altmodisch und ungesund“, riet sie ihm.
„Ich spende kein Blut für eine Bluttransfusion, ich bin das Versuchskaninchen hier. Sie versuchen immer noch die richtigen Antikörper gegen den Virus aus meinem Blut zu extrahieren um ein Heilmittel zu entwickeln, das versuchen sie jetzt schon drei Jahre ohne Erfolg“, erklärte er.
„Ah, dann sind Sie der erste Arzt der nachvollziehen kann, wie man sich als Patient fühlt“, erkannte sie.
„Ja, das tu ich. Ihre Mutter ist hier“, erklärte er, als er die Mitteilung auf seinem Headset hörte, was er in seinem Ohr hatte.
„Sie haben sie doch nicht benachrichtigt, oder?“, fragte sie etwas genervt.
„Nein, hat er nicht, warum liegst du denn mit einem Schlauch im Arm im Bett, Kleines?“, fragte Lilah die zur Tür reinkam. Ruckartig ließ Dr. Hawks die Hand seiner Patientin wieder los.
„Nicht, dass ich mich nicht freue dich zu sehen, was machst du hier?“, fragte sie und sah ihre Mutter an.
„Ich wollte sehen wie du deine erste Nacht überstanden hast, wie ich sehe mit einigen Schwierigkeiten. Was war los?“, fragte ihre Mutter und kam auf sie zu.
„Ich bin krank, Mom, mir ist nur etwas schwindelig geworden, ich hab zu wenig getrunken heute“, das ist alles, kein Grund zur Sorge“, erklärte ihre Mutter.
„Ist wirklich alles in Ordnung mit meiner Tochter?“, fragte Lilah den Arzt und Vivian hoffte inständig, dass der Mediziner schwieg.
„Ja, Mrs. Michelli, sie war dehydriert, weil sie sich so viel übergeben musste, aber das kriegen wir wieder hin. Ich lass Sie dann wieder allein, jetzt hat sie ja jemanden, der aufpasst, dass sie liegenbleibt“, schmunzelte er und stand auf. Dabei musste er sich aber auf Lilahs Schulter stützen.
„Alles klar bei Ihnen, Junge?“, fragte Lilah mit fürsorglicher Stimme.
„Ja, muss nur mal wieder was essen, apropos essen, in einer Stunde kriegen Sie Mittagessen, das essen sie diesmal, haben Sie ja gestern ausgelassen“, erwiderte er und ging wieder.
„Du isst und trinkst nichts, wird das ein Hungerstreik?“, fragte Lilah kritisch und setzte sich auf den Platz, auf dem der Arzt vorher gesessen hatte.
„Mir ist nur immer kotzübel und da vergeht mir der Appetit, aber ich esse, versprochen. Kannst ja bleiben und mich kontrollieren, wenn du willst“, erwiderte sie nicht so ernst gemeint.
„Würde ich gern, aber ich muss in den County-Club, meine Mitgliedschaft kündigen, ab heute sind wir offiziell nicht mehr in der High-Society, meine Kleine“, entgegnete sie.
„Ich bin schon ne Weile nicht mehr bei dem Verein, das schockiert mich jetzt nicht besonders. Ist echt beschissen wie sie euch behandeln, dass sie mich so behandeln kann ich verstehen, aber dass sie euch verstoßen ist lächerlich“, erklärte sie und wollte die Hand ihrer Mutter ergreifen, doch die zog ihre Hand weg.
„Mum, du darfst mich anfassen verdammt, ich steck dich nicht an“, war sie verärgert, dass nicht mal ihre Mutter sie anfassen wollte.
„Ich hab mich heut Morgen geschnitten, Kleines, ich will kein Risiko eingehen“, redete ihre Mutter sich raus.
„Klasse, ganz klasse, euer Verhalten hat dafür gesorgt, dass mir gestern einer abgegangen ist, als der Arzt mich berührt hat“, murrte sie und ließ sich im Bett zurückplumpsen.
„Deine Ausdrucksweise ist echt gewöhnungsbedürftig in letzter Zeit“, realisierte ihre Mutter.
„Tut mir leid, ich bin zu wenig unter Menschen gewesen, ich versuch mich zu benehmen. Ich wollte mich auch noch mal entschuldigen, dass ich gestern so unwirsch war, es ist schon schön hier“, entschuldigte sich Vivian bei ihrer Mutter.
„Das ist schön zu hören, dein Dad lässt dich schön grüßen, er ist auf dem Revier, ein Kollege wollte einen Rat von ihm, er langweilt sich wirklich zu Hause, der arme Kerl, aber wir kommen schon klar. Übrigens, dass du den Herrn Doktor attraktiv findest ist ein gutes Zeichen, denn er ist ein hübscher junger Mann“, erkannte ihre Mutter und ergriff die Hände ihrer Tochter doch noch.
Ohne dass die Frauen das mitbekamen wurden sie beobachtet.
„Was hast du mit ihr gemacht, Orli?“, fragte Virgil, Dr. Hawks, der zusammen mit ihm im Schwesternzimmer die Frauen über die Überwachungskamera beobachtete.
„Ich hab sie nur angefasst, aber nicht an Stellen wo ich sie nicht anfassen darf. Ich denke, sie ist nicht so eine von denen, die ich beglücken kann“, erwiderte Orli nachdenklich.
„Du magst die Kleine, oder?“, fragte Virgil neckend.
„Geht dich kaum was an, Kumpel!“
„Du willst sie nicht knallen, du stehst ganz eindeutig auf sie“, frotzelte Virgil weiter.
„Ach, halt die Klappe“, bemerkte er unwirsch.
„Du hast das halbe Haus gevögelt ohne irgendwelche Gefühle, was ist anders an ihr?“, fragte Virgil keck.
„Weißt du was? Mir ist immer noch schwindelig, ich leg mich noch etwas ab“, entschied Orli trotzig und ging aus dem Schwesternzimmer.
 
Als ihre Mutter weggegangen war döste Vivian noch mal ein. Sie wachte wieder auf, als ihr jemand sanft die Haare aus dem Gesicht strich. Erschreckt rutschte sie im Bett Richtung Wand.
„Verzeihen Sie, ich wollt nur sehen, ob es Ihnen gut geht und Ihnen Ihr Essen bringen“, entschuldigte sich Orli, der sie geweckt hatte.
„Ja, ich muss ja nachher auch zur Uni, danke fürs Wecken. Man, bin ich kaputt“, entgegnete sie verschlafen, als sie sah, wer sie da geweckt hatte.
„Ich rate Ihnen als Ihr Arzt heute das Bett zu hüten, vor allem nach dem hier“, entschied er und spritzte ihr ohne Ankündigung etwas.
„Au, wie wär’s mit ner Ankündigung?“, fragte sie erbost.
„Sie wollen die Tabletten nicht schlucken, dann muss ich nachhelfen, kurz und schmerzlos. Keine Sorge, davon werden Sie sich nicht übergeben. Guten Appetit“, bemerkte er nur und ging wieder.
„Was für ‘n Freak“, murmelte sie nur und machte sich über das Essen her, was er ihr hingestellt hatte.
„Man, du hast mir den Scheiß eingeredet, jetzt glaub ich meine Verliebtheit auch noch selber“, entgegnete Orli, als er wieder ins Schwesternzimmer kam.
„Klar, gib mir die Schuld für deine Blödheit, keine Sorge, sie hält dich für nen Freak“, entgegnete Virgil, der gerade Chips mampfte.
„Ich halt mich auch grad für nen Freak, das war jetzt eindeutig ne Berührung die nicht erwünscht war. Gib her“, murrte er und riss ihm die Tüte aus der Hand.
„Hey, lass deine Wut nicht an meiner Essensration aus, deine Ration liegt im Kühlschrank“, bat Virgil und entriss ihm die Tüte wieder. Da im Jahr 2035 jeder einzelne amerikanische Bürger mindestens 10kg Übergewicht sein Eigen nennen durfte wurden die Lebensmittel so rationiert, dass jeder Bürger nur eine gewisse Anzahl von Lebensmitteln zur Verfügung stand und das auch streng kontrolliert wurde.
„Hör auf sie anzuglotzen, sie ist nicht so schwerkrank, dass wir sie ständig überwachen müssen“, entschied Orli und machte eine Handbewegung die den Bildschirm ausschaltete.
„Reiß dich nur zusammen, der Chef muss das ja nicht unbedingt mitbekommen, du hattest bei deinen Eroberungen ja Glück, dass die auch sehr dankbar und sehr still waren“, konterte Virgil und mampfte weiter.
„Man, das hätte ich dir echt nie erzählen sollen, ich war damals noch Pfleger hier, das ist ne ganze Weile her“, nörgelte er.
„Getan ist getan, mein Freund. Apropos tun, du würdest es gerade so gern mit ihr tun, oder?“, fragte er keck.
„Man, ich red nicht mit dir wenn du so kindisch bist. Ich hab noch viel zu tun“, grummelte Orli und verzog sich in sein Büro.
 
Mit trübem Blick kam sie wieder zu Bewusstsein. Sie sah auf die Uhr in ihrem Zimmer. Es war wieder Morgen.
Sie zog sich wieder dürftig an und ging wieder zu ihm.
„Ihnen ist schon klar, dass ich wirklich Schwierigkeiten habe Ihnen zu vertrauen, wenn Sie mich so einfach für nen ganzen Tag ausknocken“, murrte sie kritisch.
„Wir haben Sie beim Abendessen vermisst“, erkannte er, während er den Blick nicht von dem Bildschirm wendete.
„Tun Sie nicht so, da war doch ein Schlafmittel in der Spritze“, schimpfte sie gekränkt, dass er sie für blöd verkaufen wollte.
„Ich verteile keine Schlafmittel, das tun wir hier nicht, Ihr Körper hat vermutlich nur Ruhe gebraucht, los, checken Sie meinen Medizinschrank, keine Schlafmittel drin, versprochen“, erklärte er und drückte einen Knopf der seinen Medikamentenschrank beleuchtete. Jedes Medikament war fein säuberlich beschriftet darin zu finden.
„Denken Sie nicht mal darüber nach, da einbrechen zu wollen, der ist Passwort- und Fingerabdruckgesichert“, versicherte er und sah sie nun an.
„Klasse, jetzt halten Sie mich auch noch für ne Drogenabhängige. Ich sollte mich mal anziehen, ich muss mir die Daten von der Vorlesung gestern irgendwoher besorgen“, entschied sie genervt und drehte sich zur Tür hin.
„Ich hab Ihnen Ihre Daten schon auf ihren Rechner geschickt, wir arbeiten Hand in Hand mit den hiesigen Colleges zusammen, dass Sie nichts verpassen, denken Sie aber nicht, dass sie das zur Gewohnheit werden lassen“, erklärte er und lächelte sie an.
„Genial, danke, dann kann ich das noch durchgehen vor meiner Vorlesung. Mir geht’s heut besser, danke, dass Sie mich gezwungen haben, die Medis zu nehmen, ich muss mich nur darauf einstellen“, bedankte sie sich etwas freundlicher.
„Das ist gut zu hören, Sie kommen aber um ihren Psychologentermin heut Abend nicht rum“, entschied er und widmete sich wieder seinen Akten.
„Ich wollt mich echt nicht umbringen, das müssen Sie mir endlich glauben“, bat sie wieder etwas enttäuscht.
„Ja, das weiß ich doch, ist eine Pflichtveranstaltung hier, tut mir leid, es gab einfach zu viele Selbstmordversuche hier“, erkannte Dr. Hawks und löschte das Licht wieder.
„Ich frag mich wieso, okay, wie viel Uhr?“, fragte sie unberührt.
„Halb sechs, Dr. Jeckyll, Zimmer 12“, erklärte der Arzt und lud ihr den Termin auf ihr Armband.
„Werde da sein, entschuldigen Sie nochmal wegen der Anschuldigung, ich vertrau nicht mehr so vielen Leuten“, entgegnete sie.
„Nicht schlimm, ich bring Ihnen bei, wieder zu vertrauen. Denken Sie vor lauter Arbeit daran, auch zu frühstücken“, bat Orli und sie nickte bevor sie wieder aus dem Zimmer ging.
 
„Muss ja echt interessant sein Ihre Arbeit, dass Sie gegen ärztliche Anweisungen verstoßen“, schmunzelte Orli, als er zwei Stunden später mit Vivians nicht gegessener Essensration auf einem Tablett zu seiner Patientin kam, die auf dem Display in ihrem Zimmer eine SWAT-Analyse machte.
„Wie spät ist es?“, fragte sie in Gedanken.
„Fast Mittag, setzten Sie sich hin, essen sie“, bat er und legte das Tablett auf den Tisch.
„Leisten Sie mir Gesellschaft?“, fragte sie und drehte sich zu ihm. Ihr Lächeln warf ihn fast um.
„Was?“, fragte sie, als er sie anstarrte.
„Nichts, hab nur über was nachgedacht. Ihnen ist doch nicht schlecht, oder?“, fragte er.
„Nein, das ist der erste Tag seit Monaten wo es mir richtig gut geht, danke. Was steht denn heut so auf dem üppigen Essenrationsplan?“, fragte sie.
„Spiegeleier, Speck und Würstchen“, scherzte er.
„Das wär mal was“, erwiderte sie und machte sich über das Vollkornbrot und die Marmelade her.
„Ich hatte auch mal nen Semester Marketing auf der Uni“, erwiderte er, während er neben ihr sitzend ihre Analyse auf dem Bildschirm betrachtete.
„Echt? Wie kam das denn?“, fragte sie erstaunt.
„Die Professorin war scharf und ich wollte sie flachlegen“, gestand er cool.
„Ah, Sie sind also ein Schwerenöter, sehr interessant, hab schon gehofft, Sie könnten mir helfen, ich steck nämlich fest“, erkannte sie schmunzelnd.
„Nein, hab nicht besonders viel aufgepasst damals, tut mir leid. Das mit der Therapie ist wirklich keine Strafe, es soll Ihnen helfen damit umzugehen, dass sie nach Ihrem Studium eigenständig leben können“, erklärte er nochmal.
„Ich kann mir grade gar nicht vorstellen allein zu leben, mich könnte man als unselbstständig bezeichnen, ich hab mich nicht getraut in ein Wohnheim zu ziehen und jetzt na ja wohn ich sozusagen in einem. Apropos Wohnheim ich kenne jemanden hier, wie kann ich die Person finden?“, fragte sie neugierig.
„Ich weiß, dass hier ist ein beeindruckend großer Komplex, Sie können mir ja mal den Namen geben und ich such die Person für Sie“, schlug er vor.
„Ich kenne nur ihren Vornamen aus dem Chat, sie heißt Marlis, sie hat lange braune Haare und grasgrüne Augen“, erklärte sie.
„Marlis Templeton, die kenn ich, sie ist einer der Gründe warum wir die psychologischen Sitzungen eingeführt haben, sie ist eine verlorene Seele, ich rate Ihnen Abstand zu halten“, bat er mit besorgtem Blick.
„Sie hat mal versucht sich umzubringen?“, fragte sie entsetzt.
„Mal ist gut, sechs Mal in den letzten zwei Jahren, sie kommt einfach nicht mit ihrer Diagnose klar“, erwiderte er.
„Das kann nicht meine Marlis sein, meine Marlis hat die Blutsschwester und Blutsbruder-Vereinigung gegründet, sie hat mich bestärkt, meine Krankheit als Chance zu sehen“, erklärte sie.
„Warten Sie kurz, ich muss nen Bild von ihr hier drin haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie sie meinen“, entschied er und scrollte die Bilder auf seinem Armband weiter, bis er es fand.
„Ja, da ist sie, grüne Augen, braune Haare“, entgegnete er und zeigte ihr das Bild als Hologramm.
„Das ist sie wirklich, sie wirkte so stabil, wir reden eigentlich schon seit Monaten“, war sie geschockt.
„Das erklärt ihre schlechte Stimmung, sie hat Sie eher runtergezogen als Ihnen zu helfen“, schlussfolgerte er.
„Glauben Sie? Vielleicht haben Sie Recht. Nein, dann will ich Sie nicht besuchen“, erkannte sie unsicher.
„Wenn Sie ein paar Therapiesitzungen hinter sich haben reden wir nochmal darüber, vielleicht können Sie ihr dann helfen“, versprach er.
„Ja, das klingt gut. Also, ich muss mich dann umziehen, ich muss gleich zur Uni“, entschied sie.
„Klar, guten Appetit noch und keine Sorge, Sie werden andere Freunde hier finden“, versprach er und ging wieder aus dem Zimmer.
„Morgen, Casanova“, erwiderte Virgil, als Orli ins Schwesternzimmer kam.
„Du hängst eindeutig zu oft am Bildschirm und guckst sie dir an, mein Freund“, erwiderte Orli nicht begeistert und ging zum Generalmedizinschrank um seine Medikamente zu holen.
„Marlis ein hoffnungsloser Fall? Sie wird dir ziemlich den Arsch aufreißen, wenn sie das mitkriegt und sie wird es auch bald rausfinden, spätestens wenn sie zu ihr in die Gruppensitzung kommt, die sie doch noch leitet, oder? Sie wird ziemlich schnell rauskriegen, dass du mit Marlis ne ganze Weile Würstchen verstecken gespielt hast“, entschied Virgil und fläzte sich auf den Sessel, von dem er aufgestanden war um etwas zu trinken zu holen.
„Okay, das reicht mir, ich entzieh dir den Zugriff auf das Überwachungssystem“, konterte Orli und tippte einen Code an seinem Display ein.
„Das kannst du nicht machen, ich muss im Notfall wissen, was in den Zimmern abgeht“, moserte Virgil wie ein Kleinkind.
„Dann musst du deine Kontrollen auf die altmodische Weise machen und in die Zimmer gehen“, entschied er gereizt, scannte eine Schublade, holte Medikamente heraus, schloss sie wieder und ging aus dem Raum. Sein Kollege hinterher.
„Wer ist eigentlich gestorben und hat dich zum König gemacht?“, fragte Virgil verärgert.
„Hör auf zu meckern, Virge‘, ich bin Arzt, du nicht“, entschied er cool, ging in sein Büro und schloss ab.
„Klasse und ich verhalte mich wie ein Kind, von wegen“, entgegnete der Pfleger kopfschüttelnd und ging zurück ins Schwesternzimmer.
 
Dank ihrer Vorbereitung konnte Vivian der Vorlesung an diesem Nachmittag gut folgen. Nach dem Unterricht ging sie an ihrem früheren Freundeskreis vorbei. Ihre ehemaligen Freunde beachteten sie erst gar nicht, was sie traurig stimmte. Sie hatte so gehofft, dass sie wenigstens AIDS-Infizierten Freunde finden konnte, aber wem konnte sie vertrauen, wenn sie schon Marlis, die sie jetzt schon länger kannte, nicht vertrauen konnte.
Nachdenklich schlurfte sie an ihrer Trinkration und betrachtete die Gruppe, während sie eine Hausarbeit ausarbeitete. Plötzlich piepste es an ihrem Armband.
„Mist“, murmelte sie, als sie bemerkte, dass sie den Psychologentermin vergessen hatte und eilte aus der Uni.
20 Minuten zu spät kam sie beim Psychologen an.
„Hey Doc, ich würd ja sagen, ich stand im Stau, aber das wäre gelogen“, begrüßte sie ihn, als sie sich auf den Sessel des Psychologen fallen ließ.
„Dr. Hawks meinte schon, sie spielen nach Ihren eigenen Regeln“, erwiderte Dr. Jeckyll, der in aller Ruhe auf einem Display etwas las.
„Der Freak ist nen bisschen empfindlich, weiß auch nicht, was er hat“, entschied sie cool.
„Sie sind die erste Patientin von mir, die nicht heimlich in den Doc verknallt ist“, schlussfolgerte Dr. Jeckyll und sah sie nun an.
„Sie sind gar nicht überrascht, dass ich zu spät bin?“, war sie verwundert.
„Nein, bin ich nicht, Sie sind nicht mein erster Patient, der sich gegen die Therapie sträubt“, entschied der Arzt cool.
„Ich sträub mich nicht gegen die Behandlung, ich hab nur den Termin verschwitzt“, erkannte sie genervt.
„Sie sträuben sich auch gegen die Medikamente, warum sollte es bei mir anders sein“, konterte er lässig.
„Mir wurde nur ständig übel, ich nehm die Medikamente jetzt wieder, alles wieder gut. Also, wie läuft das hier ab?“, fragte sie und sah ihn direkt an.
„Ganz schön große Klappe haben Sie, aber das treibe ich Ihnen noch aus. Wir treffen uns jede Woche um die gleiche Zeit, Pünktlichkeit setz ich das nächste Mal voraus“, forderte Dr. Jeckyll mit ernster Miene.
„So, da ist Mr. Hyde nun, ich bin zwar keine Expertin, aber wenn Sie so mit mir reden, erreichen Sie gar nichts“, konterte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Okay, sagen wir zwei Mal die Woche, ich glaub, Sie werden meine neue Lieblingspatientin“, konnte er sich gegen sie behaupten.
„Echt verwunderlich wie Sie mit dem Ego durch die kleine Tür gekommen sind“, bemerkte Vivian keck.
„Touché, können wir jetzt anfangen, oder sollen wir uns die restliche halbe Stunde nacheinander beleidigen?“, fragte er und nun hielt sie die Klappe.
„Sag doch, er kriegt alle klein, Geld her“, kommentierte Virgil, der die Sitzung von Vivian hinter Orli ansah.
„Bis jetzt hat sie noch keinen Ton gesagt, sie könnte auch die ganze Zeit schweigen, sieh dich nicht so siegessicher“, konterte Orli und machte den Bildschirm wieder aus.
„Was soll das denn jetzt?“, fragte Virgil enttäuscht.
„Dieser Kanal ist uns eigentlich nicht zugänglich, ich musste gegen einige Regeln verstoßen um das überhaupt laufen zu lassen. Ich sollte aufhören ihr nachzuspionieren, ich bin wirklich der Freak für den sie mich hält“, bemerkte er nachdenklich, stand auf und nahm seine Jacke.
„Wo willst du hin?“, fragte Virgil.
„Es ist sechs Uhr, auch Ärzte haben mal Feierabend. Du hängst gruselig oft noch nach Feierabend hier ab, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du hier wohnst“, entschied Orli.
„Schon irgendwie, wenn man noch bei der Oma wohnt versucht man alles um mal rauszukommen“, erwiderte Virgil.
„Das erklärt so einiges“, entschied Orli.
„Was heißt das jetzt schon wieder?“
„Ich bin jünger als du, Mann und ich hab ne eigene Wohnung“, bemerkte er nur.
„Du verdienst auch ne schweinemenge an Kohle“, behauptete Virgil.
„Ich bin Assistenzarzt, ich kann mir grad die Miete leisten für meine Wohnung, die nicht größer ist als ne Zelle ist. Sowas kannst du dir auch leisten, glaub mir. Also, wenn du noch hier bist, wenn Vivian, ich meine Ms Michelli fertig ist, dann kümmere dich darum, dass sie isst, denn irgendwie klappt das bei ihr noch nicht so richtig“, bat Orli, knöpfte den letzten Knopf seiner Lederjacke zu und ging aus dem Wohnheim.

Viertes Kapitel

 
Orli hatte sich grade seine Tagesration in der Mikrowelle warmgemacht und bewegte sich zum Sofa um dort zu essen, als es klingelte.
„Wer ist da?“, fragte er, der vom Sofa aus gut zu einer Person vor der Tür sprechen konnte.
„Zeugen Jehovas, wir wollen mit Ihnen über Gott sprechen“, scherzte eine sehr bekannte Stimme und er trottete zur Tür und öffnete sie zaghaft.
„Der Typ ist nicht Ihr Ernst, oder?“, fragte Vivian, die ihn zur Seite drückte, um einzutreten.
„Und das ist nicht Ihr Ernst, oder? Woher wissen Sie, wo ich wohne?“, fragte er verdattert und trottete hinter ihr her zur Couch, wo sie dreist Platz genommen hatte.
„Ach kommen Sie, ich bin die Tochter des ehemaligen Polizeichefs, glauben Sie, es kostet mich Mühe, eine Adresse zu lokalisieren?“, fragte sie cool und schlug die Beine übereinander. Sie trug einen Minirock über einer Strumpfhose und präsentierte so ihre hübschen Beine, was ihn auf die Zunge beißen ließ.
„Virgil ist sowas von abgemahnt, das können Sie ihm ausrichten“, erkannte er, woher sie die Informationen bekommen hatte.
„Ja, mach ich. Also, was machen Sie gegen Dr. Jeckyll und Mr. Hyde?“, fragte sie und sah ihn an.
„Er ist ein fähiger von mir sehr respektierter Kollege, er bleibt, egal wie Sie sich dagegen wehren“, bemerkte er und setzte sich auf einen Sessel neben sie.
„Sie können doch kaum so engstirnig sein und mich nochmal zu dem Kerl schicken, oder?“, fragte sie verführerisch, stand auf und setzte sich frech auf seinen Schoß. Orli, der merkte, dass sich etwas bei ihm regte, zog sie schnell von sich herunter.
„Was wird das?“, fragte er verwirrt, sie merkte aber schnell, dass ihm ihre Aktion eigentlich rechter war, als er zugegeben hätte.
„Sie sind verknallt in mich, oder?“, fragte sie überrascht.
„Ach quatsch, ich wollte eigentlich grad essen, also wenn Sie mich alleinlassen könnten wäre das echt lieb, danke“, entschied er und zog sie am Arm Richtung Tür.
„Er hat es mir erzählt, alles“, entgegnete sie plötzlich und er blieb stehen.
„Virgel ist ein Schwätzer, der guckt zu viele Telenovelas und denkt sich dann immer Sachen aus, hören Sie bloß nicht auf den“, bat er und drückte den Button der Tür, die aufsprang.
„Sie können nicht verleugnen, dass Sie mich wollen und ich wollte nur sagen, Sie können mich haben, wenn Sie mich wollen“, säuselte sie, fuhr mit der flachen Hand über seine Brust und stöckelte davon.
Er atmete schwer und versuchte das grade geschehene zu verarbeiten. Er stellte seine Ration zurück in den Kühlschrank und ging erst mal kalt duschen. Dr. Jeckyll musst irgendwas mit ihr getan haben, sie stand sicher unter Hypnose, redete er sich ein, denn seine Patientin war doch so nicht promiskuitiv wie sie sich Minuten zuvor gegeben hatte.
Er wollte den Psychiater den kommenden Tag sofort darauf ansprechen.
 
Mit all seiner Kraft die Dr. Orlando Hawks mit seinem schmächtigen Körper aufbringen konnte drückte er Dr. Jeckyll am nächsten Morgen gegen die Wand seines Büros.
„Orl‘, was ist in dich gefahren, du tust mir … au… lass uns doch darüber reden“, keuchte Dr. Jeckyll, der sich in die Ecke gedrängt fühlte, wortwörtlich, als sein Kollege in mit seiner Hand am Hals gegen die Wand drückte.
„Wie kannst du ihr das antun? Sie ist krank, verdammt“, fluchte Orli und drückte fester zu.
„Du musst schon spezifischer werden, Kollege, wir haben hier jede Menge kranke Leute und die meisten davon sind Frauen“, bemerkte er keuchend und versuchte seinen Griff zu lösen.
„Du weißt genau, von wem ich rede, Vivian, sie war gestern Abend bei dir und dann taucht sie bei mir auf und spielt die Femme Fatale, du hast deine Voodoo-Kräfte wieder angewandt“, nörgelte er. Der muskulöse Therapeut hatte sich aus dem Griff gelöst und drückte ihn nun weg.
„Das ich Hypnosetherapeut bin, heißt nicht, dass ich das ständig anwende, bei Ms Michelli hab ich das nicht getan, scheint so, dass eine weitere Fliege in deinem Spinnennetz gelandet ist, mein Freund“, frotzelte Dr. Jeckyll und Orli senkte den Kopf.
„Verdammt, dass hatte ich befürchtet, kannst du ihr das ausreden?“, fragte er hoffend.
„Das mach ich doch immer, alte Regelung wie immer, du kommst jeden Monat in eine Sitzung und ich überzeuge sie davon, dass es besser ist, dich nicht wieder zu sehen“, entschied er cool.
„Da gibt es nur ein Problem, ich hab nicht mit ihr geschlafen, also ist es nichts körperliches mit ihr, na ja, zumindest noch nicht. Nein, das wird nicht passieren, das muss endlich ein Ende haben“, plante der Mediziner.
„Oder sie will dich nur ärgern, denn ich habe keine Tendenzen von Verliebtheit bei ihr prognostiziert, als sie bei mir war“, erklärte der Psychologe professionell.
„Das kann natürlich auch sein, man, die Kleine ist echt gerissen“, stellte Orli erleichtert fest.
„Das war nur so ne Idee, red einfach mit ihr“, bat Dr. Jeckyll und Orli ging rückwärts zur Tür und dann zu ihr.
Vivian saß an ihrem Schreibtisch und arbeitete an ihrem Display, während sie ihre Frühstücksration aß.
„Du musst mich nicht kontrollieren, ich esse“, murrte sie ohne vom Display aufzusehen.
„Ja, ich seh’s, ich freu mich. Wir müssen uns wegen gestern mal unterhalten“, erkannte er ruhig und tippte etwas in einem Display an der Tür und die Kamera im Raum ging aus.
„Was hast du gemacht?“, fragte sie verwundert und sah ihn nun an.
„Nichts, nicht wichtig. Komm zu mir, bitte“, bat er und setzte sich auf ihr Bett.
„Jetzt? Ich dachte eigentlich wir machen das bei dir, hier haben die Wände Augen wie mir scheint, na gut, haben die anderen auch was davon“, erkannte sie und zog ihr T-Shirt aus, während er zu ihr ging.
„Darüber wollte ich eigentlich mit dir reden, das mit uns, das können wir nicht machen“, erkannte er und musste dabei die ganze Zeit auf ihre Brust starren.
„Warum nicht? Gefall ich dir nicht?“, fragte sie unsicher.
„Doch, das ist genau das Problem, ich mag dich und das würde was Ernstes werden, wenn wir das hier anfangen“, erklärte er und sah zur Seite.
„Dann vögelst du lieber die ganze Klinik, aber mich nicht?“, fragte sie verärgert und zog ruckartig ihr T-Shirt wieder an.
„Das ist fast 10 Jahre her, da war ich noch Pfleger hier, das mach ich schon lang nicht mehr. Ich versteh einfach nicht, wie er dir das erzählen konnte“, bemerkte er und sah sie wieder an.
„Er wollte mich beschützen, er meinte, ich könnte eine Abfuhr von dir grade nicht verkraften und er hatte Recht, ich seh’s nicht ein“, entgegnete sie und setzte sich auf seinen Schoß.
„Vivian, bitte“, bat er, ließ es aber zu, dass sie begann seinen Nacken zu liebkosen.
„Du stehst auf mich, ich steh auf dich, das ist doch ganz einfach“, erwiderte sie und küsste ihn weiter auf den Mund. Das missfiel ihm aber und er zog sie von seinem Mund weg, sie begann aber seine Hose zu öffnen. In dem Moment kam Virgil in den Raum, der die Meldung bekommen hatte, dass eine Kamera ausgefallen war.
„Okay, das beantwortet meine Frage, warum ich hier keinen Empfang kriege. Lasst euch nicht stören“, schmunzelte Virgil.
„Verdammt, das hat mir grad noch gefehlt“, entschied Orli, zog sie von sich herunter, schloss seine Hose seitlich und eilte ihm hinterher.
„Das ist zwar ein Klischee, aber es ist nicht so, wie es aussieht“, erklärte er stammelnd seinem Kollegen.
„Orl‘, du redest mit mir, das war nicht das Erste Mal, dass ich dich dabei erwischt habe und sicher auch nicht das letzte Mal“, brauchte Virgil keine Erklärung.
„Ich wollte nur mit ihr reden“, begann Orli.
„Ja, klar, deshalb hast du auch die Kamera deaktiviert, es ist echt eine Unverschämtheit, dass du Schwerenöter die Codes dafür kennst, ich aber nicht“, konterte Virgil und folgte dem Mediziner in die Umkleide.
„Wo willst du hin?“, fragte Virgil, als der Mediziner sich in die Toilette verzog.
„Ich hatte grade eine geile Frau mit Minirock auf meinem Schoß, was denkst du denn?“, fragte Orli von drinnen.
„Ja, klar man, sorry, brauchst du irgendwelche stimulierende Medien?“, fragte Virgil cool.
„Du könntest von der Tür und aus dem Raum verschwinden, das wäre stimulierend genug, danke“, bat er und Virgil ließ seinem Kollegen die Privatsphäre.
 
Zur gleichen Zeit wie sich Orli abkühlen musste, kam Dr. Jeckyll etwas dreist in Vivians Zimmer, stellte die Kamera wieder ein und entfernte ein Implantat von ihrem Nacken, was er ihr tags zuvor verpasst hatte.
„Doc, was machen Sie da mit mir?“, fragte Vivian verwirrt, die aus ihrer Dauerhypnose erwachte.
„Ich hab Ihr Implantat entfernt, Sie wollten das doch tragen, um besser schlafen zu können, sie haben gut geschlafen, es ist nicht nötig, es unnötig länger zu tragen“, plante er und sie rieb sich den Nacken.
„Ja, vermutlich, danke, Doc“, entgegnete sie und er ging wieder von dannen.
Als Vivian an diesem Nachmittag zur Uni ging, kam ihr Orli im Flur entgegen. Der wich ihr aus und starrte an die Wand.
„Irgendwas nicht in Ordnung, Dr. Hawks?“, fragte sie verwundert.
„Nein, alles bestens, viel Spaß in der Uni“, verabschiedet er sie abweisend und eilte weiter.
„Okay, der Freak braucht echt mal selbst ne Therapie“, murmelte sie vor sich hin und ging zum Ausgang. Dort stand Virgil und rauchte eine Zigarette.
„Hey Pfleger Virgil, ist mit dem Doc alles klar?“, fragte sie den Pfleger.
„Ja, klar, ihm ist der Vorfall nur ziemlich peinlich und er weiß nicht, wie er auf Sie reagieren soll“, erklärte er und drückte die Zigarette auf dem Boden aus.
„Was für nen Vorfall, von was reden Sie?“, fragte sie unwissend.
„Der Vorfall eben, dass ich sie mit ihm dabei erwischt habe, warten Sie, Sie wissen nichts davon?“, fragte er verwirrt.
„Er hatte Sex mit mir und ich weiß nichts davon? Was ist das denn für ein Sauladen hier? Hat er mich unter Drogen gesetzt?“, fragte sie entsetzt.
„Ich glaub nicht, aber ich kenne jemanden, der das kann“, entschied Virgil und tippte auf seinem Headset herum.
„Byron, beweg deinen Arsch sofort zu Ausgang Vier“, drohte er Dr. Jeckyll am Telefon und wendete sich dann mit einem Grinsen wieder zu ihr.
„Das haben wir gleich, das ist nicht auf seinem Mist gewachsen, keine Sorge“, erklärte Virgil und sah wie der Psychologe zu ihnen kam.
„Was hab ich dir über Hypnoseimplantate gesagt, Byron?“, fragte er vorwurfsvoll und sah den Therapeuten verärgert an.
„Das ich die Versuchskaninchen vorher fragen soll und das hab ich getan“, war sich Dr. Jeckyll keiner Schuld bewusst.
„Miss Michelli hier ist Auto gefahren mit dem Teil und hat fast einen Fehler begangen, den sie bereuen würde, hast du in deinen Verstand in deinen etlichen Sitzungen irgendwann abgegeben?“, fragte Virgil. Der sonst immer flapsige Pfleger war jetzt todernst.
„Man, ich dachte nicht, dass das rauskommt. Ich hab ihr nur ihre größten Sehnsüchte aufgezeigt, ich hab sie zu keiner der Aktivitäten gezwungen“, entschied er standhaft.
Was er nicht kommen sah war eine schallende Ohrfeige seiner Patientin.
„Und seien Sie froh, dass ich meine Waffe hier nicht mitnehmen durfte, sonst hätten Sie jetzt ne Kugel im Bauch“, entgegnete sie und ging zornig von dannen.
„Sie ist die Tochter des ehemaligen Polizeichefs, die Drohung würde ich echt ernst nehmen“, erkannte Virgil, drohte ihm mit dem Finger und ging zu seinem aufgelösten Kumpel.

Fünftes Kapitel

 
Schweigend saßen sich Vivian und Orli an diesem Abend im Gemeinderaum gegenüber. Keiner von ihnen wusste so recht, was er sagen sollte.
„Es tut mir leid“, bemerkte sie in die Stille.
„Können Sie ja nichts für, ich muss mich entschuldigen, dass ich das nicht erkannt habe“, erwiderte er und legte seine Hände auf den Tisch.
„Sie haben gut reagiert, Doc, Sie sind ein anständiger Kerl, Orlando Hawks“, bemerkte sie und lächelte ihn an.
„Ja, mag schon sein. Sie sollten aber Dr. Jeckyll nicht Ihr Misstrauen aussprechen, er hat schon manchmal so irre Ideen, aber er ist ein klasse Therapeut“, entgegnete Orlando und sie zog kritisch die Augenbrauen hoch.
„Wenn Sie das sagen, aber er hat etwas zu Tage gebracht, worüber wir reden müssen“, erwiderte sie und legte ihre Hände auch auf den Tisch.
„Die Gefühle, die wir füreinander haben“, sprach sie aus, was schon eine halbe Stunde im Raum hing.
„Wenn wir das durchziehen wollen, müssen wir das hier drin geheim halten“, bat er.
„Das wird nicht funktionieren“, entschied sie.
„Wir sollten es trotzdem versuchen, du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf seit du hier angekommen bist“, erkannte er und rutschte auf der Bank näher zu ihr.
„Du mir auch nicht, ich dachte erst, dein Status zieht mich an, aber es ist irgendwas anderes. Du bist so sanft und tust mir so gut“, erwiderte sie und lehnte sich zu ihm hin.
„Du hältst mich also nicht für einen Freak?“, fragte er hoffend.
„Wenn dann für einen süßen Freak, du bist anders, so wie ich, du lässt dir Blut abnehmen während du eine Patientin im Sprechzimmer hast, wer macht sowas außer dir?“, schmunzelte sie und begann ihn sanft zu küssen. Er erwiderte diesmal ihren Kuss. Mit sanfter Hand führte er sie in ihr Zimmer. Sie legten sich einfach nebeneinander und dösten ein.
Sie waren grade tief eingeschlafen, als Virgil ins Zimmer kam.
„Hey, Kleines, hab ich dich geweckt? Ich wollte nur mal schauen, ob es dir gut geht“, erwiderte er freundlich und sie deckte hastig den Kopf ihres Bettnachbarn zu.
„Ja, alles bestens, wollte nur etwas früher schlafen heute. Danke dass du gefragt hast“, bedankte sie sich.
„Immer gern, wir wollen das unsere Patienten sich hier wohlfühlen. Schlaf weiter“, erkannte er freundlich und ging zur Tür. Sie atmete auf, er hatte ihren Bettnachbarn nicht entdeckt. Doch bevor er aus der Tür ging drehte er sich noch einmal um.
„Ach übrigens Orli, die Patientin in Zimmer 438 hat hohes Fieber, du solltest sie dir besser anschauen“, entgegnete Virgil und ging aus der Tür.
„Schätzchen, wach auf, Virgil hat uns erwischt“, weckte sie ihn sanft.
„Hab’s mitbekommen, hab vergessen, dass mein GIS in diesem Stockwerk auch gescannt wird“, erkannte Orli, der wachgeworden war und zog die Decke von seinem Kopf.
„Ich glaub, wir können Virgil vertrauen“, entgegnete sie und ließ ihn aus dem Bett.
„Denk ich auch. Ich muss dahin, tut mir leid“, erklärte er, küsste sie sanft und eilte seinem Kollegen hinterher.
„Na, noch fit genug?“, fragte Virgil frotzelnd, als er zusah, wie sich sein Kollege die Hose schloss.
„Wir haben nur geschlafen“, versprach er.
„Ah, wenn du meinst“, bemerkte er und folgte ihm ins Arztzimmer, wo er seine Sachen holte.
„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Wie hoch ist das Fieber?“, fragte er, während er eine Handvoll Mittelchen einsteckte.
„Fast 40°C und das schon den ganzen Nachmittag, während du Lover-Boy gespielt hast, hab ich mich um deine Patienten gekümmert“, entschied er etwas wirsch.
„Ich danke dir, das war unprofessionell von mir, tut mir leid. Diese Frau bringt mich nur um den Verstand, sie ist so wunderschön und leidenschaftlich“, erklärte er und ging verträumt weiter zu seiner kranken Patientin.
„Wie oft hab ich das schon von dir gehört, mein Freund, sie ist doch nur eine von vielen“, erwiderte Virgil.
„Sie ist nicht eine von vielen, du bist ja selbst etwas verknallt in sie, ich hab die Aufnahme vom Ausgang gesehen, so stark verteidigst du nur Menschen, die du wirklich magst“, konterte Orli, der sich während dem Laufen umdrehte.
„Byron ist einfach zu weit gegangen“, verteidigte sich Virgil standhaft.
„Ja, das ist er, du kennst den Deppen doch. Ich bin aber auch zu weit gegangen, du hast Recht, ich sollte ihr klar und deutlich sagen, dass das mit uns nicht funktioniert“, realisierte Virgil und drückte den Knopf des Fahrstuhls.
„Gut, du kommst wieder zurück in die Realität, halt an dem Gedanken fest. Was spritzt du ihr jetzt?“, fragte Virgil und so begannen sie eine medizinische Unterhaltung. Nach 10 Minuten kamen sie bei der Patientin an.
Die junge AIDS-Patientin lag fast besinnungslos mit einem heißen Kopf im Bett. Sie sah wirklich nicht gut aus.
„Oh man, das ist echt übel“, stellte Orli fest und begann die benommene Frau zu untersuchen.
„Wir müssen sie auf den Kühltisch legen, das Fieber muss schleunigst runter, Miss Collins, ich nehm Sie jetzt mit runter“, redete er mit der Patientin und hob sie auf seine Arme.
„Ich geh schon mal vor und mach den Tisch an“, bemerkte Virgil und eilte davon.
„Ihnen wird es gleich besser gehen, versprochen“, versprach er seiner Patientin und trug sie zum Fahrstuhl.
Nachdenklich saß der Mediziner spät an diesem Abend neben seiner Patientin. Ihre Temperatur senkte sich, aber sie war immer noch ziemlich schwach. Zum ersten Mal seit Tagen realisierte er, dass er so nicht weitermachen konnte.
„Hey Doc, ich bin jetzt hier, Sie können heut Nacht nicht mehr machen, ich pass gut auf sie auf“, versprach die Nachtschwester, die leise in den Untersuchungsraum kam.
„Ja, ich sollte heimgehen. Denken Sie daran, dass Sie sie in einer Stunde von der Kälteleitung entfernen und dass sie nochmal die Temperatur messen“, erwähnte er und stand auf.
„Ja Doc, weiß ich doch, gehen Sie schlafen, Sie sehen sehr müde aus“, bat die Schwester und er schlurfte aus der Klinik.
 
Am nächsten Morgen, Vivian saß grade an einem Projekt, kam Virgil zu ihr ins Zimmer.
„Ja?“, fragte sie und sah auf.
„Sie haben nicht zufällig Doc Romance in Ihrem Bett, oder?“, fragte Virgil und Augenrollend warf sie das Pad in ihrer Hand aufs Bett um zu beweisen, dass darin niemand lag.
„Ja, sorry, wollt Ihnen ja nichts unterstellen, ich frag nur, er sollte schon seit zwei Stunden Dienst schieben und er ist nicht aufgetaucht und auch nicht erreichbar“, erklärte Virgil besorgt.
„Nein, hab ihn nicht gesehen, tut mir leid“, erwiderte sie, aber auch mit besorgtem Ton in der Stimme.
„Ich wollte gleich mal bei ihm vorbeifahren, wollen Sie mit?“, fragte er.
„Wenn Sie mich danach bei der Uni rausschmeißen, komm ich mit“, bemerkte sie, packte ihre Sachen zusammen und folgte ihm zu seinem Wagen.
 
„Er hat Ihnen nicht den Code zu seiner Haustür gegeben, oder?“, fragte Virgil, als sie vor verschlossener Tür standen.
„Sie sind sein bester Freund, wenn Sie ihn nicht haben, warum soll ich ihn dann haben?“, fragte sie kritisch.
„Auch wahr, was machen wir jetzt?“, fragte er frustriert.
„Umdrehen“, bat sie und er sah sie verwundert an.
„Machen Sie’s einfach“, bat sie und er drehte sich verwirrt um. Sie tippte einen Code in die Konsole neben der Tür und die Tür schob sich auf.
„Wie haben Sie…?“, fragte er überrascht.
„Sie sollten den Generalcode ändern, wenn Sie den Polizeichef absägen, würd ich mal sagen“, bemerkte sie und er drehte sich wieder um.
„Ihr Vater hat Ihnen den Generalcode gegeben?“, fragte Virgil etwas entsetzt.
„Gegeben nein, seinen Heim-PC mit einem Passwort gesichert, den sogar eine fünfjährige rausbekommen würde, ja, hat er. Kommen Sie?“, fragte sie schmunzelnd und ging durch die Tür.
„Sie haben das also schon öfters gemacht?“, fragte Virgil verdattert.
„Ich hab eigentlich nur den Code rausgesucht, den er bekommen hatte um in jedem Parkhaus in der Stadt umsonst zu parken, was denn? Eine Frau braucht ihren Parkplatz. Den Code hier hab ich erst das zweite Mal benutzt, das erste Mal um meinem Ex den Schädel zu rasieren, aber das ist ein anderes Kapitel meiner traurigen Geschichte. So, wo ist er?“, erklärte er und sah sich um.
„Die Wohnung ist ja nicht so riesig, vermutlich pennt er noch“, bemerkte Virgil und ging Richtung Schlafzimmer. Angeekelt kam er zurück.
„Oh man, ich hab in meiner Laufbahn schon viel widerliches gesehen, aber das toppt alles“, murmelte er verwirrt.
„Was ist? Hat er sich was angetan?“, fragte sie entsetzt und sah auch hinein. Dort lag ihr Freund, splitterfasernackt auf seinem Bett und schien sehr betrunken zu sein.
 
„Man, wo hat er denn Alkohol herbekommen? Diesen Anblick hab ich jetzt echt nicht erwartet“, entgegnete sie kopfschüttelnd.
„Wir sollten ihn anziehen und in eine Klinik bringen, Sie machen das“, befahl Virgil.
„Warum ich?“, fragte sie angeekelt.
„Sie haben mit ihm geschlafen!“
„Nein, habe ich nicht!“
„Haben Sie nicht?“
„Nuschele ich?“
„Oh man, immer auf die Kleinen. Rufen Sie schon mal den Notarztwagen, dann mach ich das halt“, murrte er, ging zurück ins Schlafzimmer und zog seinen besinnungslosen Kumpel an, während sie einen Krankenwagen rief.
 
Dr. Orlando Hawks wachte mit dem ersten Kater seines Lebens im städtischen Krankenhaus wieder auf.
„Virge‘, er wacht auf“, erkannte er die Stimme seiner Freundin und diees sorgte für starke Schmerzen in seinem Kopf.
„Hey, da bist du ja wieder“, hörte er sie liebevoll und spürte ihre Hand auf seiner Wange.
„Was ist passiert?“, fragte er benommen.
„Du hast medizinischen Alkohol geschluckt, das ist passiert. Hast du den Verstand verloren?“, fragte Virgil etwas laut für seinen Geschmack.
„Noch nicht, aber wenn du so weiterschimpfst sicher“, murrte Orli und hielt sich den Kopf.
„Wenn wir dich nicht so mögen würden und dir nicht zur Hilfe gekommen wären, wärst du jetzt tot, du Idiot“, schimpfte Virgil weiter.
„Bitte halt die Klappe, Virge‘, du siehst doch, dass er Schmerzen hat“, bat sie und sah Virgil böse an.
„Okay, bin schon weg“, sagte Virgil verständnisvoll. Orli hielt aber seinen Arm fest.
„Ich danke dir“, sagte er leise. Virgil nickte und ging von dannen.
„Medizinischer Alkohol, ernsthaft? Ich sollte längst in einer wichtigen Vorlesung sitzen“, bekam er auch von seiner Freundin die volle Packung.
„Ich bereue es schon genug, du musst mich nicht auch noch anmachen“, murrte er.
„Ich will ne Erklärung und Virgil sicher auch“, entschied sie gereizt.
„Ich bin ein guter Arzt“, sagte er nur.
„Ja, das bist du, das ist aber keine Erklärung, Schätzchen“, bemerkte sie liebevoll.
„Ich hab gestern vollkommen versagt, ich habe fast eine Patientin verloren“, erwiderte er nachdenklich.
„Ich hab davon gehört, das kann jedem mal passieren, aber ihr geht’s gut, ich hab zumindest nichts gegenteiliges gehört“, beruhigte sie ihn.
„Ich wurde von dir so sehr abgelenkt, dass ich meine Aufgaben vernachlässigt habe. Das kann dich nicht mehr treffen, tut mir leid“, erwiderte er ruhig, aber traurig.
„Das kannst du nicht machen, wir wollten es doch miteinander versuchen, gegen alle Wiederstände“, wurde sie traurig und ließ seine Hand los.
„Mir ist mein Job sehr wichtig, Viv‘, bitte versteh das“, bat er auch traurig.
„Ja, meinetwegen, ich geh dann, muss zur Vorlesung“, erkannte sie gefühlskalt, nahm ihre silberne Jacke, zog sie sich über und ging ohne zurückzusehen.
„Viv‘, wo willst du hin?“, fragte Virgil, der mit zwei Flaschen Wasser zu ihr kam.
„Dein Freund ist nen Arsch“, entgegnete sie nur und stürmte an ihm vorbei.
„Er hat’s gemacht, Gott sei Dank“, redete er mit sich selbst und ging zurück ins Krankenzimmer.
„Ach, du bist es“, erwiderte Orli betrübt, als er seine Freundin zurückerwartete, aber nur seinen Kumpel antraf.
„Ich hab dir altertümliche Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, da kann ich doch mehr erwarten als „Ach, du bist es!““, schmunzelte er aufmunternd.
„Du hast es mitgekriegt, oder?“, fragte er erkennend.
„Bin stolz auf dich“, erwiderte Virgil.
„Ach, leck mich doch!“
„Es war das Richtige… das willst du jetzt nicht hören, richtig?“, fragte Virgil, als er sah, dass es seinem Kumpel grade nicht gut ging.
„Die untersuchen dich nachher nochmal, aber dann kann ich dich mit heimnehmen, du kommst mit zu mir und Chester bis es dir besser geht“, erklärte Virgil.
„Deine Bulldogge stinkt“, murmelte er grantig.
„Hey, Chester ist halt schon etwas älter, der stinkt halt nen bisschen“, verteidigte Virgil seine alte Bulldogge.
„Ich komm gut allein klar, ich bin doch kein Kleinkind“, wurde Orli ärgerlich.
„Gut, ich muss eh wieder zum Dienst, irgendjemand muss ja die Klinik versorgen. Übrigens, ich hab deine Mutter angerufen, bye“, verabschiedete er sich auch eingeschnappt und verließ den Raum auch.
„Klasse, dann muss ich hier weg“, redete nun Orli mit sich selbst zog seinen Zugang heraus, um aufzustehen. Dabei löste er einen Alarm aus.
„Man, dieser Tag kann ja nicht noch schlechter werden“, grummelte er.
„Weit gefehlt, Junge, dein Tag war bis jetzt ein Zuckerschlecken“, entgegnete Mrs. Hawks, die in sein Krankenzimmer kam und ihm rabiat den Zugang wieder in die Vene drückte.
„Au, Mom, das gibt sicher einen blauen Fleck“, entschied er erbost.
„Ich bin seit 30 Jahren Krankenschwester, das glaub ich eher nicht. Kannst du mir verraten wo du hinwillst?“, fragte Mrs. Hawks und drückte ihn zurück ins Bett.
„Mir geht’s gut, es gibt keinen Grund die Ärzte hier mit meiner Anwesenheit zu belästigen“, entschied er standhaft.
„Wenn du nicht still bist dreh ich deine Morphindosis so hoch, dass du nur noch zwei Tage dahinvegetierst bist du abkratzt“, drohte ihm seine Mutter.
„Das könntest du gar nicht“, provozierte er sie.
„Ich bin Oberschwester hier, mein Sohn, ich könnte sogar deine Leiche verschwinden lassen ohne dass das einer mitbekommt“, entschied sie standhaft.
„Manchmal machst du mir Angst, Mutter“, erwiderte er eingeschüchtert und legte sich brav wieder hin.
„Das war auch meine Absicht. Also, wer ist sie?“, fragte Mrs. Hawks und deckte ihren Sohn zu.
„Ich bin nicht glücklich darüber, dass du dich mit Virge‘ so gut verstehst“, konterte er müde.
„Ich bin seine Mentorin gewesen, daran kannst du nichts ändern. Er macht sich Sorgen um dich“, erklärte sie.
„Ich hab mich schon von ihr getrennt, keinen Grund zur Sorge“, erwiderte er trotzig.
„Wirklich? Das tut mir leid für dich!“
„Red keinen Mist, du hast Marlis damals auch nicht gemocht!“
„Sie war auch ne Patientin von dir!“
„Vivian ist auch ne Patientin“, nörgelte er.
„Bitte sag nicht, dass du von Vivian Marchelli redest, die Tochter des ehemaligen Polizeichefs“, bemerkte sie entsetzt.
„Doch, genau die, keine Sorge, sie weiß es nicht!“
„Das hoff ich auch für dich, das Letzte was wir gebrauchen können sind die Cops an der Backe von deinem Vater“, erkannte sie.
„Er ist dein Ex, was interessiert er dich noch?“
„Er ist dein Vater, also red über ihn mit Respekt, bitte. Ich kann dich nicht davon überzeugen zu mir und deinem Stiefdad zu kommen in den nächsten Tagen, oder?“, fragte sie.
„Nein, nicht wirklich!“
„Ich muss zum Dienst, schau noch mal im Schwesternzimmer vorbei, bevor du gehst, bitte“, bat sie und ließ ihn wieder allein.

Sechstes Kapitel

 
Wie ein Hund kam Orli mit eingezogenem Schweif an diesem Abend zur Spätschicht. Ihm war immer noch furchtbar übel und seine Mutter hatte ihm eine Permanentinfusion an den Arm gelegt, die ziemlich juckte.
Etwas genervt tippte er auf dem Board für die Medikamentenausgabe herum. Die öffnete sich trotz mehrmaligen Eintippens nicht.
„Verdammtes Mistding, verdammt“, erkannte er und hämmerte auf dem Display herum, was einen Alarm auslöste.
„Ist in dieser scheiß Stadt eigentlich alles mit einem scheiß Code gesichert?“, fluchte er und in dem Moment kam Virgil ins Schwesternzimmer.
„Na, Probleme?“, fragte Virgil keck und sein Kollege sah ihn schnaubend an.
„Was hast du mit dem Scheißding gemacht?“, fragte er und seine Stimme überschlug sich dabei.
„Gar nichts, das war der Oberarzt, ich hab die Medizingewalt bis du deine Laune im Griff hast“, erklärte er ruhig und bestimmt.
„Das kann er doch nicht machen“, erkannte er verärgert.
„Er hätte dich auch suspendieren können, das war die humane Alternative. Es sind nur zwei Sitzungen bei Dr. Jeckyll nötig, schon kriegst du deinen Code wieder“, versprach er.
„Ich wollt mich nicht umbringen“, versprach er.
„Das wird Byron mit dir klären, zwei Sitzungen, das ist nicht viel, Vivian hat so viele diese Woche“, entgegnete er und als er es ausgesprochen hatte, bereute er, dass er ihren Namen erwähnt hatte.
„Ah, schön für sie. Machst du mir jetzt bitte die Schublade auf, ich muss zu meinen Patienten“, bat er grummelig und Virgil gab ihm die Medikamente.
Spät an diesem Abend musste Orli gezwungenermaßen auch bei Vivian vorbei um ihr ihre Medikamente für die Nacht zu geben.
„Darf ich reinkommen?“, fragte er vorsichtig.
„Kann dich kaum davon abhalten, oder?“, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
„Ich muss dir nur dein Medikament spritzen“, erläuterte er und sie streckte ihm trotzig den Arm hin, während sie über ihrem Display brütete, was an der Wand hing.
„Du musst dich dafür hinsetzen, komm schon, das ist so unangenehm für mich wie für dich“, bat er und sie setzte sich schnaubend aufs Bett.
„Bin ganz schnell fertig“, versicherte er und zog den Pen auf.
„Ja, bitte“, bat sie und er setzte die Spritze.
Dabei bemerkte sie seine Permanentinfusion, die er am Unterarm trug.
„Wie geht’s dir eigentlich?“, fragte sie plötzlich liebevoll.
„Nicht wirklich gut, danke der Nachfrage. So, jetzt bist du mich schon wieder los“, erkannte er kühl und packte seinen Pen wieder weg.
„Kannst du in deinem Zustand überhaupt arbeiten?“, fragte sie besorgt.
„Ja, geht schon, ich muss jetzt auch weiter“, eilte er, krempelte seinen Arm wieder herunter und ging weiter ohne sie richtig anzusehen.
„Mir geht’s nicht so gut heute, danke der Nachfrage“, murmelte sie und legte sich frustriert auf den Rücken.
„Er muss erst mal mit der Situation klarkommen“, erwiderte Virgil, der mit freundlichem Blick in der Tür stand.
„Glaubst du, ich nicht? Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt“, erkannte sie frustriert und setzte sich wieder auf.
„Wie hast du dir dass den vorgestellt? Das ihr heiratet, Kinder kriegt und das alles im Geheimen?“, fragte Virgil kritisch.
„Ja, so richtig überdacht hab ich die Sache wirklich nicht, hey ich bin erst 20, kannst du ihn wenigstens nicht dazu zwingen, dass er mich untersuchen muss?“, fragte sie bittend.
„Ich tu hier gar nichts, er ist der einzige Arzt auf dieser Abteilung, er muss dich hier untersuchen, das macht sonst keiner“, erklärte Virgil.
„Die Spritze hättest du mir aber auch setzten können“, warf sie ein.
„Ja, das hätte ich, Ich will ihn heut ein bisschen ärgern, das ist meine seltsame Art von Humor“, erklärte er schmunzelnd.
„Ja, wirklich seltsame Art von Humor. Lass ihn heute damit in Ruhe, ihm geht’s echt mies“, bat sie.
„Du magst ihn wirklich, oder?“, fragte Virgil und kam zu ihr.
„Ist das noch wichtig?“, wollte sie erschöpft wissen.
„Gib nicht auf, meine Süße“, bat Virgil.
„Du willst eine geklatscht haben, oder?“, fragte sie grummelig.
„Ich bin ein alter Romantiker, auch wenn Romantik hier keinen Platz hat“, erwiderte er, strich ihr über die Stirn und ging wieder auf seine Route.
 
Am nächsten Nachmittag saß Orli bockig mit verschränkten Armen seinem Psychologen gegenüber wie nur Tage zuvor seine Ex.
„Ich hab den ganzen Tag Zeit, mein Süßer“, erwiderte Dr. Jeckyll gelassen.
„Ich wüsste nicht, was ich mit dir zu bereden hätte“, entgegnete er schnaubend.
„Wenn du nicht redest kriegst du den Code nicht, so einfach ist das“, entschied Dr. Jeckyll genauso bockig.
„Was willst du denn wissen?“, fragte Orli freundlicher.
„Fangen wir damit an, dass du mir sagst, wie es dir heute geht“, freute sich Dr. Jeckyll, dass er auftaute.
„Ich hab gestern Nacht im Schlaf die Infusion rausgezogen und jetzt hab ich nen blauen Arm“, erkannte Orli und krempelte seinen Ärmel hoch. Auf seinem Arm war ein riesiger Bluterguss.
„Du machst Sachen, warum hast du nicht den Heil-Handschuh bei dir angewandt?“, fragte Dr. Jeckyll hilfsbereit.
„Ich bin Rechtshänder und der Handschuh ist für meine rechte Hand konzipiert und wie du siehst, ist es auf meinem rechten Arm“, erkannte Orli.
„Man, du solltest mal Hilfe annehmen, wenn du welche brauchst. Leg den Arm auf die Lehne, ich heil dich schnell“, bemerkte er kopfschüttelnd und stand auf.
„Das war ziemlich dämlich, ich wollte nicht, dass das hier jemand mitkriegt“, erklärte er kleinlaut.
„Sag doch, nimm mal Hilfe an, das wird dir helfen. So, ich hab das schon ne Weile nicht mehr gemacht, ich hoffe, ich tu dir nicht weh“, erklärte Byron und fuhr mit einem weißen Handschuhe mit Sensoren über den Arm seines Kollegen.
„Au, brennt nen bisschen“, murmelte er.
„Ist gleich vorbei“, versprach er.
Nachdem er den Handschuh verwendet hatte, kühlte er Orlandos Arm mit Eisgel.
„Hast du von Dr. Larson gehört, der will Gene manipulieren, dass Erbkrankheiten nicht mehr entstehen“, begann Orli plötzlich eine medizinische Diskussion.
„Wenn du jetzt über Arbeitskram reden willst, Orl‘, kann ich dir das nicht als psychologische Sitzung gutschreiben“, erklärte Dr. Jeckyll.
„Du bist echt fies“, nörgelte er.
„Man, du bist ja schlimmer als all meine Ex-Freunde zusammen, jetzt rede doch einfach mit mir über deine Sorgen, ich hab nen Eid abgelegt, niemand erfährt davon“, bat Dr. Jeckyll drängend.
„Ich hab keine Sorgen, ich bin gestern nur etwas ausgetickt, das ist alles“, erklärte er.
„Du willst doch nicht deinen Psychologen anlügen, mein Freund“, erwiderte Dr. Jeckyll.
„Ich war nie ein sehr sensibler Mensch, aber diese ganzen Kranken gehen mir momentan ziemlich nah“, begann er zu erklären.
„Du wärst ein Cyborg, wenn du nichts fühlen würdest“, bemerkte Dr. Jeckyll mitfühlend.
„An manchen Tagen wünschte ich mir, ich wäre einer“, entgegnete er nachdenklich.
„So was darfst du dir niemals wünschen, ich hab einen Cousin der teilweise aus Metall besteht, das ist kein Spaß, glaub mir. Aber dafür bin ich in diesem Gebäude, ich bin nicht nur für die Patienten da, wie du weißt. Was bedrückt dich denn so an den Patienten? Kommen Sie mit ihren Problemen immer zu dir und du kannst ihnen keine Ratschläge geben, oder was ist es?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Nein, dafür haben sie ja dich. Es sind die vielen die sich aufgegeben haben, obwohl sie noch so eine große Lebensspanne vor sich haben. So wie Vivian, sie ist grade infiziert worden, mit den richtigen Medikamenten wird sie an Altersschwäche sterben und nicht an der Krankheit“, erklärte er.
„Du willst sie retten, oder?“, frotzelte Dr. Jeckyll.
„Sie muss nicht gerettet werden, wenn sie eine Frau in einer Bar gewesen wäre, wäre sie jetzt meine Freundin, nur weil sie meine Patientin ist, kann ich sie nicht haben“, bemerkte Orli nachdenklich.
„Lass dich doch versetzen, dann kannst du sie haben“, schlug Dr. Jeckyll vor.
„Das hättest du wohl gern, By‘, dass ich dich hier allein lasse. Nein, ich will hierbleiben, ich hab mich schon entschieden. Du experimentierst doch mit diesen Implantaten rum, oder?“, fragte er plötzlich.
„Ja, das mach ich nie wieder, versprochen“, versprach er hoch und heilig.
„Hast du ein Implantat was einen gefühlskalt macht?“, fragte Orlando überraschend.
„Nein Orl‘, das mach ich nicht“, erkannte Dr. Jeckyll entsetzt.
„Keiner wird es erfahren, das bleibt zwischen mir und dir“, bat Orli. Dr. Jeckyll sah in den Augen seines Kollegen, dass es ihm ernst war.
„Wenn du erwischt wirst, schweige ich zu allen Anklagepunkten“, erwähnte Dr. Jeckyll und ging zu einer Schublade.
„Wir kennen uns seit der Privatschule, du müsstest langsam wissen, dass ich loyal dir gegenüber bin, egal was kommt“, erkannte Orli.
„Gut, ich war nach deiner Attacke von neulich etwas skeptisch. Du kommst trotzdem noch einmal zu mir in die Sitzung und sobald ich sage, dass es langt, langt es, verstanden?“, fragte Dr. Jeckyll sicherstellend.
„Das klingt nach nem Plan“, entschied Orli und der Psychologe pflanzte ein Implantat an den Nacken seines Patienten.
„Du wirst dich während du das trägst lustlos und träge fühlen und vermutlich wirst du schneller müde, stell dich darauf ein“, erläuerte Dr. Jeckyll und Orli fasste sich an das Implantat.
„Das klingt wie jede Überstunde im städtischen Krankenhaus“, erwiderte sein Patient tonlos und stand auf.
„Das sollte ne scherzhafte Aussage sein, das klang aber nicht so. Du musst aufpassen, dass das nicht auffällt, sag den Leuten, das Ding ist gegen Migräne und deshalb hast du auch so schlechte Laune“, erklärte Dr. Jeckyll und Orli nickte.
Auf dem Flur traf sie auf Vivian, die nach ihm einen Termin hatte.
„Hey, hat dich Dr. Hyde mal wieder richtig rangenommen?“, fragte sie verschmitzt. Sie wollte einen Witz machen, weil sie wusste, dass der Therapeut auf Männer stand.
„Ja, scheint so, ich muss jetzt meine Abendrunde beginnen“, murmelte er tonlos und ging weiter.
„Der Kerl ist mir echt ein Rätsel“, erwiderte sie kopfschüttelnd und ging zu dem Therapeuten in die Praxis.
„Guten Abend, Doc“, begrüßte Vivian ihn freundlich.
„Hey, da ist ja einer gut drauf heute, freut mich. Setzen Sie sich, bitte“, freute sich Dr. Jeckyll, dass Vivian langsam aufblühte.
„Ja, langsam gewöhn ich mich an die Situation. Dr. O ist aber heut ein Miesepeter, oder?“, fragte sie, setzte sich und schlug ihre Beine übereinander.
„Sagen Sie nicht, Sie schlafen auch mit ihm!“, erkannte der Doc kopfschüttelnd.
„Nein, das versuche ich grad zu vermeiden, wie kommen Sie denn da darauf, weil ich so gut drauf bin?“, fragte sie verwundert.
„Ich behandle hier jede Patientin, es kursiert ein Spitzname für den guten Onkel Doc, er soll der beste Liebhaber der Stadt sein, Dr. Oh, wie Dr. “Oh mein Gott“, Sie verstehen“, erwiderte Dr. Jeckyll und setzte sich auch hin.
„Nein, in den Genuss bin ich nicht gekommen, vermutlich als einzige weibliche Person in dieser Klinik“, murmelte sie etwas grummelig.
„Ich wollte Ihnen jetzt nicht die Laune verderben, er respektiert Sie vermutlich zu sehr um was mit Ihnen anzufangen“, erklärte er beruhigend.
„Klasse, davon kann ich mir jetzt was kaufen. Also, wo waren wir das Letzte mal stehengeblieben?“, fragte sie trotzig.
„Wir hatten über Ihre Position als Einzelkind in der Familie gesprochen und was für ein Druck auf Ihnen lastet“, half er ihr.
„Genau, also mein Vater …“, begann sie zu erzählen, während Dr. Jeckyll das fleißig mit einer Kamera aufnahm.
 
Nach dem Abendessen zog es Vivian wieder zu Orli. Sie sah es nicht ein, dass er sie so einfach abspeiste.
„Ich hab Kopfschmerzen“, log sie, als sie in seine Praxis kam.
„Frag mich mal, ich hab seit meiner kleinen Trinkeinlage Dauermigräne“, konterte er ohne aufzusehen.
„Buhu, du hast einen Kater, das ist alles“, murrte sie, weil sie nicht ernst genommen wurde.
„Da Alkohol in dieser Stadt verboten ist, wirst du nicht wissen, wie sich nen Kater anfühlt, oder?“, fragte er raunzend und sie sah ihn kritisch an.
„Tut mir leid, ich bin der Arzt hier, ich sollte mich um dich kümmern, also wo sitzt der Schmerz?“, fragte er einfühlsamer und kam zu ihr hin.
„Ich hab gelogen, ich wollt dich sehen“, gestand sie.
„Du siehst mich jeden Tag, Viv, ich hab mit dir Schluss gemacht, ich dachte, das wäre dir klar geworden“, erwiderte er abweisend.
„Ja, glasklar, ich bin die Einzige, die du nicht befriedigen willst, schon verstanden. Ich hab von deinem kleinen Spitznamen gehört, Dr. “Oh mein Gott“, stimmt das Gerücht, bist du so ein guter Liebhaber wie alle sagen?“, fragte sie und legte ihre Hände auf seine Brust.
„Ja, hab davon gehört, die Mädels reden ziemlich viel, was?“, fragte er und sie fuhr mit den Händen seine Brust herunter.
„Das beantwortet nicht meine Frage, mein Süßer“, erwiderte sie und kam mit ihren Händen immer tiefer.
„Bitte lass das“, bat er erregt.
„Wieso? Gefall ich dir nicht?“, fragte sie und begann seine Hose seitlich zu öffnen.
„Einmal und das bleibt einmalig, verstanden?“, fragte er und sie nickte.
Stürmisch zog er sie zu sich und drückte sie danach auf den Untersuchungstisch um sie dort zu verführen.

Siebtes Kapitel

 
„Ich glaub, “Oh mein Gott“ beschreibt nicht mal ansatzweise was du kannst“, erkannte sie erledigt, als sie in ein silbernes Tuch gewickelt neben ihm auf dem Untersuchungstisch lag.
„Du wolltest es wissen, ich hab’s dir gezeigt, jetzt zieh dich an und geh in dein Zimmer bitte“, bat er abweisend.
„Du meinst das echt ernst, ein Quickie und dann Feierabend? Du kannst mir doch nicht einen Schokokuchen auftischen und ihn mir dann wieder wegnehmen“, murmelte sie enttäuscht.
„Tu’s einfach, bevor dich Virgil auf seiner Route noch vermisst“, bat er und stand auf.
„Schon gut, man, du bist echt ein Arsch, hat dir das schon jemand mal gesagt?“, fragte sie schroff und griff nach ihren Sachen um sich hektisch anzuziehen.
„So ist das Leben, Baby“, erwiderte er cool und sie ging grantig davon.
Orli wollte in dem Moment heulen, aber das Implantat ließ es nicht zu. Hektisch zog er sich nur die Hose und Hemd schlampig an und ging zu Dr. Jeckyll, der eigentlich grade gehen wollte.
„Deaktiviere es, sofort“, bemerkte er nur und schloss die Tür hinter sich.
„Ja, okay, hast es ja nicht lang ausgehalten. Wie ich sehe war Dr. “Oh mein Gott“, wieder unterwegs“, entgegnete Dr. Jeckyll und tippte etwas in das Implantat, dass dann sofort abfiel. Was ihn überraschte war, dass sein sonst tougher Kollege in Tränen ausbrach.
„Mein Gott, du hast die Kleine rumgekriegt, gratuliere“, erwiderte Dr. Jeckyll neckend.
„Ich bin so blöd, blöd, blöd, blöd“, murmelte er verweint.
„Nein, du hast deinen Gefühlen nachgegeben, das muss dir nicht peinlich sein“, bat Dr. Jeckyll.
„Ich dachte, wenn sie kriegt was sie will, dann lässt sie mich in Ruhe, aber du hättest ihr Gesicht sehen müssen, als ich sie grob behandelt habe, dass sie verschwindet“, bemerkte er und setzte sich frustriert auf den Sessel, als er ausgeweint hatte.
„Seit wann hast du Skrupel, sie danach abzuwimmeln“, verstand Dr. Jeckyll nicht.
„Hörst du mir eigentlich zu in unseren Sitzungen?“, fragte Orli genervt.
„Ja, das tu ich, du liebst sie und sie liebt dich, aber ihr könnt nicht zusammen sein, weil sie deine Patientin ist … bla bla bla, Romeo und Julia Scheiß und so weiter“, erwiderte Dr. Jeckyll gefühlskalt.
„Mach es ab, dann können wir vernünftig miteinander reden“, bat Orli und deutete auf das Implantat, was Dr. Jeckyll am Hals trug.
„Sorry, ich wollte das auch mal testen, die ganzen Probleme mit denen ich tagtäglich konfrontiert werde sind ziemlich nervig im Moment“, entschied er und tippte ein Code in sein Implantat, dass es auch abfiel.
„Aber mich verurteilen, dass ich das tue“, kritisierte er kopfschüttelnd.
„So, jetzt bin ich wieder ganz dein, das schaltet echt alles ab, man, ziemlich unpassend“, erwiderte er und hörte seinem Kollegen nun zu.
 
Zur gleichen Zeit bekam Vivian Besuch von Pfleger Virgil, der mehr und mehr zu ihrem Vertrauten wurde.
„N’Abend, Kleines, Zeit für deine Spritze?“, fragte er freundlich, als er ins Zimmer kam. Vivian saß mit einem Pad in der Hand auf ihrem Bett und spielte lautstark ein gewalttätiges Computerspiel.
„Wenn du meinst“, murrte sie nur.
„Wo ist denn deine gute Laune hin?“, fragte er.
„Keine Ahnung, frag Dr. “Oh mein Gott“, der hat sie mir grad genommen, nachdem er mich genommen hat“, erläuterte sie, ohne aufzusehen.
„Das hat er nicht gemacht, man, ich hab ihn für klüger gehalten“, erwiderte Virgil kopfschüttelnd.
„Wie passend, ich hab ihn für netter gehalten, wir beide kennen ihn wohl doch nicht so gut, wie wir dachten“, entschied sie und warf das Pad aufs Bett um ihn anzusehen.
„Hat dir das irgendwas gebracht, ich meine außer sexueller Erfüllung“, konterte er cool.
„Nein, nicht wirklich, gut war’s aber, ich hatte es mal wieder bitter nötig“, entschied sie.
„Das haben die meisten Frauen hier. So, ich lass dich gleich wieder weiterschmollen, aber da du nicht willst, dass er das macht, gib ich dir jetzt die Spritze, aber ich kann nicht versprechen, dass ich dir nicht nen blauen Fleck verpasse, ich mach das nämlich nicht so gut“, erkannte er und spritzte sie.
„Hat zumindest nicht wehgetan, danke. Er hatte dieses Implantat am Hals, so eins, wie ich es hatte, als ich nicht schlafen konnte“, dachte sie laut nach.
„Das ist gegen seine Migräne, hat er mir zumindest gesagt. Mach dir nicht so viele Gedanken, so ist er halt“, bat Virgil und ging weiter.
 
Einige Tage vergingen und Vivian musste glücklicherweise Orli nicht sehen. Sie setzte ihre ganze Energie für die Uni ein und ihre schlechter werdenden Noten wurden wieder besser.
Als sie vier Wochen in der Klinik war musste sie ihren Arzt nun doch aufsuchen. Doch diesmal war es ihre Frauenärztin, denn ihr Verhütungsimplantat musste ausgewechselt werden. Ihre Frauenärztin wollte sie gleichzeitig noch mal gründlich untersuchen.
„So, man, das war aber jetzt wieder bitter nötig, das Level ist dunkelrot. Sie hatten hoffentlich keinen Sex mit dem Ding in letzter Zeit“, erkannte die Ärztin, als sie ihr Implantat im Arm begutachtete, nachdem sie es entfernt hatte.
„Äh, schon irgendwie“, erwiderte sie kleinlaut.
„Okay, dann müssen wir auch einen Schwangerschaftstest machen, Ihre unregelmäßige Blutung muss nicht allein an der Medizin liegen, die Sie nehmen“, erwiderte die Ärztin und Vivian wurde bleich.
„Jetzt schauen wir erst mal nach, ich nehm Ihnen grade mal ein bisschen Blut ab, das machen wir am besten bevor ich sie wieder mit Hormonen versorge, dann ist das Ergebnis nicht voll mit Hormonen“, erwiderte sie und nahm ihr Blut ab.
„Das würde mir grad noch fehlen, dass ich von dem Arsch schwanger geworden bin“, entgegnete Vivian und drückte sich den Wattebausch auf den Arm, nachdem ihre Ärztin ihr Blut entnommen hatte.
„Sie haben Sich also von Ihrem Partner getrennt?“
„Er war nicht mein Partner, er war nur ein Arsch der das Privileg genossen hatte, mit mir schlafen zu dürfen“, entschied sie schroff.
„Okay, wie Sie meinen, so, das dauert jetzt einen Moment, machen Sie sich schon mal untenrum frei, dann kann ich Sie untersuchen“, erkannte die Ärztin und sie tat es.
10 Minuten später kam die Ärztin mit besorgtem Gesicht aus ihrem Labor.
„Bei anderen Frauen wären hier Glückwünsche angebracht, bei Ihnen glaub ich eher weniger“, erwiderte sie und sie hielt sich die Hand vors Gesicht.
„Klasse, meine Noten werden grade besser, irgendjemand da draußen muss mich hassen“, erwiderte sie bleich.
„Wenn Sie wollen mach ich gleich einen Termin für die Abtreibung mit Ihnen aus“, bemerkte die Ärztin freundlich.
„Nein, ich will dieses Kind, ich werde mit meiner Krankheit kaum nochmal die Gelegenheit bekommen, schwanger zu werden, mich will ja keiner anpacken. Ich kann doch ein Kind bekommen, wenn ich AIDS habe, oder?“, fragte sie planend.
„Ja, das können Sie, aber Ihr Arzt müsste die Dosis ändern und es besteht ein hoher Prozentsatz, dass Sie das Kind anstecken“, erklärte die Ärztin.
„Klasse, mein Arzt ist mein beschissener Ex-Bettkumpane“, murmelte sie.
„Dann wird das ein lustiges Gespräch, würd ich mal sagen. Sie sollten sich das noch einmal überlegen, es wäre ein großes Risiko, dass das Ihren Zustand verschlechtert“, erklärte ihre Ärztin und Vivian schwieg, während ihre Ärztin sie untersuchte.
 
Von ihrer Ärztin aus ging Vivian sofort zu Dr. Jeckyll. Dreist setzte sie sich einfach in seiner Praxis in seinen Sessel.
„Auch wenn ich mich immer freue, wenn Sie freiwillig zu mir kommen, ich mache diese Sprechstunden eigentlich nicht aus Spaß mit Ihnen aus, ich hab auch andere Patienten außer Sie“, erklärte der Psychologe.
„Ja, tut mir leid, ich kann später wiederkommen“, war sie verwirrt.
„Momentan wollt ich eigentlich nur was Essen gehen, Sie können mich aber begleiten, wenn Sie wollen“, erwiderte er und sie stimmte zu.
„So, was bedrückt Sie?“, fragte Dr. Jeckyll, als sie zusammen in einem Diner saßen und ihre Essenrationen aßen.
„Ich war grade bei meiner Frauenärztin und hab nun ein klitzekleines Problem“, gestand sie.
„Oh man, Kinder, auch wenn er immun gegen den Virus ist, Kondome sind auch zur Empfängnisverhütung gedacht“, sagte er kopfschüttelnd.
„Ich will das Kind kriegen“, erwiderte sie.
„Das halte ich nicht für eine gute Idee“, erkannte er.
„Meine Ärztin auch nicht, aber es passiert nicht so häufig, dass wir Blutsschwestern schwanger werden, ich kann das nicht riskieren“, bemerkte sie.
„Ich werde Sie mit allem unterstützen, wenn Sie das wirklich wollen. Jetzt müssen Sie das nur noch Dr. Libido verklickern“, stand er zu ihr.
„Können Sie das nicht machen? Ich meine Sie sind doch alte Freunde und so“, erwiderte sie.
„Woher wissen Sie, dass wir Freunde sind?“, fragte Dr. Jeckyll erstaunt.
„Man muss nicht die Tochter des ehemaligen Polizeichefs sein, um das zu erkennen, aber es hilft“, schmunzelte sie matt.
„Ich kann das nicht machen, tut mir leid, Sie sind meine Patientin, ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet“, erkannte er.
„Das ist zwar ne dumme Ausrede, aber Sie haben Recht, ich muss es ihm sagen, am besten heute noch, ich muss ja meine Medikamentendosis umstellen lassen. Danke für das Gespräch, Doc, ich muss jetzt los, ich muss zur Uni. Klasse, jetzt hab ich grade meine Übelkeit im Griff, das hat jetzt vermutlich wieder ein Ende“, erwiderte sie, nahm ihre Tasche und ging davon.
 
Der Weg durch den Gang von ihrem Zimmer zu seinem Büro kam Vivian an diesem Abend endlos vor. Tausendmal ging sie im Kopf durch, was sie sagen wollte, aber alles würde abgedroschen und dämlich klingen. Sie war am Ende des Ganges, aber noch nicht am Ende ihrer Überlegung angekommen. Sie klopfte zögerlich.
„Ja?“, fragte er von drinnen und sie öffnete die Tür.
„Hey“, bemerkte sie nur.
„Hey, hab dich lang nicht mehr gesehen“, erwiderte er und sie kam mit unsicheren Schritten zu ihm ins Büro.
„Hab dich gemieden ehrlichgesagt“, gestand sie.
„Hab ich mir schon gedacht. Also, gibt es irgendwas Medizinisches was du mit mir bereden willst?“, fragte er etwas kühl.
„Ehrlich gesagt schon irgendwie, ich muss meine Medikamentendosis umstellen“, druckste sie herum.
„Hatten wir das nicht besprochen? Du brauchst die Medikamente, genau in der Dosis die Virgil dir gibt“, war er es leid, mit ihr darüber zu diskutieren.
„Ich bin schwanger, du Idiot“, platzte es aus ihr heraus.
„Okay, das ist nen Grund die Medikamentendosis umzustellen. Bist du sicher?“, fragte er stotternd.
„Warum fragt ihr Männer das immer? Wir Frauen wissen wann wir Nachwuchs erwarten“, murrte sie.
„Ist es von mir?“, fragte er vorsichtig.
„Das seh ich als Beleidigung, natürlich ist es von dir, wie soll ich sonst schwanger geworden sein? Ich werde vierundzwanzig Stunden in meinem Zimmer überwacht“, erwiderte sie verärgert.
„Du wirst ehrlich gesagt auch hier drin überwacht aber ich bin der Einzige der Zugang zu den Überwachungskameras hat“, erläuterte er.
„Ah, gut zu wissen. Ich wollte es dir nur sagen, weil du es wissen musst, weil du ja leider immer noch mein Arzt bist. Ich werde dieses Kind bekommen, egal was du sagst oder tust“, erkannte sie standhaft.
„Ja, okay“, erwiderte er nur.
„Okay, du sagst okay?“, war sie jetzt überrascht.
„Ich seh doch, wie wichtig es dir ist, dieses Kind zu bekommen, warum soll ich dir dareinreden?“, fragte er trocken.
„Das hab ich jetzt nicht erwartet, danke für deine Unterstützung. Ich muss jetzt wieder, hab noch einiges für die Uni zu tun“, erkannte sie verwirrt und ging aus dem Raum. Er ging ihr hinterher.
„Wie weit bist du?“, fragte er neugierig.
„Du bist Arzt, rechnen müsstest du können“, erwiderte sie und drehte sich wieder zu ihm um.
„Das wollte ich nicht, ich dachte, du verhütest“, erkannte er.
„Das dachte ich auch, tja, solche Sachen passieren halt. Du hast keinerlei Verpflichtungen, keine Sorge“, erkannte sie und ging wieder weiter.
„Wenn das rauskommt, bin ich meinen Job los“, erwiderte er plötzlich.
„Keine Sorge, wenn jemand fragt sag ich, ich hatte nen One-Night-Stand, mehr war das ja auch nicht für dich. Dein Name wird nicht fallen, ich werde schon ne Ausrede finden. Dr. Jeckyll weiß es leider, ich musste es jemandem erzählen, tut mir leid“, entschuldigte sie und öffnete ihre Zimmertür.
„Er ist dein Therapeut, er wird dichthalten, er wird mich zwar bis zu meinem Lebensende damit aufziehen, aber er wird dichthalten“, versprach er und sie ging einen Schritt in die Tür.
„Das denke ich auch, bessergesagt ich hoffe es für dich. Wenn mein Dad das nämlich rausfindet, hast du eine 9mm an der Stirn kleben, glaub mir“, erwiderte sie und schloss die elektronische Tür vor dem entsetzten Gesicht ihres Ex-Freundes.
 
Die folgenden Tage musste sich Vivian erst mal auf die neuen Ereignisse einstellen. Da sie Prüfungen hatte, vertiefte sie sich ganz darin und verdrängte ihre Schwangerschaft. Doch eines Abends, sie war grade bei einer Hausarbeit, wurde ihr speiübel und sie musste sich übergeben. Das war grade der Zeitpunkt, an dem Virgil für ihre Spritze zu ihr kam.
„Hey, Engel“, begrüßte er sie liebevoll in der Badezimmertür stehend.
„Ja, sehr engelhaft, wirklich“, murmelte sie und setzte sich neben die Toilette.
„Verträgst du die Medikamente doch nicht?“, fragte er mitfühlend und zog sie hoch.
„Nein, alles bestens“, log sie.
„Komm schon Kleines, lüg mich bitte nicht an“, bat er und half ihr aufs Bett.
„Egal, du wirst es ja eh bald sehen, ich bin schwanger“, erwiderte sie erschöpft und er reichte ihr ein Glas Wasser.
„Bitte sag mir, dass du einen lieben, netten Freund hast, der dich geschwängert hat“, bat er und schloss die Augen.
„Ich soll dich doch nicht anlügen, dachte ich!“
„Weiß er es?“
„Er ist mein Arzt, natürlich weiß er es!“
„Seid ihr jetzt zusammen?“
„Hast du ihn in letzter Zeit um mich herum gesehen?“
„Er ist ein Idiot!“
„Nein, das will ich so. Er ist derjenige, der meine Nähe sucht, seit er es weiß“, erklärte sie.
„Du bräuchtest ne ganz andere Medikamentendosis, jetzt wo du schwanger bist“, plante Virgil kopfschüttelnd.
„Ich krieg doch ne andere Medikamentendosis, nicht? Nicht?“, fragte sie nach.
„Ich geb dir immer die gleiche Dosis, er hat mir nichts gesagt“, erklärte er entsetzt.
„Dieser kleine Bastard, ich wusste doch, dass er nicht so einfach zu überreden ist. Wenn du mich kurz entschuldigst, ich muss kurz den Vater meines Kindes töten“, bemerkte sie mit knirschenden Zähnen und stürmte aus der Tür.
„Orl‘, hörst du mich? Wütende Ex im Anmarsch“, sprach Virgil in sein Headset, um seinen Kollegen vorzuwarnen.
Der hatte sich schon in sein Büro verschanzt, als sie dort ankam.
„Das mach ich nicht gern, aber es ist notwendig“, tippte sie den Generalcode ein und die Tür sprang auf.
„Man, manchmal hasse ich es, dass du das kannst. Du hast es also rausgefunden“, erwiderte er, als sie neben seinem Schreibtisch stand, an dem er wie immer saß.
„Du wolltest mein Kind töten, unser Kind, das ist dein letzter Tag auf Erden, wenn du das geschafft hast“, erwiderte sie und kletterte auf den Untersuchungstisch.
„Was machst du da?“, fragte er und sah auf.
„Untersuch mich“, befahl sie.
„Als ich dich das letzte Mal darauf “untersucht“ habe, ist der ganze Schlamassel passiert“, erwiderte er.
„Sofort!“, donnerte sie.
„Okay, wenn du das willst“, entgegnete er, stand auf und stellte den Tisch an.
„Ich will es sehen, ich will sehen, dass es noch da ist“, bemerkte sie und er zog lustlos ihr T-Shirt hoch und legte das Ultraschallpad auf ihren Bauch.
„Oh mein Gott“, wimmerte er plötzlich.
„Das sind drei Worte die man niemals von seinem Arzt hören möchte“, konterte sie.
„Da ist ein Baby in deinem Bauch“, erwiderte er und sie spürte eine Träne, die auf ihren Bauch tropfte.
„Weinst du?“, fragte sie und sah ihn an.
„Blödsinn, siehst du, dem Baby geht’s gut, er ist ein Kämpfer, wie es aussieht“, erkannte er schniefend und machte ein Bild des Displays, dass sie es auch sehen konnte.
„Er? Du kannst schon das Geschlecht bestimmen?“, fragte sie erstaunt.
„Nein, aber ich wünsch mir einen Sohn, er wäre der erste männliche Enkel für meine Mutter“, erklärte er und sie schob ihr T-Shirt wieder herunter, als sie das Pad in der Hand hielt.
„Ob es deine Mutter gutheißen würde, dass du ihren Enkel töten wolltest? Du gibst mir sofort die richtige Dosis, sonst knallt’s“, bat sie und stand wieder auf.
„Ich wollte nicht, dass es dir schlechter geht, ich mag dich sehr, Vivian“, gestand er.
„Wenn du mich so sehr mögen würdest, wie du sagst, hättest du das niemals gemacht. Gute Nacht“, murrte sie und ging wieder in ihr Zimmer.
„Dem Kind geht es gut“, erwähnte sie, als sie zurück zu Virgil kam.
„Gott sei Dank, ich hätte es nicht ertragen, dir wehgetan zu haben“, war Virgil beruhigt.
„Du bist der einzige hier, dem ich vollkommen vertraue, das wird so bleiben, keine Sorge, danke“, bedankte sie sich und umarmte ihn herzlich.
„Ich kann ihm von dir noch eine reinhauen, wenn du willst“, bat er an.
„Nein, ich hab ihn genug emotional aufgewirbelt, trotzdem danke. Du musst mich noch spritzen, aber diesmal mit der richtigen Dosis“, erinnerte sie ihn.
„Klar, das hab ich fast vergessen. Ich werde das jetzt besser kontrollieren, falls er das nochmal versucht“, versprach er und spritzte sie.
„Ich glaub nicht, dass er das noch mal tut, aber tu’s trotzdem, nur um sicher zu gehen. Er hat mir ne Liebeserklärung gemacht“, erwiderte sie plötzlich.
„Das L-Wort, er hat das L-Wort benutzt?“, fragte er verwundert.
„Ich kenn ihn doch gar nicht richtig, das wäre jetzt echt zu viel des Guten, er meinte nur, er hätte es getan, weil ich ihm so viel bedeute. Seltsame Art, das zu zeigen. Ich muss mich jetzt wieder an meine Präsentation machen, ich muss die Ende der Woche halten“, drängte sie ihn zu gehen.
„Du willst also weiterhin zur Uni gehen?“, fragte er überrascht.
„Klar, ich muss das Kind ja später irgendwie ernähren. Da ich in der Uni eh schon die Persona non Grata bin, ist son Babybauch nicht weiter dramatisch“, entschied sie.
„Wann erzählst du es deinen Eltern?“, fragte er mitfühlend.
„Äh, gar nicht?“
„Solang du dich nicht irgendwo in den Urwald verkriechst werden sie das früher oder später rausfinden, meine Süße“, stelle er cool klar.
„Auch wahr, meine Mutter wird mich das ein oder andere Mal hier besuchen und ihr wird das auffallen, aber mein Dad hab ich nicht mehr gesehen, seit ich hier herkam“, schlussfolgerte sie.
„Ich komm mit dir mit, wenn du es deiner Mutter sagst, wenn du willst. Ich kann auch deinen Freund spielen, oder den Vater deines Kindes, mein Job hier ist mir nicht so wichtig wie er Orli wichtig ist“, schlug er vor.
„Das kann ich nicht von dir verlangen, wirklich nicht“, war sie geplättet von dem Angebot.
„Du musst es nicht verlangen, ich tu es freiwillig“, erkannte er.
„Das würde mir viel Stress ersparen, willst du das wirklich tun?“, fragte sie vorsichtig.
„Das ist ein einmaliges Angebot, nur heute gültig“, erkannte er.
„Bitte kannst du vorgeben mein Freund und der Vater meines Kindes zu sein“, bat sie und er nickte.
„Wir sollten das mit deiner Mutter gleich morgen klären, bevor sie es hintenherum herausfindet“, erkannte er bestimmt.
„Du kommst um halb fünf zur Uni und wir fahren dann von dort aus zu meinem Elternhaus?“, fragte sie.
„Gut, dann nehm ich mir abends frei. Keine Sorge, ich bin für dich da, egal was kommt“, versprach er.
„Ich danke dir so sehr. Das ist das netteste was jemand für mich getan hat seit langer Zeit“, erwiderte sie gerührt und umarmte ihn noch mal.
„Jetzt arbeite fleißig weiter, dass ich stolz auf meine Freundin sein kann“, schmunzelte er, strich mit der flachen Hand über ihr Gesicht und verließ den Raum wieder.

Achtes Kapitel

 
Am nächsten Tag holte Virgil seine Bekannte wie versprochen von der Uni ab. Sie begrüßte ihn stürmisch mit einem Küsschen.
„Danke, Schatz, dass du mich abholst“, erwiderte sie und hakte sich bei ihm ein.
„Dir ist schon klar, dass wir nicht richtig zusammen sind, oder?“, fragte er überrascht, als er mit ihr zum Wagen ging.
„Sorry, ich hab mich heut mitten in der Vorlesung übergeben, sie haben jetzt schon rausgefunden was ich eigentlich erst später präsentieren wollte. Was auch immer, ich hab Ihnen erzählt, dass der Vater mich heute abholt, du hast ja gesagt, dass das ok ist“, erklärte sie.
„Klar, war ganz schön peinlich, was?“, fragte er mitfühlend.
„Nicht peinlicher als mein sonstiges Leben, ist schon gut. Ich hab immer zwei Outfits dabei, langsam stell ich mich auf die ganze Situation ein. So, was erzählen wir jetzt meinen Eltern? Hast du die kugelsichere Jacke an, die ich dir gegeben habe?“, fragte sie.
„Ich dachte, das wäre nen Witz von dir“, entgegnete er entsetzt.
„Bei so was mach ich keine Witze, sag mir, dass du sie im Auto liegen hast“, erwiderte sie.
„Ja, hab ich, ich hab eigentlich nicht vorgehabt mein Leben für dich zu riskieren“, entgegnete er nervös.
„Mein Vater hat viel mitgemacht in den letzten Wochen, keine Ahnung wie der so tickt. Wenn der wüsste, dass du auf Männer stehst, wäre er echt beruhigt oder beunruhigt, kommt auf die Perspektive an“, schmunzelte sie.
„Ich bin was?“, fragte er verwundert.
„Schwul, du bist doch schwul, oder?“
„Mitnichten meine Süße, wer hat dir das gesagt, Orlando?“, fragte er verwirrt.
„Nein, das merk ich doch, wie du mit mir umgehst, du hast kein Interesse an mir“, erkannte sie stotternd.
„Du bist ganz schön von dir eingenommen, oder? Nicht jeder Mann will mit dir schlafen“, konterte er cool.
„Aber du bist so nett zu mir und alles“, entgegnete sie und wurde rot.
„Es gibt Männer die sind nett zu einer Frau ohne irgendwas zu wollen. Ich will nur dein Freund sein, ich hab nämlich nicht mehr so viele Freunde seit meiner Diagnose“, erkannte er ruhig.
„Du bist auch Positiv?“, war sie jetzt überrascht.
„Wir Mitarbeiter in der Klinik sind alle positiv, na ja, außer Superman, der kriegt all die Mädels ab, denn einen Positiven wollen sie ja nicht haben, der ist ja nichts Besonderes“, bemerkte er und löste sich von ihrem Griff.
„Du kannst doch jetzt kaum eingeschnappt sein, ich wusste nicht, dass du Positiv bist, ich find dich doch auch attraktiv und alles“, stotterte sie.
„Schon zu spät, jetzt komm, wir wollen deine Eltern nicht warten lassen“, erwiderte er lächelnd und zog sie zum Auto.
Orli sah von seinem Wagen aus, wie seine Ex und sein Kumpel turtelnd ihr Unigelände verließen. Er hatte auf dem Videobild gesehen, wie sich der Pfleger schamlos an sie rangemacht hatte und er musste überprüfen ob das der Wirklichkeit entsprach. Er raste vor Wut. Er hatte ihm versprochen, die Finger von ihr zu lassen, doch er hatte das Verspreche nicht eingehalten. Als Virgil losfuhr, fuhr er hinter ihnen her. Sie hielten an einem etwas abgewohnten Gebäude was meistens von Ex-Polizisten bewohnt wurde.
„Sie stellt ihn ihren Eltern vor? Das kann nicht ihr Ernst sein“, murrte er und blieb versteckt von ihnen mit dem Wagen stehen.
„Ich hab noch nie die Eltern getroffen“, bemerkte Virgil, als sie Hand in Hand den Gang entlang zu der Wohnung ihrer Eltern gingen.
„Wie lang bist du positiv?“, fragte sie und hielt vor der Tür.
„Drei Jahre, das kommt uns gelegen, dann haben wir ne Erklärung, warum wir Sex ohne Kondom hatten“, erkannte er und sie klingelte matt lächelnd.
Als ihr Vater die Tür öffnete, zuckte Virgil zusammen.
„Hey Kleines, ich freu mich, dass du uns besuchen kommst. Du hast jemanden mitgebracht, wie schön, kommt rein“, erkannte er freundlich und ließ sie rein.
„Bist du betrunken?“, fragte sie verwundert.
„Nein, wieso? Wie sollte ich an Alkohol kommen?“
„Egal, freut mich, dass du so gut auf mich zu sprechen bist. Wie geht’s dir?“, fragte Vivian.
„Ich versauere im Polizeirevier hinter dem Schreibtisch, aber sonst gut, danke“, bemerkte ihr Vater und sie nahmen in dem kleinen Wohnzimmer Platz.
„Ich kann nicht sagen, wie leid mir das alles tut, aber ich hab mir mein Leben auch nicht ausgesucht“, entschuldigte sie sich noch ein Mal.
„Ja, ich weiß, tut mir leid, Kleines, kannst ja nichts dafür wie das gelaufen ist. Du hast einen neuen Freund, wie ich sehe“, entschuldigte sich ihr Vater.
„Ja, Dad, das ist Virgil“, stellte sie ihm Virgil vor und griff nach Virgils Hand.
„Schön, schön, dass du jemanden gefunden hast. Er weiß doch, dass du krank bist, oder?“, fragte er.
„Ja, Sir, ich bin selbst seit ein paar Jahren infiziert“, erklärte Virgil nervös.
„Das tut mir leid zu hören. Wie haben Sie sich den kennengelernt?“, fragte ihr Vater neugierig.
„Er ist Pfleger in meiner Klinik“, gestand sie.
„Ist das erlaubt, dass Sie Patientinnen treffen?“, fragte Mr. Michelli kritisch.
„Eigentlich nicht, aber ich habe mit meinem Boss darüber gesprochen und er ist einverstanden“, konterte Virgil versprechend.
„Dann ist ja gut, aber irgendwas anderes ist doch, mein Bulleninstinkt meldet sich irgendwie“, entgegnete ihr Vater.
„Wo ist Mum?“, fragte sie und sah sich in der Wohnung um.
„Geht’s um ne Frauensache?“, fragte ihr Vater.
„Gewissermaßen schon, mir wäre es schon lieber, wenn sie dabei wäre“, druckste sie herum.
„Sie müsste gleich heimkommen, du bist doch nicht schwanger, oder?“, fragte er und Virgil hustete verdächtig.
„Du hast meine Kleine geschwängert?“, fragte Mr. Michelli und sprang auf. Virgil sprang vor lauter Schreck auch auf.
„Ja, Sir!“, gestand er stotternd.
„Okay, wir warten besser auf deine Mutter“, konterte ihr Vater und setzte sich geschockt wieder hin.
„Ja, sollten wir“, erkannte sie tonlos und zog Virgil aufs Sofa zurück.
Zehn Minuten später kam Mrs. Michelli zurück.
„Hey, unsere Tochter gibt uns ja mal die Ehre, schön, dass du da bist, Viv“, begrüßte Mrs. Michelli ihre Tochter erfreut, sah aber dann die bedrückten Gesichter.
„Was ist los?“, erkannte sie, das etwas faul war.
„Deine Tochter hat sich von einem Krankenpfleger schwängern lassen“, sagte Mr. Michelli nur.
„Oh man, manchmal wünschte ich, wir hätten noch andere Kinder und du würdest nicht über Viv reden“, erwiderte ihre Mutter und ließ sich in einen Sessel plumpsen.
„Tut mir leid, Mum, das ich dich enttäuscht habe, ich wollte es dir nur sagen, bevor es sichtbar wird“, erklärte Vivian und legte die Hand auf ihren Bauch.
„Was ist mit der Uni? Du schmeißt auf keinen Fall die Uni“, entschied ihre Mutter streng.
„Ich mach die Uni fertig und dann zieh ich bei ihm ein“, bemerkte sie und nahm Virgils Hand.
„Verdienen Sie genug Geld um eine Familie zu ernähren, Junge?“, fragte Mrs. Michelli, Virgil.
„Ja, Ma’am, das tu ich“, bemerkte Virgil. Er spielte seine Rolle erschreckend gut.
„Gut, wenn ihr was von uns braucht schauen wir, was wir euch geben können, aber es ist nicht mehr viel“, erklärte ihre Mutter plötzlich.
„Danke, aber ich glaub, dass schaffen wir alleine. So, wir müssen dann auch wieder los, ich muss zu einer gewissen Zeit wieder in der Klinik sein. Danke für eure Zeit“, bemerkte Vivian und zog ihren falschen Freund wieder aus der Wohnung ihrer Eltern.
„Okay, entweder wurden meine Eltern durch Androids ersetzt oder sie hatten beide gleichzeitig einen Hirnschlag“, stotterte Vivian, die nicht fassen konnte, dass ihre Eltern so cool reagiert hatten.
„Was auch immer es wahr, wir sollten verschwinden, bevor der Bulleninstinkt von deinem Dad wieder anschlägt und er merkt, dass ich nur Mist erzählt habe“, erkannte Virgil und etwas geplättet gingen sie beide nach draußen. Draußen wartet Orli auf sie.
„Ich dachte, ich kann dir trauen, du linke Sau“, wütete Orli, der seinen Ärger inzwischen auf ein Limit aufgestaut hatte und ging auf Virgil los.
„Lass ihn sofort in Ruhe“, hörte er plötzlich die starke Stimme seiner Ex und er spürte eine 9mm an seiner Schläfe kleben, als er auf der Wiese vor dem Haus auf Virgil eindrosch.
„Sag mir nur eins, bevor du mich erschießt, ist es mein Kind oder ist es sein Kind?“, fragte Orli kühl, der schnaufend gestoppt hatte.
„Ich erschieß dich doch nicht, ich hab meine gute Bluse an und das würde Flecken machen. Könntest du jetzt bitte von meinem Freund runtergehen, bitte?“, fragte sie und er stand langsam auf.
„Dann stimmt es also, ihr seid zusammen?“, fragte Orli und sie packte ihre Waffe weg, die sie mitgenommen hatte, falls ihr Vater etwas bei Virgil überreagiert hätte.
„Nein, sind wir nicht, du Idiot, ich tu nur so, als wäre ich der Vater ihres Kindes, um deinen Arsch zu retten“, erwiderte Virgil und rappelte sich auf, nachdem er sich das Blut von der Lippe gewischt hatte.
„Du spielst ihren Freund?“, verstand Orli nicht.
„Einer muss ja die Verantwortung für den ganzen Mist übernehmen, Virgil ist so lieb und riskiert seinen Job für diese Lüge“, erwiderte Vivian, die in einem plötzlichen Gefühlsausbruch zu weinen begann.
„Tut mir leid, Süße, ich hab dich nur mit ihm gesehen und ihr saht so vertraut aus“, entschuldigte sich Orli, der sie nicht weinen sehen konnte.
„Er ist mein Freund, Orl‘, vermutlich mein einziger grade. Jetzt verschwinde, bevor ich dich wirklich noch abknalle, mir ist nämlich grad eingefallen, dass ich eine gute Reinigung kenne, wo ich die Bluse hingeben könnte“, drohte sie ihm und hektisch eilte er davon.
„Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich es nicht etwas angemacht hat, wie du da mit der Waffe rumgewedelt hast“, entgegnete Virgil und sie versuchte seine Lippe zu verarzten. Er schreckte dabei zurück.
„Keine Angst, ich kann mich nicht anstecken, schon vergessen? Komm, fahren wir in die Klinik zurück, das sollte sich jemand ansehen“, entschied sie und ging mit ihm zum Wagen.
 
Nachdem sie ihn versorgt hatte, ging Vivian zurück an ihre Präsentation, die sie am nächsten Tag halten musste. Ihre Gedanken schweiften ständig ab. Sie konnte den Vorfall mit Orli nicht vergessen. Er hatte sich wirklich ernsthaft in sie verliebt, sonst wäre er nicht so eifersüchtig gewesen. Warum behandelte er sie dann so herablassend? Das Piepen ihrer Tür riss sie aus ihren Gedanken.
„Wer ist da?“, fragte sie müde.
„Ich bin’s“, hörte er die kleinlaute Stimme von Orli.
„Lass mich in Frieden, Orl‘“, bat sie und rieb sich die müden Augen.
„Ich muss mit dir reden, bitte“, bat er. Er klang komisch.
„Ich hab morgen ne wichtige Präsentation, ich hab keine Zeit für deine Kindergarten-Attitüde“, entschied sie genervt.
„Bitte, fünf Minuten“, bat er und sie schnaufte genervt.
„Gut, fünf Minuten, aber dann fliegst du raus“, gab sie nach und die Tür sprang auf. Er streckte einen alten, verfranzten Teddybären durch die Tür, bevor er eintrat.
„Du willst mich also wegen einem wirklich kaputten Teddybären sprechen, nicht dein Ernst, oder?“, fragte sie kopfschüttelnd.
„Das ist mein Teddybär, ich hab ihn zu meiner Geburt bekommen und will das mein Kind den bekommt“, erklärte er ihr.
„Lass den Scheiß, du willst dieses Kind nicht, das hast du ganz deutlich gemacht“, murrte sie.
„Ich lag falsch, bitte verzeih mir das“, bemerkte er trocken.
„Was hättest du gemacht, wenn ich eine Fehlgeburt wegen deinem Blödsinn erlitten hätte? Mich getröstet und mir gesagt, das passiert einfach?“, fragte sie ruppig.
„Du siehst doch jetzt schon, wie es dir schlechter geht, dieses Kind wird dich noch umbringen“, erwiderte er. Er sah noch erschöpfter aus, als sie, als er näher an sie herankam.
„Ich bekomme Medikamente, mir wird es in den nächsten Monaten etwas schlechter gehen als sonst, aber ich werde das überleben, sei nicht so melodramatisch“, entgegnete sie.
„Ja, vermutlich wird es dich nicht umbringen, aber du bräuchtest jetzt eine medizinisch ausgebildete Person, die auf dich Acht gibt“, schlussfolgerte er.
„Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich bin hier in einer Klinik für AIDS-Kranke, ich werde bestens versorgt, danke für deine Fürsorge“, murrte sie.
„Ich wollte ihn nicht schlagen, meine Gefühle sind etwas bei mir durchgegangen, tut mir leid“, entschuldigte er sich.
„Ja, das hab ich gesehen, du hast mich haben können und du wolltest mich nicht, ich bin keine Frau, die verpassten Gelegenheiten hinterher trauert“, erwiderte sie, während sie auf ihrem Schreibpad etwas notierte, was ihr zu ihrer Präsentation eingefallen war.
„Ich liebe dich, Viv“, gestand er plötzlich.
„Jetzt wirst du albern, du kennst mich nicht mal richtig, wie kannst du mich lieben?“, fragte sie kritisch.
„Ich liebe dich seit dem ersten Tag an dem ich dich gesehen habe“, erwiderte er.
„Glaubst du selbst den Mist, den du da verzapfst?“, fragte sie kritisch. Er zog sie hoch und begann sie zu küssen. Während er mit geschlossenen Augen küsste, hörte er das Klicken einer Waffe und spürte den Stahl auf der Schläfe.
„Wenn das irgendein perverses Sexspielchen ist find ich das nicht so anregend“
„Lass mich los“, drohte sie, als sie sich von seinem Kuss lösen konnte.
„Wie hast du das Ding hier reingebracht, wieso brauchst du das Ding überhaupt?“, fragte er und löste den Griff.
„Für meine Verteidigung, die Waffe hab ich von meinem Dad zum 18. Geburtstag bekommen. Küss mich nie wieder ohne meine Genehmigung“, erwiderte sie und legte ihre Waffe auf ihren Tisch zurück.
„Ich liebe dich wirklich, Viv, es ist traurig, dass du nicht so empfindest“, erkannte er nur und ging ohne weitere Worte davon. Als Virgil zur Medikamentenvergabe kam, spielte sie wieder Ballerspiele.
„Na, fertig mit deiner Präsentation?“, fragte er freundlich und setzte sich zu ihr aufs Bett.
„Mach grad Pause, muss mich abreagieren“, erwiderte sie und stellte auf Pause.
„War er bei dir?“, fragte er erkennend und sie nickte.
„Was hat er gemacht?“
„Er hat mich geküsst, mich eingelullt und mir eine Liebeserklärung gemacht“, bemerkte sie.
„Und jetzt seid ihr zusammen, oder wie?“, fragte er verwundert.
„Ach komm schon, für wie blöd hältst du mich, dass ich darauf reinfalle“, entschied sie und er zog den Pen auf.
„Dachte schon, der Kleine ist echt total verknallt in dich“, bemerkte er und spritzte sie.
„Das schlimme daran ist, dass es mir gefallen hat, dass ich ihn auch liebe und jeden Tag daran denke, mit ihm zusammenzukommen“, gestand sie plötzlich.
„Du weißt, dass er das gerade mit angehört hat, oder?“, fragte Virgil erkennend.
„Ja, vermutlich schon und gleich wird er hierher zurückkommen und mir viel zu viele Fragen stellen. Könntest du mich bitte mit ihm alleinlassen, das muss ich klären“, bat sie.
„Klar, ich warte aber draußen auf dich“, erkannte er verständnisvoll und ließ sie allein. Sie wartete, doch er kam nicht. Erst dachte sie, er hätte nicht zugehört und war stinkig nach Hause gegangen, doch dann hörte sie laute Stimmen von draußen.
„Du hast sie nicht verdient, sie ist viel zu gut für dich“, raunzte Virgil und hielt Orli fest, der zu ihr gehen wollte.
„Virge‘, was machst du da?“, fragte sie müde.
„Das frag ich mich auch grad, ich wollte dir nur Blut abnehmen und er ist vollkommen ausgetickt“, erläuterte Orli die Situation, der einen Pen in der Hand hielt.
„Wo warst du vorhin?“, fragte sie neugierig.
„In meinem Büro, ich hab noch andere Patienten außer dir, warum spielt dein Casanova hier Türsteher?“, fragte er genervt.
„Keine Ahnung, ich hab da drin nur gelernt, ich hab’s ihm nicht aufgetragen“, erklärte sie.
„Du warst also nicht im Schwesternzimmer?“, fragte Vigil nach.
„Hab ich doch grad gesagt, bist du jetzt auch noch taub?“, fragte Orli angreifend.
„Wenn hier keine Kamera wäre, hätte ich dich schon längst verprügelt, Pisser“, drohte Virgil ihm.
„Versuch’s doch, das würd ich echt gern sehen“, wurde jetzt auch Orli angriffslustig. Während die beiden Männer sich gegenseitig wie in einem Ring umkreisten, fiel ihr nur eine Möglichkeit ein, das zu stoppen. Sie täuschte einen Ohnmachtsanfall vor.
„Viv“, rief Orli erschreckt und kniete sich zu seiner Ex auf den Boden.
„Wir sollten sie in die Praxis bringen, nimm sie auf die Arme“, bat Virgil und Orli zog sie auf die Arme.
„Mach den Tisch an, bitte“, bat Orli hektisch, als sie in die Praxis eilten und legte sie sanft auf den Untersuchungstisch.
„Was kann sie haben?“, fragte Virgil und strich ihr über den Kopf, nachdem er den Tisch angemacht hatte, der jetzt hell leuchtete.
„Sie ist schwanger und AIDS-krank, das kann so einiges sein“, erkannte Orli und legte das Ultraschallgerät auf ihren Bauch um nach dem Baby zu sehen.
„Gott sei Dank, ihm geht’s gut“, bemerkte er erleichtert, als er das Baby auf dem Display sah.
„Sie kriegt tatsächlich ein Kind von dir“, entgegnete Virgil plötzlich, als wäre das eine Neuigkeit.
„Ja, das tut sie. Ich spritz ihr was, dann wacht sie sicher wieder auf“, bemerkte er ruhig und zog einen Pen auf. Kurz bevor sie gestochen wurden, hielt sie die Hand davor.
„Seht ihr, ihr könnt zusammenarbeiten ohne euch anzumachen“, murrte sie putzmunter, nahm den Pad von ihrem Bauch und setzte sich auf.
„Du hast simuliert?“, fragte Orli verwirrt.
„Es gibt zwei Sachen die Frauen perfekt vortäuschen können, Orgasmen und Ohnmachtsanfälle“, konterte sie und sprang vom Untersuchungstisch.
„Warum zum Henker machst du das denn? Mir ist das Herz in die Hose gerutscht, Menschenskind“, bemerkte Orli und kam zu ihr hin, um sie an sich zu drücken.
„Seht euch doch an, ihr geht aufeinander los wie Wilde, ihr seid nur zu beruhigen, wenn es um mich geht. Dann seid ihr ein eingespieltes Team. Ihr seid Freunde, keine Feinde, verdammt“, schimpfte sie und sah Virgil an.
„Tut mir leid, Mann, dass ich dich geschlagen habe“, bemerkte Orli und reichte Virgil die Hand, während Vivian an ihn gelehnt dastand.
„Du liebst sie, das hab ich jetzt verstanden, ich würde sie auch so verteidigen, wenn ich sie hätte“, erkannte Virgil versöhnlich und reichte ihm die Hand.
„Seht ihr, war doch nicht so schwer“, erwiderte sie, stieß sich von Orli ab und verließ die Praxis wieder.
„Die Frau ist echt der Hammer“, bemerkte Virgil schmunzelnd.
„Oh ja, das ist sie, auch wenn Sie mich nicht lieben kann, so schnell wird sie mich nicht los“, dachte Orli laut nach.
„Du solltest mit ihr reden, sie empfindet mehr für dich, als sie dir sagt, viel mehr“, gestand Virgil.
„Das weiß ich doch, sie hätte das mit dem Baby und meiner Vaterschaft längst publik gemacht, wenn Sie mich nicht so sehr lieben würde, sie will das ich meinen Job behalte“, erkannte er gedankenvoll.
„Bis jetzt wissen in der Klinik nur wir drei von ihrer Schwangerschaft, wir sollten das so lang wie möglich geheim halten, dass ich mir einen neuen Job suchen kann“, bemerkte Virgil.
„Byron weiß es sicher auch, ist ja ihr Therapeut und alles, aber er kann ja Gott sei Dank nicht darüber reden“, erwiderte Orli.
„Hilfst du mir einen neuen Job zu finden? Ich meine, ich spiel hier Vater, obwohl ich keiner bin, allein für dich“, entgegnete Virgil.
„Klar, ich bin dir zu größtem Dank verpflichtet, ich werde mich mal umhören. Ich bin dankbar, dass du dich um sie kümmerst, sie braucht jemanden an ihrer Seite“, bedankte sich Orli und löschte die Aufnahme die sie gerade mit der Sicherheitskamera gemacht hatten.
„Man, ich musst noch nie so oft Beweise vernichten wie in letzter Zeit und ich hab hier so manche Sachen gemacht“, erkannte er und sie gingen nach draußen.
„Ich hab mich um die Kamera im Flur gekümmert“, erwiderte Dr. Jeckyll, der zu ihnen stieß.
„Gehen wir in die Toiletten, da sind keine Kameras“, erwiderte Virgil und schob sie in die Toiletten.
„Ja, das war ne gute Idee“, erkannte Virgil und stellte die Toilettentür in den “In Reinigung“ Modus, dass keiner reinkam.
„Und wir dachten dieser Computerkurs in der Highschool wäre Verschwendung gewesen, wir sind echt geniale Hacker“, erwiderte Orli und setzte sich auf eine Ablage.
„Ja, das sind wir. So viel Aufwand wegen einer Patientin“, erkannte Virgil und setzte sich neben ihn auf die Ablage.
„Sie hat uns alle drei um den kleinen Finger gewickelt“, bemerkte Dr. Jeckyll.
„Dir hat sie nen Kind angedreht“, frotzelte Virgil und sah zu Orli.
„Sie hat mir nichts angedreht, das hat sie nicht geplant!“
„Weißt du das?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Warum sollte sie so was planen, sag mir das?“
„Sie ist ne ganz schön gerissene Kleine, möglich ist alles“, bemerkte Virgil.
„Du versuchst mir so was einzureden, dass ich meine Gefühle für sie überdenke, oder?“
„Schon möglich!“
„Lass das, Virge‘!“
„Ihr seid beide verknallt in sie, oder?“, fragte Dr. Jeckyll, der die Szenerie beobachtet hatte.
„Sei du nicht so überheblich, wenn du nicht auf Männer stehen würdest, wärst du ihr auch schon längst verfallen“, erkannte Virgil und nun sahen beide Dr. Jeckyll an.
„Ja, womöglich, sie ist ja schon ziemlich heiß, das muss ich zugeben. So, was für ein Spielchen spielen wir jetzt bis der Knirps aus ihr raus plumpst?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Ich bin der Vater und ihr Freund, du bist der Psychologe und Orl‘ schmachtet ihr weiter hinterher“, erklärte Virgil den Plan.
„Gut, ich bin nämlich kein guter Schauspieler. So, ich hab dann mal wieder Patienten, schönen Abend noch, meine Hübschen“, entgegnete er und ging nach draußen.

Neuntes Kapitel

 
Es vergingen ein paar Monate und irgendwann konnten sie es nicht mehr verschweigen, Vivian war ganz sichtbar schwanger und es wurde Zeit die Klinikleitung darüber zu informieren. So saßen Virgil und Vivian an diesem Nachmittag im Büro von Virgils Vorgesetzten, während Dr. Jeckyll und Orli eine Therapiesitzung hatten. Orli hatte entschieden ihn nun regelmäßig zu besuchen, denn Vivian hatte noch nicht zu ihren Gefühlen gestanden und ließ ihn in der Luft hängen.
„Und, Schuldgefühle?“, fragte Dr. Jeckyll, als sie nach der Sitzung noch etwas plauderten.
„Schon etwas, ja, aber die beiden kriegen das hin“, bemerkte er tonlos.
„Natürlich kriegen die das hin, das beantwortet aber nicht meine Frage“
„Ja, ich hab Schuldgefühle, er wird da drin grad gefeuert für etwas, was ich getan habe und nicht das erste Mal. Sie hat mir übrigens immer noch nicht gesagt, was es wird, das Baby mein ich“, erkannte er und sah nachdenklich aus dem Fenster.
„Ich weiß es“, entgegnete Dr. Jeckyll tonlos.
„Ja, denk ich mir, das fuchst mich ja am meisten, Virgil der Großartige weiß es sicher auch“, erwiderte er grummelig.
„Ja, ganz sicher weiß er es, er hat sie gestern zum Ultraschall bei ihrer Frauenärztin begleitet“, erkannte Dr. Jeckyll.
„Bisschen übertreiben tut er es schon, oder?“, fragte er mit Eifersucht in der Stimme.
„Was machst du für sie? Gar nichts!“
„Sie will mich nicht um sich herumhaben“, bemerkte er.
„Sie ist von Hormonen gesteuert, sobald der kleine Fratz da ist, wird sie wieder anders sein, keine Sorge“, versprach Dr. Jeckyll.
„Dein Wort in Gottes Ohr, momentan ist sie echt anstrengend“, entschied Orli.
„Dann sei froh, dass du nicht mit ihr zusammenbist, sonst würdest du ihre Launen 24h am Tag abbekommen. Sie sieht schlecht aus, ich mach mir Sorgen um ihr Leben“, erkannte Dr. Jeckyll.
„Ihre Werte sind gut, sie macht ne harte Zeit durch, aber sie wird es überleben“, erklärte Orli.
„Das ist schön zu hören. Musst du heut in die Klinik?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Ja, anscheinend haben sie irgendeinen Fortschritt gemacht, vielleicht kann ich dafür sorgen, dass wir ein Heilmittel finden, wenn sie das nicht mehr zu mir zurückbringt, was dann?“, fragte er schmunzelnd.
„Ja, das wäre echt eine wundervolle Nachricht, für alle hier. Mach dir keinen Kopf, sie wird irgendwann erkennen, dass ihr eine Familie seid“, versprach Dr. Jeckyll.
„Eine Familie ist etwas übertrieben, vermutlich wird Virge sie nach der Geburt noch heiraten, so einsam wie der ist“, frotzelte Orli.
„Du bist privilegiert Orl‘, jeder will was von dir, weil du der Schlüssel zum Aussterben einer der gefährlichsten Krankheiten der letzten hundert Jahre bist, er ist einsam, so wie ich es bin und wie unsere Vorgesetzten es sind, denn AIDS macht einsam, mein Freund“, konterte Dr. Jeckyll und Orli stand auf.
„Tut mir leid, ich vergesse immer, dass ich anders bin als ihr und dass das mir Vorteile verschafft. Ich muss jetzt los, mein privilegiertes Leben wartet“, entgegnete er und ging aus der Praxis.
Auf dem Weg zu seinem Wagen traf er auf Virgil und Vivian. Virgil sah mitgenommen aus und Vivian hielt liebevoll seine Hand.
„N’Abend“, murmelte er, ohne sie groß anzusehen und schob sich an ihnen vorbei.
„Mehr hast du nicht zu sagen?“, fragte Vivian und er sah sie lang und intensiv an.
„Heute nicht, nein, ich bin spät dran“, erkannte er bockig und ging weiter.
„Ist das zu glauben? Du hast grad deinen Job für ihn geopfert und er hat nicht mal ein danke für uns übrig“, erwiderte sie aufgebracht.
„Lass ihn, er spinnt einfach. Ich fang heut Nacht noch in dem Altenheim als Pfleger an, ich wünschte ich hätte noch frei um meine Kündigung zu verdauen“, erkannte Virgil fertig.
„Ja, du siehst fertig aus, das wünschte ich dir auch. Mach aber langsam, du musst dran denken, dass du auch krank bist“, erwiderte sie.
„Das ist doch nur ein Schnupfen“, behauptete er.
„Du hast eine Immunkrankheit, da kann ein Schnupfen schnell was schlimmeres werden“, bemerkte sie besorgt und strich mit der Hand über sein Gesicht.
„Ich hatte schon Erkältungen während meiner Krankheit, ich komm schon klar“, erklärte er und hielt ihre Hand fest.
„Lass dich einfach von ihm untersuchen, wenn du mit der Arbeit fertig bist, meinetwegen“, bat sie.
„Okay, überredet, wenn ich mich dann noch hierschleppen kann, lass ich mich von Dr. Grummelheini untersuchen. Du legst dich jetzt auch hin, der Kleine hier drin braucht Ruhe und du vor allem“, erwiderte er und griff ihr an den Bauch. Virgil war der Einzige, der das tun durfte.
„An manchen Tagen wünschte ich, ich hätte niemals mit dieser Prostituierten geschlafen“, entgegnete Virgil plötzlich.
„So hast du dich also infiziert, hab mich schon gefragt, wann du das mal erzählst“, konterte sie und ging mit ihm zu ihrem Zimmer.
„Nicht was, worauf man stolz sein kann. Ich weiß, du hast bald Prüfungen und so, aber du gehst jetzt schlafen, kein Lernen mehr, klar?“, bat er und folgte ihr ins Zimmer.
„Bin viel zu müde dafür, keine Sorge. Für dich gilt aber das Gleiche. Wenn du Fieber kriegst, gehst du heim, verstanden?“, fragte sie und er nickte.
„Schlaf schön, wir gehen morgen zusammen frühstücken, ich bin um sieben Uhr fertig mitarbeiten, dann können wir uns um Acht im Café treffen, okay?“, fragte er zurück und sie nickte.
 
Während Virgil zu seiner neuen Arbeitsstelle fuhr, war Orli in der Klinik angekommen. Sie machten alle sechs Monate mehrere Tests mit ihm, die über seine Bluttests hinausgingen.
„Guten Abend, Dr. Hawks, schön, dass Sie kommen konnten“, begrüßte der Immunologe ihn, als Orli zu ihm kam.
„Sie sind so weit mit den Forschungsergebnissen, dass es eine Schande wäre, nicht zu kommen“, erwiderte er und zog seine Jacke aus.
„Auch wahr. Legen Sie sich auf den Untersuchungstisch“, bemerkte der Mediziner und er tat es. Die Untersuchungen sollten ne Weile dauern und er dämmerte in einen leichten Schlaf.
Am nächsten Morgen trafen sich Virgil und Vivian wie abgemacht in einem Cafe.
„Morgen, du siehst erholter aus“, begrüßte Virgil seine Bekannte, als sie sich an den Tisch setzte.
„Hab tief und fest geschlafen, dass du gut aussiehst sag ich jetzt nicht, denn das wäre gelogen“, schmunzelte sie und fuhr mit der Hand über seine müden Augen.
„Ja, ich muss nach dem Frühstück dringend ins Bett. Der erste Arbeitstag war okay, ist interessant mit so alten Menschen zusammen zu sein. Aber ich vermisse die Klinik jetzt schon“, erzählte er und begann über seine Nacht zu berichten.
Zur gleichen Zeit stand Orlis Wagen verlassen auf dem Parkplatz des Krankenhauses. Dr. Jeckyll, der den Parkplatz von seinem Büro aus sah, sah den Wagen länger an. Warum war sein Kollege in der Klinik? Er nahm sich doch nach diesen anstrengenden Tests sonst immer den Tag danach frei.
„Orl‘, hörst du mich, bist du heute doch hierhergekommen?“, fragte er über sein Headset, was an seinem Ohr klebte, bekam aber keine Antwort. Er tippte eine andere Kurzwahl.
„Schwester Monique, ist Dr. Hawks heute in der Klinik?“, fragte er eine Schwester auf Orlis Station.
„Dr. Hawks hat sich gestern für 48 Stunden freigenommen, warum fragen Sie?“, fragte Schwester Monique.
„Nur so, sein Wagen steht auf dem Parkplatz“, erwiderte Dr. Jeckyll.
„Dann weiß ich es auch nicht, ich sag Ihnen Bescheid, wenn ich mehr weiß, ich muss jetzt aber los, eine Patientin hat sich grade übergeben“, erklärte die Schwester und legte auf.
„Okay, das war ja nicht grade informativ“, murmelte er vor sich hin und ging zum Parkplatz, um nachzusehen. Orlis Wagen war nicht verschlossen und die Jacke, die er am Tag zuvor getragen hatte lag auf dem Beifahrersitz.
„Oh man, Orl‘, was hast du jetzt schon wieder getan? Bitte lass mich nicht deinen mit medizinischem Alkohol vergifteten Körper im Kofferraum finden“, bemerkte er drückte einen Knopf im Wagen, dass der Kofferraum aufsprang. Langsam ging er um den Wagen herum. Im Kofferraum lag keine Leiche, aber eine Box mit Pens.
„Bist du jetzt unter die Drogendealer gegangen, mein Freund?“, redete er mit sich selbst und las die Inschrift der Box. Er kannte nicht viele Medikamente beim Namen, aber dieses Medikament kannte er zu gut. Er hatte nur zwei Jahre zuvor gegen seine Legalisierung demonstriert. Es war ein Medikament für einen humanen Selbstmord. Ein Pen fehlte.
„Nein Orl‘, du bist doch die Lösung für ein wichtiges Problem der Menschheit, warum machst du das?“, fragte er entsetzt, weil er davon ausging, dass sein deprimierter Freund Selbstmordgedanken hatte.
Er wählte Orlis Nummer. Er hörte das Klingeln in seinem Wagen. Das beunruhigte ihn noch mehr, denn Orli nahm sein Headset sonst nie ab. Er fand es auf dem Boden des Beifahrersitzes.
Hektisch wählte er Virgils Nummer.
„Virge‘, ich bin’s Byron, ich hoff ich weck dich nicht, es gibt ein Problem“, erkannte Dr. Jeckyll.
„Ich bin grad mit Viv Frühstücken und danach bin ich für nichts mehr zu gebrauchen, ich gehör ins Bett“, entschied er.
„Es geht um Orl‘, ich glaub er tut sich was an“, erklärte Dr. Jeckyll.
„Lass die blöden Witze, By‘“, entgegnete Virgil erschreckt.
„Wieso sollte ich über sowas einen Witz machen?“, fragte Dr. Jeckyll verärgert.
„Ich bin in fünfzehn Minuten in der Klinik“, erwiderte Virgil ernst und legte wieder auf.
„Was ist?“, fragte Vivian, als Virgil entsetzt auflegte.
„Wir müssen in die Klinik, sofort“, forderte Virgil und stand auf.
„Ist was passiert?“, fragte Vivian, dem der ernste Gesichtsausdruck ihres Kumpels nicht gefiel.
„Das weiß ich noch nicht genau, lass uns gehen“, bat er und ging mit ihr eilig zum Wagen.
„Sprich mit mir, Virge‘, ist was mit Orli?“, fragte Vivian mit ernstem Ton.
„Das wissen wir nicht genau, Byron hat so ne Ahnung“, druckste er nur herum.
„Was heißt ne Ahnung? Schon mich nicht, weil ich den Bastard von ihm rumtrage, was ist mit ihm?“, fragte sie lauter.
„Das willst du nicht hören, Viv!“
„Ich hab meine Waffe zwar nicht dabei, aber glaub mir, ich weiß auch, wie man mit Händen tötet“, drohte sie ihm.
„Okay, beruhig dich, denk an dein Kind!“
„Meinem Kind geht’s gut, spuck’s aus!“
„Na gut, Byron meint, Orli tut sich was an, er hat eine Box von Suidex2000 in seinem unverschlossenen Wagen gefunden und ein Pen fehlt. Von Orli fehlt jede Spur“, erklärte er stockend.
„Oh Gott nein, das macht er doch nicht, oder?“, fragte sie und ihre Knie gaben nach.
„Wow, langsam, siehst du, es stresst dich zu sehr“, fing Virgil seine Freundin auf.
„Mir geht’s gut, ich musste die Nachricht erst mal verdauen, das ist alles. Fahren wir erst mal zur Klinik“, behauptete sie und er brachte sie zum Beifahrersitz.

Zehntes Kapitel

 
Zwei Stunden später döste Virgil auf der Couch auf der Schwesternstation, während Vivian und Dr. Jeckyll herumtelefonierten.
„Danke Mrs. Hawks, ich meld mich bei Ihnen, wenn ich mehr weiß“, telefonierte Dr. Jeckyll mit Orlis Mutter und tippte am Headset das Gespräch weg, als er es beendet hatte.
„Verdammt, wo ist er?“, murmelte er vor sich hin.
„Dr. Jeckyll, ich hab die Aufnahme der Überwachungskamera auf dem Parkplatz grad bekommen“, erwähnte Vivian, die an ihrem Display saß.
„Eines Tages möchte ich auch mal das Kind eines Polizisten sein, Sie kriegen wirklich alles hin“, erkannte er mal wieder verblüfft über ihre Talente.
„Meine Augen überall werden uns helfen ihn zu finden bevor er … bevor er, man ich kann’s nicht mal aussprechen“, erwiderte sie den Tränen nahe.
„Bis jetzt ist es nur eine Vermutung, vielleicht lieg ich ja auch komplett falsch, sehen wir uns erst mal die Aufnahme an“, entschied er und legte seine Hände beruhigend auf ihre Schultern, als sie die Aufnahme abspielte.
„Mal sehen, er ist um ca. 17 Uhr hier weg um zu seiner Untersuchung zu gehen, schauen wir mal, wann er zurückgekommen ist“, erwiderte er und schob die Zeitleiste bis auf 20 Uhr.
„Da, da ist sein Wagen“, schrie sie fast auf, als sie auf dem Band ihren Ex-Freund sah, wie er in den Parkplatz einfuhr. Er hielt und stieg aus. Sie drückte auf Pause.
„Er ist hierher zurückgekommen, warum kommt er zurück in die Klinik?“, fragte Vivian.
„Vielleicht gab es gute Nachrichten, ich sollte ihnen das zwar noch nicht sagen, aber die entwickeln dank ihm eine Heilung gegen den Virus“, erklärte er.
„Wirklich? Er wird sich doch nicht umbringen, wenn er das weiß, oder?“, fragte sie hoffend.
„Sehen wir uns die Aufnahme an und schauen wo er hin ist“, entgegnete er und lies das Band wieder laufen.
„So, da sucht er was in seinem Wagen, da verliert er vermutlich sein Headset. Sehen Sie da, er geht nicht zum Kofferraum, er muss den Pen früher mal benutzt haben, vielleicht ist er einer dieser “Todesengel“ von dem gerüchteweise gesprochen wird, nicht dass ich das gutheiße, aber das schließt aus, dass er sich umbringen will. Okay Todesengel, wo bist du hingegangen?“, sah er sich erleichtert weiter das Band an. Was sie als nächstes sahen, klärte das Verschwinden ihres Freundes auf, aber schockierte sie auch zutiefst. Ihr Freund wurde in einen Van gezogen und entführt.
„Man, das hätte ich jetzt nicht erwartet“, stotterte Dr. Jeckyll.
„Ich muss meinen Dad anrufen“, erwiderte sie und stand auf.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte er besorgt.
„Nicht wirklich, nein“, entschied sie tonlos und ging in Richtung ihres Zimmers.
Da sie am Telefon ziemlich aufgekratzt geklungen hatte, entschieden ihre Eltern, zu ihr zu kommen.
„Hey Kleines, wir sind so schnell gekommen wie wir konnten. Du siehst furchtbar aus,“, bemerkte Mrs. Michelli, als sie ihre Tochter sah.
„Danke Mum, das kann ich in der Situation gebrauchen, deine Kritik“, murrte sie erschöpft.
„Ich meinte nur, dass du müde aussiehst, meine Kleine, schläfst du auch richtig?“, fragte ihre Mutter und setzte sich zu ihr aufs Bett.
„Sie schläft genug, Lilah“, erwiderte Virgil, der zu ihnen stieß. Lilah hatte dem Pseudo-Freund ihrer Tochter angeboten sie bei ihrem Vornamen zu nennen.
„Was man von dir nicht sagen kann, Junge, man siehst du alt aus, heute“, begrüßte Lilah ihn mit einem Küsschen auf die Wange.
„Ich komm grad aus der Nachtschicht und hab grad auf dieser unbequemen Couch im Schwesterzimmer gepennt“, erklärte er und rieb seinen Nacken.
„So Kinder, jetzt erzählt mir mal, warum ich meinen Nachfolger anrufen musste, dass er mir eine Aufnahme einer Überwachungskamera sendet“, bat Dustin und sie setzten sich.
Vivian erzählte ihnen was sie wusste.
„Darf ich mal an deinen PC? Ich überprüfe diesen Doktor mal, dass ich weiß, was sein Background ist“, plante Dustin und sie ließ ihn an ihren Rechner.
„Okay, hier haben wir ihn, Orlando Hawks, geboren als Orlando Messina, Eltern Anita Hawks und Roberto Messina, ich hab doch gewusst das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, er sieht seinem alten echt verdammt ähnlich“, erklärte Dustin, als er die Daten auf dem Display präsentierte.
„Er ist der Sohn von Roberto Messina?“, fragte sie stotternd und wurde bleich.
„Ja, steht hier schwarz auf weiß, ich bin nur froh, dass du dich von einem Krankenpfleger schwängern lassen hast und nicht von dem Kerl. Die Polizei sucht seinen Vater seit 15 Jahren erfolglos“, erklärte er weiter.
„Ja, Gott sei Dank“, bemerkte sie verdächtig und fasste sich an den Bauch.
„Das Baby ist doch von Virgil, oder?“, fragte er nach und drehte sich zu ihr.
„Ja, klar, warum sollte es nicht von ihm … nein, ist es nicht“, gestand sie herumdrucksend.
„Oh man, Kind, du willst mir noch unbedingt einen Herzinfarkt verschaffen, oder?“, fragte Dustin.
„Nein, Dad, wollte ich nicht, aber wir beide haben die kleine Farce hier aufgebaut, dass Orli seinen Job behält, wenn es dich beruhigt, gedankt hat er uns dafür noch nicht“, erklärte sie und ergriff Virgils Hand.
„Arrogant ist der Kerl, genauso wie sein Vater, ihr seid also nicht zusammen?“, fragte Dustin und Virgil schüttelte den Kopf.
„Du kümmerst dich aber weiter um meine Tochter und das Baby, oder?“, fragte Dustin hoffend und Virgil nickte.
„Gut, schön zu hören. Also Kind, der Vater deines Kindes kann von jedem mitgenommen worden sein, vom FBI bis zu den Calabreros. Beim FBI kann ich nachfragen, wenn ich die Calabreros kontaktiere wächst dein Kind ohne Vater und ohne Großvater auf“, gestand er und stand wieder auf.
„Töten die Calabreros ihn?“, fragte sie weinerlich.
„Höchstwahrscheinlich!“
„Dustin!“, raunzte Lilah.
„Was? Sie wollte es wissen!“
„Deine Tochter ist krank und schwanger, ein bisschen einfühlsamer hättest du es ihr schon beibringen können“, murrte Lilah und Virgil nahm seine Bekannte in den Arm, als sie zu weinen begann.
„Jetzt malen wir nicht den Teufel an die Wand, ich ruf meinen Kontakt beim FBI an und frag ihn, ob sie ihn haben, wenn es so ist, ist er in 24 Stunden wieder bei euch. Liebst du den Knilch?“, fragte Dustin.
„Ja, das tut sie“, warf Virgil etwas traurig ein.
„Meine Tochter liebt den Sohn des größten Waffenschiebers der USA, man, das erste Mal bin ich froh, dass ich nicht mehr Polizeichef bin und das erklären muss“, erkannte Dustin und ging nach draußen um zu telefonieren.
„Ich geh auch mal telefonieren, ich hab Freunde, die Freunde kennen, ihr wisst schon, italienische Bekannte von der die Presse nichts wissen sollte“, gab auch Lilah zu kein Unschuldslamm zu sein und verschwand auch.
„Du hast gewusst wer er ist, oder?“, fragte Vivian, als sie sich etwas gefangen hatte.
„Ich kenn ihn seit der Highschool, dass ein oder andere Detail wusste ich, ja. Nicht viele wissen, dass sein Stiefvater nicht sein richtiger Vater ist. In der Klinik wissen es nur Byron und ich“, erklärte er.
„Virge‘, hey, ich hab’s grad gehört, ist er wirklich entführt worden?“, fragte Marlis, die in ihr Zimmer gestürmt kam.
„Marlis?“, fragte sie verwundert.
„Viv, hey, dir geht es ja gut, Orlando hat mir immer gesagt, du würdest im Sterben liegen, wenn wir uns unterhalten haben“, erkannte sie.
„Witzig, mir hat er gesagt du bist sein suizidgefährdetes Wrack. Warum hat er das getan?“, fragte Vivian verwirrt.
„Vermutlich wollte er nicht, dass du rausfindest, dass ich zwei Jahren mit ihm zusammen gewesen bin. Wie ich sehe bist du nicht todkrank, sondern schwanger. Von ihm?“, fragte Marlis und deutete auf Vivians Bauch.
„Ja, von ihm. Man, wenn die Calabreros ihn nicht töten, tu ich’s, ganz eindeutig“, murmelte sie wütend.
„Er hat es dir erzählt, wer er ist, mein ich?“, fragte Marlis.
„Okay, dass sie es auch gewusst hat, hab ich jetzt nicht gewusst, glaub mir“, entgegnete Virgil.
„Wenn wir nicht mitten in einer Prohibition wären und ich nicht schwanger wäre, würde ich mir echt so was von einen genehmigen“, dachte sie laut nach.
„Ich auch, Süße, ich auch. Kannst du das Blutsbrüder und Blutsschwesternnetzwerk befragen, ob jemand was gehört hat? Sie sind ja das Ohr auf der Straße“, bat Virgil und Marlis ging davon, nachdem sie versprochen hatte zu machen, was sie konnte.
„Sie ist also nicht geisteskrank und selbstmordgefährdet?“, fragte sie noch mal nach.
„Sie leitet die Selbsthilfegruppe hier, das wäre nicht so gut, glaub ich!“
„Ich werde ihn nicht töten, nur kastrieren, dann hat es sich mit dem Dr. “Oh mein Gott““, entschied sie.
„Machst du jetzt Witze um deine Sorge um ihn zu kaschieren?“, fragte Virgil und sie legte ihren Kopf auf seinen Schoß.
„Ja, tut mir leid, meine Hormone spielen verrückt, wie du vermutlich schon bemerkt hast. Du bist so ein starker Mann, obwohl ich in deinen Armen liege, weißt du genau, dass ich nur ihn lieben kann“, bemerkte sie, während sie eindöste. Als sie eingeschlafen war, stand er schwerfällig auf. Er hatte Fieber und war ziemlich wackelig auf den Beinen. Kurz vor dem Türrahmen sackte er auf die Knie und wurde ohnmächtig.

Elftes Kapitel

 
Als Virgil wieder erwachte, lag er auf der Isolierstation und seine Bekannte sah ihn hinter einer Scheibe an.
„Was ist passiert?“, fragte er benommen.
„Du Idiot“, sagte sie nur durch die Lautsprecher.
„Ich hab dich auch lieb, Schätzchen“, murmelte er.
„Du hast ne Grippe, hab ich dir nicht gesagt dass du dich schonen sollst?“, fragte sie verärgert.
„Ich hab ja nicht grad an einem Marathon teilgenommen. Hab ich dich angesteckt?“, fragte er und sie schüttelte den Kopf.
„Wenigstens etwas. Guck nicht so besorgt, ich überleb das, versprochen“, erwiderte er.
„Das will ich dir auch geraten haben, ich will dieses Kind nicht allein großziehen“, entgegnete sie und fasste auf ihren Bauch.
„Du wirst nichts dergleichen tun, sie werden ihn finden und ich bin ein zäher Brocken, ich werde Virgil jr. auf meinem Arm halten, wenn er geboren wird“, erkannte er.
„Das glaub ich kaum!“
„Ich werde nicht sterben, versprochen!“
„Ich mein eher das mit Virgil jr., mein Sohn wird Jonathan heißen“, erklärte sie und lächelte ihn matt an.
„Okay, dann Jonathan, warum Jonathan?“, fragte Virgil und hustete.
„Nach meinem Vater, du willst deinen Sohn nach deinem Großvater benennen?“, entgegnete Dustin, der zu seiner Tochter kam.
„Ja, ich hab ihn geliebt und er war ein toller Mann“, bemerkte sie und Dustin küsste den Kopf seiner Tochter. Das war das erste Mal seit ihrer Diagnose, dass ihr Vater sie nur berührte. Sie schloss zufrieden die Augen, als er dies tat.
„Ich hab mit dem FBI telefoniert, Sie haben ihn leider nicht, Kleines“, erläuterte er und kniete sich zu ihr runter.
„Heißt, dass, das er tot ist?“, fragte sie weinerlich und Virgil, der dies auch gehört hatte, kniff frustriert die Augen zusammen.
„Bis jetzt sind keine Leichen mit seinem GIS aufgetaucht, sie hätten ihn sofort getötet, wenn sie das gewollt hätten. Vielleicht ist ja durchgesickert was sein Marktwert ist und jetzt experimentieren sie an ihm“, erklärte Dustin.
„Auf welche Weise ist das besser, wenn sie ihn wie ein Versuchskaninchen behandeln?“, fragte sie frustriert.
„Ich glaub nicht, dass sie das von ihm wissen, was die mit ihm machen wissen nur unser Oberarzt, ich, Byron und die Ärzte dort“, mischte sich Virgil ins Gespräch ein.
„Ich weiß es auch noch, aber ich habe niemanden davon erzählt, versprochen“, schniefte sie.
„Das glaub ich dir, meine Süße, dich trägt keine Schuld. Die finden ihn, keine Sorge, du darfst dich aber nicht aufregen, denk an dein Kind“, bat Virgil und hustete wieder.
„Mir geht’s bestens, du bist hier grad eher das Problem. Du gefällst mir gar nicht“, erkannte sie und stand auf. Virgil setzte sich auf einen Rollstuhl und fuhr zur Scheibe.
„Ich würd dich gern in den Arm nehmen, aber dann würde ich mich anstecken“, erwiderte sie und legte ihre Hand aufs Glas. Er tat dasselbe.
„Ja, würdest du, bin froh, dass ich dich nicht schon angesteckt habe. Es muss sich jemand um meinen Hund kümmern, meine Gran ist nicht in der Stadt“, erwiderte er.
„Das können wir machen, ich brauch nur deinen Wohnungscode“, entschied sie.
„Nein, brauchst du nicht“, schmunzelte er.
„Wie meint er das?“, fragte Dustin.
„Keine Ahnung, muss das Fieber sein“, druckste sie herum.
„Hab mir schon gedacht, dass du den Code hast“, realisierte Dustin gar nicht verärgert.
„Sorry, Dad!“
„Hab ja nicht gehört, dass du irgendwo eingebrochen wärst, schon gut“, entgegnete er.
„Weißt du noch vor einem Jahr, als mit Chance Schluss war und du mich groß und breit verteidigt hast, dass ich mit seinem kahlrasierten Kopf nichts zu tun hatte? Hatte ich doch“, gestand sie und lächelte matt.
„Der hatte es verdient, sonst hätte ich es gemacht, keine Sorge. Auch wenn ich manchmal falsch reagiert habe, ich stehe hundertprozentig hinter dir“, erklärte ihr Vater.
„Danke, das bedeutet mir sehr viel, Dad, danke. Ich hab eine Idee die uns helfen kann ihn zurückzuholen, aber dafür brauchen wir Roberto Messina“, erklärte sie.
„Ja, das weiß ich, aber er hat sich in den letzten 20 Jahren erfolgreich vor mir verborgen, ich weiß nicht wo er ist, mein Schatz“, plante Dustin und strich ihrer Tochter über den Kopf.
„Dann werden wir ihn finden und er kann dann mit wem auch immer verhandeln um ihn zurückzuholen“, plante sie.
„Er ist untergetaucht, verstehst du nicht? Ich weiß nicht, wo er ist“, versuchte er ihr verständlich zu machen.
„Wenn du mir nicht helfen willst, werde ich Orlandos Mutter fragen“, bemerkte sie standhaft.
„Ich hab seine Mutter über eine Millionen Mal befragt in den letzten 20 Jahren, sie weiß nichts“, versprach er.
„Sie weiß es, sie wissen es immer“, erkannte Lilah, die zu ihrer Familie kam.
„Fährst du mich zu ihr?“, fragte Vivian ihre Mutter.
„Ja, mache ich. Wenn du nicht den Anstand hast, den Vater deines Enkels zu retten werden wir es tun müssen“, erwiderte Lilah und half Vivian hoch.
„Das ist Irrsinn und wahnsinnig gefährlich“, bemerkte Dustin besorgt.
„Ich rede nur mit seiner Mutter, mehr mach ich nicht“, entschied Vivian und folgte ihrer Mutter zum Wagen.
„Ich hab die Adresse rausgefunden, sie wohnt nicht weit weg von hier. Denkst du, sie weiß es?“, fragte Lilah, als sie mit ihrer Tochter in ihrem Wagen durch die Stadt fuhr.
„Dad hat rumgeschnüffelt, die Polizei hat es ihr sicher schon gesagt. Und wenn nicht, werden wir es ihr erklären. Es tut mir leid, dass ich euch angelogen habe wegen Orlando und der ganzen Babygeschichte, es war nur so viel einfacher“, entschuldigte sie sich.
„Er hat dich und das Baby verleugnet, da war es einfacher, einen Schwulen als Vater auszugeben, das verstehe ich“, entgegnete ihre Mutter.
„Virgil ist nicht schwul, Mom!“
„Oh, ich dachte weil ihr so vertraut seid und trotzdem nicht zusammen!“
„Wir sind beste Freunde inzwischen, aber er steht eindeutig auf Frauen“, erklärte sie.
„Er liebt dich, aber du liebst ihn nicht, oder?“, fragte ihre Mutter sie ernst und sie nickte.
„Du musst ihn nicht abweisen, nur weil du das Kind eines andren unter dem Herzen trägst. Deine Großmutter hat meinen Vater auch geheiratet, als sie schon von einem anderen schwanger war“, erwiderte ihre Mutter.
„Ich warte nicht auf ihn, weil er der Vater meines Kindes ist, ich warte auf ihn, weil er für mich bestimmt ist“, bemerkte sie philosophisch.
„Für dich bestimmt? Dein Leben ist kein Schundroman, das ist die Realität. Die Realität sieht so aus, dass du eine Nacht mit ihm verbracht hast und er seinen Spaß hatte, aber jetzt nichts mehr mit dir zu tun haben will. Aber Virgil ist da und wenn du ihn darum bittest würde er dich auch heiraten und bis zu seinem Lebensende lieben“, erklärte ihre Mutter.
„Auch wenn dein Vater eine echte Bereicherung für das Leben deiner Mutter war, für mich wäre dieses Leben nichts, mein Herz gehört ihm, nicht Virgil, versteh das doch“, bemerkte sie erklärend.
„Das sind deine Hormone die verrücktspielen, ich war genauso drauf, als ich mit dir schwanger war. Lass es dir durch den Kopf gehen, Virgil ist wirklich nicht die Schlechteste Wahl die du treffen könntest“, bat ihre Mutter und hielt vor dem Haus der Hawks an.
„Mal sehen“, bemerkte Vivian trocken und stieg aus dem Wagen. Ihr Fünfmonatsbauch ließ sie immer schwerfälliger werden, was der sonst aktiven jungen Frau deutlich unangenehm war.
„In sechs Monaten bist du wieder die grazile Frau, die du vorher warst, nur mit nem Kind auf dem Arm“, versprach ihre Mom, der ihr Unwohlsein auffiel.
„Nichts ist mehr wie vorher, Mom, als er heute zusammengebrochen ist, hab ich realisiert wie krank wir sind. Du kümmerst dich doch um meinen Sohn, falls wir das nicht überleben, oder?“, fragte sie ernst und ging die Stufen zum Haus hoch.
„Ja, das weißt du doch, aber ihr werdet nicht sterben, keine Sorge, Virgil wird wieder gesund, die Grippe wird ihn etwas außer Gefecht setzen für ne Weile, aber gestorben wird hier nicht“, konterte sie und folgte ihr. Vivian klingelte an der Tür.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, erkannte sie nur und die Tür sprang auf.
„Ja?“, fragte Mrs. Hawks, die mit verweintem Gesicht vor ihr stand.
„Sie wissen es also schon“, brachte sie nur aus ihrem Mund hervor.
„Wer sind Sie?“, fragte Mrs. Hawks und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Ich bin Vivian, Vivian Michelli“, stellte Vivian sich vor.
„Muss ich Sie kennen?“, fragte Mrs. Hawks und musterte sie.
„Nein Ma’am ich bin eine Freundin Ihres Sohnes, wir brauchen Ihre Hilfe“, konterte Vivian, die sich schnell darauf einstellte, dass seine Mutter ganz eindeutig nicht wusste, wer sie war.
„Mein Sohn ist entführt worden, ich hab jetzt wirklich keine Zeit dafür“, bemerkte Mrs. Hawks durcheinander.
„Das wissen wir, Sie können aber helfen, ihn zurückzuholen“, mischte sich Lilah ein.
„Und wer sind Sie?“
„Das ist meine Mutter“, erkannte Vivian nur.
„Warum ist Sie bei Ihnen?“, fragte Mrs. Hawks.
„Können wir reinkommen?“, fragte Lilah.
„Geben Sie mir nen Grund warum ich das tun sollte!“, entgegnete Mrs. Hawks misstrauisch.
„Ich trage grade Ihren Enkel aus, reicht das?“, fragte Vivian cool und schob ihre Jacke an beiden Seiten zur Seite um ihren Babybauch zu präsentieren.
„Kommen Sie rein, wollen Sie Kaffee?“, fragte Mrs. Hawks stockend und ließ sie rein.
„Nein, im Moment nicht. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, tut mir leid, vor allem, weil er es verschwiegen hat, aber nur so haben Sie uns rein gelassen“, entschuldigte sich Vivian.
„Ich habe nicht viel Geld, wie viel wollen Sie denn?“, fragte sie und nahm ihre Handtasche zur Hand.
„Ich will kein Geld von Ihnen, ich möchte, dass sie Ihren Ex für mich anrufen“, bemerkte Vivian trocken.
„Zu spät, mein Ex-Freund ist heute Morgen erschossen worden“, erwiderte Mrs. Hawks und sah sie mit glasigen Augen an.

Zwölftes Kapitel

 
„Darum weinen Sie, Sie betrauern den Verlust Ihrer großen Liebe“, schlussfolgerte Vivian und so wie sie es sagte wusste Mrs. Hawks, dass Sie aus Erfahrung sprach. Sie fiel der überraschten Vivian um den Hals und weinte bitterlich.
„Jetzt weiß ich endlich, wer die mysteriöse Frau ist, der er seit Monaten hinterher trauert“, realisierte Anita Hawks gefasster, als sie im Wohnzimmer auf dem Sofa saßen.
„Er hat nie etwas gesagt, er hat mir eine Liebeserklärung gemacht, ja, aber dann kam gar nichts mehr von ihm, keine romantische Geste, gar nichts und jetzt ist er von irgendwelchen Leuten entführt worden, die ihn vermutlich umbringen werden, weil sie Person die sie haben wollten nicht mehr kriegen können“, erwiderte Vivian und begann auch zu weinen.
„Du weißt also, wer ihn hat?“, fragte Mrs. Hawks und sie sah mit verweinten Augen auf.
„Mein Dad meint die Calabreros“, erläuterte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Die Calabreros? Nein, die haben ihn nicht, ganz sicher nicht“, versprach Mrs. Hawks.
„Sind die nicht im Streit mit Ihrem Ex-Freund gewesen? Warum sind Sie sich so sicher?“, fragte Vivian und sah sie mit fragenden Augen an.
„Weil mein richtiger Nachname weder Hawks noch Messina ist, ich bin eine geborene Calabrero“, erklärte Mrs. Hawks.
„Das erklärt warum Sie nicht mehr mit seinem Vater zusammen sind. Wenn sie ihn nicht haben, wer hat ihn dann entführt?“, fragte Vivian, aber Mrs. Hawks hatte keine Antwort.
Es war schon dunkel als Lilah ihre Tochter zurück in die Klinik fuhr. Vivian starrte mit leeren Augen in die Nacht. Der Besuch hatte sie noch mehr verstört.
„Warum hab ich ihm nie gesagt, dass ich ihn liebe?“, fragte sie ihre Mutter und sah sie mit leeren Augen an.
„Du wirst es ihm noch sagen können, hörst du? Du wirst es ihm euer ganzes gemeinsames Leben sagen“, erkannte ihre Mutter.
„Du hast verstanden was ich für ihn empfinde, oder?“, fragte sie und ihre Mutter nickte mit einem sanften Lächeln.
„Vor einem Jahr wollte ich nur beliebt sein und meinen Abschluss machen, jetzt ist alles so anders. Ich hatte früher keine Freunde, nur Bekanntschaften, die drei Männer da in der Klinik haben mir erst klar gemacht, was Freundschaft überhaupt bedeutet. Jeder von den dreien würde sich für mich vor einen Zug werfen und ich weiß das nicht zu schätzen“, erkannte sie.
„Jetzt sind es schon drei Männer?“, fragte ihre Mutter etwas entsetzt.
„Byron, mein Psychologe, keine Sorge, der steht auf Männer!“
„Gott sei Dank, langsam wär’s nämlich echt kompliziert geworden“, schmunzelte ihre Mutter.
„Ich will ins Bett“, entgegnete Vivian nur.
„Klar, Schätzchen, wir sind gleich da“, erwiderte ihre Mutter und sah wieder auf die Straße.
 
Zur gleichen Zeit wurde Dr. Orlando Hawks nach längerer Ohnmacht in einem alten Lagerhaus wach. Sie mussten ihm ein starkes Betäubungsmittel gespritzt haben, er sah immer noch nicht richtig. Er fasste mit seiner linken Hand nach etwas zur Verteidigung, bekam aber nichts zu greifen.
„Sieh mal an, wer da wieder wach ist, der Doc“, hörte er eine ihm unbekannte Stimme.
„Was macht ihr mit mir?“, fragte er erschreckt, weil er nur Umrisse sah.
„Wir kidnappen dich, du kannst Fragen stellen, also ehrlich“, bemerkte der Typ wieder überheblich.
„Ihr wisst nicht, mit wem ihr euch angelegt habt. Ich bin der Sohn von Anita Calabrero und Roberto Messina“, drohte er ihm.
„Ja klar und ich bin der Osterhase, hör auf mit dem Scheiß“, donnerte der Kerl ihm entgegen.
Orli donnerte ihm jedes italienische Schimpfwort an den Kopf, was ihm einfiel.
„Okay, Italiener bist du ganz eindeutig, aber wegen deinen Alten bist du nicht hier, wer auch immer die sind. Du bist die Lösung eines Problems und das können wir nicht zulassen“, erklärte der Mann.
„Das könnt ihr nicht tun, Millionen Menschen sterben jeden Tag an dieser Krankheit, ich kann dafür sorgen, dass das aufhört“, entgegnete er.
„Weißt du wie viele Millionen Dollar mit den AIDS-Medikamenten verdient wird? Wenn es ein Heilmittel gibt verlieren meine Bosse ihr Geschäft“, entschied der Kerl.
„Das ist nicht euer Ernst, oder? Das Leben von Millionen Menschen ist doch nicht mit Geld aufzuwiegen“, zeterte er.
„Das werden wir ja sehen, wenn wir unsere Forderungen gestellt haben. Die Wirkung des Medikaments wird noch ne Weile andauern, schon deine Kräfte“, konterte der Mann kühl und er schwieg wieder.
 
Lilah versuchte an diesem Abend ihre Tochter davon zu überzeugen zu ihnen zu kommen, aber sie wollte bei Virgil bleiben. Dr. Jeckyll gab ihr ein leichtes Schlafmittel was dem Kind nicht schadete und blieb bei ihr, bis sie tief und fest schlief.
„Wir müssen alles tun, dass sie sich nicht aufregt, das Baby darf jetzt auf keinen Fall kommen“, erklärte Dr. Jeckyll, Lilah, die noch vor der Tür saß.
„Nein, das wollen wir auf keinen Fall. Wie geht’s Virgil?“, fragte Lilah.
„Nicht grad gut, er hat immer noch Fieber, der Chefarzt ist grade bei ihm. Ich hab vorhin mit der Klinik gesprochen, sie haben jetzt ein effektives Heilmittel gegen AIDS, ironischer weise brauchen sie Orlando nicht mehr, sie haben genug Blut von ihm, um genug Gegenmittel herzustellen, wer auch immer ihn hat, hat ihn zu spät geholt“, erklärte Dr. Jeckyll.
„Denken Sie, sie haben ihn geholt um die Produktion des Gegenmittels zu stoppen?“, fragte Lilah und er setzte sich neben sie.
„Warum sollten sie ihn sonst holen? Irgendeine fanatische Gruppe vielleicht, aber das mit dem Gegenmittel ist noch nicht publik, woher hätten Sie es wissen sollen?“, dachte er laut nach.
„Es ist doch sicher zu den Pharmaunternehmen durchgesickert, die müssen doch ein Bellen hören, bevor der Hund kommt, oder?“, fragte Lilah.
„Die Pharmaunternehmen, ja, das ist nen Anhaltspunkt, aber es gibt hunderte von Unternehmen die diese Medikamente herstellen, ich muss recherchieren“, erkannte Dr. Jeckyll und ließ sie dort sitzen.
Lilah sah noch einmal nach ihrer Tochter und als sie sie tief schlafend vorfand, ging sie weiter zu Virgil den sie in den Monaten zuvor als Freund ihrer Tochter liebgewonnen hatte. Dass die Beziehung auf einer Lüge ihrer Tochter beruhte, hielt sie nicht davon ab, sich um ihn zu kümmern. Sie zog einen Mundschutz und Handschuhe an und ging zu Virgil. Der hatte hohes Fieber und seine Hände waren schweißbefleckt, als sie seine Hand hielt.
„Vivian? Du solltest nicht hier drin sein“, murmelte er fiebrig.
„Ich bin’s, Kleiner, Lilah“, entgegnete sie.
„Ich möchte stark für dich sein, Vivian, aber ich kann nicht“, jammerte er, der nicht realisierte, was sie zu ihm sagte.
„Du musst aber für mich stark sein, ich brauch dich jetzt“, spielte sie seinen Fieberwahn mit.
„Ich bin krank, wirklich krank“, konterte er benommen.
„Du bist doch ein Kämpfer, Virge‘, kämpfe“, sprach Lilah so zu ihm, wie es ihre Tochter machen würde.
„Ich hab keine Kraft!“, erwiderte er weinerlich.
„Dann streng dich an, ich brauche dich jetzt, mein Kind braucht seinen Patenonkel“, befahl sie streng und er schniefte ein “Okay“, bevor er einschlief.
„Man, ich hoff mal, sie will ihn als Patenonkel, sonst hab ich ein Problem“, murmelte sie und ging wieder raus.
 
Am nächsten Morgen erwachte Vivian erholt. Sie sah auf den Tisch neben sich. Ihre Mutter hatte ihre Umstandskleidung gekauft und sie ihr hingelegt.
Sie hatte bis zu dem Zeitpunkt enge Kleidung getragen. Sie wusste nicht, ob ihre Mutter damit symbolisierte, dass sie es verstecken sollte, oder ob sie es nett gemeint hatte. Sie stand auf und sah die Sachen an. Sie waren gebraucht.
Sie wählte die Nummer ihrer Mutter und die erschien auf dem Display.
„Hey Kleines, na wieder wach?“, fragte ihr Mutter freundlich, als sie ihre Tochter sah.
„Hey, hast du mir Kleidung im Second-Hand-Laden gekauft?“, fragte sie ihre Mutter.
„Nein, die hab ich damals getragen, als ich mit dir schwanger war. Ich hätte dir ja neue Sachen gekauft, aber wir haben nicht so viel Geld, wie du weißt“, erwiderte ihre Mutter.
„Die hast du damals getragen?“, fragte sie gerührt.
„Ja, sie sind etwas altmodisch, aber du trägst sie eh nur noch ein paar Monate“, erkannte Lilah.
„Nein, ich freu mich so sehr darüber, das ist so … nett“, erwiderte sie mit Tränen in den Augen.
„Ich hab die Kleidung immer aufgehoben, weil ich gehofft habe, nochmal schwanger zu werden, was mir aber verwehrt geblieben ist. Jetzt kannst du sie tragen“, bemerkte ihre Mutter.
„Vielen, vielen Dank“, bedankte sie sich und drückte ihre Mutter wieder weg.
„Man, jetzt flenn ich schon wieder, scheiß Hormone“, erkannte sie und stieg unter die Dusche. Sie zog ein lilafarbenes Kleid und flache Stiefel an. Sie musste noch lernen, vorher wollte sie aber bei Virgil vorbeischauen.
Als sie im Flur entlangging und an Orlis Büro vorbeikam, kam ihr wieder ins Bewusstsein, was sie verdrängt hatte, er war entführt worden. Mit Tränen in den Augen rutschte sie neben der Tür auf den Boden.
So fand Dr. Jeckyll sie.
„Hey, Sie wissen es also schon, es ist nur ein leichtes Koma, er wacht wieder auf, versprochen“, versicherte er und kniete sich zu ihr runter.
„Von was reden Sie?“, fragte sie schniefend und hob ihren Kopf.
„Sie weinen wegen Orlando, oder?“, fragte er ertappt.
„Wer ist im Koma?“, fragte sie mit stärkerer Stimme.
„Virgil, er ist heut Morgen ins Koma gefallen, sein Immunsystem ist wohl schwächer als wir dachten“, gestand Dr. Jeckyll.
„Das passiert nicht, das passiert nicht“, murmelte sie und verfiel im Singsang. Dr. Jeckyll konnte sie dort nicht herausholen. Er führte sie zurück ins Bett, zog ihr ihre Stiefel aus und spritzte ihr ein Beruhigungsmittel von dem sie wieder einschlief.
„Am liebsten würde ich dich die ganze Zeit betäuben, dass du das nicht mitbekommen musst, meine Kleine“, erkannte er, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und ging nach draußen.
„Ich hab’s grad gehört und bin sofort hergekommen“, bemerkte Lilah hektisch, die in ihren hohen Schuhen zu Dr. Jeckyll eilte.
„Tut mir leid, Mrs Michelli, ich dachte, sie wüsste es, weil ich sie weinend vorgefunden habe“, entschuldigte sich Dr. Jeckyll.
„Ich rede von Virgil, man sagte mir, er wäre im Koma, was ist mit meiner Tochter?“, fragte Lilah besorgt.
„Ich hab ihr etwas unbedacht die Nachricht erzählt, dass er ins Koma gefallen ist, das hat sie grade nicht so berauschend aufgenommen, sie stand unter Schock, ich hab ihr was zur Beruhigung gegeben, das sie sich nicht zu sehr aufregt, sie schläft wieder“, entgegnete Dr. Jeckyll.
„Sie wird noch Wehen kriegen bei dem ganzen Chaos. Bringen Sie mich zu ihm“, bat sie und folgte ihm zu Virgil.
„Ich hab ihre Uni angerufen, sie hat bald Prüfungen, die kann das jetzt nicht machen, die sind sehr verständnisvoll, ich hab ihnen gesagt, dass sie krank ist, ich weiß ja nicht, in wieweit sie das mit der Schwangerschaft wissen. Sie kann die Prüfungen wiederholen, wenn das Kind da ist“, bemerkte Dr. Jeckyll, als er etwas später zu Lilah kam, die Virgil hinter der Glasscheibe beobachtete. Er lag dort als würde er nur schlafen, aber mit hochrotem Kopf.
„Sein Fieber ist jetzt nicht mehr gefährlich hoch, es kratzt aber immer wieder die 40°C-Marke“, erklärte der Oberarzt, der bei ihm drin war.
„An was kann das liegen?“, fragte Dr. Jeckyll und setzte sich neben Lilah.
„Sein Immunsystem ist einfach zu geschwächt, ich weiß nicht, ob er nochmal aufwacht, tut mir leid“, bemerkte der Oberarzt und Lilah vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
„Das können wir ihr nicht sagen“, erwiderte Dr. Jeckyll der auch vollkommen geschockt von der Nachricht war.
„Wir müssen das Heilmittel beschaffen“, erwiderte Lilah und sah den Oberarzt durch die Glasscheibe an.
„Das ist noch alles experimentell, das könnte ihn töten“, war der Oberarzt nicht begeistert.
„Es wird ihn töten, wenn wir nichts machen. Können Sie was davon besorgen?“, fragte Lilah und sah den Arzt mit großen Augen an.
„Ich könnte meine Lizenz verlieren“, erwiderte der Oberarzt zweifeln.
„Bitte, Doktor, vermutlich hat sie Orlando schon verloren, nehmen Sie ihr nicht auch noch den Jungen“, bat Lilah.
„Ich könnte ein paar Anrufe machen, aber es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass das furchtbar schief geht“, erkannte der Arzt.
„Das Risiko müssen wir eingehen“, entschied nun auch Dr. Jeckyll und der Oberarzt kam aus der Isolation.
„Versuchen wir’s“, erklärte der Oberarzt und ging nach draußen.
 
Es vergingen zwei Stunden, die für Lilah und Dr. Jeckyll wie eine Ewigkeit waren. Kurz bevor der Oberarzt zurückkam, kam Vivian zu ihnen in die Isolationsstation.
„Wem von euch Pappnasen hab ich zu verdanken, dass ich jetzt meine Prüfungen später mache?“, fragte sie etwas aufgebracht.
„Hurra, die alte Vivian ist zurück. Das war meine Idee, ich bin Ihr Psychologe, ich hielt es für besser“, entschied der Psychologe und sie fiel ihm um den Hals.
„Danke, Doc, ich hab schon länger mit dem Gedanken gespielt alles zu verschieben, aber mir hat bis jetzt immer der Mut gefehlt“, erklärte sie dankbar.
„Gern geschehen. Wie geht’s Ihnen, mit dem Baby alles in Ordnung?“, fragte er um ihren mentalen Geisteszustand zu erforschen.
„Jonathan schläft schon ne Weile, er hat die Ruhe weg, es scheint, dass ihn die ganze Aufregung gar nicht kratzt“, erwiderte sie und fasste sich an den Bauch.
„Das Beruhigungsmittel was ich Ihnen gegeben habe stellt vermutlich auch den Junior etwas ruhig, das ist ganz gut. Setzen Sie sich“, bat er und zog sie zu sich auf die Bank.
„Was ist? Geht’s ihm schlechter?“, roch sie schon den Braten.
„Es sieht nicht gut aus, Viv“, mischte sich Lilah ins Gespräch ein.
„Es ist nicht fair, ich sollte jetzt da liegen“, entschied sie nachdenklich.
„Was redest du da, Kind? Keiner sollte dort liegen“, war ihre Mutter verwirrt über ihre Worte.
„Ich bin kein guter Mensch, ich habe viel selbstsüchtige Dinge getan in meinem Leben, aber er, er hilft kranken Menschen, er hat einen Hund der vermutlich schon längst tot wäre, wenn er ihn nicht so fürsorglich behandeln würde und dann die ganze Sache mit dem Baby, er darf nicht sterben“, weinte sie.
„Es gibt da was, was wir machen können, aber das ist verdammt riskant“, erklärte Dr. Jeckyll.
„Dann tun wir’s, schlimmer kann’s ja kaum werden“, entgegnete Vivian und zeigte auf den bewusstlosen Virgil.
„Wir sind schon dabei, Dr. Fawcett holt grade das Heilmittel“, erwiderte Lilah.
„Das Heilmittel? Das Mittel, das sie aus Orlandos Blut gewonnen haben?“, fragte sie und der Mediziner nickte.
„Er wäre dann der erste Mensch auf der Welt der dadurch geheilt werden würde, er würde in die Geschichte eingehen“, erkannte sie.
„Oder es könnte sein Immunsystem überlasten und das würde er nicht überleben“, erklärte Lilah auch die andere Seite.
„Wie würde sich Virgil entscheiden?“, fragte Vivian, Dr. Jeckyll.
„Er würde es tun, oh ja, er würde es tun“, bemerkte er standhaft.
„Dann wird es gemacht“, entschied sie und in dem Moment kam Dr. Fawcett zurück.

Dreizehntes Kapitel

 
Dr. Fawcett rollte den Pen in seiner Hand. Keiner von ihnen traute sich, das höchstexperimentelle Medikament zu benutzen.
„Irgendjemand muss es tun“, forderte Vivian und starrte Virgil an.
„Ich riskier meine Karriere, wenn ich das jetzt mache, geben Sie mir nen Moment“, bat Dr. Fawcett und stand schwerfällig auf.
„Ich werde es machen“, entschied Lilah plötzlich.
„Seien Sie nicht albern!“
„Ich kann da rein und ich habe nichts zu verlieren“, erwiderte Lilah erklärend.
„Sie landen im Knast, wenn Sie das machen, das muss ich schon machen. Wünscht mir Glück“, entgegnete er und ging in die Isolationszelle hinter dem Glas.
Der Mediziner ging zögerlich zu seinem Patienten, zog Virgils Arm unter der Decke hervor, atmete zwei Mal tief durch und versenkte den Pen in seinem Arm. Danach strich er ihm über den Kopf und ging zurück zu den anderen.
„Jetzt können wir nur abwarten, das kann etwas dauern, da es experimentell ist, weiß ich nicht, wann es anschlägt. Wir sollten aber alle nicht mehr hier sein, er ist an alle möglichen Geräte gehängt, wenn er nur einen Furz macht, werde ich es wissen“, plante Dr. Fawcett, strich seine Handschuhe ab und die anderen folgten ihm.
Zwei Stunden später saßen Dr. Jeckyll und Vivian in seiner Praxis. Dr. Jeckyll ging die Namen der Pharmaunternehmen durch, was Vivian aber für Zeitverschwendung hielt.
„Kommen Sie, machen Sie ne Pause, was sollen Pharmaunternehmen mit seiner Entführung zu tun haben?“, fragte Vivian, die seine Wahnidee kopfschüttelnd beobachtete.
„Sehen Sie das, sehen Sie wie viele Millionen Dollar diese Firma verlieren würde, wenn das Medikament nicht mehr gebraucht würde? Das ist doch nen Ansatz“, entgegnete Dr. Jeckyll.
„So viele Firmen haben so viel Geld was sie verlieren können, das ist kein Ansatz, das ist ein Strohhalm nach dem Sie greifen“, erwiderte sie erschöpft.
„Was machen Sie denn um ihn zu finden? Wollen Sie einfach aufgeben?“, fragte Dr. Jeckyll, der die ganze Zeit über cool geblieben war, jetzt aber auch die Beherrschung verlor.
„Was ich mache, was ich mache? Das haben Sie jetzt nicht wirklich gefragt, oder?“, fragte sie wütend und in dem Moment ging ein Alarm an Virgils Armband los, was sie trug, um seine Termine zu koordinieren.
Vollkommen ruhig setzte sie sich auf das Sofa zurück, von dem sie aufgesprungen war.
„Was ist?“, fragte er, den ihre plötzliche Ruhe fast erschreckte.
„Ich hab in einer Stunde meinen ersten Geburtsvorbereitungstermin, er wollte mit mir dahin“, murmelte sie gedankenvoll.
„Ach richtig, Sie tragen sein Armband. Soll ich mit Ihnen dahin gehen?“, fragte Dr. Jeckyll, der nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte.
„Ich kann doch nicht dahin gehen, oder?“, fragte sie überlegend.
„Überlegen Sie es sich, ich biete mich an, wenn Sie jemanden brauchen“, plante er und widmete sich wieder seinem Wahn.
„Ich fahr zu meinen Eltern, wenn Sie konkretere Hinweise haben, melden Sie sich, ich geh nicht zum Kurs, das kann ich grad nicht“, plante sie auch, aber er winkte nur mit dem Rücken zu ihr gekehrt und sie ging kopfschüttelnd davon.
 
„Danke, dass ich hier auf das Resultat warten kann“, bedankte sich Vivian, als sie auf dem Sofa ihrer Eltern saß.
„Klar, wir freuen uns doch immer, wenn du da bist. Dir steht mein Kleid übrigens wunderbar“, erkannte ihre Mutter und sie dankte ihr stumm.
„Mein Therapeut ist grad selbst am Austicken“, entgegnete sie plötzlich.
„Er ist auch sein Therapeut, noch vor zwei Tagen dachte er, sein Patient würde sich umbringen, gib ihm etwas Zeit, sich zu beruhigen“, erwiderte ihr Vater, der mit einem Glas Wasser zu ihr kam und gab ihr das Glas.
„Danke, er ist nur so besessen von den Pharmaunternehmen, seit wir wissen, dass es nicht die Behörden oder die Gangs waren“, erklärte sie und trank einen Schluck.
„Ich hab die Recherchen von ihm gesehen, da könnte was dran sein“, erklärte ihr Vater plötzlich.
„Wirklich? Habt ihr schon konkrete Ideen?“, fragte sie plötzlich interessiert.
„Wir sind dabei, Schätzchen, aber wir müssen noch einiges durchgehen. Hast du heute nicht einen Kurs?“, fragte Dustin und küssten den Kopf seiner Tochter, bevor er sich wieder neben sie setzte.
„Ich will da nicht hin, ich will nur mit einem meiner Jungs das alles erleben, nicht so“, bemerkte sie traurig.
„Dann gehst du einfach das nächste Mal mit ihnen hin“, versicherte ihre Mutter freundlich und lächelte sie an.
 
Als Vivian grade im Wohnzimmer auf dem Sofa eingedöst war, bekam ihre Mutter einen Anruf von Dr. Jeckyll in der Küche.
„Misses Michelli, guten Abend, ist Vivian noch bei Ihnen?“, fragte er höflich am Display.
„Ja, ist sie, was wollen Sie von ihr?“, fragte Lilah, die von ihrem Mann angesteckt auch recherchierte.
„Er ist aufgewacht“, erkannte Dr. Jeckyll nur.
„Er ist aufgewacht? Es wirkt?“, fragte sie mit Tränen in den Augen.
„Es hat den Anschein, sein Fieber geht runter und sein Immunsystem sieht gut aus, der Doc macht grad noch ein paar Bluttests, danach wissen wir mehr“, erklärte Dr. Jeckyll, der gar nicht aufhören konnte, zu lächeln.
„Er wird der erste Mensch sein, der erfolgreich den AIDS-Virus besiegt hat“, stellte Lilah fest.
„Wir können Sie jetzt noch nicht impfen, wir wissen nicht, was für Auswirkungen es auf das Baby hat“, stellte Dr. Jeckyll klar.
„Das weiß ich, sie wird das auch später noch machen können. Das Wichtigste ist, dass es ihm wieder besser geht. Ich bring sie zurück“, erkannte Lilah und legte wieder auf.
„Süße, aufwachen, es gibt Neuigkeiten“, weckte Lilah ihre Tochter sanft.
„Orli?“, fragte sie verschlafen.
„Nein, Engel, ich bin’s, Mum, es gibt Neuigkeiten aus der Klinik“, erklärte ihre Mutter und sie setzte sich auf.
„Ist was mit Virgil?“, fragte sie besorgt und band ihre Haare neu.
„Er ist vor zehn Minuten wachgeworden, er will dich sicher sehen“, erwiderte Lilah und lächelte sie an.
„Wir haben das Richtige getan“, entgegnete sie erleichtert und zog sich an ihrer Mutter hoch.
„Ja, das haben wir. Ich fahr dich hin“, bemerkte Lilah und führte sie nach draußen.
 
Etwas später eilte Vivian ans Krankenbett ihres Freundes. Sie musste aber wieder vor der Glasscheibe anhalten.
„Virgil, Süßer, hörst du mich?“, fragte sie weinerlich.
„Ja, Viv, ich hör dich, warum weinst du, meine Süße?“, fragte er schwach und drehte seinen Kopf zu ihr.
„Ich bin nur so froh, dass du wieder wach bist“, bemerkte sie schniefend.
„Ich hab doch nur ein Nickerchen gemacht, warum bist du so aufgelöst?“, verstand er nicht.
„Du warst fast zwei Tage im Koma, ich hab dich fast verloren“, erklärte sie.
„Ach Quatsch, glaub ich nicht“, murmelte er benommen.
„War aber so, mein Freund, wir haben dir deinen fetten Arsch gerettet“, mischte sich Dr. Jeckyll ein, der zu ihnen kam.
„Könnten wir etwas Privatsphäre haben, Doc?“, fragte sie und sah ihren Therapeuten an.
„Klar, wie Sie wollen, ich bin draußen und red mit Dr. Fawcett“, entschied Dr. Jeckyll und ging wieder.
„Ich lag also wirklich im Koma, wie ist denn das passiert?“, fragte Virgil und versuchte sich aufzusetzen.
„Bleiben Sie liegen, Pfleger Virgil, Sie sind noch zu schwach“, hörte er Dr. Fawcetts Stimme über die Boxen.
„Oh man, der Kerl ist echt ätzend bei einem dicken Kopf“, erwiderte er.
„Wir können Sie hier draußen hören, Junge“, erkannte Dr. Fawcett durch die Sprechanlage.
„Sorry, Boss“, entschuldigte er sich und zog sich schwerfällig auf einen Rollstuhl um zu ihr zu rollen.
„Sie sollten endlich mal anfangen auf mich zu hören, Virge‘“, hörte er wieder die Stimme seines Vorgesetzten.
„Ja, ja, gehen Sie aus der Leitung, Sir, ich möchte hier ein Pläuschen mit Viv führen, allein“, bat er und es wurde still.
„Schon besser. Du siehst scheiße aus, treue Freundin“, erkannte Virgil mit seinem umwerfenden Charme und war an der Scheibe angekommen.
„Fass dir an deine eigene Nase, Süßer, du siehst auch nicht besser aus“, erwiderte sie und setzte sich an die Glasscheibe um so nah wie möglich an ihm dran zu sein.
„Ich lag auch im Koma, ich darf das. Hast du geschlafen?“, fragte er besorgt.
„Die Liebe meines Lebens wird vermutlich von irgendwelchen Pharmaunternehmen für eine Erpressung festgehalten und mein bester Freund lag im Koma, da kriegt man nicht so viel Schlaf, glaub mir“, erkannte sie erschöpft.
„Von Pharmaunternehmen, ernsthaft? Was ist mit seinen netten Verwandten den Calabreros?“, fragte Virgil.
„Du weißt, dass Misses Hawks eine Calabrero ist?“, fragte sie erstaunt.
„Sie war meine Mentorin, da erfährt man so einiges. Also?“
„Nein, bei denen ist er nicht, auch nicht beim FBI oder bei seinem leiblichen Vater. Die Idee von Dr. Jeckyll, dass die Pharmaunternehmen dahinter stecken fand ich erst hirnrissig, aber das macht immer mehr Sinn“, erklärte sie.
„Das glaub ich auch, solang sie ihn festhalten, können sie kein Heilmittel gegen AIDS entwickeln“, konterte er.
„So ganz richtig ist das nicht, wir haben dir heut Morgen das Mittel gespritzt und du scheinst darauf gut anzusprechen“, erwiderte sie und lächelte ihn an.
„Ihr habt mir ein experimentelles Mittel gespritzt?“, fragte er skeptisch.
„Äh, gern geschehen?“
„Ich werde irgendwann negativ sein?“, fragte er mit brüchiger Stimme.
„Wir müssen noch die Bluttests abwarten, aber vermutlich schon“, erwiderte sie und lächelte ihn an.
„Dann werde ich leben, weil Orlis Blut mich heilt? Der Kerl war immer schon ein Angeber, jetzt wird er mich mein Leben lang damit aufziehen“, erwiderte er und vergoss auch ein paar Tränchen.
„Nicht, wenn sie herausfinden, dass er Ihnen nicht mehr von Nutzen ist, dann bringen Sie ihn um“, erkannte sie kühl.
„Nein, das darfst du nicht sagen, Orli ist ein Kämpfer, der überlebt alles, der ist echt wie ne Kakerlake, sag ihm bloß nicht, dass ich ihn mit ner Schabe verglichen habe“, versprach er.
„Du bist wieder wach, das hat mir wieder Mut gegeben, dass wir ihn finden. Jetzt leg dich wieder hin, ich brauch dich kerngesund für das, was ich vorhabe“, bemerkte sie und legte ihre Hand aufs Glas, was er auch tat.
„Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte Virgil und zog seine Augenbrauen hoch.
„Nein, musst du nicht, keine Sorge, es wird alles wieder gut“, versprach sie und löste ihre Hand wieder vom Glas.
„Ich kenn dich jetzt so gut, dass ich weiß, dass du irgendwas dämliches planst“, entschied er.
„Nein, ehrlich nicht, keine Sorge“, versprach sie, aber er sah in ihrem Gesicht, dass sie was plante, was ihm nicht gefallen würde.
„By‘, hörst du mich?“, fragte Virgil in die Kamera.
„Darf ich jetzt wieder reden?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Ja, sorry, Viv plant irgendwas, du lässt sie nicht aus der Klinik“, erwiderte Virgil und Vivian rollte mit den Augen.
„Werde ich nicht, keine Sorge!“
„Ich bin erwachsen, ihr könnt mich nicht hier festhalten“, murrte sie.
„Sieh mir zu“, bemerkte Virgil drohend, was sehr komisch aussah durch die Glasscheibe.
„Du und welche Armee wollen mich aufhalten“, bemerkte sie schmunzelnd und in dem Moment kamen Dr. Jeckyll und ihre Mutter in den Raum. Sie stellten sich breitbeinig vor sie.
„Deine Mutter und dein Therapeut, die beste Armee der Welt“, entgegnete Virgil rechthaberisch.
„Ihr könnt euch so glücklich schätzen, dass ich schwanger bin, sonst würde ich jetzt so nen Theater machen“, entschied sie und schob sich an ihnen vorbei.
„Sie wird noch Ärger machen, oder?“, fragte Virgil erschöpft und Dr. Jeckyll nickte.
 
Zur gleichen Zeit machte auch Orli seinen Entführern Ärger. Er sträubte sich gegen alles was sie sagten.
„Wenn Sie mir noch mehr Blut abzapfen verblute ich, ich hoffe, dass ist Ihnen klar“, erwiderte Orli schwach, der auf einem altmodischen Krankenbett lag und zum dritten Mal an diesem Tag Blut abgezapft bekam.
„Wenn Sie uns nicht sagen wollen wie Ihre Kollegen das Heilmittel hergestellt haben, müssen unsere Wissenschaftler das so rausfinden“, erklärte die Schwester, die das Blut abzapfte.
„Ich weiß es wirklich nicht, ich bin das Versuchskaninchen hier und wenn Sie es herausfinden, was wollen Sie sagen? Wir haben das Heilmittel auf der Straße gefunden?“, fragte er schroff.
„Klappe“, murmelte die Schwester und ging mit seinem Blut davon.
Orli war eiskalt und er spürte seine Zehen nicht mehr. Eine weitere Blutentnahme würde er nicht überleben, das wusste er. Wie hatten sie es herausgefunden? Die Klinik hatte nur eine Handvoll Leute die es wussten und nur diese Leute wussten wie es herstellbar war. Orli war ein Mensch mit einer starken Persönlichkeit aber in diesem Moment dachte er über den Tod nach und was danach kommen sollte.

Vierzehntes Kapitel

 
Zwei Tage später war Virgil so fit, dass er die Klinik verlassen konnte.
„Hey, sieh dich an, dafür, dass du fast gestorben bist, siehst du echt gut aus“, erkannte sie, als sie ihn endlich wieder in den Arm nehmen konnte.
„Ja, echt schräg. So, du hast nen Plan hast du gesagt, spuck’s aus, was hast du vor?“, fragte er und ging mit ihr im Arm zu ihrem Zimmer.
„Wir machen das jetzt ganz öffentlich, wir stellen dich als geheilten AIDS-Kranken vor und dann die Ärzte die das möglich gemacht haben“, erklärte sie ihren Plan.
„Klasse Idee, ansatzweise, da ist nur ein großer Denkfehler drin“, schlussfolgerte er.
„Und welcher?“
„Was ihr mit mir gemacht habt war illegal und das Medikament ist noch nicht für die breite Masse freigegeben“, erklärte er.
„Das ist wahr, man es muss echt so was wie Schwangerschaftsblödheit geben, dass ich da nicht dran gedacht habe. Kann auch daran liegen, dass ich nicht mehr geschlafen habe, seit er weg ist“, erwiderte sie ermattet und setzte sich auf ihr Bett.
„Ja, das sieht man dir auch an. Wenn du mir versprichst etwas zu schlafen werde ich mich mit den Ärzten zusammensetzen und was austüfteln“, versprach er.
„Ich bin nicht müde“, murmelte sie.
„Dann leg dich zumindest etwas hin, ich brauch dich in voller Stärke“, forderte er und zog ihr ihre Stiefel aus.
„Du bist auch nicht auf 100%, mein Freund, du solltest heimgehen, deinen Hund mal wieder knuddeln und einfach mal du sein. Du musst nicht die Welt auf deinen Schultern tragen“, bat sie, während sie sich in ihr Kissen kuschelte.
„Ich mach es aber gern, ich tu alles um meinen Patensohn in Sicherheit und glücklich zu wissen“, entschied er und strich ihr über den Bauch.
„Patensohn? Hab ich da was verpasst?“, fragte sie und setzte sich müde auf.
„Sag nicht, dass du das nur versprochen hast, weil ich im Sterben lag“, sagte er traurig.
„Nein, natürlich wirst du Pate, ohne Frage, aber wir haben doch vorher noch nie darüber gesprochen“, entgegnete sie verwundert.
„Du warst doch bei mir drin vor ein paar Tagen, ich hatte zwar hohes Fieber, aber das weiß ich noch“, erwiderte er leicht verärgert.
„Süßer, du warst viel zu ansteckend für mich, ich war nicht da drin, du bist es immer noch, deshalb trägst du doch auch diese Maske hier“, schlussfolgerte sie und ließ das Gummi der Atemmaske schnalzen, die er um den Mund trug.
„Ja, da hast du Recht, tut mir leid, ich wollte dich nicht drängen das zu tun“, erwiderte er etwas verwirrt und stand wieder auf.
„Ich hatte den Plan schon gefasst, als du mit mir beim ersten Ultraschall warst, ehrlich“, versprach sie und legte sich wieder hin.
„Das ist echt schön, ich danke dir sehr dafür, wie du weißt wir Blutsbrüder werden nicht so oft Väter, zumindest kann ich jetzt ein Kind um mich haben. Jetzt schlaf, ich geh nach Hause, versprochen“, entschied er und deckte sie sanft zu. Kurz danach war sie eingeschlafen.
„Nach Hause gehen, von wegen, jetzt wo ich weiß, dass du nicht mehr abhauen kannst, kann ich endlich mit den anderen auf Suche gehen“, murmelte er vor sich hin, tippte einen Code vor der Tür ein, dass sie nicht rauskam und lief zu seinem Wagen. Er hatte versprochen, Dustin und Lilah aufzusuchen, sobald sie schlief.
„Du bist spät“, erwiderte Dustin, als er ihm die Tür öffnete.
„Ja, ich weiß, du weißt ja wie schwierig es ist, deine Tochter von irgendwas zu überzeugen. Ist seine Mutter schon da?“, fragte Virgil und trat ein.
„Ja, ist sie, wir sind es alle“, entgegnete Dr. Jeckyll, der mit Mrs. Hawks auf dem Sofa der kleinen Wohnung saß.
„Gut, gut, ich fühl mich noch nicht so auf der Höhe, du musst mich versorgen, wenn ich mich nicht gut fühle“, entgegnete Virgil und setzte sich neben Mrs. Hawks.
„Ich helf dir doch immer, das weißt du doch“, sagte Mrs. Hawks liebevoll und legte ihren Arm auf seine Schulter. Als er sich in Sicherheit wog, stach sie ihm einen Pen in den Hals.
„Was hast du …“, murmelte er und wurde bewusstlos.
„Tut mir leid, mein Kleiner, jetzt sind die Erwachsenen dran“, entschuldigte sie sich und legte ihn sanft auf die Sofalehne.
„Danke Anita, dass du das tust, ich weiß, er ist wie ein Sohn für dich“, bedankte sich Dustin.
„Für euch doch langsam auch, er ist noch zu krank um das hier mitzumachen, er wird so fünf bis sechs Stunden weggetreten sein, das gibt uns genug Zeit die Unternehmen abzuklappern. So, jetzt noch seine Kommunikationsmittel entfernen, nur um sicher zu gehen und dann können wir los. Also wo fangen wir an?“, plante Anita und zog ihrem Schützling das Armband ab.
„Wir gehen die Liste ab, sind ja nur 12 in dieser Stadt“, erkannte Dr. Jeckyll.
„Das mit dem “nur“ ist sein Ernst, oder?“, fragte Lilah und sah Anita an.
„Hey, im ganzen Staat sind es 92, da sind 12 wirklich wenig. Also, jeder nimmt drei, dann sind wir in den sechs Stunden durch. Und denkt dran, geht kein Risiko ein, ihr sollt die Leute nur befragen, nicht eingreifen“, erwiderte Dustin und übertrug die Daten der Unternehmen auf die Armbänder der anderen.
„Ich bin kein Held, keine Sorge“, entschied Dr. Jeckyll und so zogen sie los.
 
Bei Pharma Inc, der Firma, die Orli festhielt, hatten sie es aufgegeben, ihm Blut abzuzapfen. Sie gaben ihm nun künstliches Blut, dass er nicht draufging.
„Sie wissen also wirklich nicht, wie das Heilmittel hergestellt wird, wir entschuldigen uns und lassen Sie wieder gehen, wenn Sie fit genug dazu sind“, erkannte die Schwester, die ihn jetzt zwei Tage lang malträtiert hatte.
„Ich hoffe Ihre Firma hat nen guten Anwalt, ich werd sie nämlich auf alles verklagen, was sie noch übrig haben“, murmelte er benommen.
„Nein, werden sie nicht. Wir entwickeln nämlich nicht nur AIDS-Medikamente, in Ihrem Tropf ist auch ein nettes Mittelchen was ein bisschen Gedächtnisverlust zur Folge hat, deswegen ging das Zeug nie in Serie“, erwiderte die Schwester und er wurde wieder bewusstlos.
„Wenn du aufwachst, mein kleiner Prinz wirst du keine Ahnung haben, wie du da hingekommen bist“, redete sie mit dem bewusstlosen Orli und gab ihm die letzte Bluttransfusion.
Die Gruppe saß gemeinsam beim Abendessen, als Virgil mit einem riesigen Kater aus seinem drogenberauschten Schlaf erwachte.
„Anita“, brüllte er durch das dunkle Wohnzimmer.
„Ja, Schätzchen?“, fragte Anita cool, die im Türrahmen zur Küche stand.
„Was hast du Hexe mit mir gemacht?“, fragte er und stand torkelnd auf.
„Mach langsam, Junge, das Zeug ist noch nicht ganz aus deinem System raus. Wie geht’s dem Kopf?“, fragte Anita und machte das Licht an.
„Du hast mich unter Drogen gesetzt, ich hab dir vertraut“, erwiderte Virgil wütend.
„Du brauchtest noch Ruhe, die hab ich dir gegeben. Wenn dir nicht mehr übel ist, kann ich dir dein Essensration aufwärmen“, entschied Anita und stützte ihn bis zum Sessel.
„Ihr habt das ohne mich durchgezogen, wirklich nett“, murrte er verstimmt.
„Wenn es dich beruhigt, wir waren nicht wirklich erfolgreich dabei. Zehn Stunden, Anita, du hast es mit der Dosis echt etwas übertrieben“, erkannte Dr. Jeckyll, der zu ihnen kam.
„Ich hab perfekt dosiert, Jungchen, ich hab schon Medikamente dosiert als du noch in den Windeln lagst“, tönte Anita, die sich angegriffen fühlte.
„Könntet ihr die Lautstärke ein wenig runter drehen, ich krieg immer Kopfschmerzen, wenn man mich unter Drogen setzt“, schimpfte Virgil laut, um sich Gehör zu verschaffen.
„Sorry, Kumpel, ich spritz dir ein Schmerzmittel, wenn du willst“, bemerkte Dr. Jeckyll.
„Oh ne, Jose, niemand spritzt mir hier noch irgendwas. Wo ist Viv, wo ist meine Süße?“, fragte Virgil und sah sich um.
„Ich bin hier“, hörte sie plötzlich die Stimme seiner Bekannten.
„Wo bist du?“, fragte er und sah sich um.
„Auf dem Display“, lotste sie ihn in ihre Richtung und er drehte sich um. Vivian winkte kurz mit einer Hand in seine Richtung.
„Wupps, du bist immer noch eingesperrt, oder?“, fragte er beschämt.
„Du hältst dich wohl für sehr schlau, einen Code zu verwenden, den keiner rausfinden kann, ich bin seit 10 Stunden hier drin und ich hab Hunger und muss mal dringend“, maulte sie.
„11022076“, gab er den Code durch.
„Das ist das errechnete Geburtstag von meinem Kind“, bemerkte sie gerührt und ihr Ärger verschwand.
„Hättest nicht gedacht, dass ich das nehme, was?“, fragte er cool.
„Nein, ich hab die Geburtsdaten von euch allen durchgemacht, aber darauf bin ich echt nicht gekommen. Du hast jetzt genau 17 Minuten um dort zu verschwinden, denn ich werde dich killen, wenn ich bei euch ankomme“, drohte sie und verschwand vom Display.
„Ob ich mildernde Umstände kriege, weil ich auch auf euren Plan reingefallen bin?“, fragte Virgil und sah zu Lilah.
„Ich würd rennen, mein Lieber“, erwiderte sie schmunzelnd.
„Keine Sorge, ich hab ihre Waffe, sie kann dich nur mit bloßer Hand töten und das schafft sie nicht“, erkannte Dustin trocken, der zu ihnen stieß.
„Dieses ganze Theater wegen nichts und wieder nichts. Wir haben nur bezweckt, dass die Firmen jetzt gewarnt sind“, erkannte Dr. Jeckyll, der die Gruppe im Wohnzimmer komplimentierte.
„Es wird langsam kalt, was ist wenn er verwirrt durch die Straßen geistert?“, fragte Virgil plötzlich.
„Er ist entführt worden, warum sollte er durch die Straßen geistern?“, fragte Dustin verwundert.
Fast zeitgleich stand Vivian mit ihrem Wagen an einer roten Ampel. Sie sah nachdenklich auf den Gehweg. Kurz musste sie ihren Blick auf einem jungen Mann lassen. Der etwas schäbig aussehende Kerl sah genauso aus wie Orli. Sie rieb ihre Augen, doch der torkelnde Mann sah immer noch aus wie ihre große Liebe.
„Orli?“, fragte sie sich.
„Nein, das kannst du nicht sein, oder?“, fragte sie und hörte ein Hupen von hinten, was sie zwang weiter zu fahren.
In Gedanken ging sie zum Fahrstuhl ihres Elternhauses und fuhr hoch. Als ihre Mutter öffnete hatte sie nur ein gedankenversunkenes “Hi“, für sie übrig, bevor sie an ihr vorbei ins Wohnzimmer ging.
„Ist auch schön dich zu sehen, Tochter. Alles klar bei dir?“, fragte Lilah verwundert.
„Ja, alles bestens, ich dachte nur für einen Moment, dass ich Orli auf der Straße gesehen habe“, erzählte sie und setzte sich aufs Sofa. Sie beachtete Virgil, der genau vor ihr saß, gar nicht, was ihn irritierte.
„Strafst du mich jetzt mit Schweigen?“, fragte er verwirrt.
„Äh, nein, hi“, erwiderte sie nur, ohne ihn anzusehen.
„Wenn du so reagierst sag lieber gar nichts“, murrte er beleidigt.
„Ich bin nicht sauer auf dich, mein Süßer, ich hab nur grad jemanden auf der Straße gesehen und könnte schwören, es wäre Orli, aber das ist ja unmöglich“, erwiderte sie und sah ihn nun mit leeren Augen an.
„Was habt ihr Kinder eigentlich mit der fixen Idee, dass er einfach so auf der Straße rumlaufen würde?“, fragte Dustin kopfschüttelnd und in dem Moment bekam er einen Anruf auf sein Headset.
„Dawson, hey, gibt’s was Neues?“, fragte er seinen Kontaktmann bei der Polizei.
„Ihr habt einen aufgegriffen, der sein GIS hat? Seid ihr sicher, dass er es ist? Ja, die Frage war ernst gemeint, wir wissen beide wie gut die GIS Fälscher inzwischen sind. 19. Revier, ich komm dahin, haltet ihn solang fest“, bemerkte Dustin und drückte ihn weg.
„Sie haben ihn vollkommen verwirrt auf der Avenue 19 aufgegriffen“, erklärte er in die Runde.
„Ich bin vorhin diese Straße langgefahren, er war es also wirklich?“, fragte sie mit Tränen in den Augen.
„Ich fahre zum Revier, dann sehen wir weiter. Anita, komm bitte mit, ihm scheint es nicht gut zu gehen, er braucht vermutlich medizinische Hilfe“, erklärte Dustin planend.
„Ich will mit“, bat Vivian aufgedreht.
„Nein, du bleibst hier, die Gegend ist nicht grade für nette Leute bekannt“, entgegnete Dustin.
„Was für eine dumme Ausrede ist das denn bitte“, murrte sie.
„Soweit es dich angeht eine gute. Byron, Virgil, ihr wisst, was ihr zu tun habt“, forderte Dustin und drückte Virgil, Vivians Waffe in die Hand.
„Ihr wollt mich hier mit Waffengewalt festhalten, nachdem ihr mich jetzt 10 Stunden lang in meinem Zimmer eingesperrt habt?“, fragte sie verärgert.
„Baby, wir waren nie strenge Eltern, wird Zeit damit anzufangen“, entschied Lilah, küsste die Stirn ihrer Tochter und ging zusammen mit Anita und ihrem Mann aus der Tür.
„Ich kann dich entwaffnen bevor du es bemerkst, mein Lieber, du weißt ja nicht mal wie man die Waffe richtig hält“, konterte Vivian und kam auf ihn zu.
„Fährst du oder fahr ich?“, fragte Virgil, drehte die Waffe in der Hand um und reichte sie ihr.
„Du stehst noch unter Drogen, ich fahre. Was ist mit dir, Doc? Ich erschieß dich nicht, wenn du nicht mitwillst“, konterte sie.
„Wenn er wirklich entführt worden ist, braucht er sicher seinen Therapeuten dort“, entschied Dr. Jeckyll und nahm seine Jacke.
„Braver Junge, gehen wir“, schmunzelte sie, steckte die Waffe in ihren hinteren Hosenbund und folgte den Männern zum Wagen.

Fünfzehntes Kapitel

 
Vivian brach fast ohnmächtig zusammen, als sie Orli sah. Der Vater ihres Kindes saß mit total durchgewühltem Haar auf einem klapprigen Stuhl auf dem Polizeirevier und sah verwirrt ins Leere. Er trug nur einen Krankenhauskittel und war in eine Decke gewickelt.
„Der braucht dich ganz eindeutig“, murmelte sie verwirrt zu Dr. Jeckyll.
„Deswegen wollte ich dich nicht dabeihaben, du solltest ihn nicht so sehen, aber wie ich sehe sind dir alle Männer hier total verfallen“, erwiderte Dustin, der aus dem Raum des Captains des Reviers kam, mit dem er grade gesprochen hatte.
„Was haben die Bastarde mit ihm gemacht?“, fragte Virgil und Vivian kuschelte sich in seinen Arm.
„Ich werd versuchen mit ihm zu reden, bringt sie bitte nach Hause“, bat Dr. Jeckyll, Vivians Eltern und sie gingen mit ihr nach draußen.
„Orl‘, Kumpel, ich bin’s, Byron, du bist in Sicherheit“, begrüße Dr. Jeckyll ihn, als er sich vorsichtig zu ihm herunterbeugte.
„Ich will mich erinnern, aber ich kann nicht“, sagte Orli mit fast lautloser Stimme.
„An was willst du dich erinnern, mein Freund?“, fragte Dr. Jeckyll vorsichtig.
„Wie ich hierhergekommen bin, ich weiß es nicht“, murmelte Orli.
„Du wirst dich erinnern, keine Sorge. Ich bring dich jetzt erst mal in eine Klinik, deine Mutter wartet im Wagen“, bemerkte Dr. Jeckyll und zog ihn hoch.
„Meine Mum ist hier? Sie darf mich so nicht sehen“, wurden Orlis Gedanken wieder klarer.
„Sie ist deine Mutter, sie liebt dich, egal was kommt. Komm‘, zieh das hier an“, bat er und gab ihm seine Jacke.
„Krieg ich auch deine Hose?“, fragte er und sah auf seine nackten Beine.
„Ich versuch hier eine Jogginghose oder so aufzutun, bleib einfach hier sitzen“, versprach Dr. Jeckyll und suchte ihm eine Hose. Danach fuhr er ihn ins nächst gelegene Krankenhaus.
 
„Er erinnert sich immer noch nicht?“, fragte Virgil, als er mit Vivian zwei Tage später Orli im Krankenhaus besuchte, und sie aus seinem Krankenzimmer kam.
„Es geht nur um die letzten drei Tage von dem er nichts mehr weiß, die Ärzte sagen, er hat etwas bekommen, was das auslöst, sie haben wohl die ganzen Spuren verwischt“, erwiderte sie nachdenklich.
„Egal, wir haben ihn wieder, das ist das was zählt“, konterte er.
„Das sag ich doch auch, obwohl er, wenn er mich ansieht, durch mich hindurchsieht, ich hab ihn wohl verloren“, erkannte sie traurig.
„Lass ihm Zeit, er liebt dich und wenn er wieder klar wird, wird er dich auch wieder mit seinem treuen Hundeblick ansehen, versprochen. Im Moment kannst du nur an seiner Seite bleiben und ihm beistehen. Zumindest schläfst du wieder, das ist das Wichtigste“, konterte Virgil und umarmte sie fest.
„Das ich die letzten zwei Nächte in deinem Bett verbracht habe, wird keiner erfahren, okay?“, bat sie ernst.
„Hey, ist ja nicht so, als wäre irgendwas zwischen uns passiert, du hast nur geschlafen. Komm, du solltest was essen, er kann dich nicht als verhungerte Leiche gebrauchen“, erwiderte er und brachte sie in die Klinik. Virgil ging es von Tag zu Tag besser und seine Bluttests waren negativ auf den Virus. Vivian war so froh darüber und konnte es kaum abwarten, dass ihr Blutbild das auch zeigte.
Eine Woche später, es war kurz vor Thanksgiving, konnte Orli entlassen werden. Vivian brachte ihn in seine Wohnung. Wie ein Pärchen beim ersten Date saßen die beiden etwas später nebeneinander auf dem Sofa.
„Heiratest du Virgil bevor oder nachdem das Baby geboren wird?“, fragte er plötzlich in die beklemmende Stille.
„Wir heiraten doch nicht, wie kommst du denn darauf?“, bemerkte sie verwirrt.
„Ihr seid doch zusammen und ihr werdet auch das Kind zusammen aufziehen, ich dachte deine Eltern würden so was erwarten“, schlussfolgerte er und sah sie an.
„Wir sind nicht zusammen, echt nicht, wir sind nur sehr gute Freunde“, erklärte sie.
„Du brauchst mich nicht anzulügen, ich verstehe das“, versprach er.
„Es gibt nur einen Mann mit dem ich zusammen sein möchte, du Idiot und das ist ganz sicher nicht er“, erwiderte sie und nahm seinen Kopf in ihre beiden Hände.
„Du willst mit mir zusammen sein?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Muss ich’s dir noch aufschreiben oder vortanzen? Ich liebe dich, du Idiot“, erkannte sie und begann ihn zu küssen. Als er realisierte, dass sie es todernst meinte, küsste er sie frenetisch zurück. Als sie grad wild am knutschen waren, stockte sie plötzlich.
„Was ist?“, fragte er und sie griff an ihren Bauch.
„Dein Sohn hat mich grad getreten“, schmunzelte sie und er fasste ihr an den Bauch.
„Mein Sohn? Wir kriegen einen Jungen?“, fragte er mit Tränen in den Augen.
„Ja, oh man, ich habe dir das nie gesagt, verzeih mir“, erwiderte sie und er umarmte sie stürmisch.
„Danke, dass du mir so viel Vertrauen entgegenbringst. Nur schade, dass niemand erfahren darf, dass ich Vater werde“, erkannte er.
„Meine Eltern wissen es“, gestand sie.
„Und ich lebe noch?“, fragte er schmunzelnd.
„Er lässt dir vermutlich etwas Schonzeit, solang du noch nicht auf der Höhe bist. Nein, im Ernst, sie wissen alles und sie geben uns ihren Segen“, erklärte sie.
„Ernsthaft? Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich damit machst. Du wirst zu mir ziehen, dann können wir das auch in der Klinik öffentlich machen“, erwiderte er planend.
„Dein Boss weiß es, aber da Virgil schon das Opfer erbracht hat, wird er dich dortbehalten“, konterte sie.
„Ich hab Virgil so viel zu verdanken und ich hab ihn so mies behandelt, weil ich so eifersüchtig auf euch beide war. Er ist wieder gesund, ich hab die Resultate heut Morgen gesehen, es ist ein Wunder“, erkannte er.
„Nein, du bist das Wunder, du hast das alles ermöglicht, du wirst in die Geschichte eingehen“, entschied sie stolz.
„Ich hab doch gar nichts gemacht“, war ihm dieser Ruhm peinlich.
„Du hättest auch nein gegen das alles sagen können, aber du hast freiwillig eine große Menge Blut abgegeben um all diese kranken Leute zu retten“, bemerkte sie und plötzlich fasste er sich an den Kopf.
„Was ist, hast du Kopfschmerzen?“, fragte sie besorgt.
„Die haben mir Blut abgenommen, sehr viel Blut“, murmelte er mit geschlossenen Augen.
„Ja Süßer, das sagte ich grade!“
„Nein, nicht als ich es wollte, meine Entführer haben es getan“, erkannte er und riss seine Augen wieder auf.
„Das erklärt dein Blutbild, da gab es einen hohen Anteil von künstlichem Blut darin. Sie wollten vermutlich selbst tätig werden und als du nicht mehr von Nöten warst haben sie dich einfach aufgegeben. Ich bin wer auch immer dich da ausgesetzt hat nur dankbar, dass er dich nicht einfach getötet hat. Deine Mutter hätte es nicht überlebt, wenn sie auch noch dich verloren hätte“, erwiderte sie.
„Was heißt auch?“, fragte er und setzte sich wieder auf.
„Oh mein Gott, ich dachte, sie hätte es dir gesagt, das tut mir so leid“, entschuldigte sie sich und stand auf.
„Was ist? Wen hat sie verloren? Ist was mit meinem Dad?“, fragte er und stand auch auf.
„Dein Dad ist tot, tut mir leid“, erwiderte sie und umarmte den verdatterten Orli.
„Mein Dad ist tot? Wie ist das denn passiert, hatte er einen Unfall?“, fragte Orli mit Tränen in den Augen.
„Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, ich hab deine Mutter nur weinend angetroffen, als ich nach deinem Verschwinden zu ihr gefahren bin“, erklärte sie.
„Warte mal, reden wir von meinem Stiefdad oder meinem leiblichen Vater?“, fragte er plötzlich.
„Dein leiblicher Vater natürlich!“
„Ach der, ich dacht schon“, erkannte er und wischte sich die Tränen ab.
„Du klingst so uninteressiert“, wunderte sie sich.
„Das bin ich auch, ich kenne meinen leiblichen Vater nicht und sein Tod geht mich kaum was an“, erklärte er cool.
„Wie kannst du so gefühlskalt sein? Er war dein Vater“, verstand sie nicht.
„Nein, er war mein Erzeuger, Paul Hawks ist mein Dad“, entschied er.
„Gut, wenn du das so siehst, dann war es vermutlich richtig, dass sie es dir verschwiegen hat. Ich sollte gehen“, bemerkte sie etwas verwirrt und ging zur Tür.
„Warte, was soll das jetzt? Du kanntest ihn doch genauso wenig, was regt dich mein Kommentar so auf?“, wollte er den Grund für ihre komische Laune wissen.
„Weil er genauso war, wie du, er hat auch eine Frau geschwängert, aber er hatte nicht den Anstand gehabt zu bleiben. Ihr hattet viel gemeinsam, aber alles was du in ihm siehst ist der Verbrecher“, erwiderte sie, schnappte ihre Tasche und ging wütend davon.
Orli blieb nachdenklich dort stehen.
 
Als Virgil seine Freundin an diesem Nachmittag in ihrem Zimmer aufsuchte, um ihr ihre Medikamente zu geben, spielte sie wieder Ballerspiele.
„Ich hoffe du weißt, dass diese Dinger blöd machen. Du hast also nicht mit ihm geredet?“, fragte Virgil und nahm ihr das Spiel ab.
„Doch, das hab ich und wir sind jetzt endlich ein Paar“, erzählte sie und sah ihn an.
„Das ist doch klasse, warum hast du dann so eine miese Stimmung?“, fragte er verwundert.
„Weil er nen Arsch ist“, entgegnete sie grummelig.
„Euer Happyend hat ja nicht arg lang gedauert, was?“, fragte er und lächelte sie an.
„Ich hab ihm gesagt, dass sein Vater tot ist und er hat so kühl reagiert, als hätte ich ihm erzählt, dass wir keine Milch mehr hätten“, erklärte sie.
„Roberto Messina war kein guter Mensch, Viv und er weiß das, er hat es immer gewusst“, erkannte Virgil.
„Aber er war sein Vater!“
„Mein Dad war auch mein Vater, das heißt aber nicht, dass ich ihm den Mord an meiner Mutter verzeihe“, erzählte Virgil und setzte sich zu ihr.
„Dein Dad hat deine Mum umgebracht? Man, mir fällt grad auf, wie wenig ich über dich weiß“, konterte sie stotternd.
„Jetzt bist du glücklich darüber, dass du mich nicht als deinen Freund gewählt hast, was?“, fragte er keck.
„Wie alt warst du, als das alles passiert ist?“, fragte sie und nahm seine Hand.
„Grad elf geworden, danach war ich in einem Pflegeheim, weile meine Großmutter mich auch nicht aufnehmen konnte, war nicht immer lustig aber im Allgemeinen erträglich. Er trauert um seinen Vater, auch wenn er es nicht zugeben würde, glaub mir“, erzählte Virgil etwas aus seinem Leben.
„Warum müsst ihr Männer immer so kompliziert sein? Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, warum niemand aus deiner Familie an dein Krankenbett kam, als du im Sterben lagst, jetzt weiß ich es“, konterte sie und legte den Kopf auf seine Schulter.
„Ja, keine Freunde, nur eine Großmutter, die mich bei ihr wohnen lässt, aber sonst nicht in meinem Leben vorkommt, ist armselig, ich weiß“, rechtfertigte er sein Leben.
„Du hast jetzt mich und meine Eltern haben dich wie einen Sohn ins Herz geschlossen, du wirst nie mehr einsam sein, versprochen“, versprach sie und drückte seine Hand erneut.
„Du glaubst nicht, wie viel mir das bedeutet, danke. Das Angebot, dass du zu mir ziehen kannst steht immer noch, wenn du das noch willst“, erklärte er.
„Ich werde mit ihm zusammenziehen, wegen dem Baby und allem“, erklärte sie.
„Klar, das hab ich mir schon gedacht, aber egal was mit euch passiert, mein Angebot bleibt bestehen. Fahr zu ihm, rede mit ihm, er braucht dich jetzt mehr als ich dich brauche“, schlug er vor und sie stand auf.
„Ich glaub, ich weiß auch, wo er ist“, erwiderte sie und ging davon.
 
In Gedanken versunken ging sie etwas später über den großen, mit Ranken bewachsenen Friedhof von New Denver. Sie passierte den Weg, der zum Grab ihrer Großeltern führte, legte kurz eine Rose ab und ging dann weiter.
„15-55, 15-56, 15-57, man, ich hätte schwören können, dass er hierherkommt“, redete sie mit sich selbst, als sie das Grab von Roberto Messina fand, an dem sie ihren Freund eigentlich finden wollte. Es stand kein Name auf dem Grabstein, was sie fast erwartet hatte, denn nicht jeder sollte wissen, dass ein Schwerverbrecher neben ihren Liebsten lag.
„Wenn du mit Schwarzlicht hier oben draufgehst, siehst du seinen Namen, hat mir meine Mutter zumindest gesagt“, erklärte Orli, der plötzlich hinter ihr stand.
„Ich war wohl noch vor dir hier, was?“, fragte sie und drehte sich zu ihm um.
„Eigentlich hab ich ne Weile im Auto gesessen, als ich dich hierhergehen sah, bin ich dir hinterher“, kontere er und fuhr mit der Hand nachdenklich über den Grabstein seines Vaters.
„Er ist dein Vater und du solltest ihn betrauern, tut mir leid, dass ich dich mit ihm verglichen habe, du bist der Retter dieser Welt, er der Zerstörer“, entschuldigte sie sich und ergriff seine Hand.
„Du hattest aber Recht, die Geschichte wiederholt sich, aber ich werde bei dir bleiben, versprochen, egal was kommt“, erwiderte er.
„Das will ich dir auch geraten haben, ich kann ziemlich rabiat werden, wenn man mich abserviert, glaub mir“, schmunzelte sie und kuschelte sich in seinen Arm.
„Ich hab davon gehört, hast du deinem Ex wirklich den Kopf rasiert?“, fragte er nach.
„Äh, schon möglich, aber er hatte es echt verdient, aber keine Sorge, die haben den Generalcode inzwischen geändert, ich hätte ihn aber echt brauchen können, als Virgil mich letzte Woche in meinem Zimmer eingesperrt hat, dass ich nichts dummes tue“, dachte sie nach und legte die zweite Rose, die sie mitgebracht hatte, auf das Grab seines Vaters.
„Er hat mir mein Medizinstudium bezahlt, ohne das hätten sie nie das Gegenmittel entdeckt, auf eine verdrehte Weise war er wohl auch ein Wohltäter“, dachte er laut nach und zog sie sanft an der Hand weg.
Vivian verbrachte die Nacht bei Orli. Sie schlief friedlich in seinem warmen Arm, als ein Schmerz ihren Unterkörper durchfuhr und sie weckte.
„Au“, murmelte sie und löste sich von ihrem Freund. Ein stärkerer Schmerz folgte darauf.
„Orl‘, es ist was mit dem Baby“, erkannte sie panisch und weckte ihren Freund.

Sechzehntes Kapitel

 
„Hast du Wehen?“, fragte er erschreckt.
„Ich hab Schmerzen und ich glaube, ich blute“, erklärte sie weinerlich.
„Man, ich wusste, es war keine gute Idee, dich außerhalb der Klinik übernachten zu lassen. Beruhig dich, Engel, ich bin Arzt, ich helf dir“, versprach er mit einer beruhigenden Stimme und zog die Bettdecke vom Bett. Vivian hatte wirklich Blutungen.
„Verdammt, du blutest wirklich, ich hab gehofft es wäre nur Urin. Keine Sorge, ich hab ne Bekannte die hier auf dem Stock wohnt, die ist Frauenärztin“, erklärte er, zog sein Headset auf und rief seine Bekannte an.
„Clarice, ich weiß es ist 3 Uhr morgens, aber meine schwangere Freundin hat Blutungen, komm zu mir, sofort“, bat er und drückte seine Bekannte weg, bevor sie antworten konnte, denn er wusste, dass sie sofort kommen würde.
„Okay, ich würd das auch allein hinbekommen, aber ich will kein Risiko eingehen. Wir müssen die Blutung stoppen, ich spritz dir jetzt was, das Baby ist nämlich verdammt früh dran, wenn er rauskommen will. Meine Bekannte ist sofort da, sei ganz ruhig“, bat er beruhigend und zog seine Arzttasche unter dem Bett hervor.
Er hatte grade das Mittel gespritzt, als es an seiner Tür klingelte.
„Tür auf“, sprach er in sein Headset und die Tür sprang auf.
„Du weißt schon, dass ich einen 10-jährigen Sohn habe, ich kann nicht wegen jedem deiner Ladies mitten in der Nacht hier antanzen“, erwiderte Clarice, die zu ihnen ins Schlafzimmer kam. Als sie das Blut sah, handelte sie aber, ohne weitere Worte.
„Ich hab ihr Comex gespritzt, das sollte die Blutung stoppen, aber du musst nach dem Kind sehen, ich könnte das ja auch tun, aber es ist mein Kind und das ist schon etwas schräg“, erklärte er und Clarice kniete sich aufs Bett.
„Wenn es wirklich dein Kind ist, gehst du besser raus, was ich hier am wenigsten brauchen kann, ist ein panischer Vater“, bat sie ihn rauszugehen und er tat es.
Mit zittrigen Händen saß der vorher cool gebliebene Orli auf seinem Sofa und starrte auf den Boden. Als Clarice aus dem Schlafzimmer kam, sprang er auf.
„Es hatte sich nur etwas von der Gebärmutterinnenwand gelöst, ich hab es unter Kontrolle bekommen, deinem Sohn geht es gut, sie ist jetzt sediert, du solltest sie aber vorsichtshalber in ein Krankenhaus bringen. Du hast also tatsächlich eine von deinen Kleinen geschwängert, gratuliere“, erklärte sie und zog ihre Handschuhe aus.
„Glaubst du wirklich, deine gehässigen Sprüche wären jetzt angebracht, Clar‘?“, fragte er müde.
„Ruf einfach nen Krankenwagen, Orl‘, ich geh jetzt zurück ins Bett, ich muss in vier Stunden zu meiner 20 Stunden Schicht und würde noch gern etwas schlafen“, entgegnete sie erschöpft, schmiss die Handschuhe in einen Mülleimer und verließ seine Wohnung wieder.
„Danke“, bemerkte er, aber sie hörte ihn nicht mehr.
So rief er einen Krankenwagen und brachte sie in eine Klinik für Frauenheilkunde.
 
„Wie geht es Ihr? Ich hab’s grad erfahren“, eilte Virgil zu ihm, als Orli müde am nächsten Morgen an ihrem Krankenbett saß.
„Ihr geht’s gut, sie wird weiterhin betäubt, dass sich der Kleine erholen kann und sie ihn nicht unnötig stresst. Musst du nicht arbeiten?“, fragte Orli und sah ihn an.
„Erst heut Nachmittag, wie ist das passiert?“, fragte Virgil und setzte sich auf die andere Seite des Bettes um ihre Hand zu halten
„Das kann passieren, vor allem wenn sie wegen der Krankheit so geschwächt, ich hab ja gesagt, dass das passieren kann. Gott sei Dank war meine Bekannte schnell genug da, um ihr zu helfen“, erklärte er vorwurfsvoll.
„Deine Bekannte, die Frauenärztin? Die dir die Tricks und Kniffe gezeigt hatte, die aus dir Doktor “Oh mein Gott“ machen?“, fragte Virgil keck.
„Wag es ja nicht, ihr zu erzählen, dass die Frau, mit der ich den besten Sex meines Lebens hatte, nur zwei Wohnungen weiter von mir wohnt“, befahl er streng.
„Werd ich nicht, versprochen. Wie geht’s dem Kleinen?“, fragte Virgil und fasst auf Vivians Bauch.
„Er ist ein ganz schöner Kämpfer, er übersteht alles mühelos. Ich kann mir niemals verzeihen, dass ich ihn vor sechs Monaten versucht habe zu töten, nur weil ich sie nicht verlieren wollte“, dachte er laut nach.
„Jetzt bist du ja für sie da. Wann wirst du ihr eigentlich sagen, dass du der Schöpfer des Heilmittels bist?“, fragte Virgil und Orli sah ihn verwundert an.
„Woher weißt du…?“, fragte er überrascht.
„Ich hab deinen Dienstcomputer geknackt, sorry, wir wollten alle wissen wo du bist. Seit wann kennst du dich mit Immunologie aus?“, fragte Virgil mit fragenden Augen.
„Ich kenne mich schon etwas aus, aber nicht genug, um das allein hinzubekommen. Deshalb hab ich mich ja an die Kollegen gewendet, wir haben das zusammen entwickelt. Wir haben die Welt verändert und nur weil ich diese Frau hier nicht verlieren wollte“, bemerkte er nachdenklich und legte die Hand auch auf den Bauch seiner Freundin.
„Bitte versuch mein Kind nicht mit euren Pranken zu erdrücken“, murmelte plötzlich Vivian, die wach wurde.
„Hey Viv, wie geht’s dir?“, fragte Virgil und strich ihr über die Wange.
„Ging mir schon mal besser, wie geht’s Jonathan?“, fragte sie und Orli küsste ihren Kopf.
„Unser Sohn ist ein Superheld, er schläft jetzt wieder friedlich als wäre nichts gewesen. Wir müssen Clarice danken, sie ist wirklich eine unglaubliche Ärztin“, bemerkte er und lächelte sie an.
„Wie lange wart ihr ein Paar?“, fragte sie erkennend.
„Wir waren nie ein Paar, wir haben nur ein Bett geteilt, wenn wir jemanden gebraucht haben. Wir werden umziehen, versprochen“, versprach er.
„Sie ist zwanzig Jahre älter als ich, sie ist keine Konkurrenz für mich“, schmunzelte sie.
„Geben die dir hier starke Schmerzmittel?“, fragte Orli skeptisch.
„Nein, ich seh sie nur nicht als Konkurrentin an, das ist alles. Also, wann kann ich hier wieder raus?“, fragte Vivian, die schon wieder fitter klang.
„Wann war der berechnete Geburtstermin nochmal?“, fragte Orli cool.
„Ende Februar, das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte sie erschreckt.
„Du kannst auch zu Hause Bettruhe einhalten, aber dann würde ich dich zwingen in der AIDS-Klinik zu bleiben“, plante Orli ernst.
„Das ist besser als hier zu bleiben, also wann kann ich zurück?“, fragte sie und sah sich in dem sehr sterilen Krankenzimmer um.
„Ich muss mit deiner Ärztin reden, aber ich denk so in zwei- bis drei Tagen“, erklärte er und sie lächelte matt.
 
Vivian war grade wieder weggedöst, als Anita zu ihnen kam. Lautlos winkte sie ihren Sohn nach draußen.
„Hey Mum, ich hätte dich anrufen sollen, tut mir leid“, entschuldigte er sich und fuhr sich mit der Hand durch seine fettigen Haare.
„Ja, das hättest du, was denkst du was ich für einen Schreck bekommen habe, als ich in deine Wohnung kam und einen riesigen Blutfleck auf deinem Bett gefunden habe. Ich hab dich grad erst wiederbekommen“, schimpfte sie und umarmte ihn stürmisch.
„Ja, tut mir leid, Viv hatte Blutungen, aber sie haben alles wieder hinbekommen, deinem Enkel geht’s prächtig“, versprach er.
„Oh, Gott sei Dank, wir können jetzt grade nicht mehr Dramas in unserem Leben aushalten. Ich wusste nicht, wie ich das mit deinem Dad erzählen sollte, nachdem wie du letztes Mal reagiert hast, als ich über ihn sprach“, entgegnete sie und sah ihm tief in die Augen.
„Ich war schon bei seinem Grab, es ist schon okay, mich würde es zwar mehr treffen, wenn mein Stiefvater sterben würde, aber ich trauere in angemessener Weise um meinen leiblichen Vater“, erklärte er.
„Du sollst nur wissen, dass ich deinen Vater geliebt habe, so sehr wie du Vivian liebst, vielleicht sogar etwas mehr. Ich werde ihn bis zum Ende meines Lebens vermissen, versteh mich nicht falsch, ich liebe deinen Stiefvater auch über alles, aber er war meine große Liebe“, erklärte sie im Gegenzug wie sie zu ihm gestanden hatte.
„Wenn du ihn so sehr geliebt hättest wie ich sie liebe wärst du bei ihm geblieben. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich stinke nach Blut, ich will mich reinigen und dann zur Arbeit, denn ich hab mich heut wieder für die Arbeit gemeldet. Wenn du jetzt zu ihr reingehst reg sie nicht auf, sie braucht jetzt Ruhe“, bat er kurz angebunden, küsste seine Mutter auf die Stirn und ging den Krankenhausflur weiter. Anita blieb gedankenversunken stehen.
 
Als Orli frischgereinigt in die AIDS-Klinik kam, traf er Dr. Jeckyll im Flur.
„Hey, ich hab grad gehört, dass du es erfahren hast, willst du darüber reden?“, sprach er ihn auf den Tod seines leiblichen Vaters an.
„Äh … nein. Ich muss arbeiten“, entgegnete er kurz und verschwand in seinem Büro. Dr. Jeckyll ging ihm besorgt hinterher.
„Hattest du einen Streit mit Viv?“, fragte Dr. Jeckyll und setzte sich auf den Sessel neben seinem Schreibtisch.
„Bist du unserer Sprache plötzlich nicht mehr mächtig?“, fragte Orli und setzte sich an seinen Schreibtisch.
„Du siehst einfach müde und besorgt aus, ich bin dein Therapeut, ich mach mir Sorgen um dich“, entschied Dr. Jeckyll.
„Viv hatte heute Nacht Probleme mit dem Baby, aber Clarice konnte Gott sei Dank alles regeln. Ich hab nur nicht besonders viel geschlafen, das ist aber auch verständlich. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich will noch ein Nickerchen auf meinem Pult machen, bevor mich irgendein Patient nervt“, murmelte er müde.
„Warum ruft ihr mich nicht an wenn es Viv schlecht geht?“, fragte Dr. Jeckyll mit besorgtem Gesicht.
„Das war mitten in der Nacht, ich hätte dich nur von irgendeinem Kerl runtergeholt“, konterte er cool.
„Mein letzter Kerl ist fünf Jahre her, mein Freund, nicht alle von uns sind genetisch so privilegiert, dass sie jeden ins Bett bekommen“, erkannte Dr. Jeckyll.
„Fünf Jahre? Man, für so was gibt’s doch extra AIDS-Clubs, da sind die Männer willig und infiziert“, erwiderte Orli und Dr. Jeckyll sah ihn erstaunt an.
„Will ich wissen warum du so etwas weißt? Wie auch immer, ich war mal dort, aber die Kerle dort sind wirklich schwerkrank, stell dir vor die ganzen Patienten hier werden nicht mehr medizinisch versorgt und du stellst hier und dort eine rote Lampe auf, dann haben wir hier unseren eigenen Club“, erklärte Dr. Jeckyll.
„Du wirst einer der ersten sein, der das Heilmittel erhält, versprochen“, versprach Orli plötzlich.
„Wie kannst du das denn entscheiden? Du bist doch nur das Versuchskaninchen“, verstand er nicht.
„Au contraire, mon frére, ich bin einer der Mitentwickler“, gestand Orli plötzlich.
„Das kann nicht sein, ernsthaft? Jetzt sind wir schon seit Ewigkeiten Freunde und du vertraust mir sowas nicht an? Jetzt bin ich fast beleidigt“, spielte er gekränkt.
„Ich wollte es nicht offiziell machen bis ich genau weiß, dass es funktioniert und ihr habt Virgil das Leben gerettet, leider in meiner Absenz, aber ich kann dabei sein, wenn sie es an dir und Vivian ausprobieren“, erkannte er.
„Ich will ja nicht ungeduldig wirken, aber wann wäre das bitteschön?“, fragte Dr. Jeckyll und Orli grinste.
„Bald, versprochen. So, ich muss dann mal weiterarbeiten, ich muss später noch Vivs Zimmer für sie vorbereiten, sie muss nämlich die restliche Zeit liegen und ist ganz schön angepisst deswegen. Ich will, dass sie sich wohlfühlt. Mir geht’s gut, ehrlich, wenn ich damit fertig bin, geh ich schlafen, versprochen“, erkannte er und Dr. Jeckyll ging wortlos davon.

Siebzehntes Kapitel

 
Nachdem Viv schon ein paar Tage in ihrer “Gefängniszelle“ wie sie ihr Zimmer nun nannte gelegen hatte, kam Virgil sie besuchen.
„Guten Abend, wie geht’s uns denn heute?“, fragte Virgil freundlich und erntete einen bösen Blick von seiner guten Freundin.
„Hey, pass auf junge Dame, mit dem Blick kannst du ja Glas durchschneiden. Ich wollt dir was zeigen und fragen wie es meinem Patenkind heute so geht“, begrüßte Virgil sie und tat so, als müsste er ihrem Blick ausweichen.
„Johnny geht’s bestens hier drin, er genießt die Ruhe, doch seine Mutter dreht langsam aber sicher durch. Was willst du mir denn zeigen?“, fragte Vivian und er krempelte den Ärmel seiner Uniform hoch. Er hatte sich seinen Bluttropfen an seinem GIS entfernen lassen.
„Ich bin jetzt vollkommen und unumstößlich HIV-negativ, ich hab es gleich entfernen lassen, als ich es gehört habe“, erklärte er glücklich und sie fuhr nachdenklich mit ihrer Hand über seine Narbe.
„Du wirst auch bald eine Narbe tragen, du musst halt nur noch warten, bis der kleine Racker hier geboren wird“, entschied er und legte seine Hand liebevoll auf ihren Bauch.
„Das ist es nicht, Orl wird jetzt schweinereich und heißbegehrt werden, ob er mich verlassen wird?“, dachte sie laut nach.
„Höchstwahrscheinlich“, entgegnete Virgil gespielt ernst.
„Was?“
„Wie kannst du so was fragen, schau dich um, dein Freund hat dir alles hier aufgebaut was dein Herz begehrt, er liebt dich ohne Frage“, entschied Virgil standhaft.
„Er hat mich auch geschwängert, ich würd ihm auch den Marsch blasen wenn’s anders wäre“, erkannte sie cool.
„Was willst du mir blasen?“, fragte Orli keck, der zu ihnen stieß.
„Ganz sicher nicht, was du dir vorgestellt hast. Bist du fertig für heute?“, fragte sie freundlich und er küsste sie kurz.
„Ja, so sieht’s aus. Virge, könntest du mich mit meiner Freundin allein lassen?“, hoffte er und Virgil ging davon.
„Ich vermisse dich, ich wünschte, du könntest zu mir nach Hause kommen“, erwiderte er und setzte sich zu ihr aufs Bett.
„Und ich erst, geht das nicht?“, fragte sie hoffend.
„Ich könnt ja mit Dr. Fawcett reden, mal schauen, aus medizinischer Hinsicht bist du aber hier besser aufgehoben. Aber aus privater Sicht hätte ich gern meine Freundin neben mir im Bett. Ich hab übrigens jetzt offiziell gebeichtet, dass du und ich ein Paar sind, wenn das mit der Medikamentensache durchstartet brauch ich eh nicht mehr hier zu arbeiten“, erklärte er.
„Du wirst also bei mir bleiben, für immer?“, fragte sie hoffend.
„Wer hat das gesagt?“, fragte er cool und sie zog ein langes Gesicht.
„Schwangere Freundin verarschen, nicht so eine gute Idee, hab verstanden. Ich will dich heiraten Vivian Michelli, aber ich weiß nicht, wie ich dich fragen soll, ohne dass das in unserer Situation gezwungen klingt“, stammelte er plötzlich.
„Frag mich einfach“, bat sie.
„Jetzt?“
„Nein, wenn Johnny aufs College geht, ja, jetzt“, erwiderte sie Tränen in den Augen und schniefte.
„Miss Vivian Michelli, heiratest du mich?“, fragte Orli und rutschte auf die Knie.
„Natürlich tu ich das, mein Schatz, ich will doch keinen Bastard zur Welt bringen“, konterte sie und er legte seinen Kopf auf das Laken.
„Wirklich romantisch“, erkannte er und sah sie von der Position aus an.
„Tut mir leid, das sollte nicht zu klingen, ja, ich will dich heiraten“, entgegnete sie und er küsste sie leidenschaftlich.
„Ich will ja nicht eure Zweisamkeit stören, aber in Marlis‘ Zimmer leuchtet der Alarm“, störte sie Virgil plötzlich.
„Du arbeitest hier nicht mehr, Virge“, nörgelte Orli und wendete sich von seiner Frischverlobten ab.
„Ich sags nur, Dr. Fawcett ist grad anderweitig beschäftigt, du willst ja nicht, dass das gleiche hier passiert, wie bei mir“, bat Virgil.
„Man, ich hoffe, ihr wird es nicht so dreckig gehen, wie dir, ich muss da wirklich hin, bin gleich wieder da“, erkannte Orli, küsste seine Freundin kurz und ging mit Virgil in Marlis‘ Richtung.
„Ich hab gefragt, ob sie mich heiratet“, gestand er plötzlich, als sie im Fahrstuhl standen.
„Und?“, fragte Virgil und versuchte dabei nicht eifersüchtig zu wirken.
„Sie hat ja gesagt“, bemerkte er und grinste breit.
„Ja, schön für euch“, erwiderte Virgil und er klang abfälliger als er wollte.
„Du liebst sie doch, oder?“, fragte Orli plötzlich.
„Ja, aber wir haben das ja geklärt, sie gehört dir“, erklärte Virgil stotternd.
„Ich meinte eigentlich als Freundin, aber gut zu wissen. Du solltest dich für sie freuen, für uns beide“, entschied Orli verwirrt.
„Ich freu mich doch für euch, was hast du denn?“, fragte Virgil und die Tür des Fahrstuhls sprang auf.
„Gut, dann ist ja gut. Warum hat Marlis plötzlich so hohes Fieber?“, fragte Orli nachdenklich.
„Keine Ahnung, du bist der Doktor“, entschied Virgil und sie gingen in Marlis‘ Zimmer.
„Hey Süße, ich hab gehört, du willst uns hier abkratzen?“, kam Virgil zu seiner Ex ins Zimmer, die fiebrig in ihrem Bett lag.
„Ich fühl mich nicht gut, O“, murmelte sie benommen.
„Ja, das seh ich, man, du bist echt heiß, ich will dich auf den Kühltisch legen, ja, ich weiß, das ist ätzend, aber ich muss deine Temperatur schnell senken. Komm“, erwiderte er und zog sie auf die Arme.
„Wird Viv nicht eifersüchtig, wenn du mich so liebevoll behandelst“, erwiderte sie.
„Sie wird es verstehen. Keine Sorge, ich krieg dich wieder hin“, versprach er und brachte sie in die Praxis. Er kämpfte die halbe Nacht um sie, aber sie verlor den Kampf.
„Man, was ist das für ein Virus? Warst du wirklich wieder gesund?“, fragte Orli erledigt, als er die Leiche seiner Ex mit einem Tuch bedeckte.
„Ja, vollkommen, warte, willst du mir jetzt die Schuld geben?“, fragte Virgil, der wissen wollte wie aus ausging und geblieben war.
„Nein, tut mir leid, ich weiß nur nicht, was das war, sie war ihre Freundin, wie bring ich ihr das in ihrem Zustand bei“, dachte er über Vivian nach.
„Ich mach das schon, ruf du Marlis‘ Eltern an“, entgegnete Virgil.
„Es ist drei Uhr morgens, ich mach das heut nicht mehr, wir lassen sie schlafen, wir sollten auch schlafen gehen“, bemerkte Orli und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter.
„Scheiß Prohibition, ich hätte jetzt so einen Bock auf Alkohol“, entgegnete Virgil plötzlich.
„Versuch es nicht mit medizinischem, das geht nur schief“, erkannte Orli trocken.
„Du musst es ja wissen. Ich muss hier raus, ich krieg hier irgendwie Panik“, erkannte Virgil.
„Ich muss noch den Leichenbestatter anrufen, wenn sie was stark Ansteckendes hatte, sollte ihr Körper hier nicht länger liegen. Man, wie konnte dieser wunderbare Tag nur so furchtbar schief gehen“, dachte Orli laut nach.
„Leg dich zu deiner Freundin, du brauchst sie heute Nacht, dusch dich nur vorher“, schlug Virgil vor.
„Aber der Leichenbestatter!“
„Das mach ich schon, ich kontaktiere Fawcett. Wir brauchen dich morgen erholt wieder“, bat Virgil ging wortlos von dannen.
Vivian schlief schon, als Orli in ihr Zimmer kam. Er duschte sich und legte sich eng neben seine Verlobte. Er wollte in dem Moment so gern weinen, aber dann würde er sie wecken und müsste ihr seinen Gefühlsausbruch erklären müssen. Eng an sie gepresst schlief er ein.

Achtzehntes Kapitel

 
Als Vivian am nächsten Tag aufwachte, fühlte sie sich sehr wohl. Sie war eine verlobte Frau und ihr Verlobter lag an ihrer Seite.
„Hey, du bist ja hier“, weckte sie ihn sanft.
„Ja, ich wollte heute Nacht bei dir sein. Wie geht’s dir?“, fragte er und fuhr über ihren Bauch.
„Dein Sohn schläft noch, also gut momentan. Ich genieße deine Körperwärme, ich hab mich so einsam gefühlt in letzter Zeit“, erklärte sie und hielt seine Hand fest.
„Ich rede mit Dr. Fawcett, das du nach Hause darfst“, versprach er.
„Nein, ich sollte hierbleiben, wegen Johnny, ich bin hier besser versorgt“, erklärte sie.
„Du hast Angst, oder?“, fragte er mitfühlend.
„Ja, dass auch, aber ich will nicht, dass du dich immer um mich sorgen musst. Man, jetzt hab ich ne Hitzewallung, steh auf, bitte“, bat sie plötzlich und er stand auf.
„Ich sorg mich doch immer um dich, egal wo du bist. Na ja, überleg es dir, ich muss noch nach Hause, mich umziehen, ich komm dann vor dem Dienst noch mal zu dir, ich muss mit dir über was reden“, erklärte er etwas abwesend.
„Du bereust den Antrag doch nicht, oder?“, hoffte sie.
„Nein, niemals, es ist was anderes, wir reden nachher. Dr. Fawcett wird dich gleich untersuchen“, plante er, dem die Aufregung der letzten Nacht wieder brutal in Erinnerung gerufen wurde und ging etwas verwirrt und eilig davon.
„Okay, das war seltsam“, erwiderte sie und rief Virgil an.
„Ja?“, bekam sie einen sehr verschlafenen Virgil vor die Linse.
„Hey, hast wohl ein bisschen zu viel gefeiert gestern, weißt du, was mit Orli ist?“, fragte sie besorgt.
„Das musst du mit ihm besprechen, ich muss mich für die Arbeit fertig machen, wir sehen uns später, okay?“, erkannte er auch kurz angebunden und legte wieder auf.
„Ich hab ihn geweckt, da ist doch irgendwas nicht koscher“, murmelte sie und stand auf. Ihr Baby wachte davon auf.
„Tut mir leid Johnny, aber Mummy wird fett, wenn sie sich nicht mal bewegt“, redete sie mit ihrem Ungeborenen und ging ins Badezimmer.
Als sie duschen wollte, bekam sie plötzlich Wehen.
„Man, du hast es echt eilig, was?“, schnaufte sie und drückte den Alarmknopf.
 
„Keine Sorge, es ist zwar ziemlich früh, aber heutzutage ist das Risiko sehr gering“, versprach Orli, als er ihre Hand während der Geburt hielt.
„Es tut so weh“, jammerte sie erschöpft.
„Ich weiß Süße, ich weiß. Die Ärztin gibt dir jetzt eine PDA, danach wirst du nichts mehr spüren, versprochen“, versprach Virgil, der auf der anderen Seite des Betts stand.
„Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich hätte es lieber, wenn wir das allein machen, Orli und ich, meine ich“, bat sie.
„Klar, versteh ich, ich denk an dich“, entgegnete er, küsste seine Stirn und ging davon.
„Ich kann das nicht“, erkannte sie schnaufend.
„Du wirst das toll machen, du bist Vivian Marchelli, du schaffst alles“, munterte er sie auf.
„Was ist, wenn er das Virus hat? Dann wird er das nicht überstehen“, war sie fast am Aufgeben.
„Der übersteht das, er übersteht alles, wenn er nur halb so stark ist wie seine Mutter. Wir haben hier die beste Klinik für solche Fälle, wir packen das“, entschied er, was zur Folge hatte, dass er auch draußen warten musste.
 
„Wir schieben das jetzt ganz schnell auf die Hormone, dann ist das nur halb so lächerlich“, murmelte Orli, als er Rücken an Rücken mit Virgil auf der Bank vor dem OP saß, der für die Gelegenheit zum Kreissaal umgebaut worden war.
„Ganz sicher sind das die Hormone. Sie ist fast 9 Wochen zu früh dran, das weißt du hoffentlich“, entgegnete Virgil nachdenklich.
„Ja, das weiß ich, Virge, man, ich sollte da drinnen sein, sie braucht mich jetzt sicher am Meisten“, entschied er nervös.
„Dann schleich dich halt in OP-Kleidung wieder rein, sie wird so beschäftigt sein, dass sie das gar nicht mitkriegt“, schlug Virgil vor.
„Nein, ich respektiere das, wenn sie mich nicht dabeihaben will, dann nicht“, erklärte er trocken und Virgil boxte ihm in die Rippen.
„Au, was sollte das?“, fragte Orli verärgert.
„Man, benimm dich mal wie ein richtiger Kerl, es ist auch dein Kind, nimm dir einfach das Recht heraus“, forderte Virgil.
„Du willst doch nur auch dabei sein“, schlussfolgerte er.
„Ja, ich werde verrückt hier draußen, lass uns reingehen“, bat er und so wurde es gemacht. Die Geburt schien endlos zu dauern und als Klein-Johnny geboren wurde, war er blau im Gesicht.
„Er muss sofort beatmet werden“, bat die Hebamme, die sie geholt hatten und Orli eilte zu ihr hin.
„Hey, Sie sollten doch draußen warten“, zischte die Hebamme.
„Geben Sie mir meinen Sohn, ich bin Arzt, ich weiß was ich tue“, erwiderte er mit zittrigen Händen, die er ihr hinstreckte, um seinen Sohn entgegen zu nehmen.
„Äh, auf keinen Fall, Pfleger, nehmen Sie ihn“, ignorierte die resolute Hebamme und drückte Virgil den Neugeborenen in die Hand.
Obwohl Virgil noch nie einen Neugeborenen beatmet hatte, machte er das professionell und ruhig und Sekunden später, die Orli wie Stunden vorgekommen waren, bekam das Baby eine rosige Farbe.
„Er muss in den Brutkasten, Pfleger“, befahl die Hebamme und Orlando legte ihn in einen hypermodernen Brutkasten, der auch extra für die Geburt von einer nahgelegenen Frauenklinik angekarrt worden war. Orli sah seinen Sohn an, wie er dort hilflos in dem Brutkasten lag und wollte nur noch heulen. Der Kleine war so winzig und sah so hilflos aus.
„Er scheint jetzt selbstständig zu atmen, er wird noch ne Weile in dem Kasten bleiben müssen, aber er sieht sonst sehr gesund aus, auch wenn es dir im Moment nicht so vorkommt“, versprach Virgil, der total ruhig schien, als stände er unter Drogen.
Als Orli seinen Blick wieder von dem Wurm in dem Glaskaten lösen konnte, eilte er zu Vivian, die bewusstlos auf dem OP-Tisch lag.
„Was ist mit ihr?“, fragte er hektisch.
„Das war ein bisschen viel für ihren geschwächten Körper, aber ihre Vitalzeichen sind auch gut, sie braucht jetzt nur etwas Ruhe“, erklärte Dr. Fawcett, der sich die ganze Zeit um das Wohlergehen der frischgebackenen Mutter gekümmert hatte.
„Ich will sie nicht verlieren“, fing er plötzlich an zu weinen und die ganze Aufregung der vorrangegangen 24 Stunden brach aus ihm heraus.
„Sie werden sie nicht verlieren, Junge, ich glaube, dass alles war ein bisschen zu viel für Sie, Virgil, bitte bringen Sie ihn, in sein Büro, ich sehe nachher nochmal nach ihm“, bat Dr. Fawcett und Virgil führte ihn raus.
„Ich hab ihr gesagt, dass das riskant ist, dass das total riskant ist“, murmelte er vor sich hin.
„Ja, das hast du, aber sie übersteht, dass, versprochen“, versprach Virgil, als er Orli auf die Liege in seinem Büro gelegt hatte.
„Ich muss zu ihr, sie darf jetzt nicht allein sein“, war Orli total durcheinander und Virgil spritzte ihm etwas, dass er einschlief.
 
Im Rollstuhl sitzend betrachtete Vivian ihren Verlobten, wie er komatös auf seinem Untersuchungstisch lag.
„Er schläft schon über 20 Stunden, Virge, du hast meinen Verlobten eine Überdosis verpasst“, maulte sie besorgt.
„Er war nur müde“, behauptete er.
„Er hat die ganze Nacht geschlafen, er ist nicht müde“, entschied sie schroff.
„Arschgeige“, hörte sie plötzlich Orlis leise Stimme und er blinzelte in die Sonne.
„Siehst du, er ist in Ordnung“, bemerkte Virgil zu seiner Freundin.
„Ja, ich bin okay, aber du bald nicht mehr“, entgegnete Orli grummelig und ergriff Virgil am Hemd.
„Hey, ich wollte dir nur helfen“, sah sich Virgil nicht im Unrecht.
„Indem du mich unter Drogen setzt, obwohl meine Verlobte mich gebraucht hat? Das ist keine Hilfe“, entschied Orli.
„Er hat es mir erklärt, du hast es in dem Moment gebraucht, nur nicht einen ganzen Medikamentenschrank voll, da hast du schon Recht. Vor allem weil er nicht mehr in der Klinik arbeitet, auch wenn er das gern mal vergisst. Aber sieh mich an, mir geht’s gut und Johnny auch“, versprach Vivian und lächelte matt. Sie sah wirklich aus, als hätte sie eine schwierige Geburt hinter sich gebracht.
„Wo ist er? Ich will meinen Sohn halten“, bemerkte er und setzte sich etwas schnell auf, was ihm starke Kopfschmerzen einbrachte.
„Ich hab ihn persönlich drüben in die Frauenklinik eskortiert, nach allem was hier passiert ist, wollte ich mein Patenkind in Sicherheit wissen. Er ist ein Kämpfer, er hat uns nur ein bisschen einen Schrecken eingejagt. Ich wollte ja auch Vivian nach drüben schaffen, aber der Sturkopf wollte unbedingt hierbleiben“, erklärte Virgil und Orli ließ ihn wieder los.
„Sie weiß es also?“, fragte er mit ein bisschen Erleichterung in der Stimme.
„Sieht ganz so aus, sie hat geweint, sie weint eigentlich ziemlich viel in den letzten Stunden, ne richtige kleine Hormonbombe, unsere Kleine“, neckte Virgil, Vivian.
„Hey, ich hab hier grad ein Kind bekommen, mein bester Freund hat meinen Verlobten ins Wachkoma gespritzt und eine gute Freundin ist ganz plötzlich gestorben, ich darf alles machen, was ich will“, begann Vivian wieder zu weinen.
„Hey, komm her, ja, Süße, du darfst auch jeden schlagen, den du willst, Virgil wäre mir vorzuziehen“, schmunzelte Orli aufmunternd und sie legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Wir können zusammen rüber gehen, ihr könnt ihn zwar noch nicht halten, aber ihr könnt ihn bestaunen und ihm zeigen, dass ihr da seid“, schlug Virgil vor.
„Ja, ich will ihn sehen“, schniefte Vivian und sah auf.
„Dann gehen wir los, kannst du laufen, Kumpel?“, fragte Virgil und Orli stand auf.
„Ja, der Schnellzug rast nur durch meinen Kopf, meinen Beinen geht’s gut“, jammerte er und schneller als er Gucken konnte, spritzte Virgil ihm ein Schmerzmittel in den Arm.
„Man, kannst du mal was sagen, bevor du das machst?“, murrte er und rieb seinen Arm.
„Sorry, ich dachte mir, dass du Kopfschmerzen hättest, deshalb hab ich das schon vorbereitet gehabt“, erkannte er und Orli hielt sich an Vivians Rollstuhl fest.
„Das war ja auch gut, danke, aber frag mich einfach. Gehen wir“, bat er und ging etwas geschwächt mit seiner Verlobten zu seinem neugeborenen Sohn.

Neunzehntes Kapitel

 
„Er ist ein Wunder“, erkannte Orli, als er seinen Sohn im Inkubator betrachtete. Seine kleinen Füßchen steckten in blauen Söckchen, die Lilah ihm gekauft hatte.
„Er ist unser Wunder, ich liebe dich so sehr“, erwiderte Vivian und drückte seine Hand.
„Du hast mir dieses Bündelchen Glück geschenkt, ich werde dich auch immer dafür lieben. Wir werden ein Haus kaufen und ein wunderschönes Kinderzimmer für ihn herrichten“, plante Orli.
„Das klingt wunderbar. Wir müssen ihn testen lassen, ob er das Virus hat“, bemerkte Vivian nachdenklich.
„Wir können ihn impfen lassen, wenn mein Medikament patentiert wird, das wird kein Problem mehr sein. Man, ich werde die Welt verändern, das wird mir jetzt erst klar“, erwiderte Orli und legte seine Hand auf den Inkubator.
„Ja, meine Welt hast du schon verändert und nicht nur mit dem bisschen Leben was dort in dem Brutkasten liegt. Wo ist der Doc übrigens?“, fragte Vivian plötzlich.
„Wie kommst du jetzt auf Byron?“, fragte Orli und drehte sich zu ihr hin.
„Er ist ein Freund von mir, ich dachte halt, er kommt mal vorbei, wenn ich ein Kind bekomme“, dachte sie laut nach.
„Er ist zu Marlis‘ Eltern nach Colorado Springs gefahren um ihnen die Nachricht persönlich zu übermitteln, er weiß vermutlich noch gar nicht Bescheid, ich schick ihm ne Nachricht auf sein Armband. Wir sollten wieder gehen, die Schwestern gucken schon so blöd, weil wir hier sind“, warf Virgil ein, der sich auch nicht von allem lösen konnte und sah die zwei Schwestern an, die etwas abseits von ihnen standen.
„Tja, virusfrei heißt nicht gleich frei von den Blicken anderer. Dann gehen wir halt wieder in die Klinik zurück, schlaf gut mein Sohn, ich mach nur noch schnell ein Foto für die Großeltern“, bemerkte Orli und zog sein Headset vom Ohr, um damit ein Foto von dem Kleinen zu machen.
„Die wissen das aber alles auch noch gar nicht, ich sollte meine Mutter anrufen“, entschied Vivian und Orli reichte ihr sein Headset, was sie ans Ohr klemmte um zu telefonieren.
 
Zwanzig Minuten später kam Lilah durch die Gänge der Klinik geeilt und blieb im Türrahmen des Zimmers ihrer Tochter stehen.
„Johnny hatte es aber jetzt ziemlich eilig, wo ist er?“, fragte sie mit einem Lächeln.
„Drüben in der Frauenklinik, er ist ja schon noch etwas klein. Hier ist ein Bild“, erklärte Orli, der mit Vivian auf dem Bett kuschelte, und projizierte das Bild auf Vivians Bildschirm.
„Meine Güte, er ist wirklich winzig, was ist passiert?“, fragte Lilah und ging zum Bildschirm, um das Bild zu berühren.
„Er hatte es einfach eilig, das kann passieren, aber er macht sich gut, ich wünschte, ich könnte ihm helfen, zu wachsen, aber leider gibt es dafür kein Medikament. Ich hab sie übrigens gefragt, ob sie meine Frau wird und sie hat ja gesagt“, platzte Orli mit der Neuigkeit heraus.
„Das will ich auch hoffen, Junge, ich freu mich aber auch für euch. Du siehst echt fertig aus, Tochter, alles klar bei dir?“, fragte Lilah, die die sehr blasse Vivian sah.
„Ich hab AIDS und grad ein Kind geboren, dann sieht man halt so aus. Aber bald wird sich das ändern, bald bin ich wieder Virusfrei“, freute sie sich darauf.
„Das wird noch etwas dauern, du musst noch etwas zu Kräften kommen, bevor wir dir das Mittel geben. Du solltest auch etwas schlafen, ich geh mit deiner Mutter zu Johnny, die Schwester bringt dir nachher die Milchpumpe, dass du die Milch abpumpen kannst. Du kannst ihn leider nicht stillen, dafür ist er zu schwach und das Risiko ist zu hoch. Sobald wir es wissen können wir weiterentscheiden. Jetzt schlaf einfach ein bisschen“, bat er und ließ sie allein.
 
Am Nachmittag machte Orli seine Klinikrunde, als Dr. Jeckyll wieder zurückkam und ihn aufsuchte.
„Stimmt die Nachricht?“, fragte er nur.
„Kommt darauf an, welche Nachricht du meinst, By“, begrüßte Orlando ihn, der etwas auf ein Pad schrieb.
„Ist er auf der Welt?“, fragte Dr. Jeckyll aufgeregt.
„Ja, er ist heut Morgen geboren und in der Frauenklinik zu seiner Sicherheit, ich weiß nicht, was für ein seltsamer Virus hier die Runde macht. Du solltest dich auch so schnell wie möglich spritzen lassen, wir wollen dich nicht auch noch verlieren. Du solltest zu Viv gehen, sie brauch dich jetzt dringend, das war ein bisschen viel für sie, glaub ich“, bemerkte er und sah auf.
„Und was ist mit dir?“, fragte Dr. Jeckyll.
„Mir geht’s gut, wirklich“, versprach er, aber Dr. Jeckyll erkannte sein Implantat wieder, dass Orli wieder am Hals trug.
„Das seh ich, manche Gefühle muss man ausleben, auch wenn sie wehtun, das weißt du hoffentlich“, entschied er.
„Ja, vermutlich, aber momentan hab ich was anders zu tun, da ist kein Platz für Gefühle. Ich komm zu einer Sitzung, wenn ich hier fertig bin, versprochen“, versprach Orli und eh er sich versah, hatte Dr. Jeckyll ihm das Implantat entfernt.
„Ja, das wirst du. Geh nicht in mein Büro, wenn ich nicht da bin, bitte“, bat er streng und ging mit dem Implantat in der Hand zu seinem Büro, während sich Orli den Nacken rieb. Der plötzliche Entzug des Implantats hatte zur Folge, dass er sich in einen Abstellraum verkriechen musste und erst mal eine Runde heulte. Als er wieder herauskam, stand Vivian vor ihm.
„Hey Schatz, alles klar bei dir?“, fragte sie überrascht über sein verheultes Gesicht.
„Ja, alles bestens, ich muss weiterarbeiten“, ließ er sie einfach links liegen und ging weiter.
„Ist was mit Johnny? Letztes Mal als du so zu mir warst ist Marlis gestorben“, lief sie ihm hinterher.
„Johnny geht’s wunderbar, ich hab seine Herztöne auf meinem Headset, ich hör sein kleines Herzchen pumpen“, versprach er.
„Was ist dann?“, fragte sie weiter.
„Gar nichts“, log er und begann wieder zu weinen, was ihn ziemlich nervte.
„Ich vermisse sie auch, Schätzchen, es ist normal, wenn du nur weinen könntest“, kam sie zu ihm hin und wollte ihn umarmen, aber er wehrte sich dagegen.
„Lass lieber die Hand von mir, bis ich geduscht habe, wir wissen immer noch nicht, was die Leute hier umbringt“, bat er.
„Das AIDS-Virus ist was die Leute umbringt und da du immun bist, kann ich dich ruhig umarmen und küssen“, schlussfolgerte sie und drückte ihn fest an sich.
„Man, du bist so stur, trotzdem danke. Gut geschlafen?“, fragte er liebevoll.
„Hab nicht viel geschlafen, muss ständig an den Kleinen denken. Ich sollte auch drüben in der Klinik sein in seiner Nähe“, entschied sie.
„Klar, ich sag Virgil, er soll dich rüberbringen, das halte ich für ne gute Idee. Mal sehen, vielleicht kannst du ihn in den nächsten Tagen mal halten. Ich muss jetzt wirklich weiter, ich komm nach dem Dienst zu euch rüber, versprochen“, plante er, strich ihr mit der Hand über das Gesicht und ging weiter.
 
Etwas zögerlich kam Orli an diesem Abend zu Dr. Jeckyll ins Büro.
„Du hörst ja auf mich, das nenn ich mal nen Fortschritt“, kommentierte Dr. Jeckyll sein zögerliches Auftreten, der an seinem Schreibtisch saß und einen Bericht schrieb.
„Ja, jetzt wo ich Vater bin sollte ich mal erwachsen werden. Stör ich grad?“, fragte er und setzte sich auf den Sessel.
„Du doch nie, bin schon fertig. Ich hatte nen langen Tag, ich war etwas rüde vorhin, wie geht’s deinem Hals?“, fragte Dr. Jeckyll und kam zu ihm.
„Ist ziemlich blau, du kannst Implantate nicht einfach so rausreißen, die sind an meinem spinalen Cortex angeschlossen, ich hab gar nicht mehr aufhören können zu heulen“, erklärte Orli.
„Und jetzt? Besser?“, fragte er fürsorglich und setzte sich neben ihn aufs Sofa.
„Etwas, danke, ich kann jetzt nur vollkommen nachvollziehen, was Vivian durchgemacht hat. Warte mal, ich hör da einen seltsamen Herzschlag neben Johnnys ich muss rüber“, erkannte er plötzlich und sprang auf.
„Du hörst dir den Herzschlag deines Sohnes ab?“, fragte Dr. Jeckyll verwundert.
„Ich kann ja kaum den ganzen Tag an dem Inkubator sitzen. Wir wiederholen das“, hetzte er davon. Als er außer Atem in der Babyabteilung ankam, sah er etwas Wunderschönes. Seine Verlobte trug seinen Sohn auf der Brust, während blinkende Sensoren seinen kleinen Körper bedeckten.
„Du darfst ihn halten?“, flüsterte er fast.
„Ja, er soll meine Körperwärme fühlen, er ist fit genug, dein Sohn ist ein kräftiger Bursche, dafür dass er heut Morgen nicht geatmet hat. Was bist du so außer Atem?“, fragte sie und setzte sich auf einen Sessel.
„Er trägt einen Sensor von mir an der Brust, dass ich seinen Herzschlag hören kann, egal wo ich bin. Hätte ich dir vielleicht sagen sollen, denn jetzt war ich verwirrt über deinen Herzschlag an seinem Sensor. Ihm geht’s also gut?“, fragte er hoffend.
„Ja, ihm geht’s bestens, willst du ihn auch mal halten?“, fragte sie und lächelte ihn an.
„Sehr gern, aber ich müsste vorher noch duschen. Wie ist dein Zimmer?“, fragte er und sah sie an, wie sie ihren Sohn auf ihrer nackten Brust gedrückt liegen hatte.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mein Zimmer in der AIDS-Klinik vermissen würde, aber das ist alles sehr steril hier. Ich bin aber in seiner Nähe und das ist sehr schön, denn ich kann kaum glauben wie sehr ich diesen kleinen Mann hier schon liebe. Ich hab übrigens gehört, dass Byron wieder da ist, warst du schon bei ihm?“, fragte sie und strich ihrem Sohn über das Köpfchen.
„Ja, gerade eben, er sieht fertig aus, war sicher nicht einfach heute. War es ja für uns alle nicht. Ich muss dir mal was erzählen, was ich dir schon vor langem erzählen hätte sollen“, begann er und setzte sich ihr gegenüber.
„Bitte sag mir, dass es nichts Schlimmes ist, ich hatte schon genug Aufregung“, bat sie.
„Kommt auf die Sichtweise an“, druckste er herum.
„Oh man!“
„Siehst du das hier?“, fragte er und zeigte seinen blauen Hals, wo Dr. Jeckyll ihm das Implantat entrissen hatte.
„Ist das ein Knutschfleck?“, fragte sie etwas verärgert.
„Würd ich dir einen Knutschfleck zeigen?“, fragte er, was ihre Gesichtszüge aber noch mehr entgleiten ließ.
„Nein, das ist kein Knutschfleck, ich hab ein Implantat getragen, Byron hat’s mir brutal entrissen, weil’s seins ist. Das unterdrückt meine Gefühle, das hab ich damals auch getragen nach unserem Quickie im Büro. Ich wollte meine Gefühle für dich nicht eingestehen und jetzt will ich nicht trauern“, erkannte er stockend.
„Wenn ich deinen Sohn nicht grade auf der Brust liegen hätte, würd ich dich schlagen, du Idiot“, zischte sie, zog ihr weites Oberteil wieder auf ihre Brust und legte ihren Sohn zurück in den Brutkasten.
„Wie konntest du so was machen, weißt du nicht wie gefährlich das ist?“, fragte sie schlug ihm bei jedem Wort auf die Brust.
„Au, jetzt schlägst du mich ja doch“, murrte er.
„Deshalb hab ich deinen Sohn auch weggelegt, wie kannst du so was Gefährliches machen, du bist ein Arzt, verdammt, du kennst das Risiko“, wütete sie und er hielt ihre Arme fest, als sie weiterschlagen wollte.
„Stör ich irgendwie?“, fragte Dr. Jeckyll, der hinter seinem Kumpel hergelaufen war, weil er sich Sorgen um ihn machte.
„Du, warum gibst du ihm so einen Mist?“, wendete sich die junge Mutter an den Psychologen und begann ihn auf die Brust zu stupsen.
„Au, das hat er ganz allein gemacht, da hab ich nichts damit zu tun“, zeterte Dr. Jeckyll.
„Du hast aber dieses komische Ding rum liegen gehabt. Könntest du meinen Verlobten mal therapieren, anstatt ihm diese Sachen zur Verfügung zu stellen?“, donnerte sie und weckte ihren Sohn damit.
„Klasse, jetzt ist er wach. Geht nach drüben, redet miteinander und wenn ich nochmal so ein Teil an ihm sehe, mach ich euch beide nen Kopf kürzer“, murrte sie und legte ihren Sohn wieder auf ihre Brust.
„Das war deutlich, geht klar. Man, der Kleine hat schon so ein Organ wie sein Vater. Darf ich mal?“, fragte Dr. Jeckyll und Vivian legte ihrem Therapeuten den Winzling auf die Brust. Er hörte sofort auf zu weinen.
„Du bist eindeutig als Nanny engagiert“, schmunzelte Orli und Dr. Jeckyll sah sie mit einem Glänzen in den Augen an.
„Ich hab drei Nichten und Neffen, aber keiner meiner Schwestern wollte, dass ich ihr Kind halte, wegen dem Virus und allem. Er riecht so gut“, konterte er zufrieden.
„Ja, das tut er, leg ihn wieder zurück, er muss warm bleiben“, bat sie und er tat es.
„Ich bring sie nur noch schnell zurück ins Zimmer, dann komm ich zu dir. Tut mir leid, dass ich dich beklaut habe, hab’s ja längst bereut“, entschuldigte sich Orli und ging mit Vivian zu ihrem Zimmer, während Dr. Jeckyll unter den strengen Augen der Schwestern zurück in die AIDS-Klinik ging.

Zwanzigstes Kapitel

 
Die Wochen vergingen und Johnny wurde kräftiger und kräftiger. An dem Tag, an dem sie Johnny mit nach Hause nehmen konnten erfuhren sie auch dass Johnny HIV-negativ war, was für sie noch ein größeres Wunder war.
„Die offiziellen Tests für das Mittel laufen noch diese Woche an und du wirst einer der ersten sein, die das Mittel bekommt“, versprach Orli, als er seine kleine Familie mit nach Hause in seine Wohnung mitnahm.
„Es ist eine Schande, dass das Marlis nicht mehr miterleben kann, denn sie hätte es viel mehr verdient als ich“, erklärte sie.
„Sie war eine stolze Anhängerin der Blutsschwestern, ich hab mich darauf vorbereitet, sie von der Impfung zu überzeugen, sie hätte sich sicher dagegen gewehrt“, sagte Orli nachdenklich.
„Das hab ich nicht gewusst, ich bin auch eine Blutsschwester, aber ich würde mich nie dagegen wehren, gesund zu werden“, dachte sie laut nach.
„Sie war die Leiterin der Blutsschwestern, du könntest ja ihren Platz einnehmen, auch wenn ihr irgendwann alle wieder gesund sein werdet, ist es gut, eine Gruppe zu haben, die an den Kampf erinnert“, entgegnete Orli planend.
„Ja, könnte ich vielleicht tun, aber momentan will ich erst mal Johnny hier nach Hause bringen“, erwiderte Vivian und fuhr ihrem Sohn, dem sie auf dem Arm trug, sanft über den Haarpflaum.
„Sicher, ich auch, ich hab ne Überraschung für dich, wenn wir zu Hause sind“, erwiderte er und lächelte seine Verlobte an.
„Nach Hause, das klingt gut“, erwiderte sie zufrieden und sie fuhren nach Hause.
 
„Okay Augen zu“, erkannte er, als sie vor der Tür waren.
„Jetzt machst du mich neugierig“, erklärte sie lächelnd und er führte sie an der Hand in den Raum.
„Jetzt leg deine Hand hier drauf“, bat er und legte ihre Hand auf ein schickes Holzbabybett.
„Jetzt mach die Augen auf“, plante er und sie öffnete die Augen. Sie stand in einer Nische in der liebevoll ein Kinderzimmer eingerichtet worden war.
„Oh Orli, das ist echt wundervoll“, freute sie sich und küsste ihn zärtlich.
„Mein Sohn hat nur das Beste verdient“, versprach er.
„Deine Mutter hat ganze Arbeit geleistet“, schmunzelte Vivian und legte ihren Sohn in sein Baby-Bett.
„Warum denkst du dass meine Mutter … ich sag ihr, dass es dir gefällt, aber das Bett hab ich ausgesucht“, gab er zu, dass es nicht ganz seine Idee war.
„Das gefällt mir auch am besten und Johnny gefällt es auch, sieh dir das an“, versicherte sie und sah glücklich in das Kinderbett. Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Das muss Mom sein, sie wollte vorbeikommen“, erklärte er und ging zur Tür. Nachdenklich sah sie ihren Sohn an, als sie laute Stimmen von draußen hörte. Eilig ging sie in den Flur. Was sie dort sah, verwirrte sie vollkommen.
„Au, was soll das? Au!“, jammerte Orli, der von einem Polizisten an die Wand gedrückt worden war und Handschellen trug.
„Was ist hier los?“, fragte sie ernst.
„Er ist verhaftet“, erklärte der Polizist nur und zog ihn weg.
„Sie wissen wohl nicht wen sie vor sich haben, oder? Ich bin Vivian Michelli, die Tochter des Polizeichefs“, tönte Vivian und lief dem Polizisten hinterher.
„Früherer Polizeichef soweit ich weiß, ich bringe ihn ins 14. Revier, kümmern Sie sich um Ihr Kind“, bat der Polizist und ließ sie einfach dort stehen.
 
Hektisch ging sie zurück zu Johnny, schnallte ihn sich an die Brust und fuhr dem Polizeiwagen hinterher.
Mit genauso hektischen Schritten eilte sie mit ihrem neugeborenen Sohn durch das 14. Revier. Dreist stürmte sie in das Revier des Captains.
„Sie haben sich mit der falschen Person angelegt, Mann“, tönte sie und der Captain drehte sich zu ihr um. Es war Lance, ihr Onkel.
„Man, ich wusste doch, dass ihr was plant“, erwiderte sie verärgert, aber auch erleichtert, dass die Verhaftung nur ein blöder Scherz von ihrer Familie war.
„Er hat sich ganz schön gewehrt gegen die Verhaftung, du heiratest keine Memme, das sag ich dir“, schmunzelte Lance und erntete einen bösen Blick.
„Ich bin krank und hab grad ein Kind geboren, glaubst du, ich kann das grad vertragen?“, fragte sie verärgert.
„Wir mussten ihn doch anständig in der Familie willkommen heißen“, frotzelte ihr zwei Jahre ältere Cousin Mick, der als Polizist in dem Revier arbeitete und zu seinem Vater ins Büro kam.
„Ihr blöden Säcke, normale Familien machen das mit einer Einladung zum Essen oder so. Wo ist er?“, fragte sie und Mick brachte ihn zu den Zellen.
„Schatz, was ist hier los?“, fragte Orli, der aufgelöst in der Zelle saß. Er hatte ein blaues Auge.
„Was habt ihr mit ihm gemacht?“, fragte sie wütend.
„Er hat sich losgerissen und ist gegen ne Wand gelaufen, da haben wir keine Schuld dran“, erwiderte Mick.
„Er ist der Sohn eines Kriminellen, er ist vermutlich getrimmt darauf, der Polizei zu misstrauen, lasst ihn raus, bitte“, murrte sie und die Tür zur Zelle sprang auf.
„Du heiratest einen Kriminellen?“, fragte Mick entsetzt.
„Nein, den Sohn eines Kriminellen, das ist was anderes. Lasst den Mist das nächste Mal, bitte“, forderte sie und ging mit ihm an der Hand aus dem Revier.
„Das war also deine Familie“, stammelte Orli verwirrt.
„Zumindest ein Teil davon, ja, willst du mich immer noch heiraten?“, fragte sie vorsichtig.
„Natürlich, Baby, ich hab nur den Schreck meines Lebens bekommen, ich stoße in manchen Sachen meiner Karriere an gesetzliche Grenzen, ich hab fieberhaft nach meiner Straftat die ich begangen haben soll in meinem Hirn gesucht“, erklärte er gestehend.
„Du hast Angst gehabt, dass sie dich wegen deiner Engel-Tätigkeiten verhaften, oder?“, fragte sie erkennend.
„Du weißt davon?“, fragte er etwas entsetzt.
„Wir haben die Pens gefunden, als du verschwunden warst, Dr. Jeckyll hat schon befürchtet gehabt, dass du dir was antun würdest“, erklärte sie.
„Du müsstest diese Patienten sehen, sie leiden nur noch“, versuchte er zu erklären.
„Ich bin nicht meine Familie, ich halte dich für einen Helden“, sagte sie und ergriff seinen Arm sanft.
„Danke, das bedeutet mir viel, deine Familie darf das aber nie erfahren, okay?“, bat er ernst.
„Keine Sorge, dein Geheimnis ist auch mein Geheimnis. Sieh dir deinen Sohn an, er hat alles verschlafen, er ist halt genauso cool wie sein Vater“, erkannte sie und lächelte ihn an.
„Ja, bin auch stolz auf ihn. Wir haben übrigens gar nicht mehr über deine Uni-Pläne gesprochen, was hast du in den nächsten Monaten vor?“, fragte er planend.
„Ich hab gestern mit meiner Mom gesprochen, sie passt während meiner Kurse auf Johnny auf, ich gehe nach dem Mutterschutz wieder zur Uni“, erklärte sie.
„Ja, das klingt gut, ich unterstütz dich mit allem. In zwei Wochen werden übrigens die ersten Heilmittel an ausgesuchte Ärzte verteilt, ich kann noch kaum glauben, dass wir es geschafft haben“, erzählte er mit stolz geschwellter Brust.
„Ja, ich kann es kaum erwarten, unser Leben wird sich dann ziemlich ändern, oder?“, fragte sie und er küsste ihren Kopf.
„Ich werde mich nicht ändern, wir werden vermutlich Johnny nur einen richtigen Raum einrichten können und nicht nur eine Nische. Ich werde nur vermutlich meine Engel-Tätigkeiten einstellen müssen, ich bin ja jetzt eine Person der Gesellschaft. Wir werden viel Kritik einstecken müssen in den nächsten Monaten wegen meinem Vater und deiner Krankheit, ich hoffe, das ist dir klar“, dachte er laut nach.
„Ich werde bald wieder gesund sein und du hast sicher schon seit deiner jüngsten Kindheit mit Vorurteilen leben müssen, wir kriegen das hin“, versprach sie.
„Du bist echt eine tolle Frau und ich bin glücklich dich gefunden zu haben“, erwiderte er und küsste sie.
„Du wirst mir mein Leben retten, ich könnte auch nicht glücklicher sein, dich gefunden zu haben“, entgegnete sie und lächelte ihn an.
„Ich möchte dich heiraten“, sagte er plötzlich.
„Du hast mir schon einen Antrag gemacht, mein Süßer“, schmunzelte sie.
„Heute, ich will dich heute heiraten“, ergänzte er und grinste breit.
„Ich will dir ja nicht deine Träume mies machen, aber wir brauchen eine Hochzeitslizenz dafür und die kriegen wir heute nicht mehr“, nahm sie das nicht so ernst.
„Die Lizenz hab ich nach unserer Verlobung beantragt und die ist schon genehmigt worden“, gestand er.
„Du hast unsere Lizenz beantragt ohne es mir zu sagen?“, fragte sie kritisch.
„Sollte ne Überraschung sein, tut mir leid, also willst du?“, fragte er.
„Das Standesamt macht in einer Stunde zu, dann müssten wir gleich gehen“, sagte sie spontan zu.
„Ich rufe Byron und Virgil an, sie werden unsere Trauzeugen, wenn das ok ist“, plante er und sie nickte.
 
So gaben sich Vivian Michelli und Dr. Orlando Hawks mit ihren besten Freunden als Trauzeugen in einer standesamtlichen Trauung ganz spontan in T-Shirt und Jeans das Ja-Wort.

Einunzwanzigstes Kapitel

 
Am nächsten Morgen war Vivian mit Jonathan bei Anita, weil Orli sie nicht allein lassen wollte, während er arbeitete.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass er gesund ist, er ist so ein Wunder“, dachte Vivian laut nach, als sie ihren Sohn betrachtete.
„Ja, ich war auch völlig baff, als Orli plötzlich gesund war“, konterte Anita und setzte sich neben sie.
„Orli war AIDS-krank?“, war sie baff.
„Natürlich war er das, er kann nur gegen etwas Antikörper entwickeln, wenn man infiziert ist, hast in Biologie in der Schule wohl nicht so aufgepasst, oder?“, fragte Anita schmunzelnd.
„Ich hab nen nicht gewolltes Baby auf dem Schoß, was denkst du?“, fragte sie cool.
„Ach ja, richtig, wie fühlt sich das Mutter-Sein jetzt an?“, fragte Anita neugierig.
„Richtig gut, natürlich, ich liebe meinen Sohn so sehr und wenn ich dann auch gesund bin können wir eine glückliche Familie sein“, erkannte sie nachdenklich.
„Wann wollt ihr eigentlich heiraten?“, fragte Anita plötzlich.
„Ja, irgendwann halt“, entschied Vivian herumdrucksend.
„Irgendwas mit euch nicht in Ordnung?“, fragte Anita besorgt.
„Nein, alles bestens, wir überlegen halt noch einen Termin, das ist alles“, versprach sie.
„Zeig mir deinen Arm“, bat Anita ernst.
„Es ist nichts mit meinem Arm“, entgegnete sie etwas ruppig und Anita packte ihre Schwiegertochter kräftig am Arm.
„Aua“, fluchte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht.
„Neu tätowiert worden?“, fragte Anita und Vivian zog ihren Ärmel beschämt hoch. Ein Stern prangte über ihrem GIS.
„Seit wann seid ihr verheiratet?“, fragte Anita kritisch.
„Äh, gestern Abend?“, fragte Vivian kleinlaut.
„Und wann wolltet ihr mir das gestehen?“, fragte Anita.
„Wir wollten es dir heut Abend zusammen sagen, was machst du da?“, fragte Vivian, als Anita ein paar Sachen in einem Display neben dem Sofa eingab.
„Hey, meine Süßen, wie geht’s euch?“, sahen sie auf dem Bildschirm in das verschmitzte Gesicht von Orli, der in seinem Büro saß.
Anita ließ ein Schimpfgewirr zwischen Spanisch und Italienisch gegen ihren Sohn los.
„Man, ich hätte dich nicht allein lassen sollen, hättest du nicht bis heut Abend warten können?“, entgegnete Orli ertappt zu Vivian.
„Sie hat mich nach dem Hochzeitstermin gefragt, tut mir leid“, entschuldigte sie sich.
„Na ja, in die Politik kannst du nicht gehen, was hältst du denn davon, Mom?“, wendete sich Orli wieder an seine Mutter.
„Ich wäre schon gern dabei gewesen“, schmollte Anita.
„Wir werden noch eine große Hochzeit veranstalten, wenn wir das Geld haben, aber momentan wollten wir nur verheiratet sein“, erkannte er.
„Dann freu ich mich natürlich für euch. Wissen es Vivs Eltern schon?“, fragte Anita sanfter.
„Ich muss noch warten bis meine Kevelaer-Weste geliefert wird“, scherzte er.
„Ich hab von dem Vorfall gestern gehört, geht’s dir gut?“, fragte seine Mutter und sah ihn besorgt an.
„Ja, war nur ein kleiner Schreck, du weißt ja wieso. Interessant ihre Familie“, erklärte er und Vivian grinste.
„Schön gesagt, Schatz“, konterte Vivian.
„Eine Cop-Familie trifft auf eine Verbrecherfamilie, das wird noch zu Problemen führen“, stellte Anita fest.
„Ja, das hab ich schon gemerkt, das kriegen wir aber hin, mach dir keine Sorgen, Schatz“, versprach Orli seiner Frischangetrauten.
„Wir stehen auf der richtigen Seite, ich hab keine Angst“, schmunzelte sie.
„Wirklich sehr nett, du stellst dich also auf die Seite deiner Familie“, raunzte Orli plötzlich.
„Mom könntest du Johnny mitnehmen und den Raum verlassen, dass wir uns in Ruhe unterhalten können?“, fragte Orli.
„Klar, Schätzchen, ich wollte eh unsere Essensrationen aufwärmen, unterhaltet euch schön, aber denst daran, ihr gehört beide zur guten Seite, egal welche Wurzeln du hast“, bemerkte Anita, nahm ihren Enkel und ging in die Küche.
„Und da haben sie mir auf der Highschool gesagt, ich hätte kein Talent zum Schauspielern, hey du“, bemerkte sie sanft, als sie allein waren.
„Hey, letzte Nacht war wunderschön, tut mir leid, dass ich so früh wegmusste“, bemerkte er und sie lächelte.
„Nicht so schlimm, dein Sohn hat mich eh den halben Morgen auf Trab gehalten, hat ein ganz schönes Organ, der Kleine. Tut mir leid, dass ich damit rausgeplatzt bin, ich bin nur so glücklich, dass wir das gemacht haben“, erklärte sie.
„Dann hab ich noch eine tolle Nachricht, wir können dich nächste Woche heilen“, präsentierte er die gute Nachricht.
„Das ist gigantisch, danke, ich freu mich. Was ist mit Byron?“, fragte sie.
„Er muss leider noch etwas warten, du hast ein bisschen Privilegien bekommen, weil du meine Frau bist und so, nein, ich hab dich nicht deswegen so schnell heiraten wollen, aber das ist ein tolles Extra“, erklärte er.
„Das ist nicht fair ihm gegenüber, er ist schon so viel länger krank“, war sie nicht glücklich mit dieser Entscheidung.
„Er versteht das, ehrlich“, versprach er.
„Ja, das tut er“, mischte sich Dr. Jeckyll plötzlich ungesehen von der Kamera ein.
„Hey, stör ich euch grad bei was?“, fragte sie erstaunt.
„Nichts, was die Ehefrau nicht wissen sollte, wir haben eigentlich grad unsere monatliche psychologische Sitzung“, bemerkte Dr. Jeckyll.
„Dann will ich euch nicht mehr länger aufhalten, kommst du wirklich damit klar?“, fragte sie noch einmal.
„Ja, weißt du doch, Johnny braucht dich, schon gut. Danke für den Anruf, er hat uns viel Themen geliefert, über die wir reden können“, bedankte sich Dr. Jeckyll.
„Bitte, gern geschehen, holst du mich heut Abend immer noch hier ab?“, fragte sie wieder Orli.
„Natürlich, mein Schatz, freu mich schon“, entgegnete er und legte wieder auf.
 
Die Woche verging viel zu schnell und dann kam der Tag, auf den sie schon ein Jahr gewartet hatte. Orli wollte es diesmal persönlich machen und Virgil war auch da um auf seinen Patensohn aufzupassen. Wie Wochen zuvor rollte Orli den Pen in der Hand herum und zögerte es zu spritzen.
„Jetzt mach schon, vom Warten wird es nicht besser“, forderte Vivian nervös.
„Hetz mich nicht, Weib“, murmelte er.
„Eine Woche verheiratet und schon bin ich das Eheweib, ich kann’s auch selbst machen, wenn du dich nicht traust“, entschied sie und er rammte ihr den Pen in den Arm.
„Okay, eine Vorwarnung wäre nicht schlecht gewesen“, rieb sie sich den schmerzenden Arm.
„Wir behalten dich jetzt über Nacht hier nur um zu schauen, dass es dir gut geht“, erklärte Orli.
„Ich kann nicht hierbleiben, was ist mit Johnny?“, entschied sie.
„Er kommt zu meiner Mutter, ich bleibe bei dir“, versprach er.
„Ich komm hier auch allein klar, ich war schon manche Nacht hier, schon vergessen?“, fragte sie.
„Du wirst mich nicht so schnell los, ich bleibe hier, ich hab eh Nachtschicht. Wie fühlst du dich bis jetzt?“, fragte er und lächelte sie an.
„Mein Arm tut weh, Dr. Moreau, aber sonst gut, ich kann es kaum abwarten, gesund zu sein“, war sie glücklich und ergriff seine Hand. Während sich Orli mit Dr. Fawcett unterhielt, der auch dabei war, hielt er ihre Hand. Plötzlich ließ sie los und er drehte sich um. Vivian hatte das Bewusstsein verloren.
„Schatz, nicht einschlafen, Schatz?“, fragte er und wurde dann panisch.
„Sie hat das Bewusstsein verloren und ihre Vitalzeichen sind runter, ich hab doch gesagt, dass das zu früh nach der Geburt ist, aber sie musste mich ja unbedingt überzeugen“, murrte Dr. Fawcett und eilte auf die andere Seite des Krankenbetts, in dem sie lag.
„Was habt ihr gemacht?“, wurde Virgil auch unruhig und kam zu ihnen hin mit Johnny auf dem Rücken.
„Bring Johnny raus, bitte “, bat Orli.
“Ich kann helfen”, entschied er.
„Bring ihn raus, verdammt, jetzt“, wurde Orli schroff und verängstigt von seiner lauten Stimme verließ Virgil den Raum.
„Was macht ihr Puls?“, fragte Dr. Fawcett.
„Er wird niedriger und niedriger, was machen wir jetzt, Doc, helfen Sie mir“, wurde Orli panisch.
„Sie haben das Mittel entwickelt, ich weiß auch nicht, was ich machen soll“, war auch Dr. Fawcett unsicher.
„Schließen wir sie an die Geräte an“, handelte Orli und so machten sie es. Doch es half nichts, seine Frau fiel ins Koma.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

 
Die Michellis starrten Orli mit bösem Blick an, der an diesem Abend eingeschüchtert mit seinem Sohn auf dem Arm in einem Eck saß.
„Ich weiß nicht, was sie ihm jetzt vorwerfen, dass er das gemacht hat, oder dass sie ohne ihr Wissen geheiratet haben“, entgegnete Dr. Jeckyll, der mit Virgil die Szenerie betrachtete.
„Kannst du die blöden Sprüche mal lassen, unsere Freundin liegt im Koma“, murrte Virgil, der genauso fertig aussah wie Orli.
„Tut mir leid, ich red Scheiß, wenn ich nervös bin. Was machen wir jetzt?“, fragte Dr. Jeckyll herumdrucksend und Virgil schüttelte mit einer Träne im Auge nur den Kopf.
„Blut“, stieß Orli plötzlich hervor und stand auf.
„Was hat er jetzt vor?“, fragte Dr. Jeckyll und Virgil sah ihn mit verweinten Augen wortlos an.
„Keine Ahnung, geh ihm doch hinterher“, riet Virgil ihm, als sein Kumpel in Vivians Zimmer eilte. Dr. Jeckyll folgte ihm.
„Orli, Süßer, du bist durcheinander, mach keinen Mist“, bat Dr. Jeckyll professionell, als Orli sich einen Ärmel hochkrempelte und selbst einen Blutbeutel anlegte.
„Nein, ich mache jetzt genau das richtige, ein halber Liter müsste reichen, ruf einen von den Michellis rein, ich brauch gesundes Blut von ihrer Blutgruppe“, erwiderte er und setzte sich auf einen Stuhl, dass er sich ruhig Blut abnehmen konnte.
„Was machst du?“, fragte Dr. Jeckyll, der nicht verstand, was er wollte.
„Tu es einfach“, raunzte Orli wirsch. Dr. Jeckyll nahm ihm Jonathan ab und ging zu Lilah und Dustin.
 
„Du machst mir ein bisschen Angst, Junge“, entschied Lilah, als Virgil, Dustin einen halben Liter abnahm und Orli sein Blut für eine Übertragung vorbereitete.
„Mehr falsch machen, als wir schon haben, können wir wohl kaum, oder?“, fragte Orli mit müden Augen und verband sein Blutbeutel mit Dustins.
„Ich glaub, ich weiß was er vorhat, clever“, hatte Virgil kapiert, was sein Kumpel vorhatte.
„Weihst du uns ein?“, fragte Lilah unsicher.
„Er macht sein Blut für sie kompatibel und seine Antikörper gegen den Virus können ihr helfen“, erklärte Virgil, Orlis Plan.
„Das klingt ganz schön riskant“, entgegnete Dustin kritisch.
„Ist es auch, aber wir können nicht mehr viel verlieren. Ich mach es nur, wenn ihr das auch wollt“, entschied Orli, der Dustins Blutbeutel bei Vivians Infusion andocken wollte. Dustin und Lilah sahen sich gegenseitig an und Dustin nickte.
„Okay, dann drückt mir die Daumen, eine Drei-Wege-Blutübertragung wäre dann auch eine Sache die noch nie gemacht wurde“, erklärte er und dockte das Blut von Vivians Vater und seines an ihr an.
„Jetzt können wir nur warten“, entschied er, bevor er ohnmächtig zur Seite kippte.
„Klasse, was für nen Idiot“, murmelte Virgil und zog Orli auf einen Untersuchungstisch.
„Legen wir ihm einen Beutel von künstlichem Blut, er hatte sicher in den letzten Tagen nochmal eine Blutabnahme und hat uns diese kleine Winzigkeit verschwiegen“, entschied Dr. Jeckyll und eilte in einen Nebenraum um das Blut zu holen.
Als er zurückkam, hatten sich die Werte von Vivian schon verbessert.
„Es funktioniert?“, fragte Dr. Jeckyll überrascht.
„Unser Junge ist ein echtes Genie, er zeigt es nur so selten“, schmunzelte Virgil und legte ihm das Blut an.
„Ja, das hat man ja gesehen, ich denke, er wird wieder aufwachen, wenn das Blut durchgelaufen ist. Geht’s dir gut, Dustin?“, fragte Virgil, der die Kontrolle über die Aktion übernommen hatte und Dustin nickte stumm.
„Warum haben sie uns bei der Hochzeit nicht dabeihaben wollen, wisst ihr das?“, fragte Lilah plötzlich in die Stille.
„Vermutlich liegt es an dem Auftritt ihrer Anverwandten und seiner Verhaftung“, konterte Virgil und hängte Orli an die Geräte.
„Man, ich hab ihm gesagt, er soll das nicht machen, den gleichen Blödsinn hat unser Vater damals auch mit Lilah gemacht. Vivs Blutdruck geht hoch, heißt dass, dass sie aufwacht?“, fragte Dustin und ging zu seiner Tochter, um ihre Hand zu halten.
„Das könnte ein Anzeichen sein, ja, lassen wir ihr Zeit, jetzt müssen wir aber erst mal Dr. Oberflieger wach kriegen“, entschied Virgil und sah auf Orlis Werte, die in Ordnung waren.
„Was ist passiert?“, wurde Orli wieder wach.
„Du bist ein Idiot, das ist passiert. Wie fühlst du dich?“, fragte Virgil.
„Ein bisschen schwach, sonst gut. Funktioniert es?“, fragte Orli und versuchte sich aufzusetzen, aber Virgil drückte ihn auf den Tisch zurück.
„Schön liegen bleiben, mein Freund, deine Frau läuft dir auch nicht weg. Ja, es funktioniert, ihre Werte werden besser. Du bist echt verrückt, weißt du das eigentlich?“, schmunzelte Virgil.
„Ja, man muss ein bisschen verrückt sein heutzutage. Danke, dass du nicht Dr. Fawcett geholt hast, er ist nicht so wahnsinnig gut auf mich zu sprechen, heut“, erwiderte er.
„Bitte, ich denke auch nicht, dass er was anderes hätte machen können wie ich, schließlich hab ich auch ne medizinische Ausbildung. Wenn du das nächste Mal Blutbank spielen willst, warn mich vor, bitte“, bat Virgil und überprüfte seine Werte.
„Ich hatte vergessen, dass ich erst vor drei Tagen Blut gegeben hatte, wenn sie deine Frau wäre, hättest du auch keinen Kopf für andere Sachen“, erklärte er und sah zu Vivian.
„Wenn sie meine Frau wäre, hätte ich sie niemals mit experimenteller Medizin vollgepumpt“, konterte Virgil.
„Toll, mach mir noch Schuldgefühle, als hätte ich dich nicht schon genug“, entschied er.
„Klar, tut mir leid. Sie wird es packen, ihre Werte werden immer besser“, erklärte Virgil und half Orli aufzusitzen.
„Ich war so blöd“, murmelte Orli, der sich seinem Übermut bewusstwurde.
„Dazu sag ich jetzt nichts, Junge“, entgegnete Dustin zu seinem Schwiegersohn.
„Hör auf meinen Mann zu ärgern, Dad“, murmelte Vivian plötzlich, die wieder aufwachte.
„Schatz, warst du das?“, fragte Orli und rutschte auf seiner Liege zur Seite, um ihr Gesicht zu sehen.
„Hast du noch andere Ehefrauen?“, fragte sie cool.
„Wie geht’s dir, Engelchen?“, fragte er und strich mit der Hand über ihren Kopf.
„Was ist passiert?“, wollte sie wissen.
„Du hast ziemlich heftig auf das Mittel reagiert, aber ich konnte das beheben“, versicherte Orli und küsste sie.
„Bin ich ein Auto?“, fragte sie verwundert.
„Okay, das hab ich falsch ausgedrückt, ich meine, dass du wieder gesund wirst“, versprach er seiner Frau.
„Es hat funktioniert?“, hoffte sie.
„Das wissen wir bis jetzt noch nicht, aber zumindest fällst du vermutlich nicht mehr ins Koma“, erklärte Virgil, der auf der anderen Seite ihres Bettes stand.
„Ich lag im Koma?“, fragte sie benommen.
„Ja, du hast uns zu Tode erschreckt, du musst mir auch alles nachmachen, oder?“, fragte Virgil und sie ergriff seine Hand.
„Nicht freiwillig, das sag ich dir. Wo ist mein Sohn, ich möchte ihn halten“, bat sie und Lilah gab ihr Johnny.
„Ah, schon geht’s mir besser, ich hab seltsame Sachen geträumt als ich weg war, die wollt ihr gar nicht wissen. Warum bist du so bleich, Schatz?“, fragte sie und strich über das Gesicht ihres Mannes, nachdem Virgil ihr ihren Sohn wieder abgenommen hatte.
„Dein Mann ist ein Hornochse“, entgegnete Virgil.
„Hey, hört auf damit, das ist er gar nicht“, motzte sie und Virgil erzählte ihr, was Orli grade getan hatte.
„Idiot“, erwiderte Vivian, als sie Virgils Story gelauscht hatte zu Orli.
„Okay, nächstes Mal lass ich dich draufgehen“, erwiderte Orli mürrisch.
„Du weißt, wie ich das meine, du hättest draufgehen können und wer hätte sich dann um Johnny gekümmert?“, fragte sie gereizt.
„Ich wär nicht draufgegangen, sag ihr das, Virge“, bat er seinen Kumpel.
„Er wär nicht draufgegangen!“
„Ja, vermutlich nicht, aber er war nen paar Minuten ohnmächtig und das ist nicht ungefährlich. So, deine Blutkonserve ist durchgelaufen, hoffen wir mal, dass dieses künstliche Zeug deine Champion-Antikörper nicht durcheinanderbringt“, entgegnete Virgil und zog ihm den Zugang aus dem Arm.
„Da denkst du echt spät dran, nimm mir Blut ab und schick es ins Labor, bitte“, bat Orli und kopfschüttelnd nahm Virgil wieder etwas Blut ab.
„Das ist künstliches Blut, da kann eigentlich nichts passieren“, entschied Virgil, nahm die Blutprobe und verschwand aus dem Raum.
„Mach ich nicht so blöd an, er wollte nur helfen“, bat Vivian müde.
„Ja, tut mir leid, war nen langer Tag. Man und in ner halben Stunde beginnt meine Schicht. Lilah, könntest du Johnny zu meiner Mutter bringen?“, bat Orli müde.
„Du warst grad ohnmächtig, solltest du wirklich jetzt arbeiten?“, fragte Lilah und legte Johnny in sein Babykörbchen.
„Ich muss halt, geht schon. Also, machst du es?“, fragte Orli und stand auf. Dabei kam er ins Strudeln.
„Dann bleib wenigstens noch etwas sitzen, du Held. Natürlich bring ich meinen Enkel zu deiner Mutter, ich kann ihn aber auch nehmen“, entgegnete Lilah.
„Macht das unter euch aus, lasst ihr uns jetzt allein?“, wollte er seine Schwiegereltern loswerden.
„Klar, können wir machen. Geht’s ihr wirklich wieder gut?“, fragte Dustin und kam zu seiner Tochter hin.
„Ja, denk schon, bringt Johnny einfach hier raus, er ist ja noch so klein und hier schwirrt ja immer noch ein mysteriöses Virus herum“, bat sie und ihre Eltern gingen auch.
„Es tut mir so leid, was ich dir angetan habe“, sagte Orli liebevoll und setzte sich zu ihr aufs Bett.
„Du hast gedacht, es hilft mir, keine Sorge, du hast es ja wieder gutgemacht. Nimmst du mir auch Blut ab? Ich will wissen, ob es funktioniert hat“, hoffte sie.
„Noch nicht, Süße, lass mein Blut erst Mal seine Arbeit tun, dann sehen wir weiter. Du wolltest mir also einfach so wegsterben, ein bisschen egoistisch, findest du nicht?“, schmunzelte er und sie legte ihren Kopf auf seine Schulter.
„So bin ich eben. Wie kritisch war mein Zustand?“, fragte sie ernst.
„Das will ich dir lieber nicht sagen!“, druckste er herum.
„Ich wär abgekratzt, oder?“
„War ziemlich knapp, ja, ich hatte ne Scheißangst“, gestand er.
„Hast du geflennt?“, fragte sie neckend.
„Nein, aber Virge war eine Heulsuse“, petzte er.
„Kleine Petze. Dein Blut ist im Labor, aber ich glaub nicht, dass das irgendwas in deinem Körper geändert hat. Na, wo sind denn alle hin?“, fragte Virgil, der zurückkam.
„Die wollten uns eigentlich etwas Privatsphäre gönnen. Müsstest du nicht arbeiten?“, wollte Orli ihn loswerden.
„Klar, junge Liebe, ätzend. Also, ruft mich sofort, wenn es dir schlechter geht“, bat Virgil, küsste Vivians Kopf und verschwand auch.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

 
Eine Woche später bekam Vivian die eindeutige Bestätigung, dass sie geheilt war und sie feierten das mit einer großen Party. Dr. Jeckyll sollte seine Heilung erst bekommen, wenn das Medikament offiziell auf dem Markt war, denn nach Vivians Beinahe-Tod mussten sich Mediziner noch einmal zusammensetzen und die Formel verändern. Dr. Jeckyll war das ziemlich egal, er war gesundheitlich so fit, dass er das abwarten konnte. Orlis Blut war aber nicht verunreinigt worden, doch sie hatten etwas Interessantes herausgefunden, was Orli gleich seiner Frau erzählen wollte, als er nach Hause kam. Vivian wirbelte vorbereitend in der Küche herum und schien aufgekratzt zu sein. Johnny weinte in seinem Bettchen.
„Hey, Johnny weint“, begrüßte Orli sie mit einem Küsschen auf den Nacken.
„Au, ja, ich weiß, er ist nur quengelig“, murmelte sie und rieb ihren Nacken.
„Hast du Nackenschmerzen?“, fragte er liebevoll und begann ihren Nacken zu massieren.
„Ich hab Johnny heut den ganzen Tag getragen, er lässt sich einfach nicht beruhigen“, murmelte sie müde.
„Ich bin zu oft weg in letzter Zeit, tut mir leid, es wird besser, versprochen. Ich geh mit Johnny ne Runde Spazieren, er spürt deine Anspannung, deshalb weint er. Mach dir keinen Stress, meine Eltern können auch ohne Deko leben“, versuchte er seine Frau zu beruhigen.
„Ich treff das erste Mal deinen Stiefvater, das soll alles perfekt sein. Was ist wenn sich dein Vater und mein Vater nicht mögen?“, fragte sie gestresst.
„Dann fliegen sie raus, kein Drama. Setz dich hin, du hast erst vor einer Woche im Koma gelegen, dein Arzt verschreibt dir Ruhe“, bat er und drückte sie auf einen Stuhl.
„Aber, ich kann nicht“, maulte sie.
„Doch, du kannst, ich will dich dasitzen sehen, wenn ich nachher wieder komme, ja?“, befahl er, nahm seinen Sohn auf die Brust und ging mit ihm Spazieren. Auf der Straße kam ihm Dr. Jeckyll entgegen.
„Hey, na schon rausgeflogen aus der Wohnung?“, fragte Dr. Jeckyll frotzelnd.
„Sie ist ein wenig gestresst, du solltest mal professionell mit ihr sprechen, sie bedrückt irgendwas“, konterte Orli und setzte sich auf eine Parkbank. Dr. Jeckyll tat dasselbe.
„Ich weiß schon was mit ihr los ist, ohne dass ich mit ihr rede“, schlussfolgerte Dr. Jeckyll und Orli sah ihn verwundert an.
„Hallo! Du bist seit einer Woche nicht mehr zu Hause gewesen und deine Frau hat ein Baby zu Hause, man muss kein Einstein sein, um das zu analysieren“, erkannte er.
„Du hast Recht, ich hatte keine Familie eingeplant, als ich mich für dieses Projekt gemeldet habe. Sie ist gesund und sie konnte sich noch gar nicht richtig darüber freuen“, entgegnete er erschöpft.
„Ich werde mich um sie kümmern, das ist jetzt eine wichtigere Aufgabe, sie wird das verstehen“, versprach er.
„Man, ich krieg grad starke Kopfschmerzen, halt den Kleinen mal“, bat Orli plötzlich.
„Was ist mit dir?“, wunderte Dr. Jeckyll.
„Bitte, sofort“, bat er hektisch und Dr. Jeckyll nahm ihm Johnny ab. Orlis Schädel wurde plötzlich von Schmerzen durchzogen und er senkte seinen Kopf in den Schoß.
„Orl, du machst mir Angst, sag was“, entgegnete Dr. Jeckyll erschreckt.
„Ich hab so komische Bilder im Kopf, so komische Bilder“, murmelte er benommen.
„Hast du grad nen Schlaganfall, oder so?“, wurde es Dr. Jeckyll mulmig.
„Dann könnt ich nicht mehr reden, nimm das auf, bitte“, bat Orli und Dr. Jeckyll nahm sein Headset und filmte Orlis komisches Verhalten. Nach zehn Minuten war alles vorbei und er hob seinen Kopf wieder.
„Was zum Henker war das?“, fragte Orli, als der Schmerz weg war.
„Was zum Henker ist Pharma Inc.?“, fragte Dr. Jeckyll etwas verdattert.
„Die Firma die mich entführt hat“, sagte er nur.
„Du erinnerst dich wieder?“, fragte Dr. Jeckyll erstaunt.
„Die haben mich anscheinend unter Drogen gesetzt um etwas zu vergessen, tja, ihre Medikamente sind wohl alle nicht sehr effektiv, jetzt mach ich sie so was von fertig“, entschied er und fuhr seinem Sohn auf Dr. Jeckylls Armen mit der Hand über den Kopf.
„Kannst du aufstehen?“, fragte Dr. Jeckyll hilfsbereit.
„Ja, mir geht’s gut, kannst du ihn nach Hause tragen?“, fragte Orli und Dr. Jeckyll folgte dem benommenen Orli in die Wohnung.
 
Vivian stand von ihrem Stuhl auf, als ihr Mann zu Tür reinkam. Er war leichenblass und torkelte ein bisschen.
„Schatz, was ist los?“, fragte sie liebevoll und berührte sein Gesicht.
„Ich habe Migräne, ich leg mich etwas hin“, entgegnete er nur, küsste ihre Hand und ging ins Schlafzimmer.
„Was ist mit ihm?“, fragte sie ihren Gast und nahm ihm Johnny ab.
„Er ist etwas überarbeitet, lass ihn einfach etwas schlafen, nachher kommen ja die Gäste, er soll sich noch etwas erholen. Johnny hat gut an Gewicht zugenommen“, bemerkte Dr. Jeckyll und sie lächelte ihn an.
„Ja, er ist ein richtiger kleiner Wonneproppen. Hatte er früher schon mal Migräne?“, fragte Vivian und brachte ihn zum Sofa.
„Nicht das ich wüsste, er ist ein bisschen überarbeitet, mach dir keinen Kopf. Du siehst aber auch ziemlich geschafft hast, ist aber normal mit nem Baby. Darf ich es sehen?“, fragte er und sie zog ihren Ärmel hoch. Nachdenklich fuhr er über die Narbe wo vorher ihr Blutstropfen geprangert hatte.
„Es ist ein tolles Gefühl, ich hätte das gern mit meinem Mann gefeiert, aber anscheinend ist er zu müde dafür“, entgegnete sie nachdenklich.
„Er verändert die Welt, Süße, lass ihn ein paar Stunden schlafen, dann kann er sich für dich freuen. Bring Johnny doch ins Bett, dann kannst du dich auch mal ausruhen“, schlug Dr. Jeckyll vor und Vivian brachte ihren Sohn ins Schlafzimmer. Dabei ertappte sie ihren Mann bei einem Videotelefonat.
„Ja, ich schick dir den Clip gleich, ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, du bist der Anwalt, sag du es mir“, sprach er auf dem Display mit einem ihr sehr bekannten Mann.
„Chance, ich wusste doch, dass du irgendwann mal Rache nehmen würdest“, kommentierte sie, dass ihr Ex-Freund als Anwalt für ihren Mann tätig war.
„Viv, hey, gut siehst du aus“, war er überrascht sie zu sehen.
„Schleimer, das mochte ich nie an dir. Ich wollte nur schnell meinen Sohn hinlegen, lasst euch nicht stören“, erkannte sie und ging ans Babybett.
„Deine Frau ist meine Ex?“, fragte Chance überrascht.
„Vivian ist deine Ex-Freundin?“, fragte Orli verdattert.
„Das wollt ich damit sagen, hat sie nicht AIDS?“, fragte Chance.
„Nicht mehr, du bist Patentanwalt, ich hab dich doch in den letzten Wochen aufgeklärt was ich da mache“, erwiderte Orli.
„Ach du kapierst das ich Patentanwalt bin? Ich kann mit deinem Video nicht viel anfangen, ich schick’s aber an einen Kollegen“, erklärte Chance.
„Welches Video, was ist los?“, mischte sich Vivian ein, die ihren Sohn in der Nische abgelegt hatte.
„Du solltest ihr nichts verheimlichen, das mag sie gar nicht“, entschied Chance cool.
„Nein, das mag ich wirklich nicht, welches Video, redet“, forderte sie.
„Mir ist grad wieder eingefallen wer mich entführt hat und Byron hat es für die Polizei aufgenommen, wir kriegen sie“, erkannte Orli und Vivian umarmte ihn mit einem Arm.
„Das ist wunderbar, wer war es?“, fragte sie und er zeigte ihr das Video am Rand des Displays.
„Man, das ist aber mehr als Migräne, mein Süßer, geht’s dir jetzt wieder gut?“, fragte sie und er nickte.
„Danke Chance, für deine Mühe, ich mach jetzt Schluss und verführ deine Ex-Freundin“, schmunzelte Orli, machte das Display aus und zog seine Frau auf das Bett vor ihm.
 
20 Minuten später kamen sie tiefenentspannt Arm in Arm nur in Shorts und Hemd bekleidet aus dem Schlafzimmer.
„Hey, krieg ich was zu trinken?“, fragte Virgil, der inzwischen auch zur Party gekommen war und etwas auf einem Pad las, während er auf dem Sofa lungerte.
„Verdammt, wie lang bist du schon hier?“, fragt Vivian beschämt.
„Lang genug um Mr. Oh mein Gott in Höchstform zu erleben. Übrigens, ich bin schon ein bisschen neidisch“, erkannte Dr. Jeckyll, der mit zwei Trinkeinheiten zu Virgil kam und ihm eins gab.
„Ich glaub, ich geh jetzt erst mal duschen“, murmelte Vivian und ging ins Badezimmer.
„Aber beeil dich Schatz, unsere Eltern müssen jeden Augenblick kommen, ach verdammt“, realisierte Orli und eilte ins Schlafzimmer um sich anzuziehen.
 
Auf das Ehepaar kam nach diesem Tag viel Arbeit und Stress zu. Vivian beendete ihr Marketing-Studium und begann einen Job in einer Marketing-Firma und Orli wurde durch seine Erfindung zusammen mit seinen Kollegen weltberühmt. Zehn Jahre später hatte sich in New Denver viel verändert. Der AIDS-Virus war fast aus der Stadt verschwunden und der nun gesunde Dr. Jeckyll hatte seine eigene Praxis wo er nur selten mit AIDS-Patienten zu tun hatte. Die größte Veränderung die sich innerhalb des Jahrzehnts nicht nur in der Stadt in Colorado ereignet hatte war das Verbot von Sex. Durch die stetig steigende Geburtsrate im Land durch den Wegfall vom AIDS-Virus wurde von Präsident Shore das Gesetz verabschiedet. Auch Orli und Vivian wurden davon nicht verschont, was für sie ziemlich schwer war. Da sie aber ein zweites Kind haben wollten, begab sich Vivian an diesem Septembertag in einer Frauenklinik um, wie es zu dem Zeitpunkt üblich war, befruchten zu lassen. Ihr Mann hatte an diesem Tag einen öffentlichen Auftritt und so kam der fast zehnjährige Johnny, der seinem Vater von Tag zu Tag äußerlich ähnlicher sah, mit zu dem Termin.
„Warum konnte ich nicht zu Onkel Virgil und Tante Amanda gehen nach der Schule?“, fragte Johnny trotzig, als er an der Hand seiner Mutter in der Klinik ankam.
„Es dauert nur ein paar Minuten, John, schau doch einfach solang Fernsehen in der Eingangshalle, ich mach dir die Rede von deinem Vater an“, bat sie und brachte ihn zu dem großen Display in der Eingangshalle.
 
Die Befruchtung war im Vergleich zum letzten Jahrhundert wirklich effektiver und sie freute sich schon, wieder schwanger zu sein. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging sie nach der Behandlung zu ihrem Sohn.
„Komm Johnny, wir können wieder“, entgegnete sie zu ihrem Sohn, der in der Eingangshalle gebannt auf den Bildschirm starrte.
„Jetzt komm, ich muss noch was arbeiten heute“, bat sie etwas genervt.
„Auf Dad ist geschossen worden“, murmelte Johnny benommen und nun sah Vivian auch auf den Bildschirm. Was sie dort sah, wollte sie niemals lesen. Dort stand „Entwickler des AIDS-Heilmittels bei öffentlicher Ansprache angeschossen worden – Der Zustand ist sehr kritisch“.
„Johnny, wir gehen“, stotterte sie und zog verstört ihren Sohn weg.
„Wo ist er?“, hetzte sie an die Rezeption des Krankenhauses, in das sie ihn gebracht hatten. Sie war auch ziemlich bekannt in New Denver, deshalb wusste die Schwester gleich, wen sie meinte.
„Er wird gerade operiert, Mrs Hawks, ein Arzt wird gleich zu Ihnen kommen“, erkannte die Schwester nur und in dem Moment verließ Vivian ihre Kraft und sie wurde ohnmächtig. Als sie wach wurde, lang sie mit dem Kopf auf Virgils Schoß.
„Hey, da bist du ja wieder“, strich er ihr sanft über den Kopf.
„Was ist passiert?“, fragte sie benommen.
„Du hattest einen kleinen Schwächeanfall, so hab ich dich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, das war ziemlich erschreckend. Johnny ist bei Amanda, er ist ziemlich verstört“, erklärte Virgil.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie, als ihr wieder einfiel, was passiert war.
„Es waren vier Kugeln, Viv, er wird die Nacht nicht überleben“, entgegnete Virgil trocken. Vivian vergrub sich wie ein Baby in seinem Schoß und weinte bittere Tränen. Als sie sich wieder gefangen hatte, ging sie mit Johnny an der Hand und Amanda, Virgil und Dr. Jeckyll in Orlis Zimmer.
„Hey, da ist ja mein Fanclub“, begrüßte Orli sie mit sehr schwacher Stimme.
„Hey du“, begrüßte sie ihren Mann sanft.
„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Orli.
„Nein, entschuldige dich nicht, das konntest du nicht ahnen“, bat sie und setzte sich zu ihm hin. Er war an wenige Geräte angeschlossen, er war nur zum Sterben hingelegt worden.
„Ich hab gar kein Testament gemacht, das muss jetzt jemand aufnehmen“, bat er und begann seine Habseligkeiten aufzuteilen. Vivian bekam das Meiste seines Geldes, den Rest teilte er zwischen Virgil und seiner Frau, Dr. Jeckyll, und seiner Mutter auf, die nun in Kanada lebte und benachrichtigt worden war.
„Bitte erfüll mir noch einen Wunsch“, bat Orli, als er später mit ihr allein war.
„Alles, mein Schatz, alles“, versprach sie weinerlich.
„Wenn die Befruchtung heute erfolgreich war, nenn das Kind nicht Orlando, das ist ein furchtbarer Name, vor allem für ein Mädchen“, bat er schwach lächelnd.
„Werde ich nicht, versprochen. Wie soll ich denn ohne dich weiterleben?“, fragte sie weinend.
„Du wirst weiterleben, ich hab mir nicht so viel Mühe gegeben, dir ein Heilmittel zu entwickeln, dass du dich jetzt vor der Welt verschließt. Du wirst wieder leben, wieder lieben und meinem Sohn eine gute Mutter sein. Du wirst die Welt bereisen, wie wir es immer vorhatten und bitte gib kein Geld für unnötige Schönheitsoperationen aus, du bist die wunderschönste Frau die ich je gesehen habe und wirst es immer bleiben. Pass auf meine Jungs auf, dass sie nicht zu viel Mist machen in ihrer Trauer und lass die Ärzte ihre Arbeit machen, sie werden meinen Körper gründlich untersuchen, weil ich ja Patient X bin, ich habe regeln lassen, dass man mich so schnell wie möglich begraben kann. Wo ist Johnny, er sollte hier sein“, verabschiedete er sich und sie weinte nur noch.
Nachdem er sich noch von Johnny und seinen Jungs verabschiedet hatte, starb Dr. Orlando Hawks mit 35 Jahren in Folge seiner Schussverletzungen. Vivian verlor ihr ungeborenes Kind in einem sehr frühen Stadium was sie noch mehr bedrückte. Doch Dr. Jeckyll und besonders Virgil halfen ihr aus der Depression zurück ins Licht. Sie waren Johnny eine so gute Vaterfigur wie sie es sein konnten.
Nachdem die Wissenschaftler, dem Orli seinen Körper zur Verfügung gestellt hatte, genau untersucht hatten, wie Orlando gegen den Virus immun sein konnte, übergaben sie seine Leiche wieder seiner Familie, die ihn zwei Wochen später neben Orlandos Vater begruben. Auf seinem Grabstein stand geschrieben.
 
Dr. Orlando Hawks, geliebter Ehemann und Vater, Retter der Menschheit und zukünftiger Generationen
 

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Tag der Veröffentlichung: 13.02.2022

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