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Erstes Kapitel


Ich kann kaum glauben, dass es schon zehn Jahre her ist, dass ich diese verrückte Band kennengelernt und wieder verloren habe.
Wenn ihr nicht wisst, über wen ihn ich rede, schaut euch meinen Blog von 2009 an, da stehen alle Geschichten, die ich mit ihnen erlebt habe. Diese Geschichte spielt dieses Jahr und ist meine liebste Geschichte, die ich jemals auf diesem Blog veröffentlichen werde, denke ich. Ja, ich schreibe noch einen Blog, ich werde alt und so habe ich angefangen, also lasst mich.
 
Es war kalt in New York City an diesem Samstag im November. Es war schmuddelig draußen und regnete. An solchen Tagen bereute ich, dass ich die Südstaaten für die Ostküste getauscht hatte.
„Boss, ich mach Feierabend“, kam meine Sekretärin Dakota in mein Bürozimmer.
„Okay, du musst morgen etwas früher kommen, wir brauchen noch die Schnittchen für die Präsentation“, bat ich sie noch.
„Sicher, Boss, hab ich eingeplant, bis morgen!“
„Bis morgen. Und Dakota?“
„Ja, Boss?“
„Du machst nen guten Job hier, das sag ich dir zu wenig!“
Dakota nickte und ging lächelnd davon.
Ich sah aus dem Fenster auf die vom Feierabendverkehr vollen Straßen. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich wirklich eine Redakteurin des Rolling Stone war. Das einzige, was aus meinem Liebeskummer positiv hervorkam war mein Ehrgeiz, meine Karriere irgendwo anders voranzutreiben. Ich hatte meinen Club verkauft und an die Band übergeben, nachdem ich vor fünf Jahren Memphis verlassen hatte, ich wollte nichts mehr mit dieser Stadt zu tun haben. Trotzdem waren meine Gedanken manchmal dort.
„Boss, dein Uber ist da“, hörte ich durch die Sprechanlage des Computersystems im Büro.
„Danke, ich bin gleich da“, bedankte ich mich, nachdem ich eine Taste gedrückt hatte. Das Büro war Hightech, ich musste mich sehr umstellen, um das alles zu kapieren, in den Südstaaten waren mein I-Pad und mein Smartphone die einzigen technischen Sachen, die ich besessen hatte.
 
Auch wenn ich für das größte Musikmagazin des Landes arbeitete, war Musik nicht mehr in meinem Leben. Die Musik, die im Auto des Uber-Fahrers gespielt wurde, kannte ich zwar, ich hatte den Künstler Monate zuvor interviewt, aber irgendwelche Emotionen löste es in mir nicht aus. Ich war kalt geworden, ich hatte ja auch niemanden mehr in meinem Leben. Ich war noch in Kontakt mit Priscilla, aber sie war schwanger mit ihrem dritten Kind und lebte immer noch in Memphis mit ihrem Mann Emmett, wir sahen uns nur selten, wenn Sie New York besuchten.
 
Meine Wohnung in Queens war genauso kalt wie mein Herz, zumindest sagte mir das eine Bettbekanntschaft, die ich mal gehabt hatte.
>Hey, bist du noch wach? < textete ich Priscilla, als ich einsam auf meinem schicken Sofa in meiner schicken Wohnung saß.
>Bin wieder wach, Jessie hat ne Kolik, wie kam ich eigentlich auf die doofe Idee, drei Kinder in fünf Jahren zu bekommen? < schrieb sie mir zurück.
>Ich weiß es nicht, du Arme. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob ihr Weihnachten zu mir nach New York kommen wollt, aber das liegt dir wohl zu nah an deinem Geburtstermin, oder? <
>Ja, ich hab den Termin kurz nach Neujahr, das ist mir zu gefährlich. Aber komm doch zu uns, Em‘ würde sich freuen, dich mal wieder zu sehen und Jessie kann es auch nicht erwarten, Tante Bara kennenzulernen< bat sie mir an.
>Ich reiche die Weihnachtsartikel am 22. Dezember ein, das könnte ich schaffen. Ich bin das kalte Wetter hier leid >Das freut mich zu hören, kommst du allein? <
>Jep, du bist die erste, die erfährt, wenn ich ne Beziehung habe, momentan arbeite ich zu viel dafür. Ich komm dann am 23, ich buch gleich was <
>Super, freu mich, brauchst uns nichts kaufen, Nessa würde sich sicher über ein New York Souvenir freuen, was sie im Kindergarten zeigen kann<
>Besorg ich ihr, vermiss die Kleine echt <
>Wir vermissen dich auch. Ist ja schon über nen Jahr her. Wie geht’s dir sonst so? <
>Geht, ich arbeite zu viel, wie immer. Ach ja, Tabby ist weg seit ein paar Monaten <
>Deine Katze ist weg? Das tut mir leid! <
> Na ja, New York ist halt nichts für Haustiere, sie ist vermutlich irgendwo auf dem Land und lässt es sich gutgehen <
>Ja, das wäre schön. Willst du was bestimmtes Essen zu Weihnachten? <
>Muss nichts Bestimmtes sein, ich freu mich auf alles Südstaaten-Mäßige<
>Okay, das krieg ich hin, ist echt schön, dass du kommst <
>Ja, freu mich. Meine Assistentin wird dir meine Flugdaten kurz davor schicken <
>Du kleine Angeberin hast ne Assistentin? <
>Was soll ich sagen, ich bin ein großes Tier in New York <
>Du Angeber, ich freu mich doch für dich. Jetzt geh schlafen und mach so weiter;-) <
 
Ich lebte in einem schlichteingerichteten Apartment. Ich hatte nur Pseudo-Kunst an der Wand, ich hatte nicht wirklich Ahnung von Kunst, aber die Maklerin hatte die Kunst hoch angepriesen, als ich die Wohnung gemietet hatte. Ich duschte, zog ein Nachthemd an und setzte mich mit nassen Haaren auf mein Bett. Ich öffnete eine Schublade und zog ein Bild hervor, was ich an die Wand der Schublade geklebt hatte. Ich weiß immer noch nicht genau, warum ich das getan hatte, als wäre dieses Bild ein Geheimnis. Ich hatte dieser Gruppe so viel zu verdanken, auch einen Teil meiner Karriere, ich sollte dieses Bild in Ehren halten. Vielleicht schmerzte es einfach zu sehr, sie mit mir zu sehen, denn sie waren ein großer Teil meines Lebens gewesen und ich hatte den Kontakt zu ihnen komplett abgebrochen. Was passiert war, erzähl ich noch.
 
„Die sind echt süß, Dakota, du hast die echt schön ausgesucht“, bedankte ich mich bei Dakota, als meine Assistentin kurz vor Weihnachten drei Strampler für Priscilla besorgt hatte.
„Ich hab die letzten zwei Kinder eingekleidet, ich krieg langsam den Dreh raus“, schmunzelte sie.
„Ich kompensiere wohl meine ständige Abwesenheit bei ihr mit Geschenken. Wird ihr zumindest gefallen. Fährst du auch weg über die Feiertage?“
„Mein Bruder kommt, wir machen uns ein paar schöne Tage!“
„Ach schön, ist er aus Afghanistan zurück?“
„Er kommt morgen, ich hab ihn seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen, freu mich sehr auf ihn!“
„Schön, es gibt ja nur euch beide. Brauchst du noch ein bisschen Geld für Weihnachten?“
„Du hast mich schon gut entlohnt für Weihnachten, aber danke. Ich hab Priscilla deine Flugdetails geschickt, Emmett wird dich abholen, sie hat noch ein Krippenspiel in Nessas Kindergarten“, erzählte sie mir.
„Wow, ich missbrauch dich echt zu oft für mein Privatleben, oder?“
„Ich mag es, als Waise mit nur einem Bruder hab ich nicht viel mit Lady-Sachen zu tun. Ich sag schon, wenn es mir zu viel ist!“
„Ich vergesse immer schnell, wie schwierig diese Zeit des Jahres für dich ist. Alles klar?“
„Ja, es ist schon so lang so, ich komm klar. Mach dir nicht so viele Sorgen um mich, bereite dich auf das Weihnachtsfest vor. Deine Massage ist morgen um drei, Mani-Pedi danach und deine Botox-Behandlung um sieben“, bemerkte sie.
„Ich kann kaum glauben, dass ich in einem Kreis lebe, wo so was nötig ist!“
„Ja, aber du willst ja nicht faltig aussehen auf deinen Weihnachtsfotos, die du auf Insta postest. Das wird deine Beliebtheit steigern“, plante Dakota.
„Oder das. Du hast dran gedacht, einen falschen Namen beim Termin anzugeben?“
„Ja, Boss, läuft auf meinen Namen, wie immer. Ich bin zwar erst 26, aber könnte ja sein, dass ich das benutze“, erwiderte Dakota.
„Ich hoffe, dass musst du ne Weile nicht, das ist ätzend. Kannst du mir noch nen Gefallen tun?“, fragte ich vorsichtig.
„Er kommt um neun, jüdischer Typ, wie immer, oder?“
Mir fiel die Kinnlade herunter.
„Was? Ich bin seit fünf Jahre deine Assistentin, wenn du nervös wirst geht es entweder um deine Vergangenheit, oder um Callboys“, schmunzelte Dakota.
„Nächstes Jahr müssen wir mal darüber reden, dass ich wirklich zu viel von dir verlange. Das solltest du nicht von mir wissen!“
„Ich bin abgehärtet, schon gut!“
„Nein, es nicht gut. Bestell den Stricher ab, ich geh lieber ins Kino“, ekelte ich mich über mich selbst und Dakota nickte.

Zweites Kapitel

 
Mein Resting-Bitch-Gesicht musste nach der Botox-Behandlung ziemlich ausgeprägt sein, denn im Flugzeug nach Memphis starrte mich eine Frau nur an. Ich zog die Mütze meiner Kapuze tiefer ins Gesicht und versuchte etwas zu schlafen. Die letzten Tage waren auf der Arbeit noch anstrengend gewesen und ich war erschöpft. Ich hoffe, die zwei Wochen in meiner alten Heimat würden meine leeren Batterien wieder aufladen.
 
Ich konnte immer nur meinen Kopf schütteln, wenn ich Emmett sah. Der pummelige Computernerd, den ich damals von meiner Bettkante gestoßen hatte, hatte sich in der Hand von Priscilla in einen attraktiven, erfolgreichen Typen verwandelt. Er hatte eine eigene kleine IT-Firma und war ein wunderbarer Vater.
 
„Wow, Süße, auch mit dem Botox siehst du müde aus“, begrüßte Emmett mich neckend.
„Man sieht es?“, fragte ich unsicher.
„Das war eigentlich nen Witz. Du bist doch viel zu jung für den Mist“, umarmte er mich herzlich.
„Ich wünschte es. Es ist so gemein, dass du immer attraktiver wirst, je älter du wirst“, konterte ich.
„Tja, die Gelegenheit hattest du und hast sie verpasst. Komm, ich nehm deinen Koffer. Du warst schon ne Weile nicht mehr hier!“
„Ja, das letzte Mal bei Nessas Geburt. Wir sind dir immer noch dankbar, dass du damals hier warst, nach allem was mit dir war!“
„Sie ist mein Patenkind, ich musste da sein. Ich bin jetzt zwei Woche hier, mal schauen, vielleicht krieg ich ja Nr. 3 auch noch mit, nachdem ich Jessies Geburt ja verpasst habe!“
„Du musst nicht bei jedem Kind dabei sein, das ist glaub ich auch unser letztes. Ich freu mich schon auf den Kleinen!“
„Es wird ein Junge? Schön, hat sie mir noch nicht gesagt!“
„Will sie dir vielleicht gleich erzählen, tu also überrascht“, schmunzelte er.
„Werde ich machen. Du kriegst endlich einen Thronfolger, nach zwei Mädels ist das sicher was anderes!“
„Ja, ist es, solang er nicht so anstrengend ist wie Jessie. Die kleine Prinzessin schläft einfach nicht!“
„Oh, ihr Armen, ich kann ja auch mal eine Nachtschicht übernehmen, dass ihr mal schlafen könnt“, schlug ich vor.
„Das wäre nett, aber ich glaube nicht, dass du da die Ausdauer für hast“, bemerkte er und öffnete die Beifahrertür für mich.
„Ein Gentleman bist du auch, danke. Ich habe 70 Stunden-Wochen, das krieg ich hin“, behauptete ich, ohne es zu wissen.
„Wie du meinst. Wir werden noch was Einkaufen fahren, wenn das okay ist!“
„Klar, ich war schon seit Jahren in keinem Einkaufszentrum mehr, ich bestelle mir das immer nach Hause, oder geh zu dem Türken in meiner Nachbarschaft“, erzählte ich.
„Du lebst ein ganz anderes Leben als früher, was?“
„Das macht New York mit dir, glaub ich. Ich hab kaum noch legere Kleidung, es ist wirklich alles anders dort“, stellte ich fest.
„Solang du dein Herz nicht verlierst, bist du immer noch die gute alte Bara“, stieg er auch ein und fuhr los.
„Witzig, dass du das sagst, mein letzter Lover hat mir Herzlosigkeit vorgeworfen!“
„Dann triffst du dich immer noch mit diesen Versagern, kaum zu glauben, dass Raff einer von den guten war!“
„Sag bitte seinen Namen nicht!“
„Sorry, immer noch? Es ist so lange her!“
„Ja, tut mir leid, hier kommt nur alles wieder hoch. Ich verdränge noch viel zu viel. Es ist nur so hart“, konterte ich traurig.
„Ich weiß, ich sag nichts mehr, solang du nicht bereit bist, sorry!“
„Ich werde sicher noch auf das Thema zu sprechen kommen in den nächsten Wochen, aber nicht jetzt. Wie geht’s eigentlich Pris mit der Schwangerschaft? Ist es wieder so anstrengend für sie wie bei Nessa, oder Jessie?“
„Nein, diesmal geht es, es ist immer körperlich anstrengend in zwei Jahren zwei Kinder zur Welt zu bringen, aber sie macht das wie ein Profi!“
„So ist unsere Pri. Ich habe euch vermisst“, gestand ich ihm.
„Wir haben dich auch vermisst. Es ist hier anders, seit du weg bist. Sie ist, seit die Kinder auf der Welt sind nicht mehr ausgegangen. Sie macht nur noch diese Online-Tutorials, sie ist ein richtiger Stubenhocker geworden“, erzählte er mir.
„Ich red mal mit ihr, obwohl mein Ausgeh-Talent auch nicht grad berauschend ist. Es hat sich hier viel verändert“, sah ich mich um. Vielleicht hatte ich Memphis auch verklärt in Erinnerung gehabt, aber was ich dort sah war nicht mehr meine Heimat.
„Eigentlich nicht. Was ist eigentlich mit deinen Eltern?“
„Fühlen sich in Miami wohl, sie gehen als Großeltern voll auf“, erklärte ich kurz.
„Muss komisch für dich sein mit deiner kleinen Schwester und dem Baby!“
„Schön ist es nicht, aber wenn ich wenig drüber nachdenke, geht das. Du sprichst heute echt heikle Themen an, lass mich erstmal nen Glas Wein intus haben, bevor du weitermachst“, bat ich.
„Sicher, Süße. Der Launch unserer aktuellen Software ist gut gelaufen“, wechselte er das Thema.
„Das ist klasse, krieg ich ne Kopie davon?“, fragte ich keck.
„Liegt unter dem Weihnachtsbaum für dich. Ich weiß aber nicht, warum du eine Steuer-Software brauchst, du hast doch sicher Personal dafür!“
„Nein, die Steuern mach ich selbst und die andere Software, die ich benutze, ist sicher nicht mal ansatzweise so gut wie deine“, lobte ich ihn.
„So ne kleine Schmeichelei kann ich nach diesen anstrengenden Monaten gut gebrauchen, danke. Willst du was Bestimmtes einkaufen, was du vermisst hast?“
„Ist zwar eklig, aber Cherry Red-Limonade hab ich echt vermisst!“
„Können wir besorgen, Nessa sollte das nur nicht sehen, die schläft sicher drei Tage davon nicht“, schmunzelte er.
„Ja, ich bin mal mit Raff auf zwei Flaschen davon bis Texas gefahren. Das war vielleicht nen Zuckerschock“, schwelgte ich ihn Erinnerungen, merkte aber plötzlich den stechenden Schmerz in meinem Herzen. Emmett bemerkte das und lächelte mich nur an. Ich lächelte matt zurück.
 
Priscilla kam mit einer aufgekratzten fünfjährigen nach Hause. Ein mächtiger Bauch wölbte sich unter ihrem Trenchcoat hervor.
„Wow, bei den Mädels warst du nicht so mächtig. Du hast ne neue Frisur“, plapperte ich, als ich sie sah.
„Ja, die langen Haare waren altbacken und so ist es einfacher. Du siehst so erfrischt aus, nachgeholfen?“, begrüßte sie mich. Ihre Priscilla-Tolle war schon vor längerem einem moderneren Schnitt gewichen, jetzt hatte sie einen Pixie-Cut.
„Ich wünschte, ich könnte nein sagen, aber es ist langsam notwendig bei mir. Du siehst aber auch nicht aus wie das blühende Leben“, frotzelte ich und umarmte sie.
„Bald drei Kinder unter sechs Jahren, das macht einiges mit einer Frau. Tut mir leid, das wollte ich nicht so sagen“, konterte sie und stoppte dann.
„Es sind sechs Jahre, du kannst über Kinder reden. Meine Todgeburt war tragisch, aber ihr könnt nicht mein ganzes Leben das Thema vermeiden“, erwiderte ich.
Die beiden waren etwas geschockt über meine Offenheit. Ich hatte das Thema immer gemieden und während Priscilla schwanger war, war das auch kein gutes Thema.
„Nessie, Kleines, schau mal, was ich für dich habe?“, beugte ich mich zu meinem Patenkind herunter und gab ihr einem Teddybären mit einem „Ich liebe New York“-Schriftzug auf der Brust.
„Dankte, Tante Bara“, freute sich Nessa und gab mir eine liebevolle Umarmung. Auch wenn ich gefühlskalt geworden war, die warme Umarmung eines Kindes tat so gut.
„Süße, bring doch den Bären in dein Zimmer, Tante Bara muss sich ein bisschen von der langen Reise ausruhen“, bat Priscilla ihre Tochter und die ging brav in ihr Zimmer.
„Du solltest dich zuerst mal hinsetzen, du siehst geschafft aus. Wie war das Theaterstück?“, wollte ich von ihr wissen und führte sie zur gemütlichen Couch.
„Eine Gruppe übermüdeter Fünfjähriger und ihre Helikoptereltern, anstrengend ist noch milde ausgedrückt“, sagte sie müde und nahm schwerfällig Platz.
„Ich glaub’s dir. Nessa ist wirklich allerliebst“, entschied ich und setzte mich ihr gegenüber.
„Dann hast du sie nicht um acht Uhr erlebt, wenn sie ins Bett soll. Das wirst du gleich erleben. Süßer bringst du uns was zu trinken?“, bat sie Emmett und der trottete davon.
„Ihr habt es so schön hier, so schön ruhig“, atmete ich die frische Luft ein, die durch die Terrassentür geweht kam. In dem Moment wurde Jessie im Kinderwagen wach.
„Behalt den Gedanken im Hinterkopf, hier wird es niemals ruhig sein“, bemerkte sie müde.
„Darf ich?“, fragte ich höflich.
„Bist du sicher?“
„Das kriegst du hin“, schmunzelte sie und ich legte die 15-Monate alte Tochter meiner besten Freundin an meine Brust. Sie hob den Kopf und sah mich an, beruhigte sich aber sofort. Sie kannte mich nicht, aber beruhigte sich gleich.
„Okay, es ist abgemacht, du kannst nie wieder gehen“, war Priscilla zufrieden und ich ging mit Jessie an der Brust durch den Raum. Sie fühlte sich so warm an. Bilder von meinem toten Baby schossen mir in den Kopf, doch ich konzentrierte mich auf den Herzschlag des lebenden Kindes in meinen Armen und es fühltes sich gut an.
„Wenn du willst kannst du sie in Nessas altes Zimmer ins Bettchen legen“, schlug sie vor. Wortlos folgte ich ihrer Aufforderung.
Als ich sie in den Schlaf sang, überkamen mich meine Gefühle und ich weinte. Ich hatte damals auch viel geweint, doch in den letzten Jahren hatte ich es ganz nach hinten in meinem Kopf verstaut.
„Hey, Süße, es ist so ruhig bei euch, alles klar?“, kam Priscilla zu mir.
„Ja, alles gut“, schniefte ich.
„Ich wusste, es ist zu viel für dich. Ich hab das Babyfon an. Sie schläft zumindest wieder, gut gemacht. Sie scheint dich echt zu mögen“, kam sie vorsichtig zu mir.
„Sie ist echt lieb“, sah ich sie an.
„Wenn sie schläft, ja, dann ist sie lieb. Manchmal denk ich drüber nach, dass ich ihr Liebe verwehre, jetzt wo ich wieder schwanger bin. Ich werde das ganze nächste Jahr den Kleinen versorgen und sie kommt an zweiter Stelle“, dachte sie laut nach.
„Nessa ist damit doch auch klargekommen, du wirst nen Jungen kriegen, dass ich doch dann ganz anders“, beruhigte ich jetzt sie.
„Man, ich wollte dir es doch sagen, Em‘ kann einfach nicht die Klappe halten!“
„Sei nicht böse, ist ihm rausgerutscht. Komm setz dich hin“, stand ich von dem Schaukelstuhl auf, auf dem ich saß.
„Lass uns wieder ins Wohnzimmer gehen, wenn ich mich da hinsetze, komm ich nicht mehr hoch. Ich muss Abendessen kochen“, sagte sie müde.
„Ist Jeffys noch auf? Ich hätte Lust auf Pizza. Geht auf mich“, schlug ich vor.
„Du isst noch Kohlenhydrate? So dünn wie du bist, hätte ich das nicht gedacht?“
„Das kommt nur vom Stress, ja, ich ess noch Kohlenhydrate? Also?“
„Das klingt wunderbar. Lass uns in die Küche gehen und da was bestellen“, erwiderte Priscilla, umarmte mich und brachte mich in die Küche. An ihrem Kühlschrank hingen die typischen Dinge einer Mutter. Rezepte für kinderfreundliche Menüs, Familien- und gemalte Bilder. Nachdenklich sah ich mir alles an.
„Kochst du zu Hause?“, wollte sie von mir wissen und ich drehte den Kopf zu ihr.
„Ich arbeite meistens bis 10 Uhr abends, ich esse im Büro, oder bestell mir was. Du kochst viel, wie mir scheint. Du hast dich so sehr verändert in den letzten zehn Jahren. Wo ist die junge Frau hin, die nur Highheels trug?“, fragte ich sie.
„Die hat zwei Kinder gekriegt, hinter denen sie hinterherlaufen muss. Ich hab vor ein paar Monaten zu einer Firmenfeier bei Emmetts Firma hohe Schuhe getragen, ich kann damit kaum noch laufen. Ich vermisse es aber auch nicht. Ich mag mein Leben, wie es ist“, entschied sie und suchte die Nummer der Pizzeria raus.
„Das ist schön. Du wirkst auch glücklich. Ich bin auch zufrieden“, versicherte ich.
„Ähm, okay“, druckste sie herum.
„Na ja, einigermaßen. Wir sollten die harten Themen nicht gleich am ersten Tag auspacken, dein Süßer hat mich schon genug gefragt auf dem Weg hierher. Macht Jeff noch diese unglaublich gute Peperoni-Pizza?“, lenkte ich vom Thema ab.
„Unglaublich ist sie nicht mehr, aber immer noch gut!“
„Dann nehm ich die. Ihr wollt eine Prosciutto und eine Vier-Käse?“
„Wir sind ziemlich berechenbar, was? Bestell noch eine Kinder Margarita für die Kids, bitte“, bat Priscilla.
„Ich werde sie persönlich bei Jeffy holen, ich muss mich noch etwas bewegen. Hast du noch den alten Kia?“
„Hab jetzt nen Honda, aber kannst ihn haben. Ich brauch den, um meine Kinder rumzufahren, also fahr ihn nicht kaputt“, gab sie mir einen Schlüssel.
„Mach ich nicht. Ruh dich etwas aus, ich schreib dir nen Text, wenn ich zurückfahre“, brach ich auf.
 
Ich war schon ne Weile kein Auto mehr gefahren, New York verlangte das nicht von mir. Etwas holprig stoppte ich an den Holzbalken des Parkplatzes vor dem Jeffys.
„Deine Bremsfähigkeiten waren schon mal besser“, hörte ich eine bekannte Stimme, die ihren Kopf durch das offene Fahrerfenster steckte. Es war Edvia.
„Du bist nicht Priscilla“, stotterte sie und zog ihren Kopf zurück. Ich stieg aus.
„Hey, Eddie‘“, begrüßte ich meine alte Freundin.
„Du bist also wieder in der Stadt“, begrüßte sie mich kühl.
„Nur über die Feiertage. Gut siehst du aus“, musterte ich sie. Sie war immer noch die hübsche Brünette von damals, nur etwas, aber gut gealtert.
„Du siehst aus wie ne Botox-Barbie“, konterte sie cool.
„Okay, den hab ich verdient. Wie geht’s dir?“
„Gut“, sagte sie nur und wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab. Sie trug eine Jeffys Schürze.
„Du arbeitest in ner Pizzeria?“
„Ich hab drei Kinder und bin alleinerziehend, vorn irgendwas muss man leben!“
„Efran hat sich verkrümelt?“, war ich entsetzt. Von den Pärchen in meinem ehemaligen Freundeskreis, waren Edvia und Efran immer die stabilsten gewesen.
„Er ist tot, Autounfall vor drei Jahren, wenn du nicht so egoistisch wärst, wüsstest du das. Red nie wieder so über ihn“, forderte Edvia mit einem Funkeln in ihren Augen.
„Ef’ ist tot?“, versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen.
„Ja, das wollte ich damit sagen. Kein Anruf, keine Karte von dir. Er war wie ein Bruder für dich“, kämpfte Edvia mit den Tränen.
„Ich hab’s nicht gewusst“, begann ich plötzlich auch zu weinen. Weinende Leute machten das mit mir.
„Warum flennst du jetzt?“, schimpfte Edvia weinerlich.
„Sorry, ich hab grad erfahren, dass ein guter Freund von mir tot ist. Ich hab es nicht gewusst“, weinte ich.
„Das wusste ich nicht“, riss sich Edvia zusammen und ganz plötzlich umarmte sie mich. Umarmungen waren in New York rar geworden und so viel umarmt zu werden an einem Tag tat gut.
„Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich im nächsten Flieger zu euch heimgeflogen“, entschuldigte ich mich.
„Vermutlich nicht, ich hab gehört, du bist ne große Nummer beim Rolling Stone“, erwiderte sie freundlicher.
„Ja, aber ich bin immer noch Bara, na ja, Teile von mir“, deutete ich auf mein Gesicht.
„Du hast dir die Nase machen lassen“, realisierte sie.
„Ja, das war aber nen Fehler, ich hab mehr Nasennebenhöhlenentzündungen als ich es meinem ärgsten Feind wünschen würde. Tut mir leid, ich muss Pizza bestellen, ich habe ne hochschwangere Pri, die auf mich zu Hause wartet, wenn ich ohne Essen komme, werde ich vermutlich selbst zum Essen“, scherzte ich.
„Sicher, lass uns reingehen. Meine Pause ist auch vorbei. Tut mir leid, dass ich dich angemacht habe, du hast ein Kind verloren, das ist furchtbar, ich war damals nicht für dich da, dabei hast du stundenlang an meinem Bett gesessen, als ich wegen der Zwillinge während der Schwangerschaft im Bett liegen musste“, sagte sie leise.
„Du hattest sechs Monate alte Zwillinge zu dem Zeitpunkt, du warst bei der Beerdigung da, das ist alles, was zählt“, bemerkte ich freundlich.
„Er ist jeden Freitag dort, weißt du?“, sprach sie mich auf Rafferty an.
„Wie geht’s ihm?“
„Du wirst gefälligst mit ihm reden, während du hier bist“, forderte sie.
„Ja, werde ich. Ich muss ihm endlich den wiedergeben“, zog ich den Verlobungsring an der Kette, den ich immer um den Hals trug, unter meinem T-Shirt hervor.
„Du hast den noch? Weißt du, ich hab dich immer um diese Schönheit beneidet. Ist kein Diamant, aber nen Opal ist so viel schöner“, nahm sie den Ring in ihre Hände.
„Ich hab ihn auch immer geliebt, deswegen konnte ich ihn nicht weggeben!“
„Er hat niemanden nach dir wollen“, redete Edvia vor sich hin.
„Ich rede von dem Ring“, raunzte ich. Ich wollte nicht so grob reagieren, meine ganze Vergangenheit mit Rafferty war aber ein heikles Thema.
„Oh, okay“, verstand sie meine Sensibilität darüber. Während ich auf meine Pizzen wartete, sah sie im Restaurant immer zu mir rüber.
 
„Immer noch dicke Luft bei euch Groupies, was?“, fragte Jeff, als sie mich beobachtete, während ich sie beobachtete. Es kam mir erst in diesem Moment ins Gedächtnis, das Jeff unser heimliches Ehrenbandmitglied gewesen war in unseren glorreichen Zeiten. Er hatte uns bei unseren Siegen und Niederlagen bedient.
„Ich war zu lange weg, viel zu lange. Hast du die Band in letzter Zeit noch hiergehabt?“, fragte ich ihn.
„Die Band existiert schon lang nicht mehr, nach Efs Tod brach alles auseinander, als wäre es vorher so stabil gewesen“, erzählte er mir.
„Die Band ist aufgelöst?“
„Du warst echt viel zu lang weg. Ich hab keiner der Bandmitglieder gesehen seit Efs Tod. Keine Ahnung, was mit den anderen ist. Sie sind nicht grade hilfreich Eddie gegenüber, deswegen haben meine Frau und ich sie unter unsere Fittiche genommen. Die Mädels sind langsam wie unsere Enkelkinder“, erklärte er.
„Das ist schön, ich wäre auch mehr dagewesen, wenn ich ihre Situation gekannt hätte!“
„Priscilla hat das für dich getan. Sie ist unglaublich“, entschied er.
„Ja, ist sie“, war ich etwas enttäuscht, dass meine beste Freundin mir so eine große Nachricht nicht erzählt hatte.
„Okay, deine Pizzen sind fertig, bezahlt hast du ja schon. Komm nochmal durch, bevor du die Stadt wieder verlässt, okay?“
„Klar, mach ich. Danke, Jeff, war schön, dich wieder zu sehen“, erwiderte ich abgelenkt und ging zu Edvia.
„Kann ich die Kinder und dich besuchen, während ich hier bin?“, fragte ich Edvia vorsichtig.
„Freitagabend gegen sechs Uhr?“, fragte sie mich und ich nickte.
„Hier, meine neue Handynummer, ruf mich bitte nochmal an, wenn du losfährst“, bat sie mich und ich umarmte sie nochmal.
„Es tut mir nochmal so leid“, entschuldigte ich mich und ging mit den Pizzen zum Wagen.
„Hey, Pri, ich komm heim, wir müssen mal reden“, rief ich Priscilla an und fuhr zurück.

Drittes Kapitel

 
Wortlos saßen wir um den runden Küchentisch herum und aßen unsere Pizzen.
„Du hast Recht, die Pizzaqualität hat nachgelassen, ist aber trotzdem noch gut“, sagte ich in Stille hinein.
„Schön, dass es dir schmeckt“, entgegnete Priscilla, die einen fragenden Blick draufhatte.
„Okay, ich bring die Zwerge jetzt ins Bett, dann reden wir“, stand sie ruckartig auf, oder soweit das mit ihrem Mega-Bauch ging und wollte Jessie aus dem Kinderstuhl holen.
„Ich mach das schon, redet ihr in Ruhe“, plante Emmett und nahm die Kinder mit.
„Ich bin nicht sauer“, begann ich.
„Doch, bist du. Du hast Eddie getroffen, oder?“
„Jup!“
„Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte!“
„Ich hätte jede Art der Art vorgezogen, wie ich es jetzt erfahren habe. Ich hab gedacht, dass er sie verlassen hat. Das ist das schlimmste, was du einer Witwe sagen kannst!“
„Es tut mir so leid. Du warst zu der Zeit grade in Meetings über Meetings wegen deiner Beförderung, ich wollte dich nicht von deinem Traum abhalten“, versuchte sie sich rauszureden.
„Auch wenn ich allem den Rücken gekehrt habe, das war lange meine Familie, ich wäre gekommen!“
„Das wäre genau das Problem gewesen, du hättest deine Position damit riskiert und das wollte ich nicht!“
„Meine Karriere ist mir zu wichtig geworden“, realisierte ich.
„Du hast nen Ventil gebraucht, ist zumindest besser als Drogen, oder Alkohol. Was ist jetzt mit Eddie?“
„Ich geh sie Freitag besuchen, wenn das okay für dich ist!“
„Ja, klar, du kannst hier machen, was du willst. Morgen brauch ich dich aber für das Essen, wenn das okay ist!“
„Sicher, morgen bin ich hier. Kochst du traditionell?“
„Ja, soweit ich kann, Junior ist ziemlich aktiv morgens“, berührte sie ihren Bauch.
„Ich helf dir so gut wie ich kann, ich bin aber kein Koch-Talent, wie du weißt!“
„Ich find schon was für dich. Willst du morgen noch zum Grab?“, fragte sie vorsichtig.
„Ja, aber ich will das allein machen“, bat ich.
„Natürlich, ich geh morgens noch zu einem Termin, danach kannst du den Wagen haben“, plante sie.
„Danke, ich mach schnell“, versicherte ich.
„Ich bin jetzt echt müde, wir haben ja genug Zeit uns zu unterhalten in den nächsten Tagen, ich geh ins Bett“, konterte sie.
„Sicher, jeder Tag ist für dich sicher ne Qual. Ich werde mich mit Emmett sicher gut unterhalten können“
„Ihr habt euch lang nicht unterhalten, da bin ich ganz sicher!“, schmunzelte sie und ging ins Bett.
 
„Danke, dass du ruhig geblieben bist bei ihr. Du bist sicher sauer, aber sie ist Ende 30, sie sollte sich hochschwanger nicht aufregen“, bedankte sich Emmett, als wir an diesem Abend zusammensaßen.
„Ich bin im Urlaub, da reg ich mich nicht auf. Ich war so egoistisch, ich wollte nichts von hier erfahren. Es tat alles zu sehr weh. Ich hab keine Freunde in New York. Mit meiner Assistentin hab ich die engste Beziehung und ich bezahl sie“, erklärte ich traurig.
„Das geht doch nicht. Du solltest hierher zurückkommen!“
„Ich hab so viele Brücken hier abgebrochen, um das zu tun und ich mag meinen Job echt gern“, erwiderte ich.
„Du musst tun, was dich glücklich macht. Ich wollte eine eigene Firma gründen. Das ist vermutlich riskant mit bald drei Kindern, aber meine Träume wurden nicht erfüllt, dort wo ich gearbeitet habe. Jetzt habe ich viel mehr Freiheiten!“
„Das ist schön. Hast du gute Leute gefunden?“
„Eine Gruppe wissbegieriger Millennials, alle mit bunten Haaren aber die haben wirklich Talent. Abba ist meine Sekretärin, also kann sein, dass du sie in den nächsten Tagen mal siehst. Nur schon mal als Vorwarnung“, entgegnete er.
„Madison zahlt noch brav Alimente?“
„Ja, das tut er, falls er das mal nicht machen würde, würde er es mit mir zu tun bekommen, er macht sich aber gut in Detroit, soweit ich weiß. Mehr weiß ich aber nicht, tut mir leid, wenn du mehr wissen willst musst du zu Bale, aber ich nehm mal nicht an, dass du das machen willst, wenn du zu ihm gehst, erzählt er das sicher seinem Bruder!“
„Ich werde mit Raff reden müssen, wohl oder übel, es ist lang überfällig, vielleicht ist ne kleine Vorwarnung da nicht schlecht!“
„Bale wird dich grade nicht sehr mögen“, riet Emmett mir.
„Keiner mag mich grade, würde mich nicht wundern. Sein muss es trotzdem. Wow, das war kein Satz, ich sollte ins Bett, wird morgen ein langer Tag“, stand ich müde auf.
„Sicher, Jessie ist sicher in ein paar Stunden wieder wach, das sollte ich besser auch machen, jetzt wo Pri so schwanger ist, hab ich die ganzen Dienste“, stand er auch auf.
„Löblich. Ich hab in dir echt einen tollen Kerl gehen lassen“, redete ich vor mich hin, während ich auf meinem Smartphone herumspielte.
„Das hast du ja nur gemacht, weil du deine wahre Liebe getroffen hast!“
„Die Ich dann auch wieder gehenlassen habe, bei mir ist ein Muster zu erkennen“, sagte ich traurig und sah ihn an.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen ein Kind zu verlieren, du hast was gemacht, dass es dir besser geht, es war sehr erwachsen von dir, ihn gehen zu lassen“, bemerkte er.
„Erwachsen würde ich das nicht nennen, eher der schlimmste Fehler meines Lebens“, gestand ich und ging voran durch ihr Haus.
„Ich würde ja sagen, das stimmt nicht, aber das wäre gelogen. Na ja, ihr seid beide nicht gebunden, verloren ist noch nichts“, sprach er an.
„Nein, mein Leben ist nicht mehr hier, die Zeiten sind vorbei“, versicherte ich.
„Ah, wenn du meinst. Okay, das Gästezimmer habe ich dir vorbereitet, Handtücher liegen auf dem Holzstuhl im Badezimmer, Evian-Wasser im Kühlschrank, wusste nicht, ob du noch Leitungswasser trinkst“, erklärte er mir.
„Ja, ich trink noch Leitungswasser, zumindest hier, in New York schmeckt es mir einfach nicht. Ich nehm aber ne Flasche mit ins Schlafzimmer. Bin ich wirklich so eitel geworden?“, fragte ich überrascht und er deutete mit seinem Finger auf seine Nase.
„Der Nasen-Job war ein echter Fehler, ich bin vor ein paar Monaten in die falsche Gesellschaft geraten – New Yorker High-Society-Tussis“, gestand ich ihm.
„Wow, das ist übel. Schlecht ist sie nicht gemacht, deine süße Stubsnase war mir nur lieber“, konterte er und öffnete die Tür zum Gästezimmer.
„Mir auch. Schlaf gut. Danke nochmal, dass ich Weihnachten bei euch feiern kann“, bedankte ich mich höflich.
„Wir haben dich gerne hier, hier gehörst du hin“, sagte er nur und ich ging wortlos ins Gästezimmer.
 
Es war der Tag vor Weihnachtsmorgen. Emmett schmückte den Weihnachtsbaum und der Geruch von Zimtplätzchen strömte durchs Haus. Es war ein magischer Ort, den ich nur aus meiner jüngsten Kindheit kannte. Als ich Teenager war, war die Magie aus meinem Elternhaus verschwunden.
„Hey, Süße, du hättest doch warten können mit dem Backen, bis ich wachwerde“, nahm ich Priscilla die Plätzchen ab.
„Ich bin seit halb sechs wach, Jessie hat mich nicht länger schlafen lassen. Wie hast du geschlafen?“, wollte sie wissen.
„Hatte seltsame Träume, war nen bisschen viel für mich gestern, wird heute nicht besser werden“, murmelte ich und nahm mir einen Keks.
„Hey, die sind für den Kindergarten-Bazar. Die muss ich noch verzieren“, wuselte sie durchs Haus.
„Das kann ich machen, du bist hochschwanger, du musst es langsam angehen“, bat ich meine Hilfe an.
„Wenn ich mich hinsetze, komm ich nicht mehr hoch, wortwörtlich. Ich hab noch so viel zu tun“, war sie in Hektik.
„Dafür bin ich jetzt da, ich schnapp mir deine Tochter und macht das zusammen mit ihr. Wann ist dein Termin?“
„Verflixt, den hab ich fast vergessen, ich muss noch duschen. Kannst du etwas auf die Kinder aufpassen, dass Em sich um den Baum kümmern kann?“
„Ich kann sogar beides machen, gib mir die Deko-Sachen und ich dekoriere nebenbei. Ich kann das“, sagte ich lächelnd.
„Mach’s aber schön, okay?“
„Das ist nen Kindergarten-Bazar, sag einfach, es hätte Nessa gemacht, das finden dann alle süß“, entschied ich und begann zusammen mit Nessa mit dem Dekorieren, während Priscilla sich fertig machte.

 
Ich hätte nicht gedacht, dass dieser kurze Weg zum Grab meiner Tochter so schwer war zu gehen. Ich hatte sie totgeboren und habe es nicht übers Herz gebracht, ihr einen Namen zu geben. Deswegen stand auf der kleinen runden Platte, unter der ihre Asche vergraben lag nur „Kleiner Engel, deine Eltern lieben dich“
„Mein Schatz, tut mir so leid, dass ich so lange nicht mehr hier war. Ich liebe dich so sehr, es ist nur so schwer“, kniete ich mich an den Stein. Ich kämpfte mit den Tränen, obwohl ich ruhig weinen konnte, ich war allein. Dachte ich zumindest.
„Was für eine scheinheilige Darstellung von Trauer“, hörte ich plötzlich eine Stimme. Es war Rafferty. Er hatte einen kleinen Stoffbären mit einem Weihnachtsgeschenk im Arm in der Hand. Ich starrte ihn einfach nur an. Wut brodelte in meinem Kopf, aber es kam nichts aus meinem Mund heraus.
„Bist du jetzt plötzlich stumm?“, fragte er schroff.
„Ich red nicht mit dir, wenn du so bist“, konnte ich nur sagen und legte die kleine pinke Rose auf die Grabplatte, während ich in meinem Stiftrock versuchte aufzustehen.
„Zumindest bin ich nicht so falsch wie du. Könntest du jetzt gehen? Ich möchte meine Tochter sehen, für mich ist das nämlich keine Broadway-Show, sondern das richtige Leben“, murrte er. Die Kühle, die er nur für mich übrighatte, überraschte mich. Sie sollte es aber nicht, ich hatte ihm wirklich wehgetan, damals. Ich stakste über das Gras in meinen Stilletos, knickte dabei um und knallte mit dem Knie auf einen Stein. Der seelische und körperliche Schmerz brach bei mir alle Brücken auf. Ich weinte, aber er sah das sicher nur als weitere Show. Ich versuchte mich aufzurappeln, hatte aber zu große Schmerzen zum Aufstehen.
„Lass den Scheiß“, stand er plötzlich neben mir.
„Ich kann nicht aufstehen“, erwiderte ich weinend.
„Dein Knie blutet“, kniete er sich ruhig zu mir runter.
„Stilletos sind beschissen“, redete ich vor mich hin.
„Das seh ich. Komm“, zog er mich hoch und ich humpelte mit ihm bis zu meinem Wagen.
„Es scheint nichts gebrochen zu sein, ich verarzte dich schnell“, ging er an seinen Kofferraum und holte sein Verbandszeug heraus. Seine Hände waren kalt und ich zuckte zurück.
„Sorry, hab ich dir wehgetan?“, irritierte mich seine liebevolle Art.
„Du hast kalte Hände!“
„Ja, ist Winter, weißt du? Ich spül es mit Alkohol aus, das wird wehtun“, erläuterte er und verband mein Knie, nachdem er die Wunde gereinigt hatte.
„Danke“, bedankte ich mich höflich.
„Bitte. Du trauerst auch, jeder trauert anders“, gestand er mir ein.
„Ich hab sie 9 Stunden geboren, hab meine Milch abgepumpt, tagelang, wochenlang, für ein Kind, was ich begraben habe. Wage es ja nicht, mir jemals wieder vorzuwerfen, ich würde nicht trauern. Ich kann kein Kind in den Armen halten, ohne zu weinen. Verdammt, ich konnte meinem Kind nicht mal einen Namen geben“, brüllte ich ihn plötzlich an.
„Ich hab sie Joey genannt, in meinem Kopf“, gestand er plötzlich.
„Den Namen haben wir damals aufgeschrieben, das weiß ich noch. Es fiel mir leichter, ihr keinen Namen zu geben, ich hab nie mit dir darüber gesprochen“, entschuldigte ich mich.
„Ich hab dich geliebt, ich hätte alles für dich getan. Ich will jetzt Zeit mit meiner Tochter verbringen, allein, wenn das okay ist!“
„Natürlich, es ist Weihnachten, ich hätte wissen müssen, dass du hier bist. Wir müssen noch reden, können wir uns mal treffen?“
„Samstagvormittag, im Club, 10 Uhr“, sagte er nur.
„Bin da. Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt habe“, entschuldigte ich mich.
„Ich bin froh, dass du es getan hast, ich hätte schon gedacht, die Ostküste hätte dich geschluckt. Hat wohl nur deine Nase gekriegt“, frotzelte er und lächelte mich matt an.
„Ich hätte das echt in LA machen lassen sollen, das ist bis jetzt jedem hier aufgefallen“, hielt ich meine Hand vor meine Nase.
„Wir kennen dein Gesicht nur zu gut, ist nicht schlecht“, bemerkte er und ging durch das kleine Gartentor zurück zum Grab unserer Tochter.
„Tja, hätte besserlaufen können“, redete ich mit mir selbst und zog meine Schuhe aus. Der Absatz meiner Lieblings-Stilletos war abgebrochen.
„Wesentlich besser“, ergänzte ich und lief nur auf Socken über die kalten Steine zu Priscillas Wagen.
 
„Heiße Schokolade?“, fragte Priscilla, als ich in Gedanken und mit hochgelegtem Bein auf dem Sofa saß.
„Eis wäre mir lieber“, sagte ich in Gedanken und meine beste Freundin drückte mir einen Eisbeutel aufs Knie.
„Dachte ich mir. Trotzdem noch ne heiße Schokolade?“
„Setz dich hin, bitte“, bat ich. Erschöpft ließ sie sich auf den Sessel neben mir fallen.
„Es ist noch so viel zu tun“, murmelte sie.
„Mach langsam, sonst kommt der kleine Prinz noch zu früh. Der Truthahn ist im Ofen, die Kartoffeln auf dem Herd, den Rest schaffen wir noch. Die Kids machen ein Nickerchen und dein Prince Charming kann uns was bringen, wenn wir was brauchen. Ich brauch jetzt meine beste Freundin“, bat ich.
„Sicher, Süße, du hast sicher Schmerzen!“
„Ist nur ne Prellung, halb so wild!“
„Ich red nicht vom Knie. Hat der Wichser dir tatsächlich vorgehalten, du würdest nicht trauern“, begann sie.
„Ich war fünf Jahre nicht mehr am Grab meiner Tochter, ganz unrecht hat er nicht!“
„Du hast auf andere Weise getrauert, du hast immer für die Pflege des Grabs gesorgt, du hast alles getan, was du konntest. Auch wenn ich dich sehr vermisse, wusste ich immer, dass du wegmusstest“, ergriff sie meine Hand und drückte sie.
„Danke, du bist die einzige, die es versteht. Verdammt, ich wollte dir doch so viel helfen heute, jetzt kann ich mich nicht bewegen!“
„Das krieg ich hin, erholt euch, Ladies. Wo ist die Popo-Creme von Jessie nochmal?“, kam Emmett an ihnen vorbei.
„Badschrank, zweite Schublade von rechts. Lass mich das machen, wenn du das machst, wacht sie immer auf davon“, bat Priscilla.
„Ich mach das schon, bleib sitzen, wenn du im Krankenhaus bist, muss ich das auch machen, der Windelausschlag geht nicht von allein weg“, ging er Richtung Badezimmer.
 
Am Nachmittag beobachtete ich, wie es Priscilla immer schlechter ging. Sie hielt sich ständig den Bauch.
„Alles klar, Süße?“, beugte ich mich zu ihr herunter, als sie sich vor Schmerzen krümmte.
„Ich glaub, ich hab Wehen. Es ist zu früh“, jammerte sie flüsternd.
„Süße, du bist in der Risikogruppe, du solltest ins Krankenhaus fahren. Ich komme mit den Kindern klar“, versicherte ich.
„Du hast Recht, ich geh mit Em kurz ins Schlafzimmer, die Kinder sollten das nicht mitbekommen. Es ist schließlich Weihnachtsabend“, ging sie zu EM.
Als die beiden weg waren, nahm ich eine Portion für mich und eine Portion des Essens für die beiden Mädels.
„Hey, Mädels, hört mal zu, Mommy geht’s nicht so gut, also hat Daddy sie zum Arzt gebracht. Wir drei werden jetzt zu Abend essen, dann les ich euch was vor und dann geht’s ab ins Bett, okay?“, sprach ich mit den Kids vernünftig. Ich hatte keine wirkliche Erfahrung mit Kindern, ich hoffte, sie würden mir einfach folgen. Magischerweise hörten die Kids auf mich und aßen brav. Erst wickelte ich Jessie neu und legte sie schlafen. Jessie hatte eine Matratze in ihrem Zimmer liegen, vermutlich hatte Priscilla die ein oder andere Nacht dort verbracht. Ich holte alles aus Nessas und meinem Bett auf die Matratze und las den Mädels solange vor, bis wir alle eingeschlafen waren.

Viertel Kapitel

 
Wach wurde ich an diesem Weihnachtsmorgen durch ein weinendes Baby. Für einem Moment war es wie in meinen Albträumen, die ich regelmäßig hatte, doch dann fühlte ich eine kleine Hand in meinem Gesicht.
„Tante Bara, Jessie weint“, hörte ich die wunderschöne Stimme meines Patenkindes und wurde schnell in die Realität zurückgeholt.
„Um, ja, sicher, schlaf weiter, Süße, ich kümmere mich darum“, bat ich und stand mit Schmerzen im Bein auf.
„Hey, Jessie-Maus, wer macht denn da so einen Lärm? Du brauchst ne neue Windel, was?“, redete ich auf Jessie ein.
Plötzlich stand ein sehr verschlafener Emmett, in Boxershorts und mit einer einzelnen Socke an, neben mir.
„Mach schon. Ach, hier steckst du“, sagte er verschlafen und nahm seine Tochter hoch. Ich sah ihn nur an.
„Erzähl ich dir gleich beim Frühstück, könntest du Nessa übernehmen? Pri liegt noch im Bett und sollte dortbleiben“, bat er mich.
„Sicher, geht’s ihr gut?“
„Ja, später mehr“, war er kurz angebunden und brachte die stinkende Einjährige ins Badezimmer.
 
Ich konnte kaum glauben, wie verständnisvoll und gehorsam Nessa sich benahm. Ich zog sie an und setzte sie aufs Sofa. Dort las ich ihr wieder vor, irgendwie wirkte das immer.
 
„Okay, Jes schläft noch etwas, Gott sei Dank. Es ist noch so früh, wir sind gestern erst um drei Uhr nachts heimgekommen. Ich mach Pancakes, alle einverstanden damit?“, wollte Emmett wissen.
„Ich mach schon, setz dich zu deiner Tochter und lies ihr etwas vor!“
„Bist du sicher?“
„Ich hab gut geschlafen, ich pack das. Also erzähl, was war los?“
„Sie muss die nächsten Wochen im Bett verbringen. Kennst das ja noch von Eddie. Ihre Fruchtblase ist angerissen, aber noch recht stabil. Sie ist untröstlich, dass das jetzt passiert“, erklärte er, während ich den Teig vorbereitete.
„Es ist doch gut, dass ich noch bleiben kann, ich kann euch aushelfen. Wir können ja nachher alle zusammen in eurem Bett frühstücken, wenn das okay für dich ist!“
„Das klingt wunderbar. Tut mir so leid, dass wir dich gestern einfach so mit den Kids alleingelassen haben, wir waren so im Baby-Modus, das wir gar nicht gemerkt haben, dass du ja überhaupt keine Erfahrung hast“, entschuldigte er sich.
„Es war ehrlichgesagt richtig schön, mit einem Kind im Arm konnte ich so gut schlafen wie lang nicht mehr“, versicherte ich.
„Das ist schön, du hast das toll gemacht, wollte ich nur sagen. Wir können uns glücklich schätzen, dich zu haben, die Kinder gestern im Krankenhaus dabeigehabt zu haben, wäre noch stressiger gewesen, als es schon gewesen ist. Wie waren die Kinder?“, fragte er auf dem Sofa sitzend und hielt dabei Nessas Ohren zu.
„Sehr einfach, ehrlichgesagt, ihr habt tolle Kinder!“
„Was hast du ihnen gegeben? Das klingt nicht nach ihnen“, schmunzelte er.
„Vielleicht waren sie nur lieb wegen Weihnachten“, witzelte ich.
„Daddy, kann ich ein Geschenk aufmachen?“, zog Nessa ihre Hände von ihren Ohren.
„Das mit den Händen war wohl ganz und gar sinnlos. Nur eins, den Rest machen wir später auf“, bat er seine Tochter und die lief aufgeregt zum Weihnachtsbaum.
„Was wollt ihr in den Pancakes?“, fragte ich Emmett.
„Schokoladenstückchen für die Mädels, Erdbeeren für uns, wenn das okay ist!“
„Klingt gut, mach ich“, bemerkte ich und machte die Pancakes. Plötzlich merkte ich, wie jemand an meiner Schürze zog.
„Tante Bara, ich hab was für dich gemacht“, sagte Nessa und ich beugte mich zu ihr runter. Sie gab mir eine Kette mit meinem Namen drauf.
„Das hast du gemacht?“, war ich gerührt.
„Daddy hat es gemacht, aber ich hab geholfen“, gestand sie.
„Das ist perfekt, vielen Dank“, bedankte ich mich und zog die Kette an. Es war wie einer dieser 90-er-Jahre-Ketten mit den Namen drauf. Ich hatte damals mit meinem Namen nie eine gefunden, das machte es umso besser.
„Ich wusste nicht, wie talentiert du bist, Em“, lobte ich ihn.
„Was man nicht alles lernt, wenn man mit einer dreijährigen einen Bastelkurs besucht. Ich hab das bisschen als Hobby weiterentwickelt“, war er schon etwas stolz.
„Ich danke euch beiden vielmals. Ich hab ne Idee, ihr habt doch diesen Bollerwagen im Flur. Was ist, wenn wir alles da reinpacken und im Schlafzimmer Weihnachten feiern?“, schlug ich vor.
„Das ist eine hervorragende Idee“, stimmte er zu und eine halbe Stunde später saßen wir zusammen mit den Kindern auf, neben und im Bett des Ehepaares, aßen Pancakes und packten Geschenke aus.
„Du hättest doch nicht so viel besorgen müssen“, bedankte sich Priscilla schwach bei mir.
„Ich wollte es aber. Du hast doch sicher noch nicht so viel Jungs-Klamotten“, konterte ich.
„Hab ich wirklich nicht, ich hatte wieder mal nur Zeit für alles andere. Das kommt zum genau richtigen Zeitpunkt. Tut mir so leid, dass das jetzt passiert ist!“
„Hey, das ist doch nicht schlimm, ist doch gut, dass ich jetzt hier bin. Ich muss nur noch etwas auf Entschuldigungs-Tour gehen, abends bin ich aber immer hier“, erklärte ich.
„Das musst du nicht tun, ich habe bis zur Geburt freigemacht, ich komm schon klar“, erklärte Emmett.
„Okay, aber ich helf dir trotzdem, soweit ich kann. Jetzt knuddelt noch ein bisschen, ich räum hier solang auf“, plante ich und stand auf. Ich hatte immer noch Schmerzen im Knie.
„Du kannst doch kaum laufen!“
„Ist nur ne Prellung, wird halt noch ne Weile wehtun, geht schon. Mir müsste nur nachher einer das Pflaster wechseln, das geht langsam ab!“
„Mach ich dir gleich“, versicherte Emmett mir.
„Kein Stress, genießt eure Zeit zusammen, ich mach alles sauber!“
„Ich liebe dich, Kleines“, bedankte sich Priscilla benommen.
„Hab dich auch lieb, Süße. Schlaf noch etwas“, bat ich und rollte den Bollerwagen wieder raus. Als ich fertig aufgeräumt hatte lauschte ich an der Tür des Schlafzimmers. Sie schienen alle zusammen eingeschlafen zu sein. Nachdem ich meine Schlafsachen wieder in mein Bett gebracht hatte, setzte ich mich darauf. Kurz schrieb ich noch eine Nachricht an Dakota, um mich für das Aussuchen der Geschenke zu bedanken und lehnte mich zurück. Als mein Smartphone wieder pingte, dachte ich, sie hätte mir zurückgeschrieben. Es war aber eine unbekannte Nummer.
>Sorry, hab die Nummer von Edvia, ich wollte dir nur Frohe Weihnachten wünschen ich freu mich, dich Samstag zu sehen – Raff<
Ich war gerührt, er hatte sich die Mühe gemacht, meine Nummer herauszufinden.
>Wünsche ich dir auch, hier geht es drunter und drüber, Pri hatte letzte Nacht Wehen und muss jetzt Bettruhe einhalten. Ich werde vermutlich ein bisschen mehr helfen, als ich dachte, komme aber trotzdem Samstag< schrieb ich zurück.
>Oh je, das hast du ja schonmal durchgemacht. Wie geht’s dir? <
>Bin bisschen müde, hatte gestern Babysitter-Dienst, sonst gut, danke, der Nachfrage. Ich will noch etwas schlafen, wir sehen uns Samstag <
Ich wollte nicht wirklich schlafen, aber es kam mir komisch vor, über Text mit ihm zu reden.
>Okay, bis dann <
>Bis dann <
 
Gegen Mittag war Emmett mit seinen Mädels zu einer Weihnachtsveranstaltung in die Stadt gegangen und ich lag neben Priscilla im Bett und unterhielt mich mit ihr.
„War doch seltsam von ihm zu hören, oder?“, fragte mich Priscilla, als ich ihr von der kurzen Unterhaltung mit meinem Ex-Verlobten erzählte.
„Es ist alles seltsam, was uns betrifft. Erst beschimpft er mich, dann ist er plötzlich nett. Er liebt mich eindeutig noch, aber gleichzeitig hasst er mich aus tiefsten Herzen. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll“, gestand ich.
„Er hasst dich doch nicht!“
„Vielleicht jetzt noch nicht, aber wenn er erstmal rausfindet, dass ich noch fruchtbar bin, sicher nicht mehr!“
„Du hast du ihm erzählt, du wärst unfruchtbar? Wieso machst du sowas?“
„Ich wollte, dass er sich von mir abwendet, er wollte so sehr Vater werden. Ich war nicht sicher, dass ich das nochmal durchmachen wollte. Ich wollte es ihm leichter machen und es hat funktioniert“, erzählte ich beschämt.
„Das wird er dir nie verzeihen!“
„Ich weiß, aber ich will ihn nicht zurück, also bleibt das unter uns, okay?“, bat ich.
„Oh nein, du willst auf Entschuldigungs-Tour gehen, da musst du ehrlich sein, mit allem“, forderte sie von mir.
„Die werden mich hassen, vor allem er!“
„Die hassen dich eh alle schon. Du denkst, du hast noch ne Chance bei ihm, oder? Deswegen willst du es ihm verheimlichen!“
„Ich liebe ihn noch mit ganzem Herzen, aber ich hab meine Chance verpasst, ich werde es ihnen allen sagen, ich wohn hier nicht mehr, kann mir ja egal sein“, spielte ich cool, aber Priscilla konnte ich nicht täuschen.
„Ah, wenn du meinst. Ich will etwas schlafen“, bat sie.
„Sicher, ich lass dich in Ruhe. Ruf, wenn du was brauchst“, rutschte ich vom Bett und ließ sie allein.
 
Ich war selbst etwas eingedöst, als Emmett mit den Kids zurückkam.
„Hey, sorry, haben wir dich geweckt?“, begrüßte er mich und setzte Jessie in den Kinderstall.
„Hab nur gedöst. Wie war’s?“
„Den Kindern hat’s gefallen, das ist das wichtigste. Schläft sie?“
„Sie wollte schlafen, ich weiß es aber nicht genau. Habt ihr Hunger? Soll ich die Reste von gestern aufwärmen?“
„Das wäre lieb, danke, die Kids müssen echt was essen. Ich schau kurz mal nach ihr. Nach dem Essen kannst du irgendwo hin, wenn du willst, kannst meinen, oder ihren Wagen nehmen, wie du willst. Ich hab gehört im Zentrum ist ein Gratis-Konzert“, bemerkte er.
„Klingt gut, vielleicht schau ich mal rein, obwohl ich mit meinem Bein vermutlich nicht so lang stehen kann!“
„Du bist eine hübsche Frau, du findest sicher einen Platz zum Sitzen. Bin gleich wieder da, guckst du kurz nach den Kids?“
„Sicher, lass dir Zeit“, ging ich in die Küche. Mein Pflaster fiel langsam ab, also nahm ich es ab.
„Tante Bara, du hast da ein Aua“, sah Nessa meine Wunde.
„Ja, ich bin gestern gefallen, halb so wild. Ich mach gleich wieder ein Pflaster drauf. Hast du Spaß gehabt, Süße?“, fragte ich und küsste die Kleine auf den Kopf, als sie neben mir stand.
„Santa hat mir eine Zuckerstange gegeben“, erzählte sie aufgekratzt.
„Das ist ja toll, dann warst du dieses Jahr ein liebes Mädchen?“
Sie bat mich, mich zu bücken, also tat ich das.
„Ich war nicht immer so nett“, flüsterte sie in mein Ohr und ich lächelte.
„Da hat Santa wohl nicht aufgepasst, was? Soweit ich das sehe bist du ein ganz liebes Mädchen“, bemerkte ich und sie umarmte mich. Das rührte mich so sehr, dass ich wieder etwas weinte.
„Was ist los, Tante Bara?
„Alles gut, Süße, du bist nur so lieb zu mir!“
„Tut mir leid“, verstand sie nicht.
„Nein, nein, das ist toll, ich bin stolz auf dich“, entschuldigte ich mich bei ihr.
Sie lächelte und ging zu ihrer kleinen Schwester.
 
In Jeans, T-Shirt und in Cowboy-Stiefeln ging ich zu dem Konzert. Früher bestand mein Outfit meistens nur aus den Klamotten, jetzt trug ich das nur selten. Ich sah jetzt eher aus wie eine Ostküsten-Fußball-Mom, die Cowgirl spielte.
„Hey, was kann ich dir bringen?“, fragte der Standverkäufer auf dem Konzert, als ich angestanden hatte.
„Nen Bier, die Marke ist mir egal“, bestellte ich.
„Kriegst du. Weg von der Familie, was?“
„Nope, keine Familie, nur ich. Krieg ich jetzt einfach nur mein Bier?“, fragte ich etwas schroff. New York hatte mich wirklich in ihren Bann gezogen und schnippisch gemacht.
„Ich hatte befürchtet, dass du an der Ostküste so wirst“, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Es war Saida. Ihre feuerroten Haare waren geblieben, aber sie waren jetzt kurz. Sie sah so viel erwachsener aus, als das halbe Kind, was ich vor zehn Jahren kennengelernt hatte. Sie hatte eine genauso alte Tochter wie Pricilla, das ließ jemanden altern und Erwachsen werden.
„Ähm, hey Sai“, begrüßte ich sie nervös.
„Das ist alles? Hey, Sai?“, fragte sie mich.
„Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll“, druckste ich herum. Sie umarmte mich nur.
„Du musst gar nichts sagen. Ich verstehe“, sagte sie nur.
„Ähm, okay, das hab ich jetzt nicht erwartet!“
„Versteh mich nicht falsch, ich würde dir gern eine reinhauen, für das, was du getan hast, aber ich bin selbst Mutter, wenn meinem Kind sowas passiert wäre, könnte ich nicht weiterleben. Du bist so stark“, lobte sie mich. Das rührte mich zu Tränen.
„Fuck, seit ich hier bin, kann ich einfach nicht aufhören zu flennen. Ich bin doch sonst nicht so“, versuchte ich mich zusammenzureißen, bezahlte das Bier und setzte mich auf eine Bank neben dem Stand.
„Du bist das erste Mal in fünf Jahren zurück, das kann viele alte Gefühle zurückholen“, bemerkte sie verständnisvoll.
„Wow, du bist erwachsener geworden als ich inzwischen!“
„Ich studiere gerade Psychologie, da kriegt man Sachen mit“, erzählte Saida.
„Du studierst? Ich war schon stolz, als du deinen High-School-Abschluss nachgeholt hast, aber das ist großartig“, war ich begeistert.
„Danke, ist harte Arbeit mit ‘nem Kind zu Hause, aber ich hab glaub ich meine Passion gefunden. Odion arbeitet jetzt auf dem Bau und macht ganz gutes Geld, aber zwei Einkommen sind einfach besser“, entgegnete sie.
„Ja, das stimmt. Warte, Odion arbeitet jetzt auf dem Bau?“
„Ja, die Band gibt es nicht mehr. Nicht dass es vor fünf Jahren anders war, aber jetzt ist es ganz vorbei. Od‘ hatte lang dran zu knabbern, aber hat es jetzt überwunden. Wir treffen die anderen aber ganz selten. Rhapsody ist ja ganz beschäftigt mit seinen drei Friseur-Läden, Andi tourt grad mit einer anderen Band durch die Welt mit seiner Familie im Schlepptau, Edi und Rai haben eine eigene Manager-Firma gegründet und leben jetzt in Nashville, Madison ist in Detroit und Abba arbeitet bei Em, aber das weißt du sicher schon. Ef haben wir leider verloren!“
„Ja, hab Edvia gestern getroffen. Keiner hat mir das erzählt, nicht mal Priscilla. Egal, ich bin Persona-non-grata hier grade, versteh es irgendwie. Und du? Hast heute Kinderfrei?“
„Od und Kathy sind in Washington, ihre Klasse hat eine Veranstaltung dort. Ich bin traurig, sie über Weihnachten nicht zu sehen, aber sie wollte da unbedingt hin. Sie ist so eine unabhängige junge Lady geworden!“
„Das ist schön“, sagte ich etwas traurig.
„Tut mir leid“, realisierte Sai.
„Nein, schon gut, ich komm klar, ich freu mich für dich. Sonst hast du keine Kinder bekommen, oder?“
„Nein, ich will nur eins, ich möchte jetzt Karriere machen!“
„Das ist schön, aber finde ne Balance zwischen beidem. Ich habe das nicht gemacht und bin allein!“
„Das ist traurig? Du hast niemanden gefunden? Auch nicht mit deinen Operationen?“, schmunzelte sie.
„Ja, ich hatte eine simple Operation, dich jetzt bereue“, murrte ich.
„Na ja, zumindest hast du keine Michael Jackson-Nase, aber mehr solltest du nicht machen. Vor allem das Botox ist gruselig, du siehst aus wie ne Porzellan-Puppe!“
„Ja, das lass ich jetzt“, versicherte ich und sah Edvia etwas weiter von uns weg.
„Hey, Eddie ist auch hier“, zeigte ich zu Edvia.
„Sollen wir zu ihr hin?“, fragte Sai und ich nickte.
 
„Hey, bist deine Kinder doch losgeworden“, begrüßte Sai, Edvia.
„Ja, heute Nachmittag, schön, dass du auch hier bist. Die verlorene Tochter hast du auch schon gefunden“, begrüßte sie Sai wie die alte Freundin, die sie war und mich etwas kühler.
„Ja, ihr habt euch schon gesehen, hat sie mir gesagt. Wie lang bist du sie los?“, fragte Sai, Edvia.
„Drei Tage, auch wenn ich sie vermisse, kann ich meinen Urlaub so genießen. Die Band ist gut, oder?“, machte sie Smalltalk.
„Nicht so gut, wie More Beat, aber geht. Wie geht’s deinen Eltern?“
„Gut, gut, sie freuen sich immer, ihre Enkel zu sehen. Ich besorg mir auch schnell was zu trinken. Wartet ihr hier auf mich?“, fragte sie und wir nickten.
„Ist fast wie in alten Zeiten, was?“, konterte ich.
„Nichts ist mehr wie früher!“, bemerkte sie tonlos.
„Ja, stimmt, ist trotzdem schön, dass ihr da seid“, ergänzte ich.
„Ja, wir kommen nicht mehr so sehr dazu, seit wir Kinder haben. Abba kommt manchmal auch mit, aber Louis ist noch so klein, da ist es manchmal schwierig. Die Trennung der Band hat uns alle irgendwie auseinandergerissen. Es waren gute Zeiten, aber wir mussten alle erwachsen werden“, dachte Sai laut nach.
„Ja, mussten wir. Vor allem Chinese hat sich so verändert. Er ist so gestresst ständig und gönnt sich keine Ruhe“, erzählte sie von meinem Ex.
„Das klingt echt nicht wie Raff, aber ist gut, dass er was zu tun hat“, sagte ich nachdenklich.
„Du bist auch auf dem Karriere-Trip, was ich an deinem Instagram-Account sehe“, erklärte sie.
„Das ist mein offizieller Account, meine Assistentin hat den eingerichtet, sie denkt, ich brauch sowas“, erwiderte ich.
„Dir ist schon klar, dass du nicht berühmt bist, oder?“
„Ja, schon klar. Das ganze Theater bin ich nicht, der Mist muss aufhören. Sie arbeitet für mich, das muss ich ihr klarmachen“, erläuterte ich.
„Ja, vor allem bevor du noch schlimmer aussiehst mit dem Botox!“
„Das tut auch verdammt weh, ja, das lass ich echt. Ich bin erst zwei Tage hier, aber ich merk jetzt schon, was für ein oberflächliches Leben ich führe. Pris Kinder sind so wunderbar, ich will es nochmal mit Kindern versuchen“, redete ich vor mich hin.
„Was? Ich dachte, du wärst jetzt unfruchtbar?“, verstand Sai nicht.
„Ich hab ihn angelogen“, gestand ich peinlich berührt und senkte meinen Kopf.
„Das hast du nicht gemacht“, war sie entsetzt. Ich nahm einen großen Schluck aus meinem Bier.
„Du musst es ihm sagen“, sagte Sai plötzlich.
„Ich weiß!“
„Er hat sich monatelang Sorgen um dich gemacht, dass das alles zu viel für dich wäre. Er war kurz davor, alles hier zu verlassen, um dich zu unterstützen“, erzählte sie mir.
„Wirklich?“, war ich wieder den Tränen nah.
„Ja, wir haben ihn alle davon abgehalten, New York ist keine Stadt für ihn, sie, was sie mit dir gemacht hat!“
„Ich hatte ihn niemals verdient“, realisierte sie.
„Nein, hattest du nicht, aber ihr liebt euch beide immer noch sehr, das wissen wir alle“, entschied sie.
„Entschuldige mich“, verabschiedete ich mich und eilte davon.

Fünftes Kapitel

 
Ich war schon lang nicht mehr so betrunken gewesen. Ich wollte einfach nur vergessen. Keine Ahnung, wo ich mich befand, es war mir auch egal.
„Da ist sie. Du hättest sie nicht alleinlassen sollen“, hörte ich Edvias Stimme, zumindest dachte ich, dass sie es war.
„Du warst bei ihr, Eddie, ich hab Kinder zu Hause“, murrte eine Stimme, die ich als Emmett erkannte.
„Bara, da bist du ja. Wie geht’s dir?“
„Ich bin eine schlechte Person“, konnte ich nur lallen.
„Ja, bist du, aber wir lieben dich trotzdem. Hast du dich schon übergeben?“, fragte Emmett liebevoll und sie zogen mich hoch. Ich schüttelte den Kopf.
„Dann bringen wir dich erstmal an die Luft, da wird es sicher passieren“, plante Emmett. Ich musste mich zusammenreißen, nicht ohnmächtig zu werden.
„Wir sollten sie in die Notaufnahme bringen, Em!“
„Ich bring sie dahin, kannst du Pris Wagen heimbringen?“
„Kann ich machen, dann schlaf ich aber bei euch, das wird mir sonst zu spät“, bat sie.
„Sicher, wird sicher morgen sein, bis ich mit ihr zurückkomme. Echt super, noch ne Nacht in der Notaufnahme“, murmelte er und ich wurde ohnmächtig.
 
Als ich wachwurde, wurde meine Hand gehalten. Der Kater war mächtig und mir war kotzübel.
„2,4 Promille, nicht schlecht, aber nicht mal ansatzweise nah an meinem Rekord“, hörte ich die wunderbare Stimme meines Ex-Verlobten. Ich sah ihn nur an.
„Der Kater ist ein ausgewachsener Löwe, was?“, fragte er liebevoll.
„Was machst du hier?“, fragte ich überrascht.
„Weißt du noch den Notfallkontakt, den wir mal ausgemacht hatten? Scheint, das ist immer noch aktiv“, erklärte er trocken.
„Tut mir so leid!“
„Nicht schlimm, ist heut mein freier Tag. Erklärst du mir, was gestern war?“, wollte er wissen. Ich drehte mich nur von ihm weg.
„Ich weiß es“, sagte er nur.
„Geh einfach, bitte“, sagte ich weinerlich.
„Ich geh nirgendwo hin. Du brauchst jetzt einen Freund. Emmett musste zurück zu seinen Kindern und Eddie. Du bist allein“, war er stur.
„Ich hab das nicht verdient. Ich bin eine furchtbare Person!“
„Ja, bist du, aber ich geh trotzdem nirgendwo hin“, entschied er in seiner stoischen Art.
„Ich war in den letzten fünf Jahren allein, geh“, forderte ich.
„Nope, du kannst mich nicht zwingen“, blieb er stur.
„Du bist so ein Dickkopf“, drehte ich mich zu ihm.
„So bin ich. Hier“, gab er mir die Nierenschale, in die ich mich übergab.
„Jup, wusste, dass das kommt, hab so einige Erfahrungen. Bin froh, dass ich jetzt zehn Jahre trocken bin, das vermiss ich echt nicht“, schmunzelte er.
„Das genießt du richtig, was?“, murrte ich benommen.
„Etwas. Du hast mich damals gepflegt, das mach ich jetzt für dich. Die lassen dich sicher gleich gehen, dann kommst du mit zu mir. Emmett und Priscilla brauchen grad Ruhe“, plante er.
„Das ist keine gute Idee!“
„Nein, ist es nicht, ich möchte es aber trotzdem machen. Die wollen dich sicher in ein Anti-Alkoholiker-Programm stecken, ich bin ein zertifizierter Betreuer für Alkoholkranke, ich werde dich betreuen“, bemerkte er.
„Ich bin keine Alkoholikerin, das ist das erste Mal dieses Jahr, dass ich überhaupt trinke“, versicherte ich.
„Denk ich mir, aber du hast lieber mich, als irgendeinen meiner nervigen Kollegen“, entschied er.
„Auch wahr, danke. Warum bist du nicht sauer auf mich? Ich habe dir diese furchtbare Lüge aufgetischt!“
„Ich wusste es die ganze Zeit, die Ärztin hat mir gesagt, dass du noch Kinder bekommen kannst, als du nach der Sache geschlafen hast. Ich habe dich gehen lassen, du wolltest nicht mehr hier sein und ich habe das verstanden“, war er so weise geworden.
„Wir haben beide geschwiegen, um uns gegenseitig nicht im Weg zu stehen. Wir sind Idioten“, setzte ich mich auf. Das hätte ich nicht tun sollen! Ich übergab mich noch zwei Stunden, dann brachte er mich zu sich nach Hause.
 
Seine Wohnung war eine Welt entfernt von dem stinkenden Hinterzimmer einer Bar, in dem ich ihn kennengelernt hatte. Er hatte eine aufgeräumte, schicke, mittelgroße Wohnung und hatte sogar einen Weihnachtsbaum.
„Das hab ich jetzt nicht erwartet“, stotterte ich.
„Meine Nichte hat mir einrichten geholfen, bin grad erst vor einem halben Jahr eingezogen. Kannst du glauben, dass sie schon auf der High-School ist?“, zeigte er mir seine ganze Wohnung.
„Sie wohnt jetzt wieder hier?“, fragte ich, als ich vorsichtig aufs Sofa saß.
„Leider nicht, sie ist aber öfters zu Besuch. Bale ist auch oft hier, er arbeitet in einem meiner Läden. Er hasst es, für seinen Bruder zu arbeiten“, schmunzelte er.
„Das glaub ich. Sonst geht’s ihm gut?“
„Wirst ihn gleich selbst fragen können, er will vorbeikommen!“
„Er kommt hierher?“, wurde ich nervös.
„Ähm, ja, was ist los?“
„Nichts, er wird nur nicht so begeistert sein, mich zu sehen!“
„Vermutlich“, sagte er mysteriös.
„Du hast mich hierhergelockt, dass dein Bruder mir die Leviten liest“, realisierte ich entsetzt und stand auf.
„Nein, natürlich nicht!“
„Ach komm, wir haben fast 5 Jahre zusammengelebt, ich kenn dich doch. Du weißt, dass Bale mir Angst macht“, wurde ich wütend.
„Er ist der einzige, auf den du hörst. Ich erkenn dich nicht wieder. In nur fünf Jahren bist du eine diese arroganten Tussis geworden“, erklärte er sich.
„Und deswegen wirfst du mich den Löwen vor? Ich weiß, dass ich mich verändert habe und ich hasse mich dafür. Ich habe gestern nicht gefeiert, weißt du?“, schimpfte ich.
„Du weißtes?“
„Natürlich weiß ich es, ich bin nicht blöd, weißt du? Es ist mir sofort aufgefallen, als ich hierhergekommen bin. Aber das ist jetzt meine Welt, ist ja nicht so, als würde hier was auf mich warten“, wollte ich ihn absichtlich verletzen und stürmte aus der Tür. Auf dem Weg durch den Flur kam mir der muskulöse Bale entgegen. Ich sah ihn nur böse an und ging an ihm vorbei.
 
Mit einem Uber fuhr ich zurück zu Priscillas Haus. Es war kalt, aber dort blieb ich nur vor der Tür stehen.
„Du hast länger durchgehalten, als ich dachte“, stand Emmett plötzlich in der Tür.
„Darf ich reinkommen?“, fragte ich vorsichtig.
„Nein, ich lass dich in meiner Einfahrt erfrieren. Wir machen grad heiße Schokolade, komm rein“, bemerkte er sarkastisch und ich trat unsicher ein.
 
„Wie geht’s dem Kopf?“, fragte Priscilla, als ich neben ihr im Bett lag. Emmett hatte entschieden das Elternschlafzimmer in eine Krankenstation umzuwandeln, da musste er nur einen Raum betreten um uns zu versorgen.
„Mich aufzuregen hat nicht grad geholfen. Ich bin jämmerlich, oder?“
„Nein, bist du nicht, er ist jämmerlich. Schickt seinen großen Bruder vor, seine Drecksarbeit für ihn zu machen. Er wollte dich runtermachen, während du den Kater deines Lebens hast. Ihn aber so zu verletzen, war kindisch“, konterte sie.
„Ja, ich weiß. Vor drei Tagen dachte ich noch, ich wäre alt geworden, aber ich verhalte mich wie mein 18-jähriges ich und das ist echt gruselig“, bemerkte ich traurig.
Dein Herz übertrumpft dein Hirn im Moment, das passiert. Erschreck mich nur nicht wieder so, wenn ich hochschwanger bin. Ich will den kleinen Mann noch etwas in meinem Uterus lassen“, bat sie und ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter.
„Es tut mir so leid“, sagte ich traurig.
„Nichts passiert, hab die meiste Zeit eh geschlafen. Mach das nur nie wieder. Dir hätte sonst was passieren können!“
„Ja, hätte es, ich muss Rafferty als Notfallkontakt löschen lassen“, wechselte ich das Thema.
„Du kannst mich reinschreiben, warte nur beim nächsten Mal, bis der Kleine geboren ist, okay?“
„Mit dem Kater, den ich grade habe, werde ich vermutlich nie wieder trinken, oder das Haus verlassen“, versprach ich.
„Morgen musst du das leider, Em muss mit Nessa zum Kinderarzt, wir brauchen Einkäufe. Wäre nett, wenn du Jessie mitnehmen könntest, dann hätte Em mehr Ruhe. Ich mach dir ne Liste“, plante sie.
„Okay, mach ich, ich muss aber erstmal diesen Kater loswerden!“, schlief ich langsam ein.
„Wirst du. Schlaf einfach“, bat sie sanft und ich war weg.
 
„Erdnussbutter mit Stücken, oder cremig?“, ging ich am Morgen die Einkaufsliste mit meiner besten Freundin nochmal durch.
„Beides, wir sind eine gemischte Familie, Nessa und ich lieben Stückchen, Em und Jessie essen nur cremig, vor allem, weil Jessie an Stückchen ersticken könnte, aber ich hoffe, sie bleibt auf meiner Seite. Du kannst auch Zeug kaufen, was du magst, wenn du’s nicht übertreibst“, erklärte sie.
„Ich ess, was da ist, keine Sorge. Bist du sicher, dass du alleinbleiben kannst?“
„Ja, hab nur dein Handy immer auf laut, Em vergisst es immer gern lautzumachen“, bat sie.
„Mach ich. Wie geht’s dir?“
„Ich hab ein paar Scheinwehen, der Doc meint aber, das ist normal, solang es nicht schlimmer wird“, versicherte sie.
„Okay, aber du meldest dich sofort, wenn aus deinen Scheinwehen echte werden, okay? Muss ich im Laden irgendwas beachten bei Jessie?“
„Nein, lass sie nur nicht raus, sie läuft aber kaum, also musst du sie eh fahren!“
„Gut zu wissen. Muss ich die Windeltasche mitnehmen, oder denkst du, sie hält solang durch!“
„Sie müsste durchhalten, nimm sie sicherheitshalber trotzdem mit. Danke, nochmal!“
„Dafür sind beste Freunde doch da. Irgendwelche Schwangerschaftsgelüste?“
„Ne, hatte ich bei keiner Schwangerschaft bis jetzt. Jetzt geh, bevor Jessie ungeduldig wird“, bat sie.
„Sicher, bin schon weg. Schlaf noch etwas“, bat ich, schnappte mir Jessie und ging zum nächsten Supermarkt. Um mein Kartenspiel von Ex-Besten Freunden voll zu machen, traf ich dort auf Abba. Sie ging mit ihrem Kind, was etwas älter als Jessie war auch einkaufen.
„Bara?“, tippte sie mir auf die Schulter.
„Abba, hey, gut siehst du aus. Ich hab gehört, du hattest nen Kind, ist er das?“
„Ja, das ist Romeo, sein nutzloser Vater ist weg“, sagte sie nur.
„Ja, hab ich gehört, hab so gehofft, Mad würde erwachsen werden, scheint nicht so zu sein“, bemerkte ich und schob Jessies Mütze aus ihren Augen.
„Ja, da warte ich noch drauf, er will jetzt plötzlich nen Rapper werden. Ist das deine? Ich hab gehört, du könntest nicht mehr“, sagte sie vorsichtig.
„Nein, ist Priscillas Jüngste, Jessie. Du arbeitest für ihren Vater, hab ich gehört!“
„Ja, stimmt, er bringt seine Kids aber selten mit. Ist das neue Baby schon da?“
„Nein, aber Pri muss das Bett hüten, deswegen geh ich für sie einkaufen, während ich hier bin. Ihr habt jetzt alle Kinder, wie mir scheint“, realisierte ich nachdenklich.
„Nach allem was du erlebt hast, ist es nicht fair, dass du keine Kinder mehr bekommen kannst“, erwiderte sie.
„Wenn du das grad ansprichst, ich bin nicht unfruchtbar. Ich hab ihn belogen, dass er es einfacherer hat, zu gehen. Es war dämlich und ich hab es ihm schon gestanden. Er wollte mir Bale auf den Hals hetzen und ich bin da weg!“
„Noch einer, der nicht erwachsen wird. Zu seiner Verteidigung, das war schon etwas a.r.s.ch.i.g.“, entgegnete sie und buchstabierte das letzte Wort, dass die Kids das nicht aufschnappten.
„Ja, war ich. Ich hab meine Quittung dafür schon bekommen, von allen, die ich hier getroffen habe. Ich sollte weiter, Pri hat Braxton Hicks, ich sollte sie nicht so lang allein lassen!“
„Denk dran, auch wenn du dich mies verhältst, du bist meine Schwester und wirst das immer sein“, umarmte sie mich mit einem Arm und ging weiter.
„Gott sei Dank, noch jemand, der deine Tante Bara nicht anbrüllen will. Mein Kopf würde das heute nicht aushalten“, redete ich mit Jessie, küsste ihren Kopf und ging weiter.
 
Als ich zurückkam, war Pri mitten in der Geburt.
„Fuck, ich wusste doch, ich hätte nicht gehen sollen“, fluchte ich und rief den Notarzt. Gott sei Dank spielte Jessie unschuldig im Kinderstall, denn bevor der Notarztwagen dar war, hatte ich geholfen, ihren Sohn zu entbinden.
„Gut gemacht, Kleines, Mutter und Kind scheint es gut zu gehen, kümmern Sie sich um das andere Kind, wir machen den Rest“, erklärte mir der Sanitäter und ich torkelte ins Badezimmer. Ich war voll Blut. Jessie war im Kinderstall eingeschlafen, also hatte ich eine Sekunde um zu duschen, und mich umzuziehen. Mit zittrigen Händen rief ich Emmett an. Er nahm nicht ab.
„Natürlich gehst du nicht dran. Wenn du das hörst, du bist der Vater eines gesunden Sohnes, deine Frau ist im Baptist Memorial, ich bin bei Jessie. Meld dich, wenn du bei ihr angekommen bist“, sprach ich ihm auf die Mailbox und legte mich aufs Sofa. Es war so anstrengend für mich gewesen, dass ich einschlief. Ich wurde wach, als Jessie weinte.
„Tut mir leid, Süße, Tante Bara war kurz müde. Hast du Hunger?“, fragte ich Jessie und nahm sie auf den Arm.
Als ich ihr grade Babynahrung fütterte, bekam ich einen Anruf.
„Hey, wir sind im Krankenhaus, die haben mir gesagt, du hast das Kind zur Welt gebracht?“, fragte ein aufgekratzter Emmett am Telefon.
„Ja, das Laken auf eurem Bett müsst ihr wohl wegschmeißen. Ich füttere grade deine Tochter, alles gut!“
„Wann hast du eine Ausbildung zur Hebamme gemacht?“
„Es war schon halber draußen, den Rest hat YouTube mir erklärt. Glaub mir, ist nicht etwas, was ich wiederholen möchte“, bemerkte ich.
„Du bist bekloppt, ich danke dir, ich hätte das vermutlich nicht geschafft. Ich werde etwas hierbleiben und mit Nessa was Essen gehen, ich komm heute Abend irgendwann wieder heim. Bring Jessie bitte um sieben Uhr ins Bett. Das Netflix-Passwort klebt hinter dem Kalender in der Küche“, erklärte er.
„Danke, denk ich. Sag Pri nen Gruß und Glückwunsch, wir konnten nicht viel reden, bevor sie weggebracht wurde!“
„Sie sagt auch, dass du bekloppt bist und will wissen, ob es dir gut geht, du hattest wieder ein Baby im Arm, was du nicht behalten konntest!“
„Alles okay, darüber hab ich nicht nachgedacht. Sag ihr, dass ich mich freue, den Kleinen zu halten, wenn er heimkommt!“
„Barry, er heißt Barry“, erklärte Emmett.
„Okay, Barry, seltsamer Name, aber okay!“
„Er ist nach dir benannt, Süße!“
„Oh okay, fühl mich geehrt. Wir reden später weiter, ich muss eure Tochter zu Ende füttern“, bat ich und legte wieder auf.
„Barry, okay, du hast nen kleinen Bruder, Jessie-Maus. Du bist jetzt nicht mehr das Baby“, redete ich vor mich hin zu Jessie, dich mich aber nur unwissend mit ihren braunen Reh-Augen ansah.
„Du verstehst kein Wort, was ich sage, was? Gut so, ich weiß nicht, was du vorhin mitbekommen hast, aber Gott sei Dank bist du zu jung, um das zu kapieren. Bei deiner Schwester hätten sie jetzt einige Therapiestunden bezahlen müssen“, redete ich weiter, während ich sie fütterte. Mit etwas Problemen schaffte ich es, Jessie um halb acht schlafen zu legen. Ich hatte grade einen Netflix-Film angemacht, als Emmett und Nessa heimkamen.
„Okay, Süße, geh Zähneputzen und dann ab ins Bett. Ich les dir noch was vor, ich red nur kurz noch vorher mit Tante Bara“, hörte ich Emmett im Flur. Ich war zu müde um aufzustehen, also ließ ich ihn zu mir kommen.
„Hey, sind wieder da. Alles klar hier?“
„Ja, Jessie liegt im Bettchen, sie schläft, glaub ich. Wie lief’s im Krankenhaus?“, fragte ich vom Sofa aus.
„Gut, beiden geht’s prächtig, dank dir. Du bist grad noch rechtzeitig heimgekommen, sie war so schwach, sie hätte es nicht allein geschafft. Wenn Nessa schläft, musst du mir ganz genau erklären, wie du dabei so cool bleiben konntest“, erzählte er glücklich und aufgekratzt und brachte Nessa ins Bett.
 
„Ich kanns nicht erklären, ich wusste einfach, dass der Krankenwagen nicht rechtzeitig da wäre und ich ihr helfen musste. Ich bin drei Mal fast ohnmächtig geworden, bin immer noch etwas verkatert. Es war so berauschend und so erschreckend, wie ich es noch nie gefühlt habe, das wichtigste ist aber, dass es beiden gutgeht“, erzählte ich.
„Ja, das tut es. Ich brauch jetzt erstmal nen Bier, willst du auch?“
„Oh nein, ich verzichte ne ganze Weile auf Alkohol, glaub mir. Wow, meine Beziehungsprobleme sind plötzlich so unwichtig geworden, Raff ist nen Idiot, er hat mich nicht verdient, ich bin besser als er“, prahlte ich plötzlich.
„Da seh ich wieder diese New Yorker Arroganz, aber wenn’s dir hilft, meinetwegen“, öffnete er eine kalte Flasche Bier.
„Ich will nicht so sein“, gestand ich weinerlich.
„Dann geh zu ihm hin und red mit ihm auf deine alte, freundliche Südstaaten-Art“, bat er mich.
„Ich weiß nicht, ob ich das noch kann!“
„Versuch es einfach. David ist einer meiner ältesten Freunde, ihr seid beste Freundinnen, du merkst doch, was für ein Problem das für mich ist!“
„David? Er nennt sich immer noch so?“, war ich überrascht.
„Seine Frisör-Kette läuft darüber, du hast dir nicht mal die Mühe gemacht, dass rauszufinden, was?“, hielt er mir vor.
„Nein, ich bin wirklich New Yorkerin geworden. Ich sollte zu ihm fahren“, stand ich auf.
„Ja, solltest du, aber erstmal solltest du was mit deinem Gesicht machen“, kreiste er mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum.
„Autsch, aber ich hab mich wirklich heute noch nicht angesehen, ich sollte mich etwas aufhübschen“, murmelte ich, zog mich um, schminkte mich und fuhr zurück zu Rafferty / David.
 
Er war überrascht, mich zu sehen.
„Hey“, begrüßte er mich.
„Selber hey, kann ich reinkommen?“, fragte ich und er ging aus dem Weg.
Zögerlich trat ich ein.
„Danke“, bedankte ich mich.
„Ich hab mich falsch verhalten“, gestand er mir.
„Wollte ich auch sagen. Ich hab mich sehr verändert, zurück in meine alte Haut zu schlüpfen fällt mir schwer“, begann ich.
„Du musst dich für mich nicht verstellen, ich kenne und liebe dich, egal, was ist“, war er so furchtbar verständnisvoll und ich wollte ihn in dem Moment nur küssen und nicht mehr loslassen.
„Ich habe deine Liebe nicht mehr verdient“, konnte ich nur von mir geben.
„Hast du nicht, aber ich geb sie dir trotzdem, das ist, was Liebe ausmacht!“
Ich fluchte in meinem Kopf. Er machte es mir verdammt schwer, ihm zu wiederstehen.
„Du hast keine Gefühle mehr für mich, oder?“, fragte er mich plötzlich.
Ich nahm die Kette mit dem Verlobungsring, die ich um den Hals trug von meinem Hals, hängte sie ihm um, küsste ihn kurz und ging wortlos davon.

Sechstes Kapitel

 
Nach einer schlaflosen Nacht war ich tags drauf im Krankenhaus bei meiner besten Freundin.
„Bist du wirklich sicher mit dem Namen Barry?“, fragte ich Priscilla, während ich dieses gutriechende Geschöpf in meinen Armen wog.
„Er wird der „Flash“ sein, Em und ich haben uns darauf geeinigt. Magst du ihn nicht?“
„Ich werde mich dran gewöhnen, schnell kam er zumindest auf die Welt. Es ist ne Ehre, dass er nach mir benannt ist. Da muss ich echt regelmäßig herkommen, um ihn zu sehen“, entgegnete ich und sah ihn einfach nur an.
„Du hast viel geweint, oder?“, stellte Priscilla fest.
„Nein, nur Allergien“, log ich ziemlich schlecht.
„15 Jahre, Bar‘, mich so schamlos anzulügen ist nur noch peinlich. Erzähl!“, forderte sie. Ich legte Barry in sein Bettchen, setzte mich zu ihr hin und erzählte ihr, was ich den Tag vorher erlebt hatte.
„Tut mir leid, Süße“, legte sie ihre Hand auf meine, die ich auf dem Knie liegen hatte.
„Auch wenn’s hart war, es musste getan werden!“
„Ich will dich nicht runterziehen, aber du kannst ihn nicht so lassen. Du musst mit ihm reden“, riet sie mir.
„Ich will aber nicht“, nörgelte ich. Bevor sie mir antworten konnte, klopfte es an die Krankenzimmer-Tür.
„Klopf, Klopf“, streckte Rafferty, ich hab ihn so kennengelernt, ich nenn ihn jetzt weiter so, seinen Kopf durch die Tür.
„David, hey, komm rein“, freute sich Priscilla ihn zu sehen. Ich strafte sie mit einem bösen Blick. Raff hatte einen riesigen Teddybären und einen Strauß Blumen dabei.
„Sorry, dass ich so spät komme, Em hat mich erst heute Morgen informiert, dass ihr jetzt zu dritt seid“, kam Rafferty in den Raum, setzte den Teddybär auf den Tisch und stellte die Blumen in eine Vase, in der schon Blumen waren. Er sah mich, aber tat so, als wäre ich jemand, den er nicht kannte.
„Ich werde mir nen Snack holen, willst du was, Pri?“
„Irgendwas mit Schokolade wäre nett“, bemerkte Priscilla und ich ging aus dem Raum. Durch die Schiebetür lugte ich hinein. Raff nahm das Baby in den Arm und wog ihn liebevoll. Dieser Anblick stach mir den zweiten Dolch in mein Herz. Das letzte Mal, als ich ihn so gesehen hatte, hielt er unsere Tochter zum ersten und letzten Mal.
Ich ging zum Automaten. Ich wollte nicht wirklich was für mich kaufen, aber ich konnte nicht mit ihm in einem Zimmer sein. Ich holte Pri etwas und setzte mich auf die Bank neben dem Automaten. Ich saß da etwa 20 Minuten und hoffte, er würde einfach wieder zu gehen. Doch er kam zu mir hin.
„Das kannst du nicht einfach so machen. Wir waren zu lange zusammen, dass du mich so behandelst“, sagte er ernst, aber liebevoll und setzte sich zu mir hin.
„Ich werde nicht hierbleiben“, begann ich.
„Ja, weiß ich, aber wir sollten das wie Erwachsene beenden, ich will weitermachen können. Ich hab solang gehofft, du würdest zurückkehren. Aber das bist du nicht. Diese Liebeserklärung lag mir nur auf dem Herzen, du musst gar nichts erwidern. Ich will aber, dass du den behältst, erinnere dich immer an mich, wenn du ihn trägst“, zog er die Kette aus und zog sie mir wieder an.
„Ich werde dich niemals vergessen und das weißt du. Dieses Leben hier habe ich hinter mir gelassen, ein für alle Mal“, verabschiedete ich mich von ihm. Die Dolche in meiner Brust wurden noch tiefer reingesteckt, rein metaphorisch gesprochen, falls das jemand nicht verstanden hat.
Wir redeten noch etwa eine Stunde, die sehr anstrengend für uns beide war und ein paar Tränen von beiden Seiten kostete, aber dann ging er.
 
Müde ließ ich mich auf den Stuhl neben Priscilla fallen.
„Willst du reden?“, fragte sie mich, ich schüttelte aber nur den Kopf.
„Dann bleib einfach dasitzen, bin für dich da, wenn es soweit ist!“
 
Der Freitag kam und ich fuhr wie versprochen zu Edvia und ihren Kindern.
„Hey, Superstar, komm rein“, begrüßte Edvia mich gut aufgelegt.
„Okay, das hab ich jetzt nicht erwartet“, trat ich vorsichtig ein.
„Ich hab gehört, dass du den kleinen Barry zur Welt gebracht hast und das verkatert, das ist mal ne Leistung“, lobte sie mich.
„Ich war alleine und Pri war schon halb dabei, ich hab nur gemacht, was ich musste. Ich bin kein Superstar“, bat ich sie aufzuhören.
„Okay, für uns bist du es. Ich hab nen Apfel-Pie gemacht, den magst du doch, oder?“, konterte sie und brachte mich in die kleine Küche. Es verging nicht lang, bis die Zwillinge in der Küche herumwuselten.
„Meine Güte, die sind groß geworden. Sehen Ef echt ähnlich“, sah ich den Mädchen beim Spielen zu.
„Ja, zwei hübsche Mädels hab ich da. Harper hat schon ein Talent für die Drums entwickelt, das macht mich stolz zu sehen“, erzählte sie.
„Ich lerne Ukulele“, wollte Brooklyn auch was beitragen.
„Ukulele, das ist ja klasse, das ist sehr schwierig“, lobte ich Brooklyn. Sie strahlte über das ganze Gesicht. (Ja, ich benutze hier die Namen von Victoria Beckhams Familie, Eddie wollte die offiziellen Namen hier nicht sehen)
„Od hilft ihr mit der Ukulele, wenn er Zeit hat. Bin echt stolz auf die beiden. Cruz ist eher der kreative Zeichner, aber ich bin auch sehr stolz auf ihn. Ich arbeite sehr viel und er unterstützt mich sehr gut mit allem. Grade ist er am Computer, aber wir gehen nachher mal zu ihm. Und wie geht’s dir so?“
„Ich hab mich mit Raff, sorry David, ausgesprochen, War hart, war tränenreich, aber ich hab es hinter mir“, sagte ich kurz.
„Bin stolz auf dich, glaub dir, dass es hart war. Ich muss dir was gestehen. Ich treff jemanden neues. Es ist noch neu, aber die Kinder kennen ihn schon. Er bedeutet mir viel!“
„Das ist toll, ich freu mich für dich. Wenn er gut zu dir ist, mag ich ihn auch“, freute ich mich für sie.
„Das ist er, er ist ein Lehrer an Cruzs Schule. Er unterrichtet ihn nicht, das wäre zu seltsam“, erklärte sie.
„Er klingt gut und anständig. Ef hätte ihn sicher gutgefunden“, erwiderte ich.
„Denk ich auch. Ich bin noch keine 40, ich kann nicht mein ganzes Leben alleinbleiben“, bemerkte sie.
„Nein, solltest du nicht. Sonst wirst du noch wie ich“, sagte ich traurig.
„Du solltest auch nicht alleinbleiben, es gibt doch sicher einen hübschen Anwalt, oder nen Schönheitschirurgen in New York!“
„Der musste sein, oder? Ich wollte keine Kinder mehr, jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Ich will das irgendwie keinem Mann mehr antun“, gestand ich ihr.
„Daher weht der Wind, deshalb hast du ihn damals verlassen. Er hätte das doch verstanden“, bemerkte sie.
„Genau aus dem Grund habe ich es gemacht. Er liebt Kinder, er hätte aus Liebe zu mir darauf verzichtet und das konnte ich ihm nicht antun!“
„Du musst ihn sehr lieben für dieses Opfer“, realisierte sie und ich spielte mit dem Verlobungsring an der Kette herum.
„Mehr als mich selbst. Aber Themawechsel, sieht dein Freund gut aus?“, lenkte ich ab.
„Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Hast du es ihm gesagt?“
„Bist du bekloppt? Du kennst ihn jetzt zwanzig Jahre, wäre das was, was er hören wollte und akzeptieren würde?“
„Der David von früher nicht, der David von heute schon. Du musst es ihm sagen!“
„Nochmal mit ihm reden? Ist das dein Ernst? Ich hab mich von ihm verabschiedet, ein für alle Mal“, schimpfte ich.
„Mädels, spielt ein bisschen in eurem Zimmer, bitte“, schickte sie ihre Kinder weg.
„Sorry, wollte vor deinen Kindern nicht laut werden“, stand ich etwas ruckartig auf.
„Hinsetzen“, befahl sie im typischen Mama-Ton. Überrascht setzte ich mich wieder hin.
„Okay“, murmelte ich.
„Du weißt, dass ich David liebe wie einen Bruder, oder?“, begann er und ich nickte stumm.
„Und dass ich dich liebe wie eine Schwester?“
„Ähm, ehrlichgesagt …“, begann ich zu reden, aber sie bat mich still zu sein.
„Das tu ich, du bist die Schwester, die ich niemals hatte. Ich war so glücklich, als ihr euch verlobt habt und ich war überglücklich, als du schwanger wurdest. Ich hab an dem Tag auch ein Kind verloren, weißt du? Ich wollte dir damals so sehr helfen, aber ich hatte Zwillinge um mich rum. Ich bereue das jeden Tag“, erzählte sie und begann zu weinen.
Ich stand auf und umarmte sie über den Tisch hinweg für eine ganze Weile.
„Es tut mir leid, das ist wohl mein aktuelles Mantra, aber ich kann s nicht oft genug sagen“, wischte ich mir auch eine Träne aus dem Augenwinkel. Mir gingen langsam die Tränen aus, ich hatte die fünf Tage, die ich in meiner alten Heimat war, viel zu viel geweint.
Wir unterhielten uns danach noch ein paar Stunden, ich spielte etwas mit ihren Kindern und ich fuhr wieder heim. Tags drauf sollten Priscilla und Barry heimkommen. Ich machte sauber, Emmett war mit den Kids irgendwo unterwegs, als ich fertig wurde. Es klopfte.
„Hey, Em, hast du deinen Schlüssel vergessen?“, fragte ich und öffnete die Tür. Ich erschreckte mich etwas, als Bale in all seiner Größe in dem dunklen Flur stand.
„Sorry, wollte die Kids nicht wecken. Kannst du die Hausherren fragen, ob ich reinkommen kann?“, wollte Bale von mir wissen.
„Ich bin allein, komm rein“, bat ich und ließ ihn rein.
„Willst du nen Bier, oder so?“
„Nein, danke, muss nachher noch zu ner Sache fahren. Hast du Angst vor mir?“, spürte er meine nervöse Haltung.
„Ich würde es eher Respekt nennen“, konterte ich mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Respekt hast du nicht“, konterte er.
„Was?“
„Du hast keinen Respekt vor mir, vor meiner ganzen Familie!“
„Okay, leg los, mach mich runter, dass ich deinen Bruder verlassen habe. Ich hab ihm alles erklärt und wir haben es geklärt, aber wenn du mich anbrüllen willst, mach ruhig, zumindest hab ich jetzt keinen Kater mehr“, lies ich es geschehen.
„Ich red nicht über meinen Bruder, auch wenn er anders denkt, er kann seine Kämpfe selbst ausfechten. Du bist Familie, vor allem zu Edyn. Du warst eine Mutterfigur für meine Tochter und dann hast du sie gemieden, du konntest ihr nicht Mal in die Augen sehen“, erklärte er mir ernst und mit Ärger in der Stimme.
„Ich weiß, ich kann dir das nicht erklären!“
„Ich hab ner neunjährigen versucht zu erklären, warum ihre Tante Bara sie einfach verlassen hat. Ich hab sie wochenlang weinend in den Schlaf gewogen, sie konnte einfach nicht verstehen, warum du sie nicht mal ein letztes Mal in den Arm genommen hast“, schimpfte er mit mir.
„Ich kann es dir nicht sagen!“
„Wieso nicht? Was ist denn so schwer daran?“
„Bitte lass mich“, begann ich zu weinen.
„Verdammt, Weib, nicht so störrisch, sag es mir einfach, Edyn braucht eine Antwort!“
„Ich konnte sie nicht mehr ansehen weil … weil sie genauso aussah wie Joey“, gestand ich stotternd. Ich hatte meinem toten Kind zum ersten Mal einen Namen gegeben. Der Name kam mir einfach so in den Kopf.
„Ihr habt sie Joey genannt?“, war er gerührt.
„Ja … nein, Raff hat sie so genannt. Immer wenn ich nur an Edyn gedacht habe, musste ich an meine Kleine denken. Es hätte mir vielleicht geholfen, sie einfach im Arm zu halten, aber ich konnte einfach nicht. Ich werde sobald ich kann noch zu ihr fliegen und ihr alles erklären“, versuchte ich mich zusammenzureißen.
„Joey war der Name meiner Mutter“, begann Bale zu schluchzen. Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen.
„Ja, das war es. Ich wollte dich nicht traurig machen“, entschuldigte ich mich.
„Nein, alles gut, hat mich nur etwas überrascht. Komm her“, zog er mich in seine starken Arme.
 
In dem Moment kam Emmett mit den Kindern zurück. Bale löste sich von mir.
„Sorry, wollte euch nicht unterbrechen, bei was auch immer ihr gemacht habt“, legte Emmett die Regensachen über die Tischkante.
„Regnet es?“
„Nen bisschen, wir waren spazieren, hoffe, die Mädels schlafen dann bald. Wird morgen ein anstrengender Tag. Ich muss heute Abend noch das Babyzimmer fertigmachen, wir hatten ja eigentlich noch zwei Wochen gehabt, bin noch nicht ganz fertiggeworden. Sag das nicht meiner Süßen, sie denkt, ich bin schon seit Wochen fertig“, erklärte er und hängte auch seine Jacke auf.
„Ich hätte etwas Zeit, soll ich dir helfen?“, bat Bale an.
„Nen großer, kräftiger Mann, der mir hilft, da sag ich nicht nein. Ist ne Weile her, Henry, schön, dich zu sehen“, begrüßte Emmett seinen Kumpel.
„Ebenso!“
„Ihr könnt loslegen, ich übernehm die Mädels“, bot ich an.
„Vielen Dank, gegessen haben sie schon, schau nur, ob ihre Haare trocken sind, bevor sie schlafen, Zähne putzen, Jessie braucht ihre Creme heute nochmal“, plante Emmett.
„Ich krieg das hin“, versicherte ich.
„Stimmt, du machst das klasse hier. Ohne dich hätte ich die letzten Tage nicht überstanden“, bedankte er sich bei mir.
„Es hat mir Spaß gemacht, ich hätte gedacht, es wäre schlimm, unter Kindern zu sein, aber es war nett!“
„Du bleibst doch noch etwas, oder?“, hoffte er.
„Ja, weißt du doch, keine Sorge“, schmunzelte ich und ging zu den Mädels.
 
Am Morgen von Pris Entlassung ging ich nochmal einkaufen. Jessie war wieder bei mir, Emmet und Nessa im Krankenhaus um Priscilla und Barry abzuholen.
Ich kreuzte die Gangreihen am Rand entlang. Aus dem Augenwinkel sah ich Rafferty, der am Chips-Regal etwas suchte. Ich wollte eiliger weitergehen, stieß aber mit einem anderen Einkaufswagen zusammen, erschreckte Jessie damit und sie begann zu weinen. Ich fluchte kurz, das hatte sicher seine Aufmerksamkeit erregt.
Ich sah die ganze Zeit auf den Gang, sah ihn aber nicht mehr.
„Soll ich?“, stand Rafferty plötzlich neben mir. Ich starrte ihn nur an.
„Jessie weint ja, soll ich?“, fragte er und ich nickte nur.
„Hey, Sweetie, warum weinst du?“, nahm er Jessie auf den Arm. Sie spielte mit seiner Kette, die er um den Hals trug und beruhigte sich.
„Danke“, bekam ich ein Wort raus.
„Bitte. Gehst du zur Neujahrsparty im Stadtzentrum?“, wollte er von mir wissen.
„Hab ich mir eigentlich keine Gedanken drüber gemacht. Gehst du?“, machte ich Smalltalk mit ihm.
„Ich bin einer der Sponsoren, muss mich irgendwie etwas da blicken lassen. Überleg es dir, wenn du gehen willst, meld dich bei mir, ich hab dir dann Backstage-Pässe“, erklärte er.
„Danke, ich überleg‘s mir. War schön, dich zu sehen!“
„Find ich auch“, verabschiedete ich ihn und er ging mit einem Lächeln weiter.
Jessie sah mich nur an.
„Guck mich nicht so an, er ist zu mir gekommen“, redete ich mit Jessie, die streckte mir aber nur den Teddybären hin, den sie bei sich hatte.
„Du hast Gott sei Dank keine Ahnung, was hier los ist. So kannst du mich nicht bei deiner Mommy verpetzen“, redete ich mit ihr und führte meinen Einkauf weiter.
 
„Morgen ist ja Silvesterabend“, begann ich, als wir an diesem Abend zusammen aßen.
„Ähm, ja, willst du irgendwo hin?“, fragte Priscilla.
„Möglich, im Zentrum ist was, dachte, ich schau mir das mal an“, konterte ich.
„Kann man dich wo hingehen lassen, wo es Alkohol gibt?“, fragte Emmett streng.
„Ich nehm zehn Dollar und keine Karte mit, damit kann ich mich nicht betrinken“, versicherte ich.
„Du bist ne hübsche Dame, da wirst du sicher eingeladen“, bemerkte Emmett.
„Ich hab nicht um euere Erlaubnis gebeten, Leute“, war ich etwas genervt.
„Wenn du das machen willst, mach das, Süße“, ergänzte Priscilla.
„Mach ich auch“, sagte ich etwas trotzig.
„Wirst du allein hingehen?“, wollte Emmett wissen und ich sah ihn böse an.
„Was? War nur ne Frage!“
„Ja, ich geh alleine, aber vielleicht treff ich ja Leute, die ich kenne, bin schließlich hier aufgewachsen!“
„Dann viel Spaß“, ergänzte Priscilla.

Siebtes Kapitel

 
In einem schicken Kleid und Mantel erschien ich bei der Veranstaltung am 31.12.
Rafferty hatte mir einen VIP-Pass hinterlegen lassen, den ich um den Hals legte.
„Na, gehst du wieder auf Sauftour?“, hörte ich eine Stimme hinter mir am Einlass. Es war Saida.
„Oh hey, nein, Mom und Dad haben mir nur wenig Taschengeld erlaubt, deswegen bleib ich heut brav“, bemerkte ich trocken und Saida zog auch einen VIP-Pass an.
„Sie wollen nur das Beste für dich. Ich hab mir echt Sorgen gemacht um dich“, erklärte sie mir.
„Da warst du nicht die einzige. Ich hatte nen schlechten Tag, ich hab mich selbst über mich erschreckt. Heute bleibe ich aber nüchtern. Raff … David, verdammt, an den Namen werde ich mich niemals gewöhnen, hat dir anscheinend auch einen VIP-Ausweis besorgt“, machte ich Smalltalk.
„Nein, ich arbeite hier, ich arbeite immer überall wo man mich braucht, mein Studium ist ja nicht billig und ich werde dafür nicht bezahlt. Also David und du?“, fragte sie mit einem Lächeln.
„Wir versuchen auf freundschaftlicher Basis eine Beziehung aufzubauen. Ich bin in ein paar Tagen eh weg, das ist das Beste“, erklärte ich.
„Oh Süße, ihr beide könnt niemals nur Freunde sein. Das ist bei euch nicht möglich“, stellte sie klar.
„Sieh mir zu und lerne“, sagte ich großspurig.
„Na toll, du bist trotziger als mein Kind, ich hoffe, das weißt du“, murmelte sie und folgte mir.
„Solltest du nicht irgendwo arbeiten?“, drehte ich mich zu ihr um. Dabei stieß ich mit jemandem zusammen. Der Mann, in den ich gestoßen war, drehte sich um. Es war Raff, in einem Anzug. Er sah so gut aus.
„Ähm, hey, Raff, David, danke für den Pass. Gut siehst du aus“, stotterte ich, als ich ihn sah.
„Freunde, von wegen, viel Spaß, Süße“, flüsterte Saida mir zu und ging weiter an ihren Arbeitsplatz.
„Du siehst auch gut aus. Schön, dass du kommen konntest. Leider bin ich hier vielbeschäftigt, aber sollen wir uns um 12 zum Guitar Drop treffen, okay?“, war er in Eile. Der Guitar Drop war so was wie der Ball Drop in New York City.
„Klingt gut, schreib mir vorher nochmal nen Text, wo du stehst“, konterte ich.
„Ich bin vermutlich bei meinem eigenen Stand, aber ich meld mich nochmal. Viel Spaß“, ging er von dannen.
Ich war etwas enttäuscht, ich hatte gedacht ich würde Zeit mit ihm verbringen. Ich schlenderte weiter um jemanden zu finden, den ich kannte. Leider war ich anscheinend zu lang weggewesen. Ich aß etwas, holte mir eine Cola und setzte mich an einen Tisch.
„Hallo, schöne Frau, kann ich dir nen Drink bringen?“, hörte ich eine Stimme. Erst dachte ich, es wäre Rafferty und drehte mich lächelnd zu der Stimme.
Aber dann sah ich jemand anderen.
„Oh, du bist es, Tanner“, realisierte ich, dass ich seinen Cousin vor mir hatte.
„Sind wir uns schonmal begegnet?“, fragte Tanner verwirrt.
„Am Anfang unserer Beziehung war das ja noch ganz charmant, Tan, jetzt ist es nur beleidigend!“
„Bara?“, wunderte er sich, mich zu sehen.
„Tan, wir haben 2 Jahre im gleichen Haus gewohnt und gefrühstückt, ist das ne Show von dir?“, war ich schon etwas verärgert.
„Sorry, meine Gesichtsblindheit wird immer schlimmer, wenn du dich operieren lässt, ist das für mich schwieriger“, entschuldigte er sich.
„Du bist Gesichtsblind?“, war ich jetzt ganz überrascht.
„Hab die Diagnose erst seit kurzem, ich dachte immer, ich wäre einfach zu doof, Gesichter zu merken, aber anscheinend macht das mein Gehirn einfach nicht richtig. Ich fühl mich nicht mehr so dämlich, seit ich dafür in Behandlung bin. Also, kann ich dir nen Drink bringen?“
„Wieso eigentlich nicht“, konterte ich.
„Bourbon okay?“
„Klingt gut!“
Tanner ging und holte uns beiden was zu trinken.
So lang wie ich mich in dieser Nacht mit Tanner unterhalten hatte, hatte ich die Jahre zuvor nie mit ihm gesprochen. Er war wirklich erwachsen geworden. Mein Smartphone summte auf dem Tisch.
„Oh verdammt, ist ja schon kurz vor 12, ich treff mich mit Raff, David, deinem Cousin. Es ist so lieb, dass du mich den ganzen Abend unterhalten hast“, bedankte ich mich und stand auf. Ich war schon etwas angetrunken, konnte mich aber noch gut auf meinen Absätzen halten.
„Soll ich dich zu ihm bringen?“, bemerkte er mein leichtes Torkeln.
„Wenn ich es auf 12cm Absätzen durch New York komme, schaff ich es auch mit etwas Bourbon im Kreislauf zu laufen. War schön, dich zu sehen, hier ist meine Nummer, kannst mich ja wegen deinem Projekt auf dem Laufenden halten“, schrieb ich meine Nummer auf eine Serviette und ging dann zu dem Treffpunkt, den Raff mir gesagt hatte.
 
Zwei Minuten vor Mitternacht erreichte ich Rafferty. Es war wie in einem kitschigen Klischee-Film, die ich eigentlich nicht ausstehen konnte. Wir sahen uns nur an und durch meinen angeheiterten Zustand war mein Hirn ausgeschalten. Als die Gitarre runterging, küsste ich ihn leidenschaftlich. Wir wechselten nicht viele Worte, auch als ich mit ihm in sein Apartment ging. Ja, ich weiß, ich weiß, selten dämlich, aber ihr seid auch mal an Silvester weichgeworden, das müsst ihr euch doch sicher eingestehen.
 
Er strich mir meine Haare aus dem Gesicht und weckte mich damit. Ich lächelte ihn an, er lächelte zurück. Für diese 30 Sekunden war alles wie früher. Doch dann setzte bei mir die Panik ein. Ich krabbelte aus deinem gemütlichen Holzbett und suchte hektisch mein Kleid.
„Ist im Badezimmer“, sagte er trocken. Er kannte mich lang genug um zu erkennen, dass ich Panik schob. Wortlos ging ich ins Badezimmer. Dort stand ein Bild von ihm und mir in einem Rahmen. Mit meinem Kleid in der einen und dem Bilderrahmen in der anderen setzte ich mich auf den Rahmen der Badewanne.
„Verdammt, Bara, warum kannst du dich nicht kontrollieren?“, schimpfte ich mit mir selbst. Ich hatte das Bild von uns immer geliebt.
„Willst du nen Kaffee?“, rief er ins Badezimmer.
„Ja, bitte“, rief ich zurück.
„Bar‘, was machst du da. Du kannst jetzt nicht bleiben. Er wird das falsch interpretieren“, redete ich weiter mit mir selbst.
Ich zog mich an und ging unsicher in seine Küche.
„Trinkst du den Kaffee immer noch mit Milch und Süßstoff?“
„Ja, danke!“
„Willst du darüber reden?“, begann er.
„Ehrlichgesagt nicht. Ich hätte gestern nicht trinken sollen“, sagte ich kurz.
„Du wirst mich hassen“, hatte er seinen Blick drauf, den er immer nur hatte, wenn er was angestellt hatte.
„Keine Sorge, ich weiß alles noch von gestern, war echt schön, was du mit mir gemacht hast, hast du dich früher nicht getraut“, versicherte ich.
„Ja, fand ich auch, aber das ist es nicht. Ich hatte einen Komplizen gestern!“
„Ich weiß“, sagte ich sanft.
„Der Trottel hat sich verplappert, oder?“, fragte er.
„Er ist immer noch kein Genie. Ich fands süß und hey, er hat mich mit 30 Jahre altem Bourbon abgefüllt, kann mich nicht beklagen“, erläuterte ich ihm.
„Du bist so clever“, lobte er mich.
„Nein, bin ich nicht, ich kenn euch nur zu gut. Hat er wirklich Gesichtsblindheit?“
„Ja, schräg, oder? Er war jahrelang Türsteher und uns ist das nie aufgefallen. Du bist also nicht sauer?“
„Nein, bin ich nicht. Das ändert aber nichts zwischen uns, ich hoffe, das weißt du!!“
„Ja, ich weiß, ich wollte nur diese Nacht haben, bevor ich dich endgültig verliere“, stellte er klar.
„Du wirst mich niemals verlieren, aber das hier, uns beide, das kann nicht mehr passieren“, stellte ich klar.
„Ich weiß!“
„Oh, okay, gut“, murmelte ich.
„Du kannst nicht beides haben, weißt du?“, las er meine Gefühle aus meinem Verhalten.
„Schon klar. Kriege ich bei dir auch was zum Essen zum Frühstück?“, fragte ich gespielt cool.
„Doughnuts, oder Bagels?“, wollte er von mir wissen.
„Doughnuts“, bat ich.
„Unter meiner Wohnung ist ne Bäckerei, ich komm gleich wieder. Sieh dich ruhig um“, zog er sich was über und ging aus dem Haus.
Ich suchte nach meiner Handtasche und rief Priscilla an.
„Morgen. Was macht der Kopf?“, nahm Priscilla ab.
„Du warst auch eingeweiht?“
„Ähm, er hat mir gestern nur nen Text geschrieben, dass du bei ihm übernachtest, weil du nen bisschen zu sehr gefeiert hast. Das meinst du doch, oder?“
„Ähm, ja, das meinte ich. Ich werde hier noch frühstücken, dann komm ich zurück“, versicherte ich.
„Kein Problem, wir sitzen hier gemütlich beim Frühstück zusammen, Flash hat auch brav geschlafen. Em nennt unseren Sohn jetzt so, falls du dich gefragt hast. Ich hätte wissen sollen, dass das so kommt. Aber irgendwie ist es auch schön. Hattest du einen schönen Abend gestern?“
„Erzähl ich dir später!“
„Du hast mit ihm geschlafen, oder?“
„Ich war randvoll mit Bourbon, was denkst du?“
„Und jetzt seid ihr wieder na ja … ihr?“
„Nein, das war nur eine Verabschiedung. Warum ich jetzt zum Frühstück bleibe, weiß ich aber nicht“, erzählte ich.
„Ihr seid beide erwachsen, warum nicht. Genieß die Zeit“, schien Priscilla wie auf Drogen.
„Werde ich. Geht’s dir gut?“
„Sehr gut, danke, ich genieß auch die Zeit mit meiner Familie, Em muss ja morgen wieder arbeiten!“
„Stimmt, dann viel Spaß euch. Dein Auto steht noch in der Stadt, fällt mir grad auf!“
„Wir haben es schon geholt, keine Sorge. Musst halt nen Taxi nehmen“, erklärte sie mir.
„Ich hoffe, er fährt mich heim, nach allem, was ich gestern für ihn gemacht habe“, schmunzelte ich.
„Wirklich? Du bist doch sonst nicht erfinderisch im Bett!“
„Ich hab so einiges in New York gelernt, meistens von Professionellen“, erzählte ich.
„Du hattest was mit Strichern?“
„Begleiter heißen die und ich hab ne Menge Geld dafür bezahlt, dass die immer sauber waren. Erzähl ich dir mal bei Gelegenheit. Ich muss auflegen, er kommt zurück“, bemerkte ich und er kam zurück.
„Die hatten keine Erdbeer-gefüllten mehr, ich hoffe Himbeere ist auch gut“, kam er aufgekratzt wieder. Er hatte gute Laune, die hatte er eigentlich immer nach dem Sex, aber da war ich am Abend drauf auch wieder mit ihm im Bett gelegen.
„Himbeere ist okay“, sagte ich nur und er setzte sich zurück an den Küchentisch.
„Deine Wohnung sieht nicht nach ner Wohnung eines Sängers aus“, redete ich mit ihm.
„Bin auch kein Künstler mehr, als ich hier eingezogen bin, hab ich schon nicht mehr gesungen!“
„Du singst nicht mehr? Wieso das denn?“
„Ich hab drei Geschäfte, da muss manches hintenanstehen, mir war auch nie wirklich mehr zum Singen zumute“, erläuterte er.
„Du hast so eine tolle Gesangsstimme“, lobte ich ihn.
„Ja, hatte ich, aber das ist Vergangenheit. Musst du ja kennen“, teilte er zum Schlag aus, war aber abgelenkt, als ein wenig bekleideter Teenager schlaftrunken an der Küchenzeile versuchte vorbeischleichen.
„Nichte, solltest du nicht in Kalifornien sein?“, fragte er die junge Dame.
„Starlight?“, fragte ich, als ich Edyn erkannte.
„Kalifornien ist voll ätzend zu Silvester, hier war’s viel cooler. Sind die Doughnuts mit Frucht, oder Schoko?“
„Frucht. Warte, wie lang bist du schon hier?“, wollte er wissen.
„Lang genug um zu hören, dass du es noch draufhast, für nen alten Sack. Wenn mein Vater anruft, bin ich nicht da“, bemerkte sie trocken, ignorierte mich völlig und ging mit einem Doughnut in der Hand weiter.
„In den letzten Jahren hast du bei ihr echt nichts verpasst, sie erklimmt jeden Teenager Meilenstein, den es gibt, und dass mein ich nicht positiv. Hab nicht gewusst, dass sie da ist, ich schwöre“, entschuldigte er sich.
„Was ich da gestern alles mit dir gemacht habe und sie hat zugehört, kein Wunder, dass sie mich ignoriert. Läuft sie eigentlich immer nur in bauchfreiem Top und Shorts in deiner Wohnung rum?“
„Oh Gott, nein, sie ist eigentlich sonst nie in meiner Wohnung, sie muss vermutlich irgendwie an den Zweitschlüssel ihres Vaters gekommen sein. Ich würde ja jetzt mit ihr reden, aber sie würde zu viele Fragen stellen, auf die ich nicht antworten möchte“, sagte er gedankenversunken.
„Sie ist 15, wir sollten ihren Dad anrufen“, entschied ich.
„Okay, aber dann mach du das, sie mag dich eh grad nicht so sehr“, bat er und ich rief Bale an.
„Hey, Bale, ich bin grad in Davids Wohnung und hier rennt nen halbnacktes Mädel rum“, begann ich.
„Keine Sorge, die ist sicher schon 18, hoff ich“, murmelte Bale verschlafen in den Hörer.
„Ich meine deine Tochter, sie ist hier und hat gestern was mitangehört, was eigentlich nicht für die Ohren von Teenagern gedacht war. Hast du ihr gesagt, sie soll hierherkommen?“
„Was? Edyn ist hier in Memphis? Fuck, ich wusste ja, dass meine Ex ne schlechte Mutter ist, aber dass sie nicht merkt, dass ihre minderjährige Tochter durchs halbe Land reist ist schon heftig. Warte, David und du habt … und sie hat …? Warte, seid ihr wieder zusammen?“
„Ähm, nicht wirklich, erzähl ich dir, wenn du kommst. Damit mein ich, dass es echt freundlich wäre, wenn du sie abholst, wir müssen hier noch einiges klären“, bat ich ihn.
„Brauch ne Minute, komm aber gleich. Sorry, sie hat wohl in meiner Wohnung den Ersatzschlüssel von Davids Wohnung geholt, ich war bis spät arbeiten und hab es nicht gemerkt. Ich beeil mich“, erklärte er und legte auf.
 
20 Minuten später stand ein sehr verschlafener Bale in Sporthose, T-Shirt und alter Bandjacke vor der Tür.
„Wo ist sie?“, wollte er nur wissen.
„Badezimmer, setz dich ruhig zu uns“, bat Rafferty ihn rein.
„Soll ich das mit euch kommentieren, oder einfach die Klappe halten?“, fragte Bale und zeigte auf Rafferty und mich.
„Zweiteres, bitte. Es tut uns leid, wenn wir gewusst hätten, dass sie da ist, hätten wir es gelassen“, entschuldigte sich Rafferty höflich.
„Nein, hättet ihr nicht, aber schon gut. Krieg ich nen Kaffee?“
„Mach ich dir. Bedien dich ruhig bei den Doughnuts, hab eh zu viele gekauft. Haben wir dich geweckt?“
„Ich war erst um vier Uhr im Bett also ja. Ich liebe meine Tochter, aber sie ist echt ne Handvoll im Moment“, erklärte er uns.
„Das seh ich. Ich sollte gehen, das ist ne Familiensache. Danke für das Frühstück, ich komm nochmal vorbei, bevor ich heimfahre“, nutzte ich die Situation, meinen Abgang zu machen.
„Du musst nicht gehen“, bemerkte Rafferty.
„Danke, aber ich sollte wirklich los. Danke fürs Frühstück“, bedankte ich mich und ließ die zwei Brüder allein.
 
Ich nahm einen Bus zurück zu Priscilla und ihrer Familie, bei der längeren Tour konnte ich meinen Kopf klarbekommen.
An diesem Nachmittag ging ich mit der Familie in einem Restaurant essen, weil Priscilla nicht kochen wollte.
„Keinen Hunger?“, fragte Priscilla freundlich, als ich mit meinem Essen nur spielte.
„Mir ist noch etwas übel. Ich lass das Zeug aber einpacken“, murmelte ich.
„Keine Sorge, ich koch morgen wieder was, musst du nicht machen. Du siehst traurig aus, wirklich alles in Ordnung?“, ließ sie nicht locker.
„Nicht hier, heute Abend, okay?“
„Okay, iss aber bitte noch was“, bat sie mich und ich aß brav weiter. Sie behandelte mich wie eine ihrer Kinder, aber sie hatte drei Kinder unter 6 Jahren zu bändigen, also ließ ich sie einfach machen.
 
„Sie schlafen alle und es ist keine acht Uhr. Das ist klasse“, ließ sich Priscilla zufrieden neben mir aufs Sofa fallen.
„Bist halt ne Super-Mami. Ich hätte mich nicht so einfach um deine Kinder kümmern können, wenn sie nicht so gut erzogen wären!“
„Sind sie das? Ich bin immer noch unsicher in meinen Erziehungsmethoden“, überlegte sie laut.
„Hey, du hast in den letzten Tagen sogar mich erzogen, du bist echt gut. Du solltest nur ne Pause einlegen in den nächsten Jahren!“
„Ich bin Ende 30, ich will keine Kinder mehr. Im nächsten Urlaub wird Em kastriert“, sagte sie nur.
„Armer Kerl, ist aber sinnvoll“, sagte ich nachdenklich.
„Okay, genug von mir, wie wars letzte Nacht und wie geht es weiter?“, sprach sie mich auf meine Nacht mit Rafferty an.
„War sehr gut und sehr falsch. Nichts weiter, ich bin in ein paar Tagen weg und mein Leben geht weiter wie vorher!“
„Einfach so?“
„Einfach so! Ich konnte das Kapitel abschließen und kann jetzt weitermachen“, versicherte ich ihr.
„Ich wünschte, ich könnte dir das glauben. Aber für dein Seelenheil tu ich das mal. Hat’s dir hier gefallen?“, wollte sie wissen.
„Willst du mich loswerden? Ich bleibe noch etwas hier“, wunderte ich mich.
„Willst du nicht noch ein paar Tage in Florida bei deiner Familie bleiben?“
„Hab ich eigentlich nicht vor!“
„Du hast sie seit deiner Nacht im Krankenhaus nicht mehr gesehen“, sprach Priscilla das heikle Thema an.
„Ich weiß, meine Mutter wollte, dass ich gleich wieder aufs Pferd steige. Da ich keine Kinder mehr will ist das Verhältnis zwischen uns ziemlich schwierig. Die letzten Tage hier waren psychisch anstrengend genug, ich brauch nicht noch eine nervige Mutter“, entgegnete ich.
„Hast du sie zu Weihnachten wenigstens angerufen?“
„Ich hab ihnen nen Text geschrieben, wie jedes Jahr!“
„Du redest auch nicht mehr mit ihr?“
„Ich red doch mit ihr, texten ist reden!“
„Für ne 17-jährige vielleicht, du bist ne erwachsene Frau, ruf sie gefälligst an“, forderte sie streng.
„Ich nehm’s zurück, du bist nen bisschen nervig mit allem hier. Ich bin nicht dein Kind, vergiss das nicht“, raunzte ich.
„Ich bin aber deine beste Freundin und ich weiß, dass du mit ihnen reden willst“, sagte sie freundlicher.
„Nein, will ich nicht!“
„Du bist trotziger als meine 5-Jährige. Du hast doch hier so viel Erfolg gehabt mit allen, weil du dich ausgesprochen hast, das ist doch auch wichtig für deine biologische Familie“, riet sie mir. Sie hatte Recht, aber in dem Moment war ich zu stolz, um das zu zuzugeben.
„Ich überleg’s mir“, lenkte ich ein.
„Ich weiß genau, was das bei dir heißt, aber okay. Ich bin zu müde, um zu streiten. iÍch geh ins Bett“, war sie eingeschnappt und ließ mich allein dort sitzen.
 
Da ich durch meine eigene Geschichte nie eine Babyparty für Priscilla ausgerichtet hatte, trommelte ich für den letzten Tag in Memphis die Mädels zusammen und richtete eine Babyparty für Priscilla aus. Die war echt überrascht.
„Was wird das hier?“, kam sie lächelnd in den Gemeindesaal, den ich gemietet hatte.
„Ich weiß, ich bin sogar für deinen neuesten Nachwuchs viel zu spät für eine Babyparty, aber ich dachte, jetzt solltest du eine haben“, erklärte ich ihr.
„Dankeschön“, war sie gerührt.
„War schon lang überfällig, kein Problem. Ich hab einen Clown engagiert und eine Eiskönigin-Darstellerin, kann froh sein, dass das ne Nebensaison für sie ist, also hab ich das kurzfristig buchen können. Die Mädels haben alle ihre Kinder mitgebracht, ich hoffe, das ist in Ordnung!“
„Klar, ist das in Ordnung, ist das auch für dich in Ordnung?“
„Ja, ich hab ja in den letzten Tagen viel mit Kindern um mich herum erlebt, genieß es einfach. Du kannst sicher ein paar Sachen mit den anderen Mädels austauschen. Ich halt mich einfach im Hintergrund“, erklärte ich ihr.
„Du kannst jederzeit gehen, wenn dir das zu viel wird!“
„Ich nehm das Angebot vielleicht in Anspruch, mit so vielen Kindern war ich noch nie zusammen. Ich versuch’s aber“, versicherte ich.
„Das ist schön. Ich begrüß mal die anderen, ich komm später mal zu dir zurück“, erklärte sie und ging weiter.
 
Zwei Stunden später saß ich mit gefühlt allen Kindern um mich herum an einem Maltisch. Alle nannten mich Tante Bara, was mich irgendwie rührte.
„Na, Tante Bara, brauchst du nen Kaffee?“, kam Emmett zu mir.
„Oh ja, oh Leute, ich komm später mal wieder“, stand ich auf und folgte ihm. Er trug in bester Vater-Manier Jessie in der Kindertragetasche auf dem Rücken.
„Wird dir die Kleine nicht langsam zu schwer?“
„Nein, ehrlichgesagt ist das angenehmer, als sie ständig hochzunehmen und ihr scheint es auch zu gefallen. Du hast hier echt was Tolles auf die Beine gestellt in so kurzer Zeit, vor allem Nessa ist fasziniert von der Elsa-Darstellerin, dass ist ihr absoluter Lieblingscharakter“, hatte Emmett auch gute Laune.
„Ja, weiß ich, ist auch ne Wiedergutmachung für die vielen verpassten Geburtstage!“
„Willst du den Kontakt zu uns abbrechen?“, wollte er plötzlich wissen.
„Oh Gott, nein, wieso denkst du das?“
„Du scheinst dich auch von uns zu verabschieden“, sagte er traurig.
„Ihr seid meine Familie, das würde ich niemals tun“, war ich entsetzt.
„Gut zu wissen“, umarmte er mich. Jessie spielte dabei mit meinen Haaren.
„Hey, Superstar, willst du nen Bild mit meinem Sohn im Arm für dein Insta? Dann hat sich das Botox auch gelohnt“, kam Priscilla zu uns.
„Ich mach gern ein Bild mit deinem Sohn, aber nicht für Instagram, nur für mich“, nahm ich ihr das Baby ab und sie fotografierte.
„Jetzt noch eins mit der ganzen Familie“, bat ich und Abba fotografierte mich mit Priscilla und ihrer ganzen Familie.
„Schatz, du hast doch deine Drohne im Auto, können wir nicht ein Foto von der ganzen Gesellschaft machen?“, hoffte Priscilla.
„Sicher, gute Idee, ich hol sie kurz“, stimmte er zu und ging zum Wagen.
 
Zwei Wochen später sah ich dieses Bild auf dem Schreibtisch meines Büros an.
„3 Bilder? Du hast nur 3 Bilder für Insta gemacht?“, kritisierte Dakota mich, die nach einer Besprechung auf einem Stuhl mir gegenübersaß.
„Ja, waren nur drei gute dabei. Ich hab den Urlaub genossen, hast du doch sicher auch, oder?“
„Auf Bali hab ich 72 Bilder gepostet, nach der ersten Woche hatte ich schlechtsitzende Haare, also hab ich es dann gelassen“, bemerkte sie, ohne von ihrem Handy aufzusehen.
„Wow, das ganze Posen ist ja fast wie ein Full-Time-Job. Das wäre mir zu stressig!“
„Das seh ich an den Bildern. Du hast nicht mal 30 Likes bei jedem Bild!“
„Hey, ich bin immer noch deine Chefin. Ich kann echt nicht glauben, dass wir aus der gleichen Generation kommen. Ich hatte eine wunderbare Zeit, du weißt sicher nicht mal mehr, wie der Kerl hieß, den du mit ins Hotelzimmer mitgenommen hast“, erwiderte ich etwas verärgert.
„Carlos, und Niko, stimmt, der dritte ist mir entfallen“, sagte sie, ohne aufzusehen.
„Du hattest drei Kerle in zwei Wochen?“
„Ja, hatte irgendwie nicht die Energie für mehr. Du hattest ja sicher keinen, wie langweilig!“
„Ich hatte Sex, auch wenn es dich nichts angeht!“
„Wirklich? Erzähl!“
„War mein Ex!“
„Das zählt nicht!“
„Für mich zähltes, es war nämlich schön. War aber nur zum Abschied, wir sind damals vor fünf Jahren ohne Abschied auseinandergegangen, das haben wir jetzt nachgeholt. Es hat mir sehr geholfen“, erzählte ich.
„Wenn du meinst. Ich benutze meine Ex-Freunde eigentlich immer nur als Sex-Buddys, wenn ich das will. Du solltest dir nen Kerl in der Stadt suchen, ist logistisch einfacherer. Brauchst du mich heute eigentlich noch? Hab grad nen Text von einer meiner Buddys bekommen“, sah sie mich endlich an.
„Nein, kannst heimgehen. Benutz nen Kondom“, bat ich.
„Ja, Mom. Meine Sex-Buddys sind immer sauber, keine Sorge“, stand sie auf.
„Schwanger werden willst du wohl auch nicht!“
„Ach ja das, hab nen Implantat, aber danke, dass du dich um mich sorgst. Arbeite nicht zu lang, schönen Abend!“
„Ich muss noch einiges aufarbeiten, aber ich versuch’s. Viel Spaß!“
„Werde ich haben. Bis morgen“, verabschiedete sie sich und ging in den Feierabend.

Achtes Kapitel

 
Die Wochen drauf fühlte ich mich allgemein müde und mir war übel, ich schob das auf den Stress.
Als ich mich grade wiedermal in der Firmentoilette übergeben hatte, stand Dakota mit einer Dose Ginger Ale an der Tür.
„Welche Woche?“, fragte sie mich und gab mir die Dose.
„Ist nur nen Magenvirus“, erwiderte ich ertappt.
„Sicher, wenn du es nicht öffentlich machen willst, gut, aber soll ich nen Termin machen?“, wollte sie wissen.
„Ja, bitte“, bat ich leise und ging mit der Dose in der Hand zurück in die Besprechung.
 
Eine Woche später saß ich nervös bei meinem Frauenarzt. Ich war schonmal schwanger gewesen, ich kannte die Symptome, wollte sie aber nicht wahrhaben.
„Okay, wann war Ihre letzte Periode?“, fragte die Sprechstundenhilfe.
„Weiß ich ehrlichgesagt nicht, deswegen bin ich hier!“
„Oh, okay, der Doktor kann es mir nachher geschätzt sagen. Sie sind nicht gut aus, Kleines, Ginger Ale hilft gegen die Übelkeit“, riet die Hilfe mir.
„Ich besteh zum größten Teil aus Ginger Ale, meine Assistentin hat es da etwas zu gut gemeint, aber danke“, konterte ich.
„Zu viel ist auch nicht gut. Würden Sie sich über ein Baby freuen?“, fragte die Sprechstundenhilfe etwas dreist.
„Ich hab vor 5 Jahren ein Baby tot geboren, ich wollte eigentlich keine Kinder mehr“, erzählte ich dieser Fremden.
„Das ist ja furchtbar. Vielleicht ist das Ihre zweite Chance“, ermunterte sie mich.
„Ich wollte mich doch nur von ihm richtig verabschieden“, begann ich plötzlich mit Weinen.
„Das passiert öfters, als Sie denken. Ist er ein guter Mann?“
„Er ist einer der Guten!“
„Dann kriegen Sie das hin!“
„Ms Randon?“, holte mich der Arzt rein.
„Oh je, Sie sehen übel aus, da brauch ich wohl kaum fragen, ob Ihnen übel ist“, begann der Arzt.
„Nur 22 Stunden pro Tag. Ich bin vermutlich schwanger“, erklärte ich ihm.
„Schauen wir mal. Ich nehm Ihnen erstmal Blut ab, mach den Schwangerschaftstest und wenn der positiv ist, machen wir weiter“, plante er und ich setzte mich auf den Untersuchungstisch. Ich nickte stumm und lies mir Blut abnehmen.
Er verließ den Raum um ins Labor zu gehen und es kam mir wie Stunden vor, bis er zurückkam, obwohl es sicher nur ein paar Minuten gewesen war.
„Positiv“, sagte mein Arzt nur.
„Positiv wie schwanger?“
„Ja, wie schwanger. Ihre anderen Blutwerte sehen gut aus, ich werde Ihnen noch Vitamine geben und Sie müssen viel trinken. Wegen Ihrer Vorgeschichte möchte ich Sie einmal im Monat während der Schwangerschaft sehen, nur um sicher zu gehen. Ich kann Ihnen auch was gegen die Übelkeit geben, was dem Baby nicht schadet“, erklärte er.
„Bei meiner letzten Schwangerschaft war mir nie übel!“
„Sie sind jetzt auch fast sechs Jahre älter. Viel Übelkeit spricht aber für ein gesundes Baby und na ja … Mehrlingsschwangerschaft, aber das ist noch zu früh, um das zu sagen. Mrs. Linderman wird Ihnen noch ein Rezept für Vitamine und etwas gegen die Übelkeit geben, ich mach noch einen Ultraschall“, erläuterte er weiter.
„Okay“, konnte ich nur von mir geben. Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein. Ich wusste doch, dass er so potent ist, schließlich hatte er es schon einmal geschafft, mich zu schwängern. Sollte ich es ihm sagen? Er würde mit dem nächsten Flieger zu mir kommen. Sollte ich es behalten? Meine Chancen wurden jedes Jahr schmaler, ein Kind zu bekommen.
„Das sieht gut aus, Ms. Randon, wollen Sie es sehen?“, fragte der Arzt, während er mich ultraschallte. Ich hatte an die Wand gestarrt, jetzt sah ich auf den Bildschirm.
„Ich bekomme ein Baby“, realisierte ich.
„Ja, tun Sie. Also, machen Sie bitte einen Termin für in vier Wochen, ich stell Ihnen nen Rezept für Vitamine und das Mittel gegen die Übelkeit aus. Damit wird es Ihnen schnell bessergehen. Bis in vier Wochen“, verabschiedete er mich und ich zog mich wieder an.
 
Noch in der Praxis übergab ich mich erneut in einer der Toiletten. Diesmal war es eher der Schock als die Morgenübelkeit.
„Und?“, fragte Dakota, als ich später in der Bürotoilette Kotze aus meiner Escada-Jacke rieb.
„Hattest recht“, sagte ich und gab frustriert bei meiner Jacke auf.
„Du bist … ist das nicht gefährlich in deinem Alter?“, fragte Dakota und erntete einen bösen Blick von mir.
„Sorry, freuen wir uns darüber?“
„Weiß noch nicht. Bitte behalte das noch für dich, ich sag’s den Chefs, wenn ich aus dem gröbsten raus bin. Du kannst meine Jacke zu den Sachen für die Reinigung packen, die Kotze krieg ich nicht raus. Sie sollen nur vorsichtig damit sein, das ist eine meiner teuersten Jacken. Ich mach heute Home-Office den restlichen Tag, bitte bleib bis vier, falls ich von dir was brauche, dann kannst du auch heim“, sprang ich gleich in den Chefin-Modus zurück.
„Okay, Boss“, konterte sie und reichte mir eine Schachtel mit Butterkeksen.
„Danke, dass ich es dir erzählen konnte, ich kann es sonst keinem sagen“, bedankte ich mich, gab ihr die Jacke in die Hände und machte mich auf dem Weg nach Hause.
 
Da es für Januar ein recht milder Tag war, ging ich in Manhattan etwas spazieren. Frauen mit Kinderwägen kreuzten meinen Weg. Ich hatte einen Kinderwagen ausgesucht damals, hatte ihn aber abbestellt, als festgestellt wurde, dass die kleine Joey bereits tot war. In meinem Kopf nannte ich sie jetzt auch Joey und auf das einzige Bild, was ich von ihr hatte, mein letztes Ultraschallbild, hatte ich diesen Namen auch geschrieben.
Der Song “Bohemian Rhapsody“ wurde von einem Straßenmusikanten gespielt. Großzügig legte ich ihm 10 Dollar in den Gitarrenkasten. Er bedankte sich mit einem Salut, während er sang. Der glückliche Kerl erinnerte mich nur an Rafferty.
 
Die Wochen, die folgten wusste nur Dakota von meinem kleinen Geheimnis. Ich kaufte weitere Kleidung, als ich im dritten Monat nicht mehr in meine engsten Kleider passte. Als die St. Patrick Firmenparty anstand, beichtete ich meinen Vorgesetzten die Nachricht. Sie waren verständnisvoll und baten Hilfe an. Da ich eindeutig zur Sauftour durch die irischen Pubs nicht mitgehen konnte, verbrachte ich den St. Paddys Tag allein im Büro. Mein Blick fiel auf mein Bild meiner Freunde mit ihren Kindern. Ich nahm mein Festnetztelefon in die Hand und rief Priscilla an.
„Hey, Fremde, ist ne Weile her. Solltest du nicht auf der St. Paddys Feier sein?“, meldete sich Priscilla.
„Ich bin schwanger, Pri, ich bekomme Zwillinge“, gestand ich ihr.
„Ja, guter Witz, aber ernsthaft, arbeitest du wieder zu viel?“
„Ich meins ernst, Silvester war sehr produktiv für mich, wie mir scheint“, sagte ich ernst.
„Du bist schwanger mit Zwillingen? Ist das dein Ernst? Hast du das erst jetzt festgestellt?“
„Ich hab jetzt schon einen Bauch, das wäre nen bisschen spät, ich weiß es seit Januar, ich wollte nur über einiges sicher sein, bevor ich es euch sage“, erzählte ich.
„Ich komm zu dir, so schnell wie ich kann“, versicherte sie.
„Das musst du nicht, mir geht’s gut!“
„Silvester, dann ist es Davids Kind …er, wow, wie hat er es aufgenommen?“
„Er weiß es noch nicht“, murmelte ich beschämt.
„Du musst es ihm sofort sagen, du bist mit einigen Sachen durchgekommen bei ihm, das wird jeden Tag schlimmer, an dem du es ihm nicht sagst!“
„Er ist der nächste, den ich anrufe“, versicherte ich.
„Gut, kann ich es Em sagen?“
„Morgen, okay, wenn er es weiß, weiß es bald auch Abba und dann wird es nicht lang dauern, dass er es von dritten erfährt“, bat ich ernst.
„Okay, du hast bis Morgen, es ihm zu erzählen. Du willst die Kiddies doch behalten,
oder?“
„Natürlich, wenn ich soweit bin, möchte ich sie auch aufziehen. Es läuft bis jetzt alles gut, ich muss nur jeden Monat zum Arzt, wegen meiner Vorgeschichte. Die Bosse wissen es seit heute auch, er darf nur nie erfahren, dass er fast als letzter davon erfährt. Ich ruf dich heute Abend nochmal an, ich muss ihn noch anrufen, bevor mich der Mut verlässt!“
„Okay, bis heute Abend. Und Bara?“
„Ja?“
„Freust du dich?“
„Ich war erst geschockt aber jetzt wo ich nicht 22 Stunden am Tag kotzen muss, freu ich mich. Wir reden später“, verabschiedete ich mich und legte auf.
Der nächste Anruf war wesentlich schwieriger.
„Fröhlichen St. Paddy, Süße“, meldete sich Rafferty gutgelaunt. Im Hintergrund hörte ich laute Musik.
„Stör ich dich grad auf ner Feier?“
„Nein, wir feiern nur grad etwas auf der Arbeit. Was gibt’s?“
„Könntest du wohin gehen, wo es ruhiger ist?“, fragte ich ernst.
„Sicher, lass mich kurz in mein Büro gehen“, versicherte er und es wurde ruhiger.
„Setz dich bitte hin“, bat ich.
„Oh man, sag mir nicht, ich muss mich auf ne Geschlechtskrankheit untersuchen lassen“, begann er.
„Nein, musst du nicht. Ich bin schwanger, Raff“, begann ich stockend.
„Das ist … gut, für dich“, verstand er nicht.
„Es ist dein Kind, Raff, ehrlichgesagt, Kinder, es sind Zwillinge“, bemerkte ich.
„Wir hatten vor drei Monaten Sex, das ist biologisch nicht so ganz möglich!“
„Ich bin schon etwas länger schwanger, ich wollte nur erst sichergehen, dass alles gut ist, bevor ich mich melde, ich wollte dir das nicht nochmal antun. Vor allem, nach den ganzen Lügen, die ich dir aufgetischt habe“, konterte ich.
„Bist du sicher, dass es meine …?“, versuchte er zu verstehen.
„Ja, bin ich, du warst der einzige in den letzten Monaten. Ich wollte es dir nur sagen, du bist zu nichts verpflichtet“, erklärte ich ihm.
„Du bist wirklich schwanger von mir?“, wurde seine Stimme weinerlich.
„Ja, bin ich. Das hat einiges verkompliziert, denn ehrlichgesagt ändert das nichts an unserem Beziehungsstatus“, druckste ich herum.
„Das wäre auch kompliziert, ich hab seit ein paar Wochen ne Freundin“, gestand er mir.
Wirklich? Jahrelang war er Single, jetzt wo ich Zwillinge von ihm bekam, war er plötzlich gebunden?
„Oh, okay, das ist ja toll. Das macht es echt kompliziert. Soll ich mit ihr reden? Ich meine, es ist meine Schuld!“
„Ich hab dich verführt, wenn jemand die Schuld trägt, dann ich. Wir kriegen das irgendwie hin, ich sag es ihr, mach dir keine Sorgen, bemerkte er.
„Danke für dein Verständnis. Ich schick dir ein Ultraschallbild“, sagte ich etwas verdattert, dass er nicht mehr zu haben war und nach einer kurzen Unterhaltung legte ich wieder auf.
Ich weiß nicht, ob es die Hormone waren, aber ich musste weinen. Ich hatte das schon länger nicht mehr gemacht.
„Hey, Boss, sorry, ich hab meine Handtasche hier drin vergessen. Alles in Ordnung?“, störte mich Dakota und schnappte ihre Tasche.
„Nicht wirklich, aber feier schön!“
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich so alleine lasse. Ist was mit den Zwillingen?“
„Nein, denen geht’s gut. Ich hab’s dem Vater endlich gesagt“, begann ich und beruhigte mich.
„Und der Arsch hat es nicht gut aufgenommen?“
„Ehrlichgesagt schon, zu gut meiner Meinung nach. Er hat eine neue Freundin“, zischte ich durch meine Zähne.
„Tut mir leid, Süße. Du hast gehofft, wieder mit ihm zusammenzukommen, oder?“
„Nein, ja, keine Ahnung, ich bin hormongesteuert, mein Hirn spielt verrückt“, redete ich vor mich hin.
„Ich sag mal ja. Du kommst jetzt mit mir, du bist nicht so sehr schwanger, dass du nicht etwas feiern könntest. Alkoholfrei natürlich, ich verzichte auch auf Alkohol, wenn du willst“, streckte sie mir ihre Hand hin.
„Mir ist nicht nach Feiern zumute“
„Du musst mal aus diesem Raum hier rauskommen. Komm, nur ein, zwei Stunden. Ich bezahl dir auch persönlich das Taxi heim!“
„Meinetwegen, wenn nicht nur deswegen, dass die Bosse nicht denken, dass ich jetzt wegen meiner Schwangerschaft nichts mehr machen kann“, dachte ich kurz nach und stand auf.
„Genau, wow, für den dritten Monat bist du schon ganz schön rund“, realisierte sie plötzlich.
„Zwillinge!“
„Richtig. Na ja, verstecken kannst du es nicht mehr. Wir müssen morgen mal über die Gender Reveal Party reden!“
„Keine Party“, sagte ich nur.
„Keine Party? Was willst du dann instagramen?“
„Bis jetzt wissen es nur eine Handvoll Menschen, wenn das auf Instagram landet, dann verärgere ich einige Leute, vor allem die Freundin des Vaters. Also, keine Party“, sagte ich kurz.
„Das ist dein erstes Kind, da musst du was Großes machen, riet sie mir.
„Ist nicht mein erstes“, erwiderte ich nur mysteriös.
„Du hattest schon nen Kind? Warum weiß ich das nicht?“, fragte sie etwas dreist.
„Ich bin aus Tennessee weg um das zu vergessen. Ich habe vor sechs Jahren ein totes Baby geboren“, erzählte ich ihr als erster aus meiner neuen Welt von Joey.
„Oh mein Gott, das tut mir so leid. Kein Wunder, dass du bei der Schwangerschaft so vorsichtig bist. Ich lass dich damit in Ruhe“, war sie plötzlich ungewohnt mitfühlend.
„Danke!“
„Willst du trotzdem noch mit?“
„Ja, lass uns gehen!“
 
Ich blieb länger auf der Party als geplant, aber die Babys machten das gut mit. Am nächsten Morgen musste ich aber dafür bezahlen, ich war nämlich am 18. März hundemüde. Es klingelte an meiner Tür.
„Oh man, wenn du das bist Dakota, bist du gefeuert“, rief ich durch die verschlossene Tür.
„Ich bin’s“, hörte ich Raffertys Stimme. Ich riss die Tür auf. Ich trug nur ein Nachthemd und einen seidenen Morgenmantel.
„Du … du hättest nicht kommen müssen“, stammelte ich.
„Ich bin grad 15 Stunden hierhergefahren, krieg ich nen Kaffee?“, bat er nur.
„Sicher, komm rein“, versuchte ich mir klarzuwerden, dass mein Ex wirklich von meiner Haustür stand.
„Ganz schön klein, deine Wohnung“, sah er sich um.
„Sie ist riesig für New York, hab sogar ein Arbeitszimmer, ich werde das zum Kinderzimmer machen“, redete ich vor mich hin.
„Du wolltest doch keine Kinder mehr haben“, begann er.
„Tja, wollte ich auch nicht, aber ist nun Mal passiert und ich freu mich irgendwie jetzt schon drauf. Wie ich sagte, du musst da nicht mitwirken, das bekomme ich auch allein hin“, konterte ich.
„Ich bin nicht durch drei Staaten gefahren um mich da rauszuhalten. Das sind auch meine Babys und ich möchte in ihren Leben vorkommen“, entgegnete er.
„Ähm, okay, das ist schön zu hören, wird über 3 Bundesstaaten hinweg schwierig werden“, erläuterte ich.
„Komm nach Hause“, bat er nur.
„Ich bin zu Hause“, erwiderte ich etwas trotzig.
„Du willst doch sicher die Zwillinge nicht in den Straßen von New York aufziehen“, verstand er nicht.
„Hatte ich eigentlich vor, ja, ich wohn außerhalb, draußen ist nen Garten, das wird schon passen, sonst werde ich umziehen!“
„Das ist nicht dein Ernst. Du kannst nicht Karriere machen und gleichzeitig Zwillinge aufziehen“, murrte er. Er war übermüdet, ich kannte ihn schon so.
„Karriere hab ich schon gemacht und im Sommer hab ich Vorstellungsgespräche mit Nannys. Geht alles“, erklärte ich.
„Du willst unsere Kinder doch nicht von Nannys aufziehen lassen, wenn sie in Tennessee ein halbes Dutzend Tanten haben“, war er leicht verärgert.
„Du bist müde, sag jetzt lieber nichts, was du bereuen würdest. Hier, nimm meine Karte mit, bei dem Hotel drei Straßen weiter bring ich sonst Geschäftspartner unter, sag Ihnen, du kommst von mir, dann geben sie dir einen fairen Preis. Ich muss mich jetzt fertig machen für die Arbeit und ich bin echt müde von der Feier gestern. Schlaf dich aus, ich bin gegen acht Uhr zu Hause, dann kannst du zurückkommen“, plante ich.
„Du trinkst während der Schwangerschaft?“, fragte er entsetzt und ich sah ihn böse an.
„Genau solche Sachen, natürlich nicht, ich hab gestern nur etwas Networking betrieben. War ein langer Tag und ich bin schwanger, schon vergessen?“, raunzte ich.
„Das Acorn-Hotel?“, fragte er reumütig.
„Genau das, bis heute Abend“, sagte ich bestimmend und er trottete davon.
 
„Deine Haare sind ziemlich wild“, kommentierte Dakota, als ich ins Büro kam.
„Danke für das Kompliment“, murrte ich, während ich Termine auf meinem Handy sortierte.
„Sorry, wollte es dir nur sagen. Schlechte Laune?“
„Mein Ex stand heute Morgen vor meiner Tür“, erzählte ich kurz.
„Der Baby-Daddy Ex?“
„Jup!“
„Ist irgendwie romantisch!“
„Wäre es, wenn er meine Wünsche respektieren würde. Er will mich zurück nach Tennessee holen“, erklärte ich.
„Oh, okay, gehst du mit ihm?“
„Nope“, sah ich sie an.
„Das ist jetzt weniger romantisch. Auf welcher falschen Seite des Kuhstalls ist der denn aufgewacht“, schimpfte sie.
„Dir ist schon klar, dass Memphis ne Großstadt ist, oder? Ich bin nicht in einem Stall bei den Kühen geboren“, konterte ich.
„Das was er macht ist aber so 20. Jahrhundert!“
„Ich schieb es mal auf seine Müdigkeit, er ist in 15 Stunden über Nacht hierhergefahren. Ich hab ihn in einem Hotel untergebracht, wir reden heute Abend“, erzählte ich und setzte mich an meinen Schreibtisch.
„Soll ich dabei sein?“
„Ähm, nein, was warum solltest du das? Willst du Steno mitschreiben?“, wunderte ich mich.
„Ich dachte, als Freundin, wir sind doch Freundinnen, oder?“
„Ja, sind wir. Aber ich muss da allein durch, danke. Haben sich Shannah von Motown schon gemeldet?“
„Nein, aber die wird schon anrufen“, begann sie zu arbeiten.
 
Ein bisschen später als ich geplant hatte, kam ich nach Hause. Raff saß auf dem Boden neben meiner Tür.
„Sorry, mein Abendmeeting ging etwas länger. Komm rein“, ging ich an ihm vorbei und ließ ihn rein.
„Du arbeitest echt lange!“
„Ja, passiert, wenn man der Boss ist. Du frierst sicher, ich mach uns mal nen Tee“, erwiderte ich und huschte in meine Küche. Er folgte mir.
„Du stresst dich zu sehr!“
„Ich weiß, was ich mache. Ich passe sehr gut auf, kannst du dir vielleicht denken. Ich bin noch nicht so schwanger, auch wenn ich so aussehe“, ließ ich mich müde auf einen Barhocker in meiner Küche fallen.
„Ja, aber das ist bei Zwillingen normal, war bei Edvia ja auch so. Sie lässt übrigens Grüße ausrichten. Ich hab’s ihr erzählt, ich hoffe, das war in Ordnung. Ich musste es jemandem erzählen. Priscilla hat mir übrigens deine Adresse gegeben. Ich war erstmal echt stinkig auf dich, aber die Fahrt durchs halbe Land hat mich beruhigt. Du wolltest meine Hoffnung nicht wieder enttäuschen, wenn es nicht klappt, vor allem bei Zwillingschwangerschaften ist die Überlebensrate am Anfang der Schwangerschaft nicht hoch. Ja, das kommt auch teilweise von Edvia, sie hat das ja auch durchgemacht. Ich danke dir, dass du den Kindern eine Chance gibst, auch wenn du keine Kinder mehr wolltest. Du hättest sie abtreiben können und hättest nicht mal mein Einverständnis gebraucht“, bedankte er sich bei mir.
„Ich hätte dir das niemals angetan. Ich hätte das allgemein nicht getan, ich dachte, du würdest mich kennen“, sagte ich sanft.
„Ich dachte, ich kenne dich, aber du hast dich in den letzten Jahren sehr verändert. Deine komischen Freundinnen hätten dich ja überreden können!“
„Meine Freundinnen sind nicht meine wahren Freunde. Ich würde ihnen vielleicht mit der Meinung trauen, was zu Pastell gut passt, aber nicht solche wichtigen Fragen. Konntest du etwas schlafen?“
„Ja, danke für das Hotelzimmer. Wie soll das hier weitergehen? Soll ich ein „Jedes-Dritte-Wochenende und „Jeden-zweiten-Urlaubsvater werden, oder wie?“, kam er aufs Thema zurück.
„Darüber hab ich mir jetzt noch keine Gedanken gemacht. Es läuft aber darauf heraus. Was sagt denn deine Freundin dazu?“
„Sie hat nen kleines Kind, sie versteht das!“
„Du datest eine Mutter?“, klang ich verärgerter, als ich wollte.
„Ja, darf ich doch, oder? Es ist Abba“, gestand er mir.
„Das kannst du nicht tun“, platzte es aus mir heraus.
„Weil sie schwarz ist? Bist du so rassistisch?“
„Was? Nein, wie kommst du denn auf den Blödsinn. Sie ist nur die Ex deines Bandbruders!“
„Ex-Freundin des Ex-Bandbruders und der Idiot meldet sich ja nicht mehr bei ihr und bei mir!“
„Deshalb schläfst du hinter seinem Rücken mit ihr? Ist das nicht kindisch?“
„Ich mach das nicht wegen ihm, wir mögen uns und es ist auch noch ganz frisch. Du wollest mich nicht mehr, sollte ich für immer allein bleiben?“
„Nein, natürlich nicht. Also gut, wenn es schon jemand ist, den ich kenne, ist Abba ne gute Wahl. Weiß sie das mit den Zwillingen?“
„Ja, weiß sie. Sie ist nicht begeistert, hat mich aber gebeten, dass irgendwie zu regeln“, erläuterte er.
„Das regeln? Das klingt nach 5000 Dollar in Scheinen und einem Busticket ins Ausland, wo ich die Kinder heimlich kriegen kann“, war ich etwas beleidigt davon.
„Scheint, du kennst mich auch nicht so gut. Ich bin nur hier um zu reden, finanziell stehst du glaub ich besser da, als ich, auch wenn ich selbst einigermaßen gut verdiene. Das ist auch gut so, ich muss ja jetzt Unterhalt für zwei Kinder zahlen“, wirkte er so kühl.
„Wie ich sagte, ich brauch dich nicht, um diese Kinder aufzuziehen“, raunzte ich.
„Und ich sagte, ich werde mit allem helfen. Auch wenn du es versuchst, du wirst mich nie wieder los!“
„Das klingt wie ne Drohung!“
„Was ist mit dir los? Willst du mich loswerden?“, wurde er wütend.
„Nein, du bist extra für mich hunderte von Meilen gefahren. Das ist echt romantisch“, rief ich fast und er wurde still.
„Ähm, ich sollte zurück ins Hotel. Weißt du, was die Babys werden?“
„Ich hab morgen einen Termin zum Ultraschall um das zu bestimmen!“
„Ah, kann ich mitkommen?“
„Sicher, wenn du willst. Der Termin ist aber schon morgen um sieben!“
„Schick mir die Adresse, ich werde da sein!“
„Schön. Ich brauch jetzt Ruhe“, bat ich ihn zu gehen.
„Darf ich deinen Bauch berühren?“, hoffte er.
„Die bewegen sich aber noch nicht so extrem!“
„Ich weiß, darf ich trotzdem!“
Ich öffnete meine Jackett-Jacke und er legte seine starke Hand auf meinen Bauch.
„Danke“, bedankte er sich nur und ließ mich dort allein in meiner Küche sitzen.
 
Ein bisschen überfordert mit der Situation rief ich Priscilla an.
„Tut mir leid“, begrüßte sie mich gleich am Telefon.
„Ne kleine Vorwarnung wäre nett gewesen, aber ich hab dich damit ja auch überfallen. Er war grad bei mir!“
„Und, war er sauer?“
„Keine Ahnung, was das war …“, begann ich ihr alles zu erzählen.
„Er ist mit Abba zusammen? Was für nen Wichser“, kommentierte sie.
„Wir sind nicht zusammen, er kann machen, was er will, Abba ist eine gute Frau, schön, dass er jemanden hat!“
„Den Bullshit glaubst du doch nicht mal selbst. Du bist stinksauer!“
„Nein, bin ich nicht. Ich wollte einen Schnitt, jetzt hab ich den Schnitt. Dass er mich aber fast an den Haaren zurück nach Memphis schleppen wollte war nen bisschen arschig. Wenn ich dort sein wollte, wäre ich dort!“
„Er will in der Nähe seiner Kinder sein, versteh ich irgendwie. Er muss aber auch deinen Wunsch respektieren. Und was macht ihr jetzt? Gemeinsames Sorgerecht?“
„Ich bin grad mal nen drittel durch meine Schwangerschaft durch, das werden wir noch abklären. Ich hab morgen nen Ultraschall und er will dabei sein!“
„Ist doch schön, ich hoffe, du lässt ihn!“
„Sicher, sind auch seine Kinder!“
„Wird aber für dich komisch sein, oder?“
„Angenehm wird’s nicht, aber wenn er das möchte!“
„Du willst wieder mit ihm zusammen sein, oder?“
„Nein, will ich nicht!“
„Du solltest aufhören mich anzulügen, das ist echt beleidigend!“
„Ich lüg nicht!“
„Okay, dann lügst du nur dich selbst an. Wie lange will er bleiben?“
„Keine Ahnung, er hat drei Geschäfte, vermutlich nicht so lange. Ich belüg mich nicht selbst, ich bin okay!“
„Wenn du meinst. Ich muss jetzt Abendessen für meine Rasselbande machen, kannst mir ja noch texten, wenn du willst“, verabschiedete sie sich. Ich sagte auch kurz Auf Wiedersehen und legte wieder auf.

 
Ich ging ins Badezimmer und betrachtete mich nackt im Spiegel. Ich hatte in den letzten Monaten meinen Babybauch zwar langsam wachsen sehen, aber das war das erste Mal, dass ich ihn richtig ansah.
„Oh, meine Süßen, in was hab ich euch da reingebracht. Eure Mommy liebt euch, ich hoffe, das wisst ihr. Es ist alles nicht so einfach, aber euer Daddy ist ein toller Mann, er wird ein wunderbarer Vater für euch sein. Ich weiß, es hätte anders sein sollen, ihr solltet eine wunderschöne große Schwester haben und ein anderes Leben führen, aber so ist das Leben momentan nicht. Wir drei werden eine Einheit sein, das verspreche ich euch“, sprach ich mit meinen ungeborenen Kindern und sah dann meine Haare an. Ich erinnerte mich an meine rebellischen Zeiten, wo ich raspelkurze Haare trug und das cool fand. Diese Frau war aus meinem Gesicht verschwunden, wortwörtlich, durch meine Nasen-OP und das Botox sah ich wirklich anders aus als früher. Ich machte eine Maske in meine wilden Haare und wusch sie. Ich glättete meine Haare sonst immer morgens, aber in den Tagen zuvor hatte ich es nicht gemacht. In Memphis war alles einfacher, ich war eigentlich keine Tussi, ich war ein Rock-Chick, war ich schon immer gewesen. Mein Handgelenk zierte das Band-Logo von More Beat, ich trug meistens einen langen Ärmel, oder ein dickeres Armband bei der Arbeit, auch wenn beim Rolling Stone Tattoos in Ordnung waren. Ich zog das Armband aus, was ich trug und fuhr mit einem Finger über das Logo. Das waren wilde Zeiten, ich vermisste sie einerseits, andererseits wäre es irgendwie traurig, wenn ich immer noch ein Groupie wäre. Ich dachte an Efran. Durch die ganze Sache mit Rafferty hatte ich nie um meinen Freund getrauert. Er war irgendwie die Seele der Band gewesen, er hätte sicher dafür gesorgt, dass Rafferty weitersang. Mir war nach weinen zumute, aber ich riss mich zusammen.
Nach dem Duschen rahmte ich ein paar Bilder von Emmett. Ich wollte meine Vergangenheit nicht mehr verstecken, ich wollte sie aufhängen.

Neuntes Kapitel

 
Am Tag des Ultraschalls war mir wieder übel. Ich hatte so gehofft, dass das aufhören würde.
„Du siehst nicht gut aus“, realisierte Rafferty, als wir zusammen in der U-Bahn saßen.
„Morgenübelkeit, dachte eigentlich, das wäre vorbei!“
„Du Arme. Ich hab gehört, dass zeigt, dass es den Babys gut geht!“
„Ja, ich weiß. Ich hoffe, das stimmt, so viel gekotzt wie in dieser Schwangerschaft hab ich noch nie“, bemerkte ich. Er stand neben mir, während ich an einem Platz saß. Zu meiner Überraschung streckte er seine Hand hin und ich hielt sie fest.
 
„Miss Randon, willkommen, heute ist der große Tag, was? Der Vater ist heute dabei, Willkommen, Daddy“, begrüßte der Arzt uns beide.
„Danke“, erwiderte Rafferty und setzte sich auf einen Stuhl.
„Ich verstehe. Dann fangen wir gleich an. Wie geht’s ihnen im Moment?“
„Grade ist mir übel, sonst war das eigentlich weg!“
„Wenn Sie im Stress sind, kann das mal passieren, beobachten sie das mal. Wie geht’s mit der Müdigkeit?“
„Ist auch besser. Können wir dann anfangen, ich muss ins Büro“, bat ich.
„Sicher, dann fangen wir an. Was wünschen Sie sich denn?“, fragte der Arzt freundlich.
„Hauptsache gesund“, sagte ich nur und Rafferty stimmte mir zu.
„Ja, mit Ihrer Vorgeschichte versteh ich das. Wir werden heute mit der angenehmeren Ultraschallmethode anfangen, die Kids sind ja inzwischen groß genug. Legen Sie sich auf den Untersuchungstisch und machen ihren Bauch frei“, bat der Arzt und ich legte mich hin.
„Ich werde etwas Ultraschall-Gel auftragen, aber das kennen Sie ja schon“, bemerkte er. Das Gel war kalt, ich hatte es nicht so kalt in Erinnerung.
„Wird gleich wärmer. Okay, ich werde etwas schauen und Ihnen dann alles erklären. Daddy, wollen Sie nicht etwas näherkommen?“, fragte der Arzt und Rafferty rutschte näher an mich heran. Ich konnte kaum auf den Bildschirm sehen.
„Okay, sieht wie ich das sehe gut aus. Hier sehen wir Baby Nr. 1, bei dem kann man genau sehen, was es wird, beim anderen muss ich noch etwas weiterschauen. Sie entwickeln sich aber bei genau, wie sie es sollten. Okay, bei Baby 2 weiß ich es jetzt auch. Wollen Sie es jetzt wissen?“, untersuchte der Arzt mich. Ich sah zu Rafferty, der nickte.
„Wir haben eins von beiden, einen Jungen und ein Mädchen“, erklärte er uns.
„Sie sind zweieiig?“
„Ja, sind sie, der Junge ist nen bisschen größer, aber das sind die Jungs meistens, das Mädchen wird das noch aufholen. Alles in Allem bin ich sehr zufrieden. Wenn Ihre Übelkeit nicht besser wird, nehmen Sie noch eine der Tabletten, aber Sie sollten sie nicht mehr häufig brauchen. Sie sehen heute echt nicht gut aus, Ihr Ehemann sollte Sie nach Hause bringen und Sie bleiben heute mal auf dem Sofa“, riet er mir.
„Das mach ich“, versicherte Rafferty dem Arzt und der entließ uns.
„Ich muss ins Büro!“
„Nein, musst du nicht, du machst heute Home-Office. Ich kümmere mich um dich“, entgegnete er.
„Du musst doch sicher zurück!“
„Ich fahr morgen früh, ich bin der Boss, ich kann zurück, wann ich will. Du hast sicher noch nichts gegessen, willst du was essen gehen?“
„Ich will ehrlichgesagt nur nach Hause“, bat ich.
„Okay, dann machen wir das. Wow, wir kriegen ein Mädchen und einen Jungen, dass die das so früh sagen können, ist echt verblüffend“, redete er vor sich hin.
„Ja, echt verrückt. Ich bin irgendwie nicht vorbereitet auf einen Jungen, auch wenn die Chance 50/50 stand. Nicht, dass ich auf nen Mädchen vorbereitet wäre. Das wird jetzt echt real“, bekam ich etwas Panik.
„Vielleicht weiß deine Mutter Rat!“
„Meine Mutter ist nicht grad die beste Mutter gewesen und sie weiß noch nichts davon. Die, die wichtig sind wissen es!“
„Du musst es deiner Mutter sagen!“
„Ich muss gar nichts“, murrte ich.
„Sie wird die einzige Granny sein, willst du dir das verwehren?“
„Ich will ihr gar nichts verwehren, aber sie wäre nicht mehr loszuwerden und ich will nicht, dass sich diese Schwangerschaft nur um sie dreht“, erklärte ich ihm.
„Okay, ich verstehe, ist deine Sache. Deine Schwester hat ein Kind, ihr kannst du es ja sagen!“
„Ich würde sie gern so viel fragen, aber sie würde es gleich meiner Mutter sagen und dann hätte ich das gleiche Problem“, bemerkte ich.
„Dann frag wenigstens die Mädels nach Rat, du bist damit nicht alleine, das weißt du doch!“
„Werde ich, ich kann nur keinen Rat von jemandem einholen, der nichts von meiner Schwangerschaft weiß“, bemerkte ich.
„Du kannst das nicht lang für dich behalten, das solltest du auch nicht. Du hast sogar ne Freundin mit Zwillingen, sie kann dir mit Rat und Tat zur Seite stehen“, erwiderte er.
„Ich hab zu lang gewartet, um es zu erzählen“, überwältigten mich plötzlich meine Gefühle und ich weinte.
„Hey, du bist die Mutter, du machst die Regeln. Ich hab ne Idee, aber das ist dann wirklich offiziell“, schlug er vor.
„An was denkst du?“, schniefte ich.
„Bei dir zu Hause erklär ich’s dir“, konterte er und wir fuhren heim.
 
„Das ist schon nen bisschen unprofessionell, aber mein Account ist nicht mit meinem Namen und meine Business-Freunde sind nicht drauf. Wir können es so machen, meine Mutter hat kein Facebook, aber meine Schwester, sie wird es durch sie erfahren, aber du hast Recht, es wird Zeit“, entgegnete ich, als wir vor meinem Laptop saßen. Wir wollten es offiziell auf Facebook posten.
„Wir sollten aber ziemlich ehrlich damit umgehen, erklären, warum du solange gewartet hast, dass wir zusammen diese Kinder aufziehen, aber nicht mehr zusammen sind, die ganze Geschichte. Ob du das Geschlecht der Kinder preisgeben willst, überlasse ich dir!“
„Das klingt ehrlichgesagt ziemlich erwachsen, hilfst du mir, was zu verfassen?“, hoffte ich.
„Ja, machen wir es zusammen!“
Der Post ging raus. Wir saßen einfach nervös nebeneinander auf dem Sofa und starrten auf den Bildschirm. Ein paar Likes von meinen Schulfreunden gingen ein, dann folgte der erste Like von Priscilla, die wusste es ja schon. Mein Telefon klingelte. Es war meine Schwester.
„Hey, Daphne“, begrüßte ich sie.
„Du bist schwanger mit Zwillingen? Warum wissen wir das nicht?“, motzte Daphne, als ich abnahm.
„Du hast es gelesen, oder?“
„Überflogen!“
„Dann lies es nochmal in Ruhe und ruf mich nochmal an!“, bat ich und legte wieder auf.
Ein paar Minuten vergingen.
„Tut mir leid“, meldete sie sich wesentlich netter.
„Schon besser. Mom weiß es noch nicht, hilfst du mir, es ihr zu sagen? Ich möchte nicht, dass sie mich jetzt damit überfällt, nach dem Tod meines Babys hat sie die Schuld mir gegeben, dabei war der ganze Stress durch sie auch nicht grad förderlich gewesen. Wie auch immer, keiner von uns war wirklich schuld. Ich kann nur grad keinen Stress gebrauchen, ich bin jetzt auch noch fünf Jahre älter und trage auch noch Zwillinge aus. Es wäre echt lieb, wenn du ihr das klarmachen könntest“, erklärte ich ihr.
„Werde es versuchen, kann aber nichts versprechen. Ich gratuliere dir zumindest, Barbra, ich hoffe, du kommst uns in Miami mal besuchen, Alex würde sich sicher freuen, ihre Cousins kennenzulernen“, erklärte sie.
„Ich komm mal zu euch, aber erst, wenn die Kinder dann etwas größer sind. Danke, für deine Hilfe“, bedankte ich mich.
„Hey, du bist meine große Schwester, natürlich helf ich dir. Sag Rafferty nen Gruß und nen Glückwunsch, dir natürlich auch. Ich muss jetzt los, Alex braucht mich“, versicherte sie und legte wieder auf.
„Ich hoffe, das reicht, um meine Mutter zu bändigen“, hoffte ich.
„Barbra?“, fragte Rafferty, der dem Anruf gelauscht hatte.
„Hey, du bist nicht der einzige der mit seinem Taufnamen nicht glücklich ist. Ich hab ihn ändern lassen, als ich 18 wurde, aber meine Familie vergisst das manchmal“, murmelte ich.
„Wow, ich wollte dich heiraten, welchen Namen hätte ich da sagen müssen?“
„Barbra, vermutlich, hatte ich damals gar nicht nachgedacht. Wenn wir kirchlich heiraten hätten wollen, hätte ich das wohl gestehen müssen, aber das wollten wir ja nicht“, konterte ich.
„Der Name ist nicht mehr deiner, oder? Ich versteh es, Rafferty ist ja nicht mehr meiner. Rafferty war ein kettenrauchender Säufer, der will ich nicht mehr sein“, erwiderte er.
„Für mich wirst du immer Raff sein, er ist derjenige, in den ich mich verliebt habe“, bemerkte ich und sah ihn an.
„Du vermisst den kettenrauchenden Säufer?“, fragte er verwundert.
„Nein, ich vermisse ihn als Person. Den loyalen Freund, Bruder und Onkel, den wunderbaren Sänger, den Typen, der mich wieder an die Liebe glauben ließ“, erklärte ich.
„Ich wäre vermutlich nicht mehr am Leben, wenn ich dieser Kerl geblieben wäre, zumindest körperlich. Der alte Raff wäre vermutlich lieber in Cabo in einer Strandbar versackt als eine ganze Nacht zu dir zu fahren!“
„Du gibst deinem Alten Ich nicht das richtige Bild, ich wäre nicht bei dir geblieben, wenn du so gewesen wärst. Ich liebe es, dass du jetzt Trocken und Nichtraucher bist, aber mich hat schon geschockt, dass du nicht mehr singst. Ich mein ja nicht, dass du das professionell weitermachen solltest, obwohl du das könntest, aber einen Auftritt hier und da für deine Stimmung. Du hast es doch immer geliebt zu singen“, entschied ich.
„Ich hab dich geliebt, ich habe unsere Tochter geliebt, als ihr beiden weg ward, ging die Leidenschaft mit euch“, erzählte er.
„Das ist so traurig, das wollte ich nicht!“
„Ist nicht deine Schuld, du hattest etwas zu tun, um weiterleben zu können, da wollte ich dich nicht aufhalten!“
„Ich bin gegangen, um dir ein neues Leben zu ermöglichen und du hast mich gehenlassen. Wir sind solche Idioten“, entschied ich.
„Sind wir wohl. Jetzt ist es vermutlich zu spät für uns“, erwiderte er.
„Solang du mit einer meiner besten Freundinnen zusammenbist auf jeden Fall!“
„Fuck, ich hab ihr nicht gesagt, was wir vorhaben“, realisierte er plötzlich und ging eilig in die Küche, um zu telefonieren.
 
Er blieb den ganzen Tag bei mir. Alles war etwas verfahren, er hatte eine neue Freundin und ich wollte in New York bleiben, wir kamen in unseren Gesprächen auf keinen guten Nenner. Am Abend fuhr er zurück ins Hotel und fuhr am nächsten Morgen wieder heim.

Zehntes Kapitel

 
„Morgen, geht’s dir besser?“, wollte Dakota wissen, als ich zurück ins Büro kam.
„Ja, danke. Den Tag gestern hab ich gebraucht, um was zu klären“, bedankte ich mich.
„Ich hab’s gesehen“, sagte sie nur.
„Du hast meinen Facebook-Account gesehen?“
„Du hast mir damals Kontrolle über deine Sozial-Konten gegeben. Es war ein schöner Text, keine Sorge, ich hab es nur gelesen, nichts weitergegeben. Jetzt ist es also ganz offiziell!“, erklärte sie mir.
 
„Wow, das hab ich gemacht? Ich war ziemlich daneben damals. Sei mir nicht böse, aber dort werde ich ein neues Passwort anlegen, das ist mein Privat-Account und das sollte er auch bleiben!“
„Sicher, hab dich schon drauf hinweisen wollen. Ihr wollt also die Kinder zusammen erziehen?“
„Ja, aber wir sind noch etwas unsicher bei den Details. Okay, anderes Thema, was war gestern?“, bat ich sie und sie wechselte auf die professionelle Ebene.
 
Die Wochen danach führte ich viele Chats und Telefonate mit meinen Freunden aus Memphis und auch mit meiner Mutter. Es brauchte viel Verhandlungsgeschick, aber ich brachte sie dazu, mir nur auf Wunsch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Morgenübelkeit verschwand endlich ganz und ich konnte meine Schwangerschaft endlich genießen. Im Frühsommer war schon sichtlich schwanger. Ich trug nur noch flache Schuhe, sonst konnte ich den Tag nicht mehr durchhalten.
 
„Boss, MAD ist hier“, kündigte Dakota einen Künstler an, den ich interviewte. Ich stand von meinem Sofa auf, auf dem ich etwas gedöst hatte.
„Oh, okay, der hat ja gebraucht. Sag ihm, ich komm in fünf Minuten“, sah ich in den Spiegel. Ich sah müde aus, richtig zu liegen während dem Schlafen fiel mir langsam schwer.
 
„So, danke fürs Warten, Mr. MAD, ich bin Bara Randon, danke, dass Sie den langen Weg auf sich genommen haben …“, ging ich in den Besprechungsraum. Ich stoppte zu reden, als ich realisierte, wer dieser mysteriöse Rapper war, der die Charts stürmte, aber immer mit Maske auftrat.
„Madison?“, fragte ich erstaunt.
„Bara?“, war er genauso überrascht mich zu sehen, wie ich ihn.
 „Wusste ja, dass du im Big Apple im Musik-Business arbeitest, aber hab irgendwie nicht die Verbindung gesehen. Du interviewst mich jetzt also?“, ergänzte er.
„Ja, sieht so aus. Ich werde nur bei den großen Stars geholt, nimm mir das nicht übel, aber hab nicht gedacht, dass du da auch mal dazugehörst“, erwiderte ich.
„Wir beiden, Süße, wir beiden. Ich hab die erste Zeit so bereut, Abs alleingelassen zu haben mit dem Baby, aber es hat sich gelohnt. Wie findest du meine Musik?“, fragte er und nahm Platz. Ich setzte mich auch hin.
„Du kennst mich, Hip Hopp ist nicht mein Lieblings-Genre, aber du hast echt Talent, wie ich das sehe. Erzähl mir was von deinem kommenden Album“, begann ich professionell mit ihm umzugehen wie mit jedem anderen.
Zum Ende des Interviews wurde es wieder persönlicher.
„Ich hab deinen Facebook-Post gesehen, ich finde es toll, was du mit David machst, das ist so erwachsen, ich wünschte, ich könnte mit Abba so erwachsen kommunizieren“, erwiderte er.
„Na ja, sie wird ja jetzt von meinem Ex gut umsorgt, da kannst du dich ja um deine Karriere kümmern“, bemerkte ich, während ich mir noch Notizen machte.
„Was? Wiederhol das!“
„David und Abba schlafen miteinander, schon nen paar Monate, hat sie dir das nicht gesagt?“
„Wir reden eigentlich nicht so sehr miteinander. Bist du sicher?“
„Er hat es mir selbst gesagt, komisch, dass sie dich nicht informiert haben, aber wenn du nicht mit ihr redest, schienen es ihnen wohl nicht wichtig genug zu sein“, redete ich vor mich hin und sah auf. Ihm war der Schock deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Hey, du hast nicht grade den besten Abgang aus Memphis gemacht, kenn das Gefühl, hab es ja genauso gemacht. Die Karriere bringt solche Sachen halt mit sich. Meine Fragen hab ich beendet, danke fürs Interview“, stand ich auf. Die Kinder drückten auf meine Blase.
„Du findest es gut, dass der Vater deiner Kinder mit der Mutter meines Kindes vögelt?“, fragte er.
„Hölle nein, aber die beiden sind erwachsen, die können machen, was sie wollen!“
„Das können die nicht machen“, war er entsetzt.
„Wie ich sagte, sie können und sie haben. Dein Artikel erscheint in der August-Ausgabe, ich schick dir vorab den Artikel, du musst dich dann innerhalb von zwei Wochen melden, sonst drucken wir es so“, sagte ich professionell.
„Ja, ja, der Artikel passt schon so. Wir müssen aber was gegen diese Beziehung unternehmen“, bat er mich.
„Du hast sie verlassen, sie kann nicht ihr ganzes Leben als Nonne leben und ich hab ihn abgewiesen, er muss auch glücklich werden. Wir haben sie beide verlassen, das war unser Fehler, aber nicht ihr Problem. Wenn du mich jetzt entschuldigst, meine Kinder tanzen auf meiner Blase herum“, bat ich und lies ihn dort stehen.
 
Als ich von der Toilette in die Halle zurückkam, stand er dort.
„Wir sollten es ihnen heimzahlen“, sprach er mich wieder an.
„Sie machen nichts verbotenes, Mad, ich bin extra für dich geblieben und will jetzt nach Hause“, war ich etwas genervt.
„Ich muss sie anrufen, das geht doch nicht“, brabbelte er vor sich hin und ging zum Ausgang.
„Alles klar bei dir, Boss?“, fragte Dakota, die an mir vorbeiging, als ich kopfschüttelnd Madison zusah. Er ließ den großen Gangster raushängen, war aber immer noch der junge Gitarrist, den ich damals kennengelernt hatte.
„Ähm ja, alles klar. Kannst du meine Notizen noch abtippen?“, bat ich sie.
„Sicher, Boss. Gehst du heim?“
„Ja, die Zwillinge sind echt aktiv. Du kannst danach auch heim, den Artikel mach ich morgen fertig“, erwiderte ich.
„Okay, schönen Abend!“
„Dir auch!“
 
Ich war fast im siebten Monat, als ich wie jeden Monat brav zum Frauenarzt ging. Im Wartezimmer, in das ich etwas spät kam, saß schon Rafferty.
„Hey, bist spät dran“, begrüßte er mich freundlich.
„Ja, sorry, mein Boss hört sich gern selbst reden. Ohne mich läuft ja hier nichts. Schön, dass du nochmal kommen konntest“, bedankte ich mich und er übergab mir den Sitzplatz.
„Kaum zu glauben, dass du noch drei Monate hast“, schmunzelte er, als er meinen mächtigen Babybauch sah.
„Danke, das kann ich grad echt gebrauchen“, murmelte ich und setzte mich schwerfällig hin.
„Sorry, ich seh dich nur alle paar Monate mal, da fällt es einem halt auf. Du siehst wunderschön aus“, machte er mir ein Kompliment.
„Danke, aber tu ich nicht. Wie war deine Nacht im Hotel?“
„Das Hotel ist wirklich nett, kann man echt empfehlen. Du musst aber nicht immer zahlen, ich hab auch Geld, weißt du?“
„Dann zahl ruhig. Schön, dass du übers Wochenende bleiben kannst, wir müssen was besprechen“, bat ich.
„Bitte, New York ist ja auch ne nette Stadt!“
„Kann ich dich tatsächlich für New York begeistern?“, schmunzelte ich.
„Nichts geht über Memphis, aber hier geht auch einiges. Hab gehört der Künstler MAD ist in der Stadt, Abba schwärmt ein bisschen für ihn, wäre cool, wenn ich ein Autogramm für sie kriegen könnte. Kennst du ihn persönlich?“
Ich hustete. Er wusste es nicht.
„Warte ich geb dir Wasser“, holte er mir einen Becher Wasser aus dem Wasserspender.
„Danke. Ich hab ihn letzte Nacht interviewt ehrlichgesagt“, erklärte ich und trank den Becher aus.
„Wirklich? Du hast echt nen coolen Job. Denkst du, du könntest mir das Autogramm besorgen?“
„Ich hab seine E-Mail-Adresse, kann mal schauen, ob er mir eins schickt“, plante ich.
„Das wäre echt klasse, sie steht da echt drauf“, bemerkte er.
„Ich muss kurz mal wohin, sag der Sprechstundenhilfe, ich komm sofort“, schnappte ich mein Handy und ging nach draußen.
>Willst du deine Revenge noch? < schrieb ich Madison.
>Neues Telefon, wer da? <
>Bara, weißt du schon nicht mehr, was gestern war? <
>Say, sorry, kannte die Nummer nicht. Ich höre… < entschuldigte er sich und ich heckte mit ihm einen Plan aus.
 
„Bist du sicher, dass du nicht mitgehen willst?“, fragte Rafferty mich. Er fuhr allein zu einer Autogrammstunde von MAD.
„Nein, ich bin echt müde, aber du kannst mir ja auch eins mitbringen, wäre cool auch eins zu haben. Viel Spaß“, sagte ich gespielt erfreut. Ich war selbst erschreckt von mir, wie gut ich lügen konnte.
„Ich versuch’s, ruh dich aus“, bat er mich und ging aus meiner Wohnung.
Diesen Hinterhalt sollte ich bereuen, da war ich sicher.
 
Es war fast Mitternacht, als es an meiner Tür klopfte. Er hatte mich geweckt, aber das hatte ich verdient.
„Hab ich dich geweckt?“, fragte er sanft, als ich ihm öffnete. Er wirkte so sanft und zufrieden.
„Es ist Mitternacht, schon, ja. Was gibt’s?“
„Du hältst dich für sehr witzig, oder?“, fragte er nur.
„Ich versteh nicht!“
„MAD ist Madison“, sagte er nur.
„Was? Wirklich?“
„Ach komm schon, du hast ihn interviewt!“
„Er wollte ne Revenge, ich weiß, es war so kindisch. Alles klar?“, fragte ich sanft.
„Wir sind was trinken gegangen nach seiner Autogrammstunde. Alkoholfrei für mich natürlich“, bemerkte er. Ich konnte aus seiner Mimik nicht erkennen, ob er sauer war, oder nicht, es war seltsam.
„Okay, habt ihr euch ausgesprochen?“, fragte ich vorsichtig.
Er winkte mich mit einem Finger aus der Tür. Ich trat in meinem Nachthemd in den Flur. Dort saß Madison volltrunken auf dem Boden meines Flurs und grinste mich nur an.
„Was soll das werden?“
„Ihr wolltet eure Revenge, dann kannst du dich auch um ihn kümmern. Ich bring ihn noch rein, der Rest ist deine Sache“, bemerkte er und zog ihn auf mein Sofa.
„Ich hab vergessen, wie gut du mit Comebacks bist. Gut gespielt!“
„Danke, Schlaf gut“, war er so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Ich deckte den eingedösten Madison zu und stellte ihm einen Eimer hin.
 
Ich schlüpfte in meine Ballerina-Schuhe und sah mich im Spiegel an. Rafferty hatte Recht, ich sah so schwanger aus, dass es fast nicht mehr echt aussah. Das Kleid im Empire-Stil half etwas. Als ich am Sofa vorbeikam, hörte ich ein Stöhnen.
„Morgen, 50 Cent, du lebst ja noch“, begrüßte ich Madison.
„Wo bin ich?“, hörte ich seine versoffene Stimme.
„In meinem Wohnzimmer, das ist gestern nicht so gelaufen, wie gedacht. Raff hat dich gestern hier abgeladen“, erklärte ich ihm und gab ihm eine Flasche Wasser.
„Ich will ja nichts ausplaudern, aber er ist nicht mit ihr zusammen“, erkannte er und setzte sich erschöpft auf. Sein Haarnetz war verrutscht und er zog es ab. Sein wuscheliger Afro stand in alle Richtungen.
„Wenn dich diese Lüge beruhigt, meinetwegen“, setzte ich mich auf den Sessel neben ihn.
„Nein, ich sag dir, die beiden sind kein Paar“, wiederholte er das gesagte nur.
„Hat er dir das gesagt?“
„Nein, aber wie sehr ich Abba auch liebe, sie hat eine schlechte Angewohnheit. Sie stalkt einen wahnsinnig, wenn sie in einer Beziehung mit einem ist. Sein Handy lag die ganze Zeit neben ihm auf dem Tisch, aber kein Text, kein Anruf, kein Bild von ihr in vier Stunden, die wir zusammenwaren. Entweder bedeutet er ihr nichts, oder sie lügen dich an“, schlussfolgerte er.
„Sorry, Kleiner, aber du bist nur eifersüchtig, ich kenn das, ich hab das gestern auch nur deswegen gemacht. Ich muss mit ihm deswegen heute auch ein langes Gespräch führen. Oh man, du stinkst, Handtücher sind in dem weißen Schrank neben der Dusche, ich leg dir nen paar Sportsachen von mir hin, da passt du sicher rein. Muss ich mir Sorgen machen, dass du dich nicht übergeben hast?“, fragte ich, aber als meine Worte noch nicht verhalt waren, machte er Würgegeräusche und ich hielt ihm den Eimer hin.
„Da ist es ja. Hab die halbe Nacht gelauscht, ob du nicht an deiner eigenen Kotze erstickst, alte Angewohnheit aus Raffertys schlechtesten Zeiten. Komm, ich bring dich ins Badezimmer“, zog ich ihn auf die Beine und brachte ihn ins Badezimmer.
 
Ich lächelte, als ich einen Text von Rafferty las.
„Das mein ich, er liebt dich und bombardiert dich mit Textnachrichten, ihr hat er sicher noch nicht geschrieben“, kommentierte Madison, als wir zusammen an meinem Küchentresen saßen.
„Lass es, er bombardiert mich nicht, er hat nur kurz geschrieben, wann er zu mir kommt. Wenn du es rausfinden willst hab ich dir nen guten Tipp. Sei ein Mann und meld dich bei Abba“, murmelte ich.
„Sie würde es nie zugeben!“
„Tja, das ist dann dein Problem. Ich vertrau ihm“, murmelte ich in mein Müsli.
„Du willst nur diese unsichtbare Grenze zwischen euch beiden haben und Abba ist da genau die Richtige“, sprach er das aus, was ich innerlich fühlte.
„Du redest Blödsinn!“
„Also stimmtes. Du willst deine Karriere nicht aufgeben, ich versteh das, aber ihr solltet ehrlich miteinander umgehen, jetzt wo ihr Eltern werdet!“
„Wir sind ganz ehrlich zueinander!“, behauptete ich und er sah mich nur an.
„Okay, vielleicht, nicht immer ganz ehrlich, aber ich muss mich selbst schützen. Du musst grade was sagen, du hast genauso die Karriere deiner großen Liebe vorgezogen und bereust das jetzt unglaublich!“
„Gar nicht wahr!“
„Oh, doch wahr, das wissen wir doch alle, aber wenn du das geheim halten willst, okay. Ich muss jetzt los, ich hab in einer Stunde ein anderes Interview und ich sollte für mein Ansehen nicht in Sporthosen, auf denen „Saftig“ auf dem Hintern steht dort auftauchen“, sagte er trocken.
„Viel Spaß, das in einer Stunde zu schaffen“, murmelte ich.
„Kann ich dein Auto haben?“
„New York City, ich hab kein Auto!“
„Richtig, dann ruf ich mir nen Uber“, entschied er und griff nach seinem Smartphone. Als Madison weggefahren war, kam Rafferty zu mir.
„Morgen, Süße, bereit?“, begrüßte er mich freundlich.
„Ich zeig dir heut die Stadt, es ist das perfekte Wetter dafür. Reden wir über gestern,
oder nicht?“
„Jetzt will ich erstmal Spaß haben, diskutieren können wir noch später!“
 
Wir verbrachten einen wunderschönen Nachmittag in meiner neuen Heimatstadt. Ich konnte ihm ein paar tolle Plätze zeigen. Es war wunderschön, einfach mit ihm zusammen zu sein, das konnte ich ihm aber niemals sagen!
Am Abend saßen wir semi-romantisch, ich hatte meinen Kopf auf seinem Schoß und er strich mir über die Haare, auf dem Sofa.
„Diese Serie ist irgendwie langweilig, ich hätte Lust auf was anderes“, sagte er plötzlich und strich mit seiner Hand von meiner Hüfte bis zu meiner Brust.
„Er hatte Recht“, murmelte ich.
„Was hast du gesagt, Süße?“, fragte er angeregt und begann meinen Hals zu küssen.
„Du bist so einiges, aber kein Betrüger. Du bist nicht mit Abba zusammen, oder?“, setzte ich mich auf.
„Ich weiß nicht, was du meinst“, konterte er und ich rutschte zur Seite.
„Du weißt genau, was ich meine. Du bist nicht mit Abba zusammen!“
„Doch, das bin ich!“, stotterte er.
„Warum machst du mich dann an?“
„Weil ich nen Kerl bin und ein Schwein bin?“
„Du bist kein Schwein. Warst du noch nie. Weiß sie, von deiner Lüge?“, fragte ich und griff nach meinem Telefon.
„Ja, weiß sie, war ihre Idee“, gestand er mir endlich.
„Du willst ihr doch nicht wirklich das alles anhängen, oder?“
„Ruf sie an und frag sie“, sagte er nur.
„Okay, das mach ich“, murrte ich und rief Abba an.
Sie bestätigte seine Story und ich legte wieder auf.
„Okay, war ihre Idee“, wendete ich mich an ihn.
„Tut mir leid“, entschuldigte er sich.
„Schon gut, nach allem, was ich gemacht habe, ist das nichts. Stellt sich die Frage wieso du das tust?“
„Du weißt, warum ich das tue“, sagte er ernst.
„Ich denke, du solltest gehen“, öffnete ich ihm die Tür.
„Das meinst du nicht ernst“, war er traurig.
„Die Tür ist offen, Raff!“
„Du kannst mich doch nicht einfach so rausschmeißen!“
„Du hast nen Hotelzimmer, also ja, kann ich. Geh“, wurde ich lauter und er trottete bedrückt aus meiner Tür.

Elftes Kapitel

 
Der Sommer hielt großen Einzug in New York. 2 Wochen war es her, dass ich das letzte Mal mit Rafferty gesprochen hatte und meine Familie war zu Besuch. Ich war nicht ganz sicher, warum das unbedingt am heißesten Wochenende des Jahres sein musste, aber sie hatten sich vorher ziemlich aus meiner Schwangerschaft rausgehalten und ich war ihnen was schuldig.
„Du bist jetzt im Mutterschutz, oder?“, wollte Daphne von mir wissen, als wir in einem Café saßen.
„Ja, ab Montag. Man, ist das heiß“, erwiderte ich erschöpft.
„Warum isst du nichts, Süße?“, fragte meine Mutter.
„Es ist einfach zu heiß dafür!“
„Die Babys brauchen was zu essen!“
„Die Babys hatten ein großes Frühstück, sie kommen klar. Wie ist Miami?“, wollte ich von meiner Mutter wissen.
„Eklig heiß, da ist es hier noch angenehm. Wie geht’s Rafferty?“, fragte mich meine Mutter aus.
„Keine Ahnung“, war ich wortkarg.
„Redet ihr nicht miteinander? Ich dachte, ihr wolltet dieses Co-Eltern-Zeug probieren?“
„Werden wir, aber momentan streiten wir grad etwas!“
„Sagst du mir wieso?“
„Es ist kompliziert genug für sie, Mom, lass sie“, mischte sich Daphne ein.
„Danke, kleine Schwester“, bedankte ich mich.
„Sie sollte besser nicht so wie du enden, Daph‘!“
„Mein Ehemann sorgt für Frieden im Nahen Osten, das ist eine große Ehre“, murrte Daphne.
„Er ist das halbe Jahr nicht zu Hause!“
„Das ist das Risiko, wenn der Mann im Militär ist. Rafferty wird sicher für sie da sein!“
„Das wird er, hoffentlich. Wir sollten gehen, wir wollten ja noch die Babybetten aufbauen. Danke nochmal, dass ihr mir dabei helft!“
„Die zwei kommen in etwas mehr als vier Wochen, die müssen ja irgendwo schlafen!“
„Das stimmt. Soll ich eigentlich klischeehaft mit pink und blau dekorieren, oder alles in grün?“, fragte ich sie nach Rat.
„Ich find grün schön“, riet Daphne mir.
„Ist auch mein Favorit. Ich hoffe, meine Kinder sind nur halb so süß wie deine Kleine“, sah ich zu meiner Nichte.
„Sie ist schon ne Süße!“
„Wie kommt sie mit der Abwesenheit ihres Vaters klar?“
„Sie ist erst zwei, sie fragt ab und zu nach ihm, aber sie kennt ihn ja nicht wirklich!“
„Das ist echt traurig“, dachte ich laut nach und dachte an meine eigene Situation.
„Ist nicht ideal, aber das wird bei dir nicht so sein, Rafferty wird sicher ständig bei dir sein“, entgegnete Daphne beruhigend.
„Er ist tausende von Kilometern entfernt, er wird sie auch nur selten sehen“, bemerkte ich traurig.
„Dann ist es halt so“, erwiderte Daphne.
„Scheint so!
 
Während wir die Babybetten zusammenbauten, durchfuhr mich ein Schmerz.
„Mom, irgendwas stimmt nicht“, stöhnte ich unter Schmerzen.
„Ich ruf nen Krankenwagen“, sagte Daphne ruhig und half mir in mein Bett.
 
„Soll ich ihn anrufen?“, fragte Daphne, als sie an meinem Bett saß.
„Nein, sind ja nur Braxton Hicks, ich muss mich nur ausruhen. Ich hab vergessen, wie weh das tun kann“, lehnte ich mich in meinem Bett zurück.
„Ja, die sind eklig. Keine Sorge, ich bleib heute Nacht bei dir. Du hast Angst und mit deiner Vorgeschichte ist das kein Wunder. Ich schick Mom ins Hotel, sie würde dich sicher eher stören“, stand Daphne auf.
„Tut mir leid, dass ich in den letzten Jahren so eine schlechte große Schwester war“, sagte ich zu ihr.
„Warst du nicht, wir sind nur verschiedene Wege gegangen. Ich schick sie heim und hol dir was zum Essen, dann bin ich gleich wieder da“, erklärte sie freundlich und ging aus meinem Raum.
Ich nahm mein Smartphone auf den Schoß. Ich wollte ihn anrufen, traute mich aber nicht.
Als sie zurückkam, sah sie meinen emotionalen Konflikt.
„Sie ist weg, hier ein paar Snacks. Erzählst du mir, was bei euch ist?“, setzte sich Daphne neben mich ins Bett.
„Er liebt mich immer noch“, begann ich.
„Du armes Ding“, konterte sie sarkastisch.
„Er hat für drei Monate so getan als wäre eine gute Freundin von uns beiden seine neue Freundin!“
„Okay, schräg und deswegen bist du sauer auf ihn?“
„Irgendwie schon. Er ist der wichtigste Mensch für mich im Moment, aber das kann ich ihm nicht sagen, ohne dass er sich eine Zukunft mit mir vorstellt. Das wird nicht passieren“, erwiderte ich.
„Was ist denn so kompliziert? Frag nach deinem alten Job in Memphis und zieh zurück. Ich weiß, du hast dort ein furchtbares Erlebnis gehabt, aber all deine Freunde sind dort und ehrlichgesagt wird deine Karriere mit Zwillingen nicht so einfach weitergehen“, sprach sie das aus, was ich versuchte zu verdrängen.
„Ich will nicht, dass sie alle Recht haben. Dass ich die letzten fünf Jahre in dieser seelenlosen Stadt vertrödelt habe. Ich könnte längst mit Rafferty verheiratet sein, aber nein, ich musste auf diesen Selbstfindungstrip gehen und jetzt ist alles zu spät“, wurde ich traurig.
„Hey, ganz ruhig, du weißt, was der Notarzt gesagt hat, du darfst dich nicht aufregen. Er ist noch wahnsinnig verliebt in dich, wenn du ihn noch willst, wird er dich mit Handkuss nehmen“, beruhigte sie mich.
„Ich will hier nicht weg“, gestand ich weinerlich.
„Dann bleibst du genau dort, wo du sein willst. Ich würde auch lieber in Memphis im Moment sein, Miami ist heiß, laut, und nicht sicher für ein Kind, aber Alvin möchte da unbedingt hin heimkommen. Ich hab für ihn meine Heimat verlassen, tu du das nicht. Wenn das hier deine Heimat ist, bleib hier“, erklärte sie mir. Ich hatte nicht gewusst, dass sie ihre Heimat vermisste, ich hatte immer gedacht, dass sie sich in Florida wohlfühlte.
„Hast du es Alvin gesagt?“
„Nein, er braucht seinen Strand und sein Meer, wenn er heimkommt, das will ich ihm nicht wegnehmen!“
„Wir sind echt Schwestern, das gleiche mach ich auch mit Rafferty. Sicher, ich könnte ihm sagen, lass alles hinter dir und leb mit mir in New York, aber er macht endlich was aus seinem Leben und scheint Spaß daran zu haben. Das wäre nicht fair!“
„Du willst also das mit den Babys ganz allein schaffen?“
„Muss ich wohl!“
„Du musst gar nichts!“
„Daph’, bitte lass das, es ist für mich schon schwer genug“, bat ich.
„Sorry, ich weiß, ich will dich jetzt nicht aufregen. Ruh dich etwas aus, ich bring dir deinen Laptop. Die Babys brauchen etwas Ruhe, gib sie ihnen“, sagte sie sanft und ich lehnte mich zurück.
 
Ich schlief etwas, wurde aber dann von einem Anruf geweckt. Es war Rafferty.
„Hey“, nahm ich ab.
„Hey. Daphne hat dich angerufen, oder?“
„Sei nicht sauer auf sie, sie dachte nur, ich sollte es wissen. Wie geht’s dir?“
„Besser, danke. Sind nur Scheinwehen gewesen, ich bin nur etwas nervös“, erzählte ich.
„Ja, denk ich mir. Du bist jetzt im Mutterschutz, oder?“
„Ja, bin ich, Gott sei Dank. Wir sind komisch auseinander gegangen“, begann ich.
„Ich wollte dich eifersüchtig machen, deswegen hab ich das getan!“
„Dachte ich mir schon. Du bist so blöd“, kommentierte ich seine Entschuldigung.
„Ja, bin ich. Hat Abba auch schon gesagt. Ich hab ihr nicht erzählt, dass der Rapper, den sie toll findet, ihr Ex ist. Die beiden scheinen das gleiche Problem zu haben wie wir. Sie lieben sich noch, können aber nicht zusammen sein!“
„Ich hab ein Leben hier“, sagte ich nur.
„Ich weiß, das will ich dir auch nicht wegnehmen, ich will nur mit dir zusammen sein!“
„Wir können nur zusammen sein, wenn wir in der gleichen Stadt wohnen, und du willst nicht nach New York. Das wird nicht funktionieren“, erklärte ich ihm.
„Ich liebe dich“, erwiderte er.
„Ich liebe dich auch. Aber das wird nicht funktionieren!“
„Ich würde mich wohler fühlen, wenn du die Zwillinge hier zu Welt bringen würdest“, bat er plötzlich.
„Ich hab mir hier ein Krankenhaus schon ausgesucht mit einer neonatologischen Abteilung, ich will kein Risiko eingehen!“
„Ich kann aber dann bei der Geburt nicht dabei sein!“
„Ich hätte dich aber gern dabei, ich hoffe, du kannst die ersten Septemberwochen freimachen und nach New York kommen!“
„Muss ich mit Bale abklären, er muss mich solang vertreten. Ich werde es versuchen!“
„Das wäre schön. Wir kriegen das hin, irgendwie“, erwiderte ich traurig und legte einfach wieder auf.
Als Daphne nach mir sah, weinte ich.
„Hey, was ist los?“, fragte sie besorgt und ich erzählte es ihr.
„Echt verfahren, die Situation. Kann ich irgendwas tun?“
„Wenn du für mich da bist und mir Mom etwas vom Hals hältst reicht mir das schon!“
„Das schaff ich“, bemerkte sie und drückte mich an sich.
 
Nachdem ich meine Familie davon vergewissern konnte, dass ich allein klarkam, flogen sie heim. Die letzten Wochen meiner Schwangerschaft wurden durch die Hitze unerträglich. Ich war heilfroh, als Rafferty kurz vor der Geburt zu mir kam.
„Deine Schwester hat nen guten Job gemacht, ich hab nur ein paar Schrauben nachstellen müssen, jetzt sind die Bettchen fest. Das Grün gefällt mir auch sehr gut“, erklärte er, als er das Kinderzimmer fertigmachte.
„Ja, ich wollte erst blau, rosa gehen, aber nur grün ist am besten. Du bist soweit gefahren heute, willst du dich nicht ausruhen?“, fragte ich besorgt.
„Mach ich jetzt auch, war echt ne lange Fahrt. Das kann ich nicht länger machen“, entschied er und setzte sich auf einen Stuhl.
„Ich weiß. Ich werde die nächsten Wochen darüber nachdenken, wie ich am besten nach Memphis zurückgehe“, erklärte ich.
„Du willst zurückkommen?“, fragte er kritisch.
„Ja, ich dachte, dass willst du?“
„Ja, schon, aber du willst das nicht, oder?“
„Hab ja nicht wirklich ne andere Wahl. Ich werde das nicht allein schaffen“, sah ich ein und ließ mich erschöpft auf den Schaukelstuhl fallen.
„Was ist mit dir passiert?“, verstand er nicht.
„Ich hab Angst“, gestand ich.
„Das bist du nicht, du bist die stärkste Frau, die ich kenne“, kniete er sich vor mich.
„Was ist, wenn mit den Kindern was ist? Ich würde es nicht überleben, wenn ich noch ein Kind verliere“, bemerkte ich weinerlich.
„Den Babys geht es gut, hat dein Arzt doch gesagt. Wir werden zwei wundervolle, gesunde Kinder bekommen“, beruhigte er mich.
„Ich weiß, aber es ist wieder so wie damals. Jedes Mal, wenn die Kinder schlafen, denke ich, sie wären tot“, entgegnete ich.
„Ich werde in den nächsten Wochen immer an deiner Seite sein und das prüfen, wenn du schläfst, keine Sorge“, versicherte er.
„Du willst mit mir in einem Bett schlafen?“
„Wir haben fünf Jahre zusammengewohnt, das kriegen wir hin, oder?“, stellte er fest.
„Ja, vermutlich. Aber keine Annäherungsversuche, bis ich mir über einiges klargeworden bin, okay?“
„Du bist im neunten Monat schwanger, ich würde das niemals machen!“
„Du denkst, ich bin fett“, bemerkte ich gespielt verärgert.
„Oh, nein, du bist wunderschön“, versicherte er und strich über meinen Oberschenkel.
Ich zog ihn hoch und küsste ihn sanft.
„Du sagst immer die richtige Sachen, auch wenn ich dich veräpple“, schmunzelte ich und er grinste.
„Ich würde gern schlafen gehen, kommst du mit?“, fragte er plötzlich.
„Komm gleich, dann hast du das Badezimmer für dich, ich weiß, du magst nicht, wenn man mit dir zusammen im Badezimmer ist“, sagte ich sanft.
„Ja, danke, aber wenn wir zwei Racker haben, wird das wohl der Vergangenheit angehören“, schmunzelte er und stand auf.
 
Es war wirklich wunderbar, ihn neben mir zu haben. Unsere Beziehung drehte sich im Kreis, einerseits wollte ich ihn niemals mehr loslassen, aber wenn ich nachgab und nach Memphis zurückkehrte, konnte ich meiner Karriere einen Abschiedskuss geben. Ich mochte diesen Job, ich verdiente gutes Geld und New York City war auch cool. Ich lag mit meinen Händen auf meinem riesigen Babybauch und sah ihm beim Schlafen zu. Er hatte dieses süße Schnarchen, was ich in den ersten Wochen von ihm getrennt so sehr vermisst hatte.
 
Mit heftigen Schmerzen wurde ich wach. Meine Fruchtblase war geplatzt.
„Raff“, sagte ich sanft. Er schlief weiter.
„David“, sagte ich lauter und er bewegte sich. Er wurde aber noch nicht wach. Ich musste ihn treten.
„Au, was ist los?“, fragte er mich etwas ungehalten.
„Es geht los“, sagte ich noch ruhig, aber mit starken Schmerzen.
„Was geht los?“, wollte er wissen. Ich zog die Bettdecke weg und drückte seine Hand in mein Fruchtwasser.
„Jetzt schon? Ist doch zu früh“, war er plötzlich hellwach.
„10 Tage, der Arzt hat gesagt, das kann bei Zwillingsgeburten passieren. Ruf nen Krankenwagen, bitte“, bat ich ruhig, aber langsam wurde ich nervös.
„Ja, das werde ich tun, wo ist deine Tasche?“, plante er.
„Steht an der Tür. Ruf erstmal den Krankenwagen“, bat ich ernster.
„Keine Sorge“, sagte er immer wieder und rief den Krankenwagen.

Zwölftes Kapitel

 
Im Krankenhaus rutschte ich immer wieder rein und raus aus dem Bewusstsein.
„Miss Randon, hören Sie mich?“, hörte ich eine Stimme.
„Meine Babys“, murmelte ich.
„Den beiden geht’s gut, Sie sind an den Wehen-Schreiber angeschlossen, die Herztöne sind bei beiden gut, Sie machen mir aber Sorgen“, sagte die Stimme.
„Ich fühl mich nicht gut“, entgegnete ich.
„Ich sag dem Arzt Bescheid, Ihr Mann ist hier, halten Sie Ihre Hand, Junge, ihr Herz rast, vielleicht beruhigt sie das“, bat die Stimme und ich spürte eine Hand in meiner.
„Ich bin hier, Süße, ich geh nirgendwo hin“, hörte ich Raffertys wunderbare Stimme.
Ich begann zu weinen.
„Hey, du bist in einer tollen Klinik, die kriegen das hin“, beruhigte er mich.
„Ich spüre meine Beine nicht!“
„Die haben dich betäubt, du kriegst einen Kaiserschnitt!“
„Wieso?“
„Du bist nicht fit genug für die Geburt, aber keine Sorge, den Babys geht es gut. Der Arzt kommt gleich und dann kommst du in den OP“, beruhigte mich seine ruhige Stimme irgendwie.
„Bleibst du bei mir?“
„Solang sie mich nicht rausschmeißen, werde ich bei dir bleiben“, drückte er meine Hand.
„Das ist schön“, murmelte ich, bevor ich bewusstlos wurde.
 
Als ich wieder wachwurde, spürte ich ein Ziehen an meinem Unterkörper.
„Hey, da sind Sie ja wieder. Wir holen gerade Ihre Babys, alles läuft gut, keine Sorge. In Ihrem Arm steckt ein Zugang, Sie bekommen Blut, Sie verlieren einiges. Bleiben Sie ganz ruhig, wir haben alles unter Kontrolle“, hörte ich die Stimme wieder.
Ich kämpfte weiter gegen die Ohnmacht. Ich fühlte mich so schwach. Plötzlich fühlte ich etwas Warmes auf mir und roch Blut.
„Sagen Sie hallo zu Ihrem Sohn, Kleines“, sagte die Stimme.
„Geht’s ihm gut?“, fragte ich weinerlich.
„Ein gesunder Junge, wir bringen ihn zu den Schwestern, die kümmern sich um ihn“, versicherte die Stimme. Ich konnte ihn nur verschwommen sehen, aber ich küsste ihn sanft. Er roch nach meinem Blut, aber es war trotzdem das wunderbarste Gefühl auf der Welt!
Die Wärme verschwand und die Angst kam wieder. Ich weinte, überfordert von der Situation.
„Ihm wird’s gut gehen, wir sorgen uns wunderbar um ihn. Halten Sie noch kurz durch, ich bring Ihnen gleich Ihre Tochter“, erwiderte sie und ich wartete auf das warme Gefühl. Es kam und kam aber nicht. Ich spürte nur, wie alle im Raum nervös wurden.
„Ganz ruhig, Ihre Tochter braucht etwas Hilfe beim Atmen, wir haben hier aber den besten Neonatologen des Landes, alles wird gut“, kam die Stimme wieder näher. Ich weinte in dem Moment wie verrückt, ich wollte nicht noch ein Kind verlieren. Bevor ich eine Antwort bekam, wurde ich endgültig ohnmächtig.

Dreizehntes Kapitel

 
Ich hatte einen wunderschönen Traum. Ich träumte, Rafferty würde meinen Lieblings-Beach Boys-Song für mich singen. Als ich wachwurde, realisierte ich, dass er das wirklich tat.
„Hey, Schönheit, ich wusste doch, ich krieg dich irgendwie wach“, begrüßte er mich mit einem sanften Kuss.
„Du hast gesungen“, konnte ich nur von mir geben.
„Ja, ich dachte, das wäre vielleicht schöner, als den Herzmonitor als erstes zu hören“, erklärte er mir. Ich kämpfte, aber wurde wieder richtig wach.
„Die Babys?“, gingen meine erster Gedanke zu den Kindern.
„Die sind beide hier, kerngesund und munter. Bei unserer Kleinen hat es kurz einen Schreckmoment gegeben, aber jetzt ist alles gut“, versicherte er mir.
„Ihnen geht’s gut?“, fragte ich erneut.
„Ja, ihnen geht’s gut, aber du hast mir Sorgen gemacht. Du hast den ersten Tag im Leben deiner Kinder verschlafen“, erzählte er.
„Kann ich sie sehen?“
„Sie schlafen beide friedlich und du bist an der Milchpumpe, aber du wirst sie sehen, sobald du wieder fitter bist, versprochen“, versicherte er mir und ich sah an mir herunter. Ich hatte wirklich eine Milchpumpe mit zwei Flaschen an der Brust.
„Ich bin doch keine Milchkuh“, murrte ich.
„Sorry, Kleines, ich wollte Ihnen nicht die Kinder anlegen, während Sie bewusstlos sind, wenn Sie später fitter sind, können Sie selbst stillen“, kam die Krankenschwester in mein Zimmer, die ich während der OP immer gehört hatte.
„Kann ich meine Babys sehen?“, fragte ich.
„Ich leg Sie Ihnen auf, wenn Sie gefüttert wurden, ruhen Sie sich solang aus. Wie geht’s Ihnen?“, nahm sie die Milchpumpe ab.
„Ich kann langsam wachbleiben, was ist mit mir los?“
„Sie haben Zwillinge fast die ganze Schwangerschaft ausgetragen, das schlaucht ganz schön den Körper. Ihre Werte sind etwas niedrig, aber wir kriegen das wieder hin. Daddy, wollen Sie mir helfen beim Füttern?“, fragte sie Rafferty und nahm sehr vorsichtig ein Baby hoch.
„Setzen Sie sich dazu hin. Haben Sie schon Erfahrung mit Kindern füttern?“, fragte die Schwester freundlich.
„Nicht mit so einem kleinen Baby“, gestand er.
„Dann zeig ich es Ihnen, bevor ich Baby Nr. 2 füttere. Haben Sie eigentlich schon Namen?“
„Ehrlich gesagt noch nicht ganz, wir wurden etwas überrascht. Ich hab ein Baby-Buch in meiner Tasche und einige markiert. Wie schnell müssen Sie es wissen?“
„Lassen Sie sich Zeit, wenn Sie entlassen werden, sollten die Kinder Namen haben. Das sollte man nicht zu schnell entscheiden. Ich stell Ihr Bett etwas um, dass Sie uns besser sehen können“, machte sie die Flaschen fertig, gab eine an Rafferty und stellte mein Bein hoch. Meine Kaiserschnittwunde tat etwas weh.
„Tut mir leid, wir können Sie wegen dem Stillen nur lokal an der Wunde betäuben, Sie müssen was sagen, wenn Sie eine neue Dosis brauchen, dann hol ich den Arzt“, erklärte die Schwester.
„Geht. Ich hab meine Tochter noch nicht gesehen, bitte geben Sie sie mir kurz“, bat ich.
„Sie können Sie auch füttern, wenn Sie wollen, ich halt Sie nur noch etwas fest“, kam sie mit meiner Tochter zu mir. Sie war so wunderschön und hatte viel Ähnlichkeit mit Joey.
„Geht es ihr gut? Atmet sie richtig?“
„Ja, sie hat uns kurz Sorgen gemacht, aber beim ABGAR hat sie ne 8 bekommen, das ist sehr gut. Ihr Sohn hatte ne 9, hat wohl etwas mehr bekommen in der Gebärmutter, das ist aber normal. Ich setz mich zu Ihnen, dann können Sie sie füttern“, setzte sie sich neben mich und legte mir meine Tochter in den Arm. Ich konnte sie nur anstarren.
„Erstes Mal?“, fragte sie mich und ich nickte. Sie zeigte mir, wie ich sie halten und füttern konnte, hielt sie aber dabei etwas fest.
„Dana“, fiel mir plötzlich ein Name für mein Kind ein.
„Gefällt mir, kommt nach oben auf die Liste“, bemerkte Rafferty von seinem Platz aus.
„Sie trinkt ganz gierig, ganz der Vater“, witzelte ich.
„Du kannst schon wieder Witze reißen, das ist schön. Nicolas trinkt auch sehr gut!“
„Nicolas klingt auch gut, kommt auch auf die Liste. Ich würde gern Efran ehren und ihn mit zweitem Namen Efran nennen“, erwiderte ich.
„Das wäre sehr schön“, freute er sich.
„Dann haben wir schon mal nen zweiten Namen. Wir haben gesunde Kinder bekommen“, realisierte ich plötzlich.
„Ja, hab ich doch gesagt, diesmal wird alles gut“, sagte er glücklich.
„Die beiden sind groß, kräftig und gesund, das ist selten bei Zwillingen. Sie haben Ihnen wohl alle Energie abgesaugt, wir können froh sein, dass Sie Milch produzieren, so schwach, wie Sie sind“, erklärte die Schwester. Mein süßes Baby hatte fertiggetrunken und schmatzte zufrieden.
„Sie ist wohl satt, wenn sie gerülpst hat, geb ich sie Ihnen wieder“, versicherte die Schwester und nahm sie wieder. Ich wollte sie gar nicht gehen lassen.
„Was macht Nicolas?“, fragte ich Rafferty.
„Er trinkt noch, ich komm aber gleich zu dir. Er sieht etwas aus wie Tanner, als er kleiner war“, erzählte er.
„Was?“, fragte ich.
„Wir sind Cousins, wir sehen uns auch ähnlich, keine Sorge“, schmunzelte er.
„Sie werden sehen, die Kids werden sich so schnell verändern. Meine Kids sahen erst aus wie ich, dann wie mein Mann und jetzt sind sie eine gute Mischung zwischen uns beiden. Momentan finde ich, dass das Mädchen wie Mama aussieht und der Junge wie Papa. Sie sind beide attraktive Leute, das werden Ihre Kinder sicher auch werden. So, da haben Sie Ihre Tochter wieder, ich leg Sie wieder hin, dann kann Sie auf Ihrer Brust liegen“, plante die Schwester und tat es. Dana begann plötzlich zu weinen. Ich erschreckte mich.
„Keine Sorge, sie hat wohl noch einen Pupser im Bauch, ich nehm sie nochmal hoch“, sagte sie sanft und nahm sie mir wieder weg. Ich begann zu weinen.
„Hey, ich bring Sie Ihnen gleich wieder“, versicherte sie.
„Tut mir leid, ich habe ein totes Mädchen geboren vor sechs Jahren, es ist nur so schön, mein Baby weinen zu hören“, schluchzte ich.
„Das versteh ich, Sie werden irgendwann aber hoffen, dass die beiden mal ruhig sind“, bemerkte sie.
 
Eine Stunde später schwebte ich auf Wolke 7. Beide meiner Kinder lagen friedlich schlafend auf meiner Brust.
„Oh mein Gott, ich hab Zwillinge“, wurde mir erst da klar.
„Ja, die haben wir. Du hast alles gut geplant, das wird alles funktionieren. Ich werde immer für dich da sein“, beruhigte er mich.
„2 Wochen ist nicht für immer“, murmelte ich.
„Ich bleibe, solang ich muss, du bist vermutlich noch eine Woche in der Klinik, ich regle solang alles andere. Die Kids bleiben ja bei dir, ich habe einen großen Vorrat an Windeln bestellt und die anderen Sachen kommen diese Woche auch noch. Alles wird gut“, erklärte er.
„Du bleibst aber nur solang, wie du kannst, okay?“
„Ich hab es schon mit Bale geklärt, er vertritt mich so lang wie er kann, er hat ja mehr Erfahrung im Leiten eines Frisörsalons als ich, der kriegt das hin. Du genießt jetzt einfach die Babys und überlässt mir alles andere“, bat er sanft.
Ich bat ihn nah an mich heranzukommen und küsste ihn sanft.
„Danke, dass du, du bist“, bedankte ich mich.
„Du bist die Kriegerin hier. Warum hast du mir nicht gesagt, wie sehr dich die Schwangerschaft belastet?“
„Ich hab Zwillinge mit mir rumgetragen, ich dachte, das wäre normal. Du musst die nächste Zeit die Kinder für mich tragen!“
„Ich weiß, die Schwester hat mir schon genau gezeigt, wie ich das machen muss, ich hatte schon einige Kinder im Arm, aber selten Neugeborene. Der Kinderwagen kommt übrigens am Mittwoch, hast nen guten ausgesucht!“
„Ja, wir werden sehen, wie der sich macht. Du kannst heimgehen, wie ich dich kenne, hast du mich nicht alleingelassen, seit ich hier bin“, bat ich ihm an.
„Bist du sicher?“
„Ich lieg hier auf ner Überwachungsstation in einem Elite-Krankenhaus, ja, ich bin sicher“, schmunzelte ich.
„Ich muss dir deinen Schlüssel abnehmen, ich komm sonst nicht rein“, sagte er etwas nervös.
„Sicher, ich muss dir nen Schlüssel für die Wohnung machen lassen, sie gehört mir ja!“
„Die Wohnung ist deine?“
„Ja, ich hab den Club verkauft und ein Haus in New York ist ne gute Investition gewesen. Meine Wohnung ist deine Wohnung, du kannst machen was du willst dort, wenn du Leute einlädst, sie sollen sie aber bitte was auch immer draußen im Garten rauchen“, bat ich ihn.
„Keine Sorge, ich kenn hier keinen, aber danke. Ist der Laden, der neben dem Acorn ist, gut?“
„Ja, da kannst du gut einkaufen, wenn du was nicht findest, sag Eric, dass du es bestellen willst, kannst es auf meinen Namen schreiben lassen“, bat ich.
„Eric?“
„Keine Sorge, er hat den Laden mit seinem Ehemann. Es ist ein kleiner Laden, also ne große Auswahl haben sie nicht, aber ich möchte immer die kleinen Läden unterstützen“, erklärte ich.
„Find ich gut, werde ich machen. Soll ich dir morgen irgendwas mitbringen?“
„Momentan nicht, aber danke. Ich liebe dich“, sagte ich so nebenher.
„Ich liebe dich auch“, küsste er mich kurz und ließ mich allein.
 
Mein Herzmonitor ließ mich wenig schlafen, ich war es auch nicht so gewohnt auf dem Rücken zu schlafen.
 
Viel zu früh kam die Nachtschwester zur Morgenkontrolle.
„Morgen, Mommy, wie geht’s uns heute?“
„Geht, schlecht geschlafen. Meinen Kindern geht’s gut?“
„Ja, sie sind auf der Kinderstation gut aufgehoben, können wir es heute mit Stillen versuchen? Wir fangen mit einem Kind an und wenn sie das gut überstehen, machen wir mit Nr. 2 weiter. Wenn Nr. eins schon zu viel ist, sagen Sie Bescheid, dann pump ich ab und füttere Nr. 2 mit der Flasche. Da Ihr Sohn etwas fitter ist, würde ich ihn mit der Flasche füttern, wenn es anders nicht ging“, plante die Schwester.
„Okay, machen wir’s“, stimmte ich zu.
Es war ein seltsames Gefühl zu stillen, aber auch wunderschön. Da mich das Mädchen schon schlauchte, fütterte die Schwester den Jungen.

Vierzehntes Kapitel

 
„Okay, die Kiddies sind satt, ich leg sie hin. Ich hab grad gehört, Sie haben Besucher, drei Freundinnen wollen reinkommen, ist das okay?“, fragte die Schwester, als sie die Babys in die Betten in meinem Zimmer gelegt hatte.
„Okay, sie können reinkommen“, wunderte ich mich etwas und schloss meine Krankenhausjacke wieder.
 
Es kamen Abba, Priscilla und Eddie zu mir.
„Hey, ihr drei, was macht ihr hier?“, war ich positiv überrascht.
„Wir haben gehört, es gibt eine neue Mommy in unserer Gang und da dachten wir, wir verbringen ein paar Tage in New York City und schauen mal nach dir“, bemerkte Priscilla cool und sie kamen näher.
„Ja, war nen bisschen früher als geplant“, konterte ich.
„Das kenn ich. Du siehst furchtbar aus, alte Freundin“, begrüßte mich auch Eddie.
„Danke, hab mich seit drei Tagen nicht mehr im Spiegel gesehen. Wo sind eure Kids?“
„Em hat fünf Kids in unserer Airbnb-Wohnung, wir dachten, ohne Kinder wäre es für dich einfacher. Apropos Kinder, wo sind die zwei Racker?“
„Da hinten im Eck, weckt sie nicht, sie sind grad eingeschlafen“, bat ich und sie sahen ihn an.
„Sie sehen aus wie David“, bemerkte Abba.
„Das hoff ich mal, er ist der Vater!“
„Okay“, sagte Abba mit seltsamem Ton.
„Ihr wart nicht sicher, ob er der Vater ist, oder?“, fragte ich kritisch.
„Es war eine Nacht mit ihm, hätte ja sein können!“
„Er war der einzige, der in das Zeitfenster passt, ihr kennt mich doch, ich hätte ihm sofort gesagt, wenn es ein Risiko gäbe, dass er es nicht wäre. Ich hatte auch ein Implantat, aber da ich zu viel geschafft habe, hab ich nicht gemerkt, dass es nicht mehr funktioniert hat. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie meine Zukunft aussieht, war es das Richtige“, erzählte ich.
„Kinder verändern einen, vor allem Zwillinge. Ihr beide müsst jetzt eine geschlossene Einheit bilden“, riet Eddie mir.
„Das werden wir, wir sind irgendwie wieder zusammen, auch wenn das grade nicht so einfach ist“, gestand ich ihnen.
„Das ist doch gut, ihr gehört einfach zusammen. Ich kenne euch so lange, das kriegt ihr irgendwie hin. Jetzt werde aber erstmal gesund, die haben dich ja aufgeschnitten wie ne Weihnachtsgans“, bemerkte Priscilla cool.
„Ausgenommen Gott sei Dank nicht, die Gebärmutter ist noch da, ich merk sie merklich. Ich krieg nur ein Schmerzmittel an der Wunde, das ist ganz schön ätzend. Aber ich möchte die Kiddies unbedingt stillen, gestern war ich noch zu schwach, aber heute hab ich das Mädchen schon gestillt. Der Kleine ist fitter!“
„Das wird sie noch aufholen, war bei meinen Zwillingen auch. Sie sind zumindest wunderschön. David klang ziemlich besorgt, als er gestern angerufen hat, deswegen sind wir gleichgekommen!“
„Ich war nur etwas schwach, aber die pumpen eine Menge gesunde Sachen in mich rein, mir wird’s bald besser gehen“, versicherte ich ihnen.
„Du kannst das hier nicht allein hinbekommen, komm nach Hause“, bat Priscilla.
„Ich werde heimkommen“, gab ich nach.
„Okay, das war jetzt einfacher, als ich dachte!“
„Ich werde hier aber nicht sofort die Zelte abbrechen, die Kinder müssen etwas älter werden und das mit meiner Arbeit muss ich auch anständig regeln“, entschied ich.
„Sicher, lass dir die Zeit, die du brauchst. Das freut mich, dass du heimkommst“, freute sich Priscilla.
„Hier ist auch meine Heimat, aber ich kehre zurück, wenn du das meinst!“
„Du willst hierbleiben, oder?“, realisierte Abba.
„Ich mag meinen Job, ich hab meine Karriere hier aufgebaut, ist halt nicht so einfach das hinter mir zu lassen. Aber ich hab euch Leute vermisst, wenn das bedeutet, die Hausfrau am Herd zu spielen, muss es halt so sein“, entgegnete ich mit gemischten Gefühlen.
„Du sagst das, als wäre das was Schlechtes“, grummelte Priscilla.
„Nein, Süße, ist es nicht, aber ich wollte immer mehr vom Leben“, erwiderte ich herumdrucksend.
„Das weiß ich und das wirst du auch erreichen. Du hast hier Karriere gemacht, da wirst du in Memphis in der Musikbranche gleich Fuß fassen“, erwiderte Priscilla aufmunternd.
„Du bist ne sehr gute Maskenbildnerin, aber seit Jahren machst du nichts draus. Warum denkst du, dass ich das schaffe?“
„Mädels, lasst ihr uns mal alleine?“, bat Priscilla die anderen und blieb allein bei mir.
„Tut mir leid, das wollte ich dir nicht vorwerfen“, entschuldigte ich mich bei ihr und setzte mich auf. Verdammt, tat das weh.
„Alles klar?“, fragte Priscilla besorgt.
„Ja, hab nur Schmerzen. Du bist eine tolle Hausfrau“, entgegnete ich.
„Ich hatte auch andres vor, weißt du?“, konterte sie.
„Ich weiß, Barry ist bald ein Jahr alt, vielleicht kannst du wieder arbeiten gehen“, schlug ich ihr vor.
„Du bist süß, das ganze Eltern-Dasein ist noch nicht so ganz bei dir angekommen, was? Ich hab seit vier Jahren meinen Geburtstag nicht mehr gefeiert, dieses Jahr hab ich ihn sogar vergessen, du übrigens auch“, sagte sie trocken.
„Mein Gott, der war letzte Woche, ich bin eine schlechte Freundin“, entschuldigte ich mich.
„Du hattest andere Sachen im Kopf, schon gut. Was ich damit meinte, wenn du Mutter bist, dann bist du nichts anderes mehr!“
„Tut mir leid, aber du musst dich wiederfinden, wann warst du das letzte Mal mit Em was Essen?“
„Ist ne Weile her“, murmelte sie.
„Du musst in deinem Leben was finden, was dir gefällt, du kannst doch auch von zu Hause aus Leute schminken, sogar nen Vlog oder so wäre doch was für dich, manche machen da echt Geld mit!“
„Ich hab’s versucht, aber an manchen Tagen kann ich nicht mal duschen, das wirst du sehen“, erklärte sie und meine Tochter begann zu weinen.
„Hey, da ist ja jemand wach, darf ich?“
„Ja, bitte“, bat ich und sie nahm sie hoch.
„Wie heißt sie eigentlich?“
„Sie hat noch keinen Namen, beide noch nicht. Ich find Dana schön, aber wir überlegen noch!“
„Dana find ich auch schön, behalt das im Hinterkopf. Und für den Talman jr.?“
„Nicolas!“
„Du willst ihn nach deinem Großvater benennen? Hat der nicht seine Familie verlassen?“
„Hat mein Dad auch, aber ist nen Familienname. Verdammt, meine Mutter weiß noch nicht, dass sie Oma ist, die bringt mich um, dass ich es ihr nicht gesagt habe!“
„Du bist krank, das versteht sie, ich ruf sie für dich an. Die Kleine sieht so hübsch aus, so wie du“, erwiderte sie und drückte meine Tochter an ihre Brust.
„Find ich auch. Es ist so wunderschön, wieder eine Tochter zu haben“, dachte ich laut nach.
„Joey wird sicher als Engel auf ihre kleine Schwester aufpassen“, bemerkte sie.
„Ich bin nicht gläubig, aber, das klingt schön. Findest du es wirklich gut, dass ich das mit David nochmal versuche?“
„Er liebt dich abgöttisch, jeder Mann, der dich so liebt, sollte auch mit dir zusammen sein!“
„Danke, das bedeutet mir viel, ich hab offiziell mit ihm nicht darüber geredet, aber ich denke, er ist der gleichen Meinung!“
„Wollt ihr dann noch heiraten?“
„Oh, du stellst Fragen“, tastete ich nach der Kette an meinem Hals. Sie war weg.
„Wo ist meine Kette? Die Kette mit dem Ring“, wurde ich nervös.
„Ich trag sie, keine Sorge, die geht nicht verloren, ich weiß, wie viel sie dir bedeutet. Hey, Pri, du bist aber schnell hier gewesen“, kam Rafferty in mein Krankenzimmer.
„Ich denke nicht, dass 15 Stunden mit fünf Kindern im Auto schnell voranging, aber okay. Gratuliere, Daddy“, begrüßte sie ihn mit einer Umarmung.
„Danke fürs Kommen. Du hast Abba und Eddie auch mitgebracht, du fährst große Geschütze auf, wie mir scheint. Ich behalt den Ring erstmal bei mir, kriegst du wieder, wenn du rauskommst, okay?“, redete er mit Priscilla, kam dann zu mir und küsste mich auf den Kopf.
„Pass gut darauf auf. Wie viel hast du gehört?“
„Genug, um zu wissen, dass ich hoffen kann. Ich hab dir nen Schokoladencroissant mitgebracht, falls du es runterkriegst. Hey, wer ist denn da wach?“, gab er seiner Tochter auf ihrem Arm auch einen sanften Kuss auf den Kopf.
„Du hast echt zwei wunderschöne Kinder produziert, Shampoo-Boy. Gut, dass du da warst, als bei ihr die Wehen eingesetzt haben, das ist ziemlich schnell schlimm geworden. Ich war allein bis kurz vorm Ende, das war furchtbar“, erzählte sie.
„Du hast so cool gewirkt damals“, kommentierte ich.
„Bei mir war es das dritte Mal, aber du hast Barry zur Welt geholt wie ein Champ. Meine Frauenärztin ist immer noch fasziniert von deiner Geschichte. Und deinen Kindern geht es gut?“
„Dana war etwas blau nach der Geburt, Nicolas hat sie etwas gequetscht, aber ist jetzt wieder alles gut. Man, mir gefallen die Namen immer mehr“, erzählte er.
„Warst du im Kreissaal eigentlich dabei? Ich war ständig ohnmächtig währenddessen!“
„Ja, ich war dabei, bis sie dich aufgemacht haben, ich konnte nicht, tut mir leid!“
„Musstest du auch nicht. Ist vermutlich für unser Sexleben besser, wenn du das nicht siehst, wenn du meinen Körper mal wieder nackt siehst!“
„Wir sollten mal über uns reden“, bat er plötzlich.
„Ich geh mit den Mädels mal was essen, komm später noch mal“, entschuldigte sich Priscilla und ließ uns allein.
„Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein. Alles andere müssen wir noch klären, aber ich bin auch mit einer Fernbeziehung einverstanden, bis wir zusammen sein können“, schlug er vor.
„Das klingt gut, das möchte ich auch!“
„Wir sollten aber jetzt immer ehrlich zueinander sein, egal was ist“, bat er.
„Das klingt gut. Wie fit bist du grade?“, wollte er wissen.
„Setz dich, reden wir“, bat ich und wir redeten eine Weile.
„Warst du verliebt in sie?“, fragte ich, als Rafferty mir erzählt hatte, dass er mit Abba etwas gehabt hatte, bevor ich zurückgekommen war.
„Nein, Mad war nur grad weg und wir haben uns gegenseitig getröstet, das war alles. Wir wussten beide, dass Abba Madison immer noch liebt und ich dich, es waren nur ein paar Nächte und das ist schon ne Weile her!“
„Solang ihr Sohn nicht dein Sohn ist, ist alles gut!“
„Nein, ist er nicht, er war schon geboren!“
„Dann ist es nicht wirklich soo lange her!“
„Nicht ewig, ja, aber es ist wirklich nichts gewesen!“
„Ich war ne Weile in ner Beziehung zu nem Kerl, aber das war auch nichts, danach habe ich nur für Sex immer bezahlen müssen!“
„Du hattest Callboys?“
„Für ne Weile, aber alles High-Class, keine Sorge. Ich hatte keinen mehr seit letztem Halloween und werde meinen Account löschen“, versicherte ich.
„Okay, das hätte ich jetzt nicht gedacht, aber ich war mal ein Rockstar, ich sollte so einen Lebensstil nicht kritisieren“, entschied er.
„Du bist immer noch mein Rockstar“, schmunzelte ich.
„Es ist verrückt, wie sehr sich mein Leben in den letzten zehn Jahren verändert hat. Wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich jetzt sicher ein abgehalfterter drittklassiger Sänger mit einem schweren Drogen- und Alkoholproblem. Jetzt sieh mich an, ich bin ein Vater und ein semi-erfolgreicher Geschäftsmann. Auch wenn ich die Jungs sehr vermisse, ein Bandleben ist für junge Leute“, überlegte er laut.
„Ach komm schon, wir sind Mitte 30, wir sind noch jung und du brauchtest nur den großen Anstoß zur Karriere!“
„Na ja, im College war ich ja dann doch nicht, aber ich wüsste ja nicht mal was ich studieren sollte. Ich freue mich nur, dass Abba das mit dem Studium durchzieht!“
„Ja, sie wird Psychologin, das ist echt der Hammer!“
„Ach ja, ich, bzw. meine Kette unterstützt sie finanziell dabei, sie hilft aber aus, so oft wie sie kann“, erklärte er.
„Das ist echt nett, Madison würde das sicher auch tun!“
„Das macht er, bei unserem Bar-Hopping hab ich ihm davon erzählt und er hilft unserer Firma auch, wenn das Geld ihr zugutekommt. Du hattest wohl nen guten Einfluss auf ihn, vorher mussten wir ihn fast zum Unterhalt zahlen zwingen!“
„Ich hab gar nichts getan, er hat jetzt Geld, vielleicht will er nur zeigen, wie erfolgreich er ist. Ich kann kaum glauben, dass er wirklich mit Rappen erfolgreich geworden ist, du warst ja immer der Sänger. Ärgert dich das, dass du jetzt Haare schneidest und er der berühmte Rapper MAD ist?“, wollte ich wissen.
„Nein, ich gönn es ihm, ich hab eine Freundin und zwei wunderbare Babys, er hat sicher nur ein einsames Hotelzimmer und sieht seinen Sohn nur einmal im Jahr“, entschied er. Ich machte ihm ein Zeichen, dass er still sein sollte, weil die Mädels zurückkamen.
„Madison ist MAD und du wusstest das?“, fragte Abba kritisch.
„Bin gleich wieder da, Abs, komm mal mit“, bat Rafferty und sie gingen nach draußen.
„Madison ist MAD, Sachen gibt’s, ich hab echt gedacht, der wird das nen halbes Jahr probieren und kläglich scheitern, Dann macht der echt Karriere“, redete Eddie vor sich hin.
„Scheint so, hab ihn interviewt vor nen paar Monaten und da hab ich es rausgefunden. Er hat mich gebeten, es geheim zu halten, sorry“, erklärte ich.
„Versteh es schon, aber du weißt, dass Abba ein großer Fan von dem Sänger MAD ist, dass musste ein ganz schöner Schock sein, zu erfahren, dass es ihr treuloser Ex ist!“
„Als Freundin hätte ich es ihr sagen sollen, aber was hätte das gebracht? Madison und sie, das wird nicht mehr, glaub ich!“
 
„Sie ruft ihn jetzt grade an, wir werden sehen“, kam Rafferty zurück.
„Ist das sinnvoll?“
„Ist ihre Entscheidung, dass sie wieder miteinander reden ist schon mal gut, auch dem Kleinen wegen. Ich hab ihr auch geraten, dass mit uns zu erzählen, es war ja nichts ernstes“, erzählte er uns.
„Sie weiß es endlich?“, fragte Priscilla.
„Sie wusste es vor mir?“, fragte ich ihn.
„Sie hatte und damals erwischt, ich hab sie gebeten, es nicht zu erzählen!“
„Das hast du echt lang für dich behalten, beeindruckend“, sagte ich cool.
„Ähm, danke, denke ich. Du bist nicht sauer?“
„Momentan bin ich vollgepumpt mit Mami-Hormonen, aber langsam werde ich müde und hätte gern etwas Ruhe“, bat ich.
„Sicher, wir kommen Morgenabend nochmal. Irgendwelche Tipps zum Sightseeing?“
„Geht nicht zu spät auf das Empire, da steht ihr ne Weile und wenn die Taxifahrer schimpfen ist das normal“, erklärte ich.
„Gut zu wissen. Darf ich noch ein, zwei Fotos für meine Kinder von den Babys machen?“, fragte Eddie.
„Wo sind deine Kinder eigentlich? Bei fünf Kindern fehlen doch deine Kinder, oder?“, wunderte ich mich.
„Sie sind im Feriencamp zum ersten Mal. Jetzt schlaf etwas, wir besuchen dich wieder“, verabschiedete sich Pricilla.
 
„Konntest du schlafen?“, fragte er mich und setzte sich zu mir, nachdem er Pricilla verabschiedet hatte.
„Nicht wirklich, die Schmerzen sind heftig. Du?“
„Ganz gut, hab mir nur Sorgen um dich gemacht. Zu meiner Verteidigung, ich hatte sie angerufen, aber ich hab nicht gebeten zu kommen“, verteidigte er sich.
„Ist okay, ist schön, dass sie hier sind. Auch wenn’s grad nen bisschen viel für mich ist!“
„Ich sag’s ihnen. Iss was, ich sehe, du hast dein Frühstück noch nicht angerührt“, bat er sanft.
„Ich hab irgendwie Angst was zu essen, wegen der Wunde, ich weiß, dämlich“, gestand ich.
„Wir haben Sie bestens zusammengeflickt, da reißt nichts, Ms Randon. Ich wollte sie grade untersuchen, ist das in Ordnung?“, kam ein Mediziner im weißen Kittel zu mir.
„Haben Sie mich operiert?“
„Kommt darauf an. Sind Sie zufrieden?“, schmunzelte der Arzt.
„Ich bin kein Experte, aber ich lebe noch, also denk schon“, murmelte ich.
„Was machen die Schmerzen?“
„Sind heftig!“
„Ich spritz Ihnen gleich nochmal was, keine Sorge. Könnten Sie mich kurz ranlassen, Junge? Ich geb Ihnen Ihre Frau gleich zurück“, kam der Arzt näher zu mir.
„Ich schau mal nach Abba, komm gleich wieder“, entgegnete er und ließ uns allein.
„Ich muss Ihnen jetzt leider etwas wehtun, ich muss Ihren Bauch abtasten, tut mir leid“, erklärte der Arzt mir und tat es.
„Oh fuck, das ist wohl die Strafe dafür, dass ich die Geburt im Dämmerzustand erlebt habe, was?“, fluchte ich.
„Bin gleich fertig, versprochen. Sieht alles gut aus, Ihre Werte gefallen mir nicht, ich werde nochmal Blut nehmen. Sie haben doch Ihre Vitamine genommen während er Schwangerschaft, oder?“
„Ja, Doktor!“
„So ne Zwillingschwangerschaft ist immer schwierig, wir kriegen sie wieder fit. Der Kinderarzt wird nachher auch noch Ihre Babys ansehen, aber was ich gehört habe ist sehr positiv. Sie hatten ein schweres Geburtsgewicht, das ist ungewöhnlich, aber sehr schön. So, jetzt setz ich die Betäubung, das muss ich in die Wunde machen, also wird es verdammt wehtun, konzentrieren Sie sich einfach solang auf ihre wunderschönen Kids“, bemerkte er und ich starrte zu den Babybetten. Ich fluchte noch etwas weiter.
„Fluchen hilft gegen die Schmerzen, das sollte wieder ne Weile halten. Ich schick Ihren Mann wieder rein, nachdem ich Ihnen noch Blut abgenommen habe“, nahm er noch Blut.
„Er ist mein Lebensgefährte, nicht mein Mann“, erklärte ich.
„Verzeihen Sie. Läuft es mit dem Stillen?“
„Ich hab vorhin das erste Mal gestillt und nur ein Kind, aber das schien zu funktionieren!“
„Bis sie fitter sind, sollten Sie bei einem Kind bleiben, die Schwester pumpt solang ab. Wenn Sie irgendwas brauchen, sagen Sie der Schwester Bescheid“, bat der Arzt.
„Ich schlaf sehr schlecht“, sagte ich ihm.
„Oh je, ich frage unseren Naturmediziner, ob er was für Sie hat, ein Stillkissen wird ihnen vielleicht helfen, ich sag’s der Schwester. Ich komme in zwei Tagen nochmal, wenn der Schmerz vorher zu schlimm wird, sagen Sie es der Schwester“, plante er.
„Danke, Doktor!“
„Immer wieder gern“, verabschiedete er sich und ging wieder.
 
Ein paar Minuten später kamen Abba und Rafferty zurück zu mir. Rafferty rieb seinen Hinterkopf.
„Ales klar, Süßer?“, fragte ich sanft.
„Ja, ich hab’s verdient. Alles klar bei dir?“
„Ja, bin neu mit Schmerzmitteln versorgt worden. Er ist nicht so begeistert von meinen Blutwerten, hat nochmal Blut abgenommen. Ich hab irgendwie Angst, das was mit mir nicht stimmt“, gestand ich.
„Keine Sorge, meine Werte waren auch miserabel nach der Geburt meines Sohnes, das wird wieder besser. David, holst du mir mal nen Kaffee und ihr nen Tee, oder so? Ich will mal allein mit deiner Freundin reden“, bat Abba plötzlich.
„Sicher, ich hol nen guten Kaffee in dem Restaurant die Straße runter, willst du den Tee, Süße?“, fragte er mich und ich nickte.
„Dann bis gleich!“
 
„So, lass uns reden“, begann Abba.
„Hab ich was falsch gemacht?“
„Oh nein, hast du nicht. Ich hab aber viel falsch gemacht. Ich hätte mich niemals an deinen Kerl ranmachen sollen. Das war so was von falsch, aber ich wollte Madison eins auswischen“, erklärte sie mir.
„Bin nicht sauer, ich hab ihn verlassen, er konnte machen was er wollte!“
„Trotzdem, wir sind Freundinnen. Ich hab dich gehasst dafür, dass du ihn verlassen hast, aber als ich selbst Mutter wurde, wusste ich, warum du das tun musstest. Ich freu mich, dass ihr wieder zusammengefunden habt“, erklärte sie.
„Was ist mit Mad und dir? Was ist mit euch passiert?“
„Er hat mich verlassen, er ist ein stereotypischer Afro-Amerikaner. Wenn das Kind kommt, ist der Mann weg. Er muss sich noch die Hörner abstoßen und ich hab ihn gehen lassen. Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht immer noch liebe“, erzählte sie weiter.
„War das heute das erste Mal seit eurer Trennung, dass ihr geredet habt?“
„Nein, aber das erste Mal, dass ich wusste, was ich sagen sollte. War ehrlichgesagt ein gutes Gespräch, er ist Ende des Monats für einen Gig im Memphis und wir treffen uns. Es ist schon ironisch, der Rapper, den ich gut fand und der mich von meinem Ex abgelenkt hat, ist mein Ex, erläuterte sie weiter.
„Das ist schon witzig“, grinste ich.
„Ganz dünnes Eis, Süße, du wusstest es auch schon ne Weile“, murmelte sie.
„Sorry, ich hätte es dir sagen sollen“, entschuldigte ich mich. In dem Moment wurde mein Sohn wach.
„Könntest du kurz?“, fragte ich sie und sie nahm ihn hoch.
„Wow, ein stolzer Brocken, Louis war bei der Geburt viel leichter. Hey, Kleiner, was hast du denn?“, wiegte sie meinen Sohn im Arm.
„Er hat vermutlich ne volle Windel“, sagte ich und rief die Schwester.
„Ich nehm die Kiddies am besten ins Kinderzimmer mit, dann haben Sie etwas Ruhe, Sie sollten etwas schlafen, Sie waren ja die halbe Nacht wach“, plante die Schwester, legte die Zwillinge in ein Bett und rollte sie raus.
„Kann ich auch so eine haben?“, fragte Abba witzelnd.
„Wenn man dir die Gebärmutter aufgerissen hat und zwei Kinder rausgezogen hat, kriegst du auch sowas“, murmelte ich.
„Passe. Soll ich dich allein lassen?“
„Nein bleib ruhig noch hier. Du lenkst mich von den Schmerzen ab“, hoffte ich.
„Sicher, ich bleibe, wenn du das willst!“
„Bitte!“

Fünfzehntes Kapitel

 
„Fit genug?“, streckte Rafferty den Kopf durch die offene Schlafzimmertür.
„Wer ist hungrig?“, fragte ich müde.
„Nico!“
„Meinetwegen, Dana braucht immer so lange“, erwiderte ich und öffnete meinen Still-BH.
„Dana ist auch ein Mädchen. Sie schläft aber auch nicht ich trag sie auf dem Rücken rum. Komm gleich“, bemerkte er und kam ein paar Minuten später mit Nicolas zurück. Er war so heiß, aber schnell satt.
„Er ist fertig“, erwiderte ich und weckte ihn damit.
„Wann haben die Ärzte gesagt, dass du wieder schwer heben kannst?“
„In zwei Wochen kann ich es versuchen. Du hast ja nur noch eine Woche, dann hilft mir die Nachtschwester“, versicherte ich.
„Gott sei Dank, ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal geschlafen habe!“
„Tut mir so leid. Ich könnte mir nen Rollstuhl besorgen!“
„Nein, der Arzt hat gesagt, du musst dich schonen. Das halt ich noch durch. Ich hoffe, er macht seinen Rülpser bald, dann kann ich vielleicht wieder einschlafen“, bemerkte er und brachte ihn wieder raus.
 
Viel zu schnell musste er wieder fahren.
„Okay, die Schwester kommt in zwei Stunden, die Windeln sind hier, die Windelunterlage hab ich auf dem Tisch ausgelegt und hier sind sterile Flaschen für die Pumpe. Hab ich was vergessen?“, plante er, als er mich verlassen wollte.
„Ja, seh ich. Das rollende Babybett war ne gute Investition. Sie schlafen friedlich, versuch sie nicht zu wecken, wenn du dich verabschiedest“, bat ich.
„Ich hab mich schon verabschiedet, aber mich von dir zu verabschieden ist noch viel schwieriger“, sagte er sanft.
„Ich weiß, ich find es auch schwierig. Ich hoffe so, dass das mit uns funktioniert“, überlegte ich laut.
„Willst du mich immer noch heiraten?“, hoffte er und legte mir meinen alten Verlobungsring in die Hand.
„Machst du mir grad einen Antrag?“
„Ich hab dir eigentlich schon einen musikalischen Antrag gemacht vor sechs Jahren und offiziell haben wir uns nicht entlobt“, schmunzelte er.
„Dir fällt sicher noch etwas Besseres ein “, schmunzelte ich.
„Ist das ein Ja?“
„Wenn es soweit ist, ja, dann ist es ein Ja“, konterte ich.
„Du willst einen richtigen neuen Antrag?“, fragte er.
„Jup!“
„Du bist nen Kasper, okay, dann überleg ich mir was, bis wir uns das nächste Mal sehen“, küsste er mich und zog mir die Kette mit dem Ring wieder an.
„Nen neuen Ring brauch ich aber nicht. Ich kann nicht glauben, dass du mich immer noch heiraten willst!“
„Natürlich will ich das, mein Schatz, das wollte ich immer und werde ich immer wollen. Ich muss jetzt los, aber ich will eigentlich nicht gehen!“
„Du warst viel zu lang hier, dein Bruder hat grad genug Schwierigkeiten mit seiner Teenager-Tochter, er sollte nicht noch drei Geschäfte leiten müssen ohne dich!“
„Ja, er scheint wirklich gestresst. Aber du sagst nur einen Ton, und ich komm zurück!“
„Ich komm klar, denk ich, ich werde ne Weile nicht arbeiten können, du musst deine Geschäfte weiterführen, wir brauchen dein Einkommen“, bat ich.
„Richtig. Ich ruf dich sofort an, wenn ich zu Hause bin, müsste so morgen Nachmittag sein“, schulterte er seine Tasche.
„Schreib vorher besser nen Text, falls die Kids schlafen“, bat ich.
„Sicher, kann ich machen. Ich liebe dich“, erinnerte er mich und küsste mich.
„Ich liebe dich auch. Ich bin so froh, dass du wieder in meinem Leben bist!“
„Ich bin auch glücklich, ich hoffe, ich war nicht zu grantig in den letzten Wochen!“
„Du hast kaum geschlafen, schon gut, wollte ich auch sagen“, griff ich nach seiner Hand.
„Wir haben es gut überstanden, das heißt schon viel. Schlaf später gut“, bat er und ich ließ ihn gehen.
 
Es klingelte an meiner Tür.
„Kommen Sie rein, ist offen“, bat ich. Ich war eingedöst mit Dana im Arm.
„Sie sollten die Tür abschließen als alleinstehende Frau“, kam die Nachtschwester ins Wohnzimmer.
„Guten Abend, Schwester Hastings“, begrüßte ich meine Hilfe.
„Oh je, ich verstehe, Sie sind etwas auf Schlafentzug. Darf ich?“, fragte Schwester Hastings und nahm Dana.
„Ja, bitte. Ich zeig Ihnen alles und dann muss ich duschen, ich weiß gar nicht mehr, wann, ich dass das letzte Mal gemacht habe!“
„Ja, ist nicht einfach, allein zu sein!“
„Ich war bis vor zwei Stunden nicht allein, mein Freund ist grad wieder heimgefahren!“
„Sie sind wieder mit Ihrem Freund zusammen?“
„Ja, denk ich, die Details sind noch nicht ganz klar. Geht es ihr gut?“, berührte ich Dana, die in ihren Armen lag.
„Ja, sie hat schön in Ihrem Arm geschlafen. Alles gut, Sie machen das gut!“, versicherte die Schwester und ich stand langsam auf.
„Ich weiß nicht genau, mein erstes Kind starb und ich hab immer gedacht, das wäre meine Schuld!“
„Ich kenn Ihre medizinische Geschichte, Sie hätten beim ersten Mal nichts anders machen können, glauben Sie mir. Ich habe zu meiner Zeit auch ein Kind verloren am plötzlichen Kindstod, ich bin bestens ausgebildet, dass Ihren Kiddies nichts passieren kann, keine Sorge! Jetzt gehen Sie sich duschen, ich komm hier klar“, sagte sie sanft und beruhigte mich echt damit.
 
Durch unseren gemeinsamen Schicksalsschlag hatten wir schnell einen Draht zueinander.
Ich pumpte genug Milch für die Nacht ab und schlief das erste Mal tief und fest seit Wochen.
„Guten Morgen, gut siehst du aus. Wie ist die Nachtschwester?“, skypte ich am nächsten Morgen mit Priscilla.
„Sie ist toll, ich musste mir zum ersten Mal nachts keine Gedanken machen und hab gut geschlafen. Du siehst aber müde aus!“
„Barry scheint zu zahnen er war die halbe Nacht wach“, rieb sie müde ihre Augen.
„Oh ja, da kann ich mich auch drauf freuen. Hab ich mich eigentlich bedankt, dass ihr mich besucht habt? Ich war in den letzten Wochen ziemlich daneben!“
„Du hattest ne heftige OP, schon gut und ja, hast du gemacht. Ist David schon zurück?“
„Er ist noch auf der Heimfahrt. Ich kann ihm das nicht antun. Ich hab mit meinen Chefs gesprochen, sie können mich sechs Monate freistellen, ich werde sobald ich länger sitzen kann zu euch kommen und dort erstmal bleiben, bis ich weiß, wie es weitergehen soll!“
„Wirklich? Weiß er das schon?“
„Nein, ich hab grade erst die Mail gekriegt, ich werde es ihm sagen, wenn wir heute Abend telefonieren. Die Monate werden schnell vergehen und bis zum neuen Jahr muss ich dann wissen, was ich will. Er hat mich gestern gefragt, ob ich ihn noch heiraten möchte. Ich hab irgendwie ja gesagt, aber ich weiß nicht mehr wieso. Wir sind nicht mehr diese Personen, die wir damals waren!“
„Nein, seid ihr nicht. Ihr seid besser, erwachsener. Du hast ja jetzt sechs Monate dafür Zeit, das rauszufinden. Wirst du bei ihm wohnen?“
„Du stellst Fragen, keine Ahnung. Ich versuch das rauszufinden. Ich hoff mal!“
„Glaubst du, er will das nicht?“
„Er würde das sofort zulassen, aber er hat die letzten drei Wochen alles alleine machen müssen, das will ich ihm nicht weiter antun!“
„Er hat dich geschwängert, er kann ruhig was machen. Er ist einer von den Guten, er holt sich regelmäßig Ratschläge bei uns ein, er ist ernsthaft dabei!“
„Wirklich?“, fragte ich gerührt und unter Tränen.
„Mommy-Hormone?“, fragte sie besorgt.
„Ja, fuck, ich bin eine verdammte Kriegerprinzessin, aber grad so nah am Wasser gebaut!“
„Hey, ich hab das dreimal durchgemacht, ich versteh es. Ich werde die Pipeline aber abknapsen, drei Kinder reichen. Ich werde meine Eierstöcke veröden lassen, bei Em wäre es zwar einfacher, aber der Angsthase hat zu viel Schiss“, erzählte sie mir.
„Oje, soll ich mit ihm reden?“
„Nein, ich will keine Kinder mehr austragen, da ist es meine Verantwortung. Ich bin dann ein paar Tage außer Gefecht gesetzt und könnte dann wieder deine Hilfe brauchen. Du kannst dann mit den Kiddies im Gästezimmer bleiben!“
„Dann plan es in den nächsten Monaten ein, du musst nur bedenken, dass ich deine Kinder nicht tragen kann in dem Zeitraum!“
„Kein Problem, das wird dann Em machen. Ich danke dir!“
„Dafür sind beste Freundinnen doch da. Ich freue mich, dich bald wieder in meiner Nähe zu haben“, gestand ich.
„Ich auch. Jetzt klär das aber erstmal mit deinem Freund!“
„Mach ich. Ich muss jetzt los, die Nachtschwester bricht gleich auf und ich muss zurück zu den Zwillingen“, erwiderte ich und stand vom Barhocker in meiner Küche auf.
„Du darfst immer noch keine Schmerzmittel nehmen, oder?“
„Nein, ist echt eklig, aber ich ertrag’s für die Zwillinge!“
„Du hast Recht, du bist ne Kriegerprinzessin“, erwiderte sie.
„Nein, bin ich nicht, nachts muss ich mit einem Kuscheltier kuscheln um schlafen zu können!“
„Das mach ich manchmal auch, wenn Em ne Nachtschicht einlegt, das ist einfach angenehm!“
„Das beruhigt mich, ich komm mir vor wie ein Kind!“
„Wenn es dich schlafen lässt, ist es gut. Gib den Zwillingen nen Kuss von mir“, verabschiedete sie sich und ich machte einen Luftkuss und klappte den Laptop zu.
 
Gegen Abend rief ich Bale an, weil ich Rafferty nicht erreichte.
„Sorry, Henry, ich hoffe, ich weck dich nicht, aber hast du David schon gesehen?“
„Nein, ich dachte, er wäre noch bei dir“, wunderte sich Bale.
„Er ist gestern losgefahren, er sollte eigentlich schon zu Hause sein!“
„Ich fahr mal zu ihm, vielleicht ist er einfach zu Hause eingepennt und hat vergessen, sich zu melden“, bemerkte er.
„Bitte mach das und meld dich, schreib mir nen Text, wenn es zu spät wird, dass die Zwillinge nicht wachwerden“, sagte ich besorgt, vertraute aber auf Bale.
„Mach ich, mach dir keine Sorgen, ihm wird’s gut gehen“, erwiderte er.
 
Mitten in der Nacht bekam ich endlich einen Text. Er schrieb, dass ich ihn zurückrufen sollte.
„Ich hab ihn gefunden“, begann er. An seiner Stimme erkannte ich, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist mit ihm? Ist was passiert?“
„Du solltest herkommen“, sagte er nur.
„Spuck’s endlich aus, Henry“, wurde ich laut und weinerlich.
„Er hatte einen Unfall“, erwiderte er.

Sechzehntes Kapitel

 
Ich trug Dana an meiner Brust und Nico im Babycase.
„Danke fürs Mitkommen“, bedankte ich mich bei meiner Nachtschwester. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und mit einem großen Trinkgeld konnte ich sie davon überzeugen, mich mit den Kindern zu unterstützen. Ich konnte die Babys nicht alleinlassen und auch nicht alleine tragen.
„Kein Problem, ich bin für Sie da. Wir landen bald in Memphis, schlafen Sie etwas, Sie helfen nicht, wenn Sie mir umkippen“, bat sie.
„Ich kann das nicht ohne ihn!“
„Die Ärzte haben gesagt, er wird wieder, wir fliegen da nur hin um ihm beizustehen. Schlafen Sie, ich kümmere mich um die Kinder“, bat sie. Ihre Stimme war so angenehm, deswegen vertraute ich ihr. Ich übergab ihr die Babytragetasche mit Dana und war schnell eingeschlafen.
 
Ich wurde bei der Landung wieder wach.
„Miss Randon, wir sind da“, sprach Schwester Hastings mich an.
„Wow, bin dann doch eingeschlafen!“
„Ja, ist auch gut so. Nico wird schon ungeduldig, wir müssen ihn am Flughafen noch füttern“, erklärte sie mir.
„Ich still ihn im Taxi, was ist mit der Prinzessin?“
„Sie schläft, Sie sollten aber noch pumpen, dann kann ich im Taxi die Kleine auch füttern, ich bleib am besten mit den Kids im Hotelzimmer!“
„Okay“, sagte ich nur.
 
Als ich sie im Hotel mit den Kids gelassen hatte, fuhr ich mit einem Taxi ins Krankenhaus. Ich war so müde, aber er brauchte mich.
Bale sprang auf, als er mich sah. Rafferty lag in diesem Krankenbett. Er hatte keine Schläuche um seinen Kopf, ich wusste nicht, ob das gut, oder schlecht war.
Wortlos umarmte mich Bale fest. Ich spürte Schmerzen.
„Sorry, du bist ja auch noch verletzt!“
„Schon gut. Was sagen die Ärzte?“
„Gebrochenes Bein, drei gebrochene Rippen und nen Schleudertrauma, hätte schlimmer sein können, aber er hat ja Gott sei Dank nen neuen Wagen. Na ja, hatte er, ist alles Schrott. Er ist übermüdet gefahren, aber die Versicherung wird das bezahlen, ich kann da sehr überzeugend sein!“
„Du bist der beste große Bruder, vielen Dank!“
„Er braucht einen Wagen, das musste sein. Er kann nicht ständig hin und herfahren“, sagte er ernst.
„Ich weiß, ich wollte ihm heute Abend am Telefon sagen, dass ich sechs Monate freigestellt bin von der Arbeit und erstmal wieder hierherkomme!“
„Das hättest du nicht gleich sagen können?“, wurde er wütend.
„Ich weiß es erst seit gestern Morgen, mach mich nicht blöd an“, schimpfte ich zurück. Wir stritten ein paar Male hin und her.
„Seid brav, sonst kriegt ihr keinen Nachtisch“, hörten wir plötzlich Raffertys Stimme.
„Schatz, du bist wach!“, kam ich mit sanfter Stimme zu ihm hin.
„Hört auf zu streiten, mein Schädel brummt“, bat er.
„Sicher, wir sind ruhig. Wie geht’s dir?“
„Es tut mir so leid!“
„Nein, Süßer, mir tut es leid. Ich hätte dich nicht fahren lassen sollen“, begann ich zu weinen.
„Wir waren beide daneben, ist nicht deine Schuld. Warte, wo sind die Kinder?“, fragte er benommen.
„Bei der Schwester im Hotel. Du hast mir so einen Schrecken eingejagt!“
„Ich mir auch, mein Auto ist Schrott!“
„Mach dir darüber keine Gedanken, Bruder, ich hab das schon geklärt. Es ist ein Dienstwagen, das kommt alles wieder in Ordnung. Jetzt musst du erstmal gesund werden!“
„Du musstest wieder meinen Arsch retten!“
„Ich musste gar nichts, das ist mein Job, war alles beruflich. Mach dir keinen Kopf. Ich lass euch jetzt alleine, werde schnell wieder gesund, kleiner Bruder“, drückte er seine Hand und ließ uns allein. Ich setzte mich zu ihm. Ich fühlte mich so schuldig.
„Du bist noch nicht gesund, du hättest diese lange Reise nicht auf dich nehmen sollen!“
„Ich liebe dich, keine 10 Pferde hätten mich davon abhalten können“, lehnte ich mich über ihn und küsste ihn.
„Du trägst den Verlobungsring“, realisierte er. Ich hatte den Ring im Flugzeug angezogen, ich wollte mit ihm verlobt sein, falls irgendwas Schlimmeres passieren würde.
„Ich will dich heiraten und ich brauch nichts Besonderes um das von dir zu hören“, sagte ich nachdenklich.
„Ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch. Jetzt werde erstmal gesund, dann besprechen wir den Rest. Ich werde ne Weile hierbleiben, kann ich mit den Kindern in deine Wohnung?“
„Natürlich, Bale hat meine Schlüssel, glaub ich. Willst du schon wieder gehen?“
„Ich bleib so lang, wie du willst, oder bis die Zwillinge Hunger kriegen, ich konnte nur zwei Flaschen pumpen!“
„Bleib solang du kannst“, griff er nach meiner Hand und war bald wieder eingeschlafen. Ich ging nach draußen zu Bale. Ich war überrascht, die gesamte Band draußen anzutreffen.
 
„Wie geht’s ihm?“, fragte Madison, der gleich zu mir kam.
„Er wird es überleben. Was machst du hier, Superstar?“, umarmte ich ihn.
„Ich hab ein Konzert hier und danach mach ich etwas Urlaub. Was ist passiert?“, wollte er wissen.
„Er hatte einen Autounfall, hast du es ihnen nicht erzählt, Bale?“
„Sie sind grad erst angekommen. Andi, was machst du hier? Bist du nicht auf Tour?“
„Meine Band ist die Vorband für Madison. Ja, ich weiß, ich war derjenige, der immer gesagt hat, dass er es nicht packt, ich erkenn selbst die Ironie. Du bist also wieder da. Warum bist du eigentlich immer da, wenn David am Boden liegt?“, fragte Armagein mit seinem schnippischen irischen Dialekt in der Stimme.
„An‘, wir haben ihr vergeben, lass sie“, bat Odion. Seine roten Haare wurden langsam grau, aber er war immer noch der attraktive Rotschopf von damals.
„Danke, Od“, fiel ich ihm um den Hals.
„Immer doch, Kleines. Du siehst übrigens echt gut aus für ne ausgeweidete Mutter von Zwillingen“, musterte er mich.
„Charmant wie immer, Rotschopf“, murmelte ich verlegen.
„Wenn ich nicht so charmant gewesen wäre, hätte ich die Wahrheit gesagt“, frotzelte er.
„Ich wurde vor nicht mal einem Monat operiert, hab zwei Babys und bin seit fast 30 Stunden wach, deine Lüge ist mir lieber“, murmelte ich.
„Geh nach Hause, wir kriegen das hier hin, Süße“, bat Madison sanft.
„Ich muss leider zurück ins Hotel, die Nanny ist mit den Kindern dort. Sagt ihm, ich komm so schnell zurück, wie ich kann!“
„Machen wir. Schlaf etwas, das tut er ja auch“, bat Bale und ich ließ sie zögerlich allein.
 
Eine Woche später konnte er entlassen werden. Ich hatte Schwester Hastings heimgeschickt und kümmerte mich mit dem Bollerwagen von Prescilla um die Kinder.
„Setz dich hin, ich bring dir was zu trinken“, bat ich ihn und rollte den Bollerwagen mit den Zwillingen Richtung Küche.
„Clever, so musst du sie nicht tragen. Hast es dir ja hier gemütlich gemacht“, sah er sich um. Ich hatte ein bisschen Chaos hinterlassen.
„Tut mir leid, ich kann noch nicht so viel tun“, entschuldigte ich mich.
„Schon gut, ist ordentlicher als an manchen Tagen, an dem sich meine Nichte hier einquartiert hat. Die gesamte Band hatte sich in meinem Krankenzimmer versammelt, da muss ich mich erst mit meinem Wagen überschlagen um sie mal wieder zusammenzukriegen!“
„War schön, sie alle wiederzusehen“, redete ich vor mich hin und kam mit einem Glas Wasser und dem Bollerwagen zurück.
„Lass sie ruhig bei mir stehen. Wie lang kannst du bleiben?“, fragte er mich.
„Sechs Monate, erstmal“, sagte ich nur.
„Du kannst nen halbes Jahr bleiben?“, wunderte er sich.
„Meine Chefs bezahlen mich solang erstmal!“
„Das ist nicht lange“, sagte er traurig.
„Es ist ein Anfang. Bitte gib mir die Zeit, mir über einiges klar zu werden!“
„Ich werde alles für dich tun, das weißt du. Trägst du solang meinen Ring?“, wollte er wissen.
„Ich habe den Ring nie abgenommen, seit du ihn mir gegeben hast“, sah ich mir den Ring am Finger an.
„Ja, hab ich gemerkt. Als ich den damals gekauft habe, war ich nicht sicher, ob er dir gefallen würde“, gestand er mir.
„Ich habe mich so darüber gefreut, ich hatte dir am Anfang unserer Beziehung mal erzählt, wie wunderbar ich australische Opale finde und du hast dich erinnert. Das war das romantischte am ganzen Antrag“, erzählte ich.
„Ich hab dir den Antrag gesungen und das war das Romantischte?“, schmunzelte er.
„Ja und die Nacht danach. Ich hatte mich erst dann richtig mit dir verbunden gefühlt“, erwiderte ich.
„Wow, du konntest immer schon gut mit Worten umgehen“, streckte er mir seine Hand entgegen und ich kuschelte mich im Sitzen an ihn. Er zuckte zusammen.
„Sorry, tu ich dir weh?“
„Nein, ich dir?“
„Nein, alles gut. Lass uns einfach hier sitzenbleiben, solang die Kids schlafen!“
„Klingt gut“, murmelte ich und schloss die Augen.
 
Zu Thanksgiving waren wir beide so fit genug um alle zu einem Essen in meinem früheren Club einzuladen. Man konnte ihn für Feiern buchen und da ich die vorige Besitzerin war, konnte ich es kurzfristig und preiswert buchen.
„Danke alle fürs Kommen. Ich weiß, nach meinem abrupten Abschied war nicht alles gut zwischen uns, na ja, zwischen euch und mir, aber ich hoffe, ich kann es nach und nach wieder bei euch allen gutmachen. Ich musste einfach gehen. Wir sind alle Familie hier, ich habe ein totes Kind geboren und ich konnte nicht in der Nähe von anderen Kindern sein. Wie ich das gemacht habe, war es nicht richtig, da stimm ich euch voll und ganz zu, aber zu dem Zeitpunkt war ich auch nicht ich. Wie auch immer, auch wenn die Details nicht glasklar sind, werde ich erstmal über den Winter hierbleiben. Ja, ich weiß, das reicht euch nicht, aber das ist, was ich momentan dazu sagen kann. Ich liebe Raff … David sehr und will nicht mehr ohne ihn sein, wir werden irgendeine Lösung finden, aber das ist unsere Privatsache!“, hielt ich am Tisch eine Rede.
„Okay, wir haben jetzt eher eine „Wofür ich dankbar“-Rede von dir erwartet, aber danke für deine Ehrlichkeit. Wie du gesagt hast, wir sind alle Familie, was auch immer du planst, ihr plant, wir werden euch unterstützen!“, kommentierte Edvia meine Rede. Die anderen stimmten mit Nicken zu. Ich hatte diese Freunde nicht verdient. Ich war so dankbar für sie alle, aber das laut zu sagen, war wohl dann doch zu kitschig gewesen.
 
Sechs Monate gingen viel zu schnell vorbei und ich musste mich entscheiden.
Um alles einfacher für mich zu machen, flog Rafferty zu dem Zeitpunkt mit. Wir hatten eine Woche, in dem Zeitraum musste ich alles in New York regeln.
Den Zwillingen ging es wunderbar und sie machten sich toll, was uns sehr freute. Dana war schon ein neugieriger Dickkopf wie ich, Nico war eher der ruhige Typ wie sein Vater. Ich konnte es kaum erwarten, wie sie sich weiterentwickelten. Ich konnte wieder mehr tragen und auch Rafferty war wieder fit, also trugen wir unsere Kinder je einen Zwilling an der Brust. Es war schon dunkel, als wir bei meiner Wohnung ankamen. Es brannte Licht.
„Hast du Licht angelassen?“
„Eigentlich nicht, aber ich bin damals etwas übermüdet und eilig weg“, erwiderte ich und ging zur Tür. Durchs Fenster sah ich jemanden in meiner Wohnung.
„Da ist jemand in meiner Wohnung“, flüsterte ich.
„Bleib hier mit den Kids, ich geh rein“, schnallte er mir Nico auf den Rücken.
„Du willst doch nicht wirklich allein da rein!“
„Die Tür ist nicht aufgebrochen, hat jemand aus deiner Familie einen Schlüssel?“
„Meine Mutter, aber nur für den Notfall. Lass uns reingehen“, ging ich voran durch die Tür.
„Bar‘“, zischte er mir entgegen, aber ich war schon drinnen. Meine kleine Schwester saß auf meinem Sofa vor dem Fernseher und erschreckte sich, als sie mich mit meinen zwei Kindern im Schlepptau sah.
„Barbra, was machst du hier? Solltest du nicht in Memphis sein?“, stotterte sie.
„Ich wohn immer noch hier. Stellt sich die Frage, warum du hier bist?“
„Ähm, witzige Geschichte“, stotterte sie.
„Hast du deinen Mann verlassen?“
„Ist wohl doch nicht so eine witzige Geschichte!“
„Ah okay, soweit so gut, aber warum bist du in New York?“
„Ich war während des Wirbelsturms Dorian hier und bin na ja … irgendwie geblieben!“
„Dorian war vor Monaten!“
„Ja, ich weiß und es tut mir leid!“
„Schon gut, ich war ja nicht hier. Jetzt bin ich es aber, sorry!“
„Sicher, ich pack mein Kind und bin weg“, sagte sie peinlich berührt.
„Wenn du auf dem Sofa schlafen kannst, kannst du bleiben. Ich hab eine Luftmatratze, da kann dein Kind drauf schlafen“, erklärte ich ihr.
„Ich schlaf auf dem Sofa, kein Problem, schlaft ihr im Bett, wir sind ja nur eine Woche hier. Ich bring die Kiddies ins Bett, redet ihr“, bemerkte Rafferty freundlich.
„Ich hol nur kurz mein Kind da raus, sorry“, huschte Daphne ins Kinderzimmer und brachte ihr Kind ins Schlafzimmer, wo es weiterschlief.
 
„Okay, rede“, bat ich Daphne ernst.
„Wir hatten einen furchtbaren Streit über Telefon, dass ich nach Memphis zurückmöchte, er meinte, wenn ich gehen möchte, sollte ich gehen. Dann kam Dorian und ich wollte in New York überlegen, wie es weitergehen sollte. Weiter bin ich mit meinen Gedanken nicht gekommen. Er kommt nächsten Monat zurück und dann wollen wir reden, aber ich will immer noch nach Memphis zurück, weiß aber nicht wie!“
„Es ist mutig, das zu tun, ich bin auch grad dabei permanent wieder nach Memphis zu ziehen. Ich kenn Leute, ich kann dir helfen, wenn du dich entschieden hast“, sagte ich sanft und legte meine Hand auf ihre.
„Danke, aber ich bin nicht so mutig wie du!“
„Hey, ich hab jetzt sechs Monate gebraucht um mich zu entscheiden. Ich geb meinen Traumjob auf um zurückzugehen, das war verdammt hart“, munterte ich sie auf.
„Du hast einen Mann, den du liebst dort und eine Familie, ich hätte niemanden!“
„Du hast mich und meine Familie, leibliche und nicht leibliche, die werden dich mit offenen Armen empfangen, glaub mir!“
„Wirklich?“
„Ja, wirklich!“
„Ich werde dich bezahlen für die Kosten hier, versprochen!“
„Ja, wenn du kannst, keine Sorge. Ich werde die Wohnung bei Airbnb einstellen, du wirst natürlich einen Familienrabatt bekommen, wenn du hier wohnen willst!“
„Das ist deine Wohnung?“
„Ja, ist nen Investment. Ich werde dich nicht gleich rausschmeißen, keine Sorge, aber wenn ich bald arbeitslos bin, brauch ich etwas Einkommen!“
„Sicher. Ich hätte es dir sagen sollen, sorry“, entschuldigte sie sich.
„Ja, hättest du, ich hab die Wohnung in den letzten Monaten nicht gebraucht, ich hätte sie dir gegeben!“
„Ich war beschämt!“
„Du weißt doch, was ich gemacht habe, Scham ist mein zweiter Vorname!“
„Dir wurde aber vergeben!“
„Vergebung ist nen großes Wort, tolerieren ist eher der Fall!“
„Sie lieben dich, Andy muss sich nur noch dran gewöhnen, aber das wird er!“, kam Rafferty zurück.
„Sag ihm das, er schaut mich immer an, als hätte ich seinen Erstgeborenen geopfert“, murmelte ich.
„So ist er halt, ich red mal mit ihm, wenn wir wieder zu Hause sind. Die Zwillinge waren so müde, sie sind gleich eingeschlafen. Ich werde was kochen, was haben wir da?“, fragte er.
„Nicht viel, wollte heute einkaufen“, erklärte Daphne.
„Dann geh ich einkaufen, könnt mir ja nen Text schicken, wenn ihr noch was braucht!“

Siebzehntes Kapitel

 
Mein schickes Kleid zwickte überall. Ich hatte wohl in den letzten Monaten die Südstaaten-Küche etwas zu sehr genossen.
„Miss Randon“, bat die Assistentin meines Chefs und ich sprang auf.
„Kommen Sie mit“, bat sie und ich folgte ihr.
 
Im Besprechungsraum waren alle drei Chefs versammelt.
„Setzen Sie sich hin, bitte“, bat einer der Chefs. Ich war normalerweise nicht gut bei solchen Sachen. Nervös setzte ich mich hin.
„Wir wollen Ihnen noch mal offiziell zu Ihren Zwillingen gratulieren, haben Sie unser Geschenk bekommen?“
„Ja, danke Sir, die Rocker-Strampler waren schon in Gebrauch“, sagte ich kurz.
„Gut, gut. Also, wir wollen Sie nicht lang von Ihren Kindern fernhalten. Wir hatten ja vor sechs Monaten besprochen, dass Sie sich freistellen können, aber diese Zeit ist nun vorüber“, begann er.
„Ja, das weiß ich. Leider habe ich mich inzwischen entschieden nach Memphis zurückzuziehen“, erklärte ich nervös.
„Das kommt uns sehr gelegen“, erwiderte ein anderer Chef.
„Entschuldigung? War meine Arbeit hier nicht gut?“, wunderte ich mich.
„Ganz im Gegenteil. Wir wollen den Rolling Stone um eine Schwesterzeitschrift erweitern und diese in Memphis aufbauen. Wir bräuchten dort eine Chefredakteurin und wir wollen Sie dafür“, erklärte einer der Chefs.
„Sie wollen mich als Chefredakteurin?“
„Ja, es ist nicht New York und ein wenig müssen Sie während des Aufbaus des Magazins mit einer leichten Reduktion ihres Gehalts rechnen, aber dafür sind Sie sehr frei dabei. Wir wissen, dass Sie sich mit den lokalen Clubs und Bands auskennen und dies spielt uns in die Karten. Wir wollen einen Fuß in die Tür bekommen und das hoffen wir durch Sie zu schaffen“, erläuterten sie weiter.
„Meinen Sie das ernst?“
„Ja, das meinen wir ernst. Sie haben jetzt Kinder, würden Sie das schaffen? Wir hätten am Anfang etwas mehr zu tun, dann wäre die Arbeit mit Kindern zu vereinbaren!“
„Ich müsste das mit meinem Lebensgefährten besprechen, aber das klingt sehr gut. Ich gebe Ihnen bis Morgenmittag Bescheid“, bemerkte ich versprechend.
„Sicher, wir würden uns sehr freuen, wenn Sie dabei wären. Wir brauchen eine junge, musikbegeisterte Chefin wie Sie dort“, ermunterten sie mich.
„Ich werde mir sehr große Gedanken darüber machen, Sir, vielen Dank“, lächelte ich ihn an und ich konnte gehen.
 
„Wow, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, konterte Rafferty, als ich ihm in einem Café sitzend von meiner beruflichen Veränderung erzählte.
„Ich wollte mit dir darüber reden, das wird dich auch betreffen. Wir werden dann beide Chefs sein und das mit zwei Kindern, das wird nicht einfach!“
„Du musst das machen, mit so vielen Tanten und Onkeln in der Stadt kriegen wir das irgendwie hin. Ich bin so stolz auf dich“, bemerkte er.
„Danke, ich war echt überrascht. Also ich werde ihnen dann morgen zusagen?“
„Ja, natürlich, dass musst du machen, so eine Chance kriegst du nie wieder!“
„Dann machen wir das. Die ersten Monate werden hart werden“, warf ich aber ein.
„Das schaffen wir. Gib mir mal den Ring“, bat er und ich gab ihr den Verlobungsring.
„Willst du mir jetzt den Antrag machen?“, schmunzelte ich.
„Bitte lass mich das machen“, bat er. Überraschenderweise steckte er den Ring in die Tasche und zog einen anderen Ring heraus.
Du hast mir einen neuen Ring gekauft?“, fragte ich und er ging vor mir auf die Knie.
„Sei einfach still“, bat er und streckte mir den Ring hin. Es war ein anderer Opal-Ring, aber diesmal mit einem Diamanten dabei.
„Bara Randon, willst du jetzt endlich meine Frau werden?“, fragte er spielerisch.
„Scheiße, ja“, sagte ich cool und gerührt und steckte den Ring an. Der passte richtig, der andere war zu eng geworden.
 
5 Wochen später
 
Wir wollten eine kleine Hochzeit, deswegen heirateten wir ziemlich schnell.
„Die Babys schlafen, bereit?“, fragte Priscilla, als sie mich zum Altar führen wollte. Wir standen im im Nebenraum des Saals, in dem ich Rafferty heirate.
„Ich dachte, ich wäre nervös, aber ich war nie ruhiger in meinem Leben“, erklärte ich ihr.
„Das ist wunderbar, das heißt, du bist dir ganz sicher. Du siehst wunderschön aus“, erwiderte sie lächelnd.
„Du hast mir ein wunderschönes Kleid ausgesucht in so einer kurzen Zeit“, bedankte ich mich. Priscilla war und wird immer meine Wonder Woman sein, sie hatte mir einen Haufen Arbeit für die Hochzeit abgenommen.
„Ja, find ich auch, obwohl mich schon drei Leute gefragt haben, ob du wieder schwanger bist“, schmunzelte sie.
„Was?“
„Hey, du hast vor sieben Monaten Zwillinge bekommen, ich hab sie in die Schranken gewiesen. Du siehst wunderschön aus, das macht nur der Empire-Stil, der war aber perfekt zum Stillen. Die Jungs sehen übrigens alle klasse aus, vor allem dein Süßer. Die Jungs haben nachher noch eine Überraschung für uns alle, bin mal gespannt, was es ist. Du siehst aus wie eine griechische Göttin, darf ich bitten?“, bat sie und ich hakte mich bei ihr unter.
„Das war lang überfällig“, sagte ich nur und ging mit ihr in die Haupthalle. Da wir nicht wussten, ob wir jüdisch oder katholisch heiraten wollten, entschieden wir uns, nur standesamtlich zu heiraten. Eigentlich wollte Bale die Zeremonie durchführen, aber ich wollte es schon standesamtlich mit einem Standesbeamten, was alles verstanden. Auf dem halben Weg übergab Priscilla mich an Bale. Er lächelte mich an und brachte mich bis zu Rafferty.
„Hallo, mein Schöner“, begrüßte ich ihn.
„Selber hey“, grinste er.
 
„…als wir uns getrennt haben, habe ich nicht gedacht, dass ich heute hier neben dir stehen würde. Ich war wütend auf dich, wütend auf die Welt, dass unsere Wege sich getrennt haben. Ich wollte weitermachen, aber mein Herz war die ganze Zeit bei dir. Als du dann plötzlich wieder vor mir standst, hatte ich schon aufgehört zu hoffen. Doch es wurde Wirklichkeit. Wenn andere Männer davon erzählen, dass eine Frau sie gezähmt hat und sie zwingt, dies und dass in ihrem Leben zu ändern, hab ich sie vor meiner Zeit nicht beneidet, denn sie verloren ein Teil von sich. Aber ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass diese Frau, Mutter meiner Kinder, mich gerettet hat. Ich war ein Möchtegern-Sänger mit falscher Einstellung und viel zu vielen Sucht-Problemen, als wir uns kennenlernten. Damals war ich noch ein halbes Kind und wusste es alles besser, zumindest dachte ich das. Ich hätte keine Stimme mehr, wenn sie mir nicht geholfen hätte, mit dem Rauchen aufzuhören. Das ist nur ein Beispiel, ich will jetzt nicht alle wunderbaren Sachen aufzählen, die sie für mich getan hat. Nur so viel, Bara, mein Schatz, du weißt gar nicht, wie toll du bist, diese Frau hier hat eine Hochzeit nur in wenigen Wochen vorbereitet, während sie sechs Monate alte Zwillinge aufzieht und hilft eine Zeitschrift mit aufzubauen. Du bist Supergirl und Kara Danvers in einem und ich könnte nicht stolzer auf dich sein“, beendete er seine Rede.
„Das war so … kitschig und gleichzeitig die beste Rede, die ich jemals gehört habe. Meine Rede wird dagegen abstinken, also okay, hier kommt sie, hoffe, ich halte sie durch, ohne zu heulen. David, als ich dich kennenlernte nanntest du dich Rafferty und ich kann nicht aufhören, dich so zu nennen, auch wenn das dieser junge Sänger mit schlechten Manieren und mit Kotze befleckten Ozzy Osbourne T-Shirt war, dieser Kerl ist es, warum wir heute hier stehen. Du bist ein cooler Rockstar und Super-Dad in einer Person und genau das liebe ich an dir. Du bist rotzfrech, großzügig, ein treuer Freund und toller Bruder. Du singst unsere Kinder mit “Sweet Child of mine“ in den Schlaf, was so großartig ist, dass ich das gar nicht in Worte fassen kann, ja, ich höre dich, auch wenn du nicht mehr singen willst. Du hättest jedes Recht gehabt mich zu verfluchen, als ich dir viel zu spät erzählt habe, dass ich mit Zwillingen schwanger bin, aber du bist noch in der Nacht 15 Stunden mit dem Auto zu mir gefahren und bist nie wieder gegangen. Ich hätte die letzten Monate ohne dich nicht überstanden und ich hoffe, ich werde niemals mehr von dir getrennt sein!“
„Das war aber auch kitschig, meine Süße“, schmunzelte er und der Standesbeamte verheiratete uns.
 
„Okay, Leute, für heute Nacht und nur für heute Nacht wird More Beat wieder in Originalbesetzung auftreten. Na ja, minus eines Mitgliedes, wir vermissen dich heute ganz besonders, Efran, ich hoffe, du siehst uns von oben zu. Unser Freund Emmett ist so freundlich, uns an den Drums zu begleiten, er ist nen Anfänger, also seid nett zu ihm“, kündigte zu meiner Überraschung Rafferty später am Abend die Band an.
Sie spielten ein paar Songs und ich war so glücklich, ihn wieder richtig singen zu sehen. Hoffentlich würde ihn das inspirieren, wieder mehr zu singen.
 
Nach der Hochzeit kam Daphne zu mir. Sie war allein, Priscilla und Edvia hatten alle Kinder zu Priscilla heimgebracht, wo sie für die Hochzeit alle Kinder verstaut hatten.
„Hey, Kleines, wir hatten heute irgendwie keine Zeit zu reden. Gut siehst du aus“, begrüßte ich sie freundlich.
„Ja, danke, dass wir als Brautjungfern tragen durften, was wir wollten“, schmunzelte sie.
„Ich hatte nur fünf Wochen zu planen, das ist eher der Tatsache geschuldet, dass ich nicht so viele passende Brautjungfernkleider in so einer kurzen Zeit auftreiben konnte!“
„Danke, trotzdem. Ich hab heute Morgen zusammen mit einem Anwalt Scheidungspapiere aufgesetzt, scheint, ich werde jetzt alleine sein“, erklärte sie mir.
„Tut mir leid, dass du so traurig bist an meinem Hochzeitstag, aber du bist jetzt hier, hier wirst du niemals einsam sein“, versicherte ich und führte sie von hinten an den Schultern durch die Menge meiner Freunde, die sich gut gelaunt amüsierten.
 
„Hey, Barbra, coole Party, Barbra“, kam Tai zu mir grinsend.
„Das du jetzt meinen Geburtsnamen kennst, wirst du mich niemals vergessen lassen,
oder?“, fragte ich murrend.
„Oh ganz sicher nicht, Freundin, zumindest wusstest du heute, was du zu unterschreiben hast“, frotzelte sie.
„Oh ja, stimmt, das war das zweite Mal, das ich sowas vorgesetzt bekommen habe. Du bist ja damals für mich eingesprungen. Andi ist ja mein Ex-Verlobter, das erklärt vielleicht, warum er so sauer auf mich ist“, konterte ich nur.
„Er ist halt nen Sturkopf, der kriegt sich schon wieder ein, ich red mit ihm. Noch ne Frage …“, begann sie.
„Ja, wie Barbra Streisand, meine Mutter ist ein großer Fan. Ich sollte meinen Namen beim Standesamt wohl auch mal ändern lassen“, erwiderte ich.
„Ich find Barbra cool, die ist genauso cool wie du“, klopfte sie mir auf die Schulter und ging weiter.
 
Nach einer wunderschönen Hochzeitsnacht, die wir ohne Kinder verbringen konnten, frühstückten wir mit Bale und Edyn in einem Café und genossen die Zeit zu zweit, bis wir unsere Kinder wiederhatten.
Nach dem Essen wollten Rafferty und Bale was Geschäftliches besprechen und Edyn und ich gingen in einen nahliegenden Park.
„Wir müssen mal reden wie zwei Erwachsene“, begann ich.
„Na endlich, ich hab gedacht, du würdest mich weiterhin wie das Kind behandeln, das du damals verlassen hast ohne dich zu verabschieden“, erwiderte sie.
„Ja, das hab ich verdient, setz dich, ich erzähl dir die ganze Geschichte“, bat ich sie auf einer Bank Platz zu nehmen und setzte mich dann neben sie.
Ich erzählte ihr alles, von meinen Ängsten, Gefühlen, also allem, was mich bewegt hatte, zu gehen. Nach meiner Erzählung umarmte sie mich.
„Ich hätte es damals vermutlich nicht verstanden, aber jetzt versteh ich es. Ich bin so froh, dass du endlich meine Tante bist“, sagte sie versöhnlich.
„Ja, ich kann es auch kaum erwarten, wie du meinen Kindern alles beibringst, was es als Teenager zu wissen gibt!
„Ich glaub nicht, dass ich da die richtige Ansprechpartnerin bin, ich bin laut meines Vaters eine Komplettversagerin!“
„Bist du schwanger?“
„Nein!“
„Nimmst du Drogen?“
„Nein, obwohl ich es könnte, ich leb in Kalifornien!“
„Dann bist du keine Komplettversagerin, ich war damals schlimmer, war aber auf dem College und hab Karriere gemacht. Genieß deine Jugend, dein Dad will nur das Beste für dich, mein Dad war nicht mal bei meiner Hochzeit dabei, ich bin ziemlich sicher, dass Bale mit seinem Kopf unter dem Arm zu deiner Hochzeit kommen würde, wenn er keine andere Möglichkeit hätte!“
„Ja, das würde er wirklich!“
„Geb ihm mal ne Umarmung, wenn wir zurückgehen, er ist ein ziemlich einsamer Kerl, er braucht das ab und zu mal!“
„Ja, das ist er, wir sollten ihm ne Freundin besorgen. Eine von deinen Kolleginnen, die passen würde?“
„Du meinst meine Angestellten? Ich kann ihn ja mal zur offiziellen Büroeröffnung in zwei Wochen einladen, mal schauen, was da passiert. Was ist eigentlich mit Cousin Tanner? Er ist ein junger, hübscher Kerl, jetzt, wo man weiß, was er hat, findet sich doch sicher ne Frau für ihn, die nicht denkt, dass er nen bisschen dämlich ist. Ich hab übrigens ne Weile nicht mehr gesehen, Raff war schon ziemlich traurig, dass er nicht zur Hochzeit gekommen ist“, fragte ich nach.
„Er ist grad ein bisschen auf nem Selbstfindungstrip auf Bali, hat dir da Rafferty nicht erzählt?“
„Nein, aber ich hab grade mit Zwillingen auf dem Arm ne Hochzeit geplant, während ich nen Büro einrichte, kann auch sein, dass er es mir erzählt hat und ich es nicht mehr weiß. Du nennst ihn auch Rafferty?“
„Ja, der Name David ist so langweilig, wie du gestern gesagt hast, Rafferty ist der Rockstar, David nur der Geschäftsführer eines Haarsalons“, schmunzelte sie.
„Hey, dieser Geschäftsführer eines Haarsalons bringt das Geld nach Hause, um Zwillinge zu versorgen, also ist er Rafferty im Bett und David in der Öffentlichkeit, wenn du verstehst, was ich meine!“
„Ähm, ja, ich war in der Nacht im Zimmer neben euch, als die Zwillinge entstanden sind, schon vergessen?“
„Oh ja, das hatte ich verdrängt, wir haben nicht gewusst, dass du da bist, das kann ich nicht genug wiederholen!“
„Ja, ich weiß, aber ich bin ja schuld, ich hätte was sagen sollen. Solchen Mist mach ich jetzt nicht mehr, meine Mutter hat mir damals vielleicht die Leviten gelesen, das hatte ich auch verdient“, schien Edyn so viel erwachsener.
„Du wirst wohl langsam erwachsen, schön zu hören. Warte, Tan ist auf Bali, aus diesem Grund verpasst er die Hochzeit seines Cousins?“
„Scheint so, ich will mich da nicht einmischen!“
„Musst du nicht. Ich red mal mit beiden. Hat dir die Feier gestern gefallen?“
„Ja, sehr, wenn ich mal heirate möchte ich auch eine kleine Feier wie ihr sie hattet!“
„Das ist schön, ich glaub nicht, dass deine Eltern sich auch eine Prinzessin Di-Hochzeit leisten könnten!“
„Wer?“, fragte sie mich.
„Richtig, du bist jung, Meghan Markle“, ergänzte ich.
„Keine Sorge, meine Hochzeit wird mal nicht so traditionell werden“, sagte sie mysteriös.
„Du meinst mit nicht traditionell, nicht altmodisch?“, fragte ich.
„Du bist im Musikbusiness, eher Melissa Etheridge als Prinz Harry“, outete sie sich vor mir.
„Danke, dass du mir so sehr vertraust“, bedankte ich mich.
„Es ist das 21. Jahrhundert, jeder weiß es, Tante Bara“, sagte sie cool.
„Oh, okay, cool“, wusste ich nicht, was ich sagen sollte.
„Du bist ganz schön verklemmt für ein ehemaliges Groupie“, frotzelte sie.
„Ich bin nicht verklemmt, hat mich nur überrascht. Ich bin doch froh, dass du dich deiner Sexualität so sicher bist!“
„Du klingst wie meine Mutter“, stöhnte sie und ging von dannen.
 
An diesem wunderschönen Frühlingsmittag lief ich mit meinem Ehemann und meinen Kindern im Kinderwagen durch die Innenstadt von Memphis. Es war irgendwie surreal, wie noch ein Jahr zuvor ich schwanger und allein in New York nicht wusste, wo mein Leben mich hinführen sollte.
„Kann ich mit dir über was reden?“, fragte Rafferty mich plötzlich.
„Sicher, du kannst mit mir über alles reden!“
„Ich würde Joey gern einen anständigen Grabstein mit ihrem Namen besorgen, ist das in Ordnung für dich?“
„Sicher, dass wäre schön“, sagte ich nur.
„Das ist schön, ich hatte befürchtet, du willst das nicht!“
„Nein, ist ne schöne Idee, wir können uns zu Hause ja mal informieren. Was hast du mit Bale besprochen, wenn ich fragen darf?“
„Ich will ihn zum Partner machen, er hat in den letzten Monaten so gut geholfen, er hat gezeigt, dass er es kann und wenn er mich damals nicht ausgebildet hätte, hätte ich jetzt nichts, auf was ich zurückgreifen könnte“, erzählte er mir.
„Ja, das hat er verdient, er ist der Beste. Ich werde ihm übrigens ne Frau finden!“
„Ach, wirst du? Das will ich sehen!“
„Hey, er ist ein attraktiver, familiärer Kerl, jede Frau würde sich glücklich schätzen, ihn abzubekommen!“
„Das stimmt, aber er ist schon so lang allein, dass ich nicht weiß, ob er es noch kann!“
„Dann werden wir ihn verkuppeln, ich lad ihn zur Büroeröffnung ein und schau mal, was danach kommt. Ich hoffe nur, das wird nicht kompliziert, wenn wir privates mit geschäftlichem vermischen!“
„Deine Schwester arbeitet in deinem Büro, also hast du die Grenze schon überschritten“, erwähnte er.
„Ja, richtig. Was ist mit meiner Schwester und deinem Bruder?“
„Die beiden trennen fast 20 Jahre!“
„Ja, stimmt, das wäre vielleicht komisch und es ist vielleicht nicht so ratsam, ihn mit einer frischgetrennten Frau zu verkuppeln. Wir finden schon jemanden für beide. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir jetzt verheiratet sind“, erwiderte ich, zog seine Hand hoch, die in meiner lag und küsste sie.
„Ja, das ging jetzt so schnell und gleichzeitig ist es sieben Jahre her, das ich dich das erste Mal gefragt habe“, küsste er mich auf den Mund.
„Ja, wir haben sieben Jahre unseres Lebens verpasst, aber wir haben den Rest unseres Lebens vor uns“, umarmte er mich. Ich war einfach nur glücklich.
 
Zwei Wochen später war die große Büroeröffnung und da Abba babysittete konnte auch Rafferty dabei sein. Er sah so heiß aus in seinem Anzug.
„Danke, dass ich meine Karten hier auslegen konnte heute“, bedankte er sich, als wir zusammen die Runde machten.
„Hey, neue Kundschaft kommt mir auch zu Gute. Meine Bosse sind echt beeindruckt, dass ich MAD als Unterhaltung bekommen habe, ich sollte ihnen mal sagen, dass ich ihn persönlich kenne. Oder auch nicht“, schmunzelte ich.
„Ach, der ist doch gern gekommen, er nutzt jede Möglichkeit, Abba wiederzusehen“, konterte er.
„Ja, bin mal gespannt, ob sie sich zusammenreißen und Nägel mit Köpfen machen. Ist ja nicht so, als würde seine Karriere ein Leben lang halten“, erwiderte er.
„Wow, das hab ich gehört. Ich wollte dich fragen, ob du nen Duett heute Abend machen willst, aber anscheinend hältst du ja nichts von meinem Erfolg“, erwiderte Madison, der hinter uns stand.
„Es tut mir leid, Madison, lass uns mal reden“, zog er ihn weg.
 
„Wo gehen die hin?“, kam Daphne auf mich zu.
„Keine Sorge, sie reden nur, kein Stress. Ich bin doch diejenige, die das hier veranstaltet, du musst mir nur assistieren!“
„Du hast keine Ahnung was ich in den letzten Wochen alles gemacht habe, oder?“
„Ja, ich weiß es und ich hab keine Zweifel mehr, dass du die richtige Assistentin für mich bist. Ganz ruhig, trink ein Glas Champagner, ich regle den Rest!“
„Bist du sicher?“
„Ja, genieß den Abend!“
„Mach ich. Danke für dein Vertrauen!“
„Du bist meine Schwester, ich werde dir immer vertrauen“, umarmte ich sie und sie ging durch die Menge.
 
10 Minuten vor dem Auftritt waren die Männer immer noch nicht zurück. Ich ging zum Hinterausgang heraus, um sie zu suchen. Ich fand sie auf dem Parkplatz beim Proben.
„10 Minuten, Madison, du machst mich ein bisschen nervös, wenn du plötzlich abhaust“, bemerkte ich, als ich bei Ihnen ankam.
„Sorry, Süße, wir haben beim Proben ein bisschen die Zeit vergessen. Wir wollen einen Song zusammensingen, ich hoffe, das ist in Ordnung für dich!“
„Natürlich, du willst was improvisieren!“
„Ich hab während meiner Sauf-Zeiten oft improvisiert, wenn ich den Text nicht mehr wusste, aber der Song ist einer meiner Lieblingssongs, den weiß ich auswendig. Wir kommen gleich, du kannst MAD schon ankündigen!“
„Okay, kommt aber gleich rein, meine Bosse sind da drin, das muss richtig laufen“, bat ich beunruhigt.
„Wir werden da sein“, versicherte er und ich ging kopfschüttelnd wieder rein.
 
Am Ende des Auftritts von MAD kam Rafferty für den Song auf die Bühne. Er sang “Walk this way“ mit Madison und sie waren echt genial. Während er sang, erinnerte ich mich an die Auftritte von Rafferty von damals. Er war wieder so locker drauf und strahlte, als er auf der Bühne stand. Meine Träume gingen endlich in Erfüllung und ich hoffte, dass es mein ganzes Leben so blieb.

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Tag der Veröffentlichung: 22.11.2020

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