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Erstes Kapitel



Peta Haskie saß weinend in ihrem Brautkleid in einer offenen Dusche in dem Fitnessstudio, in das sie regelmäßig ging. Das Wasser vermischte sich mit dem Blut, was aus ihrem Kleid tropfte.
 
„Ich hab sie“, hörte sie die Stimme ihrer großen Schwester Fala und das Wasser wurde abgestellt.
„Hörst du mich, kleiner Adler?“, fragte Fala und kniete sich zu ihr hin. Peta, oder „Kleiner Adler“, wie sie ihre Familie, nannte starrte gegen die Wand. Sanft wischte Fala ihr das Blut aus dem Gesicht.
„Sie redet nicht, Mom“, erklärte Fala ihrer Mutter, die ihr gefolgt war.
„Du bist wie immer so gut im Zeichen lesen“, erwiderte ihre Mutter sarkastisch.
„Sarkasmus, wirklich? Kannst du das für nen Moment einstellen?“, nörgelte Fala ihre Mutter an.
„Lasst sie uns erstmal aus dem Kleid rausholen, gib mir den Bademantel“, bat Insula und streifte ihrer 31-jährigen Tochter das Kleid vom Körper, nachdem sie sie auf die Beine gezogen hatte, zog ihr den Bademantel und Stoffpuschen an und führte sie durch die Waschräume zum Ausgang.
„Alles in Ordnung bei Ihnen, Ms. Haskie?“, kam einer der Angestellten des schicken Fitnessstudios auf die drei Frauen zu.
„Sie steht unter Schock, verzeihen Sie die Störung Ihres Establishments“, bemerkte Insula höflich.
„Schon in Ordnung, es passiert nur nicht jeden Tag, dass einer unserer Elite-Mitglieder in einem blutverschmierten Kleid durch unsere Hallen wandert“, verstand das der Angestellte.
„War nen langer Tag für sie, sie sollten die Duschkabinen gründlich reinigen“, ging Fala mit dem nassen und blutigen Brautkleid in einer Tüte über ihre Schulter geworfen an ihnen vorbei.
 
„Wir sollten sie zu einem Arzt bringen“, schlussfolgerte Fala, als ihre große Schwester in einem Bademantel und mit nassen Haaren ihr gegenüber in der Limousine saß.
„Sie sollte erstmal zur Ruhe kommen, ich geb ihr erstmal ne Valium von mir und wir lassen sie in meinem Hotelzimmer schlafen“, plante Insula.
„Sie mit Valium vollpumpen? Das ist deine Lösung als Tochter des größten Medizinmannes, der je gelebt hat?“, fragte Fala gereizt.
„Halt die Klappe“, hörten sie plötzlich die tiefe Stimme von Peta.
„Kleiner Adler, du redest ja wieder, das ist schön“, bemerkte Fala und legte ihre Hände auf die Beine ihrer Schwester. Peta zuckte zusammen.
„Okay, eine Valium für diese Nacht, aber wir werden sie nicht länger unter Drogen setzen“, gab Fala nach.
 
Als sie in ihr Hotel kamen, stand schon ein Polizeibeamter in der Lobby.
„Sir, meine Tochter kann jetzt keine Fragen beantworten, sie steht unter Schock“, ging Insula selbstbewusst auf den Beamten zu.
„Ich verstehe, wir bräuchten nur das Brautkleid, das ist ein Beweismittel“, forderte der Polizist.
„Hier, ist ziemlich nass geworden“, setzte Fala das blutverschmierte Kleid dreist auf den Lobby-Tresen, was den Concierge die Nase rümpfen ließ.
„Ganz locker, Meister, der Sack ist zugeklebt“, konterte Fala vulgär.
„Fala, wir gehören jetzt zu den oberen zehntausend, nicht so obszön“, raunzte Insula.
„Mom, dein Mann ist tot, ihr Mann ist jetzt auch tot und ich bin Single, wir sind wieder die drei Mädels aus der Wohnwagensiedlung“, erwiderte Fala und streckte dem Beamten die Hände hin, dass er ihr die Fingerabdrücke scannen konnte.
„Was soll das?“, wunderte sich der Beamte.
„Ich bin vorbestraft, schlechte Angewohnheit, wir wissen ja alle wer der Täter ist, oder?“
„Ja, ganz eindeutig. Hier, meine Nummer, rufen Sie mich an, sobald sie soweit ist“, bat der Beamte und verließ die Lobby wieder.
„Man, Fala, du musst hier nicht allen erzählen, woher wir herkommen“, motzte Insula.
„Ich bin stolz auf unsere Wurzeln, du hast das ja ganz vergessen. Ich bring sie hoch, ich werde neben ihr schlafen, geh du einfach in dein Bett, ich regle das schon, wie ich es früher schon gemacht habe“, murrte Fala und zog ihre benommene kleine Schwester zum Fahrstuhl.
 
„Kleiner Adler, bitte iss was“, bat Fala. Sie saß schon über eine halbe Stunde ihrer Schwester im Schneidersitz gegenüber. Peta hatte ihre Beine angewinkelt und starrte nur aus dem Fenster.
„Hab keinen Hunger“, sagte Peta komplett regungslos.
„Ja, das seh ich, aber du hast jetzt fast eine Woche gehungert um in das Kleid zu passen, du musst was essen“, bat Fala liebevoll. Die 35-jährige Navajo-Indianerin war schon immer wie eine Mutter für ihre kleine Schwester gewesen. Ihre Mutter war jetzt ein angesehenes Mitglied der Schicki-Micki-Gesellschaft von Los Angeles, als sie aber Kinder gewesen waren, war Insula ein Junkie, die gar nichts zustande gebracht hatte. Jetzt war Insula die Witwe eines Investmentbankers und steinreich, geändert hatte sich aber ihrem Verhalten gegenüber ihrer Töchter wenig. Sie hielt sich nur nun für was Besseres und weigerte sich über ihre Vergangenheit zu sprechen.
Peta öffnete den Mund und Fala nutzte die Chance, ihr eine Gabel Ei in den Mund zu schieben.
„Das ist kalt“, sah sie ihre Schwester das erste Mal seit einer Weile an.
„Ja, du Scherzkeks, ich versuch dir das auch schon seit einer halben Stunde einzutrichtern. Ich kann was Neues bestellen“, schlug sie vor.
„Nein, ich ess es“, nahm sie den Teller in die Hände und schlang die kalten Rühreier herunter.
 
„Clever, jetzt wo sie die Munchies hat, flößt du ihr Essen ein. Wie geht’s ihr?“, fragte Insula, als sie zu ihren Töchtern kam und zusah, wie ihre Jüngste sich über das Essen hermachte.
„Klasse, wir haben grad ausgemacht heute Nacht in den Viper-Room zu gehen“, bemerkte Fala nur.
„Wirklich?“, freute sich Insula.
„Nein, nicht wirklich, es ist keine 12 Stunden her, dass ihr Verlobter vor ihren Augen vor dem Altar erschossen wurde, das wird verdammt lang dauern, bis sie sich davon erholt. Wir werden sie aber nicht länger mit Valium zu dröhnen, du weißt wie sie zu moderner Medizin steht“, bat Fala.
„Ja, ich finde es immer noch lächerlich, dass sie nach den alten Rieten und Gebräuchen lebt“, erwiderte Insula.
„Sie lebt gesünder als wir beide zusammen, ich find gut, was sie macht. Haben sich seine Eltern übrigens gemeldet?“
„Graf und Gräfin Frankenstein? Nein, sie sind ja immer noch auf der Yacht. Vielleicht wissen sie es noch gar nicht, möglicherweise stört sie sein Tod auch wenig, ihr Verhältnis war ja nicht so eng. Was machen wir jetzt mit ihr? Sie muss sich irgendwo davon erholen, zu ihnen nach Hause kann sie ja kaum“, plante Fala.
„Nimm sie doch zu dir!“
„Klar, ich arbeite sechzig Stunden die Woche, ich könnte ihr nicht beistehen, ich sollte eigentlich schon bei der Arbeit sein“, bemerkte Fala.
„Dann geh, hält dich niemand auf!“
 
„Witzig, das gleiche wollte ich grade zu dir sagen. Wenn du gehen willst, geh“, raunzte Fala.
„Am besten geht ihr beide, ich komm hier allein klar“, stand Peta plötzlich neben der streitenden Mutter und Tochter.
„Nein, kleiner Adler, wir lassen dich nicht allein“, drehte sich Fala zu ihrer Schwester.
„Ich möchte aber allein sein, bitte fahrt nach Hause“, forderte sie sie auf.
„Bist du sicher?“
„Momentan möchte ich einfach alleine sein, bitte“, hoffte Peta.
„Okay, dann gehen wir, ich werde das Zimmer noch bis Ende der Woche weiter bezahlen, danach bist du auf dich allein gestellt. Ist das okay?“
„Bis dann hab ich mir was überlegt, danke, Süße“, bedankte sich Peta und die Frauen ließen die Braut allein.
 
Sie konnte nicht weinen, es war wie ein Knoten in ihrem Hals, der sich immer enger zuschnürte. Sie kaufte sich ein paar Klamotten in der Hotel-Boutique und fuhr zu der Wohnung, in der ihr Verlobter und Sie das letzte Jahr gelebt hatten. Sogar all die Hochzeitsgeschenke und die Blumen, die überall in ihrer Wohnung standen, berührten sie überhaupt nicht. Sie war innerlich tot, sie war mit ihrem Verlobten Oliver gestorben.

Zweites Kapitel

 
Das Windspiel auf ihrer Terrasse klimperte und ließ sie aufschrecken.
„Süße, dass ich dir das Hotelzimmer bezahle, sollte bezwecken, dass du nicht nach Hause gehst. Jetzt bist du doch hier“, stand Fala plötzlich hinter ihrer kleinen Schwester. Die hatte verschreckt ihr altes antikes Navajo-Messer gezückt.
„Wow, ganz langsam, ich bin’s nur!“, versicherte Fala ihr und Peta legte wortlos das Messer zurück auf ihren Terrassen-Tisch.
„Du willst allein sein, schon verstanden, bin schon weg“, murmelte Fala.
„Willst du einen Zimt-Tee?“, fragte Peta.
„Ja, für nen Tee hätte ich Zeit. Was machst du hier? Du solltest nicht hier sein!“
„Ich bin hier zu Hause, hier fühl ich mich gut“, stand Peta auf. Sie hatte einen starren Blick, keine Emotionen waren in ihrem Gesicht zu erkennen.
„Hast du was genommen?“, wunderte sich Fala.
„Wenn du mit genommen meinst, dass ich mir nen Joint gedreht habe, ja, das hab ich. Ich hab mal ne Probe bekommen, dachte, heute wäre ein guter Zeitpunkt, es auszuprobieren. Ich bin Apothekerin und mach das in meiner eigenen Wohnung, lass mich“, murmelte Peta nur.
„Ja, alles was dir grad hilft ist gut. Du weißt schon, dass Declan auf deinem Rasen liegt und sich nicht bewegt, oder?“, setzte sich Fala auf den Stuhl neben ihr.
„Da hat er schon gelegen, als ich hierherkam“, bemerkte Peta und sah einfach auf den leblosen Körper seines Schwagers auf dem Rasen.
„Lebt er noch?“
„Keine Ahnung, mir sind die Stress-Bälle ausgegangen, die ich auf ihn geworfen habe“, war Peta nur lethargisch.
„Ich geh zu ihm hin, ich hoff, dein Joint ist jetzt aufgeraucht“, schüttelte Fala verwundert den Kopf und ging zu ihrem Schwager hin.
„Dec‘, steh auf“, bat sie ziemlich schroff und tippte ihm fest auf die Schulter. Er lag mit dem Gesicht auf die Wiese gedrückt da.
„Geh weg“, murrte er. Er stank schwer nach Alkohol.
„Du bist nass, der Rasensprenger ist wohl angegangen. Komm hoch“, zog Fala ihn einfach hoch.
„Warum hat mich der Fusel nicht getötet“, lallte er vor sich hin.
„Deine texanischen Gene haben das vermutlich verhindert. Hey, Bob Marley, hilf mir mal“, rief sie zu Peta und die trottete zu ihr hin.
„Warum hast du ihn geweckt? Es war grad so friedlich“, nörgelte sie.
„Man, ihr seid anstrengend wie Kinder grade. Ihr wisst schon, dass ich eigentlich bei meinem Mandanten sein sollte, oder?“
„Hat dich keiner gebeten zu kommen“, maulte Peta.
„Und trotzdem bin ich hier. Greif ihn unter dem Arm!“
„Er stinkt!“
„Du riechst auch nicht grad nach Rosenblüten, kleine Schwester. Am besten stell ich euch zusammen unter die Dusche“, redete Fala vor sich hin.
„Möpse“, griff Declan nach der Brust seiner Schwägerin.
„Wenn er das nochmal macht, tu ich ihm weh“, raunzte Peta.
„Der Shit wirkt langsam nicht mehr, was?“
„Leider nicht. Er ist aber noch sternhagelvoll, der Glückliche. Ich hoffe, er kotzt mich nicht an“, half sie ihr, Declan unter die Dusche zu stecken.
„Kann er was von Oli anziehen?“, fragte Fala vorsichtig, als Peta auf dem Bett lag, während Fala ihren Schwager unter die Dusche gepflanzt hatte.
„Ich such ihm was raus“, stand Peta schwerfällig auf. Sie öffnete Olivers Seite des Schrankes. Sein Geruch kam ihr in die Nase. Das war der Auslöser, die Stille, die in ihrem Kopf herrschte, wich einem Schrei. Sie sank auf die Knie und weinte. Erst nur leicht, doch dann wurde daraus ein ausgewachsener Weinkrampf.
Vorsichtig ging Fala auf ihre Schwester zu. Sie zog sie sanft auf die Beine und drückte sie fest an sich.
„Ich hab nicht nachgedacht, tut mir leid. Leg dich hin, ich mach das“, sagte sie sanft, als Peta sich wieder etwas beruhigt hatte und führte sie zum Bett. Peta war so erschöpft, dass sie eindöste. Nachdenklich nahm Fala Unterwäsche, Jeans und T-Shirt aus dem Schrank und ging zurück ins Badezimmer. Declan war in der Dusche zusammengesackt und schnarchte laut.
„Das wird ein langer Tag“, stellte sie das kalte Wasser wieder an und weckte ihn damit.
„Man, ich bin ja immer noch am Leben“, murrte er.
„Ich werde dafür sorgen, dass das auch so bleibt, Dec, steh auf“, forderte Fala und zog ihn hoch.
„Mein Bruder ist tot“, fiel er ihr plötzlich splitterfasernackt um den Hals.
„Ein ganz, ganz langer Tag“, murmelte sie und zog ihn aus der Kabine.
 
Als Peta ihren Rausch ausgeschlafen hatte, schien ihr, ihr Erlebnis wie ein Albtraum, der endlich zu Ende war. Ihr Verlobter lag ihr mit dem Rücken zugewandt, in seinem Lieblings LA-Lakers-T-Shirt, neben ihr im Bett. Sanft fuhr sie ihm über den Oberarm.
„Oh, ich leb ja immer noch“, wurde die Person neben ihr wach. Es war nicht ihr Verlobter, es war Declan, sein kleiner Bruder. Wie ein Fausthieb kam ihr die letzten zwei Tage wieder ins Gedächtnis und sie begann zu weinen.
„Äh, Fala“, rief er etwas überfordert mit der Situation.
„Sie weint doch nur, Dec, tröste sie“, rief Fala zurück.
„Sie sieht mich an, als wäre ich ein Geist“, rief er zurück und ihre Stöckelschuhe klapperten über das Parkett.
„Mist, du hast sein Lieblings-T-Shirt an, zieh es aus“, forderte sie.
„Ich dachte, die Zeit hätten wir hinter uns gelassen, Süße“, schmunzelte er.
„Zieh es aus, bevor ich es für dich mache“, raunzte Fala und Declan schmiss es ihr hin, nachdem er es ausgezogen hatte.
„Ich werde es gleich waschen, Süße, so, schon weg“, schmiss Fala das T-Shirt in einen Wäschekorb im Badezimmer.
„Warum bist du in unserem Bett?“, schniefte Peta.
„Tut mir so leid, Süße, ich war gestern ziemlich dicht, ich hab nicht nachgedacht“, stand Declan aus dem Bett auf.
„Ziemlich dicht ist nicht mal ansatzweise das was du gestern gewesen bist. Du wolltest dich mit Wodka umbringen“, bemerkte Fala trocken.
„Das war wirklich ne dämliche Idee, meine Familie verträgt mehr als die vom Denver Clan und von Dallas zusammen. Krieg ich nen anderes T-Shirt?“, fühlte er sich irgendwie nackt.
„Ich weiß nicht genau, welches T-Shirt ich dir geben kann, Süße, schaffst du es?“, hoffte Fala.
„Gib ihm was du willst, schon gut“, bemerkte Peta.
„Bist du sicher?“
„Ja, er kann es ja jetzt nicht mehr gebrauchen. Ich hab Hunger, ich werde Pancakes machen“, zog sie einen Morgenmantel an und ging an Fala vorbei in die Küche.
„Man, schon wieder nen Morgen für sie mit Munchies, aber zumindest isst sie so anständig“, dachte Fala laut nach.
„Ihr setzt Drogen bei ihr ein, wirklich effektiv“, bemerkte er.
„Den Joint hat sie ganz allein geraucht!“
„Sie und Pot? Das hätte ich nicht gedacht“, war Declan überrascht und zog sich ein Shirt an, was sie ihm gegeben hatte.
„Ich auch nicht, aber das waren heftige Tage für sie, solang sie das nicht wiederholt, ist alles gut. Du sollest dir an deine eigene Nase fassen, deine Eltern haben jetzt nur noch dich, wie konntest du nur?“
„Du kennst meine Eltern doch, oder? Denen ist das so ziemlich egal, was mit uns ist“, murmelte er.
„Uns ist es aber nicht egal, was mit dir ist. Wir sind jetzt Familie, ich hab grad ihre Papiere gefunden, die beiden haben heimlich schon vor zwei Wochen geheiratet“, erläuterte sie ihm.
„Dieser Dreckshund, ich hab’s gewusst“, murmelte er nur.

Drittes Kapitel

 
„Süße?“, kam Fala vorsichtig in die Küche ihrer Schwester mit der Heiratsurkunde in der Hand.
„Ah, du hast sie gefunden, ist jetzt eh wertlos, wollt ihr auch Pancakes?“, fragte Peta, als sie die Urkunde sah und rührte weiter ihren Teig, den sie in der Hand hielt.
„Du hast schon vor zwei Wochen standesamtlich geheiratet“, begann Fala.
„Ja, wir konnten einfach nicht länger warten. Anscheinend haben wir Recht behalten“, erwiderte Peta nur und drehte sich wieder zum Herd. Fala warf Declan, der auch zur Tür reingekommen war einen Blick zu, dass er was sagen sollte.
„Schätzchen, hörst du mich? Leg die Schüssel hin“, kam Declan auf sie zu.
„Ich hab Hunger, ich möchte was zu essen machen, ihr habt sicher auch Hunger“, rührte sie wie wild in der Schüssel herum.
„Das kann auch deine Schwester machen, es wird Zeit, dass du trauerst, das wir trauern, zusammen“, entgegnete er sanft und hielt ihre Hände fest. Sie ließ die Schüssel vor Schreck fallen.
„Ich seh ihm zu ähnlich, oder?“, fragte er bedrückt.
„Nein, das ein Teil von ihm noch hier bei mir ist, beruhigt mich irgendwie, ich stand daneben, als er erschossen wurde, ich habe Schiss, die nächste zu sein, okay?“, gestand sie.
„Das war ein Anschlag auf ihn, du wärst auch tot, wenn sie dich hätten tot sehen wollten“, versicherte Declan.
„Woher weißt du das? Hast du was von der Polizei gehört?“
„Nein, aber dass du jetzt neben mir stehst ist ein gutes Zeichen“, erwiderte er und drückte sie an sich.
„Geht ins Wohnzimmer, redet miteinander, ich mach Frühstück“, bat Fala und sie gingen ins Wohnzimmer.
 
Als Fala Pancakes machte, sah sie, wie der teure ausländische Wagen von Petas Schwiegereltern vor dem Haus stoppte.
„Peta, Graf Frankenstein und Morticia sind da“, rief sie ins Wohnzimmer.
„Fala, wir haben nen Gast, nen Gast der mit den netten Herrschaften verwandet ist“, rief Peta zurück.
„Kein Problem, die beiden haben ihre Eltern genauso gehasst wie wir, hast du das nicht gewusst?“, fragte Fala und kam zu ihnen hin.
„Doch, wusste ich, aber ich dachte, wir spielen die Scharade hier weiter“, entgegnete Peta.
„Vor ihnen schon, ja, aber er ist unser Verbündeter, keine Sorge. Du solltest unter die Dusche gehen, ich halte sie solange hin“, plante Fala.
„Ja, ich riech nach Gras, das wäre nicht so toll. Ich mach schnell“, huschte sie ins Badezimmer.
 
„Dr. Wincester, Mrs. Wincester, willkommen zurück“, machte Fala den Schwiegereltern die Tür auf.
„Es ist immer surreal hier her zu kommen, in dieses, nennen wir es, Establishment. Wo ist sie?“, ging Mrs. Wincester naserümpfend in die Eigentumswohnung mit Garten.
„Sie ist gerade im Badezimmer, wollen Sie einen Kaffee?“
„Nicht hier, nein danke. Sohn, da bist du ja wieder, wäre nett gewesen, wenn du einen meiner 12 Anrufe angenommen hättest“, begrüßte sie auch ihren Sohn.
„Ich hab mein Handy bei der Hochzeit liegen lassen“, murmelte er.
„Du warst wieder zu besoffen um meinen Anruf entgegen zu nehmen, oder?“, realisierte sein Vater.
„Nein, Sir, er war die ganze Zeit an unserer Seite um uns zu unterstützen, er war uns eine große Hilfe“, warf Fala ein.
„Ist ja klar, dass die Kleinkriminelle für ihn lügt, ich kenn meinen Sohn etwas länger als Sie, Kleines. Er stinkt wie mein Onkel Murph nach dem Weihnachtsabend, ich komm aus ner Alkoholiker-Familie, versuchen Sie es nicht mal“, konterte Mrs. Wincester.
„Er hat versucht sich zu Tode zu saufen, weil sein bester Freund tot ist, es wäre verdammt noch mal Mal nett, zu fragen, wie es ihm geht, bevor Sie den Armen wieder mal runtermachen“, raunze Fala plötzlich und Mrs. Wincester klappte die Kinnlade herunter.
„Okay, die Samthandschuhe sind dann wohl ausgezogen. Sam, Maureen“, kam Peta aus dem Badezimmer. Sie hatte sich nie getraut, sie beim Vornamen zu nennen, jetzt, wo ihre Schwester dreist wurde, wollte sie das auch sein.
„Es gibt dir nicht das Recht, uns so zu nennen, du bist nicht mit ihm verheiratet“, raunzte Dr. Wincester.
„Gut zu wissen, denn ich bin mit ihm verheiratet, wir haben schon vor zwei Wochen geheiratet, euer Sohn wollte das so. Auch wenn es euch nicht gefällt und ich weiß, dass tut es, wir sind jetzt eine Familie“, stellte sich Peta breit vor sie hin.
„Eine Heiratsurkunde macht dicht nicht zu einem Teil unserer Familie, hast du verstanden?“, donnerte Dr. Wincester.
„Dr. und Mrs. Wincester, Sie haben mein herzliches Beileid, was Ihren Sohn angeht, aber verschwinden Sie aus meiner Wohnung“, zeigte Peta auf die Tür.
„Das kannst du nicht tun, das ist auch seine Wohnung“, erwiderte Mrs. Wincester.
„Ich würde niemals schlecht über Oli reden, aber Finanzen waren nie sein Ding. Ich hab die Wohnung allein gekauft, er ist bei mir eingezogen“, bemerkte sie trocken.
„Das werden wir ja sehen“, raunzte Mrs. Wincester und stürmte mit ihrem Ehemann davon.
 
„So, das verlief ja klasse“, kommentierte Declan sarkastisch, als die Frauen nur zur Tür starrten.
„Entschuldigt mich“, sagte Peta leise und ging auf die Terrasse.
„Ich mach das“, versicherte Declan und folgte Peta nach draußen. Sie weinte.
„Meine Eltern sind Arschlöcher“, sagte er nur.
„Ja, das war mir bewusst, es ist nur … er war immer das Schutzschild zwischen ihnen und mir, jetzt wo er weg ist, tut es so weh, wenn sie so was sagen“, schluchzte sie.
„Ja, er war auch mein Schutzschild, jetzt müssen wir aneinander das Schutzschild sein“, entgegnete er und sie fiel in seine Arme. Er drückte sie erst sanft und dann fest an sich.
„Leute, ich will eure traute Zweisamkeit nicht stören, aber ich muss in die Kanzlei. Ich hab grad nen Anruf bekommen, die Cops wollen heute noch mit dir reden, schaffst du das?“
„Die Polizei? Was wollen die von mir?“
„Nur ein paar Fragen stellen, wenn du eine Frage nicht beantworten willst, sagst du ihnen, sie sollen mich anrufen, ich bin schließlich deine Anwältin. Lass nur die Finger vom Pot, kommt nicht so gut, wenn die dich bekifft antreffen!“
„Hab eh nichts mehr da, aber ich reiß mich zusammen. Du bleibst doch hier, Dec, oder?“
„Solang du mich brauchst, Süße. Bis dann!“, verabschiedete er sich von Fala.
„Bis dann und du Pfoten weg vom Alkohol, Dec!“
„Wir haben keinen Alkohol zu Hause, keine Sorge“, beruhigte Peta sie.
„Gut. Bis dann. Ruf an, wenn was ist“, bat Fala und ging zur Arbeit.
 
In einem schwarzen Spitzenkleid saß Peta an diesem Nachmittag nervös einem Detective in ihrem Esszimmer gegenüber.
„Danke, dass Sie Zeit für mich haben“, bedankte sich der Detective.
„Ich sollte in meinen Flitterwochen auf Maui sein, also hab ich Zeit“, sagte sie tonlos.
„Ja, natürlich. Wir machen auch schnell. Kannten Sie die Attentäterin Ihres Verlobten?“, wollte der Detective wissen.
„Nein, Sir!“
„Sie war die Ex-Freundin ihres Verlobten, sie hat ihn schon eine Weile gestalkt, sie hatte eine ungesunde Beziehung zu ihm, sie wollte ihn nicht loslassen“, erklärte der Detective.
„Er hatte eine Stalkerin? Warum wusste ich davon nichts?“, wollte sie wissen.
„Er wollte dich nicht beunruhigen“, mischte sich Declan ein.
„Du wusstest davon?“, fragte sie verärgert.
„Er hat es mir erzählt, er war besorgt, aber er hatte nie gedacht, dass sie gefährlich wäre? Er hätte dich niemals diesem Risiko ausgesetzt!“
„Aber er hat sich diesem Risiko ausgesetzt? Seit ihr damit zur Polizei gegangen?“
„Ja, Ihr Verlobter war bei der Polizei, wir haben die Situation falsch eingeschätzt, wir sind untröstlich“, entschuldigte sich der Detective.
„Das soll mich jetzt beruhigen? Er ist tot!“
„Ja, das weiß ich, aber sie ist in Untersuchungshaft und wird verurteilt werden, dafür sorge ich“, versicherte der Beamte.
„Das bringt ihn mir aber nicht zurück. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, wenden Sie sich an meine Anwältin“, stand sie ruckartig auf.
„Verstehe, wir wären hier auch fertig, wer ist Ihre Anwältin?“, wollte der Detective wissen.
„Fala Haskie, ihre Schwester, hier ist ihre Nummer. Danke fürs Kommen“, bedankte sich Declan und der Detective ließ sie allein.
„Du auch“, murrte Peta.
„Was?“
„Verzieh dich, ich möchte allein sein“, bemerkte sie nur.
„Es tut mir leid, er hat mir verboten mit dir darüber zu reden“, entschuldigte er sich.
„Ja, ich weiß, ich kann dich jetzt trotzdem nicht um mich haben“, sagte sie leise.
„Soll ich Fala anrufen!“
„Nein, danke, ich komm allein klar!“
„Bist du sicher?“
„Ich kann selbst mein Handy in die Hand nehmen, wenn ich sie brauche“, konterte sie.
„Ja, sicher, ich gehe, meine neue Nummer hast du?“, wollte er wissen und sie nickte.

Viertes Kapitel

 
Vorsichtig nahm sie ein Bild von Oliver und ihr selbst aus einem Rahmen und legte es in einen Koffer.
„Tut mir leid, mein Schatz, ohne dich will ich hier nicht mehr sein“, redete sie mit dem Bild und schloss den Koffer. Sie hatte ihren Onkel in ihrer Heimatstadt angerufen, er hatte versprochen, sie ohne Fragen für eine Weile aufzunehmen. Ihr Handy klingelte. Es war Fala. Sie lehnte den Anruf ab und steckte ihr Handy in ihre Handtasche.
 
Es wurde schon dunkel, als sie sich in ihrem umweltfreundlichen Halb Strom-halb Benzin-Auto aufmachte. Sie hoffte, irgendwo auf ihrem Weg ihren Wagen aufladen zu können. Doch der Gedanke verflog schnell, als sie beim Herausfahren aus der Ausfahrt realisierte, dass Oli nicht jeden Augenblick zu ihr rennen würde um ihr etwas in die Hand zu geben, was sie in ihrer Schusseligkeit mal wieder vergessen hatte. Sie schniefte kurz.
„Nein, du kannst nicht heulen und Autofahren, du kannst genug Heulen wenn du erstmal da bist“, redete sie mit sich selbst und fuhr los.
 
Mit einer Tonne Energie-Drinks und –Riegeln schaffte sie es, bis zum Morgengrauen durchzufahren, doch ihr Wagen lechzte nach Benzin und Strom, also hielt sie an einer Tankstelle, die beides bereitstellte. Während ihr Wagen Strom lud, ging sie in das Kiosk an der Tankstelle, um sich mit weiteren Muntermachern zu versorgen. Als sie gerade eine große Flasche Light-Cola aus dem Kühlschrank des Kiosks nahm, lief eine etwa siebjährige hinter ihr her. Sie blieb hinter ihr stehen.
„Bist du eine Indianerin?“, fragte das Mädchen frech und sie drehte sich zu ihr hin.
„Beatrice, sei nicht so unhöflich, verzeihen Sie“, kam ein Mann in Petas Alter zu dem Mädchen und zog sie von ihr weg.
„Kein Problem“, murmelte sie nur.
„Wow, Sie sind vielleicht hübsch“, bemerkte der Kerl plötzlich.
„Äh, danke, denke ich. Ich muss dann … los“, stotterte sie.
„Verzeihen Sie, ich fahr schon viel zu lang, mein Hirn ist ziemlich Matsch“, entschuldigte sich der Kerl.
„Willkommen im Club, ich komm direkt aus L.A.“, erklärte sie ihm.
„Phoenix, aber ich hab ne sechsjährige bei mir, also müsste ich extra Punkte kriegen“, witzelte er.
„Kriegen Sie. Ich muss jetzt weiter, ich werde erwartet“, entgegnete und ging zur Kasse.
Hatte der Kerl mit ihr geflirtet? Sie war so lange in einer Beziehung gewesen, dass sie es nicht wirklich sagen konnte.
 
„Fuck, warum hab ich auch nen Öko-Auto gekauft“, grummelte sie, als sie zurück zu ihrem Wagen ging und der immer noch nicht vollständig aufgeladen war. Sie hätte auch mit Benzin weiterfahren können, aber sie wollte vor Delta nicht nochmal anhalten müssen. Sie sah um sich herum, während sie die Nachos knabberte, die sie gekauft hatte. Sie sah das kleine Mädchen wieder und fragte sich, wo ihr Vater war. Plötzlich passierte etwas Seltsames mit ihr. Ihre Augen sahen plötzlich viel mehr als sie eigentlich sehen sollten, es war, als würden sie heranzoomen wie bei einer Kamera. Da war dieser Truck, der auf das Mädchen zusteuerte. Er würde sie überrollen, wenn sie nicht verschwand. Sie stand ein ganzes Stück von ihr entfernt, doch ganz plötzlich war sie ganz nah an ihrer Seite und zog sie weg. Ihre Arme lagen wie Schwingen über dem Mädchen, als sie dort in dem Staub des Trucks saß, der mit quietschenden Reifen ausgewichen war. Die Fahrertür sprang auf.
„Mädels, alles klar bei euch?“, fragte der Trucker aufgekratzt und Peta löste ihren Griff von dem Mädchen wie ein Beutevogel, der seine Beute losließ.
„Ich glaub schon“, stotterte sie.
„Ich bin okay“, sagte das Mädchen schüchtern.
„Bea“, hörte Peta die entsetzte Stimme von Beatrices Vater. Die Stimme durchdrang ihren Gehörgang wie Schüsse. So gekniet wie sie saß kippte sie nach hinten und landete im Staub.
„Lady, wirklich alles klar bei Ihnen?“, hörte sie nochmal den Trucker, bevor sie das Bewusstsein verlor.
 
Zu Bewusstsein kam sie wieder im hinteren Teil eines Krankenwagens.
„Hey, die Heldin wird wieder wach“, hörte sie eine Stimme. Sie klang wieder normal.
„Was ist passiert?“
„Sie haben ein Leben gerettet, war wohl etwas viel für Ihren Körper. Wie fühlen Sie sich?“
„Besser, denke ich, hatte wohl nur einen Schwächeanfall!“
„Das lassen sie mich lieber beurteilen. Irgendwelche Übelkeit?“
„So schlecht wie es einem halt ist, wenn man die ganze Nacht Junk Food in sich hinein gestopft hat. Mir geht’s wirklich gut“, versicherte sie und stand von der Trage auf.
„Machen Sie aber langsam, es ist ein sehr heißer Tag heute“, bat der Sanitäter und schlug die Türen des Krankenwagens wieder zu,nachdem sie aufgestanden war.
„Ja, merk ich, werde ich, danke fürs Kommen!“
„Das ist mein Job“, sagte er nur und fuhr wieder davon.
 
Der besorgte Vater stand seine Tochter an sich gepresst im Schatten vor dem Kiosk. Als er Peta sah, umarmte er sie stürmisch.
„Sie ist alles was ich noch habe, vielen Dank“, bedankte er sich.
„Okay, gern geschehen. Ich muss dann wirklich los, mein Onkel wartet auf mich“, erwiderte sie verwirrt und stolperte zu ihrem Auto.
„Miss, ich würde sie gerne zum Frühstück einladen, Sie wirken so, als könnten Sie es brauchen“, ließ der Kerl nicht locker.
„Hören Sie, Ihre Flirtversuche in Allen Ehren, aber ich bin so gar nicht in der Stimmung für das“, murmelte sie.
„Das ist nur Frühstück und meine Tochter ist dabei“, handelte er.
„Ich muss meinen Wagen noch mindestens eine Stunde aufladen, wir könnten da drüben was essen gehen“, stimmte sie zu.
„Ja, können wir. Ich bin übrigens Ashley, Ash“, stellte er sich vor.
„Peta. Gehen wir“, sagte sie nur und ging mit ihm über die Straße in ein Diner.
 
„Schmeckt es ihnen nicht?“, fragte Ash, als Peta in ihrem Essen herumstocherte.
„Hab keinen großen Hunger“, war sie wortkarg.
„Die Trennung muss die Hölle gewesen sein“, versuchte er sie einzuschätzen.
„Sie haben ja keine Ahnung“, bemerkte sie, während sie mit ihrem Verlobungs- und Ehering an einer Kette herumspielte.
„Oh man, er ist gestorben, das tut mir leid“, realisierte Ash und sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Hab nur geraten, sie wollen nicht darüber reden, schon gut!“
„Ich würde gerne darüber reden, aber ich kann nicht. Vielen Dank für die Essenseinladung, Ash, war auch schön euch beide kennengelernt zu haben, aber ich bin schon viel zu lange hier, ich muss weiter“, stand sie auf.
„Alles Gute“, verabschiedete er sie nur und sie ging wieder fast in Tränen aufgelöst davon.
 
Gegen Mittag kam sie bei ihrem Onkel an. Sie hatte ihre Geburtsstadt nicht mehr betreten, seit ihre Mutter 15 Jahre zuvor mit ihnen dort weggegangen war, um Schauspielerin zu werden.
„Da bist du ja“, begrüßte Mato seine Nichte. Sein Name bedeutete Bär und das beschrieb auch sehr gut sein massives Äußeres.
„Onkel“, fiel sie ihm einfach weinend um den Hals. Er hielt sie einfach für eine Weile weinend fest.
„Sie haben schon bei uns angerufen, ich hab ihnen aber nicht gesagt, dass du zu mir fährst“, versicherte er ihr.
„Danke, ich kann sie jetzt nicht um mich haben!“
„Ja, versteh ich, komm erstmal rein“, ließ er sie eintreten.
 
„Süße, iss was, du machst mir Sorgen“, bat Mato, als Peta wieder nur in ihrem Essen herumstocherte, anstatt es zu essen.
„Ich kann nicht“, entgegnete sie nur.
„Deine Tante Nascha liegt jetzt schon seit drei Jahren dort in diesem Zimmer und vegetiert vor sich hin. Ich habe an manchen Tagen auch keinen Hunger, doch dann muss ich weitermachen, für sie, jeden verdammten Tag“, bemerkte Mato und zeigte auf den Raum, den Peta vermied anzusehen.
„Nichts für ungut, aber die Liebe deines Lebens lebt noch, meine wurde vor mir am Altar erschossen“, begann sie zu weinen. Sie hasste sich dafür, so nah am Wasser gebaut zu sein und versuchte sich schnell wieder einzukriegen.
„Mein Bruder ist tot und meine zwei Schwestern, glaub nicht, dass ich dein Gefühl nicht kenne, ich habe fast zehn Jahre meines Lebens in Trauer verbracht“, versuchte er ihr begreiflich zu machen.
„Ich weiß, tut mir leid, es ist nur, mein Herz, es fühlt sich an, als würde es bei jedem Schlag meinen Brustkorb zerstoßen wollen“, erwiderte sie unter Tränen.
„Ich weiß, kleiner Adler, ich weiß. Das wird noch eine ganze Weile so gehen, aber das Schicksal hat dich zu mir gebracht, ich werde dir da durch helfen“, sagte er mit sanfter Stimme.
„Das ist ganz lieb, aber momentan möchte ich nur weinen und schlafen“, bemerkte sie.
„Ich geb dir eine Woche, wo du dich in Selbstmitleid baden kannst, dann wirst du zurück ins Leben kommen und ich sorge dafür“, handelte er.
„Eine Woche ist nicht mal ansatzweise genug Zeit“, erwiderte sie.
„Ich sage nicht, dass du in einer Woche alles überwunden hast, doch in einer Woche wirst du jeden Tag neu beginnen und weiterleben“, entschied er.
„Das kannst du nicht einfach so sagen“, verstand sie nicht.
„Ich bin nicht Trauerbegleiter geworden, weil ich mein Handwerk nicht verstehe, kleiner Adler“, sagte er cool.
„Ist das Gästezimmer noch da, wo es immer war?“
„Sicher, Kleines, hat sich in den letzten Jahren nicht viel verändert“, bemerkte er und sie stand auf.
„Ich werde jetzt mit dem Schlafen anfangen“, entgegnete sie und schlurfte ins Gästezimmer.

Fünftes Kapitel

 
Peta lächelte, als sie kurz vor dem Aufwachen war. Für eine Sekunde war ihr Leben wieder in Ordnung, die eine Sekunde, bis sie realisierte, dass sie jetzt Witwe war. Sie drehte sich zur Seite und sah in ein leeres Bett. Für einen Moment war es so, als würde sie einen Adler auf dem Nachttisch sehen. Es war wie eine Vision, der Adler öffnete seine Schwungfedern und sie spürte wieder ihren Schmerz im Herzen.
„Du bist endlich soweit“, hörte sie plötzlich Matos dunkle Stimme.
„Wie lang hab ich geschlafen?“
„Fast vierzehn Stunden, geht’s dir besser?“
„Ich bin immer noch Witwe“, murrte sie.
„Das wird sich auch nicht ändern. Willst du mir erzählen, wann deine Veränderung war?“, wollte er wissen.
„Von was redest du bitte?“
„Dein innerer Adler, du weißt nicht von was ich rede, oder?“
„Ja, das ist offensichtlich. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass ich plötzlich sehe wie einer und blitzschnell von A nach B komme?“, fragte sie und setzte sich auf.
„Du weißt es also doch“, sah er sie stolz an.
„Ich hab gestern auf der Tankstelle einem Mädchen das Leben gerettet und weiß immer noch nicht, wie ich das geschafft habe“, erzählte sie.
„Blitzschnell wie ein Adler, dein Vater wäre so stolz auf dich“, lobte er sie.
„Wie ist Dad nochmal gestorben?“, fragte sie nachdenklich.
„Von nem Auto angefahren worden“, murmelte Mato nur.
„In welcher Form wurde mein Vater von einem Auto angefahren?“, stellte sie eine weitere Frage.
„Du hast dich beim ersten Mal gleich verwandelt?“
„Nein, aber ich habe gespürt, dass mein Körper es wollte. Wir sind gottverdammte Formwandler?“
„Du sagst das so, als wäre das was schlechtes“, druckste Mato herum.
„Nein, das ist nichts schlechtes, herrje, ich weiß nicht mal was das ist. Ich verwandle mich also irgendwann in einen gottverdammten Vogel?“, versuchte sie zu verstehen.
„Nein!“
„Gott sei Dank!“
„Du verwandelst dich in einen Adler“, ergänzte er.
„Nein, das will ich nicht, wie kann ich machen, dass das aufhört?“
„Oh Süße, das ist eine Gabe, kein Fluch, das musst du annehmen“, sagte er ruhig.
„Ich muss hier gar nichts, lass mich allein“, schimpfte sie und er verließ das Zimmer.
Zwei Stunden später kam er wieder zu ihr mit einem Teller Pancakes und einer großen Tasse heißer Schokolade.
„Ist das ein Bestechungsversuch?“, fragte Peta und sah ihn an. Sie hatte geweint.
„Ich hab gehofft, dass du wenigstens nen Bissen von meinen weltberühmten Pancakes isst“, sagte er vorsichtig.
„Ich hab schon ziemlich Hunger“, murmelte sie.
„Dann iss was, bitte“, bat er und gab ihr das Tablett.
„Warum hat meine Mom nie gesagt, was ich bin, oder was ich werde?“, nuschelte sie essend.
„Deine Mutter ist zwar Navajo, aber sie ist nicht wie wir. Wir haben gedacht, dass ihr beiden Mädchen nicht die Gabe habt, aber vielleicht haben die Geister gedacht, dass du die Gabe jetzt am meisten brauchst“, erwiderte Mato.
„Ich bin noch nicht bereit, das eine Gabe zu nennen“, handelte sie.
„Okay, das ist fair, das kommt noch, denk ich. Aber du musst deinen inneren Adler annehmen, sonst frisst er dich irgendwann von innen nach außen auf“, erklärte er und sie sah ihn entsetzt an.
„Nicht wortwörtlich, Süße, nur seelisch, du merkst doch, wie er an deinem Herz zerrt, er möchte, dass du aufstehst und das Leben genießt“, erläuterte er weiter.
„Du wolltest mir eine Woche geben“, maulte sie.
„Die geb ich dir auch, aber den Schmerz, den du da in der Brust fühlst, das ist dein Adler, der raus will, was erleben will, glaub mir, ich sprech da aus mehrfacher Erfahrung“, entschied er.
„Das ist Herzschmerz, mein Ehemann ist erst ein paar Tage tot, Onkel“, weinte sie wieder.
„Du bist noch nicht soweit, das ist alles etwas viel für dich, verstehe. Aber ich bin immer da, wenn du mich brauchst“, versicherte er und sie fiel ihm wortlos um den Hals.
„Alles wird gut, ganz sicher“, tröstete er sie und ließ sie wieder allein.
 
Eine Woche später
 
Das wilde Auslösen der Hupe des Buicks ihres Onkels weckte sie.
„Der meint das wirklich ernst“, murrte sie, zog sich an und ging vor die Tür.
„Morgen, kleiner Adler, los geht’s“, begrüßte Mato sie gutgelaunt.
„Darf ich fragen, wo es hingeht?“
„Nein, darfst du nicht!“
„Wirst du mich in der Wüste töten und beerdigen?“, witzelte sie und lief langsam auf ihn zu während sie mit ihren Boots im Sand herumkickte.
„Sei nicht albern, mit meinem schlimmen Rücken kann ich doch kein Loch mehr graben. Schön zu sehen, dass es dir besser geht“, schmunzelte er.
„Besser na ja, anders halt. Aber wir fahren trotzdem in die Wüste raus“, realisierte sie.
„Woher weißt du? Deine Kräfte sagen es dir, oder?“
„Onkel, ich bin hier mit dir aufgewachsen, ich weiß genau, dass, wenn du deine Khakifarbenen Hosen trägst, du in die Wüste fährst, da Tante Nascha die Hosen am besten vom Sand befreien kann. Oh, jetzt machst du das wohl“, schmunzelte sie, wurde aber dann wieder ernster.
„Ja, das tu ich, auch wenn ich es manchmal vernachlässige. Ist schon gut, wir können darüber sprechen, ich spreche auch mit Nascha, solang ich ihre Eule sehe, weiß ich, dass sie mich hört“, entgegnete er ruhig.
„Du kannst ihre, wie soll ich das nennen, Gabe, sehen?“
„Ja, kann ich, ich nenn das Seelenverwandter. Es beruhigt mich, die Eule zu sehen, denn durch sie sehe ich auch Nascha. Das klingt bescheuert, aber wenn du deinen Seelenverwandten siehst, wirst du verstehen“, versicherte er und sie stiegen ein.
Fernab der Stadt in einer verlassenen Gegend, in der sie ungestört sein konnten, hielt er an.
„So ein, zwei Fragen hätte ich da schon“, wurde ihr mulmig.
Ihr Onkel hatte sie nach dem Tod ihres Vaters mit aufgezogen und eigentlich vertraute sie ihm blind, aber nachdem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte, wusste sie nicht genau, was sie davon halten sollte.
„Es wird dir nichts passieren, Kleines, ich bin’s doch“, entgegnete er und sie folgte ihm zögerlich.
„Ja, schon, ich weiß nur nicht, was du vor hast“, erwiderte sie.
„Du wirst es gleich sehen“, entschied er.
„Ich glaub das sollten wir auf ein anderes Mal verschieben“, wurde sie unsicher.
„Alles ist gut, nimm das“, bat er und gab ihr einen Taser.
„Das ist nen mächtiger Taser!“
„Das ist nur den Notfall, eigentlich hab ich meine Gabe sehr gut unter Kontrolle“, entschied er.
„Das willst du jetzt nicht machen, oder?“
„Eigentlich schon, ich will dir nur zeigen, dass unsere Verwandlung etwas wunderschönes ist“, bemerkte er.
„Wieso dann der Taser?“
„Der Bär ist einer der anstrengendsten Verwandlungen, die ein Navajo durchziehen kann, ich hab das auch schon ne ganze Weile nicht mehr gemacht“, erwiderte er.
„Okay“, gab sie nach und er verwandelte sich. Sie starrte dem Bär direkt ins Gesicht. Es war immer noch ihr Onkel, sie fühlte sich vollkommen sicher bei ihm. Mit einem heftigen Brummen verwandelte er sich zurück.
„Das war unglaublich“, war sie sprachlos.
„Verstehst du es jetzt?“
„Ja, das tu ich. Kann ich es versuchen?“, hoffte sie.
„Fühlst du dich dazu schon bereit?“, wollte er wissen.
„Das werde ich erst wissen, wenn ich es versucht habe, also was mache ich?“, wollte sie wissen.
„Das ist ein Gefühl, das kann ich nicht beschreiben. Das erste Mal, dass ich mich vollkommen verwandelt habe, war ich stinksauer, also vermutlich brauchst du ein starkes Gefühl“, versuchte er zu erklären.
„Momentan fühl ich gar nichts“, konterte sie.
„Gib mir mal den Taser“, bat er.
„Glaubst du, ich könnte gefährlich sein?“
„Nein, du bist nicht schwanger, oder so?“
„Nein, habe gerade meine Periode, wieso?“
„Gut, dann wird das einfacher, als ich dachte“, bemerkte er und taserte sie mit dem Gerät in der Hand in den Bauch.
„Verdammt, was soll das?“, wurde sie wütend. Ihr Körper kribbelte. Sie spürte es, es fühlte sich gleichzeitig sehr stark und furchtbar schwach. Federn füllten ihre Haare auf und ihre Arme verwandelten sich in Schwingen. Mato ging ein paar Schritte zurück. Auch wenn er in seiner Bären-Form sehr stark war, war die Verwandlung seiner Nichte zu einem Weißkopfseeadler sehr beeindruckend. Verständlicherweise hatte sie ihre Gabe noch nicht so sehr unter Kontrolle wie der erfahrene Formwandler. Sie breitete ihre Flügel aus und war schneller als er gucken konnte abgehoben und davon geflogen.
„Kleiner Adler, von Fliegen war hier jetzt nicht die Rede“, rief er in die Luft, doch sie war längst weg.
„Verflucht, ich hätte ihr vielleicht vorher nen Peilsender oder so verpassen sollen“, fluchte er und ging zu seinem Wagen, um ihr zu folgen.
 
Ein Mann und ein Kind wanderten durch die Wüste von Utah.
 
„Schatz, mach langsam, bat Ash.
Er keuchte. Als Städter war er Outdoor-Touren nicht gewöhnt, er fand die Idee der Pfadfinder-Führerin beknackt, dass seine Tochter die Natur erleben sollte, bevor sie dort aufgenommen wurde.
 
„Dad, da liegt eine Frau“, hörte sie plötzlich Beatrice rufen.
„Na toll, wenn meine Tochter jetzt ne Leiche in der Wüste findet, verklag ich diese Tussi sowas von“, murrte er und eilte zu ihr. Er erkannte die Frau an ihren Tattoos, die aus Flügeln auf ihrem Rücken bestand.
„Was zum…“, fluchte er vor sich hin.
„Ist sie tot?“, fragte Beatrice trocken.
„Schatz, geh da hinten hin!“
„Dad“, nörgelte sie.
„Eine Pfadfinderin gehorcht, Bea, beweg dich“, redete er vor sich hin und sie ging hinter eine Sanddüne.
„Bitte sei nicht tot, meine Tochter hat schon genug mit dem Tod zu tun gehabt“, erwiderte er und drehte den leblosen Körper der Frau um, den er eine Woche zuvor kennengelernt hatte.
„Und sie ist nackt, natürlich ist sie nackt, ein Traum ist ja nicht schon genug für mein Kind“, legte er seine Jacke über ihren Oberkörper. Dabei bewegte sie sich.
„Gott sei Dank, du lebst“, murmelte er. Sie starrte ihn an. Ihre Augen leuchteten wie brauner Bernstein.
„Hey“, sagte er nur etwas überfordert.
„Ash?“, fragte sie verwirrt.
„Ja, Ash, was machen Sie hier?“
„Was ist passiert?“, versuchte sie zu verstehen.
„Sagen Sie mir das, Sie liegen hier mitten in der Wüste, splitterfasernackt!“
„Ich bin nackt?“, zog sie seine Jacke an ihre Brust.
„Sieht ganz so aus. Wilde Partynacht gehabt, was?“, führte er Smalltalk um die Situation zu entschärfen.
„Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich hierher komme. Wo bin ich hier?“
„Etwa 20 Meilen vor Delta, Utah. Man, das war wirklich ne lange Nacht für sie, was? Kommen Sie hoch“, bat er und zog sie auf die Beine. Sie war schwach, konnte aber stehen.
„Soll ich Sie in ein Krankenhaus bringen?“
„Nein, hab nur nen Kater, schon gut. Wäre nett wenn Sie mich nach Delta bringen könnten“, sagte sie mit Kopfschmerzen.
„Sicher, ich muss meine Tochter auch wieder zurück in ihre Schule bringen“, zeigte er auf Beatrice.
„Sie ist auch hier?“
„Sie hat Sie gefunden, das ist ein echtes Highlight für ihren ersten Tag als Junior-Gecko“, bemerkte er und ging mit ihr zu Beatrice hin.
„Sie sind auch aus Delta?“, war sie überrascht.
„Seit etwa einer Woche, wir sind dorthin gezogen, sind Sie nicht aus L.A.?“
„Geboren bin ich hier, ich bin ein Gecko-Ehrenmitglied, ich war Pfadfinder-Führerin bis ich mit 15 dort weg bin“, zeigte sie ihr Gecko-Tattoo am Handgelenk.
„Wow, ein Tattoo, sie meinen das wirklich ernst damit“, murmelte er.
„Vielleicht kann ich Ihrer Tochter ja dabei helfen ein richtiger Gecko zu werden“, erwiderte sie.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ihr Lebensstil ist wohl nicht geeignet für eine sechsjährige“, konterte er.
„Oh ja, sicher. Mir ist kalt“, entgegnete sie zitternd.
„Ich hab nen paar Anziehsachen im Auto. Nächstes Mal am besten nicht allein trinken“, riet er ihr.
„Ähm, ich bin immer noch nackt“, murmelte sie.
„Oh ja, sorry, hier“, gab er ihr eine saubere Shorts und ein T-Shirt.
„Schon besser, ich habe grade eine ziemliche Pechsträhne, tut mir leid, dass ich Sie damit reinziehe“, entschuldigte sie sich.
„Schon gut, bin ja froh, dass es Ihnen gut geht. Fahren wir zurück“, entgegnete er und brachte sie zurück.
 
„Kleiner Adler, Gott sei Dank, dir geht’s gut“, kam Mato aus dem Haus geeilt und umarmte sie herzlich.
„Ja, ja, alles klar, ich bin ja gefunden worden. Onkel, das sind Ash und Beatrice, wir haben hier einen zukünftigen Gecko, sie hat mich in der Wüste gefunden“, stellte sie ihm ihre Retter vor.
„Sieht ganz danach aus, gut gemacht, Kleines. Ich bin Mato“, stellte Mato sich vor.
„Sehr erfreut. Ich hoffe, Sie kümmern sich gut um sie und ihr Problem. Ich muss jetzt los, die Pfadfinder-Führerin fragt sich sicher schon, wo meine Tochter steckt“, hatte es Ash eilig.
„Sicher, sagen Sie Emily nen Gruß“, bemerkte Mato.
„Sicher, Kleinstadt, jeder kennt jeden, daran muss ich mich noch gewöhnen. Man sieht sich vielleicht mal“, murmelte Ash und fuhr mit seiner Tochter weiter.
„Na wunderbar und schon bin ich als die Dorf-Säuferin abgestempelt, da mach ich Dad wohl alle Ehre, die Leute erwarten von unserer Familie ja nichts anderes“, bemerkte sie traurig.
„Du hast ihm gesagt, du hättest zu viel getrunken, cleveres Mädchen“, erwiderte Mato nur.
„Ich brauche ne weibliche Freundin“, murrte sie nur und ging ins Haus.
Dort stand Fala breitbeinig vor ihr.
„Na toll, er hat dich angerufen“, murrte sie.
„Nein, hat er nicht, ich hab mir aber schon gedacht, dass du hier bist, hab dir aber deine Zeit gelassen. Warum trägst du Klamotten von nem Kerl?“, musterte sie sie.
„Ich geh duschen“, sagte sie nur und ging an ihr vorbei ins Badezimmer.
„Du wolltest doch auf sie aufpassen“, bemerkte Fala raunzend.
„Hey, Kleines, sei nicht so frech, ich bin immer noch dein Onkel. Ich hab auf sie aufgepasst, sie ist mir nur gestern kurz verloren gegangen“, murrte er.
„Verloren gegangen? Sie ist kein Hund, sie ist eine sehr labile Person gerade, anscheinend hüpft sie wieder von einem Bett ins andere, ich dachte, das hätten wir ihr endlich ausgetrieben“, entgegnete Fala.
„Sie hat mit diesem Mann nicht geschlafen, kleine Krähe, diese Zeiten liegen hinter ihr. Sie hatte eine heftige Nacht, hat zu viel getrunken und ist nackt in der Wüste aufgewacht. Das ist uns allen schon mal passiert, ich erinnere dich nur an deinen Highschool-Abschluss. Dieser nette junge Mann und seine Tochter haben sie gefunden und zurückgebracht“, erklärte Mato.
„Welchen Alkohol hat sie getrunken?“
„Was?“
„Welchen Alkohol hat sie getrunken?“
„Keine Ahnung, Alkohol halt!“
„Du weißt es nicht, oder? Sie hatte einen Leber-Riss mit 22, sie darf keinen Alkohol trinken und das hat sie seit dem Tag auch nicht mehr. Also, was hat sie getan?“, fragte Fala cool.
„Sie hat eine verletzte Leber?“
„Sie ist nach zehn Jahren wieder verheilt, aber sie muss Medikamente nehmen. Also?“
„Na schön, weißt du noch die Geschichten, die deine Eltern euch erzählt haben, als ihr klein wart?“
„Die Geschichte wie sich das Mädchen in den großen starken Adler verwandelt? Das waren nette Märchen, aber was hat das jetzt mit ihr zu tun?“, wunderte sie sich.
„Kein Märchen“, sagte er nur.
„Sie ist also auch soweit“, erwiderte sie plötzlich.
„Du auch?“, wunderte sich Mato.
„Er war auch mein Vater, Onkel“, sagte sie und verwandelte sich in eine wunderschöne Krähe. Die Krähe spreizte seine Flügel und machte eine Verbeugung, bevor sie sich zurückverwandelte.
„Du hast es gut drauf, deine Kleidung hat sich auch mitverwandelt, das konnte ich erst nach einem Jahr“, schmunzelte er.
„Bei mir ist es vier Jahre her, es begann, als Benedict in den Irak musste“, entgegnete sie.
„Wie geht’s Benedict übrigens?“
„Keine Ahnung, er hat die Krankenschwester geheiratet, die ihn damals im Armee-Krankenhaus gesund gepflegt hat“, erzählte sie.
„Tut mir leid!“
„Ist zwei Jahre her, schon gut, ich bin weitergezogen. Kein Wort zu ihr, sie muss selbst mit dem hier allen klarkommen. Ich will sie zu seiner Beerdigung mittnehmen“, entschied sie.
„Dachte ich mir schon. Ich weiß nicht, ob sie dazu schon bereit ist“, überlegte er laut.
„Er war ihr Ehemann, sie sollte schon dabei sein“, schlussfolgerte Fala.
„Die beiden waren verheiratet?“
„Sie hat nicht viel erzählt die letzte Woche, was?“
„Nicht wirklich. Ich kann ihr helfen, das unter Kontrolle zu kriegen, wir kommen schon klar“, versicherte Fala.
„Sie wird nicht mit dir mitkommen“, erklärte er.
„War das ne Drohung, oder ne Feststellung?“
„Ne Tatsache, ich bin ein großer Kuschelbär, ich drohe niemandem. Sie wird hier nicht wegwollen“, entschied er trocken.
„Das wird sie wohl ganz allein entscheiden“, konterte Mato nur.
„Ja, das wird sie, hab mein Shampoo vergessen ins Badezimmer mitzunehmen“, stand Peta hinter ihnen.
„Du musst mit zurück, er war dein Ehemann!“
„Das Schwiegermonster will mich nicht dort, ich hab gestern noch nen Text von ihr bekommen, der spezifisch darauf hinweist, dass ich nicht zur Familie gehöre und dem tunlichst fernbleiben soll“, erklärte Peta.
„Seit wann lässt du dir was von dieser Schlange sagen? Du hast letzte Woche so gut reagiert, dass musst du einfach wieder tun“, ermunterte Fala ihre kleine Schwester.
„Ich bin durch, der ganze Kampf in den letzten Jahren, ohne ihn bin ich nicht stark, ohne ihn kann ich ihr nicht mehr entgegentreten“, sagte sie weinerlich.
„Bin ich niemand? Ich hau ihr eine rein, wenn es dir dann besser geht“, entgegnete sie trocken.
„Du bist zwar Staatsanwältin, aber ich glaub nicht, dass du damit einfach so durchkommst“, lächelte sie matt unter Tränen.
„Ist nen Versuch wert, ich schlaf ab und zu mal mit nem Cop, der holt mich schon irgendwie raus“, handelte Fala.
„Ich kann nicht“, gab Peta nicht nach.
„Bitte, du wirst das den Rest deines Lebens bereuen, glaub mir. Ich bin jede Minute bei dir und sobald die Zeremonie vorbei ist, kannst du gleich wieder hierherfahren, okay?“, verhandelte Fala weiter.
„Man, du verwandelst hart, okay, ich fahr mit, ich muss eh ein paar Sachen mitnehmen, hab nicht viel eingepackt in der Eile“, bemerkte Peta und am Nachmittag fuhr sie mit ihrer Schwester zurück.
 
„Die Blumen sind schön“, konnte Peta nur sagen, als sie etwas abseits von Olivers Familie in der Kirche saßen.
„Ja, sind sie. Schaffst du das?“
„Mom hat mir so viele Pillen eingetrichtert, dass ich nicht mal 100% sicher bin, dass ich überhaupt hier bin“, murmelte sie müde.
„Sie glotzt dich an, sie hat nicht erwartet, dass du wirklich hier bist“, erwähnte Fala.
„Ist der Sarg offen?“
„Nein, Süße, alles geschlossen. Du kannst jetzt nicht hingehen, Süße“, erwiderte Fala.
„Ich weiß, wollte es nur wissen. Mir ist übel“, sagte sie nur.
„Sollen wir gehen?“
„Nein, ich will einfach hier sitzen“, bat sie und Fala hielt ihre Hand.
 
Als sie die Kirche verließen, eilte Declan ihnen hinterher.
„Hey, Ladies“, begrüßte er sie.
„Geh weiter“, bat Peta, die sich an Fala geklammert hatte.
„Peta, bitte red mit mir“, bat Declan, als er realisierte, dass sie extra schneller gingen.
„Lass mich in Ruhe, Dec“, murrte Peta.
„Es tut mir leid, Süße, bitte lass mich erklären“, bettelte er fast.
„Ich kann dich nicht ansehen“, versteckte sie ihre Augen mit ihrer freien Hand wie ein kleines Kind.
„Ich weiß, ich seh ihm viel zu ähnlich, das hab ich in den letzten Tagen viel zu oft für meinen Geschmack gehört. Aber ich hätte auf jeden Fall die Polizei und auch ganz sicher dich informiert, wenn ich realisiert hätte, dass seine Ex so gefährlich ist. Ich hab ihm aber versprechen müssen, dass ich es für mich behalte“, versuchte er weiter zu erklären und zog sie dabei an sich heran.
„Lass mich sofort los“, zischte Peta.
„Was sonst? Kratzt und beißt du mich?“, wurde er laut. Bevor seine Worte noch verhallt waren hatte er ihre Fingernägel in der Wange hängen. Dabei kam ein wenig von Petas anderem Ego zum Vorschein und sie verletzte ihn dabei ziemlich.
„Du Schlampe hast mich gekratzt“, brüllte er sie an.
„Peta, Adlerchen, wir sollten mal deine Fingernägel schneiden, komm“, zog Fala die etwas verwirrte Peta weg.

Sechstes Kapitel

 
„Geht’s ihm gut?“, schluchzte Peta, als Fala ihre Schwester in Petas Wohnung zu beruhigen versuchte.
„Ich ruf ihn später mal an, jetzt musst du erstmal runterkommen, sonst verschwinden die nie“, redete Fala auf Peta ein, die ihre Hände, bzw. Klauen immer noch verkrampft hielt.
„Warum bist du nicht geschockt darüber, was du siehst?“, versuchte Peta zu verstehen.
„Ich bin deine große Schwester, was denkst du?“, fragte Fala und ihre Pupillen wurden pechschwarz.
„Du auch?“
„Ja, ich auch, ich würde mich mehr verwandeln, das ist aber sehr anstrengend und ich bin zu müde dafür. Das wird besser werden, du musst deine Kräfte nur unter Kontrolle bekommen. Das wird viel Training erfordern, aber ich bin für dich da“, erwiderte Fala und Peta verwandelte sich langsam zurück.
„Ich kann nicht hierbleiben, solang ich so bin, ich bin verwandelt ein ausgewachsener amerikanischer Weißkopfseeadler, das fällt in der Wüste weniger auf als mitten in L.A.“, schlussfolgerte Peta.
„Du willst also hier alles hinter dir lassen? Deinen Job, deine Wohnung und mich?“, wurde Fala gefühlsselig, während ihre Augen wieder grün wurden.
„Ich werde eine Weile weggehen, die Wohnung ist meine, die werde ich behalten, ich werde kündigen müssen, ja leider, aber ich find in Delta schon was“, plante Peta.
„Du bist meine beste Freundin, was mach ich nur ohne dich?“, begann Fala zu weinen an.
„Hey, ich bin doch die Trauernde hier. Ich bin nur ein paar Wochen weg, vielleicht zwei Monate, ich muss mir nur über einiges klarwerden. Mach es mir nicht schwerer als es jetzt schon ist, bitte, ich komme wieder“, entgegnete sie beruhigend.
„Du kommst aber wieder, oder?“, versuchte sich Fala zu beruhigen.
„Ja, natürlich komm ich wieder, ich muss das jetzt nur tun“, bat Peta.
„Okay, wenn du das willst, aber du musst noch eins vorher machen“, erwiderte Fala.
„Ja, ich entschuldige mich bei ihm, auch wenn er ein Arsch war“, bemerkte sie.
„Ja, das war er und das musst du nicht. Ich meine, du musst zu Mom“, entschied Fala.
„Nein, wieso?“, nörgelte Peta.
„Du weißt wieso, keine Sorge, ich fahr mit“, versicherte Fala.
„Aber nicht heute, wir fahren vor meiner Abreise morgen zu ihr, heute will ich nur schlafen“, hoffte Peta.
„Willst du noch was nehmen?“, wollte Fala wissen.
„Ich glaub, wenn du mir noch mehr gibst, kannst du morgen auch nen Leichensack für mich bestellen“, murmelte Peta und tätschelte wieder mit menschlicher Hand das Gesicht ihrer Schwester.
„Auch wahr, aber ich bleib heut Nacht hier“, entschied Fala.
„Ich will auch nicht allein sein!“
„Dann bleib ich hier. Willst du was essen?“
„Ich will nur schlafen!“
„Morgen isst du aber wieder was, okay?“
„Ahm“, sagte sie nur, während sie eindöste.
„Man, wir müssen echt aufhören dich unter Drogen zu setzen“, bemerkte Fala besorgt, während sie neben ihrer Schwester auf dem Bett saß, bis sie eingeschlafen war.
 
„Geht das so?“, fragte Peta unsicher, als sie vor ihrem Spiegel stand. Sie hatte ein schlichtes schwarzes Kleid an, was nicht zu viel und nicht zu wenig zeigte.
„Wir fahren zu Mom, alles was du anhast würde nicht passen“, schmunzelte Fala, die ein nettes Kostüm angezogen hatte.
„Du kannst gut reden, deine Sachen gefallen ihr immer!“
„Nur mein 200 Dollar Gerichtskostüm, was ich Gott sei Dank dabei hab, weil ich heute noch vor Gericht muss“, erklärte sie.
„Du musst heute vor Gericht? Sag doch was, dann wär ich allein gefahren!“
„Ich bin vorbereitet, mach dir darum keine Sorgen. Heute bist du wichtig“, entschied sie.
„Sie wird nicht verstehen, warum ich das mache“, entgegnete sie.
„Das muss sie nicht, Hauptsache ich versteh es“, erwiderte ihre große Schwester und sie gingen los.
 
Ihre Mutter wohnte in Beverly Hills, sie waren selten dort, weil sie sich nie dort wohl gefühlt hatten. Als sie volljährig wurden, gingen sie aufs College um das hinter sich zu lassen.
„Ja, zu wem wollen Sie?“, begrüßte die Bedienstete die beiden Frauen, als die Tür der Villa aufging, in der Insula allein nach dem Tod ihres zweiten Mannes wohnte.
„Schon wieder ne neue Angestellte, Mom?“
„Ach ihr seid es, schon gut, Emma, das sind meine Töchter“, rief Insula und sie traten ein.
„Peta, mein Engel, da bist du wieder, wo warst du?“, kam Insula zu ihrer Tochter und umarmte sie herzlich.
„Findest du es nicht etwas früh zum Trinken?“, wollte Peta trocken wissen.
„Hey, ich mein das ernst, ich hab mir wirklich Sorgen um dich gemacht“, murmelte Insula.
„Wie lang war ich weg?“, fragte sie nur.
„Was?“
„Du weißt es nicht, oder?“
„Du bist erwachsen, ich überwach dich nicht jeden Tag, nen paar Tage halt. Wo warst du denn jetzt?“
„Delta, wo ich mich zu Hause fühle, ich werde auch gleich wieder dorthin zurückfahren“, konterte sie nur.
„Warum willst du dahin zurück? Wegen ihm, oder?“, wurde sie ärgerlich.
„Er ist mein Onkel und er hilft mir klar zu kommen mit allem“, entschied sie.
„Wir können das hier genauso tun, du hast doch ein Leben hier, Süße“, bat Insula.
„Ich komm ja wieder, ich kann jetzt nur nicht hier sein“, erklärte Peta.
„Wenn du das willst, okay“, gab Insula nach.
„Ich brauch deine Zustimmung nicht“, erwiderte sie.
„Ja, ich weiß, ich wollte nur sagen, wenn du zurückkommst, wirst du hier mit offenen Armen empfangen“, entschied Insula.
„Danke, Mom“, bemerkte sie etwas irritiert.
„Gut, wenn das damit geklärt ist, wollt ihr nen Kaffee?“
„Ja, gern“, bedankte sich Fala und folgte ihrer Mutter ins Wohnzimmer.
„Das Ende der Welt ist wirklich nah“, sagte Peta kopfschüttelnd und folgte ihnen.
 
Spät in der Nacht kam Peta zurück nach Delta. Sie wollte nur noch schlafen. Sie nahm eine Tasche aus ihrem Kofferraum und lief zum Haus ihres Onkels. Plötzlich hatte sie eine Schrotflinte im Nacken. Sie erschreckte sich so sehr, dass sie sich wieder in einen Adler verwandelte, diesmal samt Kleidungsstücken.
„Kleiner Adler, du bist schon wieder da? Ich hab dich nicht so früh zurück erwartet“, hörte sie die vertraute Stimme ihres Onkels. Mit eigener Kraft verwandelte sie sich zurück.
„Heilige Scheiße, was soll das, Mato?“, fluchte sie.
„Du hast dich zurück verwandelt, ganz allein!“, war er stolz auf sie.
„Das ist jetzt nicht der Punkt, warum wedelst du mit ner Flinte rum mitten in der Nacht?“
„Ich komm von meiner Runde der Nachbarschaftswache, es gab mehrere Einbrüche in letzter Zeit. Komm rein“, ging er mit ihr ins Haus.
 
„Krieg ich nen Tee?“, setzte sich Peta müde auf einen Küchenstuhl.
„Sicher, Süße, wie war L.A.?“
„Klasse“, bemerkte sie sarkastisch.
„Klar, war die Beerdigung deines Ehemanns, war sicher die Hölle auf Erden. War das Schwiegermonster wenigstens nett zu dir?“
„Ich bin mit Fala weg, bevor sie zu mir kommen konnte, sie schien aber nicht glücklich darüber zu sein, dass ich da war. Alles in allem nen scheiß Tag“, sagte sie nur.
„Ja, denk ich mir. Wie geht’s den anderen?“
„Mom ist nett zu mir, anscheinend bin ich grade wirklich mies dran“, entgegnete sie.
„Sie hat zwei Ehemänner verloren, vielleicht kann sie nur gut mitfühlen, was du durch machst“, schlussfolgerte er.
„Ja, vielleicht, tut mir leid, aber ich bin total müde, ich will ins Bett“, entschied sie.
„Sicher, waren anstrengende Tage für dich, versprich mir aber, dass du morgen wieder aufstehst“, bat er.
„Ich versuch’s“, versichere sie.
„Das ist alles, was ich hören wollte“, schmunzelte er und sie ging schlafen.
 
Es war keine neun Uhr morgens, als Peta an diesem Morgen duschte, sich anzog und an den Frühstückstisch kam.
„Hey, morgen, willst du nen Kaffee?“, freute sich Mato sie zu sehen.
„Klingt gut“, setzte sie sich an den Tisch.
„Gut geschlafen?“
„Ja, das erste Mal seit langem ohne irgendwelche Medikamente. Hab ich mich gestern echt wieder verwandelt?“
„Ja, ich hab dich erschreckt, sorry, aber du hast das gut gehandelt“, erklärte er stolz.
„Ich hab keinen blassen, wie ich das gemacht habe, bin nur froh, dass du mich nicht nackt gesehen hast. Ein Trauma reicht mir“, erwiderte sie matt lächelnd.
„Dein Lächeln, ich hab nicht gedacht, dass wieder zu sehen. Hast du heut auch wieder Hunger?“
„Könnte was vertragen“, bemerkte sie.
„Gut, Rührei und Toast okay?“
„Klingt gut. Hast du schon gegessen?“
„Ja, muss gleich los, aber ich hab noch Zeit was für dich zu machen“, entschied er.
„Du bist wirklich Trauerberater?“
„Ja, aber nur nebenberuflich, ich arbeite immer noch in dem Werkzeugladen außerhalb der Stadt. Ich weiß, du vermeidest den Raum, aber du solltest heute mal zu deiner Tante rein, sie würde sich sicher freuen, dich zu sehen“, schlug er vor.
„Sie wird nicht merken, dass ich da bin“, konterte sie trocken.
„Sie wird, glaub mir, du könntest ihr Haar kämmen, wenn du willst“, schlug er vor.
„Okay“, stimmte sie zu.
„Wirklich?“
„Du hast mich bei dir aufgenommen, das ist das Mindeste was ich tun kann“, entschied sie.
„Okay, dann vielen Dank, ich komm zum Mittagessen wieder und koch was“, versprach er und machte ihr schnell ein paar Rühreier und Toast, bevor er zur Arbeit ging.
 
„Verdammt Peta, du hast deinen Mann erschossen auf dem Boden liegen gesehen, das schaffst du“, murmelte sie vor sich hin, während sie vor dem Zimmer ihrer Tante auf und ab tigerte. Fast etwas zu grob stieß sie die Tür zu dem Zimmer auf, in dem ihre Tante lag.
„Hey, Tante Nascha, was geht?“, fragte sie in den Raum, um die Stille zu überspielen, die dort herrschte.
Ihre Tante antwortete ihr natürlich nicht.
„Okay, wird dann eher ein Monolog. Mato meint, du würdest gern dein Haar gekämmt haben, das mach ich doch gern“, murmelte sie, nahm eine große Bürste vom Nachttisch und begann die wunderschönen schwarzen Haare von Nascha zu bürsten.
Plötzlich war sie da, erst verschwommen, doch dann ganz deutlich. Naschas Eule saß plötzlich neben Peta auf dem Nachttisch und sah sie mit ihren großen Augen an.
„Nach den letzten Tagen ist das nicht das seltsamste, was mir passiert ist“, redete sie mit sich selbst.
„Hey, du Schöne, du kannst mir nicht zufällig sagen, wie man meine Tante wieder wach bekommt, oder?“, berührte sie furchtlos die Feder der Eule. Ein bizarrer Schmerz durchfuhr ihre Brust. Ihr innerer Adler kam aus ihrer Brust und lieferte sich ein Kampf-Duell mit der Eule. Sie wurde plötzlich sehr schwach und sackte auf der Brust ihrer Tante zusammen.

Siebtes Kapitel

 
Sie atmete ein, als hätte sie lange unter Wasser gewesen und hätte die Luft angehalten. Ihr Herz schmerzte nicht mehr.
„Peta?“, hörte sie eine bekannte Stimme und sie rappelte sich auf.
„Tante?“, war sie geschockt.
„Was machst du hier, was ist passiert?“, fragte Nascha.
„Bleib ganz ruhig liegen, ich hol Hilfe“, stotterte sie und stolperte aus dem Zimmer.
„Hey, ich bin gleich zu Hause, alles klar?“, nahm Mato gutgelaunt sein Handy ab.
„Fährst du grad?“
„Ja, ich bin gleich zu Hause. Du klingst verwirrt, was ist los?“
„Halt an“, bat sie.
„Okay, hab angehalten, was ist?“
„Sie ist wach“, konnte sie nur von sich geben.
„Das ist ein echt blöder Scherz, Pet!“
„Kennst du mich als jemanden, der über so was Witze reißen würde? Ich weiß nicht was passiert ist, aber sie hat mit mir geredet, sie ist eindeutig wach“, sagte sie nur.
„Ich bin gleich zu Hause“, murmelte er nur und legte wieder auf.
 
Zögerlich ging sie zurück. Nascha starrte sie an, als den Raum betrat.
Dies war noch erschreckender als die leblose Nascha, die sie zuvor vorgefunden hatte.
„Mato ist schon auf dem Weg nach Hause, er freut sich, dass du wach bist“, erklärte sie.
„Du siehst müde aus“, sagte Nascha nur.
„Liegt daran, dass ich müde bin“, erwiderte Peta. Als Jugendliche hatte sie mit Nascha stundenlange Gespräche über Gott und die Welt geführt, jetzt konnte sie sie kaum ansehen.
„Du siehst aus wie dein Vater“, entgegnete Nascha plötzlich und Peta begann plötzlich zu weinen.
„Oh Süße, das ist was tolles, er war ein wunderbarer Mann“, bemerkte sie. Peta kniete sich vor Nascha hin und legte ihren Kopf neben Nascha auf die Bettdecke.
Sie weinte noch, als Mato zurückkam.
„Was ist los? Warum weinst du? Ist sie…?“, stolperte Mato zu ihnen.
„Sie ist traurig“, hörte er die liebliche Stimme seiner Frau, die er nie erwartet hatte wieder zu hören.
„Ja, sie ist traurig. Sprich weiter, mein Schatz, sprich weiter“, begann auch der starke Mato plötzlich zu weinen und ergriff das Gesicht seiner Frau.
„Es ist ein schöner Tag, du solltest nicht weinen“, bat Nascha und tröstete ihn.
„Ja, richtig, aber ich hab nie gedacht dass ich dich jemals wieder hören würde. Wie geht es dir?“
„Ich weiß es nicht“, bemerkte Nascha.
„Ich werde einen Arzt rufen“, griff er nach dem Telefon.
 
Den Kopf auf die Schulter ihres Onkels gelegt wartete Peta an diesem Nachmittag ab, während Naschas Hausarzt sie untersuchte. Mit verwirrtem Blick kam Dr. Hansley nach einer gefühlten Ewigkeit zurück aus dem Schlafzimmer.
„Mato, ich kann es nicht verstehen, ich kann es echt nicht verstehen“, stotterte Dr. Hansley.
„Rembrandt, du machst mir nicht gerade Mut“, sah Mato zu dem Mediziner auf.
„Solltest du aber, Nascha geht es gut, sogar sehr gut, sie wird noch eine Weile Physiotherapie brauchen, aber sonst kann ich nichts Bedenkliches entdecken. Ihr solltet sie noch an ein EEG anschließen lassen, nur um ganz sicher zu gehen, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie ein ganz normales Leben weiteführen kann“, erklärte Dr. Hansley.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stotterte Mato, der es nicht glauben konnte.
„Das musst du nicht, umarme deine Frau und dank den Göttern dafür, dass sie euch beiden noch eine zweite Chance gegeben hat“, entgegnete der Arzt, klopfte Mato sanft auf die Schulter und ließ sie allein.
„Das ist alles? Was sollen wir jetzt machen?“, war Peta nicht so begeistert, wie der Mediziner reagiert hatte.
„Wir bringen sie noch in ein Krankenhaus, nur um sicher zu gehen, aber wenn alles in Ordnung ist, müssen wir das Feiern, es ist eine Zeit der Freude, kleiner Adler“, realisierte Mato, dass er seine Frau wieder hatte.
„Ich kann das jetzt nicht, ich geh einkaufen“, murmelte Peta total durcheinander und lief zum nächsten kleinen Supermarkt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie lud irgendwelche Dinge wahllos in den Korb.
„Na, gibt’s was zu feiern?“, hörte sie plötzlich jemanden sagen und sie schreckte auf.
Sie sah auf und sah in die hübschen grünen Augen von Ash.
„Haben Sie keine Angst um Ihren Ruf, wenn Sie mit der Dorf-Säuferin reden?“, fragte sie nur.
„Ich wohne erst eine Woche hier, hab noch keinen Ruf zu verlieren. Ich halte Sie übrigens nicht für eine Alkoholikerin“, entgegnete Ash cool.
„Gut, ich bin nämlich keine Alkoholikerin. Mein Dad wurde hier immer als der Dorf-Trinker beschimpft, ich hab das immer als schrecklich empfunden. Ich hab gerade etwas von ihm erfahren, was meine Sicht auf die Situation von damals verändert hat“, dachte sie laut nach.
„Das ist gut. Ich war neulich nicht sehr nett zu Ihnen, ich habe gerade etwas Zeit, darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“, wollte er sich entschuldigen.
„Okay“, stimmte sie zu.
„Äh, okay, ich hatte etwas mehr Gegenwehr erwartet, aber gut. Sie kommen hierher, kennen Sie nen gutes Café, wo wir hingehen können?“
„Ja, kenn ich“, stellte sie ihren Korb einfach in ein Regal.
„Sie wollen nichts kaufen?“, wunderte er sich.
„Ich bin nicht wirklich hierhergekommen um was zu kaufen“, murmelte sie und folgte ihm nach draußen.
 
„Was so ne heiße Schokolade und ein Muffin für Ihren Teint macht, ist erstaunlich“, erkannte Ash, als sie eine Stunde später gemütlich in einem Hipster-Café saßen.
„Ja, ich war heute Mittag kurz ohnmächtig, das ruiniert jedem den Teint“, redete sie vor sich hin.
„Sie waren ohnmächtig? Wie kam‘s?“
„Hab zu wenig gegessen, vermutlich!“
„Sie sollten sich mal durchchecken lassen“, schlug er vor.
„Das war nichts, schon gut, geht mir schon viel besser“, erwiderte sie sie.
„Er würde nicht wollen, dass sie sich so aufgeben“, sagte er plötzlich.
„Was wissen Sie schon!“
„Bei mir ist es drei Jahre her, dass ich meine Frau verloren habe“, bemerkte er.
„Tut mir leid, ich wollte nicht…“, entschuldigte sie sich.
„Schon gut, ich war auch so, als es gerade passiert war. Sie dürfen die Leute jetzt nicht aus ihrem Leben ausschließen, sonst enden sie wie ich, ich hab meinen Job verloren, meine Freunde und fast auch meine Tochter. Wenn meine Eltern nicht gewesen wären, hätte ich nicht den Mut gefasst hierher zu kommen um neu anzufangen. Hier konnte ich endlich wieder einen Job finden“, erklärte er.
„Ich habe noch ein paar Tage, bis ich offiziell aus meinen Flitterwochen zurück zur Arbeit muss, ich weiß nicht, was ich machen soll“, gestand sie.
„Sie haben Ihren Mann in den Flitterwochen verloren?“
„Er ist neben mir am Altar erschossen worden“, erklärte sie ihm, während sie versuchte ihre Tränen zu unterdrücken.
„Das ist ja furchtbar, sie sollten mit einem Spezialisten darüber reden“, war er besorgt.
„Vielleicht eines Tages, aber bis jetzt bin ich nicht soweit. Mein Onkel ist Trauerberater, ich red schon mit ihm darüber, wenn ich soweit bin, momentan will ich das noch nicht“, sagte sie nur.
„Okay, warten sie nur nicht zu lange. So, wollen Sie noch nen Muffin?“, fragte er freundlich.
„Nein, danke sehr, ich bin voll, aber danke für die Einladung. Sie müssen sicher auch zurück zu Ihrer Tochter“, stand sie auf.
„Sie ist bei ihrer Pfadfinder-Gruppe, ihre Betreuerin wollte sie eigentlich hierher bringen“, erklärte er ihr.
„Verdammt, Emily ist auf dem Weg hierher? Und ich seh total verweint aus“, strich sich Peta die Tränen unter den Augen weg.
„Sie war damals eine Konkurrentin, was?“, neckte er sie.
„Eher im Gegenteil, wir waren die besten Freundinnen, sie hat mir nur nie verziehen, dass ich damals weg bin?“
„Waren Sie damals nicht 15? Sie hatten kaum die Wahl, ob sie gehen, oder bleiben können, oder?“
„Oje, ich hoffe, Sie haben eine Frau in Ihrem Leben, wenn Ihre Tochter 15 wird, wir Frauen denken in dem Alter nicht sehr logisch“, bemerkte sie.
„Na, die Nase wieder verheilt?“, hörte sie plötzlich Emilys Stimme hinter sich.
„Ist 15 Jahre her, Em‘“, drehte sie sich um. Emily, eine hübsche Blondine, stand in ihrem Pfadfinderführer-Hemd mit der kleinen Beatrice an der Hand vor ihr.
„Ja, das ist es. Hast dich sprichwörtlich nicht verändert“, erwiderte Emily.
„Sagt die Frau, die genau das gleiche Outfit anhat wie damals, als ich sie verlassen habe“, konterte Peta trocken.
„Danke für die Erinnerung“, murrte Emily.
„Okay, ich bringe mal meine Tochter aus dem Schussfeld, komm zu mir, Bea“, bat Ash und Emily ließ Beatrices Hand los und die Kleine ging zu ihrem Vater.
„Ich geh dann mal, benehmt euch, Ladies, seid ein Vorbild“, verabschiedete er sich und verließ mit seiner Tochter das Café.
 
„Hast du noch etwas Zeit?“, fragte Emily plötzlich.
„Ich hab nichts zu tun, wir sollten reden“, bat Peta.
„Sicher, setzen wir uns“, entschied Emily und setzte sich auf den Stuhl, von dem Ash gerade aufgestanden war.

Achtes Kapitel


„Also, was führt dich zurück hierher?“, begann Emily das Gespräch, als sie einen Kaffee tranken.
„Ich weiß es nicht genau. Meine letzte Woche war die schlimmste meines Lebens, ich fühle mich nur hier wohl!“
„Warum bist du dann damals weg?“, fing sie wieder mit der Vergangenheit an.
„Ich hatte keine große Wahl damals, Em, wir waren 15!“
„Du hast dich nie wieder bei mir gemeldet“, bemerkte Emily.
„Meine Mutter hat mir gesagt, ich soll alle Verbindungen zu Delta kappen, ich war 15, ich hab getan, was mir gesagt wurde“, entgegnete Peta.
„Du willst also alles auf deine Mutter schieben?“
„Du kennst meine Mutter, also ja“, versuchte Peta die Stimmung aufzulockern.
„Hat wohl nicht so geklappt mit ihrer Schauspiel-Karriere, was?“, fragte Emily schmunzelnd.
„Sie hat nen reichen Schnösel geheiratet, das ist fast wie eine Karriere, nur ohne das Schuften“, witzelte Peta und Emily lächelte sie an. Für einen Moment waren sie wieder die unbeschwerten 15-jährigen und Petas letzte Woche war vergessen.
„Bist du verheiratet?“, wollte Emily wissen und wie ein Faustschlag kam Peta zurück in der Realität an.
„Äh, ja“, spielte sie an ihrem Ehering an der Kette.
„Du lässt dich grad scheiden, oder? Kenn ich, bin auch geschieden!“
Peta konnte nicht antworten, sie weinte nur.
„Schon gut, Süße, ich helf dir da durch“, klopfte Emily ihr sanft auf die Schulter, während Peta ihren Kopf in ihren Armen vergraben auf den Tisch gelegt hatte.
„Ihr Mann wurde an ihrem Hochzeitstag am Altar vor ihren Augen erschossen. Beatrice hat ihre Tasche liegen lassen, Sie müssen mich nochmal in das Vereinshaus lassen“, kam Ash zurück.
„Ah, okay, ich geh dann mal kurz zahlen, wir bringen sie besser vorher nach Hause. Sie wohnt bei ihrem Onkel, oder?“
„2,15 m Kerl, nen bisschen angsteinflößend?“
„Ja, das ist ihr Onkel. Pet, bin gleich wieder da“, ging Emily etwas irritiert zum Tresen um zu bezahlen.
„Jetzt hat sie Sie wohl verheult gesehen, was?“, redete Ash cool auf sie ein.
„Lassen Sie mich in Ruhe“, murrte sie in ihre Arme.
„Kommen Sie hoch, Schätzchen nimm bitte ihre Tasche. Wir bringen Sie zu meinem Wagen und nach Hause. Das war wohl etwas viel für Sie heute“, zog er sie sanft hoch.
„Ich würde nicht so nah dran gehen, ich hab sie schon Kerle für weniger verprügeln sehen“, schmunzelte Emily, als sie zurückkam.
„Kommen Sie“, bat er nur und zusammen brachten sie Peta heim.
Mato brachte gerade seine Frau in ein Krankenhaus, aus diesem Grund war sie allein. Ihre Begleiter machten sich Sorgen, also kamen sie mit ins Haus. Überall an den Wänden hingen antike indianische Figuren und Masken.
„Ihr Onkel ist sehr mit seinen Navajo-Wurzeln verbunden, was?“, bewunderte Ash zusammen mit Emily die Masken, während Peta duschte.
„Woher wissen Sie, dass das Navajo-Kunst ist?“
„Ich bin aus Arizona, die haben wir da auch, ich finde die Kultur faszinierend. Wir müssen ihr jetzt beistehen, sie hat eine furchtbare Situation erlebt“, sah er zum Badezimmer.
„Ich habe auch gerade erst geheiratet, ich weiß nicht, ob sie es verträgt, in meiner Nähe zu sein“, bemerkte sie.
„Sie müssen ihren Ärger ihr gegenüber vergessen, das ist so lange her“, riet er ihr.
„Ich werde es versuchen, ja, es ist wirklich lange her. Man, wenn ich mir vorstelle, dass mein Mann vor meinen Augen erschossen würde, ich könnte nicht mehr aufstehen“, dachte Emily laut nach.
„Meine Frau starb vor drei Jahren, ich hab das hinter mich gebracht, ich weiß!“
„Tut mir leid, ich wollte nicht…“, entschuldigte sie sich.
„Ich weiß, schon gut, ich komm jetzt damit klar. Sie kannten also Petas Ehemann nicht?“
„Nein, ich hatte die Einladung zu ihrer Hochzeit im Briefkasten, doch ich war zu eingeschnappt, um hinzugehen, im Nachhinein war das vielleicht ne gute Sache, aber ich hätte früher helfen können, ihre Familie ist nicht die einfühlsamste, deswegen ist sie sicher auch hier. Mato und Nascha sind mehr ihre Eltern, als es ihre Mutter je sein könnte. Doch Mato hat ja selbst seine Last zu tragen, seid Nascha im Koma liegt. Sie liegt dort in diesem Zimmer, wie tot, seit drei Jahren“, bemerkte Emily und zeigte zum Schlafzimmer. Die Tür stand auf und auch durch das Fenster wehte der Wind den Staub von draußen hinein.
„Hm, das ist komisch, die ist sonst immer zu“, wunderte sich Emily und ging in Richtung des Schlafzimmers.
„Emily, Sie können doch nicht einfach…“, ging Ash ihr hinterher, aber sie stand schon mitten im Zimmer.
„Oh mein Gott, das Bett ist leer, ist sie … tot?“, stotterte Emily.
„Nein, sie ist vor ein paar Stunden wachgeworden, Mato lässt sie gerade im Krankenhaus untersuchen. Schleicht ihr eigentlich immer in fremde Schlafzimmer?“, stand Peta in einem Morgenmantel in der Tür des Schlafzimmers.
„Äh, nein, sorry. Was? Sie ist aufgewacht? War sie nicht nur zum Sterben hierher verlegt worden?“
„Sie hat es sich anders überlegt“, sagte Peta nur.
„Das ist toll, wird sie leben?“
„Laut ihrem Hausarzt schon, mehr wissen wir erst, wenn sie zurück vom Krankenhaus sind. Wollt ihr nen Kaffee?“, stieß sie sich vom Rahmen ab, an den sie ihren Kopf gelehnt hatte und ging in die Küche.
„Sicher, gerne. Das ist toll, das ist ein Grund zu feiern“, folgte Emily ihr mit Ash im Schlepptau.
„Äh, ja, hurra“, bemerkte Peta gefühlslos.
„Na ja, nicht in den nächsten Tagen, aber das ist trotzdem ein glückliches Ende für deinen Onkel“, erklärte Emily.
„Ja, schon, ich kann das gerade nur nicht verarbeiten“, entgegnete Peta verwirrt.
„Willst du ne Weile zu uns kommen?“, schlug Emily vor.
„Nein, du bist frischverheiratet, ich will euch nicht stören“, konterte Peta.
„Mato hat dir von meiner Hochzeit erzählt?“
„Du hast mich eingeladen, was denkst du, warum ich dir die Einladung geschickt habe, die du übrigens nie zurückgeschickt hast“, bemerkte sie.
„Du meine auch nicht, denk ich, war ne riesige Hochzeit, ich wollte das nie so groß, deswegen haben wir auch schon zwei Wochen zuvor heimlich geheiratet“, erzählte Peta. Langsam konnte sie darüber reden, ohne sofort in Tränen auszubrechen.
„Du hasst deine Schwiegermutter, oder?“
„Mehr als andere. Ich musste ganz hinten in der Kirche sitzen bei seiner Beerdigung“, wurde ihr Blick wieder trauriger.
„Was für ein Miststück, warte, du warst schon auf der Beerdigung, wann?“
„Vorgestern, ja, hab die Route hierher jetzt schon zweimal gemacht, in einer Woche, ist nicht zu empfehlen“, entschied sie.
„Ja, glaub ich, du bist total übermüdet, deswegen wirst du auch ständig ohnmächtig. Ash hat mir davon erzählt“, erklärte Emily.
„Oh, danke, Ash“, murrte sie.
„Hey, ich bin Krankenschwester, du solltest dich mal durchchecken lassen. Vielleicht bist du ja schwanger, oder so“, schlussfolgerte Emily.
„Nein, bin ich nicht, glaub mir, es ist was anderes“, erwiderte sie.
„Sie müssen sich nicht für Ihr Alkoholproblem schämen, wirklich nicht“, mischte sich Ash ein.
„Ich hab auch kein gottverdammtes Alkohol-Problem, ich darf seit zehn Jahren überhaupt keinen verfluchten Alkohol trinken, weil ich eine verkleinerte Leber habe. Fuck, es passiert wieder“, schimpfte sie und für eine Minute verwandelte sie sich wieder in einen Adler. Zurück kam sie zu ihrer Erleichterung samt Morgenmantel.
„Wa … was war das gerade?“, stotterte Emily und ging ein paar Schritte zurück.
„Raus“, brüllte sie peinlich berührt.
„Aber … du hast dich grad in ein Tier verwandelt“, blieb Emily wie angewurzelt stehen.
„Raus, sagte ich!“
„Okay, das ist faszinierend, Sie haben nicht zufällig auch Tlingit-Blut in sich? Es gibt in dieser Kultur eine Sage einer Adler-Frau“, bemerkte Ash wenig geschockt.
„Ich verwandle mich weiter in einen Adler, wenn ihr mich weiter aufregt und dann kann ich meine Kräfte nicht kontrollieren, bitte geht“, zischte sie durch die Zähne.
„Wir sollten gehen, sie hat das noch nicht wirklich unter Kontrolle, kommen Sie“, zog Ash, Emily weg, die immer nur Antworten suchend auf ihre Freundin blickte.
 
Und wieder fand sich Peta auf dem Fahrersitz ihres Wagens vor, weinend, ohne eine Ahnung wo sie hinwollte.
Sie sah durch ihre verheulten Augen in den Rückspiegel.
„Oh, mein Schatz, wo willst du denn hin?“, vernahm sie plötzlich die Stimme ihres Mannes, der ihr auf dem Rücksitz erschien.
„Verdammt, die ganzen Drogen in letzter Zeit und der Schlafmangel setzen mir endgültig zu“, murmelte sie und rieb sich die Augen. Er verschwand.
„Bitte lass mich nicht verrückt werden, bitte lass mich da unbeschadet rauskommen“, redete sie vor sich her und schloss unter Tränen die Augen. Ein lautes Klopfen an die Scheibe der Beifahrertür riss sie aus ihrer Trance.
„Hey, wo geht’s denn hin?“, hörte sie Matos freundliche Stimme.
„Äh, einkaufen“, versuchte sie ihren Zusammenbruch zu verschleiern.
„Warst du da heute Morgen nicht schon?“
„Okay, hatte schon bessere Ausreden“, stieg sie aus.
„Du wolltest verschwinden, oder?“, realisierte Mato.
„Tut mir leid, ich kann nicht mehr, können wir reden?“, hoffte sie.
„Sicher, sie haben Nascha eh über Nacht dabehalten, ich hab Zeit, komm“, erwiderte er und brachte sie rein.
 
„Oh man, das ist nicht gut“, entgegnete Mato, als sie bei einem Tee in dem gemütlichen Wohnzimmer des Hauses zusammensaßen und sie von ihrer Verwandlung vor Publikum erzählte.
„Danke fürs Aufbauen, du bist ein echter Experte“, murmelte sie in ihren Tee.
„Ich sag’s nur, das ist ne kleine Stadt, ein Gerücht verbreitet sich schnell hier“, entschied er.
„Deswegen wollte ich eigentlich auch hier weg, ich weiß nicht, was die Menschen tun, wenn sie erfahren was ich bin, was wir sind“, überlegte sie laut.
„Wir stehen hier unter dem Schutz des Stammes, uns passiert nichts. Es ist nur schlecht für deine Beziehung mit deinen Freunden“, konterte er.
„Äh ja, mein Verhältnis zu Emily ist schon lang schwierig, Ash kenn ich kaum. Wir stehen unter irgendeinem Schutz?“
„Wir stammen aus einer sehr alten indianischen Familie, Nachfahren von großen Häuptlingen und Stammesführern. Hast du geglaubt, unsere Gabe wird verteilt wie Geschenke auf der Kirmes?“
„Ich bin immer noch nicht bereit, dass eine Gabe zu nennen, noch nicht. Mal ne rein hypothetische Frage. Gab es irgendwelche Medien in unserer Familie? Ich mein damit Vorfahren, die mit Toten sprechen können, oder so!“
„Mein Gott, du bist die Wiedergeburt von Catori, der großen Seherin“, war Mato begeistert.
„Wow, die Frage war nur rein theoretisch, interpretier mir da nichts rein“, kurbelte sie zurück.
„Du hattest eine Vision, das seh ich doch an deinem Blick!“
„Das war ne Höllenwoche, vielleicht war es ja nur Einbildung!“
„Du hast ihn gesehen, oder?“
„Hm, möglich!“
„Seine Seele wurde ganz brutal aus seinem Körper getrennt, er ist noch hier, da kann ein Medium wie du leicht seine Seele erreichen“, erklärte er.
„Ich hab nicht gesagt, dass ich ein Medium bin!“
„Man, deine Mutter hat dich in den letzten 15 Jahren echt verkorkst. Lass es zu, du bist ein sehr spiritueller Mensch, das ist ein Segen“, bat er.
„Okay, ich nehm’s an, was muss ich tun?“
„Deine Urgroßmutter war ein Medium, ich nicht, da musst du mit Shania reden“, bemerkte er.
„Oh man, nicht die“, grummelte sie.
„Sie ist nen bisschen exzentrisch, aber ein echtes Medium. Sie hat mir geholfen, mich von meinen Geschwistern zu verabschieden“, erklärte er.
„Sie ist ein „Cold Reader“, Onkel, was in so einer kleinen Stadt nicht schwer ist, sie kannte deine Geschwister sicher so gut wie du sie kanntest, den Rest hast du ihr sicher unbewusst erzählt“, konterte sie.
„Oh, da ist sie wieder die zynische Frau aus Los Angeles“, konterte er trocken.
„Hast du mit ihr über mich gesprochen über die letzten 15 Jahre in meinem Leben?“
„Nein, hab ich nicht!“
„Dann besuch ich sie morgen mal, wenn sie mir was erzählen kann, was sie nicht wissen kann, glaub ich ihr vielleicht und lass mich beraten!“
„Okay, mach das. Ich werde was kochen, hast du nen besonderen Wunsch fürs Abendessen?“
„Das war ein langer Tag für dich, ich werde was kochen, das beschäftigt meine Hände und mein Hirn. Bleib du hier sitzen, ruh dich aus“, bat sie und kochte ihnen etwas.
 

Neuntes Kapitel

 
Ein großer Schwall von Patschuli kam ihr entgegen, als sie durch den Perlenvorhang in das Studio von Shania ging.
„Oh Hölle, das ist ja noch stereotypischer als ich dachte hier“, murmelte sie.
„Du bist die letzte, die ich hier erwartet hätte, kleiner Adler“, hörte sie in dem schummrigen Zimmer eine freundliche Stimme.
„Morgen, Shania, warum ist es hier so dunkel drin?“, fragte sie.
„Ich bekomme oft Besuch vom Jenseits, da hab ich ständig Migräne, die Dunkelheit ist mein Freund geworden“, erklärte Shania.
„Ich hoffe, so sieht meine Zukunft nicht aus“, überlegte Peta laut.
„Die Visionen haben begonnen, nicht wahr? Wir sind die Außerwählten, das ist eine große Ehre“, legte Shania ihre Hände auf Petas Schultern.
„Ja, bla, bla, bla, das hör ich von überall, ich find das eher weniger ehrenhaft, ich möchte nur mein gottverdammtes Leben weiterleben, meinen Ehemann zurück und Montag im Büro auftauchen und meinen Kolleginnen stolz erzählen, wie wunderschön meine Hochzeit und wie romantisch meine Flitterwochen auf Maui waren“, begann sie wieder zu weinen.
„Er saugt dir die Lebensenergie aus dem Körper, ich kann das ändern“, erklärte Shania ihr und ergriff Petas Kopf.
„Na toll, jetzt werde ich von der Dorf-Verrückten umgebracht, das ist ironischerweise nicht das Schlimmste, was mir diese Woche passiert ist“, schloss sie die Augen.
„Sonst geht’s dir gut, oder? Ich bring dich doch nicht um, ich bin deine Patentante, da wär dein Vater echt sauer. Sei still, ich muss mich konzentrieren, das ist nicht einfach, ich muss die Verbindung zu ihm trennen, er hängt echt heftig an dir“, drückte sie ihre Daumen fest an Peta Schläfen.
„Au, du tust mir weh, hör auf“, flehte sie, als Shania immer fester drückte.
„Es ist gleich vorbei, versprochen“, versicherte Shania. Peta wurde wütend, richtig wütend. Sie spürte ihre Krallen, die sich aus ihren Fingernägeln formten. Sie atmete tief ein und aus, sie wollte das unter Kontrolle halten, sie wollte sie nicht so verletzen, wie sie es mit Declan getan hatte. Ganz plötzlich sah sie wieder ihren Ehemann in der Reflektion des Spiegels vor sich. Er lächelte sie an, so wie er es immer getan hatte. Sie spürte eine sofortige Ruhe und Gelassenheit und konnte sich wieder zurückverwandeln, ohne Shania zu schaden. Sein Lächeln war wunderbar, es war, als wäre für diesen Moment alles wieder wie zuvor. Doch dann wich seine Erscheinung mehr und mehr und war dann weg.
„Nein, bleib hier, geh nicht, verlass mich nicht“, brach sie wieder in Tränen aus und sackte auf die Knie.
„Oh Süße, das musste sein, er hat dich innerlich aufgefressen“, beruhigte Shania sie sanft. Sie fühlte sich wirklich besser, als würde sie sich von einer Erkältung erholen, nur dass nicht ihre Nase frei wurde, sondern ihr Herz.
„Ich kann nicht mehr weinen, ich will nicht mehr weinen“, schluchzte sie.
„Setz dich hin, das war sehr anstrengend für deinen Körper, er hat dir sicher noch die letzte Kraft geraubt“, zog sie sie auf ein Sofa.
„Ich muss etwas ausruhen“, legte sie sich zur Seite und sank in einen dösenden Schlaf.
 
Sie wurde leicht wach, als zwei starke Arme sie hochnahmen und wegtrugen.
„Keine Sorge, ich bin es nur, ich bring dich heim. Danke für den Anruf, Shan‘“, bedankte sich Mato und trug sie zu seinem Wagen.
 
Sie wurde aus ihrem tiefen Schlaf geweckt, als jemand sanft über ihren Unterarm strich. Sie lächelte für einen Moment, Oliver hatte dies immer gern getan, während sie nebeneinander im Bett lagen.
„Du hast ein wunderschönes Lächeln“, hörte sie Emilys Stimme.
„Du bist zurück“, öffnete sie die Augen.
„Ja, das bin ich. So schnell wirst du mich nicht los, vor allen nicht in deiner Situation“, bemerkte sie.
„Ich könnte dich verletzen“, entschied sie.
„Hm, hatte ich schon, dir ist vergeben“, konterte sie nur.
„Das musst du nicht tun!“
„Nein, muss ich nicht, das will ich aber. Wie fühlst du dich?“
„Besser, irgendwie, wie bin ich hierhergekommen?“
„Dein Onkel hat dich hierhergebracht, du bist bei Shania eingedöst. Hätte nicht gedacht, dass du diesen Hokuspokus glaubst“, entgegnete sie.
„Du weißt schon, dass ich ein mythisches Wesen bin? Der ganze Hokuspokus gehört jetzt zu meinem Leben. Anscheinend bin ich auch noch ein Medium. Ich bin nicht begeistert, echt nicht, aber so sieht dann wohl mein Leben aus“, setzte sie sich auf.
„Du bist kein Medium“, erklärte Shania ihr, die mit einer Tasse Kaffee zu ihr kam.
„Shania, hey, du bist hier!“
„Du hast ne ganze Weile geschlafen, dein Onkel hat mich angerufen und mich gebeten nach dir zu sehen, während er deine Tante aus dem Krankenhaus holt. Ich hab keinerlei Aktivitäten die das übernatürliche betreffen nach Olivers Verschwinden bei dir entdeckt, du warst nur ein Wirt für seine geschundene Seele. Er ist jetzt aber völlig verschwunden“, versicherte sie.
„Ich hätte ihn jetzt gern bei mir“, sagte Peta nur.
„Ich weiß, ich hab das selbst erlebt, du fühlst jetzt eine große Leere, aber das geht weg, ganz sicher, glaub mir“, erwiderte sie.
„Du warst mit meiner Tante zusammen, das vergess ich immer, sorry!“
„Schon gut, ist so lange her. Howea hat ihren Frieden gefunden, aber sie hat ziemlich heftig an meiner Seele gesaugt als sie ein Geist war, sie hat mich fast umgebracht damit. Gut, dass du zur mir gekommen bist, bevor es schlimmer wurde“, bemerkte sie.
„Das ist so ein Blödsinn“, mischte sich Emily ein.
„Du glaubst an Formwandler, aber nicht an sie als Medium?“
„Deine Verwandlung hab ich gesehen, ihre Kräfte konnte ich aber noch nicht sehen“, erwiderte Emily.
„Du bist so skeptisch wie deine Großmutter, Emily, das hat sie so an dir gelebt“, bemerkte Shania liebevoll.
„Netter Versuch, Shan!“
„Hast du noch den kleinen blauen Teddybär, den du von ihr zur Geburt bekommen hast?“
„Das mit dem Bären wussten nur meine Großmutter und ich“, verdrückte Emily eine Träne.
„Sie ist echt gut“, realisierte Peta.
„Du hast auch an mir gezweifelt, kleiner Adler, richtig?“, fragte Shania, Peta.
„Wir haben wohl etwas mein Hirn angezapft, was?“, fragte Peta keck.
„Musste ich nicht, das hast du mir schon ganz von alleine gesagt. Aber jetzt glaubst du mir, dass ist alles, was wichtig ist. So, Süße, ich kann leider nicht mehr auf deinen Onkel warten, ich hab noch zwei Termine in einer halben Stunde. Emily wird aber sicher noch auf dich aufpassen, nicht wahr, Emily?“, drehte sich Shania zu Emily.
„Natürlich, geh du nur“, versicherte sie ihr und Shania ging lächelnd davon.
„Du brauchst nicht bleiben, ich komm hier schon klar!“
„Du warst fast 15 Stunden weg, bist du sicher?“
„Ich hab 15 Stunden geschlafen? Man, seine Seele hat mich echt ausgelaugt, wie mir scheint. Ich komm klar, mein Onkel ist sicher gleich zurück“, versicherte sie.
„Gut, ich muss auch langsam los, ich hab Nachtschicht und meinen Mann will ich zwischendrin auch mal sehen“, erwiderte sie, aber bereute die Aussage gleich.
„Schon gut, du kannst deinen Mann erwähnen, ich freu mich doch für dich, dass du glücklich bist. Jetzt geh, er wird hoffentlich dein ganzes Leben an deiner Seite sein, aber du kannst nie wissen“, verabschiedete sie sich.
„Du rufst aber an, wenn was ist, okay?“
„Ja, werde ich, aber mir geht’s schon besser, versprochen“, versicherte sie und Emily ließ sie allein.
 
Als Peta Matos Stimme draußen vor dem Fenster hörte, schlüpfte sie in ihre Schlappen und schlurfte nach draußen.
„Hey, kleiner Adler, warum stehst du denn auf?“, kam Mato zu ihr hin.
„Mir geht’s gut, kümmer dich um deine Frau“, setzte sie sich etwas erschöpft auf einen Stein neben der Tür.
„Ihr geht’s gut, alle Tests waren unauffällig, sie ist komplett gesund, es ist ein Wunder. Ich würde gern eine kleine Feier geben heute Abend, schaffst du das?“, wollte Mato wissen.
„Sicher, ich will dir nicht in dein Leben reinpfuschen, ich werde mich aber im Hintergrund halten!“
„Natürlich, dachte ich schon. Kannst du die Tür richtig aufmachen?“, bat er und sie schob die Tür auf, damit Mato seine Frau hineintragen konnte.
 
Spät an diesem Abend saß Peta in ihre Lieblingswolljacke gekuschelt auf den Treppenstufen des Hauses ihres Onkels und starrte zum Nachthimmel hinauf.
„Man fühlt sich so klein, wenn man die vielen Sterne sieht, oder?“, hörte sie plötzlich eine Stimme und sie zog ihr Messer von der Stufe neben sich und bewaffnete sich.
„Wow, ich bin’s nur, Ash, Sie bräuchten auch kein Messer, Sie sind ja selbst eine Waffe“, schmunzelte er und sie legte die Waffe ab.
„Witzig, also haben Sie keine Angst vor mir?“
„Nein, eher Respekt, aber die sollte ich immer haben. Darf ich mich setzen?“, hoffte er und sie deutete an, dass er sich setzen sollte.
„Sie haben keine Lust auf Party, was?“
„Nein, nicht wirklich, aber mein Onkel wirkt so glücklich, da will ich ihm nicht den Tag versauen, deshalb sitz ich hier draußen. Kann ich mit Ihnen über was reden?“
„Sicher, was gibt’s?“
„Ich glaub, ich bin dafür verantwortlich, dass meine Tante jetzt wieder so ist, wie sie ist“, entgegnete sie.
„Okay, ich dachte eher, Sie wollen über Trauerphasen reden, aber gut!“
„Sie haben gesagt, Sie hätten Erfahrungen mit der Navajo-Kultur, sind Sie jemals über so was wie eine „Verbindung zwischen zwei Totem-Partnern“ gestoßen, die sich gegenseitig helfen können? Das klingt so bescheuert, ich weiß, bis vor ein paar Tagen hab ich mich mit meiner Kultur nicht beschäftigt, das war immer etwas, was mein Dad mir als Kind erzählt hat, nichts, was wirklich real war. Jetzt bin ich mittendrin und das erschreckt mich so furchtbar, dass ich so unsicher werde“, begann sie.
„Nein, darüber weiß ich leider auch nicht viel, tut mir leid. Wenn ich das sagen darf, Sie scheinen das gut zu machen, hey, Sie haben aufgehört zu weinen, das ist nen Anfang“, schmunzelte er.
„Auf der Beerdigung meines Mannes hat mich sein Bruder so sehr geärgert, dass ich mich halb verwandelt habe und ihn heftig gekratzt habe. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, dabei ist er ein sehr guter Freund. Ich hab Angst ihn anzurufen, weil ich seine Frage nicht beantworten will und kann“, erklärte sie.
„Haben Sie mit ihm geschlafen?“
„Äh nein, was?“
„Wollte es nur wissen, sorry, bin nen bisschen neugierig manchmal. Sie sollten ihn anrufen, wenn er wirklich ein guter Freund ist, wird er es verstehen und es ist wichtig Kontakt zur Familie Ihres Mannes zu behalten, meine Schwiegereltern haben mir viel geholfen nach dem Tod meiner Frau“, riet er ihr.
„Meine Schwiegereltern sind snobistische Arschlöcher“, sagte sie nur.
„Okay, da hatte ich mehr Glück, aber ihr Schwager scheint nett zu sein, wenn er Ihr Freund ist“, warf er ein.
„Ja, das ist er, ich sollte ihn wirklich anrufen, danke. Sorry, dass ich Ihnen so blöde Fragen über meine eigene Kultur gestellt habe, ich weiß nur nicht mit wem ich darüber reden sollte“, entschuldigte sie sich.
„Ist doch kein Problem, ich werde recherchieren, vielleicht finde ich was raus“, entgegnete er.
„Was arbeiten Sie eigentlich jetzt, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
„Ich bin Tierarzt, ich hab die Praxis von Dr. Rickerson übernommen“, erzählte er.
Wie aus dem Nichts lachte Peta plötzlich herzlich und innbrünstig.
„Was ist daran so komisch?“, freute er sich, dass sie lachte.
„Sie sind Tierarzt und ich kann mich in ein Tier verwandeln“, amüsierte sie sich.
„Ja, hat schon was Ironisches. Gefällt mir, Ihr Lachen“, war er erfreut, sie so frei lachend zu sehen.
„Oh mein Gott, was hab ich getan? Ich kann nicht…“, stotterte sie und vergrub ihr Gesicht vor Scham in ihren Händen.
„Hey, alles ist in Ordnung, Sie dürfen lachen, weinen, schreien, schweigen, alles was Ihnen in der Trauer hilft. Obwohl schweigen würde ich ihnen nicht empfehlen, macht sehr einsam“, beruhigte er sie und legte sanft ihren Arm über ihre Schulter.
Ohne darüber nachzudenken, kuschelte sie sich in seinem Arm ein und ließ sich trösten.
 
Das Leuten seiner Türglocke ließ den jungen Arzt aufsehen.
„Morgen“, stand die hübsche Frau mit indianischen Wurzeln in seiner Tür, die er die Nacht zuvor ganz freundschaftlich getröstet hatte.
„Hey, geht’s dir besser?“, begrüßte er sie. Sie waren in der Nacht zuvor dazu übergegangen, weniger förmlich miteinander umzugehen.
„Heute ist bis jetzt ein guter Tag, danke nochmal wegen gestern. Ich hoffe, ich bin dir nicht zu nahe getreten“, bedankte sie sich.
„Nein, war schön mal wieder in der Nähe einer schönen Frau zu sein, ist ne Weile her gewesen. Willst du mir ausräumen helfen? Meine Sachen sind grade angeliefert worden“, erklärte er. Er stellte gerade persönliche Sachen auf seinen Schreibtisch in seinem kleinen Büro.
„Sicher, kann ich machen. Schon nervös vor der Neueröffnung?“
„Schon etwas ja, meine letzte Praxis musste ich ja wegen meines Zusammenbruchs aufgeben“, dachte er laut nach.
„Ich werde meinen Job vermutlich auch aufgeben, ich kann jetzt nicht zurück nach L.A, das krieg ich psychisch einfach nicht fertig“, konterte sie.
„Welchen Beruf hast du, wenn ich mal so frech fragen darf?“, wollte er wissen und stellte sein Namensschild auf den Schreibtisch.
„Ich bin Apothekerin. Dein Nachname ist Madison. Ashley Madison?“, prustete sie.
„Ja, so wie diese peinliche Website, ist nicht so witzig, wenn deine Tochter deinen Namen schreiben und lesen kann und ihn ständig in den Nachrichten liest und fragt, worum es geht“, bemerkte er und ihr Lächeln erstarb.
„Okay, nicht so witzig, wenn es die Tochter betrifft. Was hast du ihr erzählt?“
„Ich hab ihr erzählt, dass es um eine andere Person geht, der den gleichen Namen hat und was Böses getan hat. Ist ja nur halb gelogen und sie hat aufgehört Fragen zu stellen“, erklärte er.
„Sorry, jetzt ist es nicht mehr so witzig“, entschuldigte sie sich.
„Schon gut, ich freu mich doch, wenn du dich amüsierst. Hast du einen Bachelor gemacht?“
„Ja, hab meinen Bachelor. Willst du mich einstellen?“
„Würde ich gerne, aber ich hab schon jemanden für den Empfang und mehr Leute kann ich grade nicht einstellen!“
„Schon gut, noch hab ich ja einen Job. Ich sollte meinen Boss mal anrufen und mit ihm darüber reden, wie lang ich wegbleiben könnte, bis er mich kündigen müsste“, erläuterte sie weiter.
„Ich hör mich dementsprechend um, wenn du wirklich bleiben willst“, versprach er.
„Danke, dass ist lieb. Ich hab grade noch gar keine Ahnung, was ich will, ich vermisse meine Schwester in L.A., aber dort bekomme ich keine Luft und ich kann nicht aufhören zu weinen“, erklärte sie.
„Ja, versteh ich, deshalb bin ich ja auch hier. Du kannst die Bücher im Regal verstauen, wenn du willst, dann hol ich uns schnell nen Kaffee in dem Café gegenüber“, schlug er vor und sie nickte und ging an die Arbeit.
 
Abgelenkt von Ash kam Peta zufrieden später am Nachmittag zurück zu ihrem Onkel. Sie sahen aus wie eine glückliche Familie, als Beatrice vor ihnen laufend plappernd von ihrem Schultag erzählte.
„Sch…eibenkleister“, fluchte sie plötzlich. Auf den Treppen zum Haus ihres Onkels saß Declan, neben ihm lag ein Strauß mit Blumen.
„Was ist?“
„Es ist ganz lieb, dass du mich nach Hause gebracht hast, aber das muss ich allein regeln“, bat sie.
„Bist du sicher?“, fragte er besorgt.
„Ja, ich bin sicher, ich ruf dich an“, bedankte sie sich und ging allein weiter.
 
„Hey“, begrüßte Peta ihren Schwager unsicher und er hob den Kopf.
„Oh Gott Peta, da bist du ja, ich hab mir schon Sorgen gemacht“, war Declan erleichtert und umarmte sie fest, was ihr etwas unangenehm war.
„Hey, alles klar?“, fragte er vorsichtig.
„Was willst du hier?“, wollte sie wissen und verschränkte ihre Arme eng vor ihrer Brust.
„Ich wollte mich nochmal entschuldigen“, erwiderte er und streckte ihr die Blumen hin.
„Das hättest du auch per Telefon machen können“, nahm sie die Blumen etwas lieblos an.
„Du willst mich also nicht hierhaben?“, realisierte er.
„Nein, ja, ich weiß nicht … du weiß doch, dass ich Schwierigkeiten habe, dich zu sehen, wegen ihm halt“, druckste sie herum.
„Ja, ich weiß, tut mir leid, ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Die Beerdigung war sicher die Hölle für dich“, entgegnete er.
„Das musst du grad sagen, ich hab dich ziemlich verletzt“, fuhr sie sanft über seine Kratzwunden, die sie ihm zugefügt hatte.
„Geht schon, werde es überleben, du solltest dir nur mal wieder die Nägel schneiden“, säuselte er.
„Äh ja, sollte ich. Wenn du schon da bist, willst du nen Kaffee?“
„Ich sitz schon ne Weile hier, gerne, deine Tante wollte mich nicht reinlassen, sie kennt mich ja nicht“, erkannte er.
„Das werden wir jetzt ändern, wir sind ja jetzt eine Familie“, sagte sie freundlich und ging mit ihm ins Haus.
 
„Tante, ich bin wieder zu Hause, ich habe einen Gast dabei“, rief Peta, als sie durch die Eingangshalle ging.
„Ein schönes Haus“, bemerkte er nur.
„Das Haus wurde von meinen Großeltern mit den eigenen Händen erbaut“, erklärte sie.
„Da hatte einer wirklich Talent, leben deine Großeltern noch?“
„Nein, schon lange nicht mehr. Meine Tante ist gerade erst von einem Koma erwacht, wir sollten sie nicht überfordern, okay?“, bat sie und er nickte.
„Hey, kleiner Adler, ich habe deinen Freund nicht reingelassen, ich kannte ihn nicht, tut mir leid, ich muss vorsichtig sein“, erklärte Nascha. Ihr schien es jede Stunde besser zu gehen.
„Sicher, schon in Ordnung. Nascha, das ist Declan, mein Schwager, Declan, das ist meine Tante Nascha“, stellte sie einander vor.
„Willkommen in der Familie, Junge“, begrüßte Nascha ihn freundlich.
„Sie zählen mich zu Ihrer Familie?“, fragte Declan mit Tränen in den Augen.
„Wir sind eine herzliche Familie, alle Menschen, die aus lieblosen Familien kommen sind hier herzlich willkommen, so wie ich vor vierzig Jahren“, bemerkte sie.
„Du hast ihnen wohl von meinen Eltern erzählt, was?“, drehte sich Declan zu Peta hin.
„Eigentlich nicht“, verneinte Peta.
„Ich sehe deine Aura, Junge, ich hab eine Gabe, deine Aura ist vernebelt, was sich schon in der jüngsten Jugend manifestiert hat und da dort deine Eltern deine Ansprechpersonen sind, war der Rest sehr einfach zu erraten“, erklärte sie.
„Dann danke ich Ihnen für Ihre Gastfreundschaft“, erwiderte er höflich.
„Nascha, bitte, eine Familie, vergessen?“, bat sie und er dankte ihr stumm.
 
„Ich kann verstehen, warum du hierher geflüchtet bist, ist schön hier“, erkannte Declan, als sie bei der zweiten Tasse Kaffee auf der Terrasse des Holzhauses saßen und sich unterhielten.
„Ich hab mich hier immer am wohlsten gefühlt, es tut mir leid, dass ich dich allein gelassen habe“, entschuldigte sie sich.
„Nein, Süße, du hast mich nicht allein gelassen, du musstest tun, was du tun musstest, schon gut“, ergriff er ihre Hand, die sie aber wegzog.
„Verzeih mir, ich trete dir zu nah“, entschuldigte er sich.
„Nein, du bist mein engster Freund, du trittst mir nicht zu nahe, bei mir verändert sich gerade nur sehr viel, was mich durcheinander bringt“, erläuterte sie.
„Du bist schwanger, oder?“
„Oh nein, auch wenn ich glücklich wäre, ein Kind von ihm zu bekommen, das ist es nicht!“
„Was ist es dann? Wir konnten doch sonst immer über alles reden“, bot er an.
„Ich kann es dir nicht sagen, ich weiß nicht, ob du mich dann jemals wiedersehen willst!“
„Das ist das gute an ner Familie, ich muss dich wiedersehen, auch wenn ich das nicht will“, schmunzelte er.
„Okay, du wolltest es so. Wenn ich meine Klamotten verliere, sieh bitte nicht hin“, bat sie.
„Ich sag dann mal ja, okay“, entgegnete er verwirrt.
„Dann geht’s los, bitte nicht schreien“, bat sie und verwandelte sich in einen Adler. Er schrie nicht, er saß einfach so da und betrachtete sie, bis sie sich zurück verwandelte.
„Du hast nicht geschrien“, sagte sie, als sie sich wieder hinsetzte.
„Ich wusste immer, dass du etwas Besonderes bist“, sagte er ruhig und gelassen.
„Oh mein Gott, warum hab ich das nie gesehen?“, realisierte sie.
„Was, Süße, was ist los?“
„Nein, nein, nein, das geht nicht, das kann nicht …“, stotterte sie und stolperte davon.
„Ich wollte nie etwas sagen, aus Respekt vor meinem Bruder, aber jetzt ist alles anderes. Ich bin schon seit dem ersten Tag in dich verliebt, es hat mir das Herz gebrochen, als du dich in ihn verliebt hast und nicht in mich, obwohl wir uns viel länger kennen“, kam er ihr erklärend entgegen.
„Ich kann das jetzt nicht … ich muss…“, sagte sie kopfschüttelnd, verwandelte sich in einen Adler und flog davon.
„Was hast du getan, Junge?“, kam Nascha in ihrem Rollstuhl herausgerollt.
„Sie ist einfach weg…geflogen“, starrte er in den Himmel. Er konnte selbst nicht fassen, was er da sagte.
„Na toll, das hat ihr Dad auch immer getan, die kommt wieder. Komm rein“, sagte Nascha ruhig und er trottete ihr hinterher.

Zehntes Kapiel

 
Drei Tage später
 
Nascha sah zum tausendsten Mal nach hinten. Sie fuhr auf dem Beifahrersitz des Trucks ihres Mannes.
„Langsam frag ich mich, ob der junge Mann keinen Job hat, zu dem er zurückmuss“, kommentierte sie, wie Declan auf der Ladefläche saß und mit Ferngläsern in den Himmel sah.
„Er liebt sie, das ist ihm anscheinend egal. Ich hab dich ja auch nicht aufgegeben“, erwiderte er und sah sie glücklich an.
„Ich bin ja eher im Team Ash, er ist ein Tierarzt, das ist ein sehr verführerischer Beruf“, überlegte Nascha laut.
„Diese ganze Twilight-Team-Sache ist nicht mehr so Up-Do-Date, Süße!“
„Sorry, ich lag drei Jahre im Koma, hab einiges verpasst“, schmunzelte sie.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du jetzt neben mir sitzt“, säuselte er und sie küsste ihn. Dabei kam er etwas von der Straße ab und musste ein Ausweichmanöver auf dem Feldweg vollführen. Er fluchte und hielt an.
„Alles klar, Junge?“, fragte Mato besorgt, als er zur Ladefläche eilte.
„Aua, was sollte das?“, schimpfte Declan und hielt sich den schmerzenden Kopf.
„Da war ein Tier auf der Straße“, murmelte er.
„Mach das bitte nicht mehr, ich will nicht auch noch draufgehen, wie mein Bruder“, brüllte er ihn aus dem Nichts an.
„Okay, das reicht, wir fahren heim, du hast seit drei Tagen nicht geschlafen, wir werden sie nicht finden, wenn sie nicht gefunden werden will, sie hat die Talente eines Raubvogels“, schimpfte Mato zurück.
„Nein, wir machen weiter“, raunzte Declan und Mato verwandelte sich in einen Bären und brüllte auch wie ein Bär. Total erschreckt rutschte er auf der Ladefläche ganz zum Fenster hin.
Der Bär schüttelte sich und dann stand da wieder dieser Mann mit indianischen Wurzeln und bösem Blick.
„Mach mich nicht mehr sauer, Junge“, murrte Mato und ging zurück zum Fahrersitz.
„Man, ich hasse es, dass ich mich manchmal nicht unter Kontrolle habe“, setzte er sich wieder auf den Fahrersitz.
„Dein Totem ist ein starkes Tier, das passiert mal“, beruhigte Nascha ihn mit einem sanften Kuss.
„Fahren wir dann?“, rief Declan von draußen und Mato sah ihn böse an, dass er gleich schwieg.
„Er muss schlafen, wir sollten zurückfahren“, bat Nascha und er nickte und fuhr zurück.
 
„Er schläft endlich, wir sollten ihn jetzt ne Weile in Ruhe lassen. Glaubst du, Peta geht es gut, wo sie ist?“
„Keine Ahnung, es ist wie damals, als dein Bruder verschwunden war, er kam heil wieder und hat nie darüber geredet, ich hoffe, so ist es auch bei ihr“, hoffte sie.
 
Die Sonne ging schon unter, als es an der Praxis-Tür von Dr. Madison klopfte.
Er saß bei schlechtem Licht an seinem Schreibtisch und bereitete Krankenakten vor.
Stirnrunzelnd stand er auf und ging zur Tür.
„Guten Abend, Dr. Madison. Ich weiß, Sie machen erst Morgen auf, aber mein Hund und ich sind in der Wüste auf einen schwerverletzten Adler gestoßen, ich weiß nicht, ob sie ihm helfen können, aber ich wollte es versuchen“, begrüßte ihn eine Anwohnerin, die Blut an den Händen hatte. Ash eilte nach draußen. Der Adler war in sehr schlechter Verfassung, er lag leblos in einer buntkarierten Decke.
„Verdammt, armer Kerl, helfen Sie mir, ihn reinzutragen“, bat er und lud ihn auf seine Arme.
 
Fünf Minuten umkreiste er nur den schwerverletzten Adler.
„Kann ich irgendwie helfen?“, fragte die besorgte Anwohnerin.
„Nein, das muss ich allein klären, gehen Sie nach Hause“, bat er und sie ließ ihn allein.
„Oh Mann, ich will dich nicht anlügen, ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann, du hast ganz schön einen abbekommen. Ich hab eine Freundin, die zu deiner Spezies gehört, wenn man das so sagen kann, deshalb tu ich mein Bestes, dich zu retten“, redete er mit seinem Patienten.
 
Am nächsten Morgen wurde Ash geweckt, als seine Türklingel ging. Erschöpft schleppte er sich zur Tür und öffnete sie.
„Hey, Doc, ich hatte gehofft, Sie könnten mir vielleicht helfen, aber Sie haben anscheinend auch selbst viel am Hut“, musterte Mato, den mit Dreck und Blut übersäten Jungmediziner.
„Oh nein, ich hab gestern einen schwerverletzten Adler behandelt und dann begraben, ich hab Zeit. Ich eröffne zwar heute meine Praxis, aber ich hab noch etwas Zeit“, erklärte er, als er auf seine auch blutverschmierte Armbanduhr gesehen hatte.
„Sie haben einen Adler begraben? Das war vielleicht Peta“, bemerkte Mato entsetzt.
„Nein, war sie nicht“, beruhigte er ihn.
„Woher wissen Sie das? Sie kennen doch ihre Gabe!“
„Ja, das tu ich!“
„Wie können Sie das wissen?“
„Ich hab Medizin studiert“, rieb er sich müde die Augen.
„Aber haben Sie auch Ahnung von der indianischen Kultur?“
„Ein bisschen ja, aber da bin ich ganz sicher! Es war ein männlicher Adler, das Geschlecht hat sie wohl nicht gewechselt, oder?“
„Nein, okay, sie ist immer noch verschwunden, wir sind alle sehr besorgt“, erklärte Mato müde.
„Sie ist verschwunden?“
„Tut mir leid, dass wussten Sie nicht, wie auch. Sie ist einfach weggeflogen, ja, ich hab weggeflogen gesagt“, erklärte Mato.
„Ja, ich hab sie verwandelt gesehen, ich glaub Ihnen. Wie kann ich helfen?“
„Eigentlich wollte ich nur wissen, ob Sie was von ihr gehört haben, aber anscheinend nicht. Sie sollten sich umziehen, so verschrecken Sie Ihre Kunden“, bemerkte Mato.
„Ja, ich muss eh nach Hause, meine Tochter ist schon länger bei meiner Nachbarin, als ich je geplant hätte. Ich kann Ihnen nicht helfen, tut mir leid!“
„Ja, schon gut, gehen Sie zu ihrer Tochter und drücken sie fest“, murmelte Mato und ließ ihn wieder allein.
 
Ash brauchte eine Weile, das getrocknete Blut und den Dreck von seinem Körper zu bekommen. Er zog Hemd, Weste und schicke Hose und Schuhe an und band eine Krawatte. Er wollte am ersten Tag als Dorf-Tierarzt ein gutes Vorbild sein.
 
In seinen Gedanken versunken, wie er seine Nachbarin beruhigen sollte, putzte er seine Brille, als er über die Straße zu dem Haus ging, in dem sie wohnte. Er war ziemlich blind ohne seine starke Brille und erschreckte sich furchtbar, als plötzlich ein größeres Objekt auf ihn zugeflogen kam. Er stolperte zurück und zog seine Brille wieder auf.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken“, stand plötzlich Peta vor ihm.
„Peta, hey, da bist du ja, deine Familie sucht dich seit Tagen“, war er erleichtert sie zu sehen.
„Ja, ich weiß, ich hab sie beobachtet. Ich verstecke mich vor ihnen“, erklärte sie. Sie sah aus, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen, geschweige denn geduscht, oder richtig gegessen.
„Man, du siehst echt noch schlimmer aus, als ich vor einer halben Stunde. Was ist passiert?“
„Das ist zu persönlich, dass jetzt zu sagen. Ich wollte nur mit einem Menschen reden, die vier Tage als mein alter Ego haben meinem Hirn ziemlich zugesetzt. Ich habe Dinge gemacht, die mich als Vegetarierin ziemlich anekeln“, bemerkte sie erschöpft.
„Okay, das mach ich normalerweise nicht und ich weiß nicht, ob ich es bereue, aber hier, das ist mein Wohnungsschlüssel, dusch dich, erhol dich und bleib dort solang du willst, der Kühlschrank ist voll, eine neue Packung Zahnbürsten liegt unter dem Waschbecken. Ich muss jetzt los, ich hab letzte Nacht in meinem Büro geschlafen und meine Tochter versehentlich über Nacht bei meiner Nachbarin gelassen. Das muss ich jetzt aufklären, bevor sie noch das Jugendamt anruft“, war er in Eile.
„Danke, du bist ein Engel“, umarmte sie ihn stürmisch.
„Du hast meine Tochter gerettet, das ist das Mindeste. Jetzt geh, ich muss wirklich los“, entschied er und eilte weiter, nachdem er ihr seinen Schlüssel gegeben hatte.
 
Bedacht und mit Anstand betrat die junge Nativamerikanerin die ihr eigentlich unbekannte Wohnung des Arztes. Die Wohnung war klein, aber für einen Erwachsenen mit Kind ausreichend. Man sah, dass ein Kind dort lebte, überall lag Spielzeug herum, in der Ecke stand eine ungeöffnete Kiste mit Arztmagazinen. Es war eindeutig, dass dort keine Frau lebte. Sie ging zu einem Schrank, nahm sich T-Shirt und Shorts heraus und ging duschen.
„Heilige Scheiße“, fluchte sie, als sie sah, dass ihre Haare nun teils aus Federn bestanden. Just in diesem Moment hörte sie ein Klappern gegen das Badfenster. Sie drehte sich herum und sah eine Eule auf dem Fenstersims. Sie öffnete das Fenster und der Vogel flog herein, bevor er sich wieder in ihre Tante verwandelte.
„Verdammt, ich hätte mich nicht zurückverwandeln sollen“, murmelte sie.
„Was ist los, kleiner Adler? Wir waren krank vor Sorge“, versuchte Nascha zu verstehen. Sie stand fest auf ihren Beinen.
„Hey, du brauchst gar keinen Rollstuhl“, wunderte sie sich.
„Ach ja, meinen Beinen geht’s bestens, ich wollte die Leute nicht verwirren, ich war schließlich drei Jahre im Koma. Lenk nicht ab, warum bist du hier? Das ist sein Badezimmer, oder?“
„Ich hab nichts mit ihm, er war nur so nett, mir Unterschlupf zu gewähren. Ich war drei Tage ein Vogel, ich muss mal wieder duschen“, erklärte sie.
„Das kannst du auch in unserem Haus machen“, sagte Nascha ruhig.
„Ist er noch da?“
„Wenn du deinen Schwager meinst, ja, er ist noch da, was ist zwischen euch passiert?“
„Er hat mir seine Liebe gestanden“, bemerkte sie und fuhr sich dabei wild durch die Haare.
„Oh, Kleines, warst du die ganzen letzten Tage ein Adler? Das hält dein Körper nicht so lang aus, ohne Nebenwirkungen zu zeigen“, ging sie zu ihr hin und fuhr ihr auch durch die Haare.
„Warum sagt mir das keiner? Wird das jetzt immer so bleiben?“, wurde sie nervös.
„Nein, das geht in ein paar Tagen zurück, zumindest war es bei deinem Dad so, ich war noch nie so lang verwandelt!“
„Mein Dad war also auch ein Adler, ihr habt mir das nie bestätigt“, erwiderte sie.
„Ja, das ist ziemlich offensichtlich, deine Schwester ist ja eine Krähe, wie deine Mutter“, entgegnete Nascha.
„Meine Mutter ist auch eine Formwandlerin?“, torkelte Peta zurück.
„Okay, das war wohl nicht so offensichtlich, sie versteckt ihre Gabe seit Jahrzehnten, sie schämt sich dafür, also sprich sie nicht darauf an“, bat Nascha.
„Keine Sorge, ich sprech kaum noch mit meiner Mutter. Ich würde jetzt gern duschen“, bat sie ihre Tante.
„Du musst mit Declan reden, er ist anscheinend schwerverliebt in dich, das ist nicht fair ihm gegenüber wenn du nicht so fühlst und es ihm nicht sagst!“
„Vor 14 Tagen habe ich seinen Bruder geheiratet, das sagt doch alles. Er ist ein sehr guter Freund, mehr nicht“, erklärte sie.
„Dann sag ihm das, am besten gleich“, forderte Nascha.
„Okay, lässt du mich aber bitte kurz duschen und Zähne putzen?“
„Sicher, lass dir die Zeit, kann ich den anderen aber sagen, dass du zurückkommst?“
„Ja, aber gib mir ne Stunde oder so, bitte“, bat sie und Nascha nickte, bevor sie sich zurückverwandelte und wegflog.
 
Zögerlich ging sie in Ashs Klamotten zurück zu ihrer Familie.
Mato öffnete ihr die Tür. Sie sah ihn schuldbewusst an, er umarmte sie aber nur und ging mit ihr ins Haus.
 
Declan saß im Garten auf einer Bank und knetete seine Hände in seinem Schoß. Er stand ruckartig auf, als er sie sah.
Langsam ging sie auf ihn zu.
„Peta, da bist du ja wieder, alles klar?“, fragte er mit Erleichterung in der Stimme.
„Ja, alles in Ordnung. Lass uns reden“, bat sie nervös und sie setzten sich wieder auf die Bank.
Sie redeten fast eine Stunde, er war zwar sehr traurig, suchte sich dann aber ein Hotelzimmer und wollte am nächsten Tag zurück nach Los Angeles fahren.
„Hey, geht’s dir gut?“, wollte Nascha wissen, als sie später zu ihrer Nichte stieß, die auf dem Sofa saß und ein altes Buch las, was sie im Haus gefunden hatte.
 
„Du gibst das mit dem Rollstuhl wohl jetzt ganz auf, was?“
„Ich hab mit Mato geredet, er war heilfroh, dass er mich nicht mehr rumschleppen muss, aber er ist auch etwas besorgt, was die Leute denken werden!“
„Sie sollten sich freuen, dass es dir gut geht und gut ist“, senkte sie ihren Blick wieder zum Buch.
„Du willst nicht über Declan reden, oder?“
„Nein, nicht wirklich“, sah sie nicht auf.
„Du weißt, dass ich durch unsere “Verbindung“ deine Gefühle kenne, oder?“
„Warum fragst du dann, Tante?“, murmelte sie.
„Deine Gefühle sind verwirrend, deshalb frag ich nach. Du sagst das eine und fühlst das andere“, entgegnete sie.
„Du hältst die Klappe darüber, was ich fühle, und ich sage Onkel Mato nicht, wie viel Angst du hast“, handelte Peta und sah Nascha wieder an.
„Das klingt fast nach Erpressung“, murrte Nascha.
„Wenn du das so siehst“, entschied sie lesend.
„Man, du klingst wie deine Mutter“, grummelte Nascha und setzte sich ihr gegenüber.
„Wow, du musst nicht gemein werden“, legte Peta ihr Buch weg.
„Du auch nicht. Du könntest mich auch mal fragen, wie es mir geht. Nicht gut, ich hab wirklich ziemlich Angst“, begann Nascha plötzlich an zu weinen.
„Oh Tante, tut mir leid, du machst auch grade eine ziemlich heftige Zeit durch. Komm her“, kniete sich Peta vor sie und schloss sie in die Arme. Wieder verbunden sich ihre Totem und sie sackte auf dem Schoss ihrer Tante zusammen, die auch ohnmächtig nach hinten kippte. Eine Minute später wachte Peta auf, in dem sie fest einatmete.
„Aua, man, langsam wird es lästig“, murmelte sie. Ihre Tante lag noch bewegungslos in den Sessel gesackt vor ihr.
„Tante?“, fragte sie nervös. Sie regte sich nicht.
„Tante?“, widerholte sie weinerlich.

Elftes Kapitel

 
Ein tiefer Atemzug strömte durch die Lungen von Nascha und sie riss die Augen auf. Ihre Nichte weinte auf ihrem Schoß. Sanft fuhr sie ihr über den Kopf.
„Nascha?“, sah sie sie mit verweinten Augen an.
„Hey, mir geht’s gut, hör auf zu weinen“, beruhigte Nascha sie.
„Dir geht’s gut?“, realisierte sie und wollte sie wieder umarmen. Nascha drückte sie aber mit der Fingerspitze an Petas Stirn gedrückt weg.
„Das sollten wir erstmal lassen, nur um sicher zu gehen“, bat sie und Peta rappelte sich auf.
„Natürlich, sorry, du hast mich zu Tode erschreckt“, schniefte Peta.
„Ja, hab ich gemerkt, wie lang war ich weg!“
„Weiß nicht, so fünf Minuten, ich war auch kurz weg. Was zum Henker soll das immer?“
„Ich weiß es nicht, unsere Totem verbinden sich immer, seltsam, wir sollten erstmal auf Abstand gehen“, entschied Nascha.
„Ja, sollten wir, ich wollte dich nicht erpressen, ja, ich hab Gefühle für Declan, ich kann nicht genau einordnen, was das für welche sind, deshalb hab ich ihn nach Hause geschickt“, gestand sie ihrer Tante und setzte sich mit etwas Abstand von ihr wieder hin.
„Ich hab ne Scheißangst, weil ich nicht weiß, was gerade mit mir passiert“, rückte auch Nascha mit ihren Gefühlen heraus.
„Ja, ich weiß, ich fühle es. Wir sollten zu einem Schamanen gehen, ist Yuma noch am Leben?“
„Oh nein, er war schon über 80 als du klein warst, die einzige wahre Schamanin, die es noch hier gibt ist Shania“, erklärte Nascha.
„Oh Mann, nicht die, letztes Mal hat sie mich fast umgebracht“, grummelte sie.
 
Die Düse der Espressomaschine, die Dampf ausstieß, ließ Declan aufschrecken.
„Wir sind heute etwas schreckhaft, Dec, was?“, fragte der Mann, der neben ihm stand.
„Schlecht geschlafen“, murmelte Declan und strich seine feuchten Hände an seiner Schürze ab, die das Logo einer Café-Kette trug.
„Ja, so siehst du auch aus. Bist du sicher, dass du schon wieder arbeiten kannst?“, fragte sein Kollege besorgt.
„Ja, ich muss was tun, sorry, ich konzentrier mich mehr“, erwiderte er und ging zur Theke.
„Guten Morgen, mein Schöner, wie lief’s?“, begrüßte ihn seine nächste Kundin. Es war Fala.
„Morgen, klasse, wir haben einen Termin für die Hochzeit gemacht“, bemerkte er sarkastisch.
„Das hab ich befürchtet, sie hat gerade ihren Mann verloren, das war zu früh, viel zu früh“, konterte sie.
„Hättest du das nicht vorher sagen können? Ich hab mich sowas von blamiert“, murrte er.
„Das hab ich dir gesagt, du wolltest aber unbedingt zu ihr. Du warst aber länger bei ihr, also irgendwas ist doch passiert“
„Es ist so einiges passiert, aber ich hab jetzt nicht die Zeit, dir das zu erzählen. Hast du heute Abend Zeit? So gegen acht bei mir?“
„Kann halb neun werden, aber ich hab Zeit. Ich nehm das übliche“, sagte sie zu, während sie beschäftigt auf ihr Smartphone sah.
„Kommt gleich!“
 
Tags drauf besuchten Peta und Nascha Shania, um herauszufinden, wie ihre Totem getrennt werden könnten. Es war ziemlich düster in Shanias Studio, aber das war es bei ihr eigentlich immer.
„Irgendwie unheimlich hier“, murmelte Nascha.
„Da sagst du was“, bemerkte Peta. Plötzlich hörten sie wildes Geschrei aus einem Nebenraum.
„Okay, das war wirklich gruselig. Wir sollten gehen“, sagte Nascha nervös.
„Sie scheint Hilfe zu brauchen, du kannst hier stehen bleiben, ich geh zu ihr hin“, erwiderte Peta und ging alleine voran.
Peta fand Shania wild vor sich hin brabbelnd in einem Eck sitzend vor.
„Shan‘, alles klar bei dir?“, fragte Peta vorsichtig.
„Ja, ja, ich sag’s ihr, lass mich in Ruhe“, brabbelte Shania.
„Du hast dir einen ungewollten Untermieter eingefangen, was? Wie kann ich dir helfen?“
„Ich brauch einen Schamanen“, sagte sie mit plötzlicher Klarheit.
„Du bist der einzige Schamane hier, Süße“, entgegnete Peta liebevoll.
Ruckartig stand Shania auf und küsste Peta leidenschaftlich.
„Wow, was war das denn jetzt?“, war sie perplex.
„Oh Süße, ich hab dich vermisst“, hörte sie plötzlich die Stimme ihres Ehemannes.
„Oli, du kannst hier nicht bleiben“, murmelte Peta weinerlich.
„Ich will dich nicht verlassen“, hauchte er.
„Das hast du schon, lass los, ich komm klar“, versicherte sie und ergriff Shanias Gesicht sanft.
„Ich liebe dich, vergiss mich nicht“, wurde seine Stimme immer schwächer.
„Niemals, hörst du, niemals“, weinte sie, küsste Shania nochmal sanft und mit einem lauten Schrei von Shania verschwand Oliver.
„Du kannst mein Gesicht loslassen, er ist weg“, hörte sie plötzlich wieder Shanias Stimme und sie zog ruckartig die Hände von Shanias Gesicht.
„Das war jetzt peinlich, eigentlich bin ich mit Nascha hierhergekommen, weil ich deine Hilfe brauche, aber anscheinend hattest du die nötiger“, entgegnete Peta daneben.
„Man, in deinem Mann muss ein Hauch indianisches Blut geflossen sein, sowas kriegt sonst nur unsereins bei mir hin“, entgegnete Shania erschöpft.
„Cherokee, er wusste es nie genau, jetzt kann ich seinem Bruder sagen, dass sie indianisches Blut in sich haben!“
„Kein Wort zu deinem Onkel, dass wir rumgemacht haben, okay?“, bat Shania, Peta.
„Glaub mir, das werde ich ihm sicher nicht erzählen, auch wenn du nicht du warst. Er ist nach all den Jahren immer noch so homophob?“, wollte Peta wissen.
„Er denkt immer noch, dass ich verantwortlich für Howeas Tod bin, schließlich habe ich den Wagen gefahren, in dem sie umgekommen ist“, erklärte Shania.
„Er hat dir genug vertraut, dass du ihm bei seinem Verlust helfen konntest!“
„Ja, aber das ist lang her, unser Kontakt ist seitdem eher kühl. Wir waren früher eine Einheit, ein Team, deine Eltern, deine Tanten und ich, uns konnte nichts trennen. Ich wusste, dass deine Familie unter diesem Fluch steht, aber wir waren irgendwie spirituell verbunden“, erläuterte Peta und ging mit ihr zurück in den Vorraum, wo Nascha etwas verstört stand.
„Mann, hey Nasch, alles klar?“, stotterte Shania.
„Alle Dämonen ausgetrieben?“, fragte Nascha cool.
„Äh, ja, was hast du gehört?“
„Verstörendes, aber das ist bei dir ja nichts Neues!“
„Du siehst sehr gut aus, für ne Scheintote“, konterte Shania.
„Danke, denke ich, hab ich alles unserer Kleinen zu verdanken, ihr Totem hat mein Totem geweckt“, erklärte Nascha, Shania.
„Wirklich? Das hast du mir gar nicht erzählt“, wendete sich Shania zu Peta.
„Darum bin ich hier, irgendwie haben sich bei unserer Verbindung unsere Totem verwoben, jedes Mal, wenn ich sie umarme fallen wir beide in Ohnmacht!“
„Faszinierend!“
„Faszinierend ist nicht das Wort was ich benutzen würde, aber gut. Also, kannst du uns helfen?“
„Du hast vielleicht festgestellt, dass ich nicht so gut in meinem Job bin, zwei Totems zu trennen ist nicht grade meine Liga. Es lebt ein alter Schamane in Sutherland, zu dem müsst ihr gehen, er wird euch trennen können“, schlug Shania vor.
„Du meinst sicher nicht Iniabi, der ist wahnsinnig“, kommentierte Nascha.
„Ja, er hat schon einige Geister zu viel gesehen, aber er ist wirklich gut. Er hat weder Telefonnummer noch wirkliche Adresse, aber ich kann euch den Weg ungefähr aufschreiben“, erklärte sie ihnen.
 
„Mann, Shania hat echt ne Sauklaue, soll das ne 3, oder ne 9 sein?“, streckte Nascha ihrer Nichte den Zettel hin, den Shania geschrieben hatte.
„Ist doch egal, hier gibt es sowieso keine Straßen. Wie gut kannst du Fährten lesen?“, murmelte Peta sarkastisch.
„Nicht witzig, aber wir sollten vielleicht doch zu Fuß weitergehen und querfeldein laufen, dann finden wir es vielleicht besser“, entschied Nascha.
„Gut, schaffst du das?“
„Ich dachte, wir hätten geklärt, dass es mir super geht“, entgegnete Nascha und stieg aus dem Wagen aus, als sie angehalten hatte.
„Gut, sag trotzdem Bescheid, wenn es dir nicht gut geht“, bat Peta und nahm ihre Tasche.
„Mach ich. Die letzte Straße war die da hinten, lass uns da durchgehen“, schlug sie vor und ging ein paar Steine hoch, die wie eine Treppe angelegt waren.
Oberhalb der Steintreppe stand ein Tipi.
„Du kannst sagen was du willst, du bist doch eine gute Spurenleserin!“
„Ich nenn das eher Zufall. Ein Tipi? Der Kerl ist wirklich total gaga“, bemerkte Nascha und ging langsam auf das geräumige Tipi zu.
„Bist du bereit?“, fragte Nascha, als sie die Plane des Tipis in der Hand hielt um reinzugehen.
„Vor vierzehn Tagen wollte ich mein natives Erbe vollkommen vergessen, jetzt steh ich vor einem Tipi, “weiß nicht“ beschreibt nicht mal ansatzweise was ich ausdrücken will“, konterte sie.
„Du wolltest dein natives Erbe vollkommen vergessen?“
„Meiner Schwiegermutter zu Liebe, lange Geschichte, erzähl ich dir mal bei nem Tee. Jetzt bringen wir das erstmal hinter uns“, erwiderte sie und folgte ihr ins Tipi.
„Da ist er und oh ja, er ist splitterfasernackt“, drehte sich Nascha angeekelt weg.
„Sir, wir brauchen Ihre Gabe“, bat Peta mit geschlossenen Augen und der Nativ-Amerikaner, der im Schneidersatz auf dem Boden saß, sah sie an.
„Zwei verschlungene Totems, sehr interessant, ich seh das sonst immer nur bei Liebenden, nie bei einer Familie. Doch egal, eine Trennung muss vollzogen werden, sonst bringt es euch beide um. Entkleidet euch“, bat Iniabi.
„Wie meinen?“
„Egal, ich war diese Woche schon nackt vor nem Fremden, beim Zweiten Mal ist es einfacher“, knöpfte Peta ihre Bluse auf.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Schon, willst du nicht mitmachen?“
„Kein Wort davon zu deinem Onkel!“
„Wenn wir ihn hätten einweihen wollen, wären wir nicht so weit gekommen!“
„Richtig, ach, was soll‘s, ich hätte sterben sollen und lebe noch“, zog sie sich auch aus.
„Gut, dann haltet euch an den Händen“, begann er die Zeremonie.
„Das würde ich lieber nicht tun“, entgegnete Peta zögerlich.
„Ihr werdet vermutlich in Ohnmacht fallen, aber danach wird das vorbei sein, versprochen“, erklärte der Schamane.
„Weil wir dann beide tot sind?“
„Äh, nein, ich bin gut, ich krieg das hin“, bemerkte er und machte weiter.
Peta fühlte sich, als würde jeder Tropfen Lebensenergie aus ihrem Körper gesaugt. Für einen Moment war es, als würde sie sterben, aber gleichzeitig kribbelte ihr Körper und auch ihr Hirn, als wäre sie komplett mit Drogen vollgedröhnt. Die nächsten Bilder, die sie ins Hirn geschossen bekam waren brutal. Sie sah einen Bär mit einem Berglöwen kämpfen. Es war so surreal, ihr Kopf dröhnte. Sie versuchte aufzustehen, doch ihr Beine sackten immer wieder weg.
„Doc, bring sie weg“, hörte sie eine graulende Stimme. Sie fühlte eine kratzige Decke um sich herum und wie sie jemand auf die Arme zog. Sie versuchte sich zu wehren.
„Ganz ruhig, ich bin’s“, hörte sie Ashs Stimme und sie wehrte sich nicht mehr.

Zwölftes Kapitel

 
Ihr Rachen brannte. Sie fühlte sich dehydriert und komplett verkatert. Mit geschlossenen Augen suchte sie etwas zu trinken neben sich. Sie bekam eine Hand zu greifen mit einem Glas in der Hand. Sie schreckte zusammen.
„Nimm es, ist schön kalt“, hörte sie Ashs Stimme und sie riss ihre Augen auf.
„Deine Augen sind gelb unterlaufen“, war Ash besorgt.
„Verdammt, dann muss ich ganz schön dehydriert sein“, murmelte sie.
„Deine Leber, oder? Soll ich dich zu einem Arzt bringen?“, fragte er sie.
„Nein, ich muss nur genug trinken, dann geht das weg, hatte ich im Studium auch öfters. Krieg ich jetzt das Wasser?“, hoffte sie und er reichte ihr das Glas mit Wasser, was sie gierig austrank.
„Willst du nicht wissen, wie du hierhergekommen bist?“
„Ich war wieder mal ohnmächtig und bin auch wieder mal nackt in der Öffentlichkeit gewesen, muss wohl Dienstag sein“, sagte sie trocken.
„Du hast dich wohl langsam an alles gewöhnt, was?“, stand Mato im Türrahmen des Gästezimmers.
„Ja, leider schon. Verdammt, du hast mich auch nackt gesehen“, realisierte sie.
„Keine Sorge, ich war etwas zu sehr damit beschäftigt einen Berglöwen zu bekämpfen“, konterte er und drehte sich zur Seite. Sein Gesicht war teilweise mit Kratzern übersäht.
„Was? Wie ist das denn gekommen?“
„Iniabis Totem ist ein Berglöwe, ihr musstet ja in die Höhle des Löwen gehen, wortwörtlich. Was habt ihr euch dabei gedacht?“, kam er näher zum Bett.
„Tut uns leid, wir wollten dich damit nicht belasten. Wie geht es ihr?“
„Verkatert wie du, aber sonst geht’s ihr gut. Deine Augen“, sah er es auch.
„Das wird wieder. Hat es funktioniert?“
„Was soll funktioniert haben?“
„Nascha und mein Totem waren verschlungen, wir konnten uns nicht berühren, ohne in Ohnmacht zu fallen. Ist das jetzt weg?“
„Ach das habt ihr dort gewollt. Wir haben euch da weggeholt, keine Ahnung. Ihr wisst schon, dass ihr euch nackt vor einem Vergewaltiger gezeigt habt, oder?“
„Was?“
„Er ist kein Vergewaltiger, aber er hätte es sein können. Er hat sein Totem nicht mehr unter Kontrolle, seit er den Nervenzusammenbruch hatte“, maulte er.
„Hast du ihn …umgebracht?“, fragte sie stockend.
„Äh, nein, was?“
„Ich hab euch kämpfen sehen!“
„Im Gegenteil zu ihm hab ich meine Kräfte unter Kontrolle. Ihm geht’s gut, keine Sorge, bisschen ramponiert, aber am Leben. Wenn ihr mich eingeweiht hättet, wäre es nicht soweit gekommen!“
„Du hättest uns nicht dahin gehen lassen. Im Nachhinein hättest du vermutlich auch recht gehabt. Wie lang hab ich diesmal geschlafen?“
„Nur ein paar Stunden, sollen wir dich noch etwas schlafen lassen?“
„Das wäre lieb, ich bin ziemlich fertig“, entgegnete sie.
 
Ein Stechen in ihrem rechten Arm weckte sie. Sie wollte ihren Arm bewegen, dieser wurde aber festgehalten.
„Verdammt, ich hab dich geweckt, sorry, meine Nadel-Stich-Künste sind nicht mehr so toll wie sie früher waren“, hörte sie Emilys Stimme.
„Welche Drogen krieg ich heute verpasst?“, murmelte sie genervt.
„Nur ne Kochsalzlösung, dein Onkel rief mich an und meinte, deine Leber ist nicht begeistert von deinem Flüssigkeitshaushalt“, bemerkte sie und schob ihr die Nadel in den Arm.
„Danke“, sagte sie nur.
„Bitte. Darf ich kurz deine Leber abtasten?“, wollte sie wissen und zog ihr die Decke vom Körper.
„Wow, du bist nackt“, schmiss sie die Decke wieder auf Petas Körper.
„Lange Geschichte, gib mir kurz eine Shorts und ein Top, dann kannst du“, bat sie und Emily half ihr, sich anzuziehen.
„Okay, so ist es besser, nicht dass dein Körper nicht beneidenswert wäre. Ich taste die Leber vorsichtig ab, wenn du Schmerzen hast, schrei bitte sofort“, bat sie und tastete den Bauch ihrer Freundin ab.
„Gut, die Leber ist nicht hart, das ist nen gutes Zeichen, die Kochsalzlösung wird reichen. So, wir haben ne Weile Zeit bis die Kochsalzlösung durchgelaufen ist, erzähl was los ist“, erwiderte Emily und Peta erzählte ihr alles.
„Mann, du hast echt suizidale Tendenzen, hattest du psychologische Betreuung nach Olivers Tod?“
„Das ist zwei Wochen her!“
„Also nicht. Du begibst dich unnötig in Gefahr!“
„Ich wusste nicht, dass ich in Gefahr gewesen wäre“, maulte Peta.
„Du hast dich nackt ausgezogen!“
„Na ja, nen bisschen vielleicht, aber ich saß auf dem Messer meines Dads, ich bin nicht total blöde“, grummelte sie und riss plötzlich die Augen auf.
„Was? Hast du Schmerzen?“
„Mein Messer, das liegt noch im Tipi!“
„Das kannst du dir ja wieder holen, wenn es dir besser geht. Ich geb dir den Namen von einem Kerl aus dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, du solltest dich psychologisch betreuen lassen, vor allem wegen deiner neugewonnenen Gabe, das musst du auch erst mal verarbeiten. Das kann dir nur guttun. Vielleicht kannst du dann auch dein Herz für Declan öffnen“, schlussfolgerte Emily.
„Wir haben also mit meiner Tante gesprochen. Ihr wisst also besser als ich, was ich fühle, oder?“
„Sie scheint es zu meinen. Hat sie Recht?“
„Es gab Momente, damals, vor sechs Jahren als wir uns kennenlernten, doch ich hab seinen Bruder geheiratet, das zeigt doch, dass da jetzt nichts mehr ist“, entschied Peta.
„Ah, wenn du meinst. Manchmal heiratet man auch nicht seinen Traumtypen“, schlossfolgerte Emily.
„Du?“
„Ich bin geschieden, das sagt wohl alles, aber jetzt habe ich den, den ich immer haben wollte, aber vielleicht du nicht“, überlegte Emily laut.
„Sag das nie wieder, er war die Liebe meines Lebens und das wird er immer sein“, wurde Peta laut und Nascha kam ins Gästezimmer.
„Alles in Ordnung mit dir, kleiner Adler?“
„Ja, ich hab nur was klargestellt, Wie kommt es eigentlich, dass du aussiehst wie der junge Morgen und ich nur sterben will?“, nörgelte sie ihre Tante an.
„Keine Ahnung, vermutlich hab ich dir deine Kraft entzogen, tut mir leid, meine Süße. Ich bin aber gerade dabei dir etwas zu kochen, was noch jeden auf die Beine gebracht hat“, versicherte sie und ging zurück in die Küche.
 
„Heiliger Bimbam, was ist das denn für ein strenger Geruch?“, kam Peta eine halbe Stunde später in die Küche, wo noch dampfende Teller auf dem Tisch standen.
„Indianisches Brot mit Chili con Carne auf dem Tisch, meine eigene Mischung Kräutertee auf dem Herd“, entgegnete Nascha nur, die am Tisch saß und ein Buch las.
„Das ist mein Lieblingsessen!“
„Ja, ich weiß, hab ich dir immer gekocht, wenn‘s dir nicht gut ging. Der Tee ist ne eigene Kreation, der hat’s in sich, aber danach tanzt du wieder durchs Haus, glaub mir“, versicherte sie ihrer Nichte und die hob skeptisch den Deckel vom Topf.
„Wow, lass mich raten, danach sollte ich lieber nicht mehr Auto fahren?“
„So in etwa, aber es hat mir wirklich geholfen, mir ging’s auch nicht so besonders, aber jetzt schon. Dieses Buch lässt mein Blut aber auch wallen, hast du das gelesen?“, fragte Nascha und zeigte ihr das Buch.
„Nein, aber ich war aber im Kino im Film. Du hast viel verpasst in den letzten Jahren, es gibt noch zwei weitere Teile“, bemerkte sie schmunzelnd.
„Dann hab ich ne Weile was zu lesen. Haben dein Mann und du so manche Sachen aus dem Buch ausprobiert?“
„Nein, er ist eher der schüchterne Typ, ich meine war, er hat sich nicht getraut“, sagte sie nachdenklich und spielte an ihrem Ring an ihrer Kette.
„Du kannst weinen, weißt du? Dein Onkel hat zwar diese dämliche Regel aufgestellt, dass du nach einer Woche wieder ins Leben zurückkehren sollst, aber eine Trauerphase hält sich an keine Regeln“, versicherte Nascha.
„Momentan bin ich nur froh, jeden Tag aufstehen zu können, mir ist aber nicht nach weinen grade, aber wenn ich das will weine ich auch, ich bin erwachsen, das ist mein gutes Recht“, entschied sie.
„Das darfst du auch, Süße, jeder trauert anders. Gut, deine Pupillen sind wieder weiß, dann war es wohl gut, dass ich Emily geholt habe“, kam Mato zu ihnen.
„Hat sie sich auch deine Wunden angesehen?“, fragte Peta und fuhr ihrem Onkel sanft über die Wange.
„Ja, ist halb so schlimm, er sieht schlimmer aus“, entgegnete Mato fast stolz.
„Hey, das ist nicht, auf das man drauf stolz sein sollte. Mein Cousin ist nicht der Jüngste, du hättest ihn umbringen können“, nörgelte Nascha.
„Iniabi ist mit uns verwandt?“, wunderte sich Peta.
„Die Totem-Gabe gibt es nur in unserer Familie, soweit ich weiß“, erklärte Mato und goss Peta einen Tee durch ein Sieb.
„Wie Familie? Bist du mit Nascha etwa auch biologisch verwandt?“, fragte sie angewidert.
„Sie ist meine Cousine 2. Grades. Was? Der weiße Mann hat uns fast ausgerottet, wenn man reinrassig heiraten will, muss man etwas im eigenen Garten graben, wenn du verstehst was ich meine“, erklärte er.
„Wäh, das muss ich erstmal verdauen. Ist das der Grund, warum ihr keine Kinder habt?“, wollte sie wissen.
„Wir waren nie mit Kindern gesegnet, wir hätten da keine Angst gehabt, nachdem deine Schwester und du geboren wurdet, wussten wir, dass auch Cousinen zweiten Grades gesunde Kinder zur Welt bringen konnten!“
„Meine Eltern hatten auch beide die Gabe, richtig, das ist eine Information, die ich nicht hätte wissen müssen, wirklich nicht. Ich hoffe, dieser Tee dröhnt so richtig rein“, bemerkte sie und nahm einen großen Schluck von dem Tee, der er ihr gereicht hatte.
„War das nicht zu heiß?“
„Ein wenig, aber es dröhnt wirklich gut. So, lasst uns essen“, sagte sie und setzte sich an den Tisch. Kopfschüttelnd setzten sich ihre Tante und ihr Onkel auch hin.
 
Am nächsten Morgen füllte Peta ein paar Bewerbungsformulare aus und ging dann ins Krankenhaus, in dem Emily arbeitete, um sich bei ihr zu entschuldigen.
„Hey, Emily“, rief Peta, Emily, die einen Gang entlangging.
„Peta, hey, alles klar bei dir? Geht es dir wieder schlechter?“, blieb Emily stehen.
„Nein, ich hab momentan keine Versicherung, also kann ich mir keine Untersuchung leisten, aber mir geht’s gut. Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen. Das war ein langer Tag, ich hätte dich nicht so anfahren sollen. Ich trauere noch“, entschuldigte sie sich.
„Ist in Ordnung, ich hab’s verstanden. Ich hab nicht besonders viel Zeit heute, tut mir leid. Ich mach um ein Uhr Mittagspause, ich treffe meinen Mann, wenn du willst, kannst du uns Gesellschaft leisten, ich lad dich ein“, schlug Emily vor.
„Gerne, ich würde deinen Mann gerne kennenlernen“, sagte sie zu.
„Dann treffen wir uns im eins am Haupteingang, er wird sich auch freuen, dich kennenzulernen“, bemerkte sie und ging weiter.
 
„Man, da hat aber einer einen ganz schönen Hunger“, schmunzelte Emilys Mann Dane, als sie beim Mittagessen in einem Burger-Laden saßen und er zusah, wie Peta gierig einen Burger verschlang.
„Ich hab die letzten Monate Diät gehalten für mein Hochzeitskleid, das ist der erste Burger seit sechs Monaten, sorry“, mampfte sie.
„Schon gut, ist doch erfrischend. Meine Frau hat mir viel von dir erzählt, vor allem die Tatsache, dass du wieder in der Stadt bist, freut sie sehr“, erklärte Dane und sah Emily an, die ihn anlächelte.
„Ja, ich bin auch froh, wieder hier zu sein. Ich muss nur noch nen Job und ne Wohnung finden“, erklärte sie.
„Ach ja, das wollte ich dir noch sagen, unsere Krankenhaus-Apothekerin geht nächsten Monat in Rente, die Stelle ist noch frei“, schlug Emily vor.
„Das wäre gut, sag mir den Nummer und ich ruf die Person mal an. Du kennst nicht zufällig noch jemanden, der ne Wohnung für mich hätte, oder?“
„Wird schwierig bei deiner Tante und deinem Onkel, was?“, fragte Emily schmunzelnd.
„Nein, geht schon, aber seit ich weiß, dass sie Cousin und Cousine zweiten Grades sind und auch meine Eltern ist alles etwas seltsam“, bemerkte Peta mit Ekel in der Stimme.
„Ach Süße, du warst zu lang in der Stadt, auf dem Land ist das doch nichts Besonderes“, witzelte Emily.
„Wie du meinst, an das Leben muss ich mich erstmal wieder gewöhnen. Der Burger ist zumindest schon mal echt gut“, aß sie weiter.
„Ich ruf ein paar Leute an, wir besorgen dir schon ne Wohnung. Wir brauchen doch jemanden, der babysittet, wenn wir mal ausgehen“, erwiderte Dane und fuhr seiner Frau über den Bauch.
„Du bist schwanger?“, fragte sie erstaunt.
„Ja, tut mir leid, das wollte ich dir eigentlich erstmal verschweigen, nach allem, was du erlebt hast!“
„Nein, das ist ein Moment zum Feiern, gratuliere, das freut mich doch auch und hilft mir bei der Heilung. Wie weit bist du?“
„Erst im zweiten Monat, also noch ganz frisch, aber wir sind sehr glücklich“, sagte sie strahlend.
„Das ist schön, ich freu mich wirklich für euch, ein neues Leben in die Welt zu bringen ist schön, vor allem hier“, freute sie sich für ihre beste Freundin und Emilys Mann.
„Danke, das freut mich, dass dich das freut“, begann Emily ein verkrampftes Gespräch.
 
Tief in Gedanken versunken saß Peta an diesem Nachmittag vor dem Haus ihres Onkels.
„Hey“, hörte sie Ashs Stimme und schreckte auf.
„Sorry, hab ich dich erschreckt?“
„Nein, ich war nur grad wo ganz anders“, erklärte sie und lächelte ihn matt an.
„Emily schickt mich, du hast auf sie ziemlich verstört gewirkt, als du das von ihrem Baby gehört hast“, erklärte er ihr und setzte sich neben sie.
„Alles ist bestens, mein Leben fällt nur grad auseinander, da ist es schwer, alle so glücklich zu sehen“, gestand sie.
„Ja, das kenn ich, das war auch ein Grund, warum ich die ersten Monate gar nicht aus dem Haus bin, wenn es nicht sein musste. Es ist scheiße, aber es geht vorbei“, versicherte er ihr.
„Es tut mir leid, ich kann jetzt keine Beziehung mit dir anfangen“, entschuldigte sie sich plötzlich.
„Wow, woher kommt das denn plötzlich? Ich bin nur nett zu dir, ich möchte dein Freund sein, auf ganz platonische Weise“, erwiderte er verwundert.
„Oh, sorry, ich hab die Signale wohl falsch gedeutet, ja, ich möchte auch dein platonischer Freund sein, du bist der einzige hier, der versteht, was ich grade durchmache“, entschuldigte sie sich.
„Ja, das tu ich und ich werde für dich da sein, egal was ist“, versicherte er.
„Du bist zu lieb“, begann sie wieder zu weinen.
„Hey, ich hatte tolle Leute um mich, als mir das passiert ist, das will ich nur an dich weitergeben“, erklärte er und zog sie an sich. Sie weinte kurz in seinem Arm und beugte sich dann nach vorne.
„Alles klar?“, fragte er vorsichtig.
„Ja, ich bin noch etwas verkatert, die Sitzung gestern war ziemlich heftig. Danke nochmal, dass du meinem Onkel geholfen hast, mich da rauszuholen, auch wenn ich nicht wirklich in Gefahr war“, erwiderte sie.
„Das sah aber ganz so aus, so sehr ich eure Riten und Gebräuche auch mag, was ich da gesehen habe, hat sich in mein Hirn gebrannt“, entgegnete er angeekelt.
„Wenn’s dich beruhigt, das ist für mich auch Neuland, mein Vater hat mich zwar in den alten Riten und Gebräuchen unterrichtet, aber nur rein theoretisch, das praktische ist auch alles bizarr für mich!“
„Du warst nackt!“
„Ja, das ist mir klar, du siehst mich echt zu häufig nackt für jemanden, der mich eigentlich nicht wirklich kennt“, sagte sie matt lächelnd.
„Ist ne Weile her, dass ich eine nackte Frau gesehen habe, kann nicht sagen, dass es mir nicht gefallen hat“, bemerkte er schmunzelnd.
„Ich bin stolz auf meinen Körper, also seh ich das mal als Kompliment. Du hast also nach ihrem Tod nie eine Frau gehabt?“, fragte sie.
„Ich hatte Dates, aber alles war anders. Du darfst dich nur nicht zu irgendwas zwingen. Irgendwann kommt die Zeit, da kannst du wieder über was Neues nachdenken, aber lass dir die Zeit, ich hab es überhastet und das hat mich nur mehr deprimiert“, riet er ihr.
„Kann ich mit dir über was ganz privates reden?“, hoffte sie.
„Sicher, spuck’s aus!“
„Ich glaub, ich bin verliebt und das tut weh, das ist so falsch“, gestand sie.
„Weiß er von seinem Glück?“, fragte er neugierig.
„Er hat es mir zuerst gesagt, aber ich bin noch nicht bereit dazu“, erklärte sie.
„Es ist dein Schwager, oder?“, wollte er wissen und sie nickte.
„Sag ihm, was du fühlst, sag ihm aber, dass du Zeit brauchst“, schlug er vor.
„Er ist grade nicht in seinem besten psychischen Zustand, das würde er nicht vertragen, verdammt, ich weiß ja selbst nicht mal, ob ich das gerade aushalte. Ich bin eigentlich auch hierhergekommen, um das herauszufinden“, plapperte sie vor sich hin.
„Dann finde es heraus, für dich alleine, du musst dir Zeit geben. Wie ich sagte, ich bin für dich da, egal was ist, du musst nur Zeit für dich haben“, schlug er vor.
„Danke, du hast mir schon sehr geholfen“, bedankte sie sich.
„Gern geschehen. Ich muss leider zurück in die Praxis, wenn ich heute mal pünktlich raus will. Kommst du hier klar?“
„Ja, erstmal schon, danke!“
„Bitte, schönen Tag noch“, ließ sie ihn gehen.

Dreizehntes Kapitel

 
Einen Monat später arbeitete Peta in der Klinik, in der auch Emily arbeitete als Apothekerin. Es war nur eine winzige Apotheke und die Arbeit hielt sich in Grenzen, aber das war in dem Moment genau das Richtige für sie. Mittags traf sie sich, soweit Emily konnte, mit ihrer Freundin zum Essen.
„Wie ist die neue Wohnung?“, wollte Emily wissen, als sie in einem Diner saßen und zu Mittag aßen.
„Gut“, murmelte Peta nur in ihren Milchshake.
„Klingt ja nicht so begeistert!“
„Ich vermiss meine alte Wohnung!“
„Du willst also zurück?“, fragte Emily enttäuscht.
„Nein, ich will hier bleiben, aber ich vermisse es einfach“, entschied sie.
„Vermisst du nicht eher ihn?“, fragte Emily vorsichtig.
„Es ist erst einen Monat her, natürlich vermisse ich ihn“, konterte Peta.
„Ja, das natürlich auch, aber ich mein nicht ihn!“
„Ich hätte es dir nicht erzählen sollen“, murrte sie.
„Doch, das war wichtig, wir nähern uns wieder an, das bedeutet mir sehr viel“, erwiderte Emily und griff nach ihrer Hand.
„Diese Gefühle sind falsch, ich möchte nicht so fühlen“, bemerkte Peta und eine Frau, die an ihnen vorbei ging, grinste sie an und ging dann weiter.
„Du solltest meine Hand loslassen, wenn wir über Gefühle reden, das ist nicht Kalifornien hier“, erwiderte Peta und Emily ließ ihre Hand los.
„Das frisst dich doch auf, red mit ihm darüber!“
„Du bist lustig, was soll ich sagen? „Hey, ich hab Gefühle für dich, aber ich weiß nicht, wie lange es dauern kann, bis ich meiner Gefühle klar sein kann, aber du wartest doch auf mich, oder?““
„Nicht mit diesen Worten, aber so ähnlich, ja“, entschied Emily.
„Ich mag ihn so sehr, dass ich ihm das nicht antun werde“, erwiderte Peta betrübt.
„Wie du meinst, aber wenn es dich quält, ist das furchtbar, dass würde Oliver nicht wollen und Declan sicher auch nicht“, entschied Emily.
„Es ist schade, dass du Oli nicht kennenlernen konntest, er hätte dir gefallen“, bemerkte Peta plötzlich und sah aus dem Fenster.
„Ganz sicher hätte er mir gefallen, er hat dich glücklich gemacht, sah gut aus und hatte einen anständigen Job“, bemerkte Emily.
„Warte, ich hab dir nicht gesagt wie er aussieht und was sein Job war“, wunderte sich Peta und Emily sah beschämt auf den Tisch.
„Du redest mit meiner Tante über mein Liebesleben?“, realisierte Peta.
„Nicht direkt, wir haben eine kleine Wette am Laufen, Team Ash gegen Team Declan, ich war echt lang im Team Ash, aber da du keinerlei Interesse an dem smarten Tierarzt zeigst, hab ich gewechselt“, erklärte sie beschämt.
„Man, ich hab vergessen, wie öde es hier sein kann“, sagte Peta nur.
„Du bist nicht sauer?“
„Nein, du hattest aber Recht, aus dem Team Ash auszusteigen, ich bin befreundet mit ihm aber mehr wird da nicht passieren“, erklärte sie.
„Gut, er ist ein netter Kerl, aber momentan kann er dir besser als Freund helfen. Ich bin fast etwas eifersüchtig auf eure Freundschaft“, entgegnete Emily.
„Wir haben ähnliches erlebt, aber dich kenn ich seit dem Kindergarten, unsere Freundschaft ist ganz anders. Ich bin sehr froh, dass wir unsere Differenzen beigelegt haben, du hast mir in den letzten Wochen sehr geholfen, das alles zu überwinden“, erklärte Peta ihr.
„Das freut mich zu hören, ich könnte mir auch niemand besseres vorstellen als dich für die Patin meines Kindes“, sagte Emily zufrieden.
„Auch wenn das eine große Ehre für mich ist, willst du nicht jemanden, der verheiratet und kein Formwandler ist für den Job?“
„Ich könnte mir niemanden besser als dich vorstellen, du kannst ihm oder ihr beibringen wie man Spuren liest und die Natur respektiert und du hast das größte Herz überhaupt“, lobte Emily sie.
„Ich respektiere in letzter Zeit die Natur nicht mehr so, wie es mich mein Dad gelehrt hat, das muss der Adler in mir sein, aber ich hab so einen Fleischhunger, ich habe wieder mit dem Fleischessen angefangen“, gestand sie ihr.
„Dieser vegetarische Lebensstil war eh nur was für L.A., tu was gut für dich ist und wenn das den ein oder anderen Bacon-Burger beinhaltet, was soll’s!“
„Ja, du hast Recht, neue Stadt, neue Essgewohnheiten, das war eh nur die Idee meiner Mutter. Hast du heute Abend kurz Zeit? Ich will was machen, was ich nicht allein schaffe“, bat sie.
„Klar, ich hätte Zeit“, stimmte sie zu.
 
„Wie lang warst du nicht mehr hier?“, fragte Emily, als sie mit Peta über den Friedhof ging.
„Ne ganze Weile. Meine Mutter ignoriert sein Grab jetzt vollkommen, ihr reicher zweiter Ehemann war ja mit all seinem Geld viel attraktiver“, entgegnete Peta mit etwas Ärger in der Stimme.
„Ja, ich weiß, aber deine Tante und dein Onkel haben ihn wirklich geliebt, sie werden sich sicher gut um das Grab gekümmert haben“, bemerkte Emily und sie blieben an einem Grab stehen.
„Es ist wirklich schön hergerichtet. Manchmal frag ich mich, warum ich ausgerechnet das Kind von meinen Eltern bin und nicht das von Mato und Nascha“, entgegnete Peta und kniete sich an dem geschnitzten Grabstein herunter um Blumen niederzulegen.
„Du bist zwar nicht biologisch ihre Tochter, aber in ihrem Herzen schon. Dein Dad war aber auch ein toller Kerl, soweit ich noch weiß“, erwiderte sie.
Ja, das war er, aber nach seinem Tod fiel alles auseinander. Fala hat seit seiner Beerdigung nicht wirklich über ihn geredet, als hätte er nie existiert“, bemerkte sie.
„Wie lang hast du nicht mehr mit deiner Schwester gesprochen?“, wollte Emily erkennend wissen.
„Seit ich wieder hier bin, ich weiß nicht, über was ich mit ihr reden sollte“, entschied Peta trocken.
„Sie ist deine große Schwester, du sollest mit ihr über alles reden, Männerprobleme, deine Gefühle, deine Ängste und dein kleines Flügel-Problem. Du hast es nie offiziell bestätigt, aber ich nehm mal an, du bist nicht die einzige in der Familie mit dieser Gabe?“
„Richtig, aber sie hat ihre Gabe seit Jahren und hat nie etwas gesagt“, erklärte sie ihr.
„Dein Onkel und deine Tante leben seit Jahrzehnten damit, warum bist du auf Fala sauer, aber nicht auf sie?“, wollte sie wissen.
„Keine Ahnung“, murmelte sie und putzte das Grab.
„Red mit ihr, sie kann dir sicher viel beibringen, wo ich dir nicht helfen kann“, entgegnete Emily und half ihr wieder hoch.
„Vielleicht ruf ich sie mal an, ist ne Weile her. Ich wäre gerne noch eine Weile mit meinem Vater allein“, bat sie ihre Freundin.
„Sicher, sehen wir uns morgen wieder zum Mittagessen?“
„Ich schreib dir, weiß noch nicht!“
„Okay, schönen Abend“, bemerkte Emily und schlenderte davon.
 
Nachdenklich saß Peta eine ganze Weile auf der Wiese neben dem Grab ihres Vaters. Sie schwelgte in Erinnerung und musste lächeln, als sie den friedlichen Mann in Gedanken vor sich sah, den sie Vater genannt hatte. Sie spürte jemanden neben sich. Es war Iniabi. Sie schreckte etwas zusammen.
„Tut mir leid, kleiner Adler, ich wollte deine Mediation nicht stören“, entschuldigte er sich.
„Tust du nicht, ich hab nur nachgedacht. Was machst du hier?“, fragte sie ruhig.
„Die Geister haben mich hierher geführt“, schmunzelte er.
„Du bist zufällig auch hier, oder?“
„Richtig, ich komm eigentlich jeden Mittwoch hierher, während Nascha im Koma lag, war das Grab etwas verwildert, ich wollte das ändern. Er ist auch mein Cousin“, entgegnete Iniabi.
„Es ist schade, dass Dad so früh starb, ich hab nie viel von meinen Verwandten mitbekommen, dass meine Eltern und mein Onkel und meine Tante biologisch verwandt sind ist etwas verstörend“, entschied sie.
„Die Liebe will was sie will, wir Träger des Totem ziehen uns auch irgendwie magisch an, sei froh, dass deine Eltern keine Geschwister sind“, erläuterte er.
„Sind es deine gewesen?“, wollte sie wissen.
„Frag lieber nicht, deswegen halten mich die meisten vermutlich auch für verrückt. Das bin ich nicht, etwas schrullig vielleicht, aber ich bin ziemlich einsam, da wird man halt komisch“, erklärte er sich. Sie sah ihn an. Man konnte noch erkennen, wo Mato ihn angegriffen hatte.
„Mein Onkel war zu brutal zu dir, wir sind freiwillig zu dir gekommen, dich trifft keine Schuld“, sagte sie sanft.
„Wir kämpfen schon miteinander, seit wir laufen können, war halb so wild. Hat es funktioniert? Sind eure Totems wieder entzweit?“, wollte er wissen.
„Ich hab ehrlich gesagt nicht viel mit ihr zu tun gehabt im letzten Monat, ich weiß es nicht“, erklärte sie ihm.
„Alles in Ordnung bei euch?“
„Ja, bin nur in meine eigene Wohnung gezogen“, sagte sie nur.
„Du bist nicht glücklich“, realisierte er.
„Mein Mann ist tot, du brauchst kein Schamane zu sein, um zu erkennen, dass ich nicht glücklich bin“, entschied sie.
„Ich meine hier, du gehörst nicht mehr hierher, deine Seele ist in L.A. geblieben“, erkannte er.
„Ja, Captain Offensichtlich“, raunzte sie.
„Ah, okay, du weißt es also, du solltest nach L.A. zurückgehen“, schlug er vor.
„Nein, ich werde da nicht wieder hin zurückgehen“, schlussfolgerte sie.
„Wie du meinst, ist ja nur ein Tipp. Ach ja, dein Messer, das wollte ich dir schon lange geben“, entgegnete er und rammte das alte Messer ihres Vaters neben sie ins Gras.
„Danke, das hab ich schon vermisst, das Messer ist mir besonders wichtig“, bedankte sie sich und zog es heraus.
„Ich weiß, ich spüre die Energie, die das Messer beinhaltet. Wenn du reden willst, du weißt ja, wo ich mein Zelt aufgeschlagen habe“, stand Iniabi wieder auf und ließ sie allein. Sorgfältig legte sie die Dinge, die sie nicht mitnehmen konnte auf den Grabstein ihres Vaters und flog davon.

Vierzehntes Kapitel


Vier Nativ-Amerikaner saßen dem Tierarzt im Wohnzimmer des Ehepaares gegenüber. In der Mitte des runden Tisches lagen Petas Messer, ihr Handy und ihr Geldbeutel.
„Glaubt ihr, sie hat sich was angetan?“, sprach Ash aus, was sich alle Anwesenden fragten.
„Dann hätten wir ihre Leiche gefunden“, schlussfolgerte Iniabi, der auch bei seinem Cousin zu Hause war.
„Danke, Cous‘, sehr aufbauend, wirklich“, grummelte Mato.
„Ich will nichts sagen, aber wir wohnen in einer Wüste, ihre Leiche könnte auch nur gut versteckt sein“, warf Ash ein.
„Es ist zwei Wochen her, dass sie irgendjemand gesehen hat, sie hat jetzt genug Zeit gehabt, sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen, jetzt reicht es“, entschied Emily, die mit einer Tasse Tee zurück an den Tisch kam und sich zu ihnen setzte.
„Oh Süße, du solltest heim zu deinem Mann gehen, das könnte zu aufregend für dich und dein Baby werden“, bat Nascha fürsorglich.
„Uns beiden geht es gut und ich will dabei sein. Ich denke, ihr geht es gut, das fühle ich irgendwie“, entschied Emily.
„Du bist also auch ein Medium?“, warf Shania ein, die die ganze Zeit vorher geschwiegen hatte.
„Nein, ich weiß es einfach. Tu nicht so, als wärst du so ein großes Medium, sonst wäre sie jetzt wieder bei uns“, entgegnete Emily genervt.
„Ich bin keine Hellseherin, Süße, ich sehe tote Menschen, mehr nicht“, entschied Shania trocken.
„Hast du sie gesehen?“, fragte Ash vorsichtig.
„Würde ich dann hier in Ruhe bei euch sitzen und euch das nicht sagen?“
„Keine Ahnung, so gut kenn ich dich nicht!“
„Ich hab sie nicht gesehen, okay!“
„Gut. Was machen wir jetzt?“
„Wir sollten schlafen gehen, es ist fast Mitternacht, so können wir gar nichts ausrichten“, entschied Mato. Seine sonore, dunkle Stimme klang wie ein Machtwort in den Ohren der anderen. Alle standen auf. Doch plötzlich hörten sie einen großen, aber dumpfen Schlag an der Scheibe des Wohnzimmers.
„War das ein Vogel?“, wunderte sich Ash.
„Das war aber ein großer …Peta“, realisierte Mato und alle eilten nach draußen.
Eine Mischung aus Mensch und Adler lag zusammengekauert auf der Terrasse der Familie. Die Federn waren blutig und auch vom Kopf tropfte Blut.
„Mein Gott, hilf ihr, Ash“, bat Nascha weinerlich.
„Ich weiß nicht wie, sie ist halb Mensch, halb Tier“, stotterte er.
„Sie blutet, du bist Arzt, mach was“, forderte Emily.
„Na gut, holt ein Laken, wickelt sie fest darin ein und bringt sie rein“, handelte Ash und sie packten sie auf den Wohnzimmertisch.
„Ihr Flügel ist gebrochen, ich kann ihn nicht schien, wenn sie sich zurückverwandelt zerreißt das ihren Arm. Wir müssen sie in ein Krankenhaus bringen, sofort“, bat Ash.
„Sie ist ein Wesen aus Legenden, so wie sie gerade aussieht, wie sollen wir das dem Notarzt erklären!“
„Wir müssen ihr helfen sich zurück zu verwandeln, Nascha, ich brauche folgende Zutaten…“, plante Shania und Nascha eilte davon.
 
„Okay, das wird ihr jetzt vermutlich höllisch wehtun, ihr müsst sie festhalten, Jungs“, bat Shania und die Männer hielten Petas Beine fest.
„Tut mir leid, meine Süße, ich hätte dir das gern erspart“, flößte Shania, Peta eine Mischung von Kräutern ein. Peta schrie auf. Es klang wie eine Mischung aus einem menschlichen Schrei und dem Schrei eines Adlers. Sie sackte zusammen. Sie war wieder ein kompletter Mensch.
„Okay, los, los, ruft den Notarzt“, rief Ash und Nascha eilte zum Telefon.
„Ash“, hörten sie Petas Stimme.
„Hey, wir haben dich wachgemacht, wir sind bei dir, meine Süße“, hielt Ash ihre blutige Hand.
„Ich habe Schmerzen“, sagte sie leise.
„Du hast gebrochene Knochen, aber wir haben einen Notarzt gerufen, der müsste gleich da sein“, versprach er ihr und sie zog seine Hand fest an ihre Brust.
„Es tut mir so leid, ich war so blöde“, entschuldigte sie sich.
„Psst, das ist jetzt egal, du bist wieder da“, beruhigte Nascha sie, die sich zu Petas Kopfseite gesetzt hatte und nun sanft ihren Kopf küsste.
„Werde ich sterben?“, fragte Peta weinerlich.
„Nein, kleiner Adler, du bist stark, so wie ich, ich sollte eigentlich auch sterben, jetzt bin ich hier“, beruhigte Nascha sie.
„Du berührst mich“, realisierte sie.
„Ja, wir können uns wieder berühren, es hat funktioniert“, freute sich Nascha.
„Ich bin ja auch gut“, prahlte Iniabi.
„Das gehört jetzt nicht hierher, du kannst gehen Ini‘, wir kommen hier klar“, bat Nascha.
„Sicher, sagt mir, wie das hier ausgegangen ist“, bat er und ließ sie allein.
Der Notarztwagen kam schnell und sie brachten sie ins Krankenhaus.
 
Ash wurde wach, als Emily ihn sanft an stupste.
„Was, wie?“, fragte er schläfrig.
„Ich bin’s nur, ich hab deine Tochter grade in die Schule gebracht und dachte, den könntest du gebrauchen“, reichte sie ihm einen Kaffee.
„Ja, danke, wie lang hab ich geschlafen?“
„Weiß nicht, kam gerade erst zurück. Geh nach Hause, ich sag dir Bescheid, wenn wir was Neues erfahren“, schlug sie vor.
„Ich hab meiner Kollegin schon einen Text geschrieben, dass ich heute nicht komme. Sie ist schon so lange da drin“, realisierte Emily.
„Sie lebt noch, sonst hätten sie sich schon längst bei uns gemeldet“, erwiderte Ash.
„Das Krankenhaus weckt schlechte Erinnerungen, was?“
„Ja, ich hab gehofft dass nie wieder zu erleben“, dachte er laut nach.
„Ihr wird es gut gehen, sie wird es überleben“, kam Nascha zu ihnen. Sie hatte gerade mit dem Arzt gesprochen.
„Gott sei Dank“, war Emily erleichtert und umarmte Nascha.
„Sie hat einen gebrochenen Arm, zwei gebrochene Rippen und hat ne Menge Blut verloren, aber es wird ihr wieder gutgehen. Das Gute ist, dass sie ne ganze Weile nicht mehr abhauen kann und wir immer wissen wo sie ist“, erklärte Nascha.
„Ja, aber wir können sie nicht ewig hierhalten, sie gehört zurück nach Hause und das ist nicht mehr hier. Sie gehört zu dem Mann, der sie liebt“, bemerkte Ash nachdenklich.
„Ihr Mann ist tot, Kleiner“, entgegnete Nascha.
„Er spricht nicht von ihrem Ehemann, Nasch‘“, bemerkte Emily.
„Sollten wir über Declan sprechen wenn er dabei ist?“
„Peta und ich sind nur Freunde, schon gut“, versicherte er den Frauen.
„Du belügst dich also genau wie sie es tut? Interessant“, schlussfolgerte Emily.
„Ich belüg mich nicht!“
„Ah, wenn du meinst. Ich geh zu ihr rein, erstmal allein. Hier, Nascha, nimm meinen Kaffee, hab noch nicht draus getrunken“, ging Emily zu ihrer Freundin.
 
Peta war wach und sah aus dem Fenster auf den Parkplatz, als ihre beste Freundin zu ihr ins Zimmer kam.
„Hey“, begrüßte Emily sie sanft, aber Peta antwortete nicht.
„Wo bist du mit deinen Gedanken?“, kam sie zu ihrem Bett.
„Hoch oben im Himmel“, sagte Peta mysteriös.
„Sag mal, war das ein Selbstmordversuch?“, fragte Emily kritisch.
„Äh was, nein, ich bin an einen anderen Adler geraten, ich bin abgestürzt, bin den Flug noch nicht so gewohnt. Ich bin nochmal gestartet, aber die Landung danach war ziemlich schwierig auf Grund meines gebrochenen Flügels, äh Arm“, bemerkte sie.
„Das war echt knapp diesmal, Peta, du warst zwei Wochen weg!“
„Zwei Wochen? Ich hätte nicht gedacht, dass das solang gewesen wäre, ich hab da oben wohl jedes Zeitgefühl verloren“, entschied sie.
„Du kannst die Welt nicht verleugnen. Ich weiß, du bist gerade zwiegespalten zwischen zwei Heimaten und zwei Männern, aber du musst dich der Realität stellen“, erwiderte sie.
„Was redest du? Ich bin hier und werde hier bleiben, welche zwei Männer?“, sah sie sie an.
„Declan und Ash?“
„Du hast zu viele Soap-Operas gesehen, oder? Ich bin erst seit einem Monat Witwe, ich bin immer noch in meiner Trauerphase, es wird noch eine ganze Weile dauern bis ich wieder über eine Beziehung nachdenken kann, wenn überhaupt“, entschied sie.
„Das solltest du den Kerlen sagen, denn einer von denen sitzt vor der Tür und will nicht heimgehen“, erklärte Emily ihr.
„Ist es Declan?“, hoffte sie.
„Nein, Ash, Declan ist also immer noch dein Favorit?“
„Er ist mein Schwager, mehr nicht!“
„Du weißt schon, dass du mir schon gestanden hast, dass du Gefühle für ihn hast, oder?“
„Ja, das hab ich, aber das Vor-Zwei-Wochen-Ich, ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, jetzt hab ich es kapiert. Ich steh nur auf ihn, weil er mich so sehr an Oliver erinnert“, erklärte sie.
„Ah, wenn du meinst. Du hattest ne furchtbare Nacht also werde ich jetzt nichts dazu sagen. Ich bin nur froh, dass du nicht tot bist!“
„Ich auch, wie nah war ich dran?“
„Ziemlich nah dran. Leg dich nächstes Mal bitte nicht mehr mit einem anderen Adler an, okay?“
„Hab ich nicht vor. Ich wär jetzt gern allein, sag den anderen, dass es mir gut geht, ich aber allein sein will“, bat sie.
„Sicher, gute Besserung, ruf mich an, wenn du reden willst“, bemerkte Emily traurig und ging davon.
 
„Hey, was ist los?“, fragte Nascha besorgt, als Emily mit gesenktem Kopf aus dem Krankenzimmer kam.
„Sie will uns nicht sehen“, erläuterte Emily nur und trottete an ihr vorbei.
„Okay, das reicht, ich ruf ihre Mutter an“, entschied Mato und griff zum Handy.

Fünfzehntes Kapitel

 
Zwei Tage später hörte Peta das Klappern von Absätzen auf dem Krankenhausboden. Sie legte gerade Patiencen, weil sie sonst nichts anderes in ihrem Krankenzimmer zur Verfügung hatte.
„Was ist? Wollt ihr mir jetzt auch noch die Karten wegnehmen? Wenn ich mich damit umbringen könnte hätte ich es längst getan“, bemerkte sie ohne aufzusehen.
„Oh, kleiner Adler, sieh dich an“, hörte sie Falas Stimme und sah auf.
„Warum haben sie dich angerufen?“, fragte Peta nur.
„Eigentlich haben Sie Mom angerufen, sie ist draußen, ich wollte vorher abchecken wie die Lage ist!“
„Sie haben mich auf die Klapsen-Abteilung gelegt, weil ich bei der Einlieferung high von einem komischen Trank, den Shania zusammengebraut hat, einen Sanitäter beißen wollte. Das ist die Lage“, erklärte sie kurz.
„Oh Süße, du bist in der psychologisch betreuten Abteilung, weil du seit zwei Tagen keinen an dich ranlässt und auf stur schaltest und wir denken, dass du dir was antun willst, das mit dem Trank ist es nicht, ganz sicher, die haben hier sicher schon Hersteller von Schwarzgebrannten mit größeren Ausrastern bei einer Einlieferung gehabt. Also, was ist los?“
„Gar nichts ist los, ich hatte einen Unfall, ich werde wieder gesund und lebe weiter“, versicherte Peta.
„Ach so und wo willst du weiterleben? Hier, oder in L.A.? Du hast dort auch noch Leute die dir wichtig sind, weißt du?“, fragte ihre Schwester sie und kam näher an sie heran.
„Ich hätte dich anrufen sollen“, realisierte Peta.
„Ja hättest du, aber ihn hättest du auch anrufen sollen. Ihm geht’s dreckig, Pet‘“, erklärte sie ihr.
„Was hätte ich sonst tun sollen? Ihn hinhalten, bis ich vielleicht eines Tages Gefühle für ihn gehabt hätte?“, grummelte Peta und schob ihren Tisch mit den Karten weg.
„Nein, aber du hättest ihm auch deine Liebe gestehen können. Was? Sollte das nen Geheimnis sein? Keine Sorge, er weiß es nicht, aber er sollte es wissen“, ließ Fala ihre kleine Schwester wissen, was sie zu wissen vermutete.
„Das ist absoluter Bullshit“, konterte Peta.
„Ah, wenn du meinst. Kann ich Mom jetzt reinholen, oder gehst du dann auf sie los?“
„Wenn sie den gleichen Mist von sich gibt wie du, vielleicht“, raunzte sie.
„Sie hat extra eine Wohltätigkeitsorganisation geschwänzt um hierher zu kommen, du weißt wie gern sie die hat, sie wird nett sein!“
„Wird sie mir die ganze Zeit diese Tatsache vorhalten?“
„Sie hat mir ausdrücklich verboten, dir davon zu erzählen, aber so wie früher mache ich immer gern was ich will“, erklärte Fala trocken.
„Okay, lass sie reinkommen“, bat Peta.
 
Insula war wieder wie immer wie aus dem Ei gepellt gekleidet, doch Peta sah etwas in den Augen ihrer Mutter, was sie verwunderte. Wirkliches Interesse und Mitgefühl.
„Hey, Mom“, begrüßte sie ihre Mutter kurz.
„Du hast dich mit nem anderen Vogel angelegt?“, fragte Insula etwas salopp.
„Sieht so aus. Wir reden also jetzt plötzlich darüber was wir sind. Wäre nett gewesen, dass 30 Jahre früher zu erfahren aber gut. Kann ich erfahren, welches Totem du hast?“, wollte Peta wissen.
„Kanarienvogel“, nuschelte Insula.
„Wie war das? Ich hab dich nicht so ganz verstanden“, frotzelte Peta, die sie ganz genau gehört hatte.
„Du hast mich schon gehört, Tochter, dein Vater hatte die gleichen Gaben wie du, lass es mich bitte nicht wiederholen“, war Insula beschämt.
„Ein roter Kanarienvogel, oder? Deswegen der Name „Rote Feder“, schlussfolgerte Peta.
„Ja, deswegen rede ich nicht gern davon, es ist peinlich“, entschied Insula.
„Rote Kanarienvögel sind einer der tollsten Vögel der Welt, Mom, ich mag sie sehr gern“, erklärte sie ihr.
„Jetzt veralberst du mich“, murrte Insula.
„Mann, ich war zu lang sarkastisch, tut mir leid, nein, ich mein das Ernst, wir beide waren uns so nah früher, als Dad noch am Leben war, ich will, dass das wieder so ist“, bat sie ihre Mutter.
„Das klingt gut“, war Insula gerührt und wollte sie umarmen.
„Auch wenn ich sehr gerührt bin, dass du mich umarmen willst, ich hab zwei gebrochene Rippen und einen gebrochenen Arm, also ist anfassen in den nächsten Wochen nicht drin“, entschuldigte sie.
„Ja, natürlich, aber wir holen das nach, okay?“
„Ganz sicher, ich freu mich schon drauf. So, jetzt holen wir dich erstmal aus der Psycho-Abteilung raus, gut, dass ich deine Anwältin mitgebracht habe“, entgegnete Insula planend.
„Ich werde noch ne Weile im Krankenhaus bleiben müssen, Mom“, konterte sie.
„Ja, ich weiß, aber nicht in dieser Gummizelle, wo du nicht mal was persönliches mit reinbringen kannst“, konterte Insula.
„Das wäre lieb, danke. Sie waren alle gut zu mir, weißt du? Du hältst sie zwar alle für Hinterwäldler, aber wenn sie nicht gewesen wären, wäre ich vermutlich nie wieder aus dem Bett aufgestanden“, erwiderte sie.
„Ja und ich bin ihnen auch furchtbar dankbar dafür, aber es wird Zeit ins Leben zurückzukehren. Außer natürlich, du willst hier bleiben“, schlug Insula vor.
„Gib mir etwas Zeit, ich bin gerade dabei das rauszufinden“, hoffte sie.
„Natürlich, alle Zeit, die du willst, aber sobald du heimwillst ruf mich an, dann schick ich dir nen Erste-Klasse-Ticket“, bemerkte Insula.
„Ich würde dann selbst fahren, ich hab meinen Wagen hier, aber danke. Wirst du noch etwas in der Stadt bleiben?“, hoffte sie.
„Etwas, zumindest so lang, bis ich weiß, dass du aus der Gummizelle raus bist“, versprach sie.
„Danke, Mom, das bedeutet mir sehr viel“, bedankte sie sich.
„Immer doch, Süße“, lächelte sie verschmitzt und ließ sie allein.
„Okay, egal welche Drogen die mir hier geben, sie nimmt was stärkeres“, murmelte sie vor sich hin und lehnte sich zurück.
 
Eine Woche später durfte sie das Krankenhaus verlassen. Insula hatte ihr Versprechen eingehalten, sie war nur eine weitere Nacht auf der psychischen Abteilung gewesen.
„Willst du wirklich zurück?“, fragte Emily enttäuscht, als sie ihrer Freundin half, Petas Wagen zu beladen.
„Ich will es probieren, hier bin ich nicht glücklich, aber das hat überhaupt nichts mit keinem von euch zu tun“, versicherte sie.
„Das wirkt aber so. In L.A. bist du allein“, versuchte Emily sie zu überzeugen.
„Ich habe meine Mutter und meine Schwester dort und eine große Wohnung. Ich denke, ich werde dort geistig gesund werden und wenn nicht, dann bin ich nur sechs Autostunden von hier entfernt“, versicherte sie.
„Du hast alle meine Nummern, oder?“
„Ich weiß sogar, wie ich dich mit Rauchzeichen erreichen kann, danke“, bedankte sie und lächelte matt.
„Gut. Hast du dich von Ash auch verabschiedet?“, wollte Emily wissen.
„Ich fahr gleich noch bei der Praxis vorbei. Guck nicht so traurig, niemand ist tot, ich komm euch besuchen, ganz sicher“, verabschiedete sich Peta.
„Kann ich dich umarmen?“, hoffte Emily.
„Ja, aber bitte nicht drücken“, bejahte Peta dies und Emily umarmte sie sanft.
 
Sie atmete tief durch. Es war schwieriger als sie dachte, Abschied von ihm zu nehmen.
„Autsch, der kräftige Atemzug war keine gute Idee“, redete sie mit sich selbst und ging die Schritte bis zur Praxis.
Ash untersuchte gerade ein kleines Kätzchen, als er zu ihr aufsah.
„Tut mir leid, ich will dich nicht bei deiner Arbeit stören, ich wollte mich nur verabschieden“, kam sie vorsichtig ins Untersuchungszimmer.
„Hab gehört, dass du deine Meinung wieder geändert hast und wieder zurück nach Hause willst“, bemerkte er tonlos.
„Momentan schon, ja. Ich wollte nur nicht einfach so abhauen, ohne was zu sagen“, erklärte sie.
„Danke, das ist nett. Was hältst du von unserem neuen Familienmitglied? Ich überrasche Bea heute Abend mit nem Kätzchen“, hielt er ihr das Kätzchen hin.
„Süß“, strich sie dem Kätzchen mit der freien Hand über den Kopf.
„Ein Kätzchen würde dir auch etwas helfen, das alles zu überwinden“, schlug er vor.
„Ich bin nicht der Katzen-Typ, liegt vermutlich an meiner Gabe, Vögel und Katzen vertragen sich ja von Natur aus nicht so“, bemerkte sie.
„War nur nen Vorschlag. Wie geht’s dir?“, wollte er wissen.
„Lachen geht gar nicht, aber momentan ist mir eh nicht zum Lachen zumute“, konterte sie.
„Ja, das ist gut, ich meine nicht das mit dem Lachen, ich weiß nicht genau, was ich meine. Gute Reise“, redete er vor sich hin.
„Danke, ich meld mich, wenn ich zu Hause bin. Ich kann dir gar nicht genug dafür danken, wie du mir geholfen hast in den letzten Wochen!“
„Du bist fast umgekommen vor einer Woche, so eine tolle Hilfe war ich dann doch nicht!“
„Oh doch, das war alles allein meine Schuld, Du, ihr alle wart meine Rettung in dunkler Stunde“, bedankte sie sich.
„Okay, das ist gut zu hören. Pass auf dich auf“, stand er auf.
„Werd ich, ich werde in L.A. zumindest nicht auf viele andere Weißkopfseeadler treffen, da bin ich sicher“, entschied sie und er lächelte matt.
„Ja, stimmt, wirst du das nicht vermissen? Ich meine das verwandeln!“
„Momentan bin ich noch etwas geschädigt vom letzten Mal, aber irgendwann schon, ja, aber dann kann ich immer hierher kommen und fliegen soweit mich meine Flügel tragen. Und dir geht es gut hier? Es läuft alles mit der Praxis und so?“, machte sie Smalltalk.
„Aller Anfang ist schwer, aber es geht, die Sprechstundenhilfe ist gut und die Patienten kommen nach und nach. Du willst doch jetzt nicht wirklich über meinen Job reden,
oder?“
„Nein, nicht wirklich. Ich werde dich vermissen, Doc“, wurde sie sentimental.
„Geht mir auch so. Du bist jetzt einer der einzigen Freunde, die ich gefunden habe und wenn Emily das Kind bekommt, werde ich sie auch verlieren“, sagte er traurig.
„Du wirst mich nicht verlieren. Hier, ich schreib dir alle Möglichkeiten auf, mich zu erreichen, ruf an, Tag oder Nacht, ich bin immer für dich da“, bemerkte sie und versuchte auf einem Notizblock etwas zu notieren, doch der rutschte immer weg.
„Hier, ich halt ihn für dich. Ist scheiße mit einem Arm, was?“, hielt er schmunzelnd den Block fest.
„Jup, du glaubst gar nicht wie sehr. Zuhause werde ich das alles allein mit einem Arm hinbekommen, bis in ein paar Wochen das Ding abkann“, dachte sie laut nach.
„Wenn du in den nächsten Wochen bei uns wohnen würdest, könnte ich dir helfen“, schlug er vor.
„Netter Versuch, aber nein, danke. Hier hast du alles von Skype-Namen bis Faxnummer. Ja, ich hab noch nen Fax, eigentlich hat es Oliver gehört, er war da etwas Old-School“, bemerkte sie. Sie ertappte sich dabei, dass sie das erste Mal, als sie an ihn dachte nicht schreien wollte.
„Du lächelst, du rutscht langsam in die Akzeptanz-Phase der Trauerphasen, hast du da nicht ein paar Phasen übersprungen?“
„Warst du es nicht, der gesagt hat, dass alles normal ist beim Trauern?“
„Ja, richtig, belüg dich nur nicht selbst, okay?“, sagte er fürsorglich.
„Werde ich nicht, versprochen. Komm her“, kam sie auf ihn zu und küsste sanft die Seite seines Kopfes.
„Ich hoffe, er macht dich glücklich“, sagte er plötzlich.
„Ich gehe nicht wegen ihm zurück, er ist auch nur ein Freund, mehr nicht!“
„Ah, wie war das mit dem nicht sich selbst belügen?“
„Das musst du grad sagen. Wie auch immer, ich muss los, wenn ich vor der Dunkelheit in L.A. sein möchte“, konterte sie, riss den Zettel ab, drückte ihn an seine Brust und ließ ihn allein.
 
Zur gleichen Zeit ging Declan gerade in einen Blumenladen in der Nähe von Petas Wohnung. Er wollte ihre Wohnung schön für sie machen, dass sie sich wohl fühlte, wenn sie zurückkam. Seine Gefühle ihr gegenüber waren zwar gerade sehr schwammig, aber er hatte das Gefühl seinem großen Bruder einen Gefallen tun zu müssen, weil er es nicht mehr konnte.
„Hey, mein Hübscher, was kann ich für dich tun?“, kam ein schriller Paradies-Vogel ihm entgegen.
„Wow, bitte nen bisschen runterschrauben mit dem Drama, ich hab nen Tequila-Kater“, rieb er seine Schläfen.
„Oh ja, der Kater ist eklig, kenn ich. Also, was willst du, Kumpel?“, schraubte er sein Theater herunter.
„Sie haben sicher eine Akte für eure Stammkunden, ich bräuchte ein, zwei Sträuße für Oliver Wincester aus der Morse Avenue“, entgegnete er und ging mit dem Verkäufer an den Tresen.
„Mr. Wincester, natürlich, den kennen wir hier zu gut, er lässt sonst immer liefern, das übliche?“, wollte er wissen.
„Was ist das übliche? Also keine Rosen, es ist als Aufmunterung gedacht, nicht als Liebesbekundung!“
„Verstanden, ich stell was zusammen. Wie geht es denn Mr. Wincester? Wir haben länger nichts mehr von ihm gehört“, wollte der Verkäufer wissen.
„Mein großer Bruder ist gestorben, vor einem Monat, ich wollte seiner Witwe eine Freude machen“, sagte Declan tonlos.
„Oh nein, sind die beiden nicht erst grade vermählt worden?“
„Haben Sie von der Hochzeit gehört, bei der der Bräutigam am Altar erschossen wurde?“
„Ja, das habe ich, meine Güte, was für eine grausame Welt, mein herzliches Beileid!“
„Danke. Könnten Sie mir gleich was zusammenstellen? Ich würde sie gleich mitnehmen“, erläuterte er.
„Sicher, Matt, Robbie, Kunde 35-1, zwei Mal die 17, nur statt Rosen nehmt Tulpen“, wies der Verkäufer seine Kollegen an und die legten los.
 
Es dämmerte schon, als die junge Witwe wieder in die Straße zu ihrer Wohnung einfuhr. Sie war müde und wollte eigentlich nur schlafen. Sie nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz.
„Ach, den Rest lass ich erstmal im Auto“, redete sie mit sich selbst und hängte sich die Tasche über die gesunde Schulter. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie den Steinweg zu ihrer Haustür ging. Es schien ihr, als wäre es ein halbes Leben her, dass sie zuletzt dagewesen wäre. Mit Schwierigkeiten versuchte sie aufzuschließen, doch plötzlich ging die Tür von innen auf.
„Hey, du bist schon da“, stand Declan vor ihr. Für einen Bruchteil einer Sekunde war es wieder Oliver, der vor ihr stand. Sie erstarrte.
„Tut mir leid, du hast mich hier nicht erwartet, du willst sicher alleine sein“, stotterte sie.
„Äh, nein, ja, ich weiß nicht, darf ich reinkommen“, murmelte sie.
„Sicher, sorry, komm rein“, ließ er sie rein.
„Ich will ja nicht undankbar klingen, aber was machst du hier?“, sah sie sich um.
„Fala und ich haben in den letzten Tagen eure Hochzeitsgeschenke katalogisiert und Dankeskarten geschrieben, dass du das nicht machen musst. Wir haben die Geschenke sortiert und im Abstellraum verstaut, du kannst damit machen was du willst, wir wollten es nur aus deinem Sichtfeld stellen“, erklärte er und ging mit ihr Richtung Abstellraum.
„Das hättest du nicht machen müssen“, sagte sie dankbar.
„Wir wollten es aber. So, dann geh ich mal und lass dich allein“, ging er zur Tür.
„Bleib, bitte“, hoffte sie.
„Du hast mir ziemlich deutlich gemacht, dass ich nie mehr als ein Freund für dich bin, warum sollte ich bleiben?“, fragte er nicht gerade freundlich.
„Weil ich heute Nacht meinen besten Freund brauche“, sagte sie nur leise.
„Okay, ich bleibe, aber ich schlafe auf dem Sofa!“
„In meinem Bett schläfst du sicher nicht“, stellte sie klar und schlurfte dann ins Schlafzimmer, bevor sie die Tür hinter sich zuknallte. Die schönen Blumensträuße auf dem Wohnzimmertisch hatte sie nicht einmal bemerkt.
Am nächsten Morgen machte sich Declan nachdenklich Kaffee und sah aus dem Fenster. Dort beobachtete er seine beste Freundin, die mit einem langen, schlauchartigen Ding in der Hand in der Einfahrt herumfuchtelte. Kopfschüttelnd stellte er den Kaffeebecher ab und ging nach draußen.
„Süße, was machst du da?“, fragte er schmunzelnd, als er draußen angekommen war.
„Ich rufe den Gott Rar herbei, nach was sieht’s denn aus?“, grummelte sie und zog an dem Verlängerungskabel herum.
„Hast du nicht so eine schicke Ladestation in der Garage?“, wollte er wissen.
„Die ist leer, sie hat sich in dem Monat, in dem ich sie nicht benutzt habe wohl entladen, die muss ich ironischerweise erstmal laden, bevor ich mein Auto laden kann, also nehm ich ein Verlängerungskabel“, zog sie das Kabel weiter und blieb hängen. Genervt zog sie am Kabel.
„Komm ich helf dir“, bat er an und ging näher zu ihr.
„Ich komm klar, lass mich“, raunzte sie und zog weiter. Dabei knallte sie mit ihrem geschienten Arm an seine Brust.
„Autsch, verdammt, warum stehst du da?“, fluchte sie unter Schmerzen.
„Du gehörst ins Bett, Süße!“
„Das hättest du wohl gerne!“
„Verdammt, ich will ein Freund sein, du willst mich nur als Freund haben, lass mich dann verflucht nochmal auch was Freundschaftliches machen“, schimpfte er.
„Gut, dann geh ich wohl ins Bett, hier“, drückte sie ihm genervt das Kabel in die Hand und ging wieder in die Wohnung.
Als Declan, Petas Wagen gerade an das Stromkabel anschloss, kam einer der Nachbarinnen von Peta zu ihm.
„Mr. Wincester, ich habe nicht überhören können, dass Sie ziemlich heftig mit Ihrer Frau streiten. Sie sind so ein tolles Paar, Sie sollten nicht streiten“, bemerkte die ältere Dame.
„Wir streiten nicht, wir diskutieren nur, aber danke für ihr Mitgefühl“, sagte er nur und sie ging weiter. Die alte Dame hatte ihn eindeutig mit seinem Bruder verwechselt, dass riss ihm wieder ein Loch ins Herz. Er steckte den Stecker ein und ging wieder ins Haus. Peta saß auf der Terrasse mit einer dampfenden Tasse Kaffee neben sich.
„Ich wollte dich nicht anschreien, tut mir leid“, setzte er sich auf den Absatz, der auf die Terrasse führte.
„Ich wollte dich auch nicht anschreien, ich hab nur Schmerzen“, bemerkte sie und sah ihn an. Sie hatte geweint.
„Ich weiß, hast du Schmerzmittel gekriegt?“
„Keine guten, ich darf wegen meinem Leberschaden nichts starkes nehmen“, schniefte sie.
„Hast du noch Pott da?“
„Nen bisschen, aber es ist neun Uhr morgens, ist nen bisschen früh dafür, findest du nicht auch?“
„Wenn es dir die Schmerzen lindert ist es doch egal, wie spät es ist, oder?“
„Ach scheiß drauf, was hab ich heute sonst noch zu tun“, gab sie nach und er rollte ihr ne Tüte.
 
Zwei Stunden später schloss Fala die Tür zur Wohnung ihrer kleinen Schwester auf. Sie wusste nicht, dass diese schon wieder zu Hause war, sie vermutete nur ihren Kumpel dort.
„Der‘, wo auch immer du bist, beweg deinen jämmerlichen Arsch hierher, du musst in einer Stunde im Café sein. Ich hab es langsam satt, dich immer zur Arbeit prügeln zu müssen“, ging sie durch die Wohnung. Was sie im Wohnzimmer erwartete, ließ sie stocken. Declan lag nackt, nur spärlich bedeckt mit ihrer kleinen Schwester auf dem Sofa und schlief seinen Drogenrausch aus.
„Mann, darauf brauch ich erst mal nen Kaffee“, murmelte sie und ging ohne sie zu wecken in die Küche.
Nach zehn Minuten, die sie auf dem Sessel ihnen gegenüber zugesehen hatte, wie die beiden friedlich schliefen, stellte sie die Stereoanlage laut an, dass sie wach wurden.
„Morgen, das ist der Zimmerservice, Sie wollten geweckt werden?“, fragte Fala keck.
„Verfluchte Scheiße, Fal‘, was sollte das?“, fluchte Declan erschreckt.
„Deine Schicht beginnt in einer Stunde, hopp, hopp“, drängte sie ihn.
„Ich bin krank“, murmelte er.
„Ja, aber nicht körperlich, hier“, konterte sie und warf ihm seine Shorts zu.
„Ich bin nackt, wieso bin ich … oh, verdammt“, realisierte er, dass er seine ebenso nackte Schwägerin im Arm hielt.
„Oh ja, verdammt, was hast du mit ihr gemacht? Sie ist vollkommen weggetreten“, raunzte sie. Peta ließ sich nicht wecken.
„Ich hab ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer, wir haben zusammen was geraucht und voila, das ist das Ergebnis“, entschied er.
„Du hast sie bekifft gemacht um mit ihr zu schlafen? Sie wird dich umbringen, Dec“, stellte Fala klar.
„Verdammt, du hast Recht, aber das war nicht so, ich war ja genauso bekifft. Lass sie uns ins Bett legen, bitte“, wurde er nervös und nahm ihre Beine.
„Du willst ihr vorgaukeln, dass nichts passiert ist?“, versuchte sie zu verstehen.
„Du weißt, wie sie gerade drauf ist, willst du sie wirklich mit der Tatsache konfrontieren, dass sie mit mir geschlafen hat?“, stellte er klar.
„Richtig, kein guter Zeitpunkt. Nimm die Decke, ich will ihre Arme nicht anfassen, wickeln wir sie ein und du trägst sie ins Bett“, schlug sie vor.
„Klingt nach nem Plan. Hab ich mich eigentlich schon bei dir bedankt, dass du mir immer bei allem hilfst?“
„Ja, ja, schon gut, was ich nicht alles für meine Freunde und Familie mache“, wickelte Fala ihre nackte kleine Schwester sanft in die Decke und Declan trug sie ins Bett.
 
„Ich muss jetzt los, ich fühl mich irgendwie schäbig, sie dort liegen zu lassen“, hatte sich Declan geduscht und seine Arbeitskluft angezogen, bevor er in die Küche kam.
„Ich muss auch los, ich versteh was du meinst. Ich ruf sie aber an, wenn ich aus dem Gericht raus bin. Jetzt komm, wir sind schon spät dran“, bat sie drängend und zog ihn aus der Tür.
 
Mit einem mächtigen Kater wachte die junge Apothekerin in ihrem Bett auf. Sie war nur in eine Decke gewickelt und ihr Gips-Arm war nicht mehr in der Schlinge.
„Oh, Man, dreh dir nen Joint haben sie gesagt, dass hilft dir gegen die Schmerzen, haben sie gesagt, dass du aber davon einen totalen Blackout hast, haben sie nicht gesagt“, redete sie vor sich hin und zog sich am Bettrahmen hoch. Da sie ihre Schlinge nicht auf Anhieb fand, zog sie sich an und nahm das Band ihres Bademantels als Schlinge.
„Wo zum Henker hab ich das Ding hingelegt und wo zum Teufel ist Declan?“, torkelte sie in ihrer Wohnung herum.
Sie fand ihre Schlinge auf einer von Declans Boxershorts.
„Du hast nicht alle Beweise verschwinden lassen, schlampige Arbeit, Dec‘“, führte sie das Selbstgespräch fort. Sie hatte zwar einen leichten Filmriss, den Sex mit ihrem Schwager hatte sie aber nicht vergessen. Er wollte das anscheinend verschleiern, also würde sie darüber Stillschweigen behalten.
 
Peta war schon etwas vor einem Krimi eingenickt, als sie den Schlüssel im Schloss hörte. Sie setzte sich auf und schaltete den Fernseher aus.
„Peta?“, hörte sie die freundliche Stimme ihrer Schwester.
„Wohnzimmer“, rief Peta.
„Hey, du bist schon da, wann bist du angekommen?“, kam sie zu ihr hin.
„Spar dir das, ich weiß, dass du es weißt, du hast ihm vermutlich geholfen“, erwiderte sie und Fala setzte sich neben sie.
„Du warst nicht so high wie er dachte, oder?“
„Nein, das war ne kleine Menge, die wir uns auch noch geteilt haben. Ich hab den Entschluss gefasst, dass kiffen echt zu lassen“, entschied sie.
„Als deine Anwältin würde ich dir das auch empfehlen. Also was wird das jetzt mit euch?“
„Ich plädiere auf mein Recht zu Schweigen. Das wollte ich schon immer mal sagen. Ich hab keine Ahnung, was werden wird, mir hat es irgendwie gefallen mit ihm zu schlafen, aber es ist gleichzeitig auch so falsch“, erklärte sie.
„Der ewige Kampf Hirn gegen Herz, das kannst du nur mit dir selbst ausmachen. Er ist süß, er denkt, dass du das psychisch nicht gebacken bekommst“, erklärte sie ihr.
„So falsch liegt er da gar nicht, momentan kämpfen Engelchen und Teufelchen auf meinen Schulterblättern wie verrückt. Einerseits mag ich Declan wirklich und er wäre sicher ein guter Partner, andererseits bin ich grade erst Witwe geworden, das wäre gesellschaftlich und moralisch so verwerflich“, erklärte sie ihrer Schwester.
„Seit wann stört es dich, was die Gesellschaft von dir denkt? Du hast den Mann, den du liebst geheiratet gegen alle Widrigkeiten, wenn das keine Rebellin ist, weiß ich nicht“, lobte sie ihre kleine Schwester.
„Ja, du hast Recht, aber momentan brauche ich noch meine Zeit, mir darüber klar zu werden. Ich muss mir nur überlegen, was ich ihm sage. Ich will ihn nicht verlieren“, dachte Peta laut nach.
„Wenn er dich liebt, und ich denke er tut es, dann kann er warten!“
„Er ist heute stinksauer geworden, dass ich ihn nur als Freund sehe, das glaub ich kaum“, bemerkte sie traurig.
„Okay, wie seid ihr von Anbrüllen dann beim Sex gelandet? Dass musst du mir mal erklären“, wollte sie wissen.
„Wenn ich das nur wüsste, wäre ich schlauer, ich sag ja, keine Drogen mehr, muss ich die Schmerzen halt aushalten!“
„Ich könnte mich an Grandmas Rezepten versuchen, ich find sicher was, was dir die Schmerzen lindert!“
„Das ist lieb, aber ich glaube, jedes einzelne dieser Rezepte beinhaltet ein fragwürdiges Halluzinogen, da wäre Pott einfacher zu handhaben. Ich komm schon klar, irgendwie“, bedankte sie sich.
„Okay, dann keine Drogen, solang du schlafen kannst!“
„Nen bisschen unruhig, aber das tu ich schon seit der Nacht, als ich das erste Mal allein schlafen musste. Aber ich hab heute einen Therapeuten angerufen, ich geh Samstagmorgen zu einer Probesitzung“, erklärte sie ihrer Schwester.
„Gut, ich meine, wenn du das willst“, war Fala erleichtert, dass ihre kleine Schwester endlich einsah, dass sie Hilfe brauchte.

Sechzehntes Kapitel


„So, Mrs. Wincester, ich bin Dr. Harris, Sie können mich Doc nennen, oder Harry, oder Dr. Harris, wie es Ihnen am besten liegt. Ich bin ausgebildeter Psychologe mit Schwerpunkt auf Trauerbewältigung bei Hinterbliebenen von Trauma-Patienten. Sie haben mir ja am Telefon kurz Ihren Fall geschildert, ich denke, ich bin genau die richtige Person für Sie um Ihnen zu helfen“, stellte der Psychologe sich Peta vor, als sie am Samstag in seiner Praxis war.
Das denke ich auch, mich können Sie Peta nennen, oder kleiner Adler, an Mrs. Wincester kann ich mich noch nicht so ganz gewöhnen, ich hab nicht mal die Zeit gehabt mich offiziell umzubenennen und seine Mutter ist ne Hexe, also Peta, oder kleiner Adler ist mir lieber“, bat sie.
„Okay, dann Peta, beginnen wir am Anfang, wie haben Sie ihren Mann kennengelernt?“, begann der Doc die Sitzung.
„Es war an Silvester 2010, ich kannte seinen Bruder etwa ein Jahr, er war Barista in meinem Lieblingscafé und wir hatten uns angefreundet. Er erzählte mir von seinem Bruder und wie gut wir zusammenpassen würden. Da stand ich also, in meinem geliehenen Paillettenkleid, schlotternd, weil es ungewohnt kalt war in der Nacht. Oliver hat mir seinen Mantel geliehen, er hat den ganzen Abend selbst gefroren, hat es sich aber nicht anmerken lassen. In der Nacht habe ich gewusst, dass er der richtige ist“, begann sie zu erzählen.
„Das klingt nach der perfekten Love-Story. Aber ich nehm mal an, das verlief nicht immer alles so perfekt“, konterte er.
„Welche Beziehung ist schon perfekt, aber es war sehr lang harmonisch“, erläuterte sie weiter.
„Es wurde schwierig, als er feststellen musste, dass Ihr Schwager Ihnen näher steht, als es gut für die Beziehung ist, oder?“
„Das leiten Sie aus einer Minute Gespräch mit mir ab?“
„Hab ich Recht?“, schmunzelte er amüsiert.
„Ja, schon irgendwie, mein Mann hat mir das eine Weile vorgehalten, bis ich ihn überzeugen konnte, dass er der einzige ist, den ich will“, gestand sie.
„Sie haben ihn damals angelogen“, schlussfolgerte Dr. Harris.
„Äh, nein“, moserte sie.
„Äh, doch“, konterte der Mediziner keck.
„Werden Sie jetzt immer so sein?“, grummelte sie.
„Nein, nur wenn ich Recht habe“, konterte Dr. Harris.
„Ja, ich hab ihn damals belogen, ich geb’s zu“, bemerkte sie.
„Gut, schön dass sie das zugeben, damit haben wir eine gute Basis geschaffen. Haben Sie Schuldgefühle, dass Ihr Mann nie die Wahrheit erfahren hat?“
„Ja, die hab ich“, verwandelte sich ihr Ärger wieder in Trauer und sie zerrupfte weinerlich das Taschentuch in ihrer Hand.
„Das ist gut, lassen Sie es raus, Schuldgefühle sind normal, die Schuld des Überlebenden nennt man das in meinen Kreisen. Sie finden es furchtbar, ihm nicht mehr die Wahrheit sagen zu können“, bemerkte er.
„Ja, ich liege Nächte wach und gehe Gespräche mit ihm durch, die ich nie geführt habe, weil ich Angst hatte, weil ich ihm nicht wehtun wollte, manche auch nur, weil ich nicht darüber reden wollte“, entgegnete sie weinerlich.
„Das ist alles vollkommen normal, aber Sie dürfen sich da nicht reinreiten, diese Gespräche werden nicht mehr stattfinden, das müssen sie akzeptieren“, bat er.
„Es ist schwer, aber ich versuche es jeden Tag“, entschied sie.
„Das ist gut, machen Sie jeden Tag weiter, ich helfe Ihnen dabei, keine Sorge. Gibt es sonst noch etwas, über dass Sie reden wollen?“
„Wollen Sie mich schon loswerden?“, fragte sie matt lächelnd.
„Wir haben noch zwanzig Minuten, solang Ihr Schwiegermonster mich bezahlt, werden wir jeden Moment auskosten“, versicherte er.
„Sie gefallen mir immer besser, Doc“, sagte sie amüsiert und sie unterhielten sich weiter.
 
Gestärkt von ihrer Therapie-Sitzung fasste Peta den Mut, Declan entgegen zu treten.
„Guten Tag, willkommen bei Coffeepit, was kann ich Ihnen bringen?“, sagte Declan seinen Text auf, als er gedankenversunken Servierten am Tresen sortiere.
„Eine Mocca-Latte mit zweiprozentiger Milch“, bestellte Peta.
„Das ist eine seltsame Kombination“, murmelte Declan und sah auf. Peta lächelte ihn verschmitzt an.
„Hatte auch einen seltsamen Tag“, konterte sie.
„Bring ich dir“, sagte er auch matt lächelnd und sie wartete, bis er fertig war.
„Wann machst du hier Schluss?“, wollte sie wissen, als er zurückkam.
„In einer halben Stunde ist meine Schicht zu Ende“, erklärte er.
„Dann warte ich, wir müssen reden“, bat sie.
„Sicher, ich komm dann zu dir an den Tisch“, erwiderte er und schob ihr einen Gratis-Cookie zu.
„Ich setz mich da hinten hin, danke“, erklärte sie und ging zum besagten Tisch.
 
Eine halbe Stunde später kam er wie versprochen auch mit einem Kaffee in der Hand zu ihr an den Tisch und setzte sich ihr gegenüber.
„Und was ist dein Kaffee der Wahl?“, machte sie Smalltalk.
„Ein Soja-Milchkaffee!“
„Du bist nicht Laktose-Intolerant!“
„Nach beinahe zehn Jahren Kuhmilch aufschäumen hab ich irgendwie nen Ekel gegen Milch entwickelt“, erklärte er ihr.
„Und wieder was neues von dir gelernt. Wie du dir denkst bin ich nicht hier um über Milch zu reden…“, begann sie.
„Du hattest keinen Blackout, oder?“
„Zu wenig Pott, sorry!“
„Es tut mir so leid!“
„Warum tut es dir leid? Du bist genauso schuld daran wie ich, das hattest du nicht geplant, oder?“
„Nein, wirklich nicht, es ist einfach so passiert!“
„Ja, ich weiß, ich war dabei. Ich bereue es nicht“, stellte sie klar.
„Nicht?“
„Du?“
„Nein, es war ein Lichtstrahl in dunkler Nacht, ich fand es wunderschön!“
„Ich kann mich nicht extrem an alles erinnern, aber was ich weiß war auch sehr schön“, konterte sie.
„Was machen wir dann hier? Wir sollten zusammen sein“, nahm er ihre Hand in seine.
„Ich habe befürchtet, dass du das sagst“, sagte sie, küsste seine Hand, die ihre umklammerte und ging davon.
„Warte, Peta, was ist das denn für ne Antwort?“, ging er ihr hinterher.
„Gar keine, immer wieder versuche ich dir klarzumachen, dass ich dich sehr mag, aber momentan nicht mit dir zusammen sein kann, aber immer wieder machst du so was und verwirrst mich total. Was soll ich den Leuten sagen, wenn wir zusammen sind? Ach ja, mein Mann ist vor einem Monat gestorben, aber ich knalle seinen kleinen Bruder, also ist alles gut?“, schimpfte sie, als sie führ ihn stehen geblieben war.
„Bei meinem Bruder hat es dich nicht gestört, was die Leute dachten, liegt es daran, dass er reich war? Schämst du dich für mich?“
„Für wen hältst du mich, für ne geldgierige Schlampe? Ich hab einen zweistelligen Millionenbetrag von deinem Bruder geerbt, ich habe nur ein paar Schulden abbezahlt und zehn Riesen behalten, damit ich die nächste Zeit ohne Job über die Runden komme, den Rest hab ich deinen Eltern überschrieben“, wütete sie.
„Das hast du getan? Wieso?“
„Genau aus diesem Grund, ich habe deinen Bruder geliebt und nicht sein Geld. Wie lange sind wir eigentlich Freunde? Du musst doch wissen, dass Geld für mich nur Papier mit Ziffern ist“, begann sie zu weinen.
„Es tut mir so leid, ja, ich weiß, ich versteh es nur nicht“, zog er sie an sich und küsste sie sanft. Sie ließ es für einen Moment gesehen, seine Küsse waren so voller Liebe und leidenschaftlich.
„Nein, das geht nicht, bitte lass mich gehen“, drückte sie ihren Kopf auf seine Brust.
„Ich werde auf dich warten, wie lang es auch dauert“, versicherte er und ließ sie los. Wortlos ging sie total verwirrt davon.
 
Die Anwältin im schicken Zwirn staunte nicht schlecht, als ihre kleine Schwester auf der Wartebank vor dem Gerichtssaal auf sie wartete. Peta hatte geweint, was in letzter Zeit aber ein vertrautes Bild für Fala darstellte.
„Zeig mir deine Hände“, begrüßte Fala ihre Schwester und Peta wackelte mit ihren Händen.
„Gut, du bist nicht verhaftet worden, du stehst momentan unter meiner Obhut, ich kriege ziemlich Ärger, wenn du verhaftet wirst“, entschied Fala.
„Dein Mitgefühl ist herzzerreißend“, murmelte Peta sarkastisch.
„Sorry, wie bist du hier reingekommen?“
„Ich hab dem Wachmann einen geblasen!“
„Was?“
„Ich hab gesagt, dass ich deine Schwester bin und hab nen Besucherausweis bekommen, hab ich heute „Mega-Schlampe“ auf der Stirn stehen, oder wie?“, fragte sie schroff.
„Dein Gespräch mit ihm lief wohl nicht so gut, was?“
„Kann man so sagen, unterbrech ich dich grad bei was?“
„Nein, hab grad Feierabend, hab meinen Fall verloren, hatte auch keinen tollen Tag. Kann ich dich zum Abendessen einladen und wir reden?“
„Mir wäre Pizza bei mir zu Hause lieber“, hoffte Peta.
„Mir ehrlich gesagt auch, ich muss aus den Schuhen raus“, entschied Fala und brachte ihre kleine Schwester heim.
 
„Klingt heiß“, kommentierte Fala, Petas Erzählung, als sie später auf dem Teppich in Petas Wohnzimmer saßen und Pizza aßen.
„Ich weiß, dass er einer deiner Exen ist, Fal‘, lass das, bitte“, bat Peta.
„Du weißt es?“
„Er ist mein bester Freund, natürlich weiß ich es!“
„Das ist aber lange her und auch schon so lange vorbei“, konterte Fala.
„Ich weiß!“
„Du bist richtig verliebt in ihn“, realisierte Fala.
„Du weißt also besser wie ich wie ich mich fühle? Dann sag dass meinem Gehirn, bitte!“
„Du solltest das mit ihm nicht überstürzen!“
„Das ist doch meine Rede. Verdammt, was sag ich da? Ich bin gerade erst Witwe geworden, ich sollte darüber gar nicht nachdenken“, schaltete sich wieder ihr Gehirn ein.
„Dann tu’s nicht, wenn er auf dich warten will, lass dir die Zeit“, riet sie ihr.
„Das werde ich. Man, wenn Oli mich jetzt sehen würde, wäre er extrem enttäuscht“, schlussfolgerte sie.
„Aber er ist nicht mehr hier, er ist auch ein Freund von mir gewesen und er würde dich sicher glücklich sehen wollen“, bemerkte Fala.
„Aber sicher nicht mit seinem kleinen Bruder!“
„Wieso nicht mit seinem kleinen Bruder? Die beiden waren auch beste Freunde, er hätte es so gewollt“, versicherte sie.
„Hat Declan dich angerufen und dir gesagt, dass du das sagen sollst?“
„Ich war den ganzen Tag im Gericht und danach nur mit dir zusammen, er hat mich nicht angerufen, ehrlich nicht!“
„Wie auch immer, ich kann momentan nicht mit ihm zusammen sein“, entschied Peta.
„Okay, dann sag ihm das, du musst tun, was gut für dich ist!“
„Ich spüre seine Berührungen noch an jedem meiner Körperteile und ich will das wiederhaben“, gestand sie plötzlich.
„Ja, das ist dein Körper, der da spricht, die Gefühle musst du anderweitig loswerden“, erklärte Fala und zeigte ihr vielsagend ihre Hände.
„Scherzkeks, ich kann mich kaum bewegen, wie soll ich da selbst Hand anlegen?“
„Dann musst du wohl jemanden finden, der dem abhilft!“
„Und wieder schließt sich der Kreis. Du sagst also, ich soll meinen Gefühlen nachgeben?“
„Magst du ihn und kannst du dir eine Zukunft mit ihm vorstellen?“
„Ja, schon irgendwie!“
„Dann solltest du dich von ihm fernhalten, bis du dir deiner Gefühle sicher bist“, riet sie ihr.
„Okay, warte was? Hast du nicht grad gesagt, ich soll es geschehen lassen?“
„Ich hab nicht gesagt, dass du des mit ihm tun musst“, schmunzelte Fala.
„Das reicht, ich werde es weder mit Declan noch mit irgendjemand anderem tun in nächster Zeit“, raunzte sie.
„So, da hast du deine Antwort!“
„Du hast mich ausgetrickst!“
„Für was ist eine große Schwester sonst gut?“, frotzelte sie.
„Gemein. Also ehrlich, was soll ich tun?“
„Sag ihm, dass er dich in Ruhe lassen soll, bis du es weißt und dann leb dein Leben weiter, so einfach ist das!“
„Du verwechselst einfach mit schwer, große Schwester!“
„Oh verdammt, natürlich will ich das, das wollte ich schon seit dem ersten Tag“, gestand Peta laut.

Siebzehntes Kapitel


„Was? Du hast letzten Monat seinen Bruder geheiratet und jetzt sagst du mir, dass er nur 2. Wahl war?“, verstand Fala nicht, als sie ihre Schwester ungläubig ansah.
„Ja, ich schäme mich auch bis zu meinem Lebensende dafür. Versteh mich nicht falsch, ich habe Oliver geliebt, deswegen habe ich ihn geheiratet, aber meine große Liebe war immer Declan“, erläuterte sie mit beschämtem Gesichtsausdruck.
„Das ist großartig, ich meine, das ist furchtbar, was du mit dem armen Oliver gemacht hast, aber das Schicksal gibt dir jetzt eine zweite Chance“, erklärte Fala.
„Ich hab diese zweite Chance nicht verdient, ich bin ein furchtbarer Mensch“, konterte Peta weinerlich.
„Ja, du bist ein furchtbarer Mensch … aber jeder Mensch hat ne zweite Chance verdient“, versicherte Fala.
„Glaubst du wirklich?“
„Ich bin deine Schwester, natürlich glaub ich das. Geh zu ihm, erklär es ihm, wenn ihr beide euch so liebt, wie ich denke dass ihr es tut, wird alles gut“, bemerkte Fala.
„Das ist so eine surreale Konversation, die wir gerade führen, bitte hör auf“, bat Peta.
„Okay, reden wir über was anderes. Sollen wir mal wieder ins Kino gehen?“, fragte Fala.
„Smalltalk ist irgendwie noch gruseliger“, bemerkte Peta.
„Dann was? Fernsehen?“
„Ja, klingt gut“, sagte sie nur und den Rest des Abends sahen sie ohne zu reden fern.
 
Die Wochen vergingen und Petas Psyche wurde durch die wöchentlichen Gespräche mit Dr. Harris wieder gestärkt. Sie hatte Declan einen Text geschrieben, dass sie Zeit brauchte zum Nachdenken und endlich respektierte er dies auch.
 
Sechs Monate später waren ihre Knochen verheilt und sie hatte es irgendwie geschafft ihren alten Job in der Pharmazie zurückzubekommen.
„Wie ist deine Pizza?“, wollte Fala wissen, als sie mit ihrer Schwester eines Tages zu Mittag aß.
„Gut“, sagte Peta nur.
„Wo bist du mit deinen Gedanken?“
„Äh, nirgends, war nur nen langer Tag“, murmelte sie.
„Du willst wieder fliegen, oder?“, stellte sie fest.
„Wie machst du das immer?“
„Das ist nicht schwierig, wenn man den Drang selbst in sich spürt“, erklärte sie.
„Du kannst wenigstens fliegen, wenn du das willst, ich müsste schon sehr weit rausfahren dafür“, konterte sie.
„Ich bin seit langer Zeit nicht mehr geflogen“, sagte Fala nur.
„Wirklich nicht? Wie unterdrückst du das Verlangen?“
„Mediation hilft sehr, aber mein Verlangen ist nicht mehr so wahnsinnig groß. Apropos Verlangen. Wieder mal was von Declan gehört?“
„Nope, nicht wirklich. Ich hab’s glaub ich verkackt bei ihm!“
„Tut mir leid, dass zu hören. Aber du hast immer noch Gefühle für ihn, oder?“
„Ja, natürlich, sogar noch etwas mehr als vorher. Aber ich kann jetzt nicht mehr dahin zurück“, sagte sie traurig.
„Wer sagt das?“
„Hast du mit ihm gesprochen in den letzten Monaten?“
„Ich hab mir ab und zu nen Kaffee bei ihm geholt, wir haben aber nicht viel geredet, ich wusste nicht was ich ihm sagen und nicht sagen sollte“, erläuterte sie.
„Er ist dein Freund, du kannst ruhig mit ihm reden“, versicherte Peta.
„Er sieht übrigens ganz gut aus, nicht glücklich, aber er scheint den Alkohol runtergeschraubt zu haben“, entgegnete sie.
„Das ist gut, er hat echt zu viel getrunken, auch für einen Texaner. Ich bin jetzt bereit für ihn, nur wie mach ich das?“, holte sie sich einen Rat von ihrer großen Schwester.
„Echt jetzt? Seit sechs Monaten versuch ich euch beiden zusammenzubekommen und jetzt bist du bereit? Du weißt gar nicht was ich für Mühen auf mich genommen habe um euch beide Sturköpfe in einen Raum zu bekommen“, murmelte Fala.
„Wie meinst du das?“
„Seit Monaten mach ich Termine aus und lad euch beide ein und jedes Mal sagt ihr beiden ab, obwohl ihr gar nicht wisst, dass der andere kommt. Ich saß in drei Filmen alleine und hab zwei Mal allein gegessen“, gestand sie ihr.
„Oh Süße, netter Versuch, wir wussten es, ich weiß es nicht von ihm, aber diese Versuche waren nen bisschen plump“, schmunzelte Peta.
„Du bist echt fies“, grummelte Fala.
„Sorry, aber ich war bis jetzt nicht bereit. Also, wenn du so ein Plan-Genie bist, hilf mir, ihm meine Liebe zu gestehen“, hoffte sie.
„Auch wenn das ein bisschen sarkastisch gemeint war, helf ich dir, weil ich euch beide liebe und zusammensehen will“, sagte sie zu.
 
„N’ Abend, Dec‘, wie geht’s?“, begrüßte Fala ihren Kumpel aufgekratzt.
„Ich würde dir ja nen Kaffee bringen, aber ich glaub, du hattest heute schon zu viel Koffein“, bemerkte Declan trocken, während er Kaffeedeckel nachfüllte.
„Hehe, witzig, was machst du heut Abend?“
„Ist das mit Paul schon vorbei?“, fragte er keck.
„Nein, wir sind immer noch zusammen und glücklich. Also?“
„Ich arbeite noch eine Stunde, du verhältst dich mal wieder seltsam, ich dachte die Phase hätten wir hinter uns gebracht“, wunderte er sich.
„Du kennst mich, ich bin immer seltsam. Also sollen wir was machen?“
„Meinetwegen, du gehst ja nicht, wenn ich nein sage, oder?“
„Ganz recht, ich warte hier“, sagte sie nur und setzte sich an einen Tisch, um auf ihn zu warten.
 
„Sorry, musste noch einiges wegräumen, so, was hast du geplant?“, kam Declan zu seiner besten Freundin, die mit dem Rücken zu ihm im Eck des Cafés saß. Fala machte ein Handzeichen, dass er sich hinsetzen sollte.
„Auch wenn der Café hier einigermaßen ist für ne Kette würde ich gern woanders hingehen“, setzte er sich hin.
„Der Kaffee ist ehrlich gesagt echt mies“, sah sie in das lächelnde Gesicht seiner großen Liebe.
„Peta?“, war er überrascht.
„Tut mir leid, dass ich nen bisschen tricksen musste, aber ich hatte Angst, dass du mir sonst nicht zuhörst“, entschuldigte sich Peta.
„Ich hab dir Zeit gegeben, viel Zeit, willst du jetzt weiter Spielchen spielen?“, fragte er kritisch.
„Keine Spielchen mehr, nie wieder, ich liebe dich, Declan“, gestand sie ihm endlich.
„Ist das ein Scherz?“, wusste er nicht, was er sagen sollte.
„Tut mir leid, das war ein Fehler, entschuldige“, stand sie ruckartig auf.
„Meinst du das wirklich ernst? Du hältst mich nicht länger hin?“, fragte er sanft.
„Weißt du noch, der Tag, an dem ich das erste Mal hier reinkam?“, ging sie langsam auf den Tresen zu, an dem er sonst arbeitete.
„Du hattest ein weißes Top an mit Spitze und eine Jeans, die gezeigt hat, was für einen tollen Körper du hast. Du bist mir sofort aufgefallen, aber als du den Mund aufgemacht hast und eine witzige Sache gesagt hast, war es um mich geschehen. Ich weiß nicht, was danach schieflief. Bei eurer Hochzeit hab ich nicht so viel getrunken, weil ich mich umbringen wollte, ich habe so viel getrunken um den Tag zu verdrängen, an dem meine große Liebe meinen Bruder heiratet“, erzählte er.
„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte sie.
„Warum hast du nichts gesagt?“, wiederholte er ihre Frage.
„Oh Leute, küsst euch doch einfach, ist doch egal, wer was nicht gewusst hat“, mischte sich Declans Kollege ein. Wortlos zog Declan, Peta zu sich und küsste sie leidenschaftlich.
„Geht doch, Man, das hat lang genug gedauert. Also, wer hat die Wette gewonnen?“, wendete sich sein Kollege an die anderen Kollegen.
„Wir haben letztes Jahr ehrlichgesagt die Wette abgesagt“, konterte ein anderer.
„Ich weiß nicht, was schlimmer ist, dass ihr auf mein Liebesleben gewettet habt, oder dass ihr damit aufgehört habt“, konterte Declan.
„Ist doch egal, Süßer, hauen wir hier ab“, zog Peta ihn weg.
„Ich kann es kaum glauben, dass du jetzt hier bist, bei mir“, war Declan glücklich, als sie an diesem Abend in den Hollywood-Hills auf einer Picknickdecke lagen und Arm in Arm die Sterne ansahen.
„Und ich kann nicht glauben, dass Fala so ein kitschiges Date organisiert hat“, bemerkte sie amüsiert.
„Das war Falas Idee?“
„Ja, anscheinend hat sie die letzten Monate immer wieder versucht uns auszutricksen, dass wir uns treffen, aber anscheinend haben wir beide immer abgesagt“, erklärte sie ihm.
„Deshalb war sie in den letzten Monaten so komisch, ich dachte, es wäre wegen unserer Situation!“
„Sie ist einsam, sie hatte wohl Langeweile!“
„Du weißt nichts von Paul?“
„Paul?“
„Man, sie hat dir nichts von ihrem neuen Freund erzählt, vermutlich wollte sie dich nicht eifersüchtig machen. Sie scheint glücklich mit ihm zu sein. Sie wird dir sicher von ihm erzählen, wenn sie so weit ist. Wie man Dates organsiert, scheint sie zu wissen, ich wollte hier schon immer mal her“, erklärte er.
„Ich war ehrlich gesagt schon mal hier“, murmelte sie.
„Oh bitte sag mir nicht mit meinem Bruder!“
„Dein Bruder hatte Höhenangst, dass hätte er nie mitgemacht, ich war auf der Highschool mit nem Kerl hier, dessen Namen hab ich schon vergessen!“
„Ich vermisse ihn immer noch furchtbar“, sagte er plötzlich.
„Ja, ich auch, aber er ist tot und wir sind es nicht, so brutal das auch klingt“, erwiderte sie.
„Das ist nicht brutal, das ist die Realität. Wir haben ihn beide sehr geliebt und er will uns sicher auch glücklich sehen“, bemerkte er.
„Das hat Fala in den letzten Monaten auch immer gesagt, aber ich verstehe es erst heute so richtig!“
„Ich hab mich immer für meine Gefühle geschämt, du warst ihm versprochen, das war nicht richtig!“
„Ihm versprochen? Du bist süß, wenn du Stuss redest“, schmunzelte sie.
„Ich meins ernst, du warst immer die Frau meines Bruders!“
„Ja, ich weiß. Kann ich dir was gestehen?“, setzte sie sich auf.
„Natürlich, du kannst mir alles sagen!“
„Ich war immer schon verliebt in dich und hatte immer Zweifel was die Hochzeit angeht, habe ihn aber trotzdem geheiratet“, gestand sie.
„Er hat es gewusst“, bemerkte er plötzlich.
„Was?“
„Er hat es mir beim Junggesellenabschied erzählt!“
„Was hast du ihm gesagt?“
„Ich hab ihn angelogen, ich sagte ihm, dass ich davon weiß, aber ich nicht so empfinde“, erklärte er.
„Dann haben wir ihn beide angelogen, ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, entschied sie.
„Es tut mir leid, ich dachte, ich verletze ihn mit der Wahrheit!“
„Ja, ich weiß und dafür liebe ich dich, aber er ist gestorben ohne die Wahrheit zu wissen“, realisierte sie.
„Ja, das ist er. Er ist aber glücklich gestorben, weil er wusste, dass du ihn liebst“, konterte er.
„Ja, das wusste er. Ich hab ihn wirklich geliebt, versteh mich nicht falsch!“
„Ich weiß, ich will ihn auch nicht aus deinem Leben vertreiben, wir reden so oft von ihm, wie du willst“, versicherte er.
„Ich hab dich nicht verdient“, schluchzte sie plötzlich. Wortlos zog er sie an sich.
„Wir haben uns beide verdient, wir kommen beide aus lieblosen Familien, wir müssen erstmal Liebe lernen“, entschied er. So lieblos war ihre Jugend und Kindheit nicht gewesen, aber da sie wusste, dass es bei ihm der Fall war, lächelte sie nur matt und kuschelte sich an ihn.
 
Mitten in der Nacht klingelte ihr Handy. Sie lag zufrieden im Arm ihres Freundes und kräuselte wegen dem Klingeln ihre Nase.
„Dein Handy klingelt!“, murmelte er, ohne seine Augen zu öffnen.
„Ich weiß, ich mach’s aus“, rollte sie sich zur Seite. Emily rief sie an.
„Verdammt, da muss ich drangehen“, entschuldigte sie sich und ging ins Badezimmer.
„Em‘, es ist drei Uhr morgens, geht es los?“, wollte Peta wissen.
„Nein, ich leg nur grad meine Wäsche zusammen und mir war langweilig!“
„Was?“
„Du warst in den letzten Monaten nie hier, ich hätte dich gern dabei. Wenn du jetzt losfährst, kannst du bei mir sein, bevor ich das Baby bekomme“, hoffte sie.
„Hast du schon Wehen?“
„Leichte ja, aber bitte sei da, das schuldest du mir!“
„Bin auf dem Weg, ich war wirklich nicht so oft da, wie ich versprochen habe. Ich muss nur noch eine Mail an meinen Arbeitgeber schreiben und meinen Freund heimschicken!“
„Du hast nen Freund?“
„Erzähl ich dir, wenn ich in Delta bin. Krieg das Kind bitte nicht ohne mich“, erwiderte sie, während sie ihre Unterwäsche anzog.
 

Achtzehntes Kapitel

 
Die Sonne leitete Peta den Weg nach Hause.
„Kannst du noch?“, fragte Declan fürsorglich, der auf dem Beifahrersitz döste.
„Ja, wenn du neben mir bist, bin ich hellwach“, säuselte sie.
„Geht mir genauso. Ich verlier zwar grade zwei Tage an Bezahlung, aber das ist es wert“, schmunzelte er.
„Man, das wusste ich nicht, sorry!“
„Ich sag doch, kein Problem. Was hat dein Boss gesagt?“
„Alles okay, ich hab halt frei gemacht, hab in letzter Zeit eh zu viel gearbeitet. Ich würde gerne fliegen, wenn ich dort bin, ich weiß, dass gefällt dir nicht, aber nur für ein paar Minuten“, bemerkte sie.
„Du spürst den Drang zu fliegen, das versteh ich. Ich bitte dich aber ein GPS-Gerät zu tragen, damit wir dich wieder finden, falls du wieder abschweifst“, bat er.
„Okay!“
„Okay?“
„Beim letzten Mal hab ich fast einen halben Tag mit gebrochenem Flügel, äh Arm, Man, das wird langsam schwierig, meine Körperteile zu bezeichnen, in der Wüste gelegen. Ein bisschen Überwachung ist schon wichtig“, redete sie vor sich hin.
„Du lagst einen halben Tag in der Wüste?“
„Du bist der erste, dem ich das erzähle“, sagte sie nachdenklich.
„Bist du nicht vor dem Wohnhaus deiner Verwandten abgestürzt?“
„Bin nochmal losgeflogen mit gebrochenem Flügel. Solche Schmerzen kannst du dir nicht vorstellen, aber sonst wäre ich in der Wüste verloren gewesen“, erläuterte sie.
„Jep, du trägst eindeutig ein GPS, wenn du wieder fliegst“, deutete er nochmal die Wichtigkeit einer Überwachung an.
„Aber ich lass mir nichts implantieren, wir sind ja nicht bei Orson Wells hier“, entschied sie.
„Ich will dich sicher nicht immer überwachen, keine Sorge!“
„Endlich mal ein belesener Kerl, dein Bruder war zwar Arzt, aber für klassische Literatur konnte er sich nie begeistern“, war sie erfreut, wurde aber gleich wieder nachdenklich.
„Hey, wir wollten doch über ihn reden, dann tun wir das“, ermunterte er sie.
„Ja, richtig, ist trotzdem noch komisch, das wird sicher besser, wenn etwas Zeit vergangen ist. Hey, sieh mal, sind nur noch ein paar Meilen bis Delta, wir sind gleich da“, lenkte sie vom Thema ab, als sie auf einem Schild den Namen ihrer Geburtsstadt entdeckte.
 
Hand in Hand eilten die beiden etwas später durch das Krankenhausstockwerk, was ihnen am Empfang genannt worden war.
„Siehst du das Zimmer irgendwo?“, fragte Peta keuchend. Bevor er etwas sagen konnte, hörte Peta einen Schmerzensschrei aus einem der Zimmer.
„Egal, hab sie gefunden“, bemerkte sie trocken und zog ihn in Richtung des Schreies.
„Peta“, keuchte Emily, als sie ihre Freundin sah.
„Hab ich’s verpasst?“, fragte Peta nur.
„Ja, ich schrei nur vor lauter Schmerzen, weil es in den letzten zehn Stunden schon so viel Spaß gemacht hat“, grummelte sie.
„Ach ja, richtig, Schatz, lässt du uns allein?“, bat Peta, Declan.
„Das lass ich mir nicht zwei Mal sagen, ich besorg uns mal was zu essen“, verdrückte sich Declan.
„Dein neuer Freund ist dein Schwager?“, fragte Emily, die Declan hinterher gesehen hatte.
„Äh, ja, jetzt kümmern wir uns aber erstmal um dich“, lenkte sie ab und ergriff Emilys Hand.
 
Halb schlafend, halb wachend saß Peta neben ihrer Jugendfreundin, die stolz ihren kleinen Sohn im Arm wog.
„Er ist perfekt“, murmelte Peta müde.
„Ja, das ist er, ganz der Papa“, dachte Emily laut.
„Apropos, wo ist Dane?“
„Boston!“
„Er hat dich verlassen?“
„Ich bin nur Strohwitwe, er hat diese Geschäftsreise nur gemacht, weil wir dachten, dass ich noch vier Wochen hätte, aber dann kam der Kleine doch schneller, als wir dachten. Er kann erst Morgenabend zurückkommen!“
„Mein Gott, jetzt hast du mich erschreckt, ich dachte gerade, ihr wärt getrennt!“
„Er ist die Liebe meines Lebens, weißt du doch, so schnell wird er mich nicht los. Wenn wir grad von Beziehungen reden, du hast es endlich gemacht?“, fragte Emily neckend.
„Verurteile mich bitte nicht!“
„Ich verurteil dich nicht, du magst ihn, ihr braucht euch grade sehr, ich bin froh, dass ihr euch gefunden habt“, erklärte sie ihr lächelnd.
„Okay, du bist jetzt ein bisschen überwältigt mit Baby-Hormonen, trotzdem danke, dass du das sagst. Darf ich ihn mal halten?“, hoffte sie.
„Kannst du wieder schwer heben?“
„Er wiegt zwei Kilo, es ist okay, wenn du ihn nicht abgeben willst“, schmunzelte sie.
„Nur noch fünf Minuten“, war Emily ganz verliebt in ihren Sohn.
„Du wirst ihn noch dein ganzes Leben im Arm halten können, na ja zumindest in den nächsten Jahren. Ich lass dich am besten mal allein mit ihm, ich bin auch schon 24 Stunden wach, ich sollte etwas schlafen“, stand Peta auf.
„Geh du zu deinem heißen Freund, wir beide brauchen auch etwas Ruhe, glaub ich“, bemerkte Emily.
„Ich komm morgen früh wieder, keine Sorge!“
„Ich weiß, geh etwas schlafen, oder was du sonst noch machen willst!“
„Nur schlafen, glaub mir. Steht dir, das Baby“, ließ sie sie allein.
 
Ein Räuspern weckte das Pärchen am nächsten Morgen. Sie lagen eng aneinander gekuschelt auf einer Sitzbank des Krankenhauses.
„Morgen, Onkel“, murmelte Peta verschlafen, rappelte sich aber dann auf, als sie den muskulösen Mann sah.
„Hast dich ja schnell wieder aufs Pferd geschwungen, kleiner Adler. Warte, ist das nicht dein Schwager?“, fragte er kritisch und Declan wurde auch wach. Declan starrte Mato entsetzt an.
„Keine Sorge, er spuckt große Töne, er ist aber ein lieber Teddybär“, beruhigte sie ihren Freund.
„Ja, Teddybär ist richtig, ich weiß, was er kann“, murmelte er.
„Was hast du getan, Mato?“, fragte sie ihren Onkel kritisch.
„Halb so wild, ich wurde nen bisschen sauer und habe mich möglicherweise in einen Bären verwandelt und ihn ein wenig erschreckt“, erwiderte er murmelnd.
„Passiert, siehst du die Kratzer hier? Da bin ich sauer auf ihn geworden. Er tut dir nichts, richtig, Onkel?“, fuhr Peta ihrem Freund sanft über die Narbe, die sie ihm verpasst hatte und drehte sich dann zu ihrem Onkel.
„Behandelt er dich gut?“, wollte er von ihr wissen.
„Ja, das tut er“, sagte sie glücklich.
„Dann bin ich ein ganz sanfter Teddybär“, sagte er nur.
„Siehst du, er bleibt lieb. Man, ich werde zu alt um überall schlafen zu können“, rieb Peta ihren schmerzenden Nacken.
„Ist das Baby da?“, fragte Nascha, die zu ihnen geeilt kam.
„Ja, schon vor ne Weile. Drittes Zimmer von rechts“, erklärte Peta ihr.
„Erstmal ne Umarmung“, umarmte Nascha ihre Nichte und ging dann weiter.
 
„Wirst du mit ihm auch Kinder bekommen?“, erkundigte sich Nascha ganz überraschend, als sie an diesem Abend mit ihrer Nichte auf der Veranda saß und ein Frauengespräch führte. Peta spuckte ihre Limonade im hohen Bogen über die Veranda.
„Du weißt schon, dass das erst der zweite Tag ist, an dem ich mit ihm zusammen bin, oder?“
„Du kennst ihn aber schon sehr lang, ich frag ja nicht, ob du schon schwanger bist, nur, ob da eine Möglichkeit besteht!“
„Ja, vielleicht eines Tages. Du bist nicht sauer auf mich, dass ich diesen Weg gewählt habe, oder?“, hoffte sie.
„Oh nein, mein Kleines, ich bin froh, dass du einen Mann gefunden hast, der dich liebt und das so schnell nach dem Tod deines Mannes. Du musst das nur langsam angehen, ihr beide seid noch in Trauer“, riet sie ihr.
„Das werden wir, aber wir tun uns gegenseitig sehr gut, ich brauche ihn und er braucht mich!“
„Das ist schön, wirklich, er scheint ein netter junger Mann zu sein!“
„Er ist jünger als ich, ich weiß, aber nur 4 Jahre, er ist sehr erwachsen und wenn das wirklich mit uns was wird, wird er nicht vor mir sterben, was ein tolles Gefühl ist!“
„Du hast das Gefühl jeden um dich in jedem Moment verlieren zu können, oder? Ich kenn das Gefühl. Als meine Mutter starb wollte ich niemanden aus dem Haus lassen, nur weil ich Angst hatte, dass den anderen auch was passiert. Ich sollte ja recht behalten, ich hab so viele Menschen in meinem Leben verloren. Aber du darfst niemals deine Gedanken dort verweilen lassen, sonst wirst du in deinem Leben nicht mehr glücklich“, riet Nascha ihrer Nichte.
„Ich versuch’s. Wie war deine Mutter so?“, wollte sie von ihr wissen.
„Hab ich dir nie von ihr erzählt?“
„Nein, ich wollte dich auch nie fragen, ich dachte, das wolltest du nicht!“
„Ich hab lang gebraucht darüber wegzukommen, ich war ja erst 16, ich musste schnell erwachsen werden. Sie hatte auch ein Eulen-Totem, sie war eine wunderschöne Schneeeule, ich hab ihr manchmal zugesehen, wie sie durch die Nacht geflogen ist. Sie ist an Krebs gestorben, viel zu jung“, erzählte sie ihr.
„Das tut mir leid, ich wollte keine alten Wunden aufreißen!“
„Tust du nicht, das ist jetzt 40 Jahre her, ich habe eine ganze Weile nicht mehr über sie nachgedacht. Ist schön, mal wieder in Erinnerungen zu schwelgen. Du hast den Drang zu fliegen, oder? Ist vermutlich schwer, dass in Hollywood zu machen, egal wie viele schräge Vögel dort rumgeistern, ein Weißkopfseeadler fällt dort auf, glaub mir. Dein Dad war immer so stolz darauf, dass das sein Totem war, er wäre so stolz gewesen, dich fliegen zu sehen“, bemerkte Nascha.
„Ich werde morgen fliegen gehen, mit GPS diesmal, keine Sorge. Ich muss wieder aufs Pferd steigen, sonst fürchte ich, nie wieder fliegen zu können!“
„Dein Bruch war ziemlich heftig, bist du sicher, wieder fliegen zu können?“
„Das weiß ich erst, wenn ich in der Luft bin, keine Sorge, ich flieg nicht in die Wüste raus diesmal. Warum begleitest du mich nicht?“, hoffte sie.
„Oh, kleiner Adler, ich bin schon seit Jahrzehnten nicht mehr länger in der Luft gewesen!“
„Dann wird es mal wieder Zeit. Bitte, komm mit mir mit, das würde mir viel bedeuten“, bat sie.
„Na, okay, aber ich werde nicht weit fliegen“
„Ja, musst du auch nicht, ich will dich nur mal in ganzer Blüte sehen, das damals war ja nur ein Moment. Dein Totem hab ich ja damals gesehen, als du aus dem Koma aufgewacht bist. Ich spüre immer noch die starke Verbindung zwischen uns“, erkannte sie.
„Du hast mir damals das Leben gerettet, ich weiß immer noch nicht wie, aber du hast es. Ich habe eine zweite Chance im Leben bekommen und du anscheinend auch. Er ist ein attraktiver junger Mann, was macht er beruflich?“
„Barista!“
„Ist das nicht ein Yuppie-Begriff für einen Kaffeeverkäufer?“
„Er verdient Geld und geht jeden Tag zur Arbeit. Er ist ein guter Mann!“
„Ich arbeite auch in einem Café, ist schon gut, du verdienst ja gutes Geld. Besser als ein Ehemann, der nie zu Hause ist!“
„Er ist nicht mein Ehemann!“
„Noch nicht!“
„Du denkst, wir werden heiraten?“
„So wie er dich ansieht, ja, das denke ich. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, aber es fühlt sich einfach richtig an!“
„Er ist dein Gegenstück, so fühle ich auch bei deinem Onkel. Viele Leute haben uns seltsam angesehen, weil wir ja verwandt sind, aber meine Liebe zu ihm war so stark, dass ich es nicht hätte aushalten können, ohne ihn zu sein“, erklärte Nascha.
„Ich fühle mich, als hätte ich Oliver betrogen, ich habe Declan von Anfang an geliebt, ich hab es mir aber nie eingestanden. Wenn ich Oli nur die Wahrheit gesagt hätte, hätte er mich nicht heiraten wollen und wäre dann vielleicht noch am Leben“, erwiderte sie betrübt.
„Hast du nicht gesagt, seine verrückte Ex hat ihn getötet? Was hast du damit zu tun?“
„Es wäre nicht so weit gekommen, wenn wir nicht zusammen gewesen wären, vielleicht wäre er bei ihr geblieben“, begann sie zu weinen.
„Oh Süße, denk so was keinen Moment. Die Frau ist absolut wahnsinnig, sie hätte ihn vermutlich auch so getötet, wenn du nicht da gewesen wärst“, entschied Nascha.
„Du gibst dir die Schuld daran?“, hörte Peta plötzlich Declans Stimme hinter sich. Er hatte eine Decke über dem Arm und stellte sich vor sie.
„Es ist meine Schuld, wenn wir nicht so eine große öffentliche Show abgezogen hätten, obwohl wir schon verheiratet waren, würde er noch leben“, weinte sie und er kniete sich vor sie hin und legte ihr die Decke um die Schultern.
„Könntest du uns etwas allein lassen, Nascha?“, hoffte Declan.
„Sicher, ich mach mal nen Tee“, erwiderte Nascha, stand auf und Declan setzte sich neben Peta.
„Tut mir leid, seit ich hier bin, ist es, als wären die letzten sechs Monate nie passiert, als wären es wieder erst ein paar Tage her, dass ich vollkommen fertig hier ankam und nur noch schlafen wollte“, murmelte sie vor sich hin.
„Liegt vielleicht daran, dass du seit zwei Tagen kaum geschlafen hast. Komm, lass uns schlafen gehen, du willst ja morgen ganz früh fliegen, bevor wir wieder heimfahren“, lud er sie sanft auf seine Arme und brachte sie ins Gästeschlafzimmer.
„Oh, junge Liebe, weißt du noch, als du das mit mir gemacht hast?“, sagte Nascha verträumt zu ihrem Mann, als die beiden im Türrahmen die Szenerie beobachten, ohne dass die anderen sie sahen.
„Ja, das waren noch Zeiten, wenn ich das jetzt mache, verrenke ich mir sicher den Rücken“, schmunzelte er und sie boxte ihm sanft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen in die Rippen.

Neunzehntes Kapitel

 
Von mehreren Stimmen aus dem Wohnzimmer wurde Peta geweckt. Sie lag immer noch in die Decke gewickelt und angezogen auf dem Bett. Ihr Freund lag nicht neben ihr.
In die Decke gewickelt trottete sie ins Wohnzimmer. Die anderen saßen auf dem gemütlichen Ecksofa im Wohnzimmer und sahen sie an, als sie bei ihnen angekommen war. Ash und seine Tochter waren auch anwesend.
„Wenn das ne Intervention wird, brauch ich erstmal nen Kaffee“, sagte sie nicht ganz ernst.
„Ich bring dir einen, setz dich“, bat Nascha und sie setzte sich verwirrt hin.
„Okay, ihr macht mich hier jetzt echt nervös. Was ist los?“
„Weißt du welcher Tag heute ist?“
„Äh, Mittwoch, soweit ich weiß, wieso?“
„Ich mein welches Datum!“
„Nicht so wirklich, wieso?“
„Heute ist dein Geburtstag, Dummerchen“, schmunzelte Nascha, als sie mit einer Tasse Kaffee und einem Bagel zurückkam, in den sie liebevoll Kerzen gesteckt und angezündet hatte.
„Das ist so süß von euch, danke. Entschuldigt mich kurz“, wurde sie sehr melancholisch und eilte ins Schlafzimmer zurück.
„Das war wohl nen bisschen viel für sie, dass ist schließlich ihr erster Geburtstag ohne ihn. Geben wir ihr ne Sekunde“, schlug Declan vor.
Als sie einige Minuten mit ihrem improvisierten Bagel-Kuchen in der Hand auf dem Bett gesessen hatte, tapste ein supersüßer Dalmatiner-Welpe mit weißer Schleife um den Hals in ihr Zimmer.
„Hey, du, Schnuckelchen, was machst du denn hier? Sollst du ein Geschenk sein?“, nahm sie gerührt den Welpen in den Arm und drückte ihn fest an sich.
„Spot, Kleiner, wo bist du? Spot?“, hörte sie plötzlich die Stimme von Ash, der den Hund anscheinend suchte.
„Hier drin“, rief Peta ihm entgegen.
„Oh Mann, er hat seinen Weg wohl schon zu dir gefunden. Ich wollte dich eigentlich damit überraschen“, schmunzelte Ash, als er bei ihr angekommen war und zusah, wie sich Spot über Petas Bagel hermachte.
„Du schenkst mir so einen teuren Hund?“
„Ich hab einen guten Preis bezahlt, ich habe eine Freundin, die Hunde züchtet“, versicherte er.
„Eine Freundin? Eine gute Freundin?“, fragte sie neugierig.
„Sie könnte es werden, sie hat auch eine dreijährige Tochter, wir lassen es langsam angehen!“
„Das ist gut, das freut mich für dich. Ich bin jetzt mit Declan zusammen“, sagte sie nur.
„Ja, hab ich schon mitbekommen, ich freu mich auch für dich. Du musst ihn nicht Spot nennen, du kannst ihm jeden Namen geben, den du willst“, nahm er Spot auf den Arm.
„Spot klingt gut, im Moment. Du hast an meinen Geburtstag gedacht, das ist echt lieb von dir!“
„Ich kannte deinen Geburtstag nicht, deine Tante wollte dir mit irgendwas ne Freude machen und da wir den Monat, indem du hier warst, so viel zusammen waren, dachte sie, ich wüsste, was du dir wünscht!“
„Ich hab nie erwähnt, dass ich einen Hund will“, schmunzelte sie.
„Du musst ihn nicht nehmen, wenn du nicht willst, ich kann ihn auch nehmen, ich hab zwar auch schon einen von den Rackern zu Hause, aber meine Tochter würde sich sicher über zwei freuen“, erklärte er.
„Von wegen, ich hab einen schönen Garten, ihm wird es bei mir gut gehen“, streckte sie ihm die Hände entgegen und sie nahm den Welpen wieder in den Arm.
„Schön, er wird dir wirklich helfen zu heilen, unser Hund hat das zumindest bei mir getan. Ich hab dir auch einen Hundekäfig besorgt, ich bring ihn dir im Kofferraum an, wenn du willst!“
„Das wäre ganz lieb, danke!“
„Gerne. Kommst du wieder raus? Wir wollen zusammen frühstücken, keine Sorge, wir haben noch andere Bagels für dich“, bat er und sie ging mit ihrem Geschenk auf dem Arm zurück zu ihrer Familie.
 
„Das siehst echt lächerlich aus“, bemerkte Peta, als sie auf der Wiese neben dem Haus ihres Onkels stand und sich ein Hundehalsband in Lila angelegt hatte.
„Das, oder ein Chip mit GPS und ich glaube nicht, dass du dein ganzes Leben überwacht werden willst“, konterte Ash amüsiert.
„Schon gut, solang du mich nicht an die Leine legst“, murmelte sie.
„Hab ich nicht vor. Bist du auch bereit, Nascha?“, drehte sich Ash zu Nascha.
„Ja, hier halt den Bademantel mal, ist bei mir sehr lange her, ich weiß nicht, ob ich das mit den Klamotten richtig hinbekomme. Ich bin meiner Ausmaße als Eule nicht mehr so bewusst, du musst mir das Halsband anlegen, wenn du weißt, welche Größe mir passt“, bat sie.
„Mach ich, aber bitte nicht beißen“, bat er sie.
„Werd’s versuchen. Ich hoffe, ich kann noch fliegen, wenn ich plötzlich weg bin, dann hab ich abgedreht und bin wieder zurückgeflogen, okay?“
„Verstanden. Dann los“, breitete Peta ihre Arme aus und verwandelte sich in einen Adler. Ein Gefühl der Befreiung machte sich in ihr breit, als wäre sie in einem Käfig gewesen und wäre jetzt in Freiheit.
 
Auf dem Rückweg fuhr Declan. Peta rieb sich ständig die Schulter.
„Der Flug war wohl anstrengender, als du dachtest, was?“, fragte Declan sie fürsorglich.
„Ja, etwas, aber es hat gut getan. Das war wirklich ein tolles Geschenk von ihnen, oder?“, sagte sie nachdenklich.
„Ja, wirklich ein süßer Kerl, der Kleine. Ich kenn auch einen netten Tierkindergarten, wo er unterkommen kann, während du arbeitest. Hat dir das Fliegen gefallen?“, wollte er wissen.
„Äh, ja, war gut“, spielte sie herunter, wie begeistert sie davon gewesen war.
„Du musst das nicht runterspielen, ich hab gesehen, wie du gestrahlt hast, als du wieder gelandet bist!“
„Es war unglaublich, ich hatte vergessen, wie toll das ist“, schwärmte sie.
„Du vermisst Delta, oder?“, fragte er traurig.
„Manchmal, aber ich wäre öfters dort gewesen, wenn ich dort lieber wäre. Für einen Monat war dies in Ordnung so, aber mein Leben ist in L.A., du bist in L.A. und meine Schwester auch. Ich hab sogar wieder so eine Art Beziehung mit meiner Mutter aufgebaut, die will ich nicht wieder verlieren“, bemerkte sie.
„Du hast dich mit deiner Mutter versöhnt?“
„Wir sind keine besten Freundinnen, aber wir telefonieren ab und zu mal. Es ist ein Anfang. Apropos Mütter, was sagen wir deinen Eltern?“
„Ich habe seit der Beerdigung nicht mehr mit meiner Mutter gesprochen, wir brauchen ihnen gar nichts sagen“, entschied er.
„Du hast den Kontakt zu deinen Eltern komplett abgebrochen?“
„Sie halten mich für einen versoffenen Totalversager, ich wüsste nicht, was ich ihnen sagen sollte!“
„Du bist kein Totalversager, ja, du hattest in den letzten Monaten wohl nen bisschen zu viel Alkohol, aber daran bin ich wohl Schuld“, bemerkte sie.
„Nein, Süße, daran bin ich ganz allein schuld, ich hab mich selbst aufgegeben. Aber ich besuche jetzt Meetings und trink nicht mehr, ich bin zwar nicht komplett alkoholabhängig, aber ich hab die starke Tendenz dazu, deswegen hat Dr. Harris vorgeschlagen, dass ich den Alkohol einschränke und Treffen besuche“, erklärte er.
„Dr. Harris? Du bist bei Dr. Harris?“
„Ja, ich hab mir nen Therapeuten gesucht. Du kennst ihn?“
„Da er mein Therapeut ist, ja, kenn ich ihn“, erläuterte sie.
„Wir haben den gleichen Therapeuten?“
„Sieht so aus, deine Mutter bezahlt ihn mir, frag mich nicht, sie hat ihn mir vorgeschlagen und wollte ihn auch bezahlen, aus heiterem Himmel. Er kostet 150 Dollar pro Sitzung, ich hab da einfach zugeschlagen. Ich nehm mal an, dir bezahlt sie auch die Therapiestunden!“
„Ja, tut sie, hat mich genauso überrascht wie dich. Wir sollten wohl doch mal mit ihr sprechen und ihr danken. Ohne den Doc hätte ich die letzten Monate nicht so gut überstanden“, erklärte sie.
„Ist das ne gute Idee wenn wir den gleichen Therapeuten haben?“, fragte er.
„Ich such mir keinen anderen“, erwiderte sie nur.
„Ich bin auch gern bei ihm!“
„Dann behalten wir es bei, aber wir stellen eine Regel auf“, bat er.
„Und die wäre?“
„Keine Manipulation von Dr. Harris um den Partner zu manipulieren“, bemerkte er.
„Du kennst mich schon zu gut, was?“, schmunzelte sie.
„War das ein okay?“
„Ja, okay, keine Manipulationen. Haben wir uns gerade auf unsere erste Beziehungsregel geeinigt“, säuselte er.
„Sieht ganz so aus. Mit dir zusammen zu sein fühlt sich so leicht an, als hätte ich nie etwas anderes getan“, gestand sie ihm.
„Ja, geht mir auch so. Wir sollten es trotzdem aber erstmal nicht an die große Glocke hängen, dass wir zusammen sind. Ich liebe dich und möchte mit dir zusammen sein, aber geben wir uns sechs Monate, dann werden wir an die Öffentlichkeit gehen“, bat er.
„Das musst du nicht tun, ich hab mein halbes Leben versucht mich zu verstecken, dass mache ich jetzt nicht mehr. Mir ist egal, was andere denken“, entschied sie mit starker Stimme.
„Ich finde zwar toll, dass du so selbstbewusst damit bist, aber es geht jetzt eher um mich. Ich möchte nicht, dass die Leute denken, ich vögle meine Schwägerin während sie noch trauert. Sechs Monate und nichts wird sich bei uns ändern nur in der Öffentlichkeit sind wir nur Schwager und Schwägerin“, bat er.
„Okay“, sagte sie nur.
„Okay? Ich versuche seit drei Tagen dir das zu gestehen und das war so einfach?“, war er überrascht.
„Ich liebe dich auch, deswegen will ich alles machen, dass du dich wohl fühlst“, versicherte sie.
„Oli hatte recht, du bist die perfekte Frau“, war er erleichtert.
„Er hat mich wirklich geliebt“, dachte sie nachdenklich an Oli.
„Ich will ihn auch niemals ersetzen, ich werde ihn niemals ersetzen. Er war mein großer Bruder und mein bester Freund, ich fühle mich irgendwie, als würde ich ihn hintergehen!“
„Ich wusste nicht, dass du so fühlst. Ich habe die letzten Monate auch so gefühlt, aber ich habe eingesehen, dass mein Leben weitergehen sollte und Oliver das auch absegnen würde. Aber wenn du noch nicht soweit bist, ist das okay“, redete sie vor sich hin.
„Du bist enttäuscht“, realisierte er.
„Nein, Süßer, alles in Ordnung“, versicherte sie, aber die Stimmung war mit der Wahrheit im Raum irgendwie anders.
 
„Ihr habt also seit zwei Wochen kaum geredet?“, wollte Fala wissen, als sie Wochen später mit ihrer kleinen Schwester zu Abend aß.
„Ja, wir schreiben uns ab und zu mal, aber er sagte, er meldet sich, wenn er soweit ist und ich akzeptiere das. Du hast übrigens gut gekocht“, murmelte sie in ihr Essen. Sie waren bei Peta zu Hause und ihr kleiner Welpe turnte um ihre Beine herum.
„Wir haben was liefern lassen, wirklich alles in Ordnung bei dir?“
„Ich vermisse ihn sehr“, gestand sie.
„Du bist verliebt, natürlich vermisst du ihn. Aber es gut, wenn du ihm Zeit gibst, er ist emotional wohl noch nicht so weit, wie du es bist. Hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie stolz ich auf dich bin? Ich dachte wirklich nicht, dass du dich so schnell erholst“, entgegnete Fala.
„So kommt es dir vielleicht vor, aber so ist es nicht. Siehst du die Box, die dort liegt? Sie wurde mir zugeschickt, ein Geschenk von Oliver zum Geburtstag, er hat es wohl bestellt, bevor er starb, es lag auf meiner Tür-Matte, als ich aus Delta zurückkam. Es liegt dort seit zwei Wochen, ich kann es nicht mal anfassen“, zeigte sie auf ein burgunderfarbenes Geschenk auf ihrem Wohnzimmertisch.
„Rein technisch hast du es schon angefasst, als du es reingebracht hast“, konterte Fala.
„Mann, ich kann sehen, wie du die Zeugen im Zeugenstand verwirrst. Ja, rein technisch hab ich es angefasst. Würdest du es für mich öffnen?“, hoffte sie.
„Bist du sicher?“
„Wenn ich es nicht bald öffne, werde ich es niemals tun“, entschied sie.
„Gut, dann machen wir es gleich?“, wollte Fala wissen und Peta nickte.
„Egal was darin ist, ich bin immer für dich da“, bemerkte sie.
„Ich weiß, aber der Inhalt dieses Päckchens wird mein Leben nicht verändern, es wird nur wehtun, sehr wehtun“, erwiderte sie.
„Wir müssen das jetzt nicht tun“, holte sie das Päckchen an den Wohnzimmertisch, an dem sie aßen.
„Doch, bitte mach es auf“, sagte sie ruhig und Fala öffnete ganz sanft das Päckchen.
„Hier, es ist offen, rausholen solltest du es schon selbst“, schlug sie vor.
„Ich mach es alleine, ich komm gleich wieder raus“, nahm sie es ins Schlafzimmer mit.
 
Sie atmete tief durch. Die Schachtel ließ schon vermuten, dass im Geschenkkarton ein Schmuckstück war.
„Oh Oli, wir wollten uns nichts so teures schenken“, redete sie mit sich selbst, als wäre Oliver an ihrer Seite. Mit zittrigen Händen öffnete sie die Schmuck-Box.
In der Schatulle lag eine Silberkette, an dem ein Kreuz, eine Feder und ein Herz aus Platin hing. Sie schluchzte. Sie wusste genau, was er damit ausdrücken wollte. Sie hatten vor der Hochzeit oft darüber gesprochen, wie ihre Glaubensrichtungen unterschiedlicher nicht sein konnten, die Liebe aber alles überwinden konnte. Sie hatte gehofft, dass er einen Brief hinterlassen hatte, aber die Kette war alles, was ihr Mann ihr hinterlassen hatte.
Nach zwanzig Minuten, die ihre kleine Schwester allein im Schlafzimmer verbracht hatte, klopfte Fala sanft und trat ein.
„Hey, kleiner Adler, alles klar bei dir?“
„Ja, alles in Ordnung. Ich konnte mal wieder weinen, aber es hat mich nicht zerstört“, saß Peta an die Bettkante gelehnt und spielte mit ihrem neuen Geschenk, was sie sich um den Hals gehängt hatte.
„Er hat dir eine Kette geschenkt? Die ist wirklich schön“, setzte sich Fala neben ihre Schwester.
„Ja, sie hat eine Bedeutung nur für uns zwei, ich will da jetzt nicht näher drauf eingehen!“
„Ja, musst du auch nicht. Kommst du heute Nacht klar, oder soll ich hier bleiben?“
„Ich komm klar, du musst doch sicher noch nen Fall, oder sowas, vorbereiten!“
„Ja, eigentlich schon. Aber du rufst sofort an, wenn ich wiederkommen soll, okay?“, stand sie wieder auf.
„Ja, danke, das mach ich. Ich geh jetzt einfach schlafen“, erwiderte sie.
„Mach das. Gute Nacht, kleine Schwester, egal was ist, ich bin stolz auf dich“, verabschiedete sich Fala, küsste den Kopf ihrer Schwester und ließ sie allein.
 
Am Nachmittag des nächsten Tages sortierte Peta gerade Medikamente in ein Regal ein, als sie Declan vor der Apotheke stehen sah.
„Ma, ich bin kurz mal draußen“, ließ sie ihre Kollegin wissen und ging zu ihm raus.
„Hey“, begrüßte sie ihn kurz.
„Hey. Stör ich dich grad?“
„Nein, geht schon. Wie geht’s dir?“
„Ich hab dich vermisst“, sagte er nur.
„Ich wollte dir Zeit geben!“
„Und dafür liebe ich dich. Aber ich kann ohne dich kaum schlafen, ich will nicht mehr allein sein“, gestand er und zog sie an sich.
„Bist du sicher?“, freute sie sich.
„Ja, ich bin endlich sicher. Darf ich dich küssen?“
„Seit wann fragst du mich bevor du das machst?“, säuselte er.
„Deine Kollegin sieht uns, ich weiß nicht, ob sie es weiß!“, erklärte er.
„Ach scheiß drauf“, entschied sie nur und küsste ihn leidenschaftlich.
 
„Kein Kommentar“, murmelte Peta, als sie zu ihrer Kollegin hinter den Tresen zurückkam und ihre Lippen vom Lippenstift säuberte.
„Hab nichts gesagt“, sagte Mabel nur.
„Er tut mir gut“, verteidigte sie sich.
„Ich verurteile dich nicht, jeder von uns hat mal einen heißen Kerl gehabt um gesund zu werden“, bemerkte Mabel. Mabel war eine ältere Dame, die sie eher an eine Grandma erinnerte.
„Äh, okay, aber ich glaube, ich liebe ihn“, sagte sie verträumt.
„Es sind erst ein paar Monate, Kleines!“
„Ich kenn ihn schon lange, das wird funktionieren“, konterte sie.
„Ich wünsch es dir, Kleine, du hast alles Glück der Erde verdient“, bemerkte Mabel.
„Ich danke dir“, sagte Peta gerührt.
„Ist nur die Wahrheit. Machen wir weiter?“, drehte sie sich wieder zu den Regalen.
„Müssen wir wohl, das Lager räumt sich nicht von allein ein“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

Zwanzigtes Kapitel

 
„Thanksgiving bei deinen Eltern?“, fragte Peta unsicher, als sie zwei Wochen nach ihrer Versöhnung mit ihrem Freund im Kino auf den Film wartete, der bald beginnen sollte.
„Ja, dieses Fest mit Truthahn und Streitereien und nettem Beisammensein“, schmunzelte er.
„Ja, ich weiß was Thanksgiving ist, dieser Tag ist einer der Gründe, warum unserer eins jetzt in die Verwandtschaft heiraten muss“, bemerkte sie.
„Ach ja, das, aber ihr feiert doch Thanksgiving, soweit ich weiß“, bemerkte er.
„Ja, aber ich hab bis jetzt immer gut vermieden mit Graf und Gräfin Dracula zu feiern“, entgegnete sie.
„Sie hat persönlich darum gebeten, dass auch du kommst“, handelte er.
„Okay, aber wenn sie fies wird, hau ich ab“, stimmte sie zu.
„Dann hau ich auch ab, ganz sicher“, versprach er.
„Leger, oder formal angezogen?“
„Was denkst du?“
„Okay, dann eben die Erwachsenen-Klamotten, ist eh ne Weile her, dass ich so schick war!“
„Ich hab auch keinen Anzug mehr angehabt seit … dem Tag eben“, murmelte er.
„Wenn wir über ihn reden, können wir auch über meinen Hochzeitstag reden!“
„Das war nen scheiß Tag!“
„Wem sagst du das“, sagte sie nachdenklich und spielte mit ihrer Kette von Oliver herum.
„Das war also in dem Päckchen“, realisierte er.
„Du hast das Päckchen dahin gelegt?“
„Er hatte die Kette schon vor langem gekauft gehabt, er hatte es bei mir versteckt, ich dachte, deine Rückkehr aus Delta wäre ein guter Zeitpunkt, dir das Geschenk zu „übergeben“. Ich wollte es dir nicht persönlich geben, das wäre nicht richtig gewesen“, erklärte er.
„Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, wie sehr mir sein Geschenk gefällt“, steckte sie die Kette wieder in ihren Ausschnitt.
„Ja, ich weiß, willst du heim?“, merkte er, dass sie traurig war.
„Nein, ich hab mich auf den Film gefreut, lehn dich einfach zurück“, bat sie und kuschelte sich an ihn, während das Licht ausging und der Film begann.
 
„Ja, Schatz, ich bin pünktlich, versprochen“, versicherte Peta, als sie in der Apotheke rumwirbelte. Sie legte ihr Handy auf den Tresen.
„Ich werde sowas von zu spät kommen, ich muss mich ja noch umziehen“, gestand sie Mabel.
„Du willst nicht dorthin, oder?“, bemerkte Mabel.
„Nicht wirklich, nein, aber ich hab’s ihm versprochen. So, ich muss wirklich los, danke, dass du hier dicht machst“, bedankte sie sich.
„Mein Sohn holt mich hier ab, ich muss eh noch auf ihn warten. Geh du zu deinen Schwiegereltern, es wird alles gut gehen, ganz sicher“, schob sie sie aus der Tür.
 
„Egal, sie wird eh jedes Teil kritisieren, was ich anhabe“, behielt sie zu Hause vor dem Spiegel das vierte Kleid an, was sie angezogen hatte. Sie suchte ihren Schlüssel und eilte aus der Tür, als sie ihn gefunden hatte.
„Mrs. Wincester?“, stand plötzlich eine junge Frau auf ihrem Fußweg zur Straße hin vor ihr.
„Ja, die bin ich. Entschuldigen Sie, egal was Sie verkaufen, es ist sicher toll, aber ich bin so superspät dran, dass mein Freund sicherlich jetzt schon ziemlich wütend auf mich ist. Ich muss los“, eilte sie an der Frau vorbei.
„Sie bleiben hier“, packte die Frau sie plötzlich am Arm, als sie schon fast an ihr vorbei war.
„Man, die Vertreter werden auch immer dreister, lassen Sie bitte meinen Arm los“, forderte sie ernst.
„Einen Gruß von Mary“, sagte die Frau nur und sie spürte einen Stich in ihrem Arm.
„Was haben Sie mit mir …gemacht“, murmelte sie und sackte auf die Knie.
„Ist nichts persönliches, du musst nur für ihn leiden“, entgegnete die Frau und kickte ihr ihr Knie ins Gesicht, dass sie ohnmächtig zur Seite kippte.
 
Sie schmeckte Blut. Sie zog sich mit all ihrer verbliebenen Kraft in die Sitzposition. Ihr schönes Kleid war überall mit Blut verschmiert. Sie streifte sich ihre High-Heels von den Füßen und stand mit zittrigen Knien auf. Ihre Strumpfhose war zerrrissen.
Sie stolperte zur Tür. An dieser hing ein Zettel.
„Du musstest nur leiden, deine Familie hat da weniger Glück“, las sie laut vom Zettel ab. In ihrem dämmrigen Zustand brauchte sie eine Sekunde um zu kapieren, was dieser Satz auf dem Zettel bedeutete. Doch als sie es realisierte, handelte sie instinktiv. Das war das erste Mal, seit dem Moment auf dem Tankstellen-Parkplatz, dass sie keine Kontrolle über ihren inneren Adler hatte. Mitten auf ihrer Fußmatte verwandelte sie sich. Es schmerzten ihre alten Wunden, aber sie wollte ihre Liebsten retten, egal was es kostete. Sie wollte niemanden mehr verlieren.
 
Stöckelschuhe klapperten über die ehrwürdigen Treppen des Gerichtssaals. Fala war gerade mit einer Anhörung fertig und freute sich mit ihrer Mutter und ihrem Freund ein Thanksgiving-Dinner zu genießen. Sie dachte gerade darüber nach, wie es ihrer kleinen Schwester wohl ergehen würde bei den Schwiegereltern, als ein Adler direkt vor ihrer Nase landete.
„Peta, sag mal spinnst du? Das ist L.A., das kannst du nicht machen“, zischte sie dem Adler entgegen. Immer noch verwandelt pickte Peta auf ihre Schwester ein.
„Hast du den Verstand verloren? Ich bin deine Schwester, ich weiß, dass du das bist Peta, ich kann mich auch in einen Raubvogel verwandeln, nicht so eindrucksvoll wie du, aber ich kann dir auch weh … au, lass das, was soll das?“, ging sie zurück in das Gerichtsgebäude. Unter Schmerzensschreien verwandelte sie sich zurück.
„Pet‘, oh heilige, wer hat dich so zugerichtet? Waren das die Draculas?“, sah Fala, wie verletzt ihre kleine Schwester war.
„Bleib bitte einfach hier, Officer, bitte bewachen Sie sie, sie darf den Gerichtssaal nicht verlassen, gib mir deine Autoschlüssel, ich hab keine Kraft mehr weiter zu fliegen. Ich erkläre es dir später, aber bitte bleib einfach hier“, winkte sie einen Uniformierten zu ihr hin und als sie ihre Schwester in Sicherheit wusste, fuhr sie mit Falas Wagen zu ihrer Mutter. Insula half gerade ihrer Köchin bei der Zubereitung des Abendessens.
„Mum, geht’s dir gut?“, umarmte sie ihre Mutter stürmisch.
„Ja, auch wenn ich wirklich mal koche, mir geht es gut. Was ist los? Hat er dir das angetan?“, sah Insula ihre Tochter entsetzt an.
„So schlimm sind die Wincesters nicht, warum denkt ihr das alle? Euch geht’s gut, das ist gut, bleibt im Haus, macht niemandem die Tür auf, habt ihr verstanden?“, fragte sie ernst, als Falas Partner Paul zu ihnen in die Küche kam.
„Tut mir leid, Paul, das ist eine echt seltsame Situation mich kennen zu lernen, aber ich muss gleich weiter, ich hoffe, wir haben nochmal die Gelegenheit, das unter anderen Umständen zu widerholen. Mum, wo ist das Messer, was Dad dir vererbt hat?“, wirkte Peta völlig aufgekratzt. Sie blutete immer noch am Kopf.
„Kleiner Adler, du hast vermutlich eine Gehirnerschütterung, lass mich dich in ein Krankenhaus bringen!“
„Das Messer, Mum, eine andere Waffe tut’s auch“, hatte sie es eilig und Insula zog das große Ausweidemesser in einem Lederbeutel von ihrem Kühlschrank herunter. Paul sah die beiden Frauen nur total verstört an.
„Also, keinem die Tür öffnen, ich ruf euch an“, bemerkte sie und zog weiter.
 
Die Betäubung ließ langsam nach. Sie blutete immer noch und ruinierte Falas Sportwagen ziemlich damit. Aber darüber konnte sie sich jetzt keinen Kopf machen. Sie musste ein seltsames Bild abgeben, als sie in einem blutigen Sommerkleid mit einem Messer an ihre Hüfte geschnallt in die Villa ihrer Schwiegereltern marschierte. Die Tür stand auf, die Hausangestellten waren nirgendwo zu sehen.
„Hallo? Jemand zu Hause?“, fragte sie in das totenstille Haus.
„Bitte, sei nicht tot, bitte sei nicht tot“, redete sie vor sich hin. Barfuß tapste sie über den Marmorfußboden, bis sie an dem großen Esstisch angekommen war. Er saß dort, zusammengesackt, mit geschlossenen Augen.
„Declan?“, fragte sie weinerlich und nahm seinen Kopf in ihre Hände. Schwer zitternd misste sie seinen Puls.
„Danke Gott, danke“, weinte sie. Er war nur bewusstlos. Sie nahm sein Handy auf und wählte den Notruf, während sie zu seinen Eltern ging und auch nach deren Zustand sah.

Einundzwanzigstes Kapitel

 
Peta sah gebannt auf die Infusion, die durch den Zugang in den Arm ihres Freundes tropfte. Sie trug einen knallbunten Onesie und ihr Kopf war dick verbunden.
„Süße, bitte iss was“, bat Insula. Ihre Mutter hatte sich gleich auf den Weg gemacht, als ihre Tochter sie angerufen hatte.
„Ich ess erst was, wenn er wieder aufwacht!“
„Er ist noch eine ganze Weile außer Gefecht gesetzt, meine Kleine, er würde sicher nicht wollen, dass du verhungerst. Ich hab gekocht, du musst doch noch lästern, wie eklig es ist“, sagte Insula matt lächelnd.
„Ich könnte nen bisschen Kartoffelbrei vertragen“, gab sie nach und Insula gab ihr eine Tupperbox mit Kartoffelbrei.
„Ist gut“, nuschelte sie ins Essen.
„Den hat Paul gemacht, aber ich richte es ihm aus. Du hast den armen Kerl ziemlich verstört gestern“, erwiderte Insula.
„Ja, ich muss mich nochmal richtig vorstellen irgendwann. Mein Eis-Pad ist warm, könntest du mir ein neues besorgen?“, hoffte sie.
„Sicher, Süße, du solltest eigentlich auch ausruhen“, bat sie liebevoll.
„Ich geh hier nicht weg, bis er aufwacht“, drückte sie ganz fest seine Hand.
„Du wirst ihn nicht auch verlieren, die Medikamente werden anschlagen, ganz sicher“, versprach sie ihr und holte ihr ein neues Eis-Pad für ihre blauen Flecken und Prellungen.
 
Er hustete. Sie war auf seiner Brust eingenickt.
„Ich muss mich übergeben“, murmelte er und sie beugte sich auf den Nachttisch und holte ihm die Nierenschale, in dem er sich übergab.
„Sorry“, murmelte er und sie betätigte den Schwesternruf.
„Musst dich nicht entschuldigen, du wurdest vergiftet, alles was aus dir rauskommt ist gut“, stand sie auf und warf die Schale in den Abfall.
„Da kommt noch mehr“, sagte er würgend und sie hielt ihm liebevoll den Mülleimer hin.
„Ich hätte nicht so viel essen sollen“, wurde ihr plötzlich auch übel.
„Badezimmer“, riet er ihr und sie eilte soweit es ihre Schmerzen erlaubten ins Badezimmer des Krankenzimmers, in der sie sich auch übergab.
„Man, das ist ja wie auf ner Krankenstation hier. Sorry, der musste sein“, kam ein junger Assistenzarzt zu ihnen, als er hörte, wie Peta sich übergab.
„Oh klasse, mein Arzt ist Patch Adams“, murmelte Declan erschöpft und lehnte sich zurück.
„Ich hab aber keine rote Nase auf. Okay, ich bin ernst, das war eng, Mr. Wincester, wenn ihre Schwägerin sie nicht rechtzeitig gefunden hätte, wären sie jetzt alle tot“, wurde der Arzt ernster.
„Meine Eltern sind also …“, begann er.
„…nicht tot? Nein, sie beschweren sich schon darüber, dass sie in verschiedenen Krankenzimmern liegen“, schmunzelte der Arzt.
„Was ist passiert?“, wollte er wissen und Peta kam zurück zu ihm.
„Sie wurden vergiftet, die Blutproben sind noch im Labor, aber wir haben sie einfach mit dem wirksamsten Antidot versorgt, das wir auftreiben konnten. Wir wussten nicht, ob Sie und Ihre Eltern die Nacht überleben, Sie hatten einen Schutzengel“, erläuterte der Mediziner.
„Oli hat über euch gewacht“, kuschelte sich Peta an ihren Freund.
„Ja, das hat er wohl. Dich hat er auch beschützt!“
„Mich wollten sie nicht töten, nur verletzen, das hat mir die Frau gesagt“, bemerkte sie.
„Du bist verletzt“, realisierte er in diesem Moment.
„Diese Frau hat mich verprügelt, sie wollte mich aufhalten, sie hat mir gedroht, dass sie meine Familie töten will. Ich bin zu jedem hin gerast und hab nachgesehen, ob es euch gut geht. Mum und Fala geht es gut, euch hab ich so gefunden“, erzählte sie.
„Oli hat uns wirklich einen Schutzengel gesendet, dich“, säuselte Declan und sie legte ihren Kopf auf seine Schulter.
„Wer ist Oli?“
„Mein großer Bruder und ihr verstorbener Mann!“
„Ah, warten Sie, sind Sie nicht die Kill-Bill-Braut?“
„Klasse, ich bin berühmt“, murrte sie.
„Verzeihen Sie, ich wollte Sie darauf nicht ansprechen, dass ist erst ein paar Monate her. Sie sind jetzt also mit Ihrem Schwager liiert?“, fragte der Arzt keck.
„Ja, haben Sie nen Problem damit?“, fragte sie schroff.
„Nein, gar nicht. Ich würde Ihren Freund gern untersuchen, draußen um die Ecke haben wir ein gemütliches Sofa wo sie Fernsehen können, ich komm dann zu Ihnen, wenn wir hier fertig sind“, schlug der Arzt vor.
„Okay“, sagte sie plötzlich kleinlaut und schlurfte auf ihren Krankenhaus-Hausschuhen zu dem besagten Raum.
„Warten Sie, sie haben sie nicht aufgenommen?“
„Sie ist nicht kritisch verletzt, aber wir lassen sie hier bleiben solang sie will!“
„Sie hat sich gerade übergeben!“
„Sie hat ne leichte Gehirnerschütterung und hat sie grad kotzen sehen, das ist normal“, versprach er, aber Declan sah ihn kritisch an.
„Ich untersuch sie nochmal“, gab der Arzt nach.
„Danke, Doc!“
„Gerne. Also, fangen wir an“, entschied er.
 
Mit einem Albtraum gequält erwachte Peta vom Sofa im Aufenthaltsraum.
„Morgen, Albtraum gehabt?“, hörte sie die sanfte Stimme ihres Therapeuten.
„Doc Harris?“, murmelte sie.
„Ja, Kleines, Ihr Freund schickt mich. Das war ein traumatisches Erlebnis, was sie da hatten, schon wieder“, bemerkte Doktor Harris.
„Ja, danke fürs Erinnern“, setzte sie sich erschöpft auf.
„Sie müssen sich damit auseinandersetzen!“
„Ich trage gerade einen Schlafanzug“, bemerkte sie.
„Ich habe mal nen Kerl therapiert, der in ner Zwangsjacke, Hotpants und Stöckelschuhen steckte, mich schockt wenig, Kleines“, sagte er trocken.
„Eine Drag-Queen?“
„Möchte man meinen, aber nein, nur ein Familienvater mit einem Nervenzusammenbruch. Egal, jetzt geht es aber nicht um ihn, es geht um Sie!“
„Ich werde es überleben, allen geht es gut“, versicherte sie.
„Das glaub ich auch, aber Sie müssen mit mir darüber reden“, bat er.
„Okay, wo soll ich anfangen?“, stimmte sie zu und er begann seine Sitzung.
 
Sechs Monate später
 
„… und aus diesem Grund verurteilen wir Sie wegen dreifachem versuchten Mordes zu 15 Jahren Haft“, verlas der Richter das Urteil und Peta drückte glücklich die Hand ihrer großen Schwester. Endlich war es vollbracht, endlich war ihre Angreiferin verurteilt worden. Das bizarrste an der Sache, ihre Angreiferin war die große Schwester von Olivers Mörderin. Sie war wohl noch etwas gestörter im Kopf als ihre Schwester. Sie wollte nur eins, Rache an der Familie, die ihre kleine Schwester in den Knast gebracht hatte.
„Danke der Jury für Ihre Unterstützung, die Verhandlung ist geschlossen“, entließ sie der Richter.
 
„Es ist vorbei“, schloss Declan seine Freundin in den Arm, als sie den Gerichtsaal verlassen hatten.
„Ja, das ist es. Irgendwie tut sie mir auch leid, ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn Fala in den Knast gegangen wäre“, überlegte sie laut.
„Als Schwester und als deine Anwältin, kann ich nur sagen „Was?““, schloss Fala zu ihnen auf.
„Sie ist nen bisschen weich geworden, jetzt wo sie schwanger ist“, schmunzelte Declan und tätschelte Petas Drei-Monats-Bauch.
„Hey!“
„Da hat er irgendwie recht, aber mir gefällt die sanfte Peta echt gut. Schade, dass ich sie jetzt nicht mehr so häufig sehe“, erkannte Fala.
„Wir waren jetzt zwei Wochen hier, übrigens, ich bin auch hier“, konterte Peta trocken.
„Sorry, natürlich. Vielleicht kommt ihr ja mal zurück nach L.A., wenn ihr euch dort wieder sicher fühlt“, überlegte Fala laut.
„Wir haben uns ein Haus in Delta gekauft, Fala, ich werde dort mein Kind aufziehen“, bemerkte Peta.
„Ah, okay!“
„Paul und du und natürlich auch Mum haben dort aber auch immer ein zuhause, versprochen“, versicherte sie.
„Das hoff ich mal. Wollt ihr wirklich gleich losfahren?“
„Wir wollen noch vor der Dunkelheit dort ankommen. Wir rufen auch gleich an, versprochen“, drehte sie sich zu ihrer Schwester.
„Schade, aber wir sehen uns ja bald wieder. Habt ihr genug Essen eingepackt für die Reise?“, fragte sie fürsorglich.
„Es sind nur sechs Stunden und ja haben wir, außer Spot hat sich aus seinem Käfig im Kofferraum befreit und sich über unsere Sachen her gemacht. Obwohl, wir sollten noch einen langen Spaziergang mit ihm machen, bevor wir fahren, findest du nicht?“, erkannte Peta, dass ihre große Schwester sie nicht wirklich gehen lassen wollte.
„Das klingt gut, nur wir beiden?“
„Das klingt gut. Schatz, du könntest doch noch Hallo zu deinen Eltern sagen, sie wollen sicher wissen, wie das heute ausgegangen ist“, schlug sie ihrem Freund vor.
„Sie sind in Lissabon, aber ich ruf sie an um es ihnen zu erzählen!“
„Sie sind schon eine ganze Weile dort“, bemerkte sie.
„Sie werden vermutlich dort bleiben, sie haben immer noch eine Todesangst seit dem Mordanschlag“, erwiderte er.
„Wir haben auch die Stadt verlassen, kann sie verstehen. Ist es dann okay wenn er mit uns mitkommt, Fala?“
„Sicher, er ist ja auch Familie. Was haltet ihr von nem Eis? Ich könnte nach diesem Tag wirklich eins gebrauchen“, schlug sie vor und die beiden stimmten zu.
 
Spät am Abend erreichten sie endlich ihre neue, alte Heimat.
„Da seid ihr ja, wir haben uns schon Sorgen gemacht“, begrüßte Nascha ihre Nichte erfreut, als sie am nächsten Morgen bei ihren Verwandten frühstücken wollten.
„Wurde spät gestern, da wollten wir euch nicht stören. Es ist vorbei, sie sitzt jetzt ne ganze Weile im Knast“, hatte Peta gute Laune.
„Das ist toll, es hat ja lang genug gedauert bis zu ihrer Verurteilung. Aber ihr bleibt doch jetzt hier, oder?“
„Wir haben gerade die erste Rate am Haus abbezahlt, ja, wir bleiben hier“, versicherte sie.
„Das hab ich gehofft, ich wüsste nicht, was ich ohne meinen neuen Kollegen tun würde“, klopfte Nascha, Declan auf die Schulter.
„Danke nochmal, dass du mir den Job besorgt hast“, sagte er nur.
„Du bist Familie, war doch selbstverständlich, vor allem jetzt wenn du Vater wirst. Habt ihr euch schon ne Namen überlegt? Oder macht ihr das erst, wenn ihr wisst, was für ein Totem er oder sie hat?“
„Glaubst du es wird eines von uns?“
„Es wird dein Kind werden, vermutlich schon, in dem Vater des Kindes schlummert ja auch Indianer-Blut“, bemerkte Nascha.
„Äh, was?“, fragte Declan verwundert.
„Du hast es ihm nie gesagt?“, wunderte sich Nascha.
„Das war doch nur ne Ahnung, wir wissen nichts Genaueres!“
„Könnt ihr mich einweihen?“, wollte Declan wissen und Peta erzählte ihr die Story von ihrer Begegnung mit seinem Bruder.
„Interessant, dem muss ich mal nachgehen. Ich hab nur noch eine Frage an dich“, bat er.
„Sicher, frag!“
„Hast du Fotos davon, wie du mit ner Frau rumgeknutscht hast?“, frotzelte er und sie gab ihm sanft einen Klaps auf die Brust.
„Egal, ob unsereins, oder nicht, du bist mein mutiger Krieger“, kuschelte sie sich an ihn.
„Bereit?“, wollte Declan wissen, als sie ein paar Tage später in der Wüste standen und sie sich auf ihren täglichen Rundflug vorbereitete.
„Ja, das bin ich. Wartest du auf mich?“, hoffte sie.
„Ich werde immer auf dich warten“, versicherte er und sah, wie die Liebe seines Lebens ihre Schwingen ausbreitete und zu ihrem Rundflug startete.

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Tag der Veröffentlichung: 12.03.2017

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