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Erstes Kapitel


Das Queensway Krankenhaus in Ottawa wurde von warmen Sonnenstrahlen getroffen, die durch die großen Fenster fielen. Reges Treiben herrschte in dem Krankenhaus. In einem Eckzimmer schien die Sonne direkt in das Gesicht einer jungen Frau, die leblos auf einem Bett lag. Neben ihr in einem Bett lag ein junger Mann in ihrem Alter, der sie ansah. In seinen Augen zeichneten sich die Reflektionen der Sonne ab, aber er starrte durch leere Augen. Die Ruhe im Raum wurde unterbrochen, als sich die junge Frau plötzlich bewegte.
 
Sie fühlte seine Hände noch überall am Körper. Sie spürte auch noch andere Gefühle an ihrem Körper, die waren aber eher weniger schön. Sie wollte ihren schmerzenden Kopf berühren, doch ihre Hand hing irgendwie fest.
„Ich würde nicht so dran ziehen, du verblutest sonst noch“, hörte sie eine Stimme, die ganz entfernt klang.
„Was ist mit mir passiert, wo bin ich?“, fragte sie und öffnete ihre Augen. Sie sah verschwommen.
„Was mit dir passiert ist, weiß ich nicht, aber du bist in Ottawa, soweit ich das schon mitgekriegt hab. Kannst du dich auch nicht erinnern, wer du bist?“, fragte die Stimme.
„Nein, warum kann ich mich nicht an meinen Namen erinnern? Warum kann ich mich nicht bewegen?“, erwiderte sie und versuchte sich aufzusetzen.
„Wir sind am Bett fixiert, hast du immer noch nicht kapiert, dass wir in einem Krankenzimmer liegen?“, war die Stimme, die zu einem Mann zu gehören schien genervt.
„Sind wir Gefangene? Ich will doch nur wissen, was hier los ist“, war sie völlig aufgelöst.
„Ich hab keine Ahnung, ich bin auch erst seit 10 Minuten wach. Jetzt sei doch nicht so hysterisch“, grummelte er.
„Ich bin hysterisch? Warum sollte ich hysterisch sein, ich bin kein hysterischer Mensch, glaub ich. Aber ich kenn ja nicht mal meinen Namen, keine Ahnung, ob ich schnell hysterisch werde. Weißt du, wer ich bin?“, war sie jetzt völlig verwirrt.
„Nein, ich weiß auch nicht, wer ich bin. Kommst du irgendwie an dieses elektronische Dingsbums dran, mit dem man eine Schwester rufen kann?“, fragte der Mann und sie bewegte sich im Bett.
„Das Ding heißt Schwesternruf und nein“, erkannte sie und ließ sich wieder auf das Kissen fallen.
„Woher weißt du, wie das Ding heißt?“, stellte der Kerl viel zu viele Fragen für ihren pochenden Schädel.
„Das ist doch wirklich schnurzegal. Hallo, hört mich jemand, hallo?“, rief sie und die Umrisse einer Frau im weißen Kittel eilte ins Zimmer.
„Jane, meine Güte, Sie sind wach, das grenzt an ein Wunder“, erkannte eine Frauenstimme in Weiß.
„Ich wünschte, ich könnte etwas Ruhe haben, aber dieser Kerl neben mir stellt mir ständig Fragen. Oh man, tut mein Kopf weh“, erkannte sie und bekam einen grellen Lichtstrahl in die Augen.
„Oh ja, leuchten Sie mir in die Augen, davon wird es besser“, bemerkte sie sarkastisch.
„Entschuldigen Sie, ich musste nur was nachsehen. Sagen Sie mir Ihren Namen Jane?“, fragte die Frau, die wie es aussah eine Ärztin war und sie blinzelte, dass ihre Augen aufhörten zu brennen.
„Also Jane ist mein Name ganz sicher nicht“, erkannte sie selbstsicher.
„Nein, sicher nicht, wenn dann wär das ein Zufall. Wir haben sie nur Jane Doe genannt, weil wir Ihren Namen nicht kannten. Sie kamen ohne Papiere und bewusstlos hier her. Vor 14 Monaten. Sie hatten einen Riss im Schädel, mehrere Knochen in Ihrem Körper waren gebrochen, sie waren mehr tot als lebendig. Sehen Sie verschwommen?“, zog die Ärztin ihre Augen auf.
„Ja, jetzt schon, seit Sie mir in die Augen geleuchtet haben, seh’ ich gar nichts mehr. Machen Sie mich los, sofort“, bat sie.
„Natürlich, ich mach Sie los. Sie haben sich nur ständig gedreht und die Schläuche rausgerissen, deshalb mussten wir Sie fixieren. Also, wie ist Ihr Name?“, machte die Ärztin sie los.
„Hey Doc, haben Sie immer noch nicht kapiert, dass die junge Lady keine Ahnung hat, wer sie ist?“, mischte sich der junge Mann ein.
„Sie wissen nicht, wer Sie sind, oder?“, kapierte die Ärztin.
„Ja, ich hab keine Ahnung, wie er sagte. Hey, red nicht so herablassend, du bist auch nicht besser als ich“, motzte sie den Kerl an und setzte sich auf. Grinsend sah sie ihn in seinem Bett an.
„Grins nicht so blöd, mach mich los“, bat er.
„Ich bin nicht deine Frau, ich tu hier gar nichts“, nörgelte sie und die Ärztin ging zu ihm hin um ihn los zu machen. Als sie seine Hand befreien wollte, sah sie, dass er ein rotes Armband trug, was nur die Psychiatriepatienten im Krankenhaus trugen.
„Sie sind aus dem Keller aus der Psychiatrischen Abteilung. Wie kommen Sie hier hoch?“, fragte die Ärztin verwundert.
„Ich hab Amnesie Doc, keine Ahnung“, bemerkte der junge Mann und sah sein Armband an.
„Ich muss erst mal nachfragen, was Sie hier machen, dauert nur einen Moment. Ich lass die Schnalle an der Hand dran, das ist nur zu Sicherheit, ich weiß, dass sie nicht gefährlich sind im Moment, aber das kann sich schnell ändern, vielleicht spielen Sie mir auch nur den Mann mit Gedächtnisverlust vor. Ich bin sofort wieder da“, erkannte die Ärztin und verließ das Zimmer wieder.
„Hey, Doc, das können Sie nicht machen, das ist Freiheitsberaubung“, rief der junge Mann ihr hinterher.
„Könntest du aufhören, hier so rum zu schreien, Idiot? Ich mach dich los“, erwiderte sie und stand auf. Sie sackte aber vor ihrem Bett wieder zusammen.
„Alles in Ordnung?“, fragte der Mann und sie zog sich an seinem Bett hoch.
„Ein bisschen wackelig auf den Beinen, sonst ist alles klar. Hier, schon bist du frei, du bist wirklich nicht gefährlich und wenn ist mir das auch egal, ich weiß, wie du dich gerade fühlst, da ist es nicht förderlich, wenn man angebunden ist“, erkannte sie und löste die Schnalle an seinen Händen.
„Danke, entschuldige, dass ich dich so blöd angemacht hab, es ist nur so irritierend nur einen Durchzug im Kopf zu haben. Warte mal, wem sag ich das. Glaubst du, ich bin ein Junkie der sich die Birne weggekifft hat?“, fragte der junge Mann und setzte sich auf.
„Du hast keine Einstiche an den Armen, ich glaub nicht. Oh man, vielleicht hast du 12 Menschen umgebracht?“, überlegte sie laut.
„Dann wäre ich in einem Gefängniskrankenhaus, ganz sicher. Wir sind beide gleichlang im Koma gelegen, das klingt fast wie eine Episode in einer Seifenoper. Ich glaub, ich lass das mit dem Aufstehen. Manchmal hilft es ja, wenn man jemanden mit Gedächtnisverlust auf den Kopf schlägt“, bemerkte der junge Mann und sie tat es.
„Au, das war nur ein Gedanke, mach das noch Mal“, erwiderte der Kerl und bekam noch einen Schlag.
„Also bei Ihren Klamotten hätte ich Sie nicht für einen Kerl gehalten, der auf Schmerzen steht“, war die Ärztin überrascht, die zurück zu den beiden kam.
„Ich hab Klamotten, her damit, ich fühl mich sehr unwohl in diesem Nichts von Kittel“, erkannte er und streckte die Hände aus.
„Sie können hier nicht weg, Sie gehören nach unten, bis wir wissen, was Ihnen fehlt. Hey, wer hat Ihnen erlaubt, seine Schlaufen aufzumachen“, erkannte die Ärztin und drückte ihn wieder aufs Bett zurück, wo sie ihn wieder festschnallte. Danach half sie ihr wieder in ihr Bett.
„Toll, das hilft mir sicher, mich zu erinnern, wenn man mich in die Klapse steckt und mit Medikamenten vollpumpt“, erkannte der junge Mann und sie machte sein Bett los und rollte ihn nach draußen, wo er von zwei Pflegern weggerollt wurde.
„Warum tun Sie das? Er weiß doch gar nicht, wer er ist, er ist keine Gefahr“, nörgelte sie.
„Es geht auch um Ihre Sicherheit, Kleines. Wir werden ihm nichts tun. Kennen Sie ihn?“, fragte die Ärztin.
„Ich fühl mich irgendwie so, als würde ich ihn kennen, vielleicht ist das auch nur so, weil er die erste Person ist, die ich nach dem Aufwachen gesehen habe. Ich hab Probleme beim Laufen“, erkannte sie.
„Das ist normal, Sie müssen Physiotherapie kriegen, Ihre Beine müssen sich erst mal wieder an die Belastung gewöhnen. Kann ich Sie jetzt weiter untersuchen?“, fragte die Ärztin.
„Ja, hab ja sonst nichts Wichtigeres zu tun. Hab ich irgendwas dabei gehabt, dass uns sagen könnte, wer ich bin?“, fragte sie, während sie von der Ärztin untersucht wurde.
„Ihre Klamotten sind voll Blut gewesen, als Sie herkamen und wir mussten sie vollkommen zerschneiden. Aber Sie bekommen etwas zum Anziehen von uns, sobald wir Sie entlassen können. Aber erst mal müssen wir gucken, warum Sie so verschwommen sehen, ja, ich weiß, dass ist unangenehm, aber es muss sein“, erkannte die Ärztin und leuchtete noch mal in die Augen ihrer Patientin.
„Sie sind Assistenzärztin, hab ich Recht? Unsere Assistenten sind auch immer so höflich“, erklärte sie und ließ sich untersuchen.
„Sie arbeiten in einem Krankenhaus?“, fragte die Ärztin überrascht.
„Ich glaube schon, es fühlt sich vertraut an, das ist echt verwirrend, Sachen zu fühlen ohne sie einordnen zu können. Und ich bin so müde, was nach einem 14 Monate langem Koma ziemlich ironisch ist, finden Sie nicht?“, fragte sie und während die Ärztin sie weiter untersuchte, schlief sie wieder ein.

Zweites Kapitel


„Jane, hören Sie mich, ich weiß, dass Sie wach sind“, hörte sie die Stimme der Ärztin und sie drehte sich im Bett.
„Ich wusste, dass Sie das wieder machen. Genug geschlafen?“, erwiderte die Ärztin und sie öffnete die Augen. Sie sah in die Umrisse des Gesichts der Ärztin, aber immer noch verschwommen.
„Ich seh’ immer noch nichts“, erkannte sie und bekam eine Brille aufgesetzt. Jetzt konnte sie besser sehen.
„Ich bin also Brillenträgerin“, erkannte sie und die Ärztin half ihr sich aufzusetzen.
„Ja, ich hab lang genug Zeit gehabt, um das zu überlegen, aber die Idee kam mir heut Morgen“, erklärte die Ärztin.
„Was heißt lang überlegt? Ich bin doch grad erst aufgewacht“, war sie wieder verwirrt.
„Das war vor zehn Tagen, ihr Gehirn scheint noch nicht so ganz auf der Höhe zu sein, Sie haben noch sehr lange Ruhephasen. Aber wir werden versuchen das zu ändern. Als erstes müssen Sie aus diesem Bett raus, dass wir mit der Physiotherapie anfangen können“, fuhr sie ihr einen Rollstuhl vor.
„Ich kann laufen, beim letzten Mal konnte ich es auch“, war sie nicht begeistert von dem Rollstuhl.
„Geben Sie Ihrem Körper die Zeit, geben Sie mir die Kontrolle für heute. Kommen Sie“, half sie ihr aus dem Bett.
„John Doe ist inzwischen identifiziert worden und zu seinen Eltern nach Calgary gebracht worden, falls es sie interessiert. Er heißt Vitus Night, klingelt da was bei Ihnen?“, fragte die Ärztin.
„Ist ein dämlicher Name, aber nein. Ich dachte, er wäre so einer mit nem Knall, warum habt ihr ihn laufen lassen?“, bemerkte sie und setzte sich in den Rollstuhl.
„Er hat immer noch keine Erinnerung an seine Vergangenheit, deshalb haben wir ihn gehen lassen und sein Vater ist ein einflussreicher Geldgeber, mit einer kleinen Spende war auch dieses Problem zu lösen“, erklärte die Ärztin.
„Sie lassen sich also kaufen, ihr Kanadier seit auch nicht besser“, meckerte sie über die Ärztin.
„Ich wusste, dass Sie Amerikanerin sind, vermutlich aus dem Süden der USA, ich hab den Dialekt schon mal gehört. Okay, wir werden Sie jetzt noch ein Mal untersuchen, dann bekommen Sie ein paar Sachen zum Anziehen und dann können wir damit beginnen, Ihr Leben zu rekonstruieren“, erklärte die Ärztin freundlich.
„Haben Sie keine anderen Patienten?“
„Im Moment nicht!“
„Haben Sie irgendwas angestellt?“
„Ja, hab ich!“
„Darf ich Fragen was?“
„Ich hab einen Patienten auf dem Gewissen, der hat auch so viele Fragen gestellt“, witzelte die Ärztin.
„Wie ist eigentlich Ihr Name Doktor?“, wollte sie jetzt wissen.
„Dr. Tremblay, Franco-Kanadierin, ich bin nicht verheiratet, hab keine Kinder und kein Privatleben“, stellte sich die Ärztin vor.
„Ich bin Jane Doe, keine Ahnung wo ich her komme, ich weiß nicht ob ich verheiratet bin und hab’ auch kein Privatleben“, schmunzelte sie.
„Ich vermute, Sie sind im Gesundheitswesen beschäftigt. Ich werde einen Suchlauf durch die Datenbank von Krankenhausangestellten in Amerika veranlassen, dafür brauch ich noch ne Genehmigung, kann ne Weile dauern“, erklärte Dr. Tremblay und schob sie weiter.
„Danke, das ist wirklich nett von Ihnen. Wenn ich gesund bin, wo soll ich dann hin?“, fragte sie und sie gingen durch eine elektronische Tür die sich öffnete.
„Wir werden sehen, im schlimmsten Fall kommen Sie ne Weile zu mir, ich hab nen schönes Haus, ein Erbstück meiner Tante. Da findet sich sicher ein Zimmer“, schlug Dr. Tremblay vor.
„Nein, das kann ich nicht annehmen“, bemerkte sie überrascht, aber dankbar.
„Man schickt Sie sonst in die Psychiatrie, bis Sie sich erinnern können, das ist nicht angenehm, glauben Sie mir“, entgegnete Dr. Tremblay.
„Wie lang ist es her, dass Sie ihr Gedächtnis wieder bekommen haben?“, fragte sie erkennend.
„7 Jahre. Sie sind eine sehr kluge Frau, das können Sie in Ihre Liste mit aufnehmen“, erkannte Dr. Tremblay.
„Wie Sie über die Psychiatrie geredet haben, da hab ich es gefühlt“, erklärte sie.
„Ich war fast 2 Jahre dort, bis meine Tante mich da raus geholt hat. Ich war mit meinem Vater unterwegs gewesen, er ist gestorben bei diesem furchtbaren Unfall. Meine Tante und er waren Verstritten gewesen, sie hat erst 2 Jahre später davon erfahren. Sie starb letztes Jahr an Krebs, seit dem leb ich in diesem riesigen Haus ganz allein“, bemerkte Dr. Tremblay.
„Wie haben Sie Ihr Gedächtnis wieder bekommen?“, wurde sie neugierig.
„Das wollen Sie nicht wissen“, hielt sie an einem Untersuchungsraum an.
„Sonst hätte ich nicht gefragt, also?“, wurde sie neugierig. „Ich weiß es nicht, eines Tages hat es einfach Klick gemacht. So wie Sie sich erinnern, werden Sie sich bald wieder an alles erinnern, glauben Sie mir“, drückte sie die Tür auf und rollte sie hinein.
„Das hoffe ich, diese Situation beginnt nämlich sehr ihren Witz zu verlieren“, erkannte sie und setzte sich auf den Untersuchungstisch.
„Ich werde Sie nicht weiter behandeln, wenn Sie bald bei mir wohnen, das ist ein Interessenskonflikt und wär uns später ziemlich peinlich“, erklärte die Ärztin und sie legte sich auf den Tisch.
„Ich hoffe es ist nicht so ein Arzt mit kalten Händen“, schmunzelte sie und die Ärztin legte ihr ein Keilkissen in den Nacken.
„Dr. Jorgan ist eine sehr gute Ärztin, meine Mentorin übrigens. Ich werde Sie nachher wieder abholen, sie hat übrigens immer warme Hände“, entgegnete sie und verließ den Raum.
 
„Sind Sie sicher, dass Sie nichts essen wollen?“, fragte Dr. Tremblay, als sie an diesem Abend in der Küche ihres Hauses saßen.
„Ich hab Angst davor, ich könnte doch gegen irgendwas allergisch sein und einen allergischen Schock bekommen“, erklärte sie nervös.
„Hypochondrisch, schon wieder ein Punkt auf Ihrer Liste“, griff sie zum Stift und macht eine Notiz auf dem Zettel am Kühlschrank.
„Wie lang war Ihre Liste, als Sie sich erinnert hatten?“, fragte sie und die junge Ärztin zog einen Block aus einer Schublade.
„36 Seiten, Perfektionistin, war das letzte, was ich darauf schrieb. Ich hab wirklich alles aufgeschrieben. Wie Dr. Jorgan vorgeschlagen hatte. Sie wurde meine Freundin, bevor sie meine Mentorin wurde. Ich würde gern Ihre Freundin sein, wenn Ihnen das Recht ist“, schlug sie vor.
„Sie haben nicht viele Freunde, oder?“, fragte sie plötzlich.
„Nein, woher wissen Sie das?“, wunderte sich die Ärztin.
„An Ihrem Kühlschrank hängen nur Fotos von Ihren Patienten und Ihnen“, stellte sie fest.
„Es ist schwer jemanden an sich heran zu lassen, wenn man selbst noch dabei ist, sich selbst kennen zu lernen“, erklärte sie und fuhr nachdenklich über einen anderen Zettel an ihrem Kühlschrank.
„Aber irgendjemand bestimmtes würde gern in Ihr Herz, wird aber von Ihnen blockiert“, schlussfolgerte sie und Dr. Tremblay drehte sich zur ihr hin.
„Langsam sind Sie mir unheimlich, woher wissen Sie das jetzt schon wieder?“, war sie erstaunt.
„Wer auch immer dies geschrieben hat, hat es mit Liebe geschrieben“, kam sie zu ihr und zeigte auf das Papier.
„Das ist lächerlich, aber ich hab immer wenn ich eine Pizza bestelle, diesen Mann, der sie mir liefert. Dieser Zettel lag mal in einer Pizzaschachtel, ich weiß nicht, ob er von ihm ist, aber er hat ein wunderbares Gedicht geschrieben“, erklärte sie träumerisch.
„Ich hätte Hunger auf Pizza“, erkannte sie plötzlich.
„Nein, das geht doch nicht“, entschied Dr. Tremblay nervös.
„Ich will mir den Kerl ansehen und entscheiden, ob sich Ihre Mühe lohnt“, entschied sie.
„Das werden Sie schön sein lassen“, drohte die Ärztin ihrer Patientin.
„Ich werde keinen Ton sagen versprochen, nur gucken“, erklärte sie und griff zum Telefon um die Nummer zu wählen, die am Kühlschrank pinnte.
„Ja, dann bis in 30 Minuten vielen Dank“, legte sie nach ihrer Bestellung wieder auf.
„Sie haben Angst, dass mein Essen Allergien auslösen könnte, bestellen aber eine Pizza mit Anchovis und Pilzen?“, fragte die Ärztin entrüstet, als sie aufgelegt hatte.
„Ich hab eher die Befürchtung, dass ich durch Ihr Essen wieder zurück ins Krankenhaus muss, Sie können nicht kochen, oder?“, fragte sie keck.
„Ich stamme aus einer weltberühmten Familie von französischen Köchen ab, ich bin wohl in der Lage ein Spiegelei und Speck zu braten“, war sie entrüstet.
„Gut, dann los“, forderte sie ihre Gastgeberin heraus.
Dr. Tremblay ging zum Kühlschrank und schrieb wieder was auf den Zettel.
„Hey, das will ich sehen“, kam sie dazu.
„Klugscheißerin? Ist das Ihre professionelle Meinung, Frau Doktor?“, schmunzelte sie.
„An mir ist wohl das Talent des Kochens, wie es aussieht, vollkommen vorbeigerauscht. Ich kann nicht mal Wasser kochen“, gestand sie verlegen.
„Ich kann’s Ihnen beibringen, wenn Sie wollen, ich mache einen Truthahn der Sie zum Weinen bringt“, erklärte sie und ein Blitz loderte vor ihrem geistigen Auge.
„Das knallt vielleicht rein, ich muss mich setzen“, torkelte sie zur Seite und setzte sich auf den Bar-Sessel neben dem Tresen.
„Was ist mit Ihnen, Kopfschmerzen?“, fragte sie und leuchtete mit einer Minitaschenlampe in ihre Augen.
„Man, wo haben Sie das Ding jetzt schon wieder her? Sie sind ganz schön flott mit der Taschenlampe, gehört zu Ihrer Macke, oder?“, schob sie ihre Hand vor den Lichtstrahl.
„Ihre Augen reagieren sensibel auf das Licht“, stellte sie fest.
„Ich hab jetzt ein Jahr die Augen zu gehabt, sie sind etwas empfindlich, mehr nicht“, bestritt sie dass es ihr schlecht ging.
„Wie Sie meinen. Was knallt denn rein, wollen Sie mir das sagen?“, fragte Dr. Tremblay.
„So ein Blitz vor meinen Augen, ich nenn sie Erinnerungsflash, ich hab schon einige gehabt, seit ich wach bin“, erkannte sie und band ihre Haare neu zusammen, die aus ihrem Haargummi gefallen waren.
„Das ist gut, ich hab das erst kurz vor meiner Erinnerung bekommen, das zeugt davon, dass Sie sich bald wieder erinnern können“, erkannte sie.
„Das ist toll, die erste gute Nachricht die ich heut gehört hab. Mira, ich will Mira heißen, das ist Spanisch für Ziel“, erklärte sie plötzlich.
„Mira, ja das ist ein schöner Name. Juene, das ist mein Name, ich bin Juene“, erklärte Juene und gab ihr die Hand.
„35 Minuten, kriegt man hier die Pizza auch gratis nach 30 Minuten?“, fragte Mira, als sie auf dem Sofa auf die Pizza warteten, die sie bestellt hatten.
„Eigentlich schon, aber ich bezahl ihn trotzdem, gehört sich einfach so“, erklärte sie und nippte an ihrer Cola.
„Was hast du ausgeliefert?“, fragte Mira erkennend.
„Chinesisches Essen und Pizza, ich war nicht die schnellste, ich hab nicht viel verdient“, erklärte sie.
„War das davor oder danach?“, fragte Mira ausfragend.
„Danach, ich musste meine Tante ja irgendwie unterstützen. Wenn ich gewusst hätte, das ich sieben Jahre studiert hab, hätte ich das nicht getan. Aber genug Fragen über mich, ich will was über dich wissen, solang wir warten“, entschied Juene und drehte sich zu ihr.
„Du hast einen Clown gefrühstückt, wie es aussieht. Ich weiß nichts über mich, schon vergessen?“, erklärte sie.
„Erzähl mir von deinen Flashes“, erklärte sie ihre Absicht.
„Das kann ich nicht“, entschied Mira.
„Es ist alles unscharf, das hatte ich auch ständig, ist lästig, oder?“
„Oh nein, scharf ist es, sehr scharf sogar. Ein ständiger Flash sexueller Erregung. Viele Frauen würden mich dafür beneiden“, gestand Mira.
„Ich bin eine davon. Ne Ahnung was das auslöst?“, war Juene neugierig geworden.
„Ich hatte Sex mit einem Mann, denke ich, vor meinem Unfall. Das fühle ich irgendwie. Fragt sich nur, wo mein Partner steckt und warum er nicht bei mir ist“, dachte Mira laut nach.
„Vielleicht ist es Vitus? Anscheinend kennt ihr euch“, spann Juene die Idee weiter.
„Ich kenn mich zwar nicht, aber ich trau mir so viel zu, dass ich nichts mit einem Freak anfange. Wenn wir ein Paar wären, dann wäre seine Familie sicher auch zu mir gekommen, oder?“, erwiderte Mira.
„Das kennt man doch, vielleicht bist du eine lästige Geliebte und sie haben endlich einen Weg gefunden, dich los zu werden“, war Juene ganz in ihrem Element.
„Wirklich sehr erbaulich, die lästige Geliebte, warum nicht gleich die Hure mit der Geschlechtskrankheit?“, war es Mira gar nicht recht, wie sie über sie redete.
„Entschuldige, ich seh’ zu viele Krimiserien, wie es aussieht. Irgendwas ist da zwischen euch, ihr habt so vertraut miteinander gewirkt, obwohl ihr gar nicht wusstet, wer der andere ist. Irgendwas verbindet euch“, versuchte Juene es wieder gut zu machen.
„Aber seltsam ist das schon, oder? Ich werde nach Calgary reisen, ihn fragen“, überlegte Mira.
„Von wegen, du bleibst hier. Sie hätten dich besucht und aufgeklärt, wenn sie gewollt hätten, dass du es weißt“, konterte Juene ratend.
„Aber kann dann das nicht meine Genesung verhindern?“, handelte Mira.
„Netter Versuch, auf meinen Helferdrang zu appellieren, aber nein“, ließ sie sich nicht erweichen.
„Komm schon, ich tappe im Dunkeln, wortwörtlich“, erwiderte sie aber sie schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht, versteh’ das doch“, bat Juene.
„Du bist auch bezahlt worden, hab’ ich Recht?“, wurde Mira wütend.
„Nein, aber ich hab die Anweisung von oben nichts zu sagen“, druckste sie herum.
„War ja klar, das erklärt dein schuldbewusstes Auftreten, ich hab keinen Hunger mehr, wo ist mein Zimmer?“, stand sie auf.
„Komm schon, du musst was Essen“, bat Juene und stützte sie am Arm, als sie wackelig auf den Beinen war.
„Ich halt das alles nicht aus, ich weiß nicht wer ich bin, warum lügt ihr mich alle an?“, begann sie zu weinen.
„Ich lüge dich nicht an, ich darf dir nur nicht die Wahrheit sagen“, entgegnete sie mitfühlend.
„Ich hab nur mein Gedächtnis verloren, ich bin nicht vollkommen dämlich. Das ist genau das gleiche“, erwiderte sie und setzte sich wieder hin.
„Eigentlich heißt es dasselbe“, verbesserte Juene sie.
„Entschuldige“, sagte sie gleich darauf, als Mira sie böse ansah.
„Danke für die Verbesserung, Frau Doktor. Da kommt nen Wagen, dein Schatz mit der Pizza ist da“, schniefte sie und lächelte.
„Du hast nur Krokodilstränen geweint, hab ich recht?“
„Hat es funktioniert?“
„Wirklich fies, wir dürfen nicht vergessen, „womöglich Tochter des Satans“ auf der Liste zu vermerken“, erkannte sie raunzend und ging zur Tür.
Mira kniete sich aufs Sofa um aus dem Fenster gucken zu können. Es war ein Mann Mitte Dreißig, schlampiger Haarschnitt, Turnschuhe. Nicht dass was sie erwartet hatte, aber Liebe macht manchmal blind.
„Kalt ist sie auch noch, Gott sei Dank ist sie gratis“, knallte sie die Tür wieder zu.
„Ich dachte du wolltest bezahlen?“, rief Mira ihr entgegen.
„Er war auch noch unfreundlich, als wäre es meine Schuld gewesen“, erkannte Juene und kam zurück.
„Du stehst doch auf ihn, dachte ich?“, war Mira verwundert.
„Nicht den, das war nicht er“, erklärte sie und ging zum Backofen um die Pizza noch ein Mal zu erwärmen.
„Gott sei dank, ich dachte schon, hier gäbe es nur Männer zweiter Wahl“, erkannte sie plötzlich.
„Wählerisch, man die Liste wird echt voll mit negativen Sachen“, ging sie wieder an die Liste.
„Wenn diese Liste morgen weg ist, dann wunder dich bitte nicht. Man, ich merk’ grad’ was für ein Hunger ich habe. Darf ich?“, griff sie zur Pizzaschachtel.
„Du hast sie bestellt, greif’ zu“, bemerkte sie lächelnd und Mira nahm ein großes Stück.
„Man, nichts geht über Anchovis. All meine Freunde sagen, dass die eklig sind, aber ich liebe sie. Das brauchen wir wohl kaum auf die Liste setzen, oder?“, fragte sie mampfend.
„Doch, alles was deiner Heilung hilft. Und deine Freunde haben Recht, Anchovis sind eklig“, pickte sie die Anchovis aus einem Stück Pizza.
„Anchovis werden echt unterschätzt. Man, will ich jetzt wirklich eine Diskussion über Anchovis anfangen?“, fragte Mira nachdenklich.
„Dann wärst du wirklich die langweiligste Person, die ich kenne. Ich hab dir das Gästezimmer hingerichtet, ein paar Sachen von mir liegen im Schrank, sind Turnhosen und T-Shirts, die müssten dir eigentlich passen. Ich muss morgen ganz früh weg, du kannst das Telefon benutzen, aber bitte nicht ins Ausland telefonieren, ja? Ich muss jetzt wirklich ins Bett“, erkannte sie, wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und ging in ihr Schlafzimmer neben der Küche.
„Wirklich witzig, wen sollte ich bitte im Ausland anrufen?“, dachte sie vor sich hin und ging mit der Pizzaschachtel in der Hand in das Gästezimmer. Es war nicht sehr groß, es standen nur ein Schrank und ein Bett darin. Sie stellte die Pizza auf einen Tisch neben das Bett. Eine kleine Waschnische war aber auch dort. Eine ungeöffnete Zahnbürste lag auf dem Armaturenbrett, zusammen mit einer Zahncreme, die so winzig war, dass sie nur aus dem Hotel sein konnte.
Darüber ein kleiner Spiegel.
Mira sah sich im Spiegel an. Das war das erste Mal, dass sie sich in einem Spiegel sah. Sie war jung, keine Falte zierte ihr Gesicht. Sie hatte langes mittelbraunes Haar und eine Stupsnase mit Sommersprossen.
„Wer auch immer du bist, willkommen zu Hause“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und griff nach der Zahnbürste.

Drittes Kapitel


Das Wetter war trübe und es nieselte. So wie ihre Stimmung. Mit einem Kaffee in der Hand saß sie Gedanken versunken auf dem Sofa.
„Weißt du eigentlich wie sehr ich dich liebe?“, fragte eine Stimme aus dem Nichts und sie sah auf. Dort war niemand.
Sie zog das Telefonbuch, was vor ihr lag, zu sich hin.
Sie hatte die weiblichen Frauennamen angestrichen, in der Hoffnung einen bekannten Namen darin zu finden. Doch es wurde langsam dunkel und sie hatte immer noch keine Resultate. Juene war den ganzen Tag nicht zu Hause gewesen. Sie fühlte sich in diesem Moment sehr allein.
Sie stand aus dem Schneidersitz auf, in dem sie gesessen hatte. Ihre Beine gaben nach und sie fiel zur Seite. In dem Moment kam Juene nach Hause.
„Mira, bist du zu Hause?“, rief sie und legte den Schlüssel in eine Schale an der Tür.
„Hier unten“, rief sie.
„Hi, was machst du da?“, fragte Juene amüsiert.
„Yoga, das ist der umgefallene Schwan. Meine Beine haben nachgegeben“, versuchte sie sich aufzurappeln.
„Komm, ich helf dir hoch. Ich wusste doch, das ich dich bei der Physiotherapeutin anmelden hätte sollen. Ich werde gleich morgen anrufen und jemand herholen. Wir haben jede Menge knackiger Therapeuten im Krankenhaus, ich werde dir einen ganz schnuckeligen aussuchen, der dir die Zeit versüßt. Hast du dir wehgetan?“, fragte sie und tastete ihre Beine ab.
„Nein, geht schon. Mir geht’s gut, ich hatte meine Beine nur lang eingeklemmt. Ich brauch keine Gymnastik, in ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen und hier weg“, erkannte Mira und sah nachdenklich wieder aus dem Fenster.
„Wo willst du denn hin? Da draußen ist doch nichts für dich“, erkannte Juene und Mira sah sie wieder an.
„Danke, ich hab die ganzen Tag überlegt, warum ich so mies drauf bin, jetzt weiß ich es“, erklärte sie trocken und zog ihr Telefonbuch wieder auf den Schoß.
„Hast du was gegessen?“, fragte Juene um vom Thema abzulenken.
„Ich hab die Pizza aufgegessen, ich wusste nicht, was ich alles essen darf“, entgegnete sie und steckte die Nase wieder ins Telefonbuch.
„Du isst kalte Pizza? Armes Ding. Du kannst natürlich alles Essen, was hier ist, ich hab auch noch mal was eingekauft. Ich hab dir auch ein paar Klamotten und eine Handtasche gekauft, dass du wenigstens etwas bei dir hast, was dir gehört. Und ja, da drin hab ich auch deine provisorischen Papiere, ein Ausweis hab ich dir machen lassen, du heißt jetzt Mira Dawson, klingt das gut?“, fragte Juene und stellte eine Tüte neben sie.
„Ich bin glücklich, das du da bist, es tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe, es ist nur so verwirrend, einen Durchzug im Kopf zu haben“, nahm sie die Tasche zu sich aufs Sofa.
„Oh ja, sehr verwirrend. Willst du nicht wissen, wie ich auf den Namen Dawson gekommen bin?“, fragte sie und setzte sich neben sie.
„Ich weiß schon, wie du drauf gekommen bist. Ich hab deine DVD-Sammlung durchstöbert, da ist aber einer ein großer Leonardo Dicaprio Fan. Jack Dawson Titanic, ist schon klar. Ich mag den Namen, ist besser als gar keinen zu haben“, bemerkte sie und packte die Tasche aus.
„Das mein ich auch. Ich hab auf dem Rückweg hier her auch noch überlegt, dass wir dein Bild ins Internet stellen sollten, so eine Art „Wer kennt mich“ Suchaktion. Das könnte vielleicht effektiver sein, als diese Datenbanksuche“, schlug Juene vor.
„Ich war ein Jahr im Koma und keiner kam mich besuchen, für wie effektiv hältst du das?“, wurde sie leicht wütend.
„Deine Familie ist vielleicht nicht besorgt um dich, aber vielleicht gibt es eine Freundin, einen Taxifahrer oder sonst jemand, der dich wieder erkennt. Ein Versuch ist es wert. Wir finden schon jemanden, zu dem du gehörst, bei mir hat es auch lang gedauert, aber es hat sich gelohnt. Probier die Sachen mal an, ich werde was kochen. Mal was für die gute Seite auf der Liste, „hat gute Manieren“. Warte mal, wo ist die Liste?“, fragte sie, als sie an den leeren Kühlschrank kam.
„Entschuldige, ich hab sie hier, ich hab sie als Utensil gebraucht. Ich hab dein Telefonbuch vollgekritzelt, tut mir Leid“, zog sie das Telefonbuch mit einer Hand hoch und drehte es um.
„Du hast die Telefonbuchtechnik angewandt, hab ich die dir gezeigt?“, war Juene verwundert.
„Das ist ne Technik? Mir war nur stinklangweilig und da ist mir das Telefonbuch in die Hand gefallen. Ich muss echt einen ausgefallenen Namen haben, bei mir klingelt bei den Namen überhaupt nichts“, erwiderte sie und zog das Telefonbuch wieder an sich.
„Das ist wirklich seltsam, das hilft sonst in den meisten Fällen seinen Namen raus zu finden. Aber Mira ist fürs Erste auch kein schlechter Name. Ich hab ne bessere Idee als ein Bild. Ein Webcam-Video und wir stellen es bei TúPipe rein“, überlegte sie laut und öffnete den Kühlschrank.
„Was zum Henker ist jetzt schon wieder TúPipe? Die erfinden jetzt wohl jeden Tag im Internet was Neues“, erkannte Mira.
„Du kennst TúPipe nicht? Ach richtig, Koma, das kam letztes Jahr auf, das ist eine Internetplattform, auf der man selbst gemachte Videos selbst online stellen kann. So was für Freunde von Amerikas lustigsten Heimvideos. Aber wir können auch nur ein Bild machen, wenn dir das lieber ist“, erkannte sie lächelnd.
„Mal sehen, ich werde die Sachen erst mal anprobieren. Hast du einen großen Spiegel irgendwo? Ich würde mich gern mal ganz sehen“, bat sie.
„Sicher, geh’ in mein Schlafzimmer, da hab ich einen Spiegel bis zum Boden. Was willst du denn Essen?“, fragte sie und zog ein paar Sachen aus dem Kühlschrank.
„Alles was besser ist, als kalte Pizza, ist gut. Kann ich was von deinem Make-up benutzen? Ich fühl mich so krank wenn ich so blass bin“, wollte sie wissen.
„Hab ich schon dran gedacht, da ist Eyeliner und Lippenstift in der Tüte für dich. Und noch andere Frauensachen wo es peinlich ist, jemand Fremden danach zu fragen. Ich kann dir wirklich noch viel zeigen“, erklärte sie und lächelnd ging Mira in das Schlafzimmer ihrer Helferin.
 
„Gutes Augenmaß, passen gut die Sachen. Also, was gibt es zum Abendessen?“, kam sie etwas vergnügter wieder aus dem Zimmer, geschminkt und mit ihren neuen Klamotten an.
„Stehen dir auch gut. Ich versuche es mit Toast und Eiern“, erkannte sie und griff zur Bratpfanne.
„Ich weiß, das kommt etwas kurzfristig, aber ich habe jemanden heute Abend eingeladen“, gestand Juene, als sie das halb verbrannte Abendessen mit Ketschup würzte.
„Du hast also jemanden, dann ist das mit dem Pizzaboy wohl nur so ein kleiner Flirt?“, schob sie ihren verkohlten Brei mit Ketschup zur Seite.
„Der Mann ist nicht für mich, er kommt wegen dir“, erwiderte sie und schob ihren Teller auch weg.
„So notgeil bin ich jetzt auch wieder nicht, dass du mir einen Callboy bestellen musst“, schmunzelte sie und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas um den verbrannten Geschmack aus dem Mund zu bekommen.
„Sonst noch Wünsche? Er ist Hypnotiseur, er wird dir ein bisschen dein Gehirn durchpusten“, konterte sie und griff zum Telefon.
„Ist dort das Thai Plate? Zwei Mal die 53 und an eins davon wenig Gewürz. Khop khun“, bestellte sie thailändisches Essen und legte wieder auf.
„Nein!“
„Magst du kein thailändisch?“
„Keine Ahnung, ich sollte es probieren. Aber ich lass mich nicht hypnotisieren. Das kannst du vergessen“, stand sie auf.
„Willst du nicht wissen, wer du bist? Thatch ist der beste Hypnotiseur in der Stadt und er könnte auch glatt als Callboy durchgehen. Versuchen wir es, wenn es nicht funktioniert, hatten wir ein paar Stunden nette Gesellschaft“, versuchte Juene sie zu überzeugen.
„Ich hoffe wenigstens, dass das thailändische Essen gut ist. Du sprichst also Thai?“, fragte Mira neugierig.
„Ich rede mit Pravat öfters als mit sonst jemandem, traurig aber wahr. Da schnappt man einiges auf. Ach, ich hab die Frühlingsrollen ganz vergessen, willst du auch welche?“, fragte Juene und griff wieder zum Telefon.
„Lieber nicht. Sieht er wirklich so gut aus?“, fragte Mira und Juene legte ihr eine Zeitschrift hin, während sie wieder den Thailänder anrief.
„Der Kerl auf dem Cover! Wenn er nicht jede Sprechstundenhilfe dieser Stadt vögeln würde, würde er mir echt gefallen“, erkannte sie und tippte mit ihrer freien Hand auf das Cover.
„Für mich wäre er nichts, zu altglatt, ich hab gern kernige Typen“, betrachtete Mira das Bild.
„Du musst ja nicht mit ihm in die Kiste steigen, leg dich nur mal hin, er müsste gleich kommen. Das war jetzt echt die falsche Wortwahl“, bemerkte sie und grinste.
„Das würde meinem Ehemann wohl nicht gefallen“, erkannte sie und legte sich aufs Sofa.
„Du bist verheiratet?“, bekam Juene große Ohren.
„Bin ich wohl. Ist mir heut aufgefallen, ich hab einen Sonnenring am linken Ringfinger, da war mal ein Ring“, fuhr sie im Liegen über ihren Finger.
„Du hast es nicht auf der Liste vermerkt“, ging sie mit den Tellern in der Hand zum Müllschlucker.
„Ich war nicht sicher bis ich es ausgesprochen habe. Aber vielleicht hab ich auch einen Freundschaftsring dort getragen, ein Erbstück vielleicht? Warten wir noch, bis wir es drauf schreiben“, entschied Mira und Juene versenkte das Essen im Müllschlucker.
„Ja, kann schon sein. Wir könnten es aber in dem Video erwähnen. Weg damit“, machte sie den Müllschlucker an und kippte das Essen hinein.
„Wir können es ja mal mit dem Hypnoseheini versuchen“, gab Mira nach und begann den Artikel zu lesen.
„Gut, er kommt eh’ hier her. Man, wir müssen die Fenster aufmachen, es stinkt vielleicht hier drin“, öffnete sie ein Fenster.
„Oh ja, ganz schön. Aber wenn er mich anpackt, dann brechen wir das ab“, erkannte Mira und stellte den Ketschup weg.
„Warum sollte er dich anpacken, wie kommst du darauf?“, fragte Juene verwundert und setzte sich neben sie.
„Keine Ahnung, so ein Gefühl, vielleicht hab ich schlechte Erfahrungen damit gemacht. Vielleicht kann der Hypnoseheini das herausfinden. Man, man sollte dich wirklich nicht kochen lassen, hast du mal an einen Kochkurs gedacht?“, fragte Mira neckisch und grinste.
„Du bist witzig, ich bin Assistenzärztin, ich hab 24 Stunden Schichten, wenn der Kochkurs nicht in meiner Küche stattfindet, hab ich wohl kaum Zeit, da hin zu gehen“, bemerkte Juene etwas gekränkt.
„Ich werde einen besuchen gehen und dann für dich kochen, ich hab ja eh’ nichts zu tun“, schlug Mira vor.
„Das musst du nicht für mich machen“, entgegnete Juene freundlich.
„Ich mach es für mich, du profitierst nur davon. Und wenn ich viel mache, werde ich vielleicht merken, was meine Talente sind und wer ich eigentlich bin. Es ist so entmutigend, nicht zu wissen, was man schon gesehen hat, was man kann, was man nicht kann und wen man liebt oder hasst. Mich könnte einfach mein größter Feind abholen, wenn er sich als mein Mann ausgeben würde“, dachte Mira laut nach.
„Okay, das mit dem Video können wir auch erst mal lassen. Ist wirklich nicht die beste Idee. Man, wo steckt er denn?“, ging Juene nervös zur Tür um zu sehen ob ihr Bekannter langsam kam.
„Und schon wieder hab ich das Gefühl, du verschweigst mir was. Hab ich Feinde?“, fragte Mira und sie drehte sich ruckartig zu ihr.
„Ich weiß es nicht, keine Ahnung“, bemerkte sie nervös.
„Du hast doch gesagt, du belügst mich nicht. Ich hab nicht das Gefühl“, grummelte Mira unschlüssig.
„Vertrau mir einfach, bitte. Ich werde dir alles erklären, wenn die Zeit reif dafür ist. Ich bin deine Ärztin und werde für deine Gesundheit sorgen, um mehr musst du dir keine Gedanken machen. Wie geht’s dir eigentlich, ist dir noch schwindelig?“, fragte Juene und ging auf sie zu.
„Weißt du, wie lächerlich es ist jemandem mit einem verloren Gedächtnis die Details seines Lebens zu verschweigen? Hab ich jemanden verloren? Meinen Ehemann vielleicht? Soll ich irgendwas nicht wissen? Komm schon, ich verkrafte das“, bat sie fast flehend.
„Du sollst das selbst herausfinden, deshalb lass ich ihn kommen. Es ist besser, wenn du es selbst herausfindest, das ist weniger aufreibend“, versuchte Juene zu erklären.
„Deine Bosse können dir auch nicht gegen den Karren fahren, wenn du das so machst. Du willst mir helfen, aber dein Gesicht wahren. Wirklich sehr mutig, echt“, war Mira nicht begeistert über ihre Aussage.
„Es tut mir wirklich ehrlich leid, aber ich kann dir nichts sagen. Aber du kannst mir wirklich vertrauen, ehrlich“, verteidigte sich Juene.
„Das sagst du so einfach, Vertrauen basiert auf Ehrlichkeit. Wie kann ich dir vertrauen, wenn du nicht ehrlich bist?“, war sie verwirrt.
In dem Moment klingelte es an der Tür.
„Lass dir von ihm helfen, dann verstehst du, warum ich das getan habe“, bat Juene und ging zu Tür.
„Thatch, da sind Sie ja endlich, danke, dass Sie so kurzfristig Zeit hatten. Kommen Sie rein“, bat Juene ihren Gast hinein.
„Immer wieder gern. Sie müssen die junge Dame mit dem Durchzug im Kopf sein“, kam Thatch zu Mira und gab ihr die Hand.
„Mira Dawson, freut mich“, erkannte sie etwas verwirrt.
„Sie wissen, wie Sie heißen?“
„Nein, das ist nur ein Name, den ich zusammen mit ihr ausgesucht habe, jeder sollte doch einen Namen haben, oder?“, erkannte Juene.
„Richtig, aber es ist besser, wenn Sie sich nicht so auf diesen Namen versteifen, es ist einfacher Ihren richtigen Namen zu erforschen, wenn nicht dieser falsche Name im Weg ist. Also heute Abend sind Sie nicht Jane Doe und auch nicht Mira Dawson, Sie müssen frei sein für jeden Namen, den wir herausfinden“, bat Thatch und führte sie ins Wohnzimmer.
„Sollten wir nicht vorher etwas Essen, bevor wir uns solch tiefgründigen Fragen widmen?“, fragte Mira etwas überrumpelt.
„Die Lieferung wird sicher noch etwas dauern. Lassen Sie uns beginnen“, bemerkte Thatch und zog einen Pendel aus seiner Tasche.
„Sie verwenden einen Pendel, man, das ist ganz schön altbacken“, erkannte Juene etwas schadenfroh.
„Man sollte in dieser modernen Zeit mehr auf die alten Traditionen vertrauen. Mein Urgroßvater hat mir dieses Pendel über Generationen vererbt und er hilft immer“, bemerkte der gut aussehende aber langsam älter werdende Herr und bat Mira sich aufs Sofa zu legen.
„Jetzt schließen Sie die Augen und hören nur auf meine Stimme. Nicht auf Juenes Stimme, nicht auf das Ticken der Uhr, nicht auf den Straßenlärm. Wenn Sie soweit sind, öffnen sie die Augen“, erklärte Thatch, wie er vorgehen wollte und sie tat es.
„Okay, einfach nur auf meine Stimme konzentrieren, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig und schlafen“, schnippte er mit dem Finger und Mira war in Hypnose.
„Fangen wir an, wie ist Ihr Name?“, fragte Thatch seine Standardfrage um sie einzustimmen und tat das Pendel weg.
„Der Name beginnt mit einem D“, murmelte sie benommen.
„Okay, ich hab ja nicht erwartet, dass Sie mir gleich Ihre Lebensgeschichte erzählen, also D ist ein guter Anfang, heißen Sie Doloris, nein so heißen Frauen im Alter meiner Mutter, Doris, oh nein, eine Freundin meiner Großmutter heißt so, Dana, Dawn, Danera?“, begann Thatch wild ihr Namen zu nennen.
„Mein Name ist Doris, Doris Day“, bemerkte Mira und plötzlich grinste sie.
„Kleines, das ist nicht witzig, mir vorzuspielen, Sie wären schon in Hypnose, wenn Sie es nicht sind“, erkannte Thatch und holte das Pendel wieder vor.
„Wie wollen Sie jemanden mit leerem Hirn hypnotisieren, sagen Sie mir das?“, setzte sich Mira wieder auf.
„Ich hatte vor kurzem Paris Hilton bei mir, das geht schon“, entgegnete er scherzend und bat sie sich wieder hin zu legen.
„Okay, Juene wären Sie so lieb den Raum zu verlassen und das Licht zu löschen, dann können wir vielleicht mehr erreichen“, bat Thatch und Juene stand auf, aber Mira hielt ihren Arm fest.
„Bleib hier, bitte“, bat Mira nervös.
„Ich bin gleich um die Ecke und Thatch wird dir nichts tun, dafür ist ihm sein Ruf viel zu schade“, versicherte Juene und Mira ließ sie wieder los und löschte das Licht.
„Okay, versuchen wir es noch ein Mal, sehen Sie auf den Pendel“, erwiderte Thatch und begann noch ein Mal.
„Ich sehe das Pendel nicht, Sie Witzbold“, war Mira nicht in Stimmung für Hypnose.
„Dann hören Sie nur auf meine Stimme“, erwiderte er und machte unbeirrt weiter.
Es vergingen 20 Minuten, aber dann hatte er seine hartnäckige Patientin endlich in der gewünschten Hypnose.
„Okay, fangen wir nicht gerade mit dem Namen an, beschreiben Sie mir die letzten Gefühle, die sie hatten, vor dem Unfall“, begann er und sie begann heftig zu atmen.
„Was ist mit ihr, sie kriegt keine Luft“, kam Juene wieder rein und wollte sie untersuchen.
„Sie kriegt schon Luft, aber sie kriegt auch einen Orgasmus“, schlussfolgerte Thatch amüsiert.
„Was hast du gemacht? Du Ferkel“, war Juene entrüstet.
„Gar nichts, sie sollte sich zurückversetzen zu den letzten großen Gefühlen vor dem Unfall“, bemerkte Thatch und kam zu Mira hin.
„Okay, hören Sie mich, gehen Sie weiter zurück, was waren die letzten schlechten Gefühle, die Sie hatten“, begann Thatch sie umzulenken.
„Ich bin traurig, sie akzeptieren mich nicht, sie werden mich nie akzeptieren, weil ich anders bin“, murmelte sie in Hypnose.
„Wer wird Sie nicht akzeptieren, können Sie mir das sagen?“, fragte Thatch mit ruhiger Stimme.
„Seine Eltern, sie sind so elitär, so versnoppt, sie sind geboren mit einem Stock im Arsch und werden auch so sterben“, erkannte sie und begann zu weinen.
„Sie spricht von ihnen, sie weiß also noch, was passiert ist, wir sollten abbrechen, bevor sie wirklich dahinter kommt“, flüsterte Juene, Thatch ins Ohr.
„Ich dachte, dafür hast du mich extra aus meinem Urlaub in den Rockys kommen lassen“, zischte Thatch ihr entgegen.
„Du solltest testen, wie weit sie es weiß. Sie hat alles in ihrem Unterbewusstsein begraben, es könnte zum Vorschein kommen, das müssen wir verhindern“, entgegnete sie und Thatch brachte Mira wieder zurück.
„Okay, wie fühlen Sie sich?“, half Thatch ihr aufzusitzen.
„Gerädert, ich hab geweint“, stellte sie fest und wischte die Tränen aus ihrem Gesicht.
„Und sonst, erinnern Sie sich an was?“, fragte Thatch vorsichtig.
„Nein, leider nicht, hab ich was gesagt?“, fragte sie durcheinander.
„Nein, leider nicht, Sie haben nur geweint, mehr nicht. Das nimmt Sie mehr mit, als ich dachte, wir sollten ein anderes Mal weiter machen. Sollen wir essen?“, fragte Thatch und half ihr auf.
„Ja, vielleicht“, erwiderte Mira benommen und ließ sich in die Küche auf einen Stuhl führen.
„Du hast Sympathie für diese Frau entwickelt, das wird ihnen gar nicht gefallen“, erkannte Thatch, als sie ihr den Rücken zugedreht die Tüten mit den Essensachen öffneten.
„Sie bezahlen mich nicht, dass sie immer mit mir zufrieden sind. Ich bin Ärztin und soweit ich mich erinnere du auch, wir haben einen Eid abgelegt, jeden Menschen zu helfen, der in Not ist und sie ist es“, bemerkte Juene und winkte zu Mira, die weiter weg auf dem Stuhl saß und immer noch abwesend schien.
Die arme Frau hat keine Ahnung wer sie ist, wir könnten ihr wie du siehst schnell dabei helfen, das zu ändern, du wolltest das doch abbrechen“, entschied Thatch.
„Thatch, es ist deine Entscheidung, du bist der mit der psychologischen Ausbildung, sieht sie für dich so aus, als könnte sie das jetzt schon aushalten?“, diskutierte Juene mit ihrem Kollegen und der sah auch zu ihr. Es schien fast, als wäre sie wieder in Hypnose.
„Hast du sie eigentlich richtig aus der Hypnose geholt, sie sieht aus wie ein Zombie“, kritisierte Juene ihn und drehte sich wieder um, um das Essen auf Teller zu tun.
„Ich hab vorhin, als du an der Tür warst sie wieder in leichte Hypnose versetzt, das wir uns unterhalten können“, erkannte er und nahm die Teller um an den Tisch zu gehen.
„21, 22, 23“, bemerkte er und schnippte vor Miras Gesicht.
„Entschuldigen Sie, ich bin wohl etwas weg getreten gewesen. Man, das sieht toll aus, wo ist das wenig gewürzte für mich?“, wurde Mira wieder wach und ihr wurde das Essen gereicht.
Als Mira auf dem Sofa im Flur eingeschlafen war, gingen die beiden noch ein Mal vor die Tür.
„Es tut mir leid, dass ich dich extra kommen lassen habe, ich danke dir, für den Test. Ich weiß, ich sollte mich nicht so sehr da rein knien, aber sie erinnert mich so sehr an mich selbst, als ich in ihrer Lage war. Aber dafür haben sie mich ja ausgesucht, ich kann ihre Stimmungen besser einschätzen. Warst du bei dem Jungen, wie geht es ihm?“, fragte Juene nach Vitus.
„Der arme Kerl, ihm wird eine Lebensweise aufgedrängt, die er vor seinem Unfall nicht akzeptiert hätte. Aber sie bezahlen uns nur dafür, dass wir ihnen helfen, ohne sie mit der Nase drauf zu stoßen. Ich hab meine Gefühle unter Kontrolle, du musst das auch lernen. Halt sie hin, hilf ihr, sich zu Recht zu finden, bring sie dazu ein neues Leben anzufangen. Aber erwähne nie die Nights, vor allem nicht Vitus. Sie haben noch genug Erinnerungen aneinander dass sie bei einem weiteren Zusammentreffen alles raus finden würden. Das darf nicht passieren. Ich weiß, dass ist unfair ihnen gegenüber, aber es ist richtig so“, bat Thatch und ging die Treppenstufen herunter.

Viertes Kapitel


„Es ist ganz lieb von dir gewesen, dass du ihn her geholt hast, aber meine Erinnerungen sind wohl für immer weg. Ich muss mich wohl damit abfinden. Gibst du mir mal die Milch?“, bemerkte Mira, als die beiden Frauen am Frühstückstisch saßen. Juene war so in Gedanken, dass sie das gar nicht merkte.
„Redest du nicht mehr mit mir?“, fragte Mira verwundert und nahm sich die Milch selbst.
„Entschuldige, ich war in Gedanken, was wolltest du?“, fragte sie und sah sie an.
„Nur die Milch, hat sich erledigt. War nett der Kerl gestern, ich hab ihn mir egozentrischer vorgestellt“, erkannte Mira und schenkte sich Milch ein.
„Ja, er hat auch nette Tage. Es tut mir leid, dass wir gestern nichts erreicht haben“, entschuldigte sie sich und sie meinte es ehrlich.
„Ist schon okay. Wann hast du mit ihm geschlafen?“, fragte sie neugierig.
„Wie kommst du denn jetzt d drauf?“, fragte Juene nervös.
„Ich bin ohne Erinnerung, aber nicht blind. Ich merk so was gleich. Also wann?“, fragte Mira rechthaberisch.
„Das ist schon ewig her, man, du hast ein gutes Auge, er hat das gleiche versucht, als ich in deiner Situation war, wir hatten uns damals verliebt. Aber es hätte nicht sein sollen. Wir sind Freunde geblieben. Man, das hab ich noch niemanden erzählt. Kannst du mir nicht vertrauen?“, fragte Juene hoffend.
„Tut mir leid, ich war gestern etwas durcheinander, ich vertrau dir. Du hast mir so geholfen. Was für ein Stil hatten denn meine Klamotten, bin ich so rum gelaufen, wie jetzt oder weiblicher?“, wollte Mira plötzlich wissen.
„Wir haben da nicht so arg drauf geachtet, ich glaub, du hast ne Jeans angehabt. Also so wie jetzt. Was willst du heut machen?“, waren diese Fragen nicht angenehm für Juene. Mira merkte das sofort.
„Ich dachte, ich versuche es mit Mikrobiologie und dann werde ich am offenen Herzen operieren“, bemerkte sie sarkastisch.
„Was ist mit deiner guten Laune von gestern passiert, du wolltest doch kochen lernen?“, verstand Juene ihre Laune nicht.
„Da hatte ich noch Hoffnung auf Heilung, aber seit gestern denke ich, dass das gar nichts mehr wird“, konterte sie unwirsch.
„Mira, es sind erst ein paar Tage, ich hab ewig darauf warten müssen, das wird bei dir auch funktionieren eines Tages“, erkannte Juene aufbauend.
„Ich hab ständig diese wilden Träume, vor allem letzte Nacht, so viele Gedanken wollen in meinem Kopf einen Platz finden, doch keins davon kann ich in den Tag mitnehmen. Das ist so frustrierend“, erwiderte Mira.
„Erzähl mir von dem Träumen, vielleicht kann ich dir helfen, sie zu deuten, das hab ich bei mir auch ständig versucht“, bat Juene ihre Hilfe an, obwohl sie fürchtete, dass sich die Gedanken, die ihr verschlossen bleiben sollten, ans Tageslicht kämen.
„Hast du mir grad, nicht zugehört, ich hab gesagt, ich weiß nichts mehr am nächsten Morgen davon. Es sind nur Gefühle, die mir bleiben, so wie auch in der Hypnose. Erregung, Trauer, Freude, alles zusammen“, erwiderte Mira und legte den Kopf auf den Tisch.
„Du weißt also noch, dass du gestern erregt warst?“, fragte Mira erstaunt.
„Ja, der Doc hat mich ja gebeten, an mein letztes Gefühl zurück zu gehen. Das war mein Sexerlebnis mit einem Mann, den ich nicht kenne, was bei der Tatsache, dass ich mich selbst nicht kenne nicht so schlampig klingen sollte, als es klingt. Das war echt peinlich, vor allem bei so einem heißen Kerl, ich meine den Doc jetzt. Was ist eigentlich bei euch passiert? Ich meine so einen Prachtmann verlässt man doch nicht so einfach“, erkannte Mira und sah auf.
„Seine Sekretärin ist passiert, zumindest war sie älter und nicht jünger als ich“, erklärte Juene gelassen.
„Männer sind so berechenbar, mein Ex-Freund hat mich mit einer Cheerleaderin betrogen. Ich war Maskottchen im Team, er Footballer. Klischeehafter kannst doch nicht sein, oder?“, fragte sie schmunzelnd.
„Du warst Maskottchen, fällt dir noch ein welches Team, oder welche Figur du verkörpert hast?“, fragte Juene helfend.
„Nein, ich weiß … man ich hasse wenn das passiert, ich weiß was und eine Sekunde später weiß ich es nicht mehr. Das ist doch nicht normal“, brummelte Mira verwirrt.
„Das kann an den Hirnschäden liegen, die du immer noch hast. Es kann sein, dass dein Kurzzeitgedächtnis auch noch was abbekommen hat“, erkannte Juene und sah in Miras Augen.
„Na wunderbar, ich weiß nicht mehr was früher war und jetzt vergesse ich auch noch das aktuelle, steckt mich doch gleich in einen Sarg“, erwiderte sie melodramatisch.
„Geh’ nicht vom schlimmsten aus, wir sollten dich aber noch ein Mal untersuchen lassen, um dem vorzubeugen“, entgegnete Juene und stand auf.
„Musst du nicht zur Arbeit?“, war das Mira nicht so recht, wieder ins Krankenhaus zu gehen.
„Ja, ich bin übrigens schon spät dran. Also kommst du mit?“, fragte Juene und nahm ihre Jacke.
„Hab ja sonst nichts zu tun“, erkannte Mira lustlos und nahm auch ihre Jacke.
„Du bist ja wirklich der Sonnenschein schlechthin, heute Morgen. Okay, ein kleiner Test vorab. Ich nenne dir jetzt drei Wörter und du wiederholst sie wenn wir im Krankenhaus angekommen sind“, bemerkte Juene und ging zur Tür.
„Was soll das sein, ein Spiel?“, fragte Mira misstrauisch.
„Ja, so in etwa. Also Regenwurm, Spiegel, Toast, hast du dir das gemerkt?“, fragte Juene und ging aus der Tür.
„Ja, ich hab mir diesen Blödsinn gemerkt“, ging sie zum Auto.
„Das ist kein Blödsinn, das tun wir immer, wenn wir Menschen auf Gehirnschäden testen. Wiederhol die Worte jetzt noch ein Mal“, bat Juene.
„Regenwurm, Spiegel, Toast“, wiederholte sie brav.
„Gut, merk dir die Worte, auch wenn sie Blödsinn sind“, stieg sie in den Wagen und Mira folgte ihr.
 
„Dr. Tremblay, Sie sind spät, schon wieder. Was machen Sie denn mit Jane Doe?“, fragte ihre Chefin, als Juene an ihren Arbeitsplatz eilte.
„Sie wohnt solange bei mir, bis sie sich neu eingelebt hat. Es tut mir leid, dass ich spät bin, Mira hatte ein kleines Problem, ich hab sie mitgebracht“, erklärte Juene und Mira setzte sich auf einen Untersuchungstisch.
„Wer zum Henker ist Mira?“, fragte die Oberärztin.
„Im Moment heiß ich so, ich wollt nen Namen haben. Ich hab Probleme mit dem Gedächtnis, mit dem Kurzzeitgedächtnis diesmal“, erklärte Mira.
„Ja, ist ein schöner Name. Also wie äußert sich das?“, erwiderte die Oberärztin und stellte sich vor Mira.
„Na ja, ich fang einen Satz an und weiß dann nicht mehr, was ich sagen wollte“, erklärte Mira.
„Das passiert mir auch ständig, das muss nichts heißen“, erwiderte die Oberärztin und leuchtete auch in Miras Augen.
„Man, warum müsst ihr Quacksalber das immer machen, ich werde noch blind von dem Mist“, grummelte Mira und blinzelte, weil ihren Augen brannten.
„Entschuldigen Sie, ich wollte nur gucken, wie Ihre Pupillen reagieren. Scheint alles normal zu sein“, erwiderte die Ärztin.
„Sag mir die drei Worte“, bat Juene, Mira.
„Regenwurm, Spiegel, Toast“, bemerkte Mira und drückte ihre Augen zusammen.
„Gut, dein Gehirn läuft noch rund. Hast du Kopfschmerzen, ist dir schlecht?“, fragte Juene.
„Nein, alles bestens. Bin noch etwas wackelig auf den Beinen, könnte vielleicht etwas Physiotherapie gebrauchen, bevorzugt bei einem heißen Surfertyp mit starken Armen“, erwiderte Mira cool und wackelte mit ihren Beinen.
„Das seh’ ich, sonst noch Wünsche? Wie ich sehe, sind Sie außer ihrer Amnesie kerngesund. Wenn es mit den Ausfällen schlimmer wird, können Sie noch Mal vorbeikommen, bis dahin erholen Sie sich“, erwiderte die Oberärztin lächelnd.
„War nen Versuch wert. Also, dann geh’ ich mal wieder und lass euch beide Doktor spielen“, erkannte sie und sprang vom Untersuchungstisch. Aber sie landete ganz unsanft auf den Knien.
„Vielleicht ist Physiotherapie gar keine so schlechte Idee. Ich werde jemanden für Sie besorgen und Sie Dr. Tremblay ab zur Arbeit“, entschied die Oberärztin und half Mira auf, während Juene zur Arbeit in der Chirurgie trottete, in der sie gerade eingeteilt war.
„Krieg ich dann einen Surfer?“, fragte Mira hoffend und die Oberärztin zog sie auf den Untersuchungstisch zurück.
„Ich werde jemanden zu Ihnen schicken, der das Meer schon mal gesehen hat, wie klingt das?“, bemerkte sie.
„Na, wunderbar, das klingt wie ein fauler Kompromiss, zumindest sollte er Muskeln haben, ginge das“, erwiderte Mira und legte sich längs auf den Untersuchungstisch.
„Ich sehe zu, was sich machen lässt. Sie wohnen also jetzt bei Dr. Tremblay, eine Katze ist ihr wohl zu schweigsam“, bemerkte die Oberärztin laut nachdenkend.
„Ich erinnere sie wohl sehr an sich selbst, als sie in meiner Lage war, was weiß ich. Aber irgendwas verschweigt sie, das fühle ich. Irgendwas Wichtiges“, erkannte Mira nachdenklich.
„Das Gefühl ist nicht ungewöhnlich, Ihr Gehirn sucht verzweifelt nach Fakten, da kann es Ihnen schon vorkommen, überall um Sie währen Geheimnisse. Aber ich verspreche Ihnen, keiner verschweigt Ihnen was“, versprach sie und untersuchte ihre Beine.
„Sie also auch, war mir ja irgendwie klar. Ich bin nur etwas schwach auf den Beinen, sonst nichts“, setzte sie sich auf.
„Das ist ja fast ein Ansatz von Paranoia, wir verheimlichen Ihnen nichts“, versprach die Oberärztin und tastete Miras Oberschenkel ab.
„Hey, Sie sollten mich erst mal zum Essen einladen, bevor Sie das tun“, war das Mira unangenehm.
„Entschuldigen Sie, Sie haben vermutlich schlechte Erfahrungen damit gemacht, ich hätte Sie vorher fragen sollen“, erwiderte die Oberärztin.
„Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts, verdammt, aber alle versuchen das noch zu unterstützen“, donnerte sie und wütete im Behandlungsraum herum.
 
„Was machst du hier?“, fragte Juene besorgt, als sie an diesem Abend ihre Mitbewohnerin in der Psychiatrie besuchte, wo sie an ein Bett gefesselt war.
„Ich ruh mich etwas aus, hab mich wohl etwas verausgabt“, erwiderte sie tonlos und sah aus dem Fenster.
„Meine Chefin hat gesagt, du hättest wild randaliert, sie mussten dich hier her bringen“, erkannte Juene und ging in ihre Blickrichtung.
„Ich bin es leid, so leid, diese Lügen, die müssen aufhören“, bemerkte sie benebelt.
„Ich würde dir so gern alles sagen, aber es geht nicht“, bemerkte Juene entschuldigend.
„Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, aber ich denke, es ist besser wenn ich nicht mehr bei dir wohne“, entschied sie.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Juene und nahm sie nicht ganz ernst.
„Weg, vielleicht wieder in die Staaten, da gehör ich schließlich hin“, entgegnete sie und drehte sich zur anderen Seite.
„Du kommst ohne Pass nicht über die Grenze“, entgegnete Juene.
„Dann werde ich irgendwo anders hinfahren. Irgendwo hin, wo man mir helfen kann und will“, erwiderte sie anklagend.
„Ja, ist vielleicht besser so. Ich werde dir noch ein paar Kleidungsstücke und eine Tasche kaufen und sie dir bringen. Ich werde auch mit meiner Chefin sprechen, dass wir dich wieder entlassen, du bist sicher keine Gefahr für die Menschheit“, erwiderte Juene hilfsbereit.
„Danke, es tut mir leid“, entschuldigte sich Mira.
„Muss es nicht, ich kenn das Gefühl. Ich werde dir auch noch etwas Geld geben und meine Nummer, das du anrufen kannst, wenn du Hilfe brauchst“, erkannte Juene und strich über Miras Haare.
„Ich bin müde, ich würde gern schlafen“, erkannte sie und Juene ging aus dem Raum.

Fünftes Kapitel


Die Tür des Greyhound Busses öffnete sich und Mira ging einen Schritt auf die Stufe.
„Sie fahren nach Calgary, richtig?“, fragte sie den Busfahrer.
„Ja, junges Fräulein, ich fahre seit 10 Jahren immer die gleiche Strecke. Wollen Sie nach Calgary?“, fragte der Busfahrer und sie legte ihm das Geld hin.
„Ja, das will ich. Reicht das?“, fragte sie unsicher.
„Sie kriegen sogar noch was raus. Das letzte Geld der Urlaubskasse, was?“, rechnete der Busfahrer ab.
„Ja, so ähnlich. Danke“, nahm sie das Rückgeld und ging durch den Bus. Sie setzte sich ganz nach hinten. Aus dem Fenster sah sie Juene die gekommen war, um sie zu verabschieden. Sie sah zu ihr, bis sie aus ihrem Blick verschwunden war.
 
Nach ein paar Stunden Fahrt, Mira hatte die ganze Zeit geschlafen, kamen sie in Calgary an. Es wurde schon dunkel. Mira setzte die Kappe ihrer Kapuzenmütze auf, schulterte ihre Tasche und stieg aus dem Bus.
Sie sah sich um. Nichts kam ihr auch dort bekannt vor, sie war sicher noch nie dort gewesen. Sie ging zu einer Telefonzelle und suchte die Night Familie im Telefon heraus. Mit einer ihrer letzten Münzen rief sie dort an.
„Guten Abend, ich hoffe ich rufe nicht zur Abendsessenzeit an, ich würde gern Vitus Night sprechen, bitte“, bat Mira in ihrem höflichsten Ton, als jemand abnahm.
„Wen darf ich bitte anmelden?“, bemerkte die Frau am Telefon, die wie es den Anschein hatte, eine Bedienstete des Hauses war.
„Mein Name ist Mira Dawson, dieser Name wird Mr. Night vermutlich nicht viel sagen, aber wenn Sie ihn mir ans Telefon holen würden, könnte ich es ihm erklären“, erwiderte sie und die Frau am anderen Ende der Leitung schwieg.
„Es tut mir leid, Mr. Night ist schon zu Bett gegangen, er erholt sich gerade von einem schweren Unfall. Aber ich sage ihm, dass Sie angerufen haben. Gute Nacht“, legte die Person wieder auf.
„Na wunderbar, mit dem Namen kann er sicher gar nichts anfangen, das war ein Schuss in den Ofen“, legte sie den Hörer auf und in dem Moment begann es zu regnen.
„Na wunderbar, warum müsst ihr mir es alle so schwer machen, ich hab euch nichts getan“, rutschte sie auf den Boden der Telefonzelle. Kurze Zeit später war sie in der Telefonzelle im Sitzen eingeschlafen.
„Madam, das ist kein Schlafplatz“, hämmerte plötzlich jemand gegen die Tür und weckte sie auf. Sie blinzelte und sah in das Gesicht eines Polizisten, der die Tür aufgerissen hatte.
„Ja, verzeihen Sie, ich wollte den Regen abwarten und bin wohl eingeschlafen“, rappelte sich Mira aus und ging auf die nassen Straße heraus.
„Haben Sie ein zu Hause?“, fragte der Polizist freundlich.
„Momentan hab ich gar nichts, außer dass was ich bei mir trage. Ich weiß nicht, wer ich bin und die Leute, die ich für meine Freunde gehalten habe, lügen mich nur an“, war sie in Tränen aufgelöst.
„Sie haben Amnesie?“
„Sieht ganz so aus. Ich hab grad jemanden angerufen, der mir helfen könnte, aber ich komm nicht an ihn dran“, wimmerte sie am Ende ihrer Kräfte.
„Sie sind Amerikanerin, was machen Sie denn dann hier?“, fragte der Polizist.
„Ich bin vor ein paar Tagen in Ottawa aufgewacht, mit keinerlei Erinnerung, da war dieser Kerl neben mir, der jetzt wieder zu Hause ist und das ist in dieser Stadt. Er kann mir vielleicht helfen“, erklärte Mira und schluckte ihre Tränen herunter.
„Wie heißt denn Ihr Freund? Vielleicht kann ich Ihnen helfen“, bat der Polizist seine Hilfe an.
„Vitus Night“, erkannte sie und setzte ihre Kappe ab.
„Vitus Night von den Nights? Man, eine schlechter erreichbareren Menschen haben sie wohl nicht gefunden. Die Nights sind die reichste Familie im Umkreis von 1000 Meilen, fragen Sie mich aber nicht, mit was sie ihr Geld verdienen“, war der Polizist überrascht.
„Warum sind sie so schwer erreichbar?“, fragte Mira neugierig.
„Sehen Sie die Villa da oben am Berg? Nur wenige dürfen da hin, Polizisten sind da besonders ungern gesehen, ich vermute, dass sie nicht gerade legale Geschäfte machen. Doch wir hatten bis jetzt nichts handfestes, um die Villa zu stürmen. Wenn Sie was Verdächtiges bemerken, melden Sie es. Falls Sie jemals in die Villa kommen. Kann ich Sie irgendwo hin mitnehmen?“, fragte der Polizist und sie setzte ihre Kappe wieder auf.
„Kennen Sie ein Hotel, das nur 20 Dollar die Nacht kostet?“, fragte sie und zeigte ihm den zerknüllten Schein, den sie noch besaß.
„Nein, tut mir leid, aber ich nehme Sie heute Nacht zu mir nach Hause mit. Meine Tochter ist gerade in Frankreich auf dem College, Sie können sicher in Ihrem Zimmer schlafen. Ich muss das nur kurz mit meiner Frau abklären“, schlug der Polizist vor.
„Nein, das kann ich nicht annehmen“, bemerkte sie verwundert, aber dankbar.
„Ich würde gegen meinen Kodex verstoßen, wenn ich jemandem nicht helfen würde. Kommen Sie“, erwiderte er und sie ging zögerlich mit ihm zu seinem Polizeifahrzeug.
Sie musste zwar hinten einsteigen, aber das war besser, als auf der Straße zu schlafen. Nach seiner Schicht fuhr der Polizist mit ihr zu sich nach Hause. Sie war noch skeptisch, sie hatte durch die schlechten Erfahrungen der letzten Tage etwas Angst.
Der Polizist merkte das.
„Sie müssen keine Angst haben, wir sind eine nette Familie. Es ist ruhig geworden bei uns, seit unserer Kinder auf dem College und der Privatschule sind, da sind wir froh, jemanden im Haus zu haben“, erkannte der Polizist freundlich und schloss die Tür auf.
„Da sind Sie ja, hallo ich bin Imara Linewise, Sie müssen Mira sein“, kam die Frau des Polizisten in den Flur und begrüßte sie herzlich.
„Es ist so nett, dass Sie mich aufnehmen, Sie kennen mich doch gar nicht“, war Mira gerührt von der Gastfreundschaft.
„Wie ich gehört habe, kennen Sie sich selbst nicht, es wäre ein Verbrechen, Sie draußen im Regen stehen zu lassen. Ich hab Ihnen ein Bett bezogen und ein Handtuch hingelegt. Ich habe morgen Frühschicht, ich muss langsam ins Bett, machen Sie sich’s gemütlich“, bemerkte Imara und ging Richtung Schlafzimmer.
„Ich fühl mich nicht wohl dabei, mich so bei Ihnen einzuquartieren“, war Mira unschlüssig.
„Es ist wirklich schön, wieder Leben im Haus zu haben, machen Sie sich keinen Kopf darüber, Sie müssen erst mal wieder auf die Beine kommen, dann sehen wir weiter“, versuchte der Polizist sie zu ermutigen.
„Wie ist eigentlich Ihr Name?“, fragte Mira plötzlich.
„Ike, ich bin Ike“, erwiderte Ike und lächelte. Sie lächelte zurück.
„Ike, werden Sie mich anlügen?“, fragte Mira vorsichtig.
„Ich bin ein Polizist, Polizisten lügen nicht. Gute Nacht Mira, schlafen Sie schön“, versprach er und folgte seiner Frau ins Schlafzimmer.
Etwas schüchtern ging sie in das Zimmer, was für die nächste Zeit ihr zu Hause sein würde. Die Tochter der Linewises schien eine Künstlerin zu sein. Überall an den Wänden hingen wundervolle Zeichnungen. Sie ging an den Wänden entlang und fuhr über die Bilder. Dieses Zimmer war voll von Objekten, die ihre Erinnerungen zurückbringen könnten, Aber nichts tat sich, sie hatte seit längerem nichts mehr in der Richtung gefühlt. Vielleicht war das alles, was sie erfahren würde. Vielleicht würde ihr Gehirn den Rest für immer im Verborgenen halten, vielleicht sollte sie diese Situation nutzen und ein neues Leben anfangen. Auch wenn sie eine Beziehung mit Vitus hatte oder gehabt hatte, wie Ike gesagt hatte, es würde ziemlich schwierig werden, dort hin zu kommen. Sie ließ die Wände wieder los. Heute würde sie wohl nichts mehr von ihrer Vergangenheit erfahren. Sie legte sich auf die Überdecke des Bettes und schlief ein.

Sechstes Kapitel


„Morgen, Kleines, Sie können sich auch ins Bett legen, meine Tochter hat sicher nichts dagegen“, erkannte Imara, die in Schwesternkleidung zu ihr ins Zimmer kam.
„Es ist noch so ungewohnt, vielleicht später. Müssen Sie jetzt zur Arbeit?“, fragte Mira, als sie sich aufsetzte.
„Ja, ich bin Krankenschwester im Krankenhaus. Es ist frisches Brot im Backofen, nehmen Sie sich, was sie Essen wollen. Das andere Zeug ist alles im Kühlschrank. Wenn Sie duschen wollen, dann müssen Sie das Wasser etwas laufen lassen, bis es heiß wird“, erklärte sie freundlich und sie band ihre Haare neu.
„Ist ein Engel auf Ihrer Uniform?“, fragte Mira und sie hatte wieder einen Blitz vor ihrem geistigen Auge.
„Nein, das sind spielende Kinder, ich arbeite im Alberta Kinderkrankenhaus. Wie kommen Sie auf einen Engel?“, fragte Imara und zeigte ihr das Symbol.
„Keine Ahnung, ich hab ständig solche Aussetzer, danke, ich würde gern duschen. Ist Ihr Mann schon bei der Arbeit?“, fragte Mira nachdenklich.
„Nein, er ist einkaufen. Er muss erst heute Abend arbeiten. Ich habe heute Abend einen Frisörtermin, würden Sie gern mitgehen und sich die Haare schneiden lassen? Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber das Gestrüpp auf Ihrem Kopf kann man kaum eine Frisur nennen“, schlug sie vor.
„Aber ich hab kein Geld“, erwiderte sie unsicher.
„Die Frisörin ist eine Freundin von mir, die wird Ihnen auch helfen wollen, das mit dem Geld werden wir schon irgendwie regeln“, erkannte Imara.
„Wie hab ich das alles verdient?“, fragte Mira den Tränen nahe.
„Meine Tochter ist jetzt schon so lange weg, es ist wirklich schön, wieder etwas für Frauen zu unternehmen“, bemerkte Imara und ließ sie allein.
„Danke“, erwiderte Mira, aber sagte dies ins Leere.
Sie stand auf und sah in den Spiegel. Am Spiegel klebten Fotos. Auf den meisten waren nur Frauen zu sehen, am meisten auch nur in Gruppen. Sie überlegte, welche von den Frauen die Tochter sein musste. Sie konnte es nicht genau sagen. Die junge Frau musste aber in ihrem Alter sein, also musste sie unter 25 sein. Sie betrachtete die Bilder länger, aber sie kannte niemanden von den Personen. Sie zog die Kapuzenjacke aus, nahm sich ein Handtuch und ging ins Badezimmer.
Nach dem Duschen betrachtete sie ihre Haare wieder im Spiegel. Sie hatte raus gewachsene blonde Strähnchen, ihre Naturhaarfarbe war braun. Es war immer so seltsam in den Spiegel zu sehen. Sie erkannte sich, aber ohne ihre Seele zu sehen. Sie sah, dass sie braune Augen hatte und eine Narbe über dem Auge, Ohrlöcher und kräftige Lippen. Sie war eine schöne junge Frau. Über ihren Hals verlief eine lange Narbe, die sie mit dem Unfall in Verbindung brachte. Sie musste ziemlich geblutet haben. Sie band ihre nassen Haare zusammen und griff zu ihrem Make-up. Wer auch immer sie war, sie musste ja nicht schlampig herumlaufen.
Als sie aus dem Badezimmer in die Küche ging, war Ike wieder zurück.
„Hallo, haben Sie ausgeschlafen? Sie sehen besser aus“, begrüßte Ike sie und sie setzte sich.
„Ja, danke. Ich habe heute Nacht entschieden, ein neues Leben zu beginnen. Können Sie mir dabei helfen?“, erkannte sie und nahm einen Bagel.
„Sicher, was brauchen Sie denn?“, fragte er freundlich.
„Irgendwie alles, ich hab einen provisorischen Ausweis, aber ich brauch eine Sozialversicherungsnummer, einen provisorischen Pass und einen Job“, erkannte sie und begann zu Essen.
„Man, das ist eine Menge. Das wird aber einige Zeit dauern“, entgegnete Ike und verstaute die Einkäufe.
„Kriegen Sie das hin?“, fragte sie skeptisch.
„Ich bin seit 30 Jahren im Polizeidienst, das krieg ich hin. Aber ich kann Ihnen auch helfen, Ihre Identität aufzudecken, wenn Sie es sich noch mal anders überlegen“, erkannte er und setzte sich neben sie.
„Es tut einfach so weh, nichts heraus zu finden. Sie haben sich sicher gefragt, warum ich Sie gestern gefragt habe, ob sie mich anlügen. Ich hab die letzten Tage bei einer Ärztin gelebt, die so tat, als würde Sie mir helfen, aber sie hat mir ständig Lügen erzählt. Ich habe keine Ahnung wieso“, erklärte sie.
„Wie heißt die Frau, ich werde sie im Büro mal checken“, wollte Ike wissen.
„Dr. Juene Tremblay, sie ist eigentlich in Ordnung, ich denke nicht, dass sie was Böses an sich hat, sie hat mir schließlich diese ganzen Sachen gekauft und so, aber irgendwas ist an ihr faul“, erkannte sie erklärend.
„Ich werde sie überprüfen. Wenn an ihr irgendwas faul ist, werden Sie es erfahren. Wie ich gesehen habe, haben Sie eine Liste gemacht, mit Sachen, die Ihnen an sich aufgefallen sind. Vieles hat auch Sie geschrieben, oder?“, fragte Ike und zog einen Zettel aus einer Schublade.
„Sie haben in meinen Sachen rumgewühlt?“, fragte sie entrüstet.
„Nur, um sicher zu gehen, dass Sie keine Waffen oder Drogen in meine Wohnung mitbringen. Entschuldigen Sie, ich musste nur sicher gehen“, erkannte er und gab ihr den Zettel.
„Sicher, das verstehe ich. Danke, dass Sie ehrlich zu mir waren. Ich wusste gar nicht, dass ich die Zettel dabei habe, die hat Juene für mich eingepackt. Ist ganz schön voll geworden, die Liste. Aber nichts dabei, was mir dabei helfen kann, mich selbst zu finden. Nur Sachen zu meinem Charakter, die sich auch nur jetzt zeigen, vielleicht bin ich das gar nicht. Die einzigen richtigen Anhaltspunkte sind die, dass ich vermutlich verheiratet bin oder war und dass ich vermutlich im Gesundheitswesen arbeite. Aber ich kann jeder sein, das ist auch kein großer Fortschritt“, teilte sie mit ihm ihre Erkenntnisse.
„Das ist doch schon mal was, wenn Sie wollen, jage ich Ihr Foto durch unsere Datenbank, na ja, vielleicht sind Sie ja ne Verbrecherin, das wär natürlich nicht toll, aber dann wüssten Sie es“, schlug Ike vor.
„Das ist seltsam, plötzlich will ich wieder wissen, wer ich bin, ich danke Ihnen“, erkannte sie und sah ihre Liste durch.
„Sie sollten Ihr letztes Leben abschließen, bevor sie ein Neues beginnen, das bringt das kosmische Karma nicht durcheinander. Man, jetzt rede ich schon wie meine Tochter. Sie ist gerade auf so einem Ethno Trip, zumindest bevor sie hier weg ist. Sie sagt immer, alles hat ein Gleichgewicht, was ständig ausgeglichen werden muss“, erklärte Ike.
„Dann ist mein Gleichgewicht aber gewaltig gestört, wenn ich nicht mal weiß, in welche Richtung ich gehen soll. Was denken Sie, wird ihre Tochter es merken, wenn das Universum aus dem Gleichgewicht fällt?“, scherzte sie und er grinste.
„Sie halten auch nichts von diesem Ethno Zeug, das macht Sie mir noch sympathischer. Vielleicht können Sie meiner Tochter das ja ausreden, wenn sie mal hier her kommt. Sie werden sich sicher verstehen, sie denkt ähnlich wie Sie“, erkannte er.
„Ich werde es versuchen. Wie alt ist Ihre Tochter, wenn ich fragen darf?“, fragte Mira neugierig.
„22, sie ist bald fertig mit ihrem Studium. Wissen Sie, wie alt Sie sind?“, fragte Ike und sie schüttelte den Kopf.
„Das muss furchtbar sein, das tut mir so leid. Aber ich denke, Sie sind so im Alter meiner Tochter“, überlegte Ike laut.
„Denk ich auch. Aber ich seh’ jetzt in die Zukunft und trauere der Vergangenheit nicht nach. Wenn ich irgendwann mein Gedächtnis wieder bekomme, wäre das wunderbar, aber das Leben muss weiter gehen“, erkannte sie zuversichtlich.
„Das hört sich gut an, das ist ein großer Schritt in Richtung Leben. Wir werden Ihnen helfen, heraus zu finden, was Ihnen beruflich liegt, dann können wir für Sie einen Job finden“, schlug Ike vor.
„Sie sind wirklich ein Engel in der Not gewesen für mich. Ich bin hier her gekommen, um mir klar darüber zu werden, wie Vitus Night in mein Leben passt, aber da das Schicksal mir immer wieder Steine in den Weg legt, denk ich mal, es sagt mir, dass mein Weg hier zu Ende ist. Auch wenn ich in die USA gehöre, da scheint mich keiner zu vermissen, also warum nicht hier neu anfangen“, fasste sie neuen Mut.
„Soll ich trotzdem Nachforschungen anstellen?“, fragte Ike verwundert.
„Ja, bitte, aber ich muss auch hier Fuß fassen. Vielleicht fang in einem Diner an zu kellnern, oder so. Ich muss Ihnen ja irgendwas geben, ich kann hier ja nicht einfach leben, ohne irgendwas zu bezahlen“, erklärte sie und trank einen Schluck Milch.
„Sie könnten auch Kanadierin sein, so nett wie Sie sind. Aber Ihr Dialekt ist kalifornisch, ich hab die Frühlingsferien immer dort verbracht, ich war zwar nicht Student, aber Freunde von mir, ich bin dann immer mitgefahren. Ihr Dialekt ist eindeutig kalifornisch“, schlussfolgerte Ike.
„Wirklich? Denken Sie? Ich hab immer gehört, dass ich nach den Südstaaten klinge“, entgegnete sie erfreut.
„Oh nein, sicher nicht Südstaaten-Akzent, ich hatte nen Kumpel aus den Südstaaten, das ist ein ganz anderer Dialekt. Aber Sie müssen wirklich erst mal nichts zahlen, bis Sie wieder auf den Beinen sind“, bemerkte er und sie stand auf.
Aber ihre Beine gaben wieder nach und sie sackte wieder in den Stuhl.
„Das kann noch etwas dauern, mit dem auf den Beinen stehen. Ich lag ein Jahr im Koma, meine Beine wollen nicht so, wie ich will“, erkannte sie.
„Haben Sie einen Arzt? Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Nummer meines Orthopäden geben, er ist wirklich gut, er hat mir bei meinen Rückenproblemen geholfen“, schlug Ike vor und schenkte ihr ins Glas nach.
„Ich hab keine Krankenversicherung“, erwiderte sie bedrückt.
„Ich würde es Ihnen zahlen, Sie können es mir ja zurückzahlen, wenn Sie länger gearbeitet haben und eine Krankenversicherung haben“, bemerkte Ike.
„Nein, das ist jetzt wirklich zu viel. Ich war ja beim Arzt, ich muss nur etwas meine Beine trainieren, ich werde nur ein bisschen spazieren gehen, einfach nur kleine Runden“, entschied sie.
„Gut, aber wenn es schlimmer wird, sagen Sie es. Ich hab ne Idee. Mir fällt grad ein, dass sie in dem Diner wo ich immer zu Mittag esse, eine Bedienung suchen. Wir könnten heute Mittag ja dort Essen gehen und nach einem Bewerbungsformular fragen“, schlug er vor.
„Das klingt gut, aber ich weiß nicht, ob ich gerade so lange stehen kann. Ein Job im Call-Center wäre da einfacher. Haben Sie einen Internetanschluss? Ich würde mal im Internet gucken, ob ich was finde“, bemerkte sie.
„Ja, sicher, wir haben einen Internetanschluss bei Celine in Ihrem Zimmer. Celine ist unsere Tochter, übrigens“, erkannte er.
„Hab ich mir schon fast gedacht, sie ist eine Künstlerin, oder?“, fragte Mira.
„Ja, sie ist ein echtes Talent, sie hat ein Stipendium für eine Kunsthochschule in Paris erhalten, deshalb konnte sie auch nach Europa gehen, wir können uns ja gerade die Privatschule für unseren Sohn Ike jr. leisten“, erklärte Ike und führte sie zurück in Celines Zimmer.
„Hier, hier ist ihr PC“, deckte Ike die Abdeckung der Tastatur, die eine gestickte Mona Lisa zeigte, ab.
„Nette Abdeckung, hat die Ihre Frau gemacht?“, fuhr sie mit den Fingern über die Abdeckung.
„Oh nein, auch Celine, sie ist auch eine wundervolle Schneiderin“, war Ike ganz stolz auf seine Tochter.
„Ja, das ist sie wirklich, ich würde sie wirklich gern kennen lernen. Kommt sie auch mal nach Hause?“, fragte Mira und machte den PC an.
„Zu Weihnachten, die Flüge sind ziemlich teuer. Wir vermissen sie sehr. Soweit ich weiß, hat sie kein Passwort. Sie müssten gut rein kommen, die perversen Seiten sind gesperrt wegen Ike jr. Aber ich denke nicht, dass Sie da rein wollen. Ich wollte es nur sagen. Ich muss noch den Rasen mähen, bevor ich zur Arbeit gehe, Sie kennen sich sicher damit aus“, ließ er sie wieder allein.
Mira ging erst mal die Stellenanzeigen durch und ging dann normal ins Internet.
Sie fand einen Chatroom mit Leuten, die auch Probleme mit dem Gedächtnis hatten. Die meisten hatten aber eher oberflächliche Probleme mit dem Gedächtnis, einen Fall wie sie traf sie nicht. Sie machte den PC wieder aus und setzte sich ans Fenster.
Sie kramte in ihrer Tasche und nahm die Visitenkarte heraus, die Juene ihr gegeben hatte.
Sie zog das Telefon an sich.
„Hey, ich bin’s, ich bin in Sicherheit, das wollte ich nur sagen“, rief sie Juene an.
„Gott sei Dank, dir geht’s gut, wir konnten uns nicht verabschieden“, war Juene froh, von ihr zu hören.
„Ja, ich musste einfach aus der Stadt raus. Ich bin nicht sauer auf dich, du musst deine Gründe haben“, erkannte Mira versöhnlich.
„Ja, den dümmsten Grund überhaupt. Geld. Die Nights haben mir 10.000 Dollar gezahlt, dass ich schweige“, gestand Juene.
„Hab ich mir schon fast gedacht, also wer bin ich?“, sah dies Mira ganz locker.
„Das weiß ich auch nicht ganz genau, ich weiß nur, dass ich dich von den Nights fern halten soll und dich dazu bringen soll, ein neues Leben anzufangen“, gestand sie.
„Was man für Geld nicht alles tut. Warum erzählst du mir das jetzt, haben sie dir deinen Scheck gesperrt?“, fragte Mira neugierig.
„Nein, wir sind Freunde und Freunde sollten sich gegenseitig helfen. Sie wollten dich nur aus dem Weg haben, mehr weiß ich auch nicht. Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, ich hoffe du verzeihst mir“, erkannte Juene.
„Kein Problem, von mir erfährt niemand was. Aber danke für die Information. Ich wollt nur sagen, dass es mir gut geht und du dir keine Sorgen machen musst“, erwiderte Mira und verabschiedete sich.
 
„Ich hab Juene angerufen, ich kann doch das Telefon benutzen, oder?“, griff sich Mira einen Rechen und half Ike den abgemähten Rasen einzusammeln.
„Natürlich, so lange Sie nicht so viel telefonieren wie meine Tochter. Haben Sie ihr gesagt, wo Sie sind?“, fragte Ike und stopfte den Rasen in eine Tüte.
„Ja und das es mir gut geht. Sie hat mir gestanden, dass Sie bezahlt wurde, dass sie die Klappe hält, keine Ahnung, warum sie jetzt damit raus rückt“, erkannte sie und hielt ihm den Müllsack auf.
„Schuldgefühle? Was auch immer. Haben Sie noch weiteres erfahren?“
„Leider nicht. Aber ich weiß jetzt, dass ich irgendwas getan habe, womit ich den Nights auf den Schlips getreten bin. Und ich werde nicht aufhören, das zu ändern. Ich werde alles tun, um zu den Nights zu kommen“, erkannte sie siegessicher.
„Das ist schon seltsam, wieso bezahlen die Nights eine Ärztin um ein Geheimnis zu wahren, das würde mich echt interessieren“, bemerkte Ike und band den Müllsack zu.
„Das frag ich mich auch, ich hatte vor kurzem die Theorie, oder besser gesagt Juene hatte die, dass ich eine unliebsame Geliebte bin, die sie loswerden wollten“, teilte sie mit Ike ihrer Theorien.
„Das kann schon seit, in einem Monat heiratet Vitus Night jr. seine Verlobte, es kann ja sein, dass Sie nicht ins Konzept gepasst haben“, rätselte Ike und lud die Müllsäcke in ein Eck.
„Ja, das ist gut, das erklärt vermutlich auch, warum ich mit Vitus jr. in einem Wagen war, als der Unfall passierte. Wir beide haben unser Gedächtnis verloren. Das kam ganz gelegen für die Nights, so hatten sie die Geliebte weg, ohne die Gefühle des Mannes für die Geliebte. Man, das ergibt endlich alles einen Sinn. Sie wissen also wer ich bin und verschweigen mir das, diese arroganten Säcke. Sie hätten mir doch ruhig sagen können, wer ich bin, ich weiß doch nichts mehr. Sie hätten doch sagen können, ich wäre die Hausangestellte. Sie hätten den Rest doch verschweigen können. Da steckt sicher noch mehr dahinter. Danke für Ihre Hilfe, das gibt mir einen guten Anhaltspunkt für meine Suche“, war sie plötzlich aufgedreht.
„Immer wieder gern, ich wollte schon immer mal Fälle lösen, so wie diese CSI-Leute, das ist echt aufregend“, war auch Ike begeistert von der Chance etwas zu erleben.
„Ja, Sie könnten mir alle Informationen auftreiben, die Sie über die Nights finden können und wenn ich weiß, wie ich an sie ran komme, werde ich sie zur Rede stellen“, plante Mira und rieb sich ihre Hände.
„Sie müssen trotzdem vorsichtig sein, die Familie hat schon ein Mal versucht, Sie aus dem Weg zu räumen, sie werden nicht davon zurückschrecken, es noch ein Mal zu versuchen“, erkannte Ike fürsorglich.
Die Blitze fuhren wieder durch ihr Gehirn und sie torkelte zurück.
„Wir müssen dich hier weg bringen, die wollen dich töten, ich weiß nicht wieso, aber sie wollen es. Du vertraust mir doch, oder?“, fragte eine Stimme und sie sackte auf dem Rasen zusammen.
„Ja, ich werde dir immer vertrauen, das weißt du doch“, hauchte sie und fuhr über ihre Kleidung. Sie war weiß.
„Mira, geht es Ihnen gut, Mira?“, versuchte Ike sie wieder in die Realität zurück zu holen und bückte sich zu ihr runter.
„Ja, alles bestens, nur ein intensiver Flash, man, einen ganz schön gewaltiger Flash. Aber ein informativer Flash“, schüttelte sie ihren Kopf um wieder klar denken zu können.
„Ja, das hab ich gesehen. Was haben Sie gesehen, wenn ich fragen darf?“, fragte Ike und half ihr auf.
„Einen Moment, ich will mich kurz hinsetzen“, ging sie mit seiner Hilfe zum Bordstein und setzte sich dort hin.
„Okay, das verschwindet immer so schnell. Ich hab einen Mann gehört, vermutlich Vitus. Er hat mich gefragt, ob ich ihm vertraue. Das mich jemand töten will, er wollte mich wegschaffen. Und ich hatte weiße Kleidung an. Merken Sie sich das, es kann sein, dass ich das wieder vergesse, das liegt an meinen Hirnschäden. Die wollten mich liebend gern tot sehen, was hab ich gemacht?“, fuhr sie mit beiden Händen durch ihre Haare.
„Sie müssen nichts gemacht haben, für manche Leute reicht es schon, wenn man einen Kaugummi vor ihnen ausspuckt“, versuchte Ike sie zu beruhigen.
„Das beruhigt mich jetzt gar nicht, ich wollte niemandem auf den Schlips treten, verdammt ich wüsste auch gar nicht warum. Wer zum Henker sind diese Leute und was hab ich ihnen getan?“, wurde sie panisch.
„Es ist vielleicht doch nicht so klug, auf Angriff zu gehen, wenn die Leute Sie töten wollen. Aber haben Sie keine Angst, ich werde dafür sorgen, dass Sie sich nicht fürchten müssen“, beruhigte Ike sie.
„Danke, Sie sind wirklich zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben getreten, ich hab noch vor ein paar Tagen die Nacht in der Psychiatrieabteilung verbracht, weil ich ausgeflippt bin. Ich bin nicht verrückt, da müssen Sie keine Angst haben, ich war nur so sauer, dass mir niemand die Wahrheit gesagt hat, na ja, ich hab es vielleicht etwas übertrieben, aber Sie haben mich das erste Mal auch angehört“, erklärte sie stockend.
„Ich hab keine Angst vor Verrückten, ich hab eine geheiratet. Ich würde auch ausflippen, wenn mir was verheimlicht würde, ich werde Ihnen helfen, Licht ins dunkle zu bringen. Können Sie wieder aufstehen?“, fragte Ike und half ihr ins Haus zu gehen.

Siebtes Kapitel


Es vergingen einige Wochen und Mira arbeitete erst in einem Call-Center und als sie wieder bei Kräften war, konnte sie in dem Diner anfangen, in dem ihr Ike einen Job besorgt hatte. Eines späten Abends war sie gerade beim Auffüllen der Zuckerstreuer, als eine Frau in ihrem Alter mit einer älteren Frau ins Diner kam.
„Es tut mir leid, die Küche ist schon kalt“, entschuldigte sich Mira und widmete sich wieder ihren Streuern.
„Kriegen wir noch einen Kaffee?“, fragte die junge Frau etwas arrogant.
„Einen kalten schon, ja“, erwiderte sie genau so unfreundlich zurück.
„Kommen Sie uns bloß nicht blöd, meine Tochter heiratet in wenigen Tagen den Sohn des mächtigsten Mannes der Stadt. Kennen Sie Vitus Night, dass sollten Sie, Sie sollten Respekt vor ihm und seiner zukünftigen Frau haben“, mischte sich die ältere Frau ein.
Jetzt wusste sie, wen sie vor sich hatte. Es war Vitus zukünftige Schwiegermutter und seine Verlobte.
„Schön für Sie, dann kann Sie sich wohl zukünftig in besseren Establishments verköstigen. Wissen Sie was, ich brüh noch einen Kaffee auf, Sie brauchen sicher eine Stärkung, so kurz vor der Hochzeit“, sah sie ihre Chance gekommen, Kontakt zu der Familie zu knöpfen.
„Danke, verzeihen Sie mein unflätiges Verhalten, es ist wirklich schwierig eine Hochzeit zu planen, vor allem in so einem kurzen Zeitraum. Mein Verlobter hat es ziemlich eilig, er kam von einer Geschäftsreise zurück und wollte sofort heiraten, Sie wissen ja wie Männer sind“, erkannte die junge Frau wieder freundlicher und sie ging nach hinten um Kaffee aufzubrühen. Während sie den Kaffee dosierte, rief sie Ike an.
„Hi, ich bin’s. Du glaubst mir nicht, wenn ich dir sage, wer gerade ins Diner gerauscht gekommen ist. Vitus Nights Verlobte. Sie heiraten in zwei Tagen, das müssen wir unbedingt verhindern“, war sie außer sich.
„Joyce Winters rauscht sicher nicht so einfach in ein mittelmäßiges Diner-Restaurant rein, du musst dich irren“, war Ike amüsiert.
„Sie hat angegeben, dass sie in die mächtigsten Familie der Stadt rein heiratet, wer kann sie denn sonst sein“, erwiderte sie und stellte den Kaffee ein.
„Wie sieht sie denn aus, deine dubiose Joyce Winters?“, fragte Ike und sie ging nach draußen um sich die junge Frau noch Mal anzusehen.
„Blond, superschlank, toupierte Haare, ein kleines arrogantes Miststück“, erkannte sie und winkte lächelnd zu den zwei Frauen, die irritiert zurückwinkten.
„Was machst sie denn da? Seltsam“, erkannte Ike und sie ging zurück in den Nebenraum.
„Ich muss irgendwie an sie ran kommen, hast du ne Idee?“, plante sie.
„Ist schwer an Joyce Winters ran zu kommen, Joyce hat keine Freunde, soweit ich weiß, wundert mich auch nicht, sie ist nicht gerade eine Sympathiebombe“, erwiderte er und sie stimmte ihm zu.
„Da kann ich dir leider nicht helfen, geb ihr unsere Nummer, biete ihr Hilfe für die Hochzeit an, bleib einfach mit ihr in Kontakt“, schlug Ike vor.
„Toll, zwei Tage Ike, sie wird schon zwei Tage überlegen, ob sie mich überhaupt anruft“, erkannte sie unschlüssig.
„Kleines, ich kann nicht zaubern, war nur ne Idee“, konterte er gereizt.
„Tut mir leid, klar, kann ich machen. Danke für den Tipp. Ich komm in einer halben Stunde nach Hause, hoffe ich, bye“, legte sie wieder auf.
„So die Damen, Ihr Kaffee. Das muss wirklich eine stressige Zeit für Sie sein. Ich denke ein paar Kekse, werden Ihnen etwas Kraft geben“, versuchte sich Mira einzuschmeicheln und stellte ihnen Kaffee und Kekse hin.
„Danke, also wir müssen die Stoffbänder morgen abholen, hat der Lieferant gesagt…“, plante Joyce ohne aufzusehen.
„Bitte, wenn Sie noch was brauchen, ich bin drüben“, erwiderte sie unbemerkt und stellte sich in Hörreichweite auf. Auf ihrem Bestellzettel schrieb sie penibel auf, was die Frauen besprachen. Es war schon spät, als die Frauen bezahlten und sie ihren Block einpackte, um heim zu gehen.
 
Im trüben Licht der Küchenlampe, analysierte sie ihre Aufschriebe.
„Mira, was machst du da, es ist schon nach Mitternacht, du musst morgen arbeiten“, kam Ike in die Küche geschlurft.
„Ich werde morgen nicht arbeiten gehen, ich muss eine Hochzeit verhindern“, erkannte sie fast in Trance.
„Was ist das alles hier, Kleid abholen, Blumenbestellung kontrollieren, Smoking abholen, warte mal, du hast Joyces Hochzeitsvorbereitungen mitgeschrieben?“, fragte Ike verwundert.
„Ja, ich werde sie verfolgen und diese Hochzeit verhindern“, erklärte sie und sortierte die Zettel.
„Stalking ist in eurem Land auch verboten, soweit ich informiert bin“, erkannte er und nahm ihr die Zettel ab, die sie gerade in ihrer Hand hielt.
„Hey, die gehören mir“, moserte sie.
„Du bist mir in den letzten Wochen so sehr ans Herz gewachsen, dass ich nicht zulassen kann, dass du das machst. Die Familie ist gefährlich, das hatten wir doch inzwischen festgestellt“, erkannte er und legte die Zettel auf den Kühlschrank.
„Komm schon, du wolltest mir doch helfen“, bat sie flehend.
„Ich will dir ja helfen, deshalb tu ich das. Ich hab übrigens die Datenbank durchgesucht, ich hab leider nichts Neues erfahren. Also gelebt und gearbeitet hast du in unserem Land nicht, irgendwelche Verwandte hast du hier auch nicht. Das wollte ich dir eigentlich nicht sagen, um dich nicht runter zu ziehen, du bist aufgeblüht in den letzten Wochen. Ich dachte eigentlich, du hättest ein neues Leben angefangen, aber das sieht jetzt nicht danach aus. Lass die beiden doch heiraten, du hast doch keine Gefühle für ihn, oder?“, fragte er und zog sie hoch.
„Nein, ich kenn ihn doch gar nicht. Aber ich hab irgendwie das Gefühl, das ich das tun muss, ich weiß nicht wieso“, bemerkte sie nachdenklich.
„Ich glaub, ich weiß was los ist. Er war der erste, den du gesehen hast, als du aufgewacht bist, du verbindest Vertrauen mit ihm, du willst ihm helfen. Du weißt, wie er sich fühlen muss, nicht zu wissen, wer er ist. Aber seine Verlobte wird ihm helfen, das zu schaffen, das ist nicht deine Aufgabe“, verstand Ike, was sie bewegte.
„Aber diese Erinnerungen, irgendwas ist zwischen uns beiden, das spüre ich“, versuchte sie zu erklären und klang dabei sehnsüchtig.
„Okay, ich werde dir helfen, ihn wieder zu sehen, du darfst ihn sehen und mit ihm sprechen, aber wenn dann weiter nichts ist, lässt du die Familie in Ruhe“ ,gab er nach.
„Wirklich, du willst mir helfen, wie willst du das machen?“, war sie voller Zuversicht.
„Weiß nicht, ob das funktioniert, aber lass mich nur machen. Geh’ morgen zur Arbeit, ich regle das schon“, versprach er.
„Danke, ich danke dir vielmals“, fiel sie ihm um den Hals.
„Sehen wir erst mal ab, ob das überhaupt funktioniert“, war er noch nicht ganz sicher.
„Aber jetzt kann ich ins Bett gehen, jetzt weiß ich, dass ich was bewirken kann“, ging sie erfreut ins Bett.
 
„Du hast keinen blassen Schimmer, wie du das anstellen sollst, richtig?“, kam Imara mit einem leeren Wasserglas in der Hand zu ihrem Mann und füllte es mit Leitungswasser.
„Ganz genau. Du liest doch immer diese Schundromane, dir fällt doch sicher irgendeine schnulzige Geschichte ein, die ihn dazu verleitet, morgen ins Diner zu kommen“, erkannte er und sie schlürfte ihr Glas leer.
„Dann muss ich deinen Plan ausführen, willst du das damit sagen?“, stellte sie das Glas in die Spüle.
„Wenn du das so sagst, klingt das so egoistisch“, schmunzelte er.
„Ich werde mir was überlegen, ich ruf dich aus der Klinik aus an, wenn mir was einfällt“, wollte sie auch helfen.
„Danke, wir müssen der Kleinen helfen, sie ist mir irgendwie ans Herz gewachsen, es muss furchtbar sein, nur Gefühle zu haben, aber nicht zu wissen, was sie bedeuten. Weißt du noch vor 30 Jahren, als ich lang damit gehadert habe, ob ich meine damalige Freundin verlassen soll um mit dir glücklich zu werden. Doch dann hast du sie behandelt, als sie sich bei unserem Trennungsstreit die Hand verletzt hat, da wusste ich, diese selbstlose Frau muss meine werden“, träumte er laut von alten Zeiten.
„Ich hab zu diesem Zeitpunkt gekocht vor Eifersucht, ich hatte gedacht, du wolltest mir damit sagen, dass ihr zusammen bleiben werdet“, gestand sie nach der langen Zeit.
„Aber die Tatsache, dass ich sie nach der Verarztung in ein Taxi gesetzt habe und die Nacht mit dir verbracht habe, hat dich dann wohl eines besseren belehrt“, entschied er und küsste sie zärtlich.
„Ich frag mich, was aus ihr geworden ist“, überlegte sie laut, während sie ins Schlafzimmer gingen.
„Mit dem Hass den sie danach auf Männer hatte, vermutlich Schließerin im Männerknast“, entgegnete er witzelnd und schloss die Tür hinter sich.

Achtes Kapitel


Mira war nervös. Es war schon nach Mittag und die Zeit rannte ihr aus den Fingern. Ike hatte immer noch nicht angerufen.
„Miss, Kaffee, wollen Sie den ewig festhalten?“, riss sie ein Gast aus ihren Gedanken. Sie hatte die Kaffeekanne in ihre Hand fest geklammert.
„Oh, natürlich verzeihen Sie, ich war in Gedanken“, goss sie den Kaffee ein.
„Das darf dir nicht bei Cops passieren, die reißen dir den Arm ab, wenn du nur eine Sekunde zögerst, ihnen Kaffee nach zu schenken“, schmunzelte Ike, der plötzlich hinter ihr stand.
„Hey, was machst du hier? Ich dachte, du rufst mich an?“, war sie etwas verwirrt ihn zu sehen.
„Mittagessen, ich bin am Verhungern. Habt ihr an der Theke noch Platz?“, fragte er und ging mit ihr zur Theke zurück.
„Also, ich platze vor Neugier, was ist dein Plan?“, entgegnete sie und stütze sich auf die Theke um seinen Worten zu lauschen.
„Tut mir leid, mir ist nichts eingefallen, das einzige was ich machen könnte ist, ihn zu verhaften“, erklärte er ihr seinen Plan.
„Klingt gut, tu das“, stimmte sie zu.
„Das war sarkastisch gemeint Mira, aus welchem Grund sollte ich ihn verhaften“, bemerkte er und sie schenkte ihm Kaffee in eine große Tasse.
„Na ja, trotzdem danke für den Versuch zu helfen. Also, was willst du Essen?“, gab sie nach und bekam von ihm gesagt, was er wollte.
„Kriegst du immer noch diese Flashes, hast du noch Mal was raus gefunden?“, fragte er, während er aß.
„Nicht in den letzten Wochen, leider, vermutlich war es das mal wieder“, erkannte sie, während sie die Theke reinigte.
„Das wird schon wieder, keine Sorge. Wir helfen dir dabei“, versprach er und tat Ketschup auf seinen Teller.
„Das ist wirklich ganz lieb von euch, aber ich glaube, es wird jetzt Zeit für mich, mir eine Wohnung zu nehmen, ich bin euch lang genug auf der Tasche gelegen“, erwiderte sie plötzlich.
„Aber du musst nicht gehen, du hast ein zu Hause bei uns“, erkannte er fürsorglich.
„6 Wochen bin ich jetzt wach und niemand aus meinem alten Leben hat sich bis jetzt gemeldet. Das hat dieser letzte klägliche Versuch ja mal wieder gezeigt, es wird höchste Zeit neu anzufangen. Ich bin jetzt Mira Dawson geworden, wer ich vorher war, ist jetzt egal. Ich bin gern hier, die Menschen sind nett und ich könnte mir vorstellen, hier sesshaft zu werden. Aber das kann ich nicht tun, solange ich mich bei euch verkrieche. Sobald ich eine eigene Wohnung habe, zieh’ ich bei euch aus“, versprach sie.
„Das klingt gut, du kannst trotzdem so lange bei uns bleiben, wie du willst“, erkannte er und aß seine letzte Pommes.
„Ein bisschen werde ich eh’ noch bleiben, aber ich geh’ schon auf die Suche“, erkannte sie.
„Sag mir Bescheid, wenn du eine Wohnung suchen willst, dann nehm ich mir den Nachmittag frei. Okay, ich muss jetzt zur Arbeit, musst du heute wieder länger arbeiten?“, fragte er und sie nickte.
„Dann sehen wir uns morgen. Mach dir keinen Kopf, die Sache ist halt nicht so gelaufen, wie geplant“, ging er zurück zum Streifenwagen, nachdem er gezahlt hatte.
Es war wieder ziemlich spät, als die Klingel an der Tür wieder schellte und Mira aus dem Nebenraum ging um zu sehen, wer da gekommen war.
„Komm schon Kumpel, das ist die letzte Nacht als freier Mann, hauen wir uns noch ein Mal mit Fast Food voll, bevor du ein Leben lang auf Diät gesetzt wird. So wie deine Kleine aussieht, ist die schon nach einem Salatblatt satt“, bemerkte ein junger Mann und drei andere Männer schleppten einen Kumpel mit einer Plastikkrone ins Diner.
„Hey Süße, bringen Sie uns bitte drei große saftige Burger und so viel Pommes wie sie in die Maschine rein kriegen, wir wollen heut unsere Arterien verfetten“, rief ein Kerl ihr entgegen.
„Könnt ihr kriegen Jungs, wie wär’s dazu noch mit Cola, das alles gut rutscht?“, wurde sie angesteckt von ihrer guten Laune.
„Perfeto sag ich nur. Wie wäre es noch mit einem Lapdance für meinen Freund hier, der morgen heiratet“, schmiss sich einer der Kerle in die Sitzbank und machte die Sicht frei. Der Glückliche war Vitus.
„Wieso nicht, ich sag dem Koch nur schnell was ihr wollt, nicht weglaufen“, hörte sie gar nicht richtig zu, weil sie Vitus unentwegt anstarrte. Auch er hatte sie erkannt und tat dasselbe.
„Vitus Kumpel, siehst du was, was dir gefällt?“, fragte ein Kerl den absenten Vitus.
„Ja, meine Frau“, stotterte er verwirrt.
„Das könnte dann eher deine Geliebte werden, denn morgen wir die Killerqueen deine Frau“, war der Typ neben ihm amüsiert über die Aussage.
„Ja, richtig, man bin ich schon Hacke, was war das denn jetzt. Hey Püppchen, wenn ihr noch Bier habt, hätten wir noch ne Runde“, spielte Vitus den Harten und sie kopfschüttelnd nach hinten zum Koch.
5 Minuten später kam sie wieder raus und stellte einen Bierkrug auf den Tisch.
„So, wer von euch ist der Arme der morgen heiraten muss“, erwiderte sie und alle zeigten auf Vitus.
„Okay, Süßer, obwohl wir hier nicht in einer Stripbar sind, mach ich euch den Gefallen“, setzte sie sich galant auf Vitus Schoß und begann ihn zu küssen. Sie hatte irgendwie keine Gewalt mehr über ihren Körper. Ein extremer Flash durchzog sie und ihr wurde schwindelig. Bewusstlos sackte sie in seinen Armen zusammen.
 
Sie fühlte eine Hand in ihrer, als sie wieder aufwachte.
„Vitus, bist du das?“, fragte sie benommen.
„Nein, meine Kleine, ich bin es Imara. Du hast mir Sorgen gemacht“, bemerkte sie mit einer sanften Stimme und Mira öffnete ihre Augen.
„Wo bin ich?“, fragte sie und sah sich um.
„Im Krankenhaus, du hattest einen Schwächeanfall, auf dem Schoß von Vitus. Was war das den für eine Aktion?“, fragte Imara und schüttelte ihren Kopf.
„Oh, frag mich das lieber nicht, wenn ich getrunken hätte, könnte ich das wenigstens auf den Alkohol schieben. Ich hatte keinen Einfluss auf das, was ich gemacht habe. Das klingt seltsam, oder?“, fragte Mira und setzte sich mühsam auf.
„Sie haben eine Kernspintomographie von deinem Schädel gemacht, deine Gehirnaktivitäten waren immens. Du hattest einen Flash, oder?“, fragte Imara und sie sah aus dem Fenster des Krankenzimmers.
„Den extremsten den ich je hatte. Aber mein Hirn hat irgendwie Abgeschalten, bevor ich was verarbeiten konnte. Ich hab ihn sicher zu Tode erschreckt“, bemerkte sie während sie aus dem Fenster sah.
„Er hat dir Blumen gebracht, vor etwa ner halben Stunde. Ihm tut es leid, dass seine Freunde und er dich so schlecht behandelt haben. Sie haben ein paar Drinks zu viel gehabt. Wunderschöne Margariten, sind schwer die zu kriegen um die Jahreszeit“, bemerkte Imara und sah die Blumen auf dem Tisch an.
„Das sind meine Lieblingsblumen, er weiß es also immer noch“, erkannte sie und sah Imara an.
„Er weiß also, wer du bist?“, erkannte Imara erfreut.
„Nicht mehr, als ich über mich weiß, denke ich. Er hat mich gar nicht erkannt, er hat sicher nur ein schlechtes Gewissen wegen der billigen Anmache, mehr nicht. Obwohl ich mich eigentlich bei ihm entschuldigen sollte, ich hab mit echt daneben benommen. Oh Gott, mein Chef, der feuert mich sicher“, erkannte sie erschreckt.
„Keine Sorge, die haben alle dicht gehalten, sie haben alle behauptet, du wärst beim Bedienen ohnmächtig geworden. Schön, du bist wach, ich wollt noch Mal nach dir sehen“, erkannte Vitus, der zur ihnen ins Zimmer kam.
„Hey, du bist noch da, solltest du heute nicht heiraten?“, frage Mira erstaunt.
Vitus öffnete seinen Mantel, unter dem ein Anzug zum Vorschein kam.
„In zwei Stunden geht es los. Ich wollte nur noch Mal bei dir vorbeischauen und dich fragen, was mit dir los war“, zog er seinen Mantel wieder zusammen.
„Ich hab keinen blassen Schimmer, ich bin wohl irgendwie durchgeknallt, entschuldige. Ich werde deiner Verlobten Blumen schicken, um das zu entschuldigen“, entschuldigte sie sich.
„Bitte nicht, sie sollte das besser nicht erfahren. Und wenn dann frühestens zu unserem 1. Hochzeitstag. Kann ich dir irgendwas geben, etwas Geld vielleicht?“, fragte Vitus freundlich.
„Nein danke, ich brauch keine Almosen. Geh’ zu deiner Hochzeit, heirate deine Kate Moss und werde glücklich. Ich bin nur eine kleine Kellnerin, achte nicht auf mich“, wurde sie stinkig.
„Ich liebe sie nicht, ich kenn sie doch gar nicht“, gestand er plötzlich.
„Da haben wir was gemeinsam, ich kenn dich nicht, aber ich liebe dich. Jetzt geh, bevor sie was merkt“, bat sie und Vitus ging verstört nach draußen.
„Du liebst ihn?“, bemerkte Imara verwundert.
„Wie es mir scheint, schon. Das ist lächerlich, ich weiß, aber das ist, was ich grade gefühlt habe, als ich ihn angesehen habe, ich dachte, dass müsste er wissen. Man, ich kenn den Kerl nicht, warum fühl ich so für ihn?“, fragte sie verwirrt.
„Ich glaube, er liebt dich auch“, stellte Imara fest.
„Nein, tut er nicht, er ist viel mehr um sein Ansehen besorgt, als um mich. Er weiß immer noch nicht wer ich bin. Ich nehm es ihm nicht übel, ich kenn mich ja selbst nicht. Was denkst du, wie gut stehen die Quoten dass ich hier raus kann?“, erwiderte sie unberührt.
„Du bist kein großer Fan von Krankenhäusern, kann ich gut verstehen. Aber ein bisschen sollten die dich noch hier behalten. Hast du Hunger, soll ich dir was zu essen besorgen?“, fragte Imara und stellte ihr Bett hoch.
„Eigentlich keinen großen. Ich muss heute Abend wieder arbeiten“, versuchte sie aufzustehen.
„Du solltest den Job kündigen und in dem Krankenhaus anfangen, in dem ich arbeite“, bat Imara.
„Sei realistisch, niemand stellt jemanden ein ohne irgendwelche Zeugnisse, ich weiß doch selbst nicht, wie gut ich bin“, entgegnete sie und stand auf.
„Das können wir doch herausfinden, dir wird schon alles wieder einfallen“, erwiderte Imara hoffnungsvoll.
„Lieber nicht. Wer zahlt das mit der Krankenversicherung? ich bin nicht versichert“, erwiderte sie und sah in ihre Akte.
„Dein Chef hat dich krankenversichert, den Rest haben wir bezahlt. Leg dich wieder hin, du bist noch schwach“, bat Imara, doch Mira war aufgestanden, um zu sehen, wie Vitus über den Parkplatz ging und mit seinem Wagen wegfuhr.
„Es ist alles so unfair, ich hab diese Gefühle und weiß nicht wieso. Es ist wie ein Puzzle das vor mir liegt und mir fehlen die größten Teile um es zu vervollständigen“, stützte sie sich auf dem Fensterbrett ab.
„Ich würde dir so gerne helfen, aber ich weiß nicht wie“, erkannte Imara und kam zu ihr.
„Ich lass mich nicht mehr hypnotisieren, das hat das letzte Mal schon nicht geklappt“, erwiderte Mira sicher.
„Hypnose ist Humbug, das hilft in den seltensten Fällen. Ich kenn da eine Psychologin, die ist zwar eher auf Kinder spezialisiert die ein Trauma von einem Missbrauch davon getragen haben, aber sie ist wirklich gut“, schlug Imara vor.
„Ja, ist besser also gar nichts. Vielleicht hab ich ja auch ein Kindheitstrauma was zu ich verdränge versuche“, schmunzelte sie und setzte sich wieder aufs Bett.
„So einen Witz darfst du in ihrer Anwesenheit nicht machen, verstanden. Sie hat so viel Schlimmes gehört, sie rennt selbst ein Mal in der Woche zum Seelendoktor wegen dem Mist. Ich werde sie anrufen, vielleicht kann sie dir gleich hier im Krankenhaus helfen“, schlug Imara vor.
„Mir soll’s recht sein, ich hab hier eh’ nicht viel zu tun. Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte Mira erschöpft.
„Du meinst außer dem Gefallen den ich dir gerade eben gemacht habe?“
„Okay, vergiss es, ruf deine Freundin an“, verwarf sie die Idee wieder und kuschelte sich in ihr Krankenbett.
„Okay, ich werde dir auch was zu essen holen, davon kommst du wieder zu Kräften. Ich bin gleich wieder da“, entschied sie und ging aus dem Raum um dies zu erledigen, von dem sie gesprochen hatte.
„Gut, wenn du mir nicht helfen willst, mach ich das selber“, zog sie sich ihre Infusion aus dem Arm, schlüpfte in ihre Jeans und T-Shirt und nahm ihre Tasche, die auf dem Stuhl lag.
„Auch wenn du meine Gefühle nicht erwiderst, diese Frau zu heiraten ist trotzdem eine saudumme Idee“, redete sie mit sich selbst und verließ klammheimlich das Krankenhaus. Sie fuhr mit dem Taxi zu der Kirche, die groß in den Medien als der Austragungsort für die Hochzeit des Jahres angepriesen worden war. Aber sie kam nicht weit, auf der Hälfte der Stufen brach sie wieder zusammen.
 
Als sie wieder aufwachte, sah sie ins Gesicht von Imara. Sie sah verärgert aus.
„Was?“, fragte sie gespielt unschuldig.
„Ich kann dich auch psychiatrisch einweisen lassen, ich muss nur einen Anruf tätigen“, erwiderte Imara mütterlich.
„Ich hab nur diese Hochzeit verhindern wollen“, bemerkte sie mit trockenem Mund.
„Das wär vielleicht ein Medienrummel geworden, Gott sei Dank bist du bei der falschen Kirche gelandet, sie haben die Hochzeit kurzfristig verlegt, weil es Morddrohungen gegen die Nights Familie gegeben hatte. Was fasziniert dich nur an diesem Mann, er sieht doch nicht mal wahnsinnig gut aus“, erkannte Imara verwundert.
„Er ist mein Ehemann“, erwiderte sie weinerlich.
„Dann musst du dir ja keine Sorgen machen, dann war diese Hochzeit ungesetzlich und muss annulliert werden“, schmunzelte Imara und fuhr über Miras Stirn.
„Das passt doch alles zusammen. Mein Gefühl einen Ring getragen zu haben, meine Gefühle für ihn, die ich nicht einordnen konnte und der Mordversuch von seiner Familie. Wir haben sicher geheiratet und das hat ihnen gar nicht gepasst“, schlussfolgerte Mira erschöpft.
„Also fehlende Willensstärke kann man dir wirklich nicht vorwerfen, ich hab mir die Nacht um die Ohren gehauen um zu recherchieren“, kam Ike zu den beiden.
„Ich kann jetzt eine gute Nachricht vertragen“, bemerkte Mira und drehte sich zu ihm.
„Na ja, es sind keine großartigen Neuigkeiten, aber Neuigkeiten. Vitus Night, heißt eigentlich Victor Night“, präsentierte Ike seine Neuigkeiten.
„Und?“
„Das ist alles!“
„Toll, ich will ja nicht deine ermittlerische Kompetenz anzweifeln, aber das ist nicht viel“, war Mira enttäuscht.
„Ihr Frauen seit wirklich nicht einfach zu Frieden zu stellen. Okay, er wurde am 16. April 1982 in dieser Stadt geboren und ging auf die St. Marys Highschool“, las er von seinem Notizzettel ab.
„Er ist also ein 25-jähriger Ex-Schüler einer katholischen Highschool, wahnsinnig interessant“, hatte sie sich mehr erhofft.
„Ruhe auf den billigen Plätzen, ich komm erst gerade zum Finale. Er hat das College in Cucamonga in Kalifornien besucht“, erkannte er.
„Kalifornien, die Verbindung zu mir ist da, er hat vermutlich zusammen mit mir studiert“, war sie vom Finale mehr begeistert.
„Das glaub ich eher weniger, wenn du Krankenschwester bist, hast du sicher eine Schwesternschule besucht und er nicht. Aber ihr könnt euch da kennen gelernt haben“, erkannte Ike.
„Wir müssen nach Kalifornien um das heraus zu finden“, entschied sie standhaft.
„Tut mir leid Süße, aber ohne Reisepass kommst du nicht in die Staaten“, erwiderte Ike.
„Richtig, keine Identität, kein Reisepass. Ihr müsst für mich gehen“, bat Mira.
„Wir hatten eigentlich unseren Urlaub aufgespart um zusammen mit unserem Sohn an Weihnachten unsere Tochter in Paris zu besuchen“, erkannte Ike.
„Ja, das stimmt leider, aber ich hab jetzt die Befürchtung, dass du dich in den nächsten Flieger nach Kalifornien setzt, wenn wir das ablehnen. Aber wir könnten ja dein Foto und ein Foto von ihm an das College schicken, vielleicht erinnert sich jemand an euch beide, ihr seid jung, ihr seid sicher noch nicht lang aus dem College raus“, schlug Imara vor und Mira nickte zwar enttäuscht aber zustimmend.
„Jetzt ruh dich endlich aus, heut Mittag kommt meine Bekannte und analysiert dich“, erkannte Imara und Mira döste wieder ein.

Neuntes Kapitel


„So Miss Dawson, eigentlich fang ich immer damit an, dass sich die Kinder an was Schönes erinnern, was sie erlebt haben, aber wie ich Ihre bisherige Geschichte kennen, gibt es da nicht viel“, begann die Psychologin an diesem Nachmittag mit der Behandlung.
„Doch, mir fällt schon was ein, warten Sie kurz“, erkannte Mira und dachte an den Moment, wo sie sich bei den Linewises zu Hause gefühlt hatte.
„Okay, ich hab einen schönen Moment, was nun?“, bemerkte Mira lächelnd.
„Entspannen Sie sich, Sie werden immer zu diesem schönen Moment zurückkehren, wenn es unangenehm wird. Sie müssen diese verdrängten Gedanken mit dem schönen in Verbindung bringen, dass Ihr Gehirn sie zulässt“, begann sie mit der Sitzung.
 
Nach einer Stunde gab sie auf.
„Also eins wissen wir jetzt, verdrängte Gedanken haben Sie nicht, es ist Ihr Gedächtnis, was nicht mitspielt. Erzählen Sie mir mal von diesem Mann, die Sie zu lieben glauben, obwohl Sie ihn nicht kennen“, entschied sie und Mira begann zu erzählen.
„Imara hat Recht, es könnte gut sein, dass Sie ihn als Vertrauten ansehen, weil er der erste war, den Sie nach Ihrem Aufwachen sahen. Aber diese Flashes sind kleine Hiebe aus ihrem Unterbewusstsein, die Ihnen was sagen wollen. Der junge Mann hat Sie vor irgendwas gerettet, woran er sich vermutlich selbst nicht mehr erinnert, es ist wirklich ein außergewöhnliches Phänomen, dass zwei Personen, die beide nicht wissen wer sie sind sich im Krankenhaus sehen und sich irgendwie wieder erkennen. Das zeugt davon, dass sie früher sehr eng verbunden waren. Wo ist denn der junge Mann jetzt?“, war die Psychiaterin fasziniert von der Geschichte.
„Auf dem Weg in die Flitterwochen denk ich mal, es ist Vitus Night“, gestand sie.
„Ja klar, wäre auch sonst zu einfach, es muss ja unbedingt der Spross der schwer erreichbarsten Familie der Stadt sein“, erkannte sie.
„Das kommt mir nicht so vor, die fallen ja ständig ins Diner ein“, erkannte sie.
„Dann ist das wohl Schicksal mit euch, sein Weg führt immer zu Ihnen“, erkannte die Psychologin hoffnungsvoll.
„Das ist nur Zufall, ich hab auch die Hexe im Diner gehabt und mit der will ich sicher nicht zusammen sein“, schmunzelte Mira.
„Okay, dann war das nur Zufall. Aber seltsam ist es trotzdem“, erkannte sie.
„Ich hoffe ein Zufall, der sich nicht mehr wiederholt, ich weiß nicht was ich mache, wenn ich die Hexe noch Mal sehe“, erkannte sie nachdenklich.
„Die arme Frau ist vielleicht ganz nett, Sie können Sie nicht hassen, weil sie Ihren Mann geheiratet hat“, erkannte die Psychologin.
„Wissen Sie eigentlich, was für einen Blödsinn Sie reden? Der Kerl ist meiner und sie heiratet ihn“, bemerkte sie schroff.
„Und wissen Sie, was für einen Blödsinn Sie reden? Der Kerl ist nicht Ihrer, sonst würde er nicht heiraten. Wissen Sie was, wir sollten das hier beenden, ich bin nicht gut bei Erwachsenen, deshalb mach ich das mit Kindern viel lieber“, stand die Psychologin auf und ging einfach.
„Toll, jetzt verscheuch ich schon Psychologen, ich bin echt eine kranke Person“, bemerkte sie zu sich und drehte sich zum Fenster um heraus zu sehen.
 
Eine Woche später konnte sie wieder arbeiten. Sie war immer noch etwas erschöpft,
aber es ging.
„Hi, wie geht’s?“, kam Imara zu ihr ins Diner an die Theke.
„Was machst du hier?“, fragte sie angenehm überrascht.
„Nachsehen, wie es meiner Patientin geht und deinen Blutdruck messen“, stellte sie ihre Tasche auf den Tresen.
„Nicht dein Ernst, nicht hier“, wurde sie nervös.
„Toilette, sofort“, erwiderte Imara und zog sie an ihrer Hand am Tresen entlang.
„Ich geh’ kurz auf Toilette“, rief Mira, während sie zur Toilette gezogen wurde.
„Du weißt schon, dass du einen Knall hast“, bemerkte Mira, grummelig und Imara kramte in ihrer Tasche herum, während sie sie wortlos an die Wand der Toilette drückte.
„Du machst es ja nicht selber, dann muss ich wohl nachhelfen“, legte sie ihr die Manschette an und stellte das Gerät an.
„Ich war heut Morgen spät dran, da hat ich keine Zeit mehr. Das ist Schikane, ich hoffe, das weißt du“, fühlte sie sich unwohl.
„Ich mach mir nur Sorgen um dich, dein Blutdruck ist verdammt niedrig, du nimmst doch die Tabletten, die sie dir im Krankenhaus gegeben haben, oder?“, fragte Imara und begann ihren Blutdruck zu messen.
„Ich krieg davon immer so einen heißen Kopf“, erwiderte sie trotzig.
„Das soll es auch bewirken, nimm sie. 100 zu 60, na ja, nicht begeisternd, aber okay. Isst du auch genug?“, fragte Imara und zog die Manschette wieder von ihrem Arm.
„Ich komm hier nicht so viel zum Essen“, entgegnete sie und sah in den Spiegel.
„Hier steht überall Essen rum, bedien dich einfach“, entschied Imara und Mira machte ihre Haare neu.
„Ja klar, den Gästen wird es wunderbar gefallen, wenn ich an ihr Essen gehe. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, kannst du mir von dem Laden gegenüber einen Bagel mit Kräuterfrischkäse und eine Cola Light besorgen, denn ich kann das Essen hier nicht Essen“, gestand sie und Imara lächelte.
„Warum sagst du das nicht gleich, ich werde dir morgens was einpacken, kein Problem. Ich werde dir das besorgen gehen, ich hab hier noch ein Powerriegel, iss den erst mal, ich komm gleich wieder“, erwiderte sie und gab ihr den Riegel.
„Danke, ich hab einen Riesenhunger. Ich bin froh, dass ihr mich so umsorgt, aber ich muss langsam anfangen, selbst für mich zu sorgen. Ich hab mich umgeschaut und könnte ne Wohnung gleich hier um die Ecke haben. Ist zwar ein Rattenloch, aber es ist was Eigenes“, erkannte sie plötzlich.
„Nein, du ziehst nicht in irgendeine Bruchbude, du wirst bei uns bleiben“, konterte Imara.
„Imara, ihr wart mir in den letzten Wochen so eine große Hilfe, aber ich muss echt allein klar kommen“, entschied sie standhaft.
„Aber du versprichst uns, dass wir dir weiter helfen dürfen“, gab sie nach und ging zur Tür.
„Ja, natürlich, ganz allein schaff ich das nicht. Wer passt denn sonst auf meine Gesundheit auf“, schmunzelte sie und Imara ging wieder nach draußen.
 
2 Wochen später packte sie ihr weniges Hab und Gut ein und zog in die Wohnung, die sie sich ausgesucht hatte. Sie hatte wenigstens ein Bett und einen Schrank, das war gerade das Einzigste was sie brauchte.
„Ich wollt mich eigentlich noch dafür entschuldigen, dass ich diese Kinderpsychologin im Krankenhaus auf dich gehetzt hab“, bemerkte Imara, als sie ihr einräumen half.
„Kein Problem, wenn ich fünf Jahre alt gewesen wäre, hätte sie mir echt helfen können“, bemerkte Mira gut gelaunt und stellte die zwei Blumen, die sie gekauft hatte aufs Fensterbrett.
„Ja, vermutlich. Hast du in letzter Zeit wieder Flashes gehabt?“, fragte Imara neugierig und setzte sich auf Miras Bett.
„Nein, Gott sei Dank, der letzte hat mir gelangt. Ich brauch sie ja auch nicht mehr, jetzt will ich gar nicht mehr wissen, wer ich bin“, entschied sie standhaft.
„Was sagst du da? Hast du das mal Ike gesagt? Der macht jeden Abend mindestens 4 Überstunden um am PC was über dich raus zu finden“, machte sie ihr Vorwürfe.
„Wirklich? Ich hatte ihn zwar mal darum gebeten, aber ich wusste nicht, dass er so penetrant dahinter ist. Sag ihm, dass er damit aufhören soll“, bat Mira schuldbewusst.
„Das sagst du so einfach, es ist einfacherer einem Hund seinen Knochen weg zu nehmen, als ich davon abzubringen, glaub mir“, erkannte Imara und Mira griff zum Telefon.
„Ike, hey, hier ist Mira, nein, Imara geht’s gut. Ich hab grad gehört, du stellst noch Nachforschungen an, lass es, ich will das nicht mehr“, rief sie Ike an.
„Gut, dann willst du sicher auch nicht die Nummer von einer Sekretärin der Schwesternschule haben, auf der du warst“, erkannte Ike gespielt müde.
„Was? Du hast mich gefunden?“, musste sie sich setzen.

Zehntes Kapitel


„Sie hat mir nicht sagen wollen, wie dein Name ist, aber sie hat mir ihre Nummer gegeben. Das ist ihre Nummer im Büro, du sollst sie so schnell wie möglich anrufen“, erwiderte er Ike mit stolz geschwollener Brust.
„Sie kennt mich also“, war sie plötzlich vollkommen aufgelöst.
„Scheint ganz so. Wie mein Vater immer sagt, Penetranz zahlt sich immer aus“, war er froh ihr eine Freude gemacht zu haben und sie legte auf, nachdem sie ihm tausend Mal gedankt hatte.
„Hast du das gehört Imara, er hat mich gefunden, ich existiere“, war Mira vollkommen außer sich vor Freude.
„Das hast du immer schon, aber ich verstehe was du meinst, Schätzchen. Ruf sie an“, drängte Imara sie, die Frau anzurufen.
Zitternd wählte sie die Nummer.
„Cucamonga Schwesterschule Roma Merton am Apparat“, meldet sich eine junge Frau am anderen Ende der Leitung.
„Hi, mein Name ist Mira Dawson, der Name wird Ihnen sicher nichts sagen, Officer Limewise hat mir Ihre Nummer gegeben“, meldete sie sich unsicher.
„Oh mein Gott, Diane, bist du das?“, fragte Roma genauso durcheinander wie ihre Anruferin.
„Ich weiß nicht, wie ich heiße, ich hab mein Gedächtnis verloren, ich weiß das klingt wie in einer schlechten Seifenoper, aber es ist leider so“, versuchte sie zu erklären.
„ich weiß gar nicht, wie lang ich nach dir gesucht habe. Ist Rosaria bei dir?“, fragte Roma hoffend.
„Tut mir leid, ich kenne keine Rosaria“, erwiderte sie verwundert.
„Rosaria Merton, sie hat sich vor einem halben Jahr aufgemacht, dich zu finden. Seit dem hab ich nichts mehr von ihr gehört. Dieser Anruf von diesem Polizisten kam wie ein Wunder, er hat mir dein Bild gemailt, mein Gott, ich hab so gehofft, dass sie bei dir ist“, war Roma etwas enttäuscht.
„Nein, keine Rosaria, tut mir leid. Wie ist mein Name, ist Diane mein Name?“, fragte sie vorsichtig.
„Diane Daymore ist dein Name, ja, Rosaria ist deine beste Freundin. Ich bin ihre große Schwester Rosa, wir kennen uns seit wir ganz klein sind. Was machst du in Kanada, sag mir das?“, hatte Roma fast so viele Fragen wie Mira.
„Es ist so schön, jemanden zu hören, der mich kennt. Wenn wir uns kennen, sagt dir dann Vitus Night etwas?“, fragte Mira neugierig.
„Ja, aber vor allem dir müsste er was sagen, schließlich wart ihr beinahe drei Jahre verheiratet. Du bist doch hoffentlich nicht in seinen Armen aufgewacht“, schien Roma nicht gut auf Vitus zu sprechen zu sein.
„So ähnlich, ich bin neben ihm im Krankenhaus aufgewacht. Er leidet auch an Gedächtnisschwund, oh meine Güte, ich merk grad, dass mein Leben eine Seifenoper ist“, schmunzelte sie.
„Wenn du das seltsam findet, wird es jetzt noch seltsamer. Du hast dich in ihn verliebt, da warst du ganz frisch auf der Schwesterschule. Er ist so ein Prince Charming Typ, du kennst ihn ja, du bist sonst eigentlich nicht auf so Typen reingefallen, aber er schien irgendwie anders zu sein. Als es mit euch ernst wurde, haben wir dir beide von dieser Hochzeit abgeraten, weil wir besorgt um dich waren. Aber um dich nicht zu verlieren, haben wir unseren Segen beigetragen. Ihr seid zu seinen Eltern gefahren um die Neuigkeit zu verkünden, seine Eltern haben dich gar nicht gut aufgenommen, die ganze Familie war irgendwie seltsam. Ihr habt trotz einiger Widerworte von uns allen geheiratet. Ihr wart glücklich, doch dann begann er seltsam zu werden. Er verschwand auf Geschäftsreisen, kam immer weniger nach Hause. Dann bist du ihm hinterher gereist, mit deinen Scheidungspapieren in der Tasche. Die kamen dann auch von euch beiden unterschrieben zurück, aber ihr nicht mehr. Rosaria ist euch hinterher gereist, sie hatte Angst, dass dir was passiert ist. Und dann ist sie verschwunden“, erzählte Roma alles was sie wusste.
„Soweit ich weiß, hat irgendjemand versucht uns zu töten. Wir hatten einen Autounfall, wie mir dir Ärzte gesagt haben. Alle meine Sachen waren weg, meine Anziehsachen wurden kontaminiert, als wir mit einem Giftmülllaster kollidiert sind. Warte mal, ich müsste total verstrahlt sein, wenn das passiert wäre, die haben mich im Krankenhaus angelogen, ich wusste es“, erwiderte Mira.
„Seine Familie steckt dahinter, da bin ich ganz sicher. Sie wollten dir deine Klamotten nicht zeigen, weil du dann wieder gewusst hättest, was passiert war. Du hast dein Hochzeitskleid getragen, als du zu ihm gefahren bist, du hast so einen speziellen Humor, du wolltest ihm die Scheidungspapiere in deinem Brautkleid überreichen“, bemerkte Roma amüsiert.
„Das erklärt das weiße Outfit, was ich in meinen Flashes gesehen habe“, entgegnete sie.
„Flashes?“, fragte Roma nachfragend.
„Erklär ich dir, wenn wir uns sehen. Ich hab keine Papiere bei mir, hast du die Möglichkeit zu mir zu kommen?“, hoffte Mira.
„Ich hab noch ein paar freie Tage. Ich könnte Morgen Abend bei dir sein“, erkannte sie.
„Das wäre toll, ich geb dir meine Adresse“, war Mira begeistert und machte einen Termin aus.
„Ich freu mich so für dich, jetzt wird alles gut bei dir“, umarmte Imara ihre Freundin.
„Ja, das hoffe ich, das hoffe ich so sehr“, erwiderte sie glücklich.
 
Mira nahm sich den nächsten Nachmittag frei und wartete nervös auf ihre Freundin.
Gegen fünf Uhr abends klingelte es. Sie eilte zur Tür. Eine kleine, aber sehr hübsche Italienerin mit langen braunen Haaren stand vor ihr.
„Hi Süße“, fiel die junge Frau ihr um den Hals, was ihr etwas unangenehm war.
„Entschuldige, das muss seltsam sein. Es ist nur so schön, dich wieder zu sehen. Wir haben dich alle so gesucht. Dein Bild hängt immer noch an meiner Pinnwand. Wir dachten schon, du wärst tot“, erwiderte sie und kam hinein.
„Was heißt wir, meine Eltern, meine Geschwister, wissen sie es schon?“, hoffte sie.
„Tut mir leid, meine Kleine, deine Eltern sind gestorben, als du klein warst, du bist ein Einzelkind. Aber wir sind deine Familie, Rosaria, Michele und ich“, setzte sie sich.
„Bin ich ihm Waisenhaus aufgewachsen?“, fragte Mira und setzte sich ihr gegenüber.
„Ja, aber es war ein gutes Heim, mit 18 Jahren bist du dann auf die Schwesternschule gegangen, da hast du Rosaria kennen gelernt und so auch mich. Michele ist dein Zimmergenosse auf der Schule gewesen, Vitus war immer furchtbar eifersüchtig auf ihn, obwohl es keinen Grund dazu gab, denn Michele steht nur auf Kerle. Er lässt dich grüßen, er arbeitet jetzt im Krankenhaus in der Stadt. Er wollte auch mitkommen, aber hat so kurzfristig nicht frei bekommen. Ich hab so gehofft, dass ihr beiden wenigstens zusammen seid. Hier, ich hab eine Kopie von deiner Sozialversicherungskarte dabei, vielleicht können wir dir so einen neuen Ausweis beantragen, dass du nach Hause kommen kannst“, kramte Roma in ihrer Tasche und holte ihre Papiere heraus.
„Das klingt wie Musik in meinen Ohren, du glaubst nicht, wie lang ich darauf gewartet habe“, freute sich Mira und erzählte ihr die ganze Geschichte, wie sie im Krankenhaus aufgewacht war und so weiter.
„Du arbeitest jetzt also in einem Diner? Was für eine Verschwendung deiner Talente. Du warst die zweitbeste in eurem Kurs bei der Schlussprüfung, nach meiner Schwester versteht sich. Ihr beiden wart schon immer zwei Chaoten, ich dachte einfach, ihr hättet euch abgesetzt und wolltet euch erst melden, wenn ihr erfolgreich irgendwo angefangen hättet. Wo ist sie nur? Sie hat mich immer angerufen und gesagt, dass sie ganz nah an dir dran ist, ich hab immer zurückgerufen, aber dann war ihr Handy plötzlich aus und sie hat sich nicht mehr gemeldet. Eine Woche später habe ich die Polizei eingeschaltet, aber sie haben sie und auch dich nicht gefunden. Wir haben schon damit gerechnet, irgendwann von der Polizei zu hören, dass sie eure Leichen gefunden haben, dann ruft dieser Polizist aus Kanada an und fragte, ob ich dich kenne. Für mich war das ein Wunder. Wenn ich dann auch noch Rosaria finde, ist unsere kleine Familie endlich wieder zusammen“, entschied Roma.
„Ich hoffe auch, dass ihr nichts passiert ist, ich hab die Familie meines Ex-Mannes zwar nicht gesehen, soweit ich weiß, aber ich hab miese Dinge von ihnen gehört“, schlussfolgere Mira.
„Sag so was nicht, ich mach mir furchtbare Sorgen um sie“, erkannte Roma besorgt.
„Keine Sorge, wir werden sie finden. Willst du Kuchen, ich hab aus dem Diner welchen mitgebracht“, bemerkte sie und packte Kuchen aus.
„Du bist so ganz anders als die, die ich kenne. Du bist schüchtern, zurückhaltend, vorsichtig. Du hast dir sonst nichts sagen lassen, vor allem nicht von Ärzten“, entgegnete Roma verwundert.
„Das mach jetzt immer noch nicht, ich hab ganz schön viele Ärzte angepöbelt in den letzten Wochen. War ich ein Biest, oder wie soll ich das verstehen?“, fragte Mira und schenkte ihr Kaffee ein.
„Nein, irgendwie nicht, du hast nur deine Klappe aufgemacht, wenn dir was nicht gepasst hat und du hast auch nie jemanden bedient. Setz dich hin“, bat Roma und zog sie auf ihren Stuhl.
„Entschuldige, wenn ich dich irritiere, ich würde mich ja gern erinnern, aber außer dieser Flashes hab ich nichts, was mich an früher erinnert“, erkannte sie und musste plötzlich grinsen.
„Was ist, ist dir was eingefallen?“, fragte Roma verwundert.
„Er liebt mich noch, wir hatten uns versöhnt“, stellte sie fest.
„Du hattest dich mit Vitus versöhnt. Wie? Wann?“, war Roma irritiert von ihrer Aussage.
„Ich hatte Sex vor meinem Unfall, wir hatten uns versöhnt“, erkannte sie glücklich, das herausgefunden zu haben.
„Du hattest Sex? Mir machen uns Sorgen um dich und du treibst es feucht fröhlich mit deinem Ex?“, fragte Roma kritisch.
„Wie du gesagt hast, ich hab alles gemacht, um das zu bekommen, was ich wollte. Er ist wohl wieder auf mich reingefallen. Vermutlich hab ich ihn mit dem Hochzeitskleid versucht an die gute alte Zeit zu erinnern. Wir haben geredet und dann ist es passiert. Seine Familie hat spitz gekriegt, dass wir uns versöhnt haben und er wollte mich wegbringen. Da hatten wir diesen Unfall und da ich Fragen gestellt hätte, wenn ich in einem Hochzeitskleid aufgewacht wäre, musste das Ding kurzerhand verschwinden. Die Ärzte haben sie bestochen, dass sie nichts sagen. Oder zumindest die dumme Geschichte mit der Verstrahlung erfinden. Wie auch immer, er hat jetzt ne andere Frau geheiratet, das ist nicht mehr wichtig. Ich will nur noch so schnell wie möglich dieses Land verlassen, wenn wir Rosaria gefunden haben, natürlich“, dachte Mira laut nach.
„Du hast Recht, dein Leben gleicht gerade echt einer Seifenoper. Also, ich hab zehn Tage Zeit um das hier alles zu regeln, danach musst du allein klar kommen“, erwiderte Roma und so machten sie sich auf, um alles zu regeln.
Die zehn Tage gingen viel zu schnell vorbei und sie hatten geschafft, Mira einen Pass zu besorgen, so dass sie nach Hause reisen konnte. Zumindest war es das zu Hause, was ihr genannt wurde.
„Ich lass dich ganz ungern gehen, das weißt du. Ich werde weiter nach deiner Freundin suchen, mach dir keine Sorge. Krieg erst mal dein Leben wieder in den Griff, ich kümmere mich darum. Sie passen doch auf meine Kleine auf, oder?“, verabschiedete sich Ike an diesem Morgen von seiner neu gewonnenen Freundin.
„Ja, Sir, das werde ich. Und ich danke Ihnen, dass Sie, sie so in Ihre Familie aufgenommen haben“, bedankte sich auch Roma.
„Übrigens, ich bin auch anwesend. Ich danke euch, ich kann kaum Worte finden für meine Dankbarkeit. Wenn ihr mal in Cucamonga seid, müsst ihr unbedingt zu mir kommen. Ich würde euch ja sagen, dass ich euch besuchen werde, aber ich hab zu sehr Angst, hier her zurück zu kommen. Ich danke euch, dass ihr euch um die Sachen mit der Arbeit und der Wohnung kümmert. Sagt einen Gruß an eure Tochter und sie hat auch immer ein zu Hause bei mir, wenn sie zu mir kommt, sagt ihr das. Komm her, Imara“, umarmte sie erst Imara und dann Ike.
„Sagen wir ihr, wir werden ihr auch sagen, dass sie jetzt eine neue Schwester hat“, bemerkte Imara.
„Hör auf, sonst flenne ich noch. Ich musste wohl erwachsen werden, um endlich Eltern zu finden“, erwiderte sie und ging mit Tränen in den Augen zu Romas Wagen.
„Es ist vielleicht besser so, dass sie hier weg geht, dann denkt sie nicht ständig an ihn. Bringen Sie sie dazu, sich jemanden anderes zu suchen, das ist das sicherste für sie“, bat Imara, Roma und sie nickte.
 
An diesem Nachmittag kam sie wieder in ihre Heimatstadt zurück. Es war ein seltsames Gefühl, aber sie fühlte, dass es richtig war.
„Deine Wohnung mussten wir leider aufgeben, aber ich hab die Sachen in einem Lager untergebracht. Aber manche Sachen hab ich mit deinen Unterlagen schon rausgeholt. Bilder, Schmuck und andere Sachen die dir helfen können, dich zu erinnern. Hier“, gab Roma ihr eine Kiste mit Sachen, als sie an diesem Abend zusammen in Romas Wohnung waren.
„Ach ja, Burt“, nahm sie ihr Stethoskop in die Hand.
„Du erinnerst dich daran, dass ihr euren Stethoskopen Namen gegeben habt?“, fragte Roma erfreut.
„Nein, steht drauf, Burt, hab ich wohl rein geritzt“, zeigte sie ihr das Stethoskop.
„Ja, richtig, habt ihr. Ihr seid schon so zwei seltsame Gestalten. Aber deshalb mag ich euch so sehr. Tut mir leid, ich kann dir grad nur mein Sofa anbieten, aber wir werden dir was suchen, wenn du wieder einen Job hast“, führte sie sie rum.
„Ich werde nicht mehr als Krankenschwester arbeiten können, ich hab doch keine Ahnung, was ich tun soll“, bemerkte sie unsicher.
„Das kommt schon wieder, du wirst sehen. Du musst nur erst mal wieder nach Hause finden, dann wird dir alles wieder einfallen. Lass dir Zeit. Oh, das machen wir lieber weg“, fischte sie einen Bilderrahmen aus Miras Sachenkiste.
„Was ist das für ein Bild, zeig mal?“, erkannte sie und nahm es ihr ab.
Auf dem Bild waren Vitus und sie in ihrem Hochzeitsoutfit zu sehen.
„Oh, ja“, erwiderte Mira durcheinander.
„Genau deswegen sollte dass da nicht drin sein, das hat dich schon vorher zu sehr aufgeregt. Ich werde es wegräumen“, entgegnete Roma und nahm ihr das Bild wieder weg.
„Ich erinnere mich nicht an meine Hochzeit, dieses Bild bedeutet mir nichts“, log sie, aber sie fühlte doch etwas.
„Ja, das seh’ ich ganz deutlich. Ich nehm das lieber zu mir. Hast du Hunger? Ich kann uns was kochen“, wollte sie sie von dem Bild ablenken.
„Eigentlich nicht, ich will mich nur etwas ausruhen“, entschied sie und legte sich aufs Sofa.
„Sicher, tu das, ich werde in die Küche gehen und etwas Tee aufsetzen, vielleicht willst du später etwas“, ging Roma nachdenklich mit dem Bild in der Hand in die Küche.
 
In dieser Nacht wälzte sich Mira auf dem Sofa herum und träumte wilde Sachen. Das Sofa war nicht sehr breit und sie lief immer Gefahr, runter zu fallen. Doch sie träumte aufregendes. Sie hatte in diesem Traum die gleichen Gefühle wie in der Sitzung mit dem Hypnotiseur. Es war ein Sextraum von Vitus und ihr. Er war wunderschön, sinnlich, heiß, doch er endete ruckartig, als sie vom Sofa fiel.
„Sag mal Meg Ryan, hast du da einen Kerl bei dir?“, kam Roma im Schlafanzug und dicken Pantoffeln zu ihr geschlurft.
„Was? Wie?“, war sie verwirrt und kraxelte wieder aufs Sofa zurück.
„Was auch immer du da geträumt hast, ich will auch so einen Traum haben“, schmunzelte Roma und setzte sich neben sie auf den Sessel.
„Oh man, sag bloß, ich hab im Schlaf gesprochen“, erwiderte Mira verschlafen.
„Sagen wir mal so, solche Worte nimmt ein braves katholisches Mädchen wie ich nicht in den Mund. Hat Vitus dich besucht?“, fragte Roma neckend.
„Ich hab ihn nicht eingeladen“, grummelte sie und setzte sich aufs Sofa.
„Aber er ist gekommen wie es aussieht und du auch. Man, diese Laute hab ich nicht mehr gehört, seit ihr die Hochzeitsnacht hier verbracht habt, weil eure Wohnung ausgeräuchert werden musste“, entgegnete Roma und Mira lächelte.
„Du hast uns in unserer Hochzeitsnacht hier schlafen lassen?“, fragte Mira amüsiert.
„Ihr wart Student und Schwesternschülerin, ihr konntet euch kein Hotelzimmer leisten und als gute Christin dachte ich, dass die erste Nacht als Mann und Frau etwas Besonderes für euch sein muss. Ich hab zwar nicht geglaubt, dass es eure erste Nacht zusammen war, so naiv bin ich nicht, aber ich hab es mir einfach nur mal vorgestellt“, erwiderte Roma nostalgisch.
„Das erste Mal, weißt du noch das eine Mal wo du uns im Lager zwischen den Mullbinden gefunden hast?“, fragte Mira lächelnd.
„Du erinnerst dich daran?“, fragte Roma verwundert.
„Ja, wie könnte ich mich nicht daran erinnern, ich wär damals fast von der Schule geflogen“, war Mira sichtlich amüsiert über ihre Geschichte.
„Ich dachte, du hättest dein Gedächtnis verloren“, war Roma entrüstet.
„Ja, entschuldige, Flashes, ich kann das nicht kontrollieren, plötzlich sprudelt das einfach aus mir heraus“, erwiderte Mira und hielt ihren Kopf.
„Das ist gut oder, das heißt doch, dass du dein Gedächtnis Stückchenweise zurückbekommst“, erkannte Roma erfreut.
„Ja, aber das ist so ein langsamer Prozess. Ich seh’ immer Fetzen, wirre Fetzen, die keinen Zusammenhang haben“, entgegnete Mira erklärend.
„Ich kenn da jemanden, der dir da helfen kann“, schlug Mira vor.
„Oh nein, ich geh’ zu keinem Arzt mehr“, nahm sie das Angebot nicht an.
„Kann ich gut verstehen, du warst sicher schon bei so vielen Ärzten. Okay dann nicht. Hast du Kopfweh?“, fragte Roma, als sich Mira den Kopf hielt.
„Man gewöhnt sich dran, ich will jetzt lieber etwas schlafen“, erwiderte sie und legte sich zur Seite.
„Sicher, tu das“, deckte sie Roma wieder zu und ging nachdenklich in ihr Zimmer zurück.
Am nächsten Nachmittag fuhren sie in das Lager, dass Roma angemietet hatte.
„Ich hab nicht alles hier rein bekommen, aber das Wichtigste ist drin. Das ist wirklich alles deins, ich hab keins von meinen Sachen heimlich rein geschleust“, zog sie das Tor auf und beide traten ein. Auf dass, was dann kam, war sie nicht vorbereitet. Ihr wurde schwindelig und sie kippte um.

Elftes Kapitel


Den Geruch kannte sie gut, sie hatte ihn in den letzten Wochen viel zu oft gerochen. Eine Mischung aus Betäubungs- und Reinigungsmitteln.
„Aus dem Grund arbeite ich in einem Krankenhaus und du nicht“, stritt eine Männerstimme mit Roma und sie öffnete vorsichtig ihre Augen.
„Oh man, ich hab schon genug Kopfschmerzen, lasst das“, erkannte sie etwas lauter.
„Diane, hey Süße, du bist wieder wach“, kam Roma zu ihr hin.
„Ich wünschte, ich wäre es nicht, das war ein harter Fall auf die Boden der Tatsachen, das sag ich euch“, erkannte sie und rieb ihren Kopf.
„Bedeutet dass, du weißt wieder alles?“, hoffte Roma.
„Mein zweiter Name ist Janice, meine Eltern waren Künstler aus Los Angeles und meine einzige Bezugsperson war Schwester Elisabeth, als ich klein war“, entgegnete sie, um zu zeigen, was sie wieder wusste.
„Siehst du, es hat geholfen“, bemerkte Roma rechthaberisch.
„Ja, toll, sie ist beinahe gestorben dabei. Folge meinem Finger, bitte“, fuhr Michele mit seinem Finger vor ihren Augen herum.
„Mich‘, lass das, ich hab keine Schwindelgefühle, ich kann klar sehen“, wusste Mira genau, was ihr fehlte.
„Man fühlt sich so toll, wenn man für inkompetent gehalten wird. Di, ich hab fast zwei Jahre Berufserfahrung mehr als du, lass mich machen“, erkannte Michele in seinem unverkennbaren französischen Akzent.
„Ja natürlich, tut mir leid, Ärztekoller. Mach, was du nicht lassen kannst“, bat sie und er legte los.
„Das hört sich schon besser an. Ich weiß, das ist unprofessionell, aber darf ich dich umarmen, ich bin nur so froh, dass du wieder da bist“, zog er sie hoch und an sich.
„Mich‘, du musst mich das doch nicht fragen, du bist der einzige Mann der das in diesem Moment darf“, drückte sie ihn fest.
„Also sind wir jetzt wieder stinkig auf Vitus, oder wie?“, versuchte Roma zu verstehen.
„Und ob wir das sind, der Mistkerl schwört mir die ewige Liebe und heiratet dann die nächst Beste Stadtschönheit. Ich hab Krankenhäuser so was von satt, könntet ihr mich bitte hier raus holen, das wäre toll“, bat sie standhaft.
„Deine Vitalwerte sind wie es aussieht in Ordnung, ich sprech das mit dem Doc ab, aber wenn ich dich beobachte, müsste das kein Problem sein“, versprach Michele und eilte davon.
„Tut mir leid, dass ich dich fast umgebracht habe“, erwiderte Roma kleinlaut.
„Du konntest ja nicht wissen, wie ich reagiere, kein Problem. Aber alles weiß ich sicher nicht, das geht nicht so einfach. Bei mir sind nur ein paar Fakten hängen geblieben. Die müssten für den Anfang auch erst mal reichen. Ich wünschte nur, dass die Erinnerungen nicht immer mit Schwächeanfällen und Krankenhausbesuchen enden würden. Also, erspar mir Reizüberflutungen für ein paar Tage, das würde schon helfen“, erkannte sie und Roma lächelte schwach.
„Wir müssen Rosaria finden“, strich Roma ihr sanft über die Stirn, während Mira sich ausruhte.
„Wir werden sie finden, keine Sorge. Sie ist noch da draußen irgendwo. Jetzt geh’ zu Michele und mach ihm Feuer unterm Arsch, das die mich hier raus lassen“, bat Mira und Roma ging Michele hinter her.
Da Michele versprach, sie regelmäßig zu untersuchen, wurde Mira an diesem Abend noch entlassen. Roma hatte ihr, ihr Bett gegeben, weil sie ja so unruhig schlief. In den folgenden Stunden schlief sie fast nur. Es war schon wieder dunkel, als sie das nächste Mal aufwachte.
„Du schnarchst, wenn du schläfst, weißt du das eigentlich?“, saß Michele an seiner Bettkante.
„Hast du mir schon gesagt, schon zu oft. Wie spät ist es?“, fragte sie schläfrig.
„Beinahe halb sieben, meine Schicht war grad zu Ende und ich wollt nach dir sehen. Wie geht’s dir?“, fragte er und sie schüttelte nur den Kopf.
„Es soll aufhören so weh’ zu tun, er soll aufhören mir so viel zu bedeuten, ich will ihn nicht vermissen“, bemerkte sie Gedankenversunken.
„Es wird leichter nach einiger Zeit, Fabio fehlt mir auch noch sehr, aber er wollt in Oregon sein Glück suchen und hat es gefunden. Doch die Welt hört nicht auf sich zu drehen, nur weil er weggeht“, erkannte Michele nachdenklich.
„Fabio ist weg, wann ist denn das passiert?“, fragte Mira mitfühlend.
„Knapp 6 Monate ist er jetzt schon ausgezogen, ich hätte dich brauchen können, zu der Zeit“, erkannte er nachdenklich.
„Ich hätte dich auch brauchen können, ich lag im Koma“, entschied sie.
„Okay, du hast gewonnen. Ich hab übrigens heut Morgen mit deiner Ärztin aus Kanada telefoniert, eine wirklich nette Frau“, erwiderte Michele.
„Sie hat mich angelogen“, entschied sie kurz.
„Hat sie erzählt, sie hat sich doch entschuldigt“, erwiderte Michele.
„Ja, hat sie, aber ich kann ihr nicht mehr vertrauen“, erkannte sie und setzte sich auf.
„Musst du nicht, denk nur daran, dass sie dir die Wahrheit gesagt hat, als du sie gebraucht hast. Sie hat mir ein bisschen erzählt, wie du warst, als du auf gewacht bist. Ich bin so froh, dass du jetzt wieder bei uns bist“, entgegnete Michele.
„Das bin ich auch, das bin ich auch. Da ist ein Engel auf deiner Uniform“, fuhr sie über seinen Arm.
„Ich weiß, wir arbeiten für das Angel Hospital, schon vergessen?“, fragte er etwas verwundert.
„Nein, natürlich nicht, ich bin noch etwas durcheinander“, log sie schlecht. Das war der Engel, den sie in ihren Visionen gesehen hatte, sie hatte so eine Uniform getragen.
„Das geht vorbei. So wie das mit den Schmerzen vorüber geht. Du hast sicher Hunger, ich werde Roma darum bitten, dir was zu machen“, entschied er und stand auf.
„Nein, lass sie in Ruhe, sie hatte sicher einen harten Arbeitstag, ich werde mir selbst was machen“, rutschte sie aus dem Bett.
„Von wegen, ich werde dir was machen“, ließ er sie nicht raus.
„Ich will endlich nicht mehr das Opferlamm spielen. Mir geht es gut. Ich hab zwei gesunde Beine zum Laufen und ich werde jetzt in die Küche laufen und mir selbst Essen machen“, wurde sie wütend und stapfte in die Küche.
„Soll ich dir nicht doch helfen?“, kommentierte Michele, was er dort sah. Mira stütze sie in jeder Sekunde, die sie die Hände frei hatte, an den Armaturen der Küche auf.
„Nein, alles Bestens“, keuchte sie und rutschte am Küchenschrank entlang gen Boden.
„Ich will mein Leben zurück. Ich weiß allmählich wieder, wer ich bin, aber mein Leben ist nicht komplett ohne ihn“, begann sie zu weinen.
„Oh Süße, lass ihn los, das hat er auch getan“, nahm Michele den Topf vom Herd und drehte den Herd aus, um sich dann zu ihr auf den Boden zu setzen.
„Das soll mich jetzt doch nicht etwa aufheitern?“, schniefte sie theatralisch.
„Hey, ich bin hier die Drama-Queen in unserer Freundschaft. Ich sag dir, da ist ein wirklich netter Kerl in meinem Yoga-Kurs…“, erzählte Michele ihr eine Geschichte.
„Das kann er wirklich, man, wenn der wirklich hetero ist, muss du ihn mir vorstellen, wenn er solche Übungen drauf hat“, bemerkte sie etwas später besser gelaunt.
„Ja, wenn er nicht hetero wär, hätte ich ihn längst flachgelegt. Soll ich dir seine Nummer raussuchen?“, fragte Michele begeistert, von der Idee, sie verkuppeln zu können.
„Mich‘, denk mal nach, ich sitz hier in meinem Nachthemd in meiner Küche mit verheultem Gesicht, das letzte was ich jetzt will, ist mit einem Kerl zu telefonieren“, erkannte sie und lächelte.
„Du sollst ja nicht mit ihm ins Bett hüpfen, zumindest nicht heut Abend, aber anrufen könntest du ihn auch nackt, dass merkt er nicht“, erkannte Michele trocken.
„Wenn du mich jemals anrufst und dabei nackt bist, schlag ich dich“, entgegnete sie genauso trocken.
Beide starrten sich kurz an und brachen dann in Gelächter aus.
„Ich schreib dir die Nummer auf und pinn sie an den Kühlschrank, wenn du sie nicht nimmst, dann Roma vielleicht“, stand er auf und ging zum Kühlschrank.
„Könntest du mir bitte hoch helfen?“, fragte sie und streckte ihre Hand aus.
„Hab ich das richtig verstanden, du willst Hilfe von mir?“, fragte Michele amüsiert.
„Hilf mir auf, bitte“, bat sie erneut und wurde von ihrem kräftigen Kollegen hochgezogen.
„Siehst du, fällt dir kein Zacken aus der Krone, wenn du nach Hilfe bittest“, erwiderte er und half ihr auf einen Stuhl.
„Ich hab ja nicht gesagt, dass ich keine Hilfe annehme, ich war nur in letzter Zeit sehr häufig auf fremde Hilfe angewiesen und bin dem langsam überdrüssig. Und wenn du noch mal den Oma-Hilfe-Griff bei mir anwendest, zeig ich dir, wie sich ein alter Mann ohne Zähne fühlt, verstanden?“, neckte sie ihn und er kritzelte die Nummer auf und pinnte sie an den Kühlschrank.
„Das ist schon eher die Diane die ich kenne. Also meine Süße, ich muss aus diesem Outfit raus, ich werde jetzt gehen. Ich schreib dir auch noch meine neue Handynummer auf, die hast du noch nicht, ich geh’ heut Abend noch auf die Piste. Willst du nicht mitkommen?“, fragte er und kritzelte etwas auf einen neuen Zettel.
„Nachthemd, Heulsuse?“, erinnerte sie ihn an ihren momentanen Zustand.
„Richtig, Heulsüßchen geht jetzt wieder ins Bett. Ich bring dir das Essen dorthin“, entgegnete Michele und sie ging zurück ins bett und ließ sich bedienen.
 
Die Tage vergingen, die Wochen gingen ins Land und Mira kam langsam aber sicher wieder zu Kräften. Roma hatte eine Lehrerin aus der Schule dazu gebracht, Mira die wichtigsten Fakten und Vorgänge der Krankenschwester noch mal bei zu bringen und nach einem Monat Probearbeit, konnte sie wieder im Krankenhaus anfangen.
„Hey, wie läuft es?“, kam Roma eines Tages zu ihr ins Krankenhaus.
„Gut, du hast Recht, es kommt bei der Arbeit alles wieder. Hat Ike schon angerufen?“, fragte Mira und schrieb in eine Akte.
„Nein, noch nicht, er wollte aber heute anrufen, er hat angeblich ne heiße Spur“, erkannte Roma lächelnd und in dem Moment klingelte auch schon ihr Handy.
„Wenn man vom Teufel spricht. Hey Ike, was haben Sie für mich?“, nahm sie gut gelaunt ab.
„Ähm, ja ich verstehe, ich verstehe“, stotterte Roma und wurde kreidebleich.
„Was ist, was ist?“, wurde Mira nervös und Roma drückte ihr das Handy in die Hand und ging mit starrem Gesicht den Gang entlang.
„Was? Bist du sicher? Habt ihr das schon getestet?“, fragte Mira, Ike und sah zu, wie Roma auf dem Flur einfach weiterging und dann ohnmächtig zusammenbrach.

Zwölftes Kapitel


„Soll ich deine Eltern anrufen?“, fragte Mira, als sie in diesem Raum saßen, in dem es ganz still war.
„Nein, Ike wird sie auch benachrichtigen, ich will sie jetzt nicht hier haben“, entschied sie.
„Hey Süße, geht’s dir wieder gut?“, fragte Michele, als er in den Raum kam.
„Sie haben grade die aufgedunsene Leiche ihrer Schwester aus einem kanadischen See gezogen, glaubst du diese Frage ist jetzt angebracht?“, donnerte Mira aggressiv.
„Hör auf mich anzuschreien, ich muss all meine Kraft aufbringen, um nicht in einen Weinkrampf auszubrechen“, bemerkte Michele und Tränen flossen über seine Backen, während er die katatonische Roma untersuchte, ob sie sich bei ihrem Ohnmachtsanfall nichts getan hatte.
„Mir fehlt nichts“, erkannte sie abwesend.
„Denk ich auch, ich werde dir trotzdem was geben, dass das nicht mehr passiert. Ist dir schwindelig?“, zog Michele professionell seine Untersuchung durch, währen große Tränen über seine Augen rollten.
„Ist okay, ich werde das machen, komm her“, drückte Mira ihn an seine Brust, in der ihr Freund weinend zusammenbrach.
 
„Wie wäre es mit dem?“, wühlte Mira, in Romas Schrank, um etwas Schwarzes zu finden, was Roma anziehen konnte.
„Das hat sie bei deiner Hochzeit getragen, sie will das sicher nicht mit zwei so unterschiedlichen Anlässen verbinden“, erkannte Michele, der auf Romas Bett saß und die Arme um seine Beine geschlungen hatte.
„Ach, ja richtig. Wie konnte ich das vergessen. Glaubst du, sie hat was dagegen, wenn ich das anziehe? Ich habe kein schwarzes Kleid“, bemerkte Mira.
„Wie kannst du jetzt über Kleider nachdenken? Deine beste Freundin ist grad gestorben“, konnte das Michele nicht verstehen.
„Ich fühle nichts, ich fühle gar nichts, ich erinnere mich langsam wieder an mein Leben, aber ich konnte keine Gefühle zu dieser Frau aufbauen, ich kenne sie nicht“, hängte sie das Kleid in den Schrank zurück.
„Auch wenn das gemein klingt, ich wünschte, ich hätte deine Gefühle, das Gefühl, dass mein Herz weint, ist ein unerträgliches Gefühl für mich“, erwiderte Michele und kam zu ihr hin.
„Ich werde nicht weinen können, bei der Beerdigung. Das wird Roma sehr kränken“, wühlte sie weiter im Schrank rum.
„Ich hab Augentropfen, die das vortäuschen können. Ich werde euch was Schwarzes zum Anziehen kaufen, mach dir darum keinen Kopf. Was denkst du, wie lang sie sie dabehalten wollen?“, sprach Michele über die Tatsache, dass Roma im Krankenhaus bleiben musste.
„Sie steht unter Schock, das wissen sie nicht genau. Ich werde ihr dunkelblauen T-Shirts und Jeans einpacken, das muss erst mal reichen. Das wäre ganz lieb, wenn du dich um die Kleidung kümmerst. Ich werde am Wochenende nach Calgary fahren um die Leiche zu identifizieren, ich bin nur froh, dass mein Pass letzte Woche fertig geworden ist, ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass ich so früh wieder dahin zurück muss. Ich hab ein bisschen Angst davor“, erkannte sie und fand etwas dunkleres, was sie anzog.
„Ich sollte mitgehen, ich könnte sie vielleicht besser identifizieren“, schlug Michele vor, als Mira wie so oft gedankenverloren in einen Spiegel starrte.
„Nein, du musst bei Roma bleiben, sie braucht jemanden“, erkannte Mira nachdenklich.
„Ihre Mutter wird sie aus dem Krankenhaus abholen, du brauchst mich auch“, entschied er.
„Du hast ihre Mutter angerufen, sie wollte das doch nicht“, nörgelte Mira.
„Hab ich nicht, sie hat mich gestern Abend angerufen, sie ist eine sehr starke Frau, sie verkraftet das gut. Denk ich zumindest, sie ja eine sehr resolute Frau. Oh man, ich sollte lieber bei Roma bleiben, die dreht sonst noch durch bei ihrer Mutter. Kommst du wirklich allein klar?“, fragte Michele, der sie beobachtete wie sie ständig ihr Spiegelbild betrachtete.
„Ja, alles bestens, das nimmt mich nur ziemlich mit, das ist alles. Ich darf mir doch deinen Wagen leihen, was ist eigentlich mit meinem Wagen passiert?“, fragte sie und schüttelte ihren Kopf, um sich aus ihren Gedanken zu lösen.
„Tut mir leid, das hab ich verkauft, wir mussten dein Lager irgendwie bezahlen. Aber du kannst natürlich immer meinen Wagen haben. Apropos Lager, wann willst du dir eigentlich eine neue Wohnung suchen?“, fragte Michele.
„Mich‘, da kann ich mir jetzt nicht auch noch einen Kopf drüber machen. Danke, dass ich deinen Wagen haben kann, ich werde jetzt ins Krankenhaus zurück fahren, meine Schicht fängt eh’ in einer Stunde an. Ich weiß, du hast Nachtschicht und willst sicher noch etwas schlafen, aber könntest du ne Kleinigkeit kochen? Ich hab ein paar von Rosarias engsten Freunden hier her eingeladen, wir wollen eine kleine Gedenkfeier veranstalten, weil es noch so lange dauert, bis wir sie beerdigen können“, bat Mira und er nickte verständnisvoll.
„Warum braucht die Polizei so lang, um die Leiche frei zu geben? Sie wissen doch ganz genau, wie sie gestorben ist“, sprach Michele das Thema an, was sie die ganzen Zeit versucht hatten zu vermeiden.
„Sie müssen noch Beweise sammeln, um die Familie zu belasten, aber im Moment haben sie nichts in der Hand gegen diese Mistkerle“, entschied sie verärgert und packte Romas Anziehsachen in eine große Tasche um dann zur Arbeit zu gehen.
 
Während sie zur Arbeit fuhr, kullerten plötzlich Tränen aus ihren Augen. Es war seltsam, dass war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich über Tränen freute. Sie fühlte endlich einen Verlust, vielleicht lag es auch nur daran, dass jetzt alle Leute um sie herum waren, die sie mit Geschichten über Rosaria versorgten und sie ihr so ein Bild von ihr machten.
 
„Hey Roma, da bin ich wieder, ich musste etwas schlafen, wie geht’s dir?“, kam sie zu ihrer Freundin ans Krankenbett in obersten Stockwerk, in dem sich die Psychiatrie befand.
„Meine Mutter wird mich abholen kommen“, bemerkte Roma tonlos und es war fast so, als würde sie durch Mira hindurch mit der Wand reden.
„Hab ich schon gehört, ich hab heut Abend eine kleine Trauerfeier organisiert für Rosarias Freundinnen und Freunde, ist wirklich schade, dass du nicht dabei sein kannst“, erzählte Mira ihr von ihren Plänen.
„Findest du das angebracht, eine Feier zu veranstalten, während meine kleine Schwester da allein in dieser Leichenhalle liegt?“, kritisierte Roma ihr Vorhaben.
„Wir müssen alle darüber reden Roma, zusammen über sie reden, zusammen weinen, zusammen lachen, unsere Gefühle teilen“, bemerkte sie gefühlvoll.
„Was redest du da, du fühlst gar nichts, du hast sie nicht mal gekannt, wie kannst du da um sie trauern?“, entschied Roma plötzlich mit schmerz verzerrtem Gesicht.
„Ich habe sie gekannt Roma, ich kann mich zwar nicht detailliert an ihr Lächeln oder ihre kleinen Eigenheiten erinnern, aber ich möchte es gern, bitte erzähl mir von ihr“, bemerkte sie.
„Das du nachher auch ein paar Eigenheiten von ihr erwähnen kannst?“, fragte Roma schnippisch.
„Mach mich nicht an Roma, es ist schwer genug nicht zu wissen, wer sie war“, wurde auch sie ungehalten.
„Tut mir leid, ich bin so froh, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der jetzt einen rationalen Gedanken fassen kann. Rosaria liegt da ganz allein in dieser Leichenhalle und niemand ist bei ihr“, erkannte Roma weinerlich.
„Ich werde in zwei Tagen zu ihr fahren. Sie muss nicht allein sein, Ike ist bei ihr. Schlaf dich aus Roma, es wird eine harte Zeit auf uns zu kommen. Ich hab dir ein paar Klamotten mitgebracht, Michele wird vor seiner Nachtschicht noch mal bei dir vorbeikommen, man ich weiß echt nicht was ich sagen soll“, wurde sie ruhiger.
„Gar nichts, bleib einfach bei mir sitzen“, bat Roma und sah sie mit ihrem tränenverschmierten Augen an.
„Das werde ich, lass uns einfach hier sitzen“, bemerkte Mira und die Frauen sahen zu wie die Sonne unterging und der dritte Tag nach der Todesnachricht von Rosaria zu Ende ging.

Dreizehntes Kapitel


Am Freitag nach ihrem Dienst packte sie ihre Sachen um wieder nach Calgary zu fahren.
„Soll ich nicht doch mitfahren?“, fragte Michele besorgt, als er sie zum Abschied umarmte.
„So gern ich auch jemand dabei hätte, du wirst hier gebraucht. Die Mädchen kommen heut Abend, dass sie nicht allein ist und du musst dass Schutzschild gegen blöde Fragen sein. Außerdem musst du ein Puffer zwischen ihr und ihrer Mutter sein“, erkannte Mira standhaft und stieg ein.
„Lass dich bloß nicht umbringen, bitte“, bat Michele besorgt.
„Sie haben es auch beim letzten Mal nicht geschafft, mich umzunieten, dann werden sie es jetzt auch nicht schaffen, das wolltest du jetzt nicht hören, oder?“, fragte sie und er nickte.
„Komm bloß zurück zu uns, wir schaffen das nicht ohne dich“, entgegnete er und sie küsste ihn.
„Ich schaff dass auch nicht ohne euch, ich bin am Montag zurück“, entschied sie und fuhr los.
 
In einem Hotel an der Grenze übernachtete sie, weil sie durch viele Staus nicht so weit gekommen war, wie sie dachte.
„Hey, ich bin’s, ich bin noch in den Staaten, ich übernachte an der Grenze. Wie geht es ihr?“, fragte sie Michele, als sie zu Hause anrief.
„Ganz okay, sie unterhält sich mit den Frauen, sie weint nicht, dass ist schon mal ein guter Fortschritt. Du bist doch nicht etwa in so einem ekligen Motel abgestiegen“, erwiderte Michele vorwurfsvoll und Mira sah auf das blinkende Schild des Motels.
„Äh, nein“, log sie schlecht.
„Dann schlaf wenigstens auf der Überdecke, du weißt doch, wie viel Bakterien auf diesen Laken sind“, bat Michele.
„Toll, danke fürs Erinnern, jetzt muss ich an die Rezeption und mir ein neues Laken besorgen, bäh“, konterte sie.
„Nimm auch gleich ein frisches Kissen mit“, bemerkte er und sie stimmte ihm zu.
Sie schlief nicht gut in dieser Nacht, sie schlief eh’ nicht so gut, seit sie tot war, aber diesmal hatte sie richtige Angst. Mit einer dicken Sonnenbrille auf den Augen checkte sie am nächsten Tag aus.
„Haben Sie gut geschlafen in unserem Hotel?“, fragte der Mann an der Rezeption.
„So gut wie man in ihrem Salmonellen verseuchten Hotel schlafen konnte, danke“, murrte sie legte das Geld hin.
„Wie können Sie so was sagen? Wir sind ganz penibel mit unserer Sauberkeit“, behauptete der Kerl.
„Ah, ich bin Krankenschwester, kleiner Tipp von mir, wenn sie das Motel abbrennen, können Sie sich vielleicht vor Besuchen des Gesundheitsamtes schützen. Schönen Tag noch“, erkannte sie und ging von dannen.
 
Am Samstagmittag kam sie in Calgary an. Sie fuhr zu den Lemonwises.
„Hey“, begrüßte sie Imara, als die die Tür öffneten.
„Oh Süße, komm her“, umarmte Imara sie einfach und bat sie rein.
„Dein Leben wird wohl nie in ruhigen Bahnen verlaufen, oder?“, fragte Imara, als sie zusammen bei einer Tasse Tee saßen.
„Bis vor einer Woche war mein Leben eigentlich wieder ganz okay. Warum muss diese Familie mein Leben zerstören, nur weil ich ihren Sohn liebe?“, fragte Mira vorwurfsvoll.
„Schwirrt dieser Kerl immer noch in deinen Gedanken rum?“, fragte Imara enttäuscht.
„Ich weiß auch, dass das bescheuert ist, aber so fühle ich eben“, erkannte sie.
„Das ist nicht bescheuert, bei Ike war das bei mir genauso. So fühle ich immer noch. Doch er war nicht der Spross einer Mörderfamilie, das ist ein großes Minus für Vitus“, wog Imara den Gedanken ab, dass Mira mit Vitus glücklich werden würde.
„Und er ist verheiratet“, fügte Mira hinzu.
„Auch das ist ein kleines Problem, was wir nicht missachten können. Du willst also in die Leichenhalle fahren?“, lenkte sie wieder zum Thema ein.
„Ja, hatte ich vor. Ich werde sie identifizieren, das werde ich der Familie abnehmen. Ich bin ja auch schuld daran, dass sie sterben musste“, bemerkte sie trocken.
„Kleines, das darfst du nie denken, das war auf keinen Fall deine Schuld“, beteuerte Imara.
„Und ob das meine Schuld ist, wenn ich ihn nicht kennen gelernt hätte, hätte sie nie ihn kennen gelernt und sie wären nicht gezwungen gewesen mir weh’ zu tun“, entschied Mira logisch.
„So darfst du nie denken, niemals, hörst du. Das sind Begegnungen des Schicksals gewesen, dabei hast du keine Rolle gespielt. Und wenn dann nur eine Nebenrolle. Ich begleite dich besser ins Leichenschauhaus, sonst gestehst du nachher noch den Mord an ihr“, entschied Imara.
„Danke, ich habe gehofft, dass du das tust. Du wärst eine große Hilfe für mich, aber das ist sicher kein schöner Anblick, bist du sicher, dass du mit rein willst?“, fragte Mira nach.
„Süße, ich bin Krankenschwester ich hab so einiges gesehen“, erkannte Imara.
„Sie ist eine Wasserleiche, ihr armer Körper ist furchtbar deformiert“, entgegnete Mira.
„Ja, ich kann damit umgehen“, entschied sie standhaft.
„Gut, dann musst du mir dabei helfen, ich hab so etwas noch nie gesehen, soweit ich weiß“, bemerkte Mira trocken und Imara legte ihre Hand auf Miras Schulter.
„Sicher, das werde ich. Lass uns fahren“, stand sie auf und sie fuhren zur Leichenhalle.
 
„Miss Diane Daymore, ich bin hier, um Miss Rosaria Menton zu identifizieren“, meldete sich Mira höflich in der Leichenhalle an.
„Miss Daymore ja, da sind Sie ja. Kommen Sie mit, bitte“, wurde sie schon erwartet. Sie wurde in einen Raum geführt und der Pathologe öffnete eine Schublade, auf der eine in einem Plastiksack gehüllte Leiche lag.
„Sind Sie bereit?“, fragte der Pathologe nach.
Mira nahm Imaras Hand.
„Ja, das bin ich“, entschied sie und der Pathologe machte den Plastiksack auf. Die Person in dem Sack war nicht Rosaria.
„Was soll dass, soll das ein schlechter Scherz sein?“, fragte Mira den Tränen nahe.
„Tut mir leid, das musste ich so machen, ich war nicht ganz sicher, ob du in der Lage bist, sie zu identifizieren“, kam Ike aus einem Nebenraum herein.
„Du Idiot“, begann Mira, Ike zu hauen.
„Entschuldige, ich dachte, du würdest nur jede Frau identifizieren, um die Sache zu beenden“, erklärte Ike und hielt ihre Hände fest.
„Verdammt, ich weiß wie meine Freundin aussieht, ich kann sie identifizieren“, raunzte sie und Ike machte zu dem Pathologen ein Zeichen, dass er die Leiche wieder einpacken sollte.
„Entschuldige meine Kleine, ich sollte endlich anfangen, dir zu vertrauen. Ich bin auch bei dir“, nahm er die eine Hand von ihr und Imara wieder ihre andere Hand, als der Pathologe nun die richtige Leiche zeigte.
Durch die Unterstützung ihrer neu gewonnenen Freunde, konnte sie diesen Anblick ertragen, obwohl ihr kotzübel wurde. In dem Moment, als sie die Leiche ihrer Freundin sah, fiel ihr ein Satz von ihr ein, den sie in ihrem Gehirn verschlossen hatte.
„Erinnere mich dran, dass ich jung sterbe, wenn ich noch schön und gesund bin, denn als alte Frau auf den Tod zu warten, ist kein Abgang für mich!“
„Dein Wunsch hat sich erfüllt meine Süße, obwohl du hättest schöner sterben können“, dachte sie und sah den Pathologen wieder an.
„Können Sie sagen, wann Sie gestorben ist?“, fragte Mira neugierig.
„Über sechs Monate ist es sicher her, wir müssen noch mehr Tests machen, um den Rahmen einzugrenzen. Ich würde Ihnen gerne ein herzliches Beileid aussprechen“, bemerkte der Pathologe und sie ging mit ihren Zieheltern an der Hand aus dem Raum.
„Musst du dich übergeben?“, fragte Imara besorgt, als sie den Gang nach draußen langgingen.
„Nein, mir geht’s gut“, log sie, aber auf dem Parkplatz musste sie sich übergeben.
„Es tut mir wirklich leid, dass es noch eine Weile dauern wird, bis ihr sie wieder habt“, entschied Ike und nahm sie in den Arm.
„Ist okay, ihr macht ja nur euren Job. Aber wenn du mich jemals wieder so verarscht, bring ich dich um“, entgegnete sie und fuhr mit Imara zurück nach Hause.
 
„Ich wünschte, wir könnten heut Abend hier sein, aber die Karten für den Polizeiball haben wir schon seit Monaten“, erkannte Imara, als sie sich an diesem Samstagabend fertig machte.
„Ist okay, amüsiert euch schön, ich werde die Tür nicht aufmachen, wie ich es Ike versprochen hab. Du siehst einfach wunderschön aus“, bemerkte Mira, als sie ihre Ziehmutter beobachtete, wie sie sich in ein schönes schulterfreies Kleid zwängte.
„Ich hätte das Kleid nicht schon vor sechs Monaten kaufen sollen, Ich glaub, es passt nicht mehr“, nörgelte Imara.
„Warte, ich helf dir, hier oben kann man mit einer Sicherheitsnadel alles festmachen und die Stola machen wir daran fest, dass sie aussieht, als würde sie zum Kleid gehören“, half Mira ihr beim Anziehen.
„Das ist genial, danke. Du hast dein Gedächtnis also wieder“, erkannte Imara und machte ihr Kleid fertig.
„Teilweise, die wichtigsten Sachen. Ich kann mich aber immer noch nicht an meine Hochzeit erinnern“, bemerkte sie nachdenklich.
„Du warst also verheiratet, dein Gefühl war also richtig?“, erkannte Imara und Mira nickte.
„Ja, aber ich hätte diese Tatsache lieber vergessen. Es tut sehr weh’ in meinem Herzen, zu wissen, dass er mich immer noch liebt, aber trotzdem mit dieser Frau verheiratet ist“, gestand Mira und sah wieder nachdenklich in den Spiegel.
„Das wollte ich dich schon länger fragen, warum machst du das ständig, warum betrachtest du dich ständig im Spiegel?“, stellte Imara plötzlich fest.
„Weil ich eitel bin, deshalb. Nein im Ernst, kennst du das Gefühl, wenn du lang in den Spiegel schaust und plötzlich erkennst, dass wirklich du da in dem Spiegelbild zu sehen bist? Ich warte noch auf dieses Gefühl, auch wenn ich ewig in diesen Spiegel schaue, seh’ ich sie nicht, meine Seele ist noch nicht komplett in meinen Körper zurückgekehrt. Das klingt bescheuert, oder?“, erkannte Mira und riss sich wieder aus ihren Gedanken.
„Nein, das klingt nicht blöd, aber es wird wieder alles wiederkommen, alles Gute und alles Schlechte. Du wirst um Freunde trauern, dich mit einem Lächeln an sie erinnern und weiter machen. Jetzt muss ich los, sonst wird Ike noch ungeduldig“, ging sie aus ihrem Schlafzimmer. Plötzlich war es so still in dem großen Hause. Mira fühlte sich unwohl in dem noch etwas fremden Haus und wanderte durch das ganze Haus, um sich abzulenken. Als das Ehepaar Limewise etwa eine halbe Stunde weg war, klingelte es an der Tür.
 
„Wer ist da?“, fragte sie nervös, ohne die Tür zu öffnen.
„Eine Stimme aus der Vergangenheit“, bemerkte Vitus geheimnisvoll auf der anderen Seite der Tür.
„Verschwinde“, erkannte sie erschreckt.
„Diane, bitte, wir müssen reden“, bat er mit freundlicher Stimme.
„Hier gibt es keine Diane“, rief sie zurück.
„Mira, bitte, ich will alles erklären“, bettelte er fast.
„Ich soll die Tür nicht aufmachen“, entschied sie standhaft.
„Mira, du bist keine fünf Jahre mehr, du weißt wer gut und wer böse ist“, nörgelte Vitus.
„Bei dir bin ich mir da nicht so sicher“, entschied sie.
„Erinnere dich, ich wollte dich retten“, ließ er die entscheidende Tatsache fallen.
„Ich hab dir meine Liebe gestanden und du bist einfach gegangen und hast diese Frau geheiratet“, begann sie zu weinen.
„Aber jetzt weiß ich, dass wir zusammen gehören, bitte mach auf, ich werde dir nichts tun“, erwiderte er und sie schloss langsam auf und öffnete die Tür. Dort stand ihr Ex-Mann mit einem Strauß Margeriten.
„Warum tust du das, warum bist du so nett zu mir?“, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
„Weil ich dich liebe, Dummerchen, weil es immer du warst, die meine Ehefrau sein sollte“, nahm er ihr Gesicht in seine Hände und begann sie zu küssen. Ohne weitere Worte landeten sie in ihrem Bett wo sie miteinander schliefen. Kurz bevor sie kam, kam noch etwas anderes zum Vorschein, ihre restlichen Puzzleteile fügten sich zusammen, ihr Bild war wieder da. Als sie in seine Augen sah, sah sie wieder die Seele ihres Mannes, dem Mann, dem sie ihr Leben immer und immer wieder anvertrauen würde. Sie schlief friedlich in seinen Armen ein und erwachte, als sie das Auto in die Einfahrt kommen hörte.
„Oh verdammt, sie kommen zurück“, bemerkte sie und schüttelte ihren Bettgefährten wach.
„Was heißt, sie kommen, ist das nicht dein Haus?“, fragte er schläfrig.
„Denk mal nach, ich wohne nicht mal in diesem Land. Da kommt gleich ein bewaffneter Mann durch die Tür, den ich damit beauftragt habe, deiner Familie einen Mord zu beweisen, der wird wohl nicht sehr erfreut sein, wenn ich ihm zu erklären versuche, warum ich mit deren Sohn in einem Bett liege“, drängte sie ihn zu gehen und drückte ihm seine Sachen in die Hand.
„Das hättest du ruhig früher sagen können“, zog er sich hastig an.
„Entschuldige, entschuldige“, bemerkte sie und öffnete das Fenster.
„Ich soll aus dem Fenster steigen?“, fragte er irritiert.
„Höhenangst ignorieren, oder Kugel im Kopf, du kannst es dir aussuchen“, wog sie die Tatsachen ab.
„Ich werde einfach nicht runter sehen“, entschied er sich fürs Klettern und stieg auf den Fenstersims.
„Ich ruf dich an, du hast doch immer noch die gleiche Handynummer, oder?“, fragte sie und er nickte.
„Ich liebe dich, es wird alles wieder gut“, sprang er rückwärts vom Fensterbrett in den Garten der etwa 2 m tiefer war.
Schnell zog sie ihr Shirt und ihre Unterhose wieder an und kuschelte sich in ihr Bett.
Als Imara noch mal nach ihr sah, stellte sie sich schlafend.
 
Sie fühlte immer noch seine Hände überall. Ihre Gedanken waren zweigeteilt. Sie hatte Schuldgefühle, weil sie ihm vertraute, aber war glücklich ihn wieder zu haben. 

Vierzehntes Kapitel


„Du bist so still, ist alles in Ordnung?“, fragte Imara, als sie am nächsten Morgen zusammen beim Frühstück saßen.
„Ja, hat mich gestern nur etwas mehr mitgenommen, als ich dachte. Ich hab deine Pfannkuchen vermisst“, entgegnete sie und stopfte sie ein Stück in den Mund.
„Ich werde dir das Rezept mitgeben. Musst du gleich los?“, fragte Imara.
„Ja, sieht ganz so aus. Ich danke euch noch ein Mal, das ihr gestern dabei wart“, bedankte sie sich noch ein Mal für ihre Hilfe.
„Wann willst du uns denn eigentlich sagen, dass Vitus gestern hier war?“, platzte es plötzlich aus Ike heraus.
Mira verschluckte sich fürchterlich an ihrem Pfannkuchen.
„Was?“, keuchte sie.
„Süße, da lagen ein Strauß Margeriten auf dem Tisch neben der Tür und Imaras Rosen sind unter deinem Zimmer umgeknickt. Ich bin schon lang Polizist, aber diese Beweise waren einfach zu offensichtlich“, schmunzelte Ike amüsiert.
„Es tut mir leid, es tut mir so sehr leid“, entschuldigte sie sich peinlich berührt.
„Hey, du bist eine erwachsene Frau, mach doch was du willst. Gut heißen muss ich das aber nicht, oder?“, fragte Ike skeptisch.
„Nein, ja ich bin erwachsen, ich werde ihn wieder treffen“, bemerkte sie trotzig.
„Sicher, aber sei bitte vorsichtig. Heißt das, du wirst hier bleiben?“, fragte Imara mütterlich.
„Nein, sicher nicht, wenn er weiter mit mir zusammen sein will, muss er schon zu mir kommen. Ich muss jetzt auch los, ich geh’ wirklich ungern, aber ich muss zu Rosarias Schwester zurück, sie braucht mich jetzt“, stand sie auf.
„Ja, sicher, schade, dass du nur so kurz kommen konntest. Richte ihrer Schwester unser herzliches Beileid aus. Ich werde nicht aufhören, gegen sie zu Ermitteln, bis du mich darum bittest aufzuhören“, umarmte Ike sie und sie dann auch Imara. Als sie wieder aus Calgary wegfuhr, war es irgendwie, als würde sie ihr zu Hause verlassen, obwohl sie Angst mit diesem Ort verband.
„Hey, ich hab ein Problem“, stand Mira an diesem Abend vor Micheles Haustür.
„Und damit meinst du, wir haben ein Problem. Wollen sie sie nicht freigeben?“, fragte Michele und bat sie rein.
„Nicht solang sie wissen, wie sie gestorben ist. Aber nein, das ist nicht das Problem. Ich hab mich gestern Nacht mit Vitus versöhnt und krieg jetzt mein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. So kann ich nicht zu Roma zurückgehen“, erkannte sie ihrer Schuld bewusst.
„Du Idiotin, warum tust du so etwas?“, reagierte Michele anders, als sie erwartet hatte.
„Hör auf mich eine Idiotin zu nennen, meine Gefühle haben über meinen Verstand triumphiert. Genau das ist mein Problem, verdammt“, wurde sie laut.
„Hör auf so rum zu schreien, meine Mutter ist zu Besuch und sie soll das nicht mitbekommen! Das Problem hatten wir vor 1 ½ Jahren auch schon, du liebst ihn, wir trauen ihm nicht und du hast erst auf uns gehört und bist dann doch zu ihm zurückgekehrt“, bemerkte Michele kühl.
„Ich bin zu ihm zurück? Ihr habt doch gesagt, ich hätte ihm die Scheidungspapiere bringen wollen und bin deshalb nach Kanada“, wurde sie skeptisch.
„Wupps, tut mir leid“, erkannte er.
„Ihr habt mich belogen, ihr wolltet mich glauben lassen, dass ich ihn verlassen wollte, aber ich wollte ihn zurückholen. Ihr seid solche Idioten“, erwiderte sie und stürmte wütend heraus.
Da sie ja seinen Wagen gefahren hatte, ließ sie den Autoschlüssel einfach fallen und ging zu Fuß weiter.
Als sie etwa 500m gegangen war, hielt ein Van neben ihr.
„Hey, Schlampe, steig ein“, hörte sie eine bekannte Stimme, als die Tür aufsprang.
In dem Van saß Joyce und ein hoch gewachsener blonder Schwede hielt eine Waffe in ihre Richtung. Ohne Gegenwehr stieg sie ein.
 
„Ich muss dir ehrlich sagen, ich bin überrascht dich hier zu sehen“, erwiderte Mira, als sie zwischen dem großen Blonden und der hübschen Blondine in dem Van saß und durch die Gegend fuhr.
„Ich dachte echt, du hättest mich wenigstens ein Mal auf dem Highway gesehen, ich bin die ganze Zeit hinter dir her gefahren“, erkannte Joyce und wuschelte durch Miras Haare.
„Auch, wenn ich es genieße, eine Waffe in den Bauch gedrückt zu bekommen, würde ich gern wissen, was du hier machst“, konterte Mira cool.
„Als wüsstest du das nicht, die Familie will dich tot sehen und da es keiner ihrer Handlanger schafft, dich umzubringen, haben sie ihren größten Trumpf ausgespielt. Ich bin ja so furchtbar unauffällig, passe perfekt in das „Kleine Frauchen“ Schema. Genau aus dem Grund wurde ich ausgesucht, seine Frau zu sein. Aber was muss ich da sehen, mein Ehemann, der Mann, der sich weigert mit mir zu schlafen, treibt es vogelwild mit seiner Ex-Frau. Nicht, dass ich das nicht auch mit meinem Fitnesstrainer Olaf machen würde, stimmt’s nicht, Baby, aber es geht ums Prinzip. Wenn sie ihn schon dazu gebracht haben, dich zu verlassen um sich mir anzuschließen, will ich diese kleine Farce auch aufrechterhalten“, entgegnete Joyce und tätschelte die Backe ihres Geliebten, der wohlig grinste.
„Kleines, raffst du das nicht, ich bin hier, ich bin nicht bei ihm geblieben, meine Freunde sind genauso gegen ihn. Wir werden nie glücklich sein, du kannst ihn haben um dein nettes Mutter-Vater-Kind Ding am Laufen zu halten. Du willst mich trotzdem umbringen, richtig?“, fragte sie langsam nervös.
„Nur um sicher zu gehen, du willst doch nicht so eine Show abziehen wie deine Freundin. Dieses kleine Frettchen hat es gewagt, den ganzen Plan im Krankenhaus durcheinander zu bringen und hat euch einfach zusammengelegt. Dabei haben wir ihn noch für geisteskrank erklären lassen, dass er in die Psychiatrische Abteilung eingeliefert wird und auf keinen Fall dir begegnet, aber nein, diese Hexe spielt einfach Amor und legt euch zusammen“, erklärte Joyce.
„Und da musstest ihr sie umbringen? Ihr wisst nicht, was ihr damit getan habt“, war Mira plötzlich den Tränen nahe.
„Oh nein, das waren wir nicht. Das hat mein Schwiegervater selbst erledigt, war ja eine Familiensache. Aber du gehörst nicht zur Familie, dich erledigen wir gern“, entschied sie und Olaf drückte ab.
Beinahe bewusstlos fiel sie stark blutend aus dem Auto. Sie ließen einfach die Reifen quietschen und fuhren weiter.
Bevor sie das Bewusstsein ganz verlor, sah sie ein Auto auf sich zu kommen.
 
„Halt durch Diane, dich werden wir nicht auch noch verlieren, hörst du, wir können ohne dich nicht weiter machen, das weißt du doch“, hörte sie eine Stimme, während sie durch den kalten Korridor des Krankenhauses gefahren wurde.
„Michele, bist du das?“, fragte sie schwach und sie schmeckte Blut in ihrem Mund.
„Ja Süße, nicht sprechen, spar deine Kräfte, die kriegen dich wieder hin, versprochen“, spürte sie seine Hand in ihrer und sie wurde in den OP gebracht.
 
Nach eine dreistündigen Operation wurde sie bewusstlos wieder in ein Krankenzimmer gefahren. Wie es aussah, war es ihr Schicksal, ständig im Krankenhaus zu landen.
Aber sie lebte und dass war das Wichtigste. Michele hielt wieder ihre Hand, er hatte Roma nicht angerufen, sie musste sich nicht schon wieder diesem Stress aussetzen.
Mira träumte. Es war ein wunderschöner Traum, sie war bei ihm, sie spürte seine Anwesenheit ganz deutlich. Doch viel zu schnell wurde sie zurück in die schmerzende Realität geholt.
Sie öffnete ihre Augen. Sie war noch nie so erschöpft gewesen in ihrem ganzen Leben.
„Hey, da bist du ja wieder, wie geht’s dir?“, fragte Michele mit sanfter Stimme, der wieder ihre Hand hielt.
„Diese Schlampe hat mich einfach aus dem Auto geschupst, sie wollte mich einfach da liegen lassen. Warum bin ich nicht tot?“, fragte sie durcheinander.
„Du kannst von Glück reden, dass ich nicht ohne dich leben kann, ich bin dir nachgegangen und hab gesehen, wie du entführt worden bist. Ich bin dem Wagen gefolgt, ich konnte dir gleich erste Hilfe leisten, ich hab dir deinen Arsch gerettet, Schwester“, bemerkte er matt lächelnd.
„Wo ist Roma?“, sah Mira sich um.
„Wo ist Roma? Ich hab dir grad meine Heldentaten gestanden und du fragst nach Roma?“, fragte er etwas enttäuscht.
„Sie ist in Gefahr, ich weiß nicht, was diese Schlampe noch vorhat“, erklärte sie mit zitternder Stimme.
„Michele Alain Danvers, hast du vergessen, wie mein ein Telefon bedient?“, stürmte Roma in dem Moment in das Krankenzimmer.
„Oh man, schrei nicht so, das ist ein Krankenhaus, keine Bar“, grummelte Michele.
„Ist doch wahr Mann, meine beste Freundin wurde niedergeschossen und du besitzt die Frechheit, nicht mal anzurufen“, war Roma außer sich.
„Roma, ich wollte dich nicht aufregen, bis wir mehr wissen. Wie hast du es jetzt erfahren?“, fragte Michele besorgt und Roma setzte sich schnaufend hin.
„Wer wird benachrichtigt, wenn Diane irgendwas passiert, denk mal ganz scharf nach“, setzte sie sich breitbeinig hin.
„Sie rufen doch Rosaria an, wenn sie im Krankenhaus … oh mein Gott, sie haben dich angerufen und nach Rosaria gefragt, oder?“, fragte Michele entsetzt.
„Ich weiß nicht, was schmerzhafter war, die Tatsache nach meiner toten Schwester gefragt zu werden, oder die Tatsache, dass ich so erfahren musste, dass meine beste Freundin mit dem Tod ringt“, erkannte sie und ging zu Mira hin.
„Ich bin so froh, dass es dir gut geht“, bemerkte Mira müde.
„Und ich erst. Was machst du denn für Sachen?“, fragte sie und strich Mira sanft übers Gesicht.
„Wann hört das endlich auf, sag mir das?“, war Mira am Ende ihrer Kräfte.
„Wer hat dir das angetan?“
„Der Lover meiner Nachfolgerin. Olaf hat sie ihn genannt, glaub ich, ich war viel zu viel damit beschäftigt, mir nicht in die Hosen zu machen. Tja, die Schlampe, dachte, sie könnte mich töten, aber wie ich schon gesagt habe, was beim ersten Mal schon nicht geklappt hat, ist auch jetzt wieder fehlgeschlagen“, sprach sie siegessicher mit der stärksten Stimme die sie in ihrem geschwächten Zustand aufbringen konnte.
„Hör auf so zu reden, du hast nur ein Schweineglück gehabt, das ist alles, beim nächsten Mal werden sie dich töten“, ärgerte sich Roma über die Worte ihrer Freundin.
„Ich könnte heulen verdammt, ich muss das sagen, um nicht wahnsinnig zu werden. Ich hab ihnen nichts getan und trotzdem wollen sie mich umbringen“, begann sie zu weinen.
„Mir reicht es jetzt, wir gehen zur Polizei, das kann so nicht weitergehen“, bemerkte Michele und stand auf.
„Nein, bitte nicht, geh’ nicht dahin, von dir wissen sie nichts, du bist sicher, solang du dich nicht gegen sie aufbäumst. Sobald ich hier raus bin, werde ich zur Polizei gehen. Ihr werdet in den Urlaub fahren, weit weg, Roma, hast du nicht gesagt, du hättest eine Tante in Florenz, fahrt bitte dahin, ich werde euch anrufen, wenn alles vorbei ist“, bat sie und die beiden sahen sie fragend an.
„Wir werden nicht gehen, wir können dir helfen“, entgegnete Roma und nahm ihre Hand.
„Ihr helft mir nur, wenn ihr in Sicherheit seid. Bitte, das ist mein einziger Wunsch, bitte“, bat sie.
„Tante Maria wollte schon lang, dass ich sie besuchen komme“, überlegte Roma.
„Bitte, packt eure Sachen, fliegt am besten noch heut Nacht und schreibt mir eine SMS, wenn ihr angekommen seid. Ihr helft mir echt wahnsinnig damit“, bat sie und stillschweigend stimmten beide zu. Erleichtert schlief sie eine Stunde später im Kreis ihrer besten Freunde wieder ein. Als sie wieder erwachte, waren sie weg.

Fünfzehntes Kapitel


An dem Tag, als sie aus dem Krankenhaus kam, wünschte sie sich schon, dass sie jemand abgeholt hätte, doch sie war froh, sie in Sicherheit zu wissen. Sie fuhr zu sich nach Hause, zog einen Hosenanzug von Roma an und fuhr zur Polizei.
„Entschuldigen Sie Officer, wo kann ich hier eine ganze Familie anzeigen?“, kam sie an diesem Tag am Tresen der Polizei an.
„Sonst noch was, wollen Sie die Familie verklagen, die Ihnen diese viel zu kurzen Hosen verkauft hat?“, fragte der junge Polizist verschmitzt.
„Ich hab mir die Hose geliehen, bringen Sie mich bloß nicht in Rage, ich hab in letzter Zeit ziemlich viel Wut aufgestaut“, erkannte sie gereizt.
„Wollen Sie mir etwa bedrohen?“, fragte der Polizist skeptisch.
„Nein Sir, tut mir leid, ich hatte ein paar wirklich harte Wochen. Kann ich also eine Familie anzeigen, oder nicht?“, fragte sie ruhiger.
„Nein, nur Einzelpersonen. Kommen Sie mit, erzählen Sie mir Ihre Geschichte“, sah der Polizist in ihr erschöpftes Gesicht und hatte Mitleid.
Mira erzählte dem netten Polizisten alles was sie erlebt hatte.
„Wenn das wirklich alles stimmt, was Sie erzählen, brauchen Sie wirklich Hilfe. Wenn Sie mir die Nummer ihres Bekannten aus Calgary geben, werde ich weiteres mit ihm besprechen“, versprach der Polizist.
„Sie glauben nicht, wie schön diese Worte aus Ihrem Mund klingen, da fühl ich mich gleich viel besser“, bedankte sich Mira erleichtert.
„Sie haben doch sicher noch Ihre Krankenhauspapiere, die Ihre Verletzungen beweisen“, wollte der Polizist noch wissen.
„Die aktuellen ja, die von meinem Koma müssten Sie von Dr. Juene Tremblay aus dem Queensway Krankenhaus in Ottawa anfordern, die hat Sie sicher noch“, wühlte sie in ihrer Tasche herum.
„Ist nicht Ihr Jahr, was?“, fragte der Polizist und sie legte die Papiere vor ihm auf den Tisch.
„Nicht wirklich. Also, wenn Sie dann keine Fragen mehr an mich haben, ich würde mich gern noch ausruhen, ich muss morgen wieder zum Dienst im Krankenhaus antreten“,  entschied sie und stand unter Schmerzen auf. Ihre Bauchwunde tat noch ziemlich weh.
„Nein, das wäre alles. Sind Sie sicher, dass Sie morgen wieder arbeiten können?“, fragte der Polizist besorgt.
„Sonst verliere ich meinen Job und der ist im Moment das einzig stabile in meinem Leben. Also, ich danke Ihnen noch mal vielmals“, schüttelte sie die Hand des Polizisten und ging nach draußen.
 
„Miss Daymore, warten Sie“, rief der Polizist ihr hinterher und sie drehte sich noch ein Mal um.
„Mein Captain killt mich zwar, wenn er das raus bekommt, aber ich schieb hier eh’ nur Innendienst. Ich denke, Sie können die im Moment besser gebrauchen“, überreichte der junge Polizist ihr seine kugelsichere Weste.
„Nein, das kann ich nicht annehmen“, entschied sie.
„Oh doch, das können Sie, das müssen Sie sogar. Ziehen Sie sie immer an, geben Sie sie mir zurück, wenn das hier vorbei ist“, entgegnete der junge Polizist.
„Wenn Sie mich anmachen wollen, müssen Sie wissen, dass ich einen Freund habe, den ich sehr liebe“, erkannte sie.
„Ich will Sie nicht anmachen, ich weiß nur, wie es ist, sich gegen eine Familie zu stellen, das ist alles. Tragen Sie sie, tun Sie mir den Gefallen“, ging er wieder rein.
„Danke“, erwiderte sie nachdenklich und zog ihre Jacke aus, um die Weste anzuziehen. Es tat weh, die Kevelaerweste über die Wunde zu ziehen, aber sie gab ihr Sicherheit.
 
Am nächsten Tag ging sie wie geplant zur Arbeit. Sie hatte ihre Schwesternkleidung schon zu Hause angezogen, dass sie ihre Weste unbemerkt anziehen konnte.
„Hey, du wirkst so steif, alles klar bei dir?“, begrüßte sie eine Kollegin an diesem Morgen.
„Ja, bin nur etwas angespannt, man wird ja nicht jeden Tag von einer Jugendbande angeschossen“, bemerkte sie. Sie hatte ihren Kollegen erzählt, dass sie von einer Jugendbande angeschossen worden war, weil sie unangenehmen Fragen aus dem Weg gehen wollte.
Es vergingen 2 Wochen und die Zeit bis zur Rückkehr ihrer Freunde wurde knapp. Doch dann in ihrer Mittagspause, bekam sie einen Anruf von Ike.
„Hey Kleines, stör ich dich grad beim Arbeiten?“, fragte Ike.
„Nein, bin grad in der Mittagspause, was ist?“
„Es ist schwer zu sagen, was ich dir jetzt sage“, erwiderte er und machte eine Pause.
„Sag schon, ich bin schon ganz unten, tiefer fallen kann ich kaum“, entschied sie und er atmete ein Mal tief ein.
„Jetzt sag schon, ist was mit Vitus?“, fragte sie stockend.
„Nicht direkt!“
„Ike, ich hab nur noch eine halbe Stunde Pause, also könntest du zur Sache kommen“, befahl sie.
„Wir haben einen wichtigen Zeugen in deinem Fall“, begann er.
„Ja, und weiter?“
„Es ist Vitus, er ist gestern zu uns gekommen und hat seine Hilfe in deinem Fall angeboten“, erkannte Ike.
„Na endlich, der Mistkerl hat lang genug gebraucht sich für mich zu entscheiden“, freute sich Mira und besprach dann mit Ike die weitere Vorgehensweise.
Mit Vitus Hilfe konnte der Fall Night endlich abgeschlossen werden. Ike konnte tun, was er schon so lange wollte, Victor Night sr. festnehmen. 2 Monate nachdem Rosarias Leiche gefunden worden war, konnte sie auf dem städtischen Friedhof in Cucamonga beigesetzt werden. Auch wenn in den Augen ihrer Freunde, Vitus immer noch nicht der Richtige für ihre Freundin war, konnte sie ihn lernen zu akzeptieren, weil er sich von seiner Familie losgesagt hatte. Joyce Night, geborene Winters wurde in Toronto festgenommen und wegen Anstiftung zum Mordversuch in Kanada vor Gericht gestellt, sowie Olaf Langström, den sie für die Mordversuche an Vitus und Mira zu einer langen Haftstrafe verurteilten. Vitus wurde sehr schnell geschieden und im Beisein von Roma, Ike, Imara, Juene die mit ihrem Ehemann Thatcher da war, und Michele gaben sich Diane Daymore, alias Mira Dawson und Victor „Vitus“ Night bei der Tag und Nachtgleiche erneut das Jawort, in der Hoffnung, dass dieses Jawort weitere Mordversuche seiner Familie überstehen würde. Sie hatten beide ihr Gedächtnis nicht vollständig wiedererlangt, aber eins wussten sie, sie wussten, dass sie zusammen gehörten.

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Tag der Veröffentlichung: 21.09.2010

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