© 2016 Sabine Richling
Urheber Coverbild: nanka-photo/Shotshop.com
Covergestaltung: Frank Lohmann
1. Auflage
Meine Freundin Daniela wollte unbedingt, dass ich heute Abend mitkomme. Eigentlich weiß ich überhaupt nicht, was ich hier soll. Die Musik ist mir viel zu laut, der Cocktail schmeckt nicht und meine Gedanken kreisen ohnehin nur um ein einziges Thema: meinen Ex-Freund. Jedenfalls ist er es seit ein paar Stunden.
„Mein Gott, Lena, nun hör endlich auf, Trübsal zu blasen. Sieh mal, da drüben sitzen zwei knusprige junge Männer. Wir werden uns jetzt zu ihnen setzen und du wirst dich amüsieren. Robert war ein Langweiler, sei froh, dass du ihn los bist.“
Sie schiebt mich an der Bar entlang zu diesen beiden aufgeblasenen Schaumschlägern. Muss ich da hin? Ich will nicht, will viel lieber hier mit meinem Cocktail alleine sitzen und in Ruhe trauern.
„Oh, mir fällt gerade ein, dass ich dringend mal die Waschräume aufsuchen muss“, sage ich und reiße mich aus ihrer Umklammerung. Schnellfüßig flüchte ich in die entgegengesetzte Richtung davon. Das war Rettung in letzter Not! So wie ich Daniela kenne, wird es kein Problem für sie sein, allein mit zwei Männern fertig zu werden, bis ich wieder zurück bin. Sie ist eine gnadenlose Herzensbrecherin. Doch auf halbem Wege fällt mir plötzlich meine Handtasche wieder ein, die ich auf meinem Platz vergessen habe. Verflixt und zugenäht, was bin ich heute nur zerstreut! Ich gehöre ja auch ins Bett und nicht in eine Bar. Schließlich habe ich schweren Liebeskummer und der kann sehr gesundheitsgefährdend sein. Man ist nicht mehr Herr seiner Sinne und macht plötzlich Sachen, die völlig irrational sind. Ich muss hier weg, um mich vor größerem Schaden zu bewahren. Eilig düse ich zurück zur Bar. Ich habe meine Tasche schon im Visier und steuere direkt auf sie zu. Der Barmann hat sie nun auch entdeckt und greift nach ihr. Halt, nimm deine Finger von meinem Eigentum oder du lernst mich kennen! Ich strecke meine Hand nach der Tasche aus, doch plötzlich stellt sich mir ein großes Hindernis in den Weg.
„Hey, hey, hey, nicht so stürmisch“, kann es noch sagen, aber da prallen unsere Leiber auch schon mit der Kraft meiner Laufgeschwindigkeit gegeneinander. Ich wanke wie ein Korken im Wasser und verliere das Gleichgewicht. Mein Unfallgegner versucht noch, sich an einem Barhocker festzuhalten, kippt dann aber samt Hocker in meine Richtung. Wir fallen wie zwei Kegel kerzengerade zu Boden. Während mich der harte Boden auffängt, fällt mein Opfer weich, denn ich liege direkt unter ihm. Heute ist nicht mein Tag!
Unsere Nasen berühren sich fast und ich mache einen Hauch von Chanel aus. Für einen kurzen Moment vergesse ich meine missliche Lage, denn seine Körperwärme scheint auf mich überzulaufen; mir wird plötzlich ganz heiß. Ich fühle, wie meine Ohren zu glühen beginnen. Gott, ist das peinlich! Unsere Gesichter sind sich so nah, dass meine Augen nicht in der Lage sind, ein scharfes Bild einzustellen. Ein Weitwinkel-Objektiv könnte jetzt nützlich sein.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt er mich. Die gleiche Frage an ihn erübrigt sich wohl, schließlich ist er weich gelandet.
„So gesehen schon. Ich spüre im Moment eigentlich nichts mehr.“ Was natürlich gelogen ist, denn ich fühle meine Herzfrequenz erheblich ansteigen.
Komischerweise macht er keine Anstalten aufzustehen. Wir liegen am Boden wie zwei abgeknickte Grashalme und starren uns gefesselt in die Augen. Ich könnte schwören, dass sein Atem immer schneller wird, aber vielleicht ist es auch mein eigener. Wenn nicht gleich etwas passiert, lege ich womöglich meine Arme um seinen Hals. Ich bin komplett verwirrt. Natürlich – ich wollte ja auch gerade gehen. Hier bin ich latent gefährdet.
Als ich wieder auf meinen Beinen stehe, wackle ich wie eine Palme im Wind. Der Sturz hat wohl meinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigt. Kann mich mal jemand anhalten? Von diesem Geschaukel wird mir schlecht.
„Hey, du scheinst doch etwas abbekommen zu haben. Du siehst blass aus.“
Das könnte daran liegen, dass ich seit Stunden nichts mehr gegessen habe und dieser scheußliche Cocktail seine Wirkung in mir entfaltet. Ein paar Sterne tanzen vergnügt vor mir herum. Auwei, ich muss hier schleunigst weg.
„Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir mal kurz erklären könntest, wie ich auf schnellstem Wege in die Waschräume komme.“ Und mach schnell, sonst spucke ich dir dein Hemd voll.
„Es ist besser, wenn ich dich begleite. Du siehst nicht so aus, als könntest du den Weg alleine schaffen.“
Ungefragt wickeln sich zwei kräftige Arme um meine Taille und schieben mich von der Bühne. Das gesamte Lokal ist inzwischen auf uns aufmerksam geworden und das Publikum hechelt in seiner Sensationslust nach einer Zugabe. Noch bin ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Könnte aber sein, dass ich diesen Laden nie wieder im Leben betreten möchte. Darüber werde ich nachdenken, wenn ich meinen Mageninhalt in der Kloschüssel entsorgt habe.
„Mensch, Lena, bist du okay?“
Daniela ist plötzlich wie ein Flummi angehüpft gekommen. Sehe ich so aus, als wäre ich okay?
Ich antworte nicht und lasse mich stattdessen immer weiter in die starken Arme hineinhängen, in der Hoffnung, sie würden meinen in sich zusammensackenden Körper unbeirrt halten. Doch für einen Augenblick verlieren sie an Spannkraft und lassen mich dem Boden gefährlich näher kommen, aber dann spannt King Arthur seine Muskeln an und hebt mich in seinen Arm. Wow! Welcher Film ist das? Der Retter der Kokosnuss?
„Ich glaube, ich werde deine Freundin nach Hause fahren“, sagt er mit einer Entschlusskraft, die Daniela nicht widersprechen lässt. Dabei weiß sie genau, dass ich seit ein paar Stunden kein Zuhause mehr habe, denn die Wohnung gehört „Ex-Robert“ und ich war nur vorübergehende Untermieterin. Aber was soll’s, Daniela. Lass ruhig zu, dass mich ein wildfremder Mann entführt und zu meinem nicht vorhandenen Zuhause fährt. Was bist du nur für eine Freundin?!
„Aber … aber … “, versuche ich kraftlos zu protestieren, doch die Arme tragen mich bereits aus dem Lokal heraus. Meine
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4240-6
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