Es war einmal
vor langer, langer Zeit, da lebte die Regenbogenprinzessin, das schönste Mädchen im ganzen Land. Es war von so einer Schönheit, wie wir Menschen sie gar nicht in Worte zu fassen vermögen, denn ihren Augen glitzerte das breite Spektrum an den schönsten Farben und ihre Haare waren lang und von einem Blond, das an flüssiges Gold erinnerte. Auf dem Kopf trug die Regenbogenprinzessin außerdem ein Diadem, in dessen Mitte sich ein leuchtender Kristall befand, der alle Farben des Regenbogens in sich bündelte und eine Energie in die Welt hinaus sandte, die Liebe, Glück und Freundschaft in sich trug.
Jenes Land, von dem wir erzählen, lag weit, weit, weit entfernt von der Welt, wie wir sie heute kennen, und man konnte es nur finden, wenn man dem Regenbogen zu dem Ort, an dem der letzte Sonnenschein stirbt, folgte und sein Herz weit öffnete, um die vielen Farben in sich selbst einzulassen.
Jenes Land also war für Erwachsene, die den Glauben an Märchen längst aufgegeben hatten und blind geworden waren für all die Farben der Welt, nicht sichtbar – die Kinder allerdings, denen die Augen noch nicht verschlossen worden waren, fanden oft ihren Weg zur Regenbogenprinzessin und blieben dort.
Jene Kinder, von denen wir erzählen, wurden selbst zu Menschen, die den Regenbogen in sich tragen, und ihre Herzen waren rein und voll mit der Liebe, die die Prinzessin ihnen erst gegeben hatte.
Im Land hinter dem Regenbogen, wo der letzte Sonnenschein stirbt, herrschte Frieden und jeden Tag vertrieb die Morgenröte die letzten Schatten der Nacht. Es gab keine Angst und keinen Schmerz. Keine Trauer und keine Tränen.
Doch einst kam der Tag, der alles verändern sollte.
Der Regenbogen starb. Und mit ihm all das Glück und die Liebe.
Was blieb, war unendliche Finsternis und tiefe Trauer, die die Herzen der Menschen, die nicht mehr bunt und voll Wärme waren, zu Eis gefrieren ließ und in ein unendlich schweres Grau einhüllten.
Die Augen derer, die im Land des Regenbogens glücklich gelebt hatten, verloren ihren Glanz und keine Farben leuchteten mehr darin. Die Zeit stand still, als wäre sie in Stein verwandelt worden, und alles, alles erstreckte sich im endlosen Grau.
Die Regenbogenprinzessin wurde schwer krank. Ihre Augen waren leer und ihr wunderschönes blondes Haar hatte seinen Glanz verloren und mit ihm seine Farbe. Das Diadem war zerbrochen und in ihren Händen zu Staub zerfallen. Jenen Kristall, der einst Liebe, Glück und Freundschaft in jenes Land geschickt hatte, gab es nun nicht mehr. Und mit ihm war auch all die Liebe, das Glück und die Freundschaft restlos verschwunden.
Die ganze Welt hinter dem Regenbogen war farblos geworden. Nicht einmal das Grau, das sich wie ein schwerer Mantel über sie gelegt hatte, war wirklich eine Farbe oder etwas, das wir mit den Augen sehen können.
Es war einfach Nichts. Überall erstreckte sich das Nichts, riss alles mit sich und hinterließ das, aus dem es gemacht worden war: Nichts.
Keiner der Bewohner aus dem Land hinter dem Regenbogen, wo der letzte Sonnenschein stirbt, wusste sich einen Reim darauf zu machen. Stattdessen standen sie reglos an der Stelle, wo sie zuletzt gewesen waren, ehe der Regenbogen von unendlicher, schwarzer Finsternis vertrieben worden war, und starrten vor sich hin. Die Augen waren leer und jegliches Leben war von ihnen gewichen. Ihre Herzen schlugen im monotonen Takt und hatte die ursprüngliche Melodie vom glücklichen Leben und der Liebe aufgehört zu singen. Es war still und grau und der Regenbogen war fort.
Die Regenbogenprinzessin wurde immer schwächer. Ihr junges, einst so wunderschönes Gesicht begann zu welken wie eine Blume und sie war erfüllt von unendlicher Traurigkeit. Ihr goldenes Herz gab es nicht mehr. Nun war es schwarz und steinern und fühlte nichts.
Man sagt, nur wenn man die Augen schließt, sieht man nicht – aber wenn man das Herz verschließt, ist man in Wirklichkeit blind. So wie die Regenbogenprinzessin nun, die, in Schatten gehüllt, durch ihren gläsernen Palast, geschaffen aus allen Einzelheiten des Lichts, der früher im Licht der Sonne so hell erstrahlte, wie wir es uns gar nicht vorstellen können, streifte und nicht mehr wusste, was sie tun konnte.
Sie war verloren und ihr Reich mit ihr. Sie war nicht länger eine Prinzessin, denn ihr Diadem gab es nicht mehr.
Es gab lediglich noch das Nichts, und wie sein Name schon verrät, war es aus dem Nichts geschaffen und somit auch Nichts. Wir Menschen, die das Land hinter dem Regenbogen, wo der letzte Sonnenschein stirbt, nicht kennen, können uns so etwas gar nicht vorstellen, wenn wir es nie mit eigenen Augen gesehen haben, aber trotzdem können wir nur erahnen, was für ein Leid die Schatten der Finsternis über jene unantastbare Welt brachten.
Während die Zeit weiterhin still stand und die Regenbogenprinzessin immer schwächer und kränker wurde, immer schneller alterte, obwohl die Zeit ja still stand und die Uhren an den Wänden nicht tickten, gab es einmal ein junges Mädchen aus jenem fernen Planeten, in dem wir Menschen leben, die die einzigartigen Farben und die einzigartige Schönheit des Regenbogens nicht mit dem Herzen sehen vermögen.
Sie war etwas Besonderes, auch wenn sie von Außen wirkte wie etwas, das keine Aufmerksamkeit verdient und nichts wert ist. Jenes Mädchen war nicht sonderlich klug, von keiner außergewöhnlichen Schönheit und schon gar nicht war sie ein Mensch, den andere sofort ins Herz schlossen und einfach nur lieben konnten.
Jenes Mädchen hatte nie erfahren, was Liebe bedeutete.
Aber sie wusste, wie es war, Glück am eigenen Leib zu erfahren. Denn ihre Augen sahen mit ganzem Herzen und das war es, das sie erkennen ließ, dass der Regenbogen in ihrer Welt, die so anders ist als jene, in der die Regenbogenprinzessin zu diesen Zeiten lebte, trauerte. Er kam nur heraus, wenn der Himmel zuvor viele Tränen vergossen hatte und daraufhin doch noch ein schwaches Sonnenlicht sich durch den Regen bahnte, als wäre er die letzte Hoffnung.
Der Regenbogen war so fruchtbar traurig und jenes Mädchen wollte nichts lieber, als ihn zu trösten. Sie wollte ihn lieb haben und seine Tränen versiegen lassen.
Und deshalb zog sie hinaus in die Welt. Völlig alleine und auf eigene Füße gestellt lief das Mädchen den Weg, den der trauernde Regenbogen ihr wies, dem sterbenden Sonnenschein entgegen.
Sie lief Tage und Nächte und ihre Glieder schmerzten und sie war hungrig. Dennoch lief das Mädchen weiter, unentwegt folgte sie dem Weg, den der Regenbogen ihr wies, bis sie schließlich dorthin kam, wo der Horizont die Welt berührt und die Unendlichkeit beginnt.
Rauschende Wellen schlugen gegen die bizarr geformten Klippen und Möwen zogen oben am Himmel kreischend ihre Kreise. Jenes Mädchen schmeckte den salzigen, reinigenden Duft des Meerwindes und atmete ihn in großen Zügen ein. Sie breitete die Arme aus und schloss die Augen. Sie öffnete ihr Herz und tastete ihre Umgebung nach dem Regenbogen ab, der irgendwo hier, im endlosen Blau des Ozeans, verschwand und ihr das Portal in eine Welt wies, die das bloße Auge nicht zu sehen vermag.
Das Mädchen watete in das kühle Wasser, doch sie spürte die Kälte nicht. Es war, als würde warmes Sonnenlicht direkt in ihr Herz scheinen und dieses in pures Gold verwandeln. Die Welt verschwamm in den verschiedensten Farben. Jenes Mädchen folgte den Farben, die Augen noch immer fest geschlossen, während sie sich von ihrem Herzen führen ließ.
Es war, als würde der Regenbogen ein Lied des Glückes singen, denn je weiter sie ging, desto intensiver und schöner wurden die Farben, bis sie sich schließlich zu einer Brücke woben, die das Mädchen das letzte Stück in diese fremde, unantastbare Welt führten.
Und während jenes hässliche, nicht allzu kluge und so ungeliebte Mädchen durch die verlassenen Straßen des Landes hinter dem Regenbogen, wo der letzte Sonnenschein stirbt, lief, war es, als würde alles nach einem langen Schlaf zum Leben erwachen.
Das Grau, das gleichzeitig Nichts war, ist und zu Nichts werden wird, wurde von den Farben, die überall dort wieder erstrahlten, wo das Mädchen seine Füße hinsetzte, restlos vertrieben und ein neuer und glücklicher Regenbogen überspannte den Himmel wie eine weiche Decke, die aus purem Glück und Liebe genäht worden ist.
Die Regenbogenprinzessin, die unbeweglich wie eine Puppe in ihrem Himmelbett in ihrem gläsernen Palast lag, öffnete die Augen und blühte erneut auf zu ihrer Schönheit wie eine Blume, die das erste Sonnenlicht des Tages auf ihren zarten Blütenblättern spürt und sich der Wärme völlig hingibt. Ihr Haar erlangte den alten Glanz und der Regenbogen erstrahlte in ihren blicklosen Augen.
Aber jenes Diadem blieb Staub und würde immer Staub bleiben.
Und die Regenbogenprinzessin würde nicht länger eine Prinzessin sein, denn noch im selben Moment, als jenes Mädchen, das das Land hinter dem Regenbogen, wo der letzte Sonnenschein stirbt, ihr Gemach betrat, löste sie sich auf und wurde zu Licht und Farbe.
Ein leises Lachen, wie das Flüstern des Windes, drang an das Ohr jenes nicht allzu klugen, hässlichen und ungeliebten Mädchens, ehe die Regenbogenprinzessin am Himmel verschwand, um die anderen Farben zu suchen und Glück in die Welt hinaus zu schicken.
Was zurückblieb, war das Mädchen, das nun so wunderschön war, wie man es sich gar nicht vorstellen kann, und das nicht länger ungeliebt und dumm war. Stattdessen war sie zu Liebe geworden und hatte verstanden, dass es in der Welt nicht um Klugheit geht sondern darum, glücklich zu sein.
Sie hatte ihr Glück gefunden. Und ein neues Diadem, das geschmiedet war aus jenem vorher so traurigem Regenbogen, lag in ihren Händen.
Wie wir Menschen jetzt denken würden, wäre sie nun die neue Regenbogenprinzessin, die die alte in ihrem Amt ablöste. Aber das war jenes Mädchen nicht.
Denn sie war Liebe und Glück und voll Farbe, und das war alles, was sie war und immer bleiben wollte.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie vielleicht sogar noch heute und wird viele anderen Kindern des Lichts und der Farbe den Weg in ihr Reich des Glücks und der Liebe führen.
Texte: Alles meins, nichts euers. Kurz und knapp: Sämtliche Rechte liegen bei mir. Jawohlja !
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme all diese Märchen nur einer einzigen Person: Meinem Vater.
...Ohne den ich niemals auf den Geschmack von Büchern gekommen wäre und nicht dort wäre, wo ich jetzt bin. Danke. Dankedankedanke.