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Dem Himmel entgegen


Der Wind

spielte mit den zartrosa Kirschblüten, die lautlos durch die Lüfte tanzten, nur um den Bruchteil einer Sekunde später sanft auf dem Boden zu landen, wo sie auf dem zarten Grün der Wiesen mit der Zeit ein Meer von Rosa bildeten. Es war Frühling, die Natur war aus ihrem langen Schlaf nach einem langen, kalten Winter erwacht und erstrahlte nun in neuer Farbe. Die Kirschbäume standen bereits in voller Blüte, andere Bäume bildeten allmählich kleine Blätter, die dem durch die Kälte so ausgezehrtem Holz neue Schönheit verliehen. Ein paar kleine Tautropfen, die im matten Licht der aufgehenden Sonne leicht glitzerten, ruhten auf dem zarten Grün, einige Vögel zogen ihre Kreise durch die Lüfte und sangen ihre melodischen Lieder über längst vergangene Zeiten.
»Akira?«
Ich wandte den Blick vom Fenster ab, von dem sich mir ein schöner Ausblick auf die wieder auflebende Natur außerhalb des Dorfes bot, und drehte mich zu meiner Mutter um. Sie hatte den langen grauen Mantel, der Teil der Uniform der Anbu-Einheit war, bereits angelegt, die Maske, die dem Gesicht einer Katze glich, hielt sie in einer Hand. Ihr langes rotes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden.
Als ich meine Arme um den Hals meiner Mutter schlang und sie kurz an mich drückte, sagte ich leise: »Pass gut auf dich auf.«
Die Rothaarige lächelte und strich mir kurz durch mein braunes Haar. »Das mache ich doch immer. Außerdem sind ja auch Hiashi und Shibi dabei, du musst dir also keine Sorgen machen. In ein paar Tagen werde ich wieder da sein. Die nötigen Informationen zu beschaffen, wird nicht lange dauern.«
Ich nickte langsam und drückte die Hand meiner Mutter ein letztes Mal, ehe sich diese ihre Maske aufsetzte und dadurch in eine völlig andere Identität schlüpfte. In eine Rolle, in der sie nicht Kaede Uzumaki, die Mutter von Akira Yama, eine Kunoichi aus Konohagakure, war, sondern ein Mitglied der Anbu-Einheit unter dem Decknamen Akane, das dem Befehl des Hokage unterstand und selbst dazu bereit war, als ein Niemand auf ihrer Mission zu sterben und als ein Niemand zu Asche verbrannt zu werden, nur, um jede Erinnerung an ihre bloße Existenz auszulöschen, als hätte es sie niemals gegeben.
Ich hatte nie verstehen können, wie meine Mutter bereit dazu sein konnte, ihr Leben auf diese Weise zu leben. Und die Angst, sie könnte von einer dieser lebensgefährlichen Missionen nicht zurückkehren, saß tief in mir und wartete nur darauf, dass irgendwann der Tag kam, an dem Kaede Uzumaki restlos von dieser Welt verschwand. Ganz so, dass einige Tage später mehr keiner mehr wissen würde, wer sie war und warum sie gestorben war. Wofür.
»Pass du auch gut auf dich auf«, waren die letzten Worte, die meine Mutter noch an mich richtete, ehe die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Gerade jetzt, wo ein dritter Weltkrieg so erdrückend schwer in der Luft hing, dass es einem jeden kaum mehr möglich war, richtig frei atmen zu können, war es von äußerster Wichtigkeit, darauf zu achten, was überall vor sich ging. Nicht umsonst war meine Mutter nun losgeschickt worden, Informationen zu beschaffen. Seit Ninja aus Tsuchi no Kuni in Kusa no Kuni, das genau zwischen dem Erdreich und dem Feuerreich lang, eingedrungen waren, konnte nicht länger verleugnet werden, dass wir einen Krieg nicht vermeiden würden können. Und umso wichtiger war es so, zu wissen, was andere Großmächte, die fortan nur noch als Feinde angesehen werden konnten, planten, um ihnen einen Schritt voraus zu sein. Um Strategien zu entwerfen. Um nicht als Verlierer aus diesem Kampf hervorzugehen, der nichts als Tod und Leid mit sich bringen würde.
Eine Weile verweilte ich noch in den düsteren Gedanken, was in Zukunft noch alles sein konnte, wenn wir es nicht rechtzeitig verhinderten, ehe ich ihn unvollendet beiseite legte. Ein kurzer Blick auf die Uhr, die an der Wand hing, verriet mir, dass ich mich allmählich auf den Weg zu dem Park, der auf der anderen Seite Konohagakures lag, machen sollte, wenn ich nicht zu spät kommen wollte. Ich hatte mit Shin und Ren, den beiden Jungen, mit denen ich, seit ich die Ninja-Akademie im Alter von fünf Jahren abgeschlossen hatte, ein Team bildete, vereinbart, dass wir uns dort treffen würden.
Also nahm ich meine kleine braune Umhängetasche, in der sich all die Ausrüstung befand, die ich als Ninja brauchte, von der Lehne eines Stuhls im Esszimmer und hängte sie mir um. Dann verließ ich das kleine Haus, das am Rande von Konohagakure gelegen war, und machte mich auf direktem Wege auf zum Park. Mein Blick glitt zu den riesigen Büsten der bisherigen vier Hokage, die in den Felsen, der gewaltig über Konohagakure aufragte und das Dorf fast komplett umschloss, gehauen waren. Die in Stein gemeißelten Gesichter aller derer, die das Feuerreich bisher angeführt hatten, fixierten mit dem starren, allerdings fast entschlossenem Blick ihrer leeren Augen einen Punkt, den ich nicht sehen konnte. Die vergangenen Hokage hatten bereits viele Kriege erlebt und ihre Ninja in die Schlacht geführt. Viel zu oft fragte ich mich, wie sie das fertig gebracht hatten, ohne von ihrem eigenen Gewissen von innen heraus zerfressen zu werden. Zu sehen, wie die eigenen Leute, für die man selbst verantwortlich war, einer nach dem anderen auf einen von dunklem Blut getränkten Boden fiel und nie wieder aufstehen sollte, zu wissen, dass all dies die eigene Schuld war …
Ich wandte den Blick beinahe hektisch von dem gewaltigen Hokage-Monument ab und setzte meinen Weg eilig fort. Ich wusste, dass ich mir selbst nur schlaflose Nächte bereiten würde, wenn ich mich allzu sehr in meinen finsteren Gedanken bezüglich des bevorstehenden Krieges verstrickte.
Und ich war mir sicher, dass es schon ausreichen würde, früher oder später zwischen all den leblosen Körpern aller derer zu stehen, die ich einmal gekannt und geliebt hatte. Ich sollte lernen, jeden einzelnen Augenblick mit ihnen zu genießen, der mir noch vergönnt war.
Da ich den Blick stur auf den asphaltierten Boden geheftet hatte, als ich weiter ging, sah ich Obito Uchiha, der ebenso in Hektik zu sein schien und mich nicht bemerkte, zu spät und lief ihm so direkt in die Arme. Hätte der junge Shinobi, der etwa in meinem Alter war, mich nicht rechtzeitig an den Schultern festgehalten, wäre ich nun der Länge nach hingefallen. Verlegen schenkte ich ihm ein dankbares Lächeln, er kratzte sich seinerseits am Kopf und grinste leicht.
»Tschuldige, Akira, ich hab dich ganz übersehen …«, murmelte er, als er mich wieder losließ. Seine dunkelbraunen Haare standen wild in alle Himmelsrichtungen ab, seine dunklen Augen musterten mich aufmerksam durch die orangen Gläser der Schutzbrille, die er stets trug.
»Ich dich auch«, gab ich zu und wollte noch etwas hinzufügen, als ich im nächsten Moment plötzlich sah, wie eine Gestalt direkt neben Obito erschien, der daraufhin nicht weniger erschrocken reagierte als ich.
»K...kakashi, verdammt, erschreck mich doch nicht so!«, war das Erste, was der Uchiha stammelte, während er dem Jungen, der ein kleines Stück größer als er selbst war, mit einem Blick bedachte, der zum einen erschrocken und zum anderen negativ überrascht wirkte. Ich selbst schluckte und fingerte nervös an einem losen Faden meiner Umhängetasche herum. Ich spürte, wie Kakashi mich abschätzig aus seinen dunkelgrauen Augen musterte. Durch die schwarze Maske, die er stets trug, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten. Allerdings war ich mir sicher, dass man selbst ohne sie nie richtig verstehen würde, was Kakashi Hatake gerade fühlte. Dazu hatte er die Fähigkeit, sämtliche Gefühle auszuschalten und die ganze Welt mit einer eisigen, rationalen Logik zu betrachten, viel zu sehr perfektioniert.
Ich selbst wusste das nur zu gut.
Wenn ich mich an meine Vergangenheit, meine Kindheit, erinnerte, so hatte ich dann immer zuerst das Bild von einem kleinen, silberhaarigen Jungen vor Augen, der mir ein strahlendes Lächeln mit ein paar fehlenden Schneidezähnen schenkte, und konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln.
Wenn ich allerdings an den gegenwärtigen, silberhaarigen Jungen, der nun unmittelbar vor mir stand und nichts mehr als Verachtung für mich übrig hatte, dachte, so erstarb das Lächeln jäh auf meinen Lippen und mache unbändiger Verzweiflung und Trauer über so einen schwerwiegenden Verlust Platz.
Früher waren ich, Akira Yama, und er, Kakashi Hatake, beste Freunde gewesen. Beste Freunde, unsere Freundschaft ging über alles, nichts und niemand zählte.
Heute waren ich, Akira Yama, und er, Kakashi Hatake … nichts. Nichts und gleichzeitig alles. Während er glaubte, sich selbst der Nächste zu sein und niemanden anderen zu brauchen, dass sein ganzes Leben nur darin bestand, stärker zu werden und sich strikt an die Regeln zu halten, war ich verloren ohne ihn, selbst nach zwei Jahren noch in der verzweifelten Hoffnung, er würde endlich wieder zu sich kommen, wieder der Alte werden. Während er eine harten Realität lebte, in der seine rationale Logik die Oberhand hatte und nichts anderes existierte, hoffte ich noch immer, zu sehr eingenommen von meinem völlig naivem Versuch, in allem etwas Gutes und Richtiges zu sehen, bald aus einem Albtraum zu erwachen.
Die zwei Jahre, die bisher ins Land gezogen waren, seit Sakumo Hatake sich das Leben genommen und somit alles zum Schlechten verändert hatte, kamen mir unwirklich vor. Zum einen fühlte es sich an, als wären Kakashi und ich schon seit einer Ewigkeit so sehr voneinander distanziert, zum anderen war es so, als wäre es erst gestern gewesen, dass er mir völlig ernst und ohne irgendeinen Hauch von Zögern oder Reue ins Gesicht gesagt hatte, dass er mich nicht länger brauchte und ich für ihn nichts als erbärmlich und verachtungsvoll war, weil ich die Regeln nicht strikt einhielt und mich zu sehr um meine Mitmenschen kümmerte, die mir früher oder später ins Kreuz fallen und mich daran zerbrechen lassen würden.
Dass er einer dieser Menschen war, die mich von innen heraus völlig zerstörten, schien er bis zum heutigen Tag nicht begriffen zu haben.
Natürlich wusste ich, wie grausam es für Kakashi gewesen sein musste, als er an jenem Tag vor zwei Jahren nach Hause kam und seinen Vater sah, wie er leblos von der Decke baumelte, einen Strick um den Hals.
Sakumo Hatake, jener berühmter Shinobi, der bei vielen nur als »Konohas weißer Reißzahn« bekannt war, hatte diesen Tod nicht verdient. Auch wenn er sich selbst dazu entschieden hatte, seinem Leben ein jähes Ende zu bereiten – innerlich war er wohl schon lange gestorben, ehe er sich schließlich den Strick um den Hals legte.
Meine Mutter hatte mir erzählt, dass Sakumo einst vor die Wahl gestellt wurde, ob er die Mission beenden oder seine Kameraden retten wollte. Er entschied sich gegen die Beendigung des Auftrags, was allerdings zur Folge hatte, dass viele Menschen starben. Selbst von den Leuten, denen er durch sein Handeln das Leben rettete, wurde er deshalb verspottet und verleumdet, so lange, bis Sakumo Hatake dem Druck nicht mehr aushalten konnte und sich in seiner Verzweiflung und seinem Schmerz eigenhändig das Leben nahm.
Seinen Sohn ließ er alleine zurück. Kakashi wurde nach dem Selbstmord seines Vaters gefühlskalt, die strikte Einhaltung aller Regeln war alles, wonach er sein distanziertes Leben fortan ausrichtete. Für Sakumo Hatake, den ungefeierten Helden, seinen Vater, hatte er nun nichts mehr übrig außer Verachtung und Hass. Von dem früheren Respekt und der Bewunderung für den weltberühmten Shinobi, dessen Sohn er war, war nichts mehr übrig. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, seinen Vater, alles, was mit seiner Vergangenheit zu tun hatte, schob er so weit von sich, bis es bald so schien, als gäbe es für ihn diesen Abschnitt seines Lebens nicht länger. Als hätte er ihn restlos vergessen.
Vielleicht war es so. Wie oft fragte ich mich, ob es auch für Kakashi Momente gab, in denen er sich an unsere Zeit an der Ninja-Akademie erinnerte, unser gemeinsames Training und all die anderen Dinge, die wir früher so oft miteinander unternommen hatten.
Und jetzt stand er vor mir, obgleich es nur ein oder zwei Meter waren, die uns voneinander trennten, war es, als hätte sich in Wirklichkeit eine riesige Kluft zwischen uns aufgetan, als wären wir meilenweit voneinander entfernt und uns gleichzeitig doch nur um ein paar Zentimeter.
»Du bist zu spät«, sagte Kakashi schließlich mit seinem üblichen Tonfall, in dem ein deutlicher Hauch Arroganz mitschwang. »Schon wieder.«
»M...mir ist eine schwarze Katze über den Weg gelaufen!«, stammelte Obito aufgebracht und spielte nervös an seinem Stirnband, auf dem das Zeichen von Konoha abgebildet war, herum. »Ich musste einen Umweg machen!«
Der abschätzige Blick des Hatakes schien Bände zu sprechen. »Und deshalb hattest du natürlich auch noch Zeit für einen Plausch mit Akira.« Ich zuckte leicht zusammen, als er meinen Namen aussprach, mich selbst allerdings gar nicht richtig wahrzunehmen schien.
»Kakashi!«
Der Silberhaarige drehte sich in die Richtung um, aus der die Stimme gekommen war. Es handelte sich um Rin, ein eher zierliches Mädchen meines Alters, das zusammen mit Kakashi und Obito ein Team unter der Leitung von Yondaime Hokage persönlich bildete. Ein paar Strähnen ihres braunen Haares verdeckten ihr Sichtfeld; sie schob sie sich mit einer schnellen Bewegung hinters Ohr, ehe sie die beiden Jungen erwartungsvoll aus ihren ebenso braunen Augen ansah. Die violetten Kriegsbemalungen an ihren Wangen hoben sich deutlich von ihrer sonst so blassen Haut ab. »Komm mit. Unser Auftraggeber wartet schon! Du auch, Obito«, sagte sie und nickte mir kurz zu, als sie mich zu bemerken schien. Ich erwiderte ihr Nicken, aus den Augenwinkeln beobachtete ich immer noch Kakashi und spürte einen kleinen Stich im Herzen, als dieser sich wortlos umdrehte und mit Rin, gefolgt von Obito, der sich mit einem knappen »Bis später« verabschiedete, auf direktem Weg zum Hokage-Turm ging.
Ich murmelte ein leises »Bis irgendwann«, ehe ich meinen Weg in Richtung Park fortsetzte. Auch, wenn ich es eigentlich gewöhnt sein sollte, so war es doch jedes Mal wie ein kleiner Nadelstich direkt in mein Herz, wenn Kakashi und ich direkt voreinander standen, einander allerdings keine Beachtung schenkten. Ganz so, als würde der jeweils andere nicht existieren, als wäre da niemand. Als gäbe es nichts, das uns eigentlich zusammenhalten sollte. Als wäre die dünne Linie, der uns einst miteinander verband, rücksichtslos durchgeschnitten worden, so wie die Fäden einer Marionette, die man durchtrennt hatte, sodass die Puppe nun nutzlos dalag, alle Glieder von sich gestreckt, unfähig, sich zu bewegen.
Nach einer Weile erreichte ich schließlich Konohagakures einzigen öffentlichen Park. Zum größten Teil bestand er aus riesigen Laubbäumen und ein paar Büschen, die essbare Beeren trugen; außerdem führte eine sehr lange, marmorne Treppe nach oben zu einer Art Aussichtsplattform, von der aus man beinahe das ganze Dorf überblicken konnte. Dort warteten auch die beiden Jungen, mit denen ich ein Team bildete, bereits ungeduldig auf mich.
Shin, dessen dunkelbraunes Haar ihm teilweise ins Gesicht fielen und wie immer wild in alle Himmelsrichtungen zeigte, stand als sofort auf, als er mich sah. Ein breites Lächeln, das seine ungewöhnlich spitzen Eckzähne entblößte, umspielte seine Lippen, sodass die roten, für den Inuzuka-Clan typischen Sicheln an beider seiner Wangen sich leicht mit nach oben zogen. Kohaku, sein großer, schwarzer Ninken, bellte mir freudig zur Begrüßung zu.
»Da bist du ja endlich, Akira«, empfing der Inuzuka mich. »Du bist spät dran.«
Ich nickte langsam und setzte mich neben Ren, der mich mit einem ruhigen »Hey, Akira« begrüßte. Dieser besaß hellblondes Haar, das er etwa schulterlang trug, allerdings stets zu einem Zopf zusammengebunden hatte, sodass nur ein paar Strähnen in sein Gesicht fielen. Außerdem hatte er hellblaue Augen und war ein wenig kleiner als der Durchschnitt der Jungen meines Alters.
Ich nickte langsam. »Tut mir leid, dass ich erst jetzt komme.« Ich zögerte, ehe ich hinzufügte: »Ist was dazwischen gekommen.«
Shin runzelte die Stirn. »Und was?«
»Nichts Wichtiges«, antwortete ich nur und richtete den Blick auf einen kleinen Marienkäfer, der auf dem Steinboden der Aussichtsplattform herumkrabbelte.
»Du hast Hatake getroffen, oder?« Der Inuzuka seufzte genervt und ließ sich neben mich sinken. Kohaku setzte sich neben sein Herrchen und musterte mich neugierig aus seinen bernsteinfarbenen Augen, denen er seinen Namen verdankte.
Ich nickte nur. Es hatte keinen Sinn, die Beiden anzulügen. Dazu kannten sie mich inzwischen viel zu gut.
»Du solltest lernen, zu akzeptieren, dass er seinen Weg gewählt hat – auch wenn es dir nicht gefällt und du an ihm hängst«, meldete sich nun auch Ren zu Wort, während er nachdenklich einen kleinen Zweig in seiner Hand drehte.
»Da hat Ren Recht«, sagte Shin, während er durch das dichte Fell seines Ninken strich, der genießend die Augen schloss. »Hatake ist ein Mistkerl, und das solltest du endlich einsehen. Er hat dich damals einfach fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und du rennst ihm hinterher wie ein Schoßhündchen.« Als Kohaku den Inuzuka empört ansah, grinste dieser. »Das hat nichts mit dir zu tun, alter Junge.«
»Er ist kein Mistkerl«, verteidigte ich Kakashi weniger überzeugend. Shin hob nur eine Braue, Ren schüttelte den Kopf.
»Und ob er das ist. Er ist arrogant und hält nicht zu seinen Freunden. Nur die blöden Gesetze existieren für ihn. An die hält er sich so verbissen, dass man fast denken könnte, er wäre nicht ganz richtig im Kopf. Mal ehrlich, für mich gibt es nichts Schlimmeres, als Menschen, die nicht zu ihren Leuten halten. Das sind Bastarde, die es nicht wert sind, dass man ihnen nachtrauert.«
Ich senkte den Blick. »Er hat seine Gründe.«
»Und selbst wenn er die hat – ich hasse Hatake dafür, dass er dir so wehgetan hat!« Der Inuzuka hatte die Hände im Schoß zu Fäusten geballt, sein Ninken gab ein leises Knurren von sich, als wolle er seine Zustimmung nur noch deutlicher unterstreichen. »Wie dem auch sei« - Shin seufzte - »Verschwenden wir unsere Zeit nicht damit, das führt doch eh zu nichts.«
Ren nickte. »Hast du wohl Recht.« Nach einiger Zeit fügte er zögernd hinzu: »Glaubt ihr, es wird wieder einen Weltkrieg geben?«
Der Braunhaarige lachte beinahe verbittert auf. »Das fragst du dich noch? Allen Ernstes? Natürlich wird es wieder einen Ninja-Weltkrieg geben, den vierten an der Zahl! Weißt du, da schicken sie bereits die Anbu, um die Feinde auszuspionieren, und du fragst das noch?«
Der blonde Yamanaka senkte nur den Blick. Manchmal bewunderte ich ihn für seine innere Ruhe und die Fähigkeit, immer einen kühlen Kopf zu bewahren, ohne jedoch gefühlskalt oder unnahbar zu erscheinen. »Nein, das war nur … vielleicht will ich es einfach nicht wahrhaben. Ja, das wird es sein. Ich will einfach nicht verstehen, warum sie schon wieder Kriege führen müssen. Was werden wir denn davon haben? Genau. Nichts als Tote. Tote und Böden, die von unserem eigenen Blut befleckt sind, über und über. Auseinandergerissene Familien und jede Menge Leid.«
»Du verstehst das einfach nicht«, meinte der Inuzuka nur und fixierte mit seinem Blick einen Punkt in der Ferne, den keiner außer ihm sehen konnte.
»Dann erklär es mir«, sagte nun ich und blickte Shin erwartungsvoll an. »Mir geht es ähnlich wie Ren – nein, es geht mir genauso.«
Der Braunhaarige seufzte. »Manchmal frage ich mich echt, warum ihr Beide ausgerechnet die Laufbahn eines Shinobi eingeschlagen habt …«
»Na, gerade weil sie über eine Eigenschaft verfügen, die du dir noch aneignen solltest, Shin: Akira und Ren denken über das allgemeine Unglück nach, das ein Krieg mit sich ziehen würde, während du dich auf den erlesenen Kreis deiner Freunde und Familie beschränkst.« Kushina, unsere Meisterin, stand am letzten Absatz der Treppe, die nach oben zur Plattform führte, ein seltsames Lächeln umspielte ihr hübsches Gesicht. Ihre Haare, die vom selben Rot waren wie die meiner Mutter, trug sie offen; der leichte Wind spielte mit den langen Strähnen. Sie war uns so leise näher gekommen, dass ich sie gar nicht bemerkt hatte.
»Sensei!« Shin drehte überrascht den Blick in die Richtung der rothaarigen Kunoichi. »Was machst du denn hier?«
Kushina lachte. »Na ja, eigentlich wollten wir uns schon vor einer viertel Stunde beim Hokage-Turm treffen, um uns unsere heutige Mission abzuholen.«
»Ah, Mist, hatte ich vergessen.« Der Inuzuka raufte sich das braune Haar und stand beinahe hektisch auf. »Na, dann mal los! Kommt schon!«

Während wir auf einem festgetretenen, erdigen Pfad durch den riesigen Wald, der direkt an Konohagakure angrenzte, liefen, sprachen wir sehr wenig. Masaru Marui, der Mann, den wir sicher zu seinem kleinen Heimatdorf, etwa eine Tagesreise von hier entfernt, eskortieren sollten, lief, flankiert von Shin und Ren, vor mir, Kushina selbst bildete die Spitze unserer Gruppe. Seit es offiziell war, dass es Krieg geben würde, waren Eskorten keine ungewöhnliche Aufgabe für alle Ninja meines Dorfes mehr, da die Auftraggeber ihre Sicherheit auf ihrer Heimreise in solchen Zeiten natürlich gewährleisten wollten und sich zur Not selbst nicht richtig gegen feindliche Shinobi wehren könnten.
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass wir tatsächlich von Feinden aus anderen Ländern angegriffen würden, sehr niedrig war, ließen wir doch Vorsicht walten; nur das Nötigste wurde geredet, jeder von uns achtete auf jedes noch so kleine Geräusch. Masaru Marui schien diese Stille nur noch mehr anzuspannen; seine Schritte waren steif, sobald er nur ein kleines Knacken im Unterholz war nahm, zuckte er heftig zusammen.
Sein Alter hatte ihm bereits tiefe Furchen in das wettergegerbte Gesicht gegraben, dennoch schien der Mann trotz seinem gebeugten Rücken und den kurzen, grauen Haaren noch imstande, sich im Ernstfall zu wehren. Wie ich erfahren hatte, hatte er eine eigene Landwirtschaft; aufgrund dieser Tatsache war ich mir sicher, dass sich hinter der zerbrechlichen Fassade eine sehr widerstandsfähige Person versteckte. Dass die Aussicht auf Krieg ihm schwer zuzusetzen schien, war etwas, dass wir im Grunde alle fühlten. Auch wenn manche sich besser darauf verstanden, dies zu verbergen und Stärke vorzugeben.
Gegen Anbruch der Nacht beschlossen wir schließlich, ein Lager aufzuschlagen, um morgen das letzte Stück unserer Reise zu marschieren. Shin und Ren wurden gemeinsam dazu beauftragt, Wasser aus einem Fluss zu beschaffen und nach Feuerholz zu suchen, während ich zusammen mit Kushina die zwei Zelte aufbaute. Masaru Marui ging uns teilweise zur Hand, allerdings fiel sowohl mir als auch meiner Meisterin schnell auf, wie erschöpft der alte Mann war, weshalb wir ihm versicherten, selbst klar zu kommen. Ruhe hatte er bitter nötig, wenn er am morgigen Tag noch bei seiner Heimat ankommen wollte, denn mittags war es in dem Gebiet Konohas, das wir durchwanderten, so heiß, dass selbst Schatten kaum mehr Kühle spendete. Jetzt, wo die Sonne bereits fast untergegangen war und den Himmel in ein wunderschönes Rot-Orange tauchte, war es nicht mehr so heiß, eher begann ich, nun leicht zu frösteln, weswegen ich mir meinen dünnen Schlafsack um die Schultern legte, als Shin und Ren gerade mit dem Wasser und dem Holz zurückkehrten.
Ich saß vor den warmen Flammen des Feuers und kraulte Kohaku, der sich schmollend zu mir gesellt hatte, nachdem sein Herrchen nur noch Augen für sein Kartenspiel gehabt hatte, im Nacken. Alles war in völlige Dunkelheit getaucht, einzig unser kleines Lagerfeuer durchbrach das endlose Schwarz, sodass ich etwa zwei bis drei Meter weit sehen konnte. Alles dahinter war nichts als ein einziges Fließ aus Finsternis. Kushina saß neben mir, redete allerdings nicht wie ein Wasserfall auf mich oder irgendjemanden sonst ein, wie es sonst ihre Art war. Stattdessen wirkte sie tief in Gedanken versunken, vermutlich lastete ihr der bevorstehende Krieg, genau wie mir selbst auch, schwer wie Blei auf den Schultern. Das Minato Namikaze, ihr Ehemann und Kakashis Sensei, ausgerechnet Hokage war, schien ihre Situation deutlich schlimmer zu machen als meine. Dass glaubte ich zumindest.
Kushina selbst kannte ich schon mein ganzes Leben lang; sie war die Nichte meiner Mutter, die gemeinsam mit dieser als sie noch sehr jung war aus ihrer alten Heimat, nämlich Uzu no Kuni, flüchtete, da dort lange Zeit Krieg herrschte, bis das kleine Land schließlich völlig eingenommen und zerstört worden war. Da Kushina keine Familie mehr hatte, ebenso wie Kaede, wurden die Beiden praktisch unzertrennlich, als sie versuchten, sich in Hi no Kuni zu integrieren. Wenige Jahre später allerdings wurde ihr trügerischer Frieden unterbrochen; die alte Jinchuriki, in der das Kyubi versiegelt war, wurde krank und es war sicher, dass sie nicht mehr lange leben würde. Deshalb sollte das neunschwänzige Fuchsungeheuer ausgerechnet in der Nichte meiner Mutter versiegelt werden, da Kushina über ein besonderes Chakra verfügte, das es erleichtern würde, das Kyubi im Zaum zu halten. Kaede versuchte alles, um zu verhindern, dass Kushina, wo sie doch noch so jung war, davor zu retten, zur Jinchuriki gemacht zu werden; sogar sich selbst bot sie als neues Gefäß für das Neunschwänzige an, was allerdings sofort abgelehnt wurde, da meine Mutter nicht Kushinas besonderes Chakra besaß. Da Kushina nach der Versiegelung des Kyubis dasselbe Schicksal erlitt wie alle anderen Jinchuriki vor ihr auch schon, wurde die starke Bindung zwischen ihr und Kaede nur noch tiefer. Als ich dann geboren wurde, war ich für Kushina wie die kleine Schwester, die sie nie gehabt hatte. Auf diese Weise war die Uzumaki für mich weitaus mehr als nur meine Meisterin; ich wusste, dass ich ihr alles anvertrauen konnte und sie mir immer helfen würde, und das war etwas Besonderes. Etwas, das Kushina für mich nahezu unentbehrlich machte.
In diesem Augenblick räusperte sich Masaru Marui lautstark, ehe er seinen Blick direkt auf die rothaarige Kunoichi richtete. Seine hellen Augen schienen sich hart in die Kushinas zu bohren, der missbilligende Ausdruck in seinem Gesicht ließen ihn um Jahre älter erscheinen.
»Sie werden diese kleinen Küken in den Krieg schicken, wie?« Shin und Ren, die bis eben noch vertieft in ihr Kartenspiel waren, hoben interessiert den Blick; auch sie schienen die knisternde Spannung zu spüren, die in der Atmosphäre hing, seit Masaru Marui zu sprechen begonnen hatte. »Sie werden sie rücksichtslos abschlachten lassen wie die Schweine, oder? Ihr nehmt keine Rücksicht auf Kinder.« Letzteres war eindeutig keine Frage, sondern lediglich eine brutale Feststellung.
Ich spürte, wie meine Hand leicht zu zittern begann, aus den Augenwinkeln sah ich, wie Shins blaue Augen entsetzt aufleuchteten; er sprang auf und baute sich direkt vor unserem Auftraggeber auf. »Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen? Sie können doch nicht –«
»Shin.« Der Inuzuka drehte sich verwundet zu der Rothaarigen um, die ungewöhnlich ruhig schien. »Es reicht.« Dann wandte sich Kushina wieder an Masaru Marui: »Ich weiß nicht, woher Sie diese Informationen haben, und will auch gar nicht behaupten, Sie würden sich irren. Es steht ein Krieg unmittelbar bevor, das wissen wir alle. Aber Konoha so eine Grausamkeit zuzuschreiben, damit liegen Sie im Unrecht, Masaru. Es mag sein, dass meine Schüler noch sehr jung sind, aber dennoch sind sie exzellent ausgebildete Shinobi, die in keinster Weise zu irgendetwas gezwungen werden. Sie haben gelernt, zu kämpfen und sich zu verteidigen, das ist der Weg, den sie gewählt haben – dennoch würden wir nie ihren freien Willen unterbinden. Nur scheinen meine Schüler, und viele andere mit ihnen, Einwohner des Feuerreichs zu sein, die für ihren Frieden kämpfen wollen und bereit sind, dafür ihr Leben zu geben. Was man von Ihnen scheinbar nicht behaupten kann, Masaru. Anstatt selbst Ihren Weg nach Hause zu finden, brauchen Sie ein ganzes Team Ninja, die Sie verteidigen und in Ihre Heimat eskortieren sollen. Anstatt für Konoha zu kämpfen, nehmen Sie unseren Dienst in Anspruch und beginnen gleichzeitig, uns Shinobi als verabscheuungswürdige Bastarde darzustellen. Wissen Sie, was für einen Eindruck ich von Ihnen habe, Masaru? Sie sind feige, weiter nichts. Und das ist viel erbärmlicher als alles andere, glauben Sie mir.«
Nachdem Kushina das gesagt hatte, legte sich eine beinahe bedrückende Stille über unser Lager. Shin musterte unseren Auftraggeber noch immer voller Verachtung und Wut und Ren schien in Gedanken, während er nachdenklich eine Spielkarte in der Hand drehte. Masaru Marui selbst starrte unsere Meisterin noch immer zornig an, etwas Trotziges spiegelte sich in dem harten Blick seiner Augen wider.
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen?«, fing er an, in dem schwachen Versuch, die Bedeutung der Worte der rothaarigen Kunoichi zu verstecken, als wolle er sich seine eigene Feigheit nicht eingestehen. »Wissen Sie, wie Sie mit mir reden? Wissen Sie, was –«
»Ja, ich weiß es«, unterbrach Kushina ihn scharf, ihre blauen Augen blitzten zornig auf. »Und ich würde Sie bitten, Masaru, den Rest unserer Reise kein Wort mehr solche Themen zu verlieren. Anderenfalls werde ich die Mission an dieser Stelle für beendet erklären und Sie dürfen sich Ihren Weg nach Hause selbst suchen. Versuchen Sie erst gar nicht, mir zu unterstellen, ich würde nur drohen. So, wie ich es jetzt gesagt habe, meine ich es auch.« Nach einer kurzen Pause fügte die rothaarige Uzumaki mit einem missbilligenden Blick auf den alten Mann hinzu: »Vielleicht sollten Sie sich Schlafen legen. Müdigkeit ist oft Auslöser dafür, dass Menschen Dinge sagen, die sie hinterher vielleicht doch nicht so gemeint hätten. Nicht wahr?«

Am nächsten Tag erreichten wir in den frühen Mittagsstunden das kleine Dorf, in dem Masaru Marui lebte. Es bestand aus nur wenigen kleinen Häusern, etwa ein Dutzend, wie ich vermutete, die alle extrem nah beieinander standen, sodass die Straßen dazwischen nichts weiter waren als enge Gassen. Die meisten Leute betrieben Landwirtschaft; um die Ansammlung der Wohngebäude herum waren weitläufige Weiden, auf denen eine Menge Kühe und auch Schafe grasten. Ein schmaler Fluss umrahmte das kleine Dorf; einfach zusammengeschusterte Brücken aus massivem Holz führten darüber.
»Dann werden wir uns jetzt verabschieden«, sagte Kushina schließlich, als wir direkt vor dem Haus unseres Auftraggebers standen und dieser gerade Anstalten machte, die Haustür mit einem Schlüssel, den er aus einem nebenstehenden Blumentopf herausgenommen hatte, aufzusperren. »Ab hier ist unser Auftrag beendet.«
Masaru Marui zögerte kurz. »Es tut mir leid, wenn ich euch zu Unrecht verurteilt haben sollte«, sagte er schließlich. »Nur … mein Sohn hat im Zweiten Ninja-Weltkrieg gekämpft. Er verließ unser kleines Dorf, um Ninja zu werden – er fiel im Krieg. Nicht einmal seinem Leichnam konnten meine Frau und ich damals die letzte Ehre erweisen …«
Kushina senkte kurz den Blick. »Ich verstehe«, sagte sie nur, ehe sie dem alten Mann wieder direkt in den Augen sah. »Aber dann wusste er, wofür er gekämpft hat. Sein Herz war am richtigen Fleck. Sie sollten stolz auf Ihren Sohn sein, anstatt sein Opfer zu verschmähen.«
Masaru Marui neigte den Kopf. »Ich bedanke mich für eure Hilfe.«
Die rothaarige Kunoichi nickte knapp, ich lächelte leicht, ehe ich mich, zusammen mit Ren, vor unserem Auftraggeber verbeugte. Shin sagte nichts, er drehte sich einfach um und lief, uns voraus, aus dem Dorf heraus. Ich hob eine Braue und blickte Ren an, der ebenfalls nur mit den Schultern zuckte.
»Masaru Maruis Worte scheinen ihm zum Denken gebracht haben, nichts weiter«, antwortete Kushina mir schließlich auf meine unausgesprochene Frage. »Gerade Shin ist in solchen Angelegenheiten empfindlicher … lasst ihm einfach ein wenig Zeit.«
Ich nickte. »Wobei ich mir sicher bin, das er nicht der einzige ist, der ein bisschen Zeit für sich braucht …«, murmelte ich nur, Ren nickte im stummen Einverständnis.
Gegen Ende des Tages waren wir nicht mehr weit entfernt von Konohagakure. Wir übernachteten in einer kleinen Wirtschaft, da wir alle nicht wirklich begeistert waren von der Aussicht auf eine weitere Nacht im Zelt. Ich selbst teilte mir ein Zimmer mit Kushina; Shin und Ren schliefen im Raum nebenan. Die Einrichtung der Quartiere beschränkte sich auf ein einfaches Stockbett mit dicken Decken und Kissen, ein kleiner hölzerner Schrank stand in der Ecke, der allerdings den Eindruck vermittelte, in sich zusammenzufallen, wenn man tatsächlich seine Klamotten darin zwischenlagerte. Da meine Ausrüstung sowieso nur aus den Standart-Waffen eines Ninja und den Kleidern, die ich gerade trug, bestand, verzichtete ich auf diesen Versuch und legte mich, nachdem ich mich bis auf die Unterwäsche ausgezogen und in dem angrenzenden Bad gewaschen hatte, auf die obere Matratze des Stockbettes. Meine Glieder schmerzten und machten deutlich bemerkbar, dass ich die letzten beiden Tage so gut wie nur gelaufen war. Wenig später begab auch Kushina sich zu Bett und löschte das Licht.
»Kushina?«
»Hm?«
»Wenn es zum wirklich zum Krieg kommt, dann … werden viele sterben, oder?«
Die rothaarige Kunoichi zögerte, ehe sie möglichst neutral antwortete: »Das wird sich nicht vermeiden lassen, schätze ich.« Kurz darauf fügte sie hinzu: »Du machst dir Sorgen um deine Mutter, oder?«
»Auch«, gab ich zu. »Es ist nur, dass … ich denke immer, dass ich ab jetzt jeden beliebigen Tag aufwachen und beispielsweise du in dieser Zeit gestorben sein könntest. Verstehst du, was ich meine?«
»Natürlich tue ich das. Glaubst du, mir geht es da anders?« Ich hörte den verbitterten Ton aus ihrer Stimme heraus.
»Nein«, murmelte ich, während ich mich fester in die dicke Decke einwickelte.Trotz der warmen Luft im Raum war es, als wäre alles Blut in mir zu Eis gefroren.
Eine Weile schwiegen wir Beide. Als ich bereits dachte, Kushina sei eingeschlafen, begann diese, abermals etwas zu sprechen: »Wenn du so von dieser Angst sprichst, dann denkst du die ganze Zeit über auch an Kakashi, oder irre ich mich?«
Ich biss die Zähne zusammen und war dankbar darum, dass Kushina nicht sehen konnte, wie meine Wangen einen leichten Rotton annahmen. Schließlich seufzte ich und gab mich somit geschlagen. »Es ist einfach, dass ich – dass –«, setzte ich an, stockte dann allerdings, als ich den tiefen Kloß in meinem Hals bemerkte, der es mir nicht ermöglichte, weiter zu sprechen. Meine Augen begannen, zu brennen, nur mit Mühe konnte ich die Tränen zurückdrängen.
Ich spürte, wie das Hochbett leicht wankte, als Kushina sich zu bewegen schien. Wenig später war sie aufgestanden und blickte mich direkt an. Ich konnte ihr Gesicht nur schemenhaft durch die Dunkelheit erkennen, doch das reichte, um den besorgten Ausdruck darin zu erkennen.
»Akira …«, murmelte sie nur und schüttelte den Kopf. »Bedeutet er dir wirklich so viel, dass du es selbst nach zwei Jahren nicht schaffst, ihn endlich loszulassen?«
Ich nickte. »Das siehst du ja«, antwortete ich ihr leise. »Man merkt erst, wenn man etwas verloren hat, wie viel es einem wirklich bedeutet hat …«
Die Rothaarige zögerte einen Augenblick, ehe sie sagte: »Du hast ihn nicht verloren. Vielleicht … braucht er einfach Zeit. Noch mehr Zeit. Ich brauche es dir ja nicht zu erzählen, du kennst seine Geschichte und wirst ihn vermutlich sogar besser verstehen als ich, aber zumindest eines kann ich dir sagen, von dem ich mir sicher bin, dass du es noch nicht erkannt hast.« Als Kushina meinen irritierten Blick bemerkte, glaubte ich, ein leichtes Lächeln zu sehen, das sich auf ihren Lippen abzeichnete. »Vielleicht gibt er es nicht zu und trägt es nicht nach außen – aber du fehlst ihm auch. Wenn ich mich nicht täusche, und ich denke, dass ich das nicht tue, dann liebt er dich sogar. Mehr, als er es selbst wahrhaben will und du es je verstehen könntest. Das denke ich zumindest darüber.«
Ich starrte die rothaarige Kunoichi fassungslos an. Meine Hände umklammerten das Bettlaken beinahe krampfhaft, während ich noch immer völlig überrascht versuchte, den Sinn von Kushinas Worten richtig zu erfassen. »Das … glaube ich dir nicht.« Meine Antwort war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.
Kushina lachte leise. »Natürlich tust du das nicht«, sagte sie, während sie mit einer Strähne ihrer roten Haare herumspielte. »Soll ich dir erklären, wie ich darauf komme, bevor du anfängst, an meinem Verstand zu zweifeln?«
Ich nickte nur.
»Ich kenne Kakashi und dich jetzt schon seit einer halben Ewigkeit. Dich seit deiner Geburt, Kakashi fast ebenso lang, weil ihr selbst als kleine Kinder schon so unzertrennlich ward, wie« - die Rothaarige zögerte - »früher. Und wenn ich vergleiche, wie er dich jetzt ansieht, wenn ihr wortlos aneinander vorbeigeht … während ihr euch gegenübersteht, schafft er es gerade noch, sein makelloses Schauspiel aufrecht zu erhalten. Er spielt seine Rolle perfekt, gibt vor, jemand zu sein, der er vielleicht gerne sein würde, nachdem er so viel Leid und Schmerz erlitten hat. Aber kaum, dass du dich von ihm abwendest oder sich von dir, bekommt sein Blick fast etwas Verletzliches. Die Mauer, die er zum Schutz um sich herum errichtet hat, fällt ein wenig von ihm ab. Den Blick, wie er dir hinterher sieht, kenne ich so gut, dass ich nicht zu vermuten brauche, dass seine angebliche Weltansicht nicht der einzige Grund ist, warum er die vielen Mädchen, die ihm hoffnungslos verfallen sind, so ungnädig in die Wüste schickt.« Am Ende wirkte Kushina beinahe belustigt. »Das erinnert mich irgendwie an Minato und mich. Wenn ich es hinterher so betrachte, hätte mir klar sein müssen, dass es einen Grund hatte, warum er von Anfang an versuchte, die ganzen Mädchen, die ihn umschwärmten, abzuwimmeln. Aber zu so einem frühen Zeitpunkt erkennt man selbst nie die essenziellen Dinge. Vermutlich, weil man sich zu sehr auf sie konzentriert und so fast erblindet.«
Ich senkte den Blick. »Du sagst das alles doch nur, damit ich mich besser fühle, oder? Das klingt einfach so ...«
»Unmöglich? Absurd? So schön, dass es fast schon wieder wehtun könnte? Such dir was aus. Ich schwöre dir aber, dass ich nicht lüge. Hand aufs Herz.« Kushina lächelte. »Es ist dir überlassen, ob du dem glauben willst oder nicht, aber ich habe dir gesagt, was ich denke. Und ich denke außerdem, dass es besser für dich wäre, dich trotz alle dem von Kakashi ab zu seilen. Shin hat Recht, du brauchst Abstand von Kakashi. Auch wenn du ihm offenkundig eine Menge bedeuten musst, hat er dich in den letzten zwei Jahren doch mehrfach schwer verletzt. Und bis er das endlich versteht, bis ihm seine Fehler klar werden, wirst du warten müssen.«
»Danke, Kushina«, murmelte ich nur, ein schwaches Lächeln strich über meine Züge.
»Aber wofür denn?« Die Rothaarige schüttelte den Kopf, ehe sie eine Hand ausstreckte und mir damit kurz den Arm tätschelte. »Jetzt schlaf schön, Akira.«
»Du auch, Kushina.«
Fast die ganze Nacht lang lag ich noch wach da und dachte darüber nach, was Kushina mir erzählt hatte. »Wenn ich mich nicht täusche, und ich denke, dass ich das nicht tue, dann liebt er dich sogar. Mehr, als er es selbst wahrhaben will und du es je verstehen könntest.«
Ich bin dir trotzdem noch dankbar dafür, Kushina.



Als wir am nächsten Tag schließlich die Tore Konohagakures passierten, stand die Mittagssonne bereits hoch am Himmel, der von einem makellosen Blau war, ein paar Vögel zogen ihre Kreise und flogen zwitschernd über unsere Köpfe hinweg. Auf den Straßen des Dorfes war das übliche Getümmel; um die Stände, an denen Händler ihre Waren aus teilweise fernen Ländern anpriesen, hatten sich ganze Trauben von Menschen versammelt, bei Ichirakus

war kein Platz mehr frei und eine Bestellung nach dem anderen ging ein, sodass die Angestellten große Mühe hatten, die Ramen schnell zu kochen und ihren Kunden anschließend zu servieren. Erst jetzt, wo ich sah, wie die Bedienung einem etwas kräftiger gebautem Mann eine große Schüssel Nudelsuppe brachte, spürte ich, wie mein Magen sich fast schmerzhaft zusammenzog. Auch Kushinas Appetit schien geweckt; das erkannte ich daran, dass sie fast ununterbrochen auf die Ramen starrte und sich einmal sogar rasch über die Lippen leckte. Ein weiteres Merkmal, dass wir viel Zeit miteinander verbrachten und der selben Familie angehörten, war somit auch unsere Leibspeise. Genau wie meine Mutter liebten Kushina und ich Nudelsuppe, wobei jede von uns allerdings eine persönliche Lieblingssorte hatte. Ich selbst bevorzugte Miso-Ramen, Kushina hingegen Salz-Ramen.
Die rothaarige Kunoichi, die neben mich getreten war, grinste mich an. »Komm, ich lade dich ein. Ramen zum erfolgreichen Abschluss einer Mission!«
Shin verzog das Gesicht. »Und Ren und ich, was ist mit uns?«
Der Inuzuka begegnete Kushinas missbilligendem Blick. »Ich dachte, du magst keine Ramen, Shin?«
Der Braunhaarige kratzte sich am Kopf. »Ich, ähm … könnte ja mal 'ne Ausnahme machen!«
Kushina grinste. »Gut, dann –«
»Kushina?« Die rothaarige Uzumaki drehte sich in die Richtung um, aus der die männliche Stimme gekommen war. Es handelte sich um Minato, ihren Ehemann und gleichzeitig Yondaime Hokage, der Kushina mit einem undefinierbarem Blick aus seinen grünen Augen bedachte. Er trug über der grünen Chunin-Weste den beigen Hokage-Mantel, auf dem am Rücken rote Kanji abgebildet waren. Sein blondes Haar reichte ihm knapp bis zum Kinn und fiel auch über das Stirnband.
Die rothaarige Kunoichi lief auf Minato zu, schloss in in die Arme und küsste ihn kurz, ehe sie ihn lächelnd fragte: »Was gibt’s denn?«
Der Blonde zögerte und warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht einzuordnen wusste. »Ich muss mit dir reden. Würdest du bitte kurz mitkommen?«
Das Lächeln auf Kushinas Lippen erstarb. Genau wie auch Ren, Shin und ich schien sie zu merken, dass etwas nicht stimmte. Also nickte sie kurz, ehe sie sich abwandte und Minato zum Hokage-Turm folgte, ergänzte sie an uns gewandt: »Ich komme gleich wieder. Macht euch keine Sorgen, die Ramen gehen auf meine Rechnung!«
Shin runzelte die Stirn, während Ren noch immer völlig ruhig zu sein schien und sich sein Unbehagen nicht anmerken ließ. Der Inuzuka schien zu bemerken, wie bleich ich geworden war, und musterte mich besorgt: »Ach, komm, wird schon nichts Ernstes sein, Akira. Wir sollten jetzt lieber Kushinas Angebot annehmen und in der Zeit, in der sie weg ist, so viel essen, wie wir nur können. Sie hat ja eben gesagt, dass sie alles bezahlt.« Er grinste.
Ich nickte nur langsam und lächelte ein wenig. Doch selbst als eine große Schüssel Miso-Ramen direkt vor mir stand und mich eigentlich hätte ablenken sollen, wurde ich das beinahe erdrückende Gefühl nicht los, dass Minatos kurzer Blick in meine Richtung nicht grundlos gewesen war.
Ren schien, ganz im Gegensatz zu Shin, der scheinbar gewillt war, einmal die ganze Speisekarte zu bestellen, zu erkennen, dass mir nicht wohl bei der Sache war, und legte so kurz in einer mitfühlenden Geste eine Hand auf meinen Arm. Er murmelte ein leises »Mach dir keine Sorgen« und lächelte mir aufmunternd zu. Sonderlich ändern tat das allerdings nicht an dem schweren Kloß, den ich im Hals hatte. Meine Ramen rührte ich gar nicht erst an.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich schweigend verbracht hatte, war meine Nudelsuppe bereits kalt geworden, einige Angestellte von Ichirakus

bedachten meine bis zum Rand gefüllte Schüssel mit einem kritischen Blick. Immerhin war ich Stammkundin und aß meine Portionen für gewöhnlich in Rekordschnelle. Dass ich meine Ramen dieses Mal nicht einmal gerührt hatte, schien sie an ihrem Können zweifeln zu lassen.
Als Kushina sich dann einen Weg durch die Traube aus Menschen im Zentrum Konohagakures gebahnt hatte, war es, als würde irgendetwas in mir in sich zusammen fallen. Ich sah, wie eingefallen das Gesicht der sonst so hübschen Kunoichi zu sein schien, je näher sie kam, desto besser erkannte ich, wie rot ihre Augen angeschwollen waren. Kein fröhliches Lächeln spiegelte sich auf ihren Zügen wider, ihre blauen Augen strahlten nicht, sondern blickten leer durch mich hindurch. Es war, als wäre die Kushina, die ich kannte, eingefroren. Vollkommen aus Eis. Kalt.
»Akira … kann … kann ich dich kurz sprechen? Unter vier Augen«, sagte sie mit ungewohnt tonloser Stimme und wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern drehte sich um und lief in eine kleine Gasse. Ich folgte ihr, während ich Rens und Shins besorgte Blicke in meinem Rücken spürte.
»Kushina, was … was ist passiert?« Ich wollte meine Stimme fest klingen lassen, gefasst, doch diese Frage kam mir nur als heiseres Flüstern über die Lippen.
Ich sah, wie aus Kushinas Augenwinkeln eine kleine Träne quoll und ihre Wange hinab lief. »Sie hat es nicht geschafft. Deine Mutter, sie … sie ist auf der Mission gestorben. Sie konnten sie nicht mehr retten.« Kurz darauf brach die Stimme der rothaarigen Kunoichi, ein lautes Schluchzen drang aus ihrer Kehle.
Und ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um, und begann zu rennen, Tränen verklärten meine Sicht, während ich mir gewaltsam einen Weg durch die dichte Menschenmasse bahnte. Die Leute beschimpften mich, doch ich hörte es nicht. Nur ein einziger Gedanke, ein Satz, jagte durch meinen Kopf, hallte dort wider und vergrößerte den Schmerz, der sich wie ein Messer in mein Herz gebohrt hatte, mit jedem Mal.
Ich wusste es.


Dünnes Eis


Ein kalter Wind

wehte über den Friedhof und zerrte an meinem für die Jahreszeit viel zu kurzem Kleid. Mich fröstelte. Der dünne schwarze Stoff schmiegte sich zwar eng an meinen Körper, wärmte aber in keinster Weise.
Doch das war es mir wert.
Dieses Kleid gehörte meiner Mutter und allein das war Grund genug, es zu tragen, ganz gleich, wie sehr ich dadurch fror. Ich wollte ihr die allerletzte Ehre erweisen. Genau wie alle anderen Leute, die sich rund um den kleinen marmornen Grabstein versammelt hatten, der genauso aussah, wie all die anderen auf Konohagakures Friedhof. Nur in der Inschrift, die in goldenen Lettern in den Stein gehauen worden war, unterschied sie sich von den anderen Steinen, die in geraden, parallel zueinander verlaufenden Reihen um das große Denkmal in der Form einer großen, orange-roten Flamme angeordnet waren:

Kaede Uzumaki
* 22. Oktober 52 v.S.
† 30. März 12 v.S.

― Ich werde weiterleben. In euren Herzen. ―



Die Inschrift hatte Mutter sich gewünscht. Immer schon hatte sie gesagt, dass sie, wenn sie einmal auf einer Mission sterben sollte, wollte, dass diese zwei Sätze ihren Grabstein zieren. Und wann immer ich ihr damals, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war, mit tränenerstickter Stimme gesagt hatte, sie dürfe niemals weggehen und mich alleine lassen, hatte sie mir genau dies geantwortet.
Und ich fühlte mich noch immer wie das kleine fünfjährige Mädchen, das keine ruhige Nacht fand, solange seine Mutter auf einer Mission war, die ihre letzte sein könnte.

»Mama!«
Ein kleines braunhaariges Mädchen streckte den Kopf aus dem weit aufgerissenen Fenster des ersten Stocks eines Hauses am Rande Konohagakures. Ein strahlendes Lächeln zeichnete sich auf ihrem kindlichen Gesicht ab, als die rothaarige Frau zu ihr nach oben sah und sich die katzenähnliche Maske abnahm. Ein warmherzig lächelndes Gesicht kam darunter zum Vorschein. Hellblaue Augen musterten das Mädchen liebevoll, als dieses mit einer geschickten Bewegung über das Fensterbrett kletterte und sich davon abstieß.
»Ich hab dich so vermisst!« Die Kleine schlang ihre Arme um ihre Mutter und vergrub ihr Gesicht in dem langen grauen Mantel.
»Ich dich doch auch, Akira«, murmelte die Rothaarige und strich ihrer Tochter über das wirre braune Haar. »Ich dich doch auch.«
Als das Mädchen den Blick wieder hob, schimmerten Tränen in ihren grünen Augen. »Ich hatte solche Angst, dass du nicht wieder kommst, Mama.«
Die Rothaarige seufzte leise und ging vor ihrer Tochter in die Hocke, sodass sie ihr genau in die Augen sehen konnte. »Ich werde immer wieder zu dir zurückkommen, Akira. Das verspreche ich dir.«
»Aber …« Das Mädchen verstummte jäh, als die rothaarige Frau mit ihrem Finger auf ihre Brust tippte, genau dorthin, wo ihr Herz lag.
»Dahin werde ich immer zurückkehren«, sagte sie, ein mildes Lächeln lag auf ihren Lippen. »Und da werde ich auch immer bleiben, egal, ob ich schon längst nicht mehr auf Erden verweilen sollte.«
Eine kleine Träne rollte die Wange des kleinen Mädchens hinunter, ehe sie ihre Arme um den Hals ihrer Mutter schlang.
»Ich hab dich so lieb, Mama!«



Meine Hand begann zu zittern. Nur mühelos konnte ich die brennenden Tränen, die sich in meinen Augenwinkeln gesammelt hatten, zurückdrängen.
Minatos Rede nahm ich nur am Rande meines Bewusstseins wahr. Ich hörte all die Worte über meine Mutter, was für eine tolle Frau und Kunoichi sie gewesen war, aber sie schienen keinen Sinn zu ergeben. Nichts schien mehr einen Sinn zu ergeben.
Mein Blick glitt über all die Leute, die sich in schwarzen Trauergewändern um den Grabstein versammelt hatten. Nicht einmal die Hälfte davon kannte ich – und dennoch starrten sie alle starr in die Luft, einen bedauernden Ausdruck auf dem schmerzverzerrten Gesicht und Tränen in den Augen. Verstanden sie nur den Ansatz des Schmerzes, den ich empfand? Trauerten sie wirklich um meine Mutter oder war all dies nur ein perfektes Schauspiel, etwas, das sie im besseren Licht dastehen lassen würde, nur, weil sie mir mit geheucheltem Mitleid in ihrem Blick ihr Beileid ausgesprochen hatten? Ich wusste es nicht.
Ganz am Rande der Trauergäste sah ich schließlich eine Gestalt, die scheinbar zu versuchen schien, sich im Hintergrund zu halten. Die silbernen Haare des Jungen standen wirr in alle Richtungen ab, der Blicks einer dunkelgrauen Augen war unergründlich und dennoch lag ein gewisser Hauch Missbilligung darin.
Als Kakashis Blick meinen kreuzte, zuckte ich zusammen und sah schnell wieder weg. Er selbst schien durch mich hindurchzusehen, als wäre ich gar nicht anwesend. Bisher war er der einzige gewesen, der mir nicht sein Beileid ausgesprochen hatte – obwohl ich mehrmals mitbekommen hatte, wie Rin wütend auf ihn einredete, er solle sich nicht so dämlich aufführen. Was erwartete ich mir auch?
Sie alle waren zu mir gekommen – Minato, Shin, Ren, Obito, Rin und viele andere Shinobi meines Dorfes –, hatten meine Hand genommen oder mich in ihre Arme geschlossen, hatten mir versprochen, wenn ich irgendetwas brauchen würde, so bräuchte ich nur zu ihnen kommen – nur Kakashi schien all das nicht im Geringsten zu interessieren. Oder vielleicht ging es ihm so nahe, dass er sich noch mehr distanzierte also sonst schon. Immerhin hatte auch er meine Mutter gut gekannt – und seit dem Tod seines Vaters reagierte er, obgleich er es sich selbst nicht eingestehen wollte und beinahe krampfhaft versuchte, seine Gefühle völlig abzustellen, noch empfindlicher auf den Verlust eines Menschen, der ihm nahestand. Das glaubte ich zumindest.
Als ich auf einmal eine warme Hand auf meiner Schulter spürte, zuckte ich zusammen. Es war Kushina, der unaufhörlich dicke Tränen die Wangen hinab liefen, während ein leises Schluchzen aus ihrer Kehle drang. Sie hatte ihr langes rotes Haar zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt, sie selbst trug ebenfalls ein für die Jahreszeit viel zu kurzes schwarzes Kleid. Auch meine Haare hatte die rothaarige Uzumaki zu einer schönen Hochsteckfrisur verarbeitet – auch wenn ich nicht verstand, warum. Warum sollten wir an dem Tag, an dem wir meine Mutter endgültig verabschiedeten, derart herausputzen? Das einzige, worauf ich eigentlich bestanden hatte, war, das Kleid meiner Mutter tragen zu dürfen, weil ich wusste, wie sehr sie sich das gewünscht hätte.
»... sie wird dennoch immer unter uns verweilen. Und die Inschrift in ihrem Grabstein wird uns immer wieder daran erinnern«, endete Minato seine Rede, ehe er vortrat und eine weiße Rose vor dem marmornen Stein ablegte. »Kaede wird weiterleben. In unseren Herzen.«
Dann kehrte der Hokage wieder zurück zur Trauergemeinde und legte einen Arm um Kushina, der noch immer Tränen die Wangen hinab liefen. Der Blick seiner grünen Augen war ausdruckslos, als er ein Taschentuch aus seiner Jackentasche zog und es der rothaarigen Uzumaki gab.
Ich fragte mich, warum ich heute noch nicht ein einziges Mal geweint hatte. Vielleicht, weil meine Tränen längst versiegt waren? Weil ich in den letzten beiden Tagen nur stumm dagesessen war, ein aufgeschlagenes Photoalbum vor mir liegend, dessen sorgsam gestaltete Seiten bald von meinen Tränen befleckt waren? Aber wäre es Kushina dann nicht genauso ergangen? Warum weinte sie so unerbittlich, während ich nur dastehen und den Grabstein und dessen goldene Inschrift vor mir anstarren konnte? Ich wusste es nicht.
Aber vielleicht lag es daran, dass wir alle hier um einen Stein versammelt standen, der keinen weiteren Zweck erfüllte. Während wir ein leeres Grab beweinten, lag die Asche, zu der meine Mutter verbrannt worden war, irgendwo verstreut und niemand wusste, wo. Im Grunde wollten sie sowieso alle nur vergessen, dass meine Mutter je existiert hatte – warum sonst hatten sie ihren leblosen Körper rücksichtslos den Flammen übergeben?
Weil das Gesetz es so vorschreibt.


Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, die sterblichen Überreste meiner Mutter zu verabschieden, nicht die geringste Chance … ehrlichen Kummer zu empfinden. Wenn wir alle ehrlich waren, war das hier nichts als ein Schauspiel, ein symbolischer Akt ohne jeden Sinn. Und dennoch stand ich hier, komplett in schwarz gekleidet – und weinte nicht.
Was würdest du dazu sagen, Mutter, wenn du uns jetzt sehen könntest?

, dachte ich verbittert, während ich mit steifen Schritten auf den Grabstein zulief. Oder siehst du uns vielleicht gerade in diesem Augenblick?

Ich kniete mich nieder in das feuchte Gras und legte die weiße Lilie mit orangen Sprenkeln an den Innenseiten der Blütenblätter ein wenig abseits von Minatos Rose. Was fühlst du, wenn du die Menschen, denen du etwas bedeutet hast, so siehst?


Vielleicht begann ich wirklich, Kakashi ein Stück näher zu verstehen – oder im Gegenteil tat ich es nicht. Noch weniger als zuvor. Woher nahm ich überhaupt das Recht, all das Mitleid auf mich zu ziehen, wo es doch Kakashi wäre, der es verdient hätte? Als sein Vater sich damals das Leben genommen hatte, hatte es keine netten Nachbarn gegeben, die ihm zu Essen brachten, keine Trauergemeinde, die um Sakumos Grab, das so weit abseits von den anderen Grabsteinen zu stehen schien, versammelte und die Trauer seines einzigen Sohnes teilte. Nur Kakashi allein. Zusammen mit all dem Schmerz, der Wut und dem Hass, die fortan sein Leben bestimmten.
Ich hatte ihm nicht beistehen können.
Denn als ich endlich verstand, was vor sich ging, war es bereits zu spät gewesen für mitfühlende Worte und Umarmungen.

»Kakashi, es … es tut mir leid …« Die Stimme des braunhaarigen Mädchens war kaum mehr als ein Flüstern, das von dem stetigen Regen und dem laut heulenden Wind völlig verschluckt wurde.
Der silberhaarige Junge reagierte nicht. Blieb weiterhin reglos stehen, während seine Kleider bereits völlig durchnässt waren und an seinem Körper klebten. Er schien es gar nicht zu bemerken.
»Geh, Akira. Bitte.«
Obwohl er leise sprach, verstand das Mädchen seine Worte. Akira schüttelte den Kopf, obgleich sie wusste, dass er es nicht sehen konnte. Dann lief sie das letzte Stück Weg, das sie noch von Kakashi trennte, und wollte ihn umarmen.
Er schlug ihre Hand weg, der Blick seiner dunkelgrauen Augen war völlig ausdruckslos. Er schien durch sie hindurch zu blicken.
»Kakashi …«
»Ich komme schon selbst klar, Akira«, sagte er bestimmt und noch im selben Moment wusste das Mädchen, dass das eine Lüge war.
Ein lautes Donnergrollen von irgendwo in der Ferne durchbrach das monotone Prasseln des Regens. Während Akira erschrocken zusammenzuckte, blieb Kakashi völlig ruhig.
»Geh«, wiederholte er erneut mit Nachdruck und biss die Zähne aufeinander, während er die Hände zu Fäusten ballte.
»Das werde ich nicht tun.« Akira senkte kurz den Blick, ehe sie Kakashi wieder entschlossen aus ihren grünen Augen ansah. »Weil … weil ich weiß, dass du lügst, wenn du sagst, du brauchst niemanden. Du …«
»Was weißt du denn schon?«, unterbrach er sie scharf, seine dunkelgrauen Augen flackerten vor unkontrollierter Wut und Hass auf. »Gar nichts weißt du! Du hast doch keine Ahnung, wie … wie ich mich fühle!« Seine Stimme brach. Kakashi drehte sich um, lief ein paar Meter durch den völlig aufgeweichten Boden, blieb schließlich stehen, als er Akiras leise Antwort hörte: »Du hast recht. Ich … ich weiß nicht, wie du dich fühlst, und was du wohl durchmachen musst, aber ich …«
»Du willst mir helfen?« Ein verbitterter Unterton schwang in seiner Stimme weg. Kakashi neigte den Kopf kurz in die Richtung des braunhaarigen Mädchens. Sie wusste nicht, wie sie den Ausdruck auf seinem Gesicht deuten sollte. »Wenn du mir helfen willst, dann tu das, indem du mich in Ruhe lässt. Lass mich einfach in Ruhe und komm mir nicht in die Quere …«
»Aber …«
»Ich brauche dich nicht, verstehst du?« Es klang furchtbar in Akiras Ohren, wie Kakashi dies so leichthin zu sagen schien. »Ich brauche niemanden … niemanden von denen.«
Als er sich wieder abwandte, glaubte das Mädchen, ein leises Schluchzen zu hören. Sie konnte sich auch irren.
Sobald Kakashi völlig aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, verschwamm Akiras Sichtfeld in ihren eigenen Tränen. Noch immer fiel stetiger Regen von dem von schwarzen Gewitterwolken durchzogenen Himmel, der sich in ihren Haaren und Wimpern verfing. Ihre Kleider klebten schwer an ihrem Körper und sie fror erbärmlich.
Und sie wusste, dass Kakashi seine Worte ernst meinte. Und dass sie nichts tun konnte. Weder für sich selbst, noch für ihn.



»Wenn du möchtest, kannst du bei uns einziehen«, sagte Kushina. Ihre Stimme klang noch immer brüchig und ausdruckslos, dennoch zwang sie sich zu einem kleinen, unsicheren Lächeln.
Wir saßen in einem kleinen Restaurant ein wenig abseits von Konohagakure, leere Teller standen vor uns auf den hölzernen Tischen. Nachdem die Beerdigung zu Ende war, hatten wir uns mit den restlichen Trauergästen – oder zumindest denen, die noch bleiben wollten – aufgemacht und beschlossen, noch etwas zu uns zu nehmen, bevor wir getrennte Wege gingen. Bevor wir die Existenz und den Tod meiner Mutter endgültig aus unserem Gedächtnis löschten.


Minato lächelte aufmunternd und nickte. »Ja, wir haben darüber geredet und waren uns einig, dass wir –«
»Das ist nett, danke«, unterbrach ich ihn, wobei ich mit meinem Blick die Maserung der Tischplatte fixierte, als hätte ich irgendetwas besonders Interessantes darin entdeckt. »Aber ich … ich möchte in unserem alten Zuhause leben, weil ich … sie nicht vergessen will. Ich weiß, es muss ziemlich dumm klingen, aber sie … sie ist noch dort. Ein Teil von ihr ist dort und ich … ich will nicht, dass ich auch das verliere.« Ich spürte, wie mein Sichtfeld vor mir verschwamm. Mit Mühe konnte ich die Tränen zurückhalten. »Ist das … in Ordnung?«
Minato nickte nur, ein mitfühlender, verständnisvoller Blick lag in seinen grünen Augen. »Das verstehen wir«, sagte er, ehe er sich an Kushina wandte: »Oder?«
Die Rothaarige gab ihm mit einem knappen Nicken ihr Einverständnis, ehe sie sich von der gepolsterten Bank, auf der wir nun schon eine Weile saßen, erhob. »Gehen wir dann? Ich … möchte nach Hause.«
»Gut«, sagte ich nur und erhob mich ebenfalls von meinem Platz. Minato stand auf und wandte sich an die Bedienung, eine junge, blonde Frau, um zu bezahlen.
»Das Kleid steht dir gut«, sagte Kushina auf einmal; ich wusste nicht, wie ich den Blick ihrer blauen Augen deuten sollte.
Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Es gehört ja auch Mutter«, sagte ich nur und strich den Saum des schwarzen Kleides glatt.
Die Rothaarige lächelte nun ebenfalls. Im selben Moment kam Minato zurück zu uns und nahm Kushinas Hand. Auch wenn ich es ihm nie sagen würde, so war ich ihm doch unendlich dankbar dafür, dass er ihr immer wieder zur Seite stand und für sie da war, wenn sie jemanden brauchte. Gerade Kushina musste der Tod meiner Mutter mehr aus der Bahn gerissen haben als jeden anderen, der sie gekannt hatte – vermutlich auch mich. Denn das, was meine Mutter und deren Nichte im Krieg zusammen durchgestanden hatten, hatte ein unsichtbares Band zwischen ihren beiden Herzen gewoben, das niemand zerstören konnte. Eine einmalige Verbindung, die nun doch abrupt abgebrochen worden war und eine völlig zerstörte Kushina zurückgelassen hatte.
Gemeinsam traten wir wieder nach draußen. Es war wärmer geworden, die Sonne stand hoch am Himmel, an dem vereinzelt ein paar weiße Wolkenfetzen hingen. Ein paar kleine zartrosa Kirschblüten wirbelten durch die Luft und trugen einen süßen Duft mit sich.
Nach einer kurzen Strecke, die wir hauptsächlich schweigend verbrachten, kamen wir an dem Haus an, in dem ich zusammen mit meiner Mutter gelebt hatte. Es war nicht sehr groß und an einigen Stellen bröckelte bereits der Putz ab, das Dach würde spätestens nächsten Winter wieder restauriert werden müssen, wenn ich nicht mein kaltes und auch nasses Wunder erleben wollte, wenn der erste Schnee gefallen war. Dennoch war das kleine hellgelb gestrichene Haus für mich die reinste Idylle und strahlte immer eine willkommene Wärme und Geborgenheit aus – auch wenn ich wusste, dass der Mensch, dem ich dies zu verdanken hatte, nicht mehr unter den Lebenden verweilte.
Ich schluckte. Etwas ungeschickt kramte ich in der kleinen ledernen Tasche, die Kushina mir geliehen hatte, nach dem Hausschlüssel und drehte ihn ihm Türschloss herum. Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür. Eine fast beängstigende Einsamkeit schien mir in Form von Kälte entgegen zu kommen, sobald ich über die Schwelle getreten war.
Ein letztes Mal drehte ich mich zu Kushina und Minato um, die mich besorgt musterten. »Bis morgen dann«, sagte ich und gab der rothaarigen Uzumaki ihre Handtasche zurück. »Um wie viel Uhr treffen wir uns?«
Die Rothaarige schüttelte den Kopf. »Du wirst zuhause bleiben, Akira«, antwortete sie mir ruhig. »Shin, Ren und ich werden allein zu der Mission aufbrechen.«
»Aber …«
»Kein Aber.« Ein trauriges Lächeln lag auf Kushinas Lippen. »Du brauchst Ruhe. Zeit, um … das Geschehene zu verkraften. Glaub mir.«
Ich senkte den Blick. »Aber warum wirst du dann auf Missionen geschickt, wenn du selber noch viel mehr mitgenommen bist?«
»Weil Konoha jetzt, wo der Krieg offiziell ist, jeden Shinobi und jede Kunoichi braucht, um sich gegen die feindlichen Armeen zu wappnen.«
»Aber genau deshalb muss ich doch –«
»So aufgelöst, wie du bist, Akira, wirst du kaum eine Hilfe sein«, schnitt Kushina mir das Wort ab. Sie schloss mich kurz in die Arme und strich mir über das Haar. »Du wirst sehen, ein bisschen Ruhe wird dir guttun.«
»Wiedersehen«, murmelte ich, als Minato und die rothaarige Uzumaki sich langsam von unserem – nein, meinem

– Haus entfernten. Als sie die Kurve in eine andere Straße beschrieben, schloss ich die Haustür hinter mir.
Im nächsten Moment schaffte ich es nicht mehr, die Tränen zurückzudrängen.

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Während die Albträume mich überallhin verfolgten, wälzte ich mich unruhig in meinem Bett umher und fand keine Ruhe. In meinen Träumen sah ich meine Mutter, wie sie leblos in ihrem eigenen Blut dalag, die Augen weit aufgerissen. Sah Kakashi, wie er mit ausdruckslosem Gesicht von der Decke baumelte, einen Strich um den Hals, der geknüpft war aus all der Pein, dem Hass und der Demütigung der letzten Jahre. Sah Shin und Ren, wie sie am Boden lagen, schwer verwundet und um Atem ringend, wie sie mir vorwarfen, ich, ich allein, sei Schuld an ihrem Tod, ehe ihr Herzschlag ein für alle Male aussetzte. Sah mich selbst in einem Spiegel, mit Händen befleckt vom Blut der Feinde, ehe das Bild in tausend kleine Scherben zerbarst, die in meine Haut schnitten.
Schweißgebadet erwachte ich. Mein Atem war stark beschleunigt, mein Herz schlug so schnell wie die Flügel eines Kolibris, während ich versuchte, mich zu beruhigen. Zitternd schwang ich meine nackten Füße über die Bettkante, lief mit steifen Schritten durch die Wohnung. Im Bad angekommen drehte ich den Wasserhahn auf und spritzte mir das kalte Wasser ins Gesicht. Die Wirkung zeigte sich schnell: Durch die Kälte wurde ich augenblicklich hellwach und meine Sinne waren für einen Moment komplett betäubt. Mit einem weichen Handtuch trocknete ich mich ab, als mein Blick den an der Wand hängenden Spiegel streifte, zuckte ich unwillkürlich zusammen: Meine Haut war beinahe kränklich bleich, die Augen rot geschwollen und von dunklen Schatten untermalt. Das Mädchens, das mir so fremd und gleichzeitig so vertraut vorkam, wirkte verschreckt, ein wenig verstört, ja, sogar völlig zerbrechlich und schwach, als würde die kleinste Erschütterung sie zerstören. Beinahe hektisch wandte ich den Blick wieder ab.
Meine Müdigkeit war wie verflogen. Obwohl es noch sehr früh am Morgen war – die Sonne kroch allmählich den Horizont hinauf und tauchte den Himmel in ein sanftes Rot-Orange –, wusste ich, dass es ohnehin keinen Sinn mehr hätte, zu versuchen, zu schlafen. Also betrat ich erneut das Schlafzimmer und öffnete meinen kleinen hölzernen Kleiderschrank. Wahllos nahm wählte ich die Kleidung aus, die ich für gewöhnlich trug, wenn ich auf Missionen ging – nämlich eine einfache schwarze Stoffhose, kombiniert mit einem hellgrauen Top und einer dünnen weißen Jacke darüber – und zog mich rasch um. Das weiße Nachthemd, das eigentlich meiner Mutter gehörte, ich allerdings angezogen hatte, da mich der Duft, der von dem Kleidungsstück ausging beruhigte und an die glücklichen Augenblicke mit ihr erinnerte, legte ich auf die Bettkante. Dann verließ ich das Haus.
Ein kühler Wind zerrte an meinen Haaren, als ich nach draußen trat. Ein paar Vögel saßen im Geäst eines Kirschbaumes, der direkt neben meinem Haus in voller Blüte stand, und zwitscherten eine fröhliche Melodie, während ich wahllos den Weg in Richtung Wald einschlug, um zu gewährleisten, dass ich niemandem auf meinem Spaziergang begegnete. Wobei es ohnehin unwahrscheinlich war, dass um diese Zeit schon jemand auf den Beinen war.
Am Waldrand angekommen folgte ich einem schmalen Kiesweg, der in Schlangenlinien durch die hohen Kiefern führte. In der Nähe hörte ich einen kleinen Bach plätschern, ab und an ein Knacken im Unterholz. An einer Stelle sah ich sogar eine kleine Wühlmaus, die mich von einem kleinen Erdloch aus aus großen schwarzen Knopfaugen neugierig musterte. Als ich allerdings einen weiteren Schritt tat, kroch das kleine Tier verängstigt in seinen Bau und verschwand in den Tiefen eines endlosen Tunnelsystems unter der Erde.
Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald allmählich wieder und ich sah die ersten Häuser Konohagakures vor mir aufragen. Die Sonne war bereits höher gestiegen, der Himmel von einem makellosen Blau. Jetzt, nachdem ich eine Weile lang Gelegenheit gehabt hatte, nachzudenken und die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten, fühlte ich mich schon viel besser. Vielleicht hatte Kushina wirklich recht gehabt, indem sie mich von meinen Pflichten entbunden hatte.
Doch als ich direkt vor mir einen silbernen Haarschopf erkennen konnte, dazu dunkelgraue Augen, die mich genau im selben Moment zu erblicken schienen, schwand die innere Ruhe von eben beinahe restlos. Ich spürte, wie ich mich verkrampfte, und vergrub die Hände tief in den Taschen meiner Jacke. Den Blick gesenkt ging ich weiter.
Kakashi selbst folgte seinen beiden Hunden; Pakkun, ein sehr zierlicher Ninken mit hellbraunem Fell und Schlappohren, der nach bereits vier Monaten gelernt hatte, zu sprechen, lief dicht neben seinem Herrchen, während Bisuke, der sehr helles Fell besaß und auf dessen Stirn ein Kanji abgebildet war, auf seinen kurzen Beinen voraus lief, direkt in meine Richtung. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen, als ich mich daran erinnerte, dass ich es war, die ihm seinen Namen gegeben hatte.
Mit einem freudigen Bellen kam der kleine Ninken vor mir zum Stillstand und stellte sich auf die Hinterbeine, wobei er sich mit den Vorderpfoten an meinen Beinen abstützte. Lächelnd ging ich in die Knie und strich ihm über sein kurzes weiches Fell. In diesem Moment vergaß ich beinahe, dass Kakashi unmittelbar vor mir stand.
»Bisuke! Komm sofort hierher zurück!« Erst die schneidende Stimme des silberhaarigen Jungen erinnerte mich daran, dass das Kapitel in meinem Leben, in dem ich noch jeden Tag bei Kakashi gewesen war und sogar seinen Hunden Namen geben durfte, längst abgeschlossen war. Mit einem wehmütigen Blick auf den kleinen winselnden Bisuke, der traurig zu seinem Herrchen stapfte, erhob ich mich aus der Hocke, wobei ich es vermied, Kakashis Blick zu begegnen.
Kakashi setzte seinen Spaziergang schweigend fort, ganz so, als wäre ich gar nicht da. Ich spürte, wie Pakkun mich neugierig musterte, während er an mir vorbeiging; seine klugen, dunklen Augen huschten zwischen mir und Kakashi hin und her, dann schüttelte er sich, als wäre er gerade in eiskaltes Wasser gefallen. Fast so, als verstünde er auch nicht, wie aus der einst so tiefen Freundschaft zwischen mir und Kakashi so eine stille Distanz entstanden war, als gäbe es den jeweils anderen nicht mehr.
Kurz bevor der Hatake allerdings an mir vorbei ging, blieb er einen Augenblick lang stehen. Nur ein paar Zentimeter von mir entfernt stand er da und musterte mich mit einen undefinierbarem Ausdruck in seinen dunklen Augen.
»Es tut mir leid …«, murmelte er leise, ehe er, ohne meine Antwort abzuwarten, schnellen Schrittes weiterlief. Pakkun folgte ihm und öffnete schließlich den Mund, um etwas zu sagen; was, konnte ich allerdings nicht verstehen, da sie bereits zu weit weg waren. Bisuke winselte ein letztes Mal, ehe auch er hinter Kakashi her rannte. Ich wusste nicht, ob er verstanden hatte, was sein Herrchen eben gesagt hatte.
Ich selbst blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen, während mein Blick Kakashi und seinen beiden Ninken folgte, die soeben im Unterholz des Waldes verschwanden. Mein ganzer Körper war wie erstarrt, meine Gedanken rasten. Hatte er wirklich gerade gesagt, dass es im leid tat? Und wenn ja – warum? Und wofür genau entschuldigte er sich?
Trotz all der Fragen, die unaufhörlich durch meinen Kopf schossen, spürte ich, wie sich ein seltsames Gefühl in mir breit machte, das mich von innen heraus zu wärmen schien, fast wie die Strahlen der Sonne auf meiner Haut.
Hoffnung.


Nach all der Zeit schöpfte ich endlich wieder Hoffnung, es könnte vielleicht irgendwann wieder so werden wie früher. Hoffnung, Kakashi hätte endlich begriffen, welche Fehler er in den letzten beiden Jahren gemacht hatte. Hoffnung, dass –
In diesem Moment kam mir der Gedanke, dass diese Entschuldigung auch die nachträgliche Bekundung seines Beileids bezüglich dem Tod meiner Mutter sein könnte. Immerhin war er der einzige gewesen, der an der Beerdigung kein Wort darüber verloren hatte. Und warum sollte es auch nicht so sein? Nur weil er sich von seinen Mitmenschen distanzierte und nur die nötigsten Beziehungen zu ihnen hielt, nur weil er alles mit einer kühlen, rationalen Logik betrachtete, ohne Platz für Gefühle, nur weil er sich einschließlich an die Gesetze hielt – bedeutete das, dass sein Anstand es ihm verbot, Leuten, die einen geliebten Menschen verloren hatten, sein Beileid auszusprechen? Bestimmt nicht.
Außerdem würde das erklären, warum er so schnell wieder gegangen war und meine Antwort gar nicht erst erwartet hatte. Er wollte diesen Zwang schnell hinter sich bringen, ohne irgendwelche Komplikationen – hätte er sich wirklich für sein Verhalten in den letzten Jahren entschuldigt, so wäre er ganz sicher nicht gleich daraufhin wieder verschwunden, als wäre gar nichts gewesen. Oder?
Das warme Gefühl in meinem Inneren machte einer eisigen Kälte des Schmerzes und Bedauerns Platz.
Vielleicht sollte ich wirklich aufhören, zu hoffen, wenn eigentlich gar keine Hoffnung existierte.

Es herrscht jetzt Krieg. Wir brauchen jede militärische Kraft, die wir bekommen können, wenn wir nicht wollen, dass das Feuerreich mit all seinen Bewohner untergeht.


Und nun stand ich hier, gemeinsam mit einigen anderen talentierten Chunin, Minato, unserem Hokage, gegenüber. Auch einige begabte Genin waren hierher zitiert worden; obwohl sie gerade noch Kinder waren, viel zu jung, sollten sie fortan im Krieg kämpfen – falls sie wollten. Und der entschlossene Blick in ihren Augen sprach in dieser Hinsicht für sich. Wie naiv sie waren, zu glauben, sie würden zu Chunin befördert, weil sie Talente aufwiesen, die der der anderen weit überstiegen.
Hier ging es um etwas anderes. Eine Schwäche, die Konoha sich vermutlich nicht einmal eingestehen wollte.
Uns fehlten die militärischen Kräfte. Und ohne genügend Shinobi, die für ihr Land kämpften, würden wir diesen Krieg verlieren – und diese Niederlage würde das Ende von Hi no Kuni bedeuten. Daraus konnte man schließen, dass es nichts mit Stärke zu tun hatte, dass wir nun hier standen, sondern wohl eher mit Ehre. Mit der Ehre, für das Feuerreich kämpfen zu dürfen, bis zum Tod und darüber hinaus.
Ich wusste nicht, ob ich mich damit zufrieden geben konnte.
Mein Blick wanderte hinüber zu den Genin, die einen Halbkreis im rechten Teil des Arbeitszimmers des Hokage bildeten; sie alle waren ein ganzes Stück kleiner als ich, ihre Gesichter besaßen kindliche Züge und das Lächeln auf ihren Lippen wirkte falsch, völlig fehl am Platz. Bewies, dass sie nicht verstanden, worum es hier ging. Schließlich musterte ich jeden einzelnen der versammelten Chunin; die meisten von ihnen kannte ich, ein paar allerdings hatte ich noch nie gesehen. Dennoch sah ich in all ihren Augen Entschlossenheit.
Außer dem silberhaarigen Jungen, der zu allem Überfluss direkt neben mir stand und es mir schwer ermöglichte, ruhig zu bleiben, schienen sie alle in heller Aufregung. Sahen hierin einen bedeutenden Tag in ihrem Leben, waren stolz auf sich selbst und machten dem Ruf ihrer Familie alle Ehre –
Wie falsch am Platz ich mich fühlte.
Weder hatte ich mehr eine Familie, die stolz auf mich sein konnte – gut, Kushina war es bestimmt, dennoch wusste ich, dass auch sie sich wünschen würde, meine Beförderung zum Jonin hätte noch mit sich warten lassen –, noch wollte

ich überhaupt hier sein. Wenn ich daran dachte, dass der Zeitpunkt, in dem ich mitten auf dem Schlachtfeld stehen und meine eigene Truppe in ihr sicheres Verderben führen würde, wurde mir heiß und kalt zur selben Zeit und es war, als würde mir der feste Boden unter den Füßen weggerissen. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Schon gar nicht, während ausgerechnet Kakashi neben mir stand und mich aus den Augenwinkeln aufmerksam zu beobachten schien. Erwartete er etwa eine Reaktion auf seine Entschuldigung heute Morgen?
Ich wagte, dies zu bezweifeln, im Anbetracht dessen, dass er gerade eines seiner Ziele erreichte: Nämlich, endlich zum Jonin befördert zu werden, ab sofort das Kommando über ein eigenes Team zu erhalten. Für mich selbst war es schwer vorstellbar, wie viel ihm das wohl bedeuten musste.
Im Gegensatz zu mir, die viel lieber gehen und alles hinter sich lassen würde.
Vielleicht war ich wirklich nicht zur perfekten Kunoichi geboren. Vielleicht hatte Kakashi zumindest in dieser Hinsicht recht.
Aber das war nicht wichtig. Denn jetzt wollte ich dennoch kämpfen; für meine Freunde, die Menschen, die mir etwas bedeuteten – für meine Mutter. Ich wollte nicht, dass sie umsonst gestorben war. Ich wollte ihr zeigen, dass ich für sie und meinen eigenen Frieden kämpfte. Dass ich wie sie sein wollte.
»... ihr wisst, warum ich euch alle heute hierher gebeten habe«, sagte Minato gerade, wobei der Blick seiner grünen Augen aufmerksam durch die Reihen der jungen Ninja wanderte. »Ab heute werden die talentierten Chunin von euch Jonin sein, und damit das Kommando über ein eigenes Team erhalten. Und die Genin, die die meiste Begabung unter allen aufgewiesen haben, werden ab heute Chunin sein.«
Er schafft es, sich selbst anzulügen

, dachte ich ein wenig verbittert und senkte den Blick auf den hölzernen Boden. Minato weiß selbst ganz genau, dass er uns mit seinen lobenden, aufmunternden Worten nur Mut zuspricht. Mut, damit wir weitermachen und nicht aufgeben.


Minato Namikaze war wohl wirklich nicht umsonst bereits mit achtzehn Jahren zum Hokage geworden.
»Ich bin stolz auf jeden einzelnen von euch, und danke euch für all euren Mut und eure Stärke, mit der ihr unserem Dorf bisher gedient habt«, sagte der Hokage gerade, ehe er sich kurz vor uns verneigte. Wir erwiderten beinahe synchron seine Verbeugung, ehe wir allmählich das Arbeitszimmer des Hokage verließen. Ich selbst blieb solange still stehen, bis alle weg waren – alle, bis auf Kakashi und Minato, die nach wie vor an Ort und Stelle verweilten.
Wir schwiegen. Die Stille, die sich nun über das kleine Arbeitszimmer legte, war beinahe beängstigend; ich selbst spannte mich mehr und mehr an und starrte unablässig auf den Boden, um es zu vermeiden, Kakashis Blick zu begegnen.
Schließlich nickte ich Minato kurz zu. »Danke«, murmelte ich leise und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kakashi mich mit einen unergründlichen Blick in den dunkelgrauen Augen musterte, während ich den Raum verließ. Kurz nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, hörte ich leise Stimmen durch die dünnen Wände dringen.
»... verstehe nicht, warum du das tust, Kakashi.« Das war eindeutig Minatos Stimme. Neugierig drückte ich mein Ohr gegen die Tür, um besser verstehen zu können, wie das Gespräch weiterging:
»Du verstehst das nicht.« Kakashi klang so abwehrend wie immer. Ich unterdrückte ein leises Seufzen und wollte meinen Weg gerade fortsetzen, als der Hatake noch etwas hinzufügte: »Ich denke, es ist besser für Akira. Sie hat etwas Besseres verdient.«
Mir stockte der Atem, während mein Herz beinahe schmerzhaft gegen meine Rippen pochte. Der Boden unter meinen Füßen schwankte, während keine Gedanken so schnell rasten, dass ich gar nichts mehr verstand.
Als ich hörte, wie Kakashi sich schließlich von seinem Sensei verabschiedete, versteckte ich mich schnell in einem kleinen Nebenraum, während ich versuchte, mich wieder zu beruhigen.
Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt.
Oder?

»Rin. Rin!«
Das Braunhaarige Mädchen zuckte leicht zusammen, blieb stehen und sah sich um, von woher die Stimme gekommen war. In diesem Moment erreichte ich sie. Mein Atem war leicht beschleunigt – immerhin war ich gerade durch das halbe Dorf gerannt, auf der Suche nach ihr oder Obito. Das kleine, in braunes Papier gewickelte Paket drückte ich fest an meine Brust.
»Oh, hallo, Akira«, sagte Rin und lächelte leicht. »Suchst du irgendwen bestimmtes?«
Ich nickte. »Ja, dich.« Als die Braunhaarige mich mit einem neugierigen Blick bedachte, fügte ich hinzu: »Na ja, es ist ja Gang und Gebe, dass man sich zur Beförderung zum Jonin –«
»Oh, stimmt!«, unterbrach Rin mich jäh. »Du bist ja auch befördert worden! Herzlichen Glückwunsch, Akira!«
Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Danke, Rin«, meinte ich nur. »Aber ich meinte was anderes. Kakashi ist ja auch befördert worden und deshalb … hab ich eine Kleinigkeit für ihn.« - ich hielt das Paket hoch - »Ich hab mich gefragt, ob du es ihm vielleicht von mir übergeben könntest, weil …« Ich verstummte.
Die Braunhaarige nickte. »Klar, mach ich«, sagte sie nur, ehe sie mit einem seltsamem Blick ergänzte: »Wenn du das so willst.«
»Danke, Rin.«
Gerade, als ich wieder gehen wollte, hielt Rin mich am Arm zurück. Ein besorgter Ausdruck lag in ihren dunkelbraunen Augen. »Tut mir noch mal leid, wegen deiner Mutter.«
Ich senkte den Blick. »Danke, aber … das wird nichts ändern.« Nach einer Weile fügte ich hinzu: »Die Inschrift in ihrem Grabstein erinnert mich immer wieder daran, dass sie gar nicht so weit weg ist, wie ich vielleicht denke.«
Die braunhaarige Kunoichi nickte, ein Lächeln lag auf ihren Lippen. »Das stimmt.«
»Bis später«, sagte ich, ehe ich mich auf direktem Weg nach Hause begab.
In Gedanken fragte ich mich, wie Kakashi auf mein Geschenk reagieren würde. An sich war es nichts Besonderes; nur einige Makibishi, von denen ich mir sicher war, dass sie ihm nützlich sein würden, da sie gut in das Muster passten, nach dem er meist kämpfte. Allerdings hatte ich auch ein kleines Photo, das ich in einen der Alben entdeckt hatte, die ich mir, seit meine Mutter gestorben war, oft ansah, mit eingepackt.
Es zeigte mich und Kakashi an unserem ersten Tag an der Ninja-Akademie; wir standen breit lächelnd da und winkten in die Kamera – hätte man uns damals gesagt, dass das Verhältnis zwischen uns einmal so sein würde wie jetzt, hätten wir vermutlich nicht im Traum daran zu glauben gewagt. Doch jetzt … war alles anders.
Auf die Rückseite der Photographie hatte ich die Worte Erinnerst du dich noch?

geschrieben, in der Hoffnung, dass … er genau das tat: Sich manchmal an unsere alten, glücklichen Zeiten erinnern. Vor allem jetzt, wo ich das Gespräch zwischen Kakashi und Minato belauscht hatte, war ich zuversichtlich, dass mein Geschenk etwas in ihm regen würde. Die Hoffnung darauf, dass wir vielleicht endlich wieder zueinander finden könnten, schien mit jedem Augenblick mehr zu wachsen, sodass ich fast vergaß, was mir noch bevorstand.
Krieg.


Während ich die Haustür aufschloss, spürte ich, wie mir eisige Schauder den Rücken hinab liefen bei dem Gedanken daran, wie viel Leid und Schmerz mich wohl noch erwarten würde.
Der Krieg war nun in vollem Gange – das ließ sich nicht länger leugnen. Während ich hier in der Küche stand und mein Abendessen kochte, waren da draußen bereits Ninja meines Dorfes, die erbittert kämpften und ihr Leben ließen.
Der dritte Ninjaweltkrieg forderte seine Opfer. So war es nun einmal.
Nur sich damit abzufinden, das erwies sich als unmöglich.

Bereits früh am Morgen klingelte es an meiner Haustür. Ausnahmsweise hatte ich gut geschlafen, was ich von den Tagen davor nicht hatte behaupten können. Noch immer schien es, als würde mich der starre Blick der Augen meiner Mutter überallhin verfolgen, wie ein zweiter Schatten, sobald ich nur die Augen schloss – doch heute Nacht war das nicht so gewesen. Wer weiß, vielleicht kam ich wirklich langsam über ihren Tod hinweg.
Ich bezweifelte es.
Noch immer schlaftrunken schwang ich meine Beine über die Bettkante und versuchte vergeblich, etwas Ordnung in meine Haare zu bringen, ehe ich die Tür öffnete. Shin stand direkt auf der Türschwelle und schien mich bereits ungeduldig zu erwarten. Kohaku saß neben ihm, als er allerdings mich sah, sprang er freudig auf und ließ sich von mir im Nacken kraulen.
»Hey, Shin«, sagte ich lächelnd und erhob mich wieder aus der Hocke. Die bernsteinfarbenen Augen des Ninken blickten mich enttäuscht an. »Was gibt’s?«
»Kushina hat mich vorhin abgefangen, als ich mit Kohaku spazieren war«, antwortete er, als sei es völlig normal, bereits so früh auf den Beinen zu sein und mit dem Hund eine Runde um den Block zu machen. »Jedenfalls hat sie gesagt, ich soll dich und Ren holen. Wir sollen zum Hokage-Turm kommen. Es ist scheinbar wichtig.« Nach einer Weile fügte der Inuzuka mit einem finsteren Blick hinzu: »Hatakes Team wird auch da sein.«
Ich tat so, als hätte ich seinen letzten Satz nicht gehört, und nickte nur kurz. »Geht klar. Ich komm dann gleich nach. Geh du schon mal zu Ren.«
»In Ordnung.« Der Blick von Shins blauen Augen ruhte noch einen Moment auf mir. Er wirkte besorgt. »Fühlst du dich wirklich schon wieder so gut, um auf eine Mission zu gehen? Kushina würde es sicher verstehen, wenn –«
»Nein, nein, das ist schon in Ordnung«, unterbrach ich ihn hastig. Dennoch spürte ich einen kleinen Stich in meinem Herzen, bei dem Gedanken daran, warum ich von meinen Pflichten entbunden worden war. Ich senkte den Blick. »Irgendwann muss ich darüber hinweg sein – und gerade jetzt, wo da draußen ein Krieg herrscht, muss ich bereit sein. Wirklich, Shin, es ist alles bestens.«
Obgleich der Inuzuka nicht wirklich überzeugt schien, nickte er knapp, ehe er, flankiert von Kohaku, den Weg zu Rens Haus einschlug. »Bis dann!«, rief er mir über die Schulter hinweg zu, sein Ninken bellte wie zur Bestätigung.
Während ich in meine Klamotten schlüpfte, meine Haare zu einem Zopf zusammenband und ein hastiges Frühstück einlegte, fragte ich mich, was es wohl sein konnte, weshalb Kushina mich und mein Team so früh zu sich rief.
Nun, wenn ein Krieg gerade im Gange war, sollte ich mich Dinge wie diese wohl nicht länger fragen.
So schnell ich konnte rannte ich zum Hokage-Turm, wobei ich ein paar Mal fast ein paar Leute, die bereits auf den Straßen unterwegs waren, über den Haufen rannte. Als ich schließlich an die Tür zu Minatos Arbeitszimmer klopfte und dieser mich daraufhin hereinbat, sah ich, dass bereits alle anwesend waren. Kakashi, Rin, Shin und Ren – nur Obito fehlte noch. Wie zu Erwarten eigentlich.
»Tut mir leid, dass ich erst so spät komme. Ich …«
»Schon in Ordnung.« Kushina machte nur eine wegwerfende Geste mit den Händen. »Solange Obito immer noch nicht da ist, können wir sowieso noch nicht mit unserer Besprechung beginnen.«
»Besprechung …?«, hakte ich nach.
Die rothaarige Uzumaki nickte. »Ja«, sagte sie. »Es geht um eine Sabotage, die unsere beiden Teams – also meines und das von Minato – durchführen sollen.« Als ich sie noch immer fragend ansah, fuhr Kushina ruhig fort: »Seit die Ninja aus Iwagakure in Kusa no Kuni eingefallen sind, rücken ihre Truppen weiter vor und es fällt unseren Truppen schwer, sie zurückzuhalten. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Iwa-Nin keinen Weg mehr in das Grasreich haben« - Kushina machte eine kurze Pause, in der sie auf die große Landkarte deutete, die an einer Wand hing - »Wie du vielleicht weißt – oder auch hier sehen kannst – führen nur zwei Brücken über die Schluchten, die Tsuchi no Kuni von Kusa no Kuni trennt. Sie sind der einzige Weg für die feindlichen Ninja, weiter vor zu dringen – und wenn wir die Brücken zerstören würden, wäre Konohas Sicherheit so erheblich gesichert und wir hätten zumindest ein Problem weniger. Deshalb ist es unsere Aufgabe, Kannabikyo und Kage no hashi* zu zerstören.«
Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, was für eine gefährliche Mission uns da zugeteilt worden war. Kushina schien die Zweifel, und vor allem auch die Angst, in meinen Augen erkannt zu haben, denn im nächsten Moment ergänzte sie, als wolle sie mir noch mehr vor den Kopf stoßen: »Das wird die erste Mission sein, die du als Truppenführerin zugeteilt bekommst, Akira. Du wirst, zusammen mit Shin und Ren, die Brücke Kage no hashi sprengen, etwa zeitgleich mit Kakashis Team, das sich um Kannabikyo kümmern wird.«
In diesem Moment flog die Tür zum Arbeitszimmer des Hokage auf und ein völlig erschöpft wirkender Obito betrat den Raum.
»Tschuldigung, dass ich erst jetzt komme«, setzte er an, sein Atem war von dem scheinbar hektischen Weg zum Hokage-Turm leicht beschleunigt. »Aber ich musste einer alten Dame über die Straße helfen. Sie hatte so viele Einkaufstüten dabei, dass ich …«
Als der Uchiha den missbilligenden Blick Kakashis bemerkte, verstummte er und kratzte sich verlegen am Kopf. Ich runzelte die Stirn, während Rin nur leise seufzte.
»... dass du ihr natürlich beim Tragen geholfen hast, oder?«, ergänzte Minato, ein seltsames Lächeln auf den Lippen.
Obito nickte. »Genau, und deshalb hab ich auch –«
»Halt die Klappe«, unterbrach Kakashi ihn scharf. »Es gibt jetzt Wichtiges zu besprechen als deine chronische Unpünktlichkeit. Auch wenn ich es für hirnrissig halte, ihn überhaupt auf so eine Mission zu schicken. Damit unterzeichnet er doch sowieso sein Todesurteil!«
Das tun wir alle, indem wir uns auf diese Mission begeben, Kakashi, wollte ich fast sagen, doch ich hielt mich zurück.
Das wusste er selbst bestimmt auch. Auch wenn er es nicht zugab.

Brennende Brücken, Teil I


Ein Tag

blieb mir nun noch bis zur Sabotage der Brücke.
Ein Tag, in dem ich lernen musste, die Rolle der Truppenführerin zu übernehmen. Ein Tag, in dem ich es schaffen musste, meine riesige Angst vor dem Kommenden zu zügeln und Stärke zu zeigen. Ein Tag, den ich noch Zeit hatte, bevor ich mich auf eine Reise ins Ungewisse begab. Eine Reise, die ebenso gut meine letzte sein könnte.
Ich fühlte mich so furchtbar schwach und verletzlich. So allein und hilflos. Unfähig. Was wäre, wenn ich bei meiner ersten Mission als Truppenführerin kläglich versagen würde? Wenn Shin oder Ren, oder vielleicht sogar sie Beide, sterben würden, weil ich mein Team nicht richtig anführte?
Diese Sorge hatte sich in der letzten Woche wie Säure in mein Herz gefressen und ließ mich nicht mehr los. Sie verfolgte mich in meine Träume und beanspruchte mein gesamtes Denken und Fühlen vollkommen für sich.
Und wenn ich dann auch noch Kakashi sah, wie er stolz über seine Beförderung zum Jonin schien, völlig gefasst auf alles Kommende, in dem Wissen, dass er sowieso alles – wie immer eigentlich – mit Bravour meistern würde, erst dann ließ mich auch der Gedanke nicht los, dass ich vielleicht gar nicht geeignet dazu war, eine Kunoichi zu sein, die im Krieg ihre eigene Truppe in ihren eigenen Tod führen sollte.
Vielleicht hatte Kakashi wirklich recht, wenn er sagte, ich würde mich zu sehr von meinen Gefühlen leiten lassen und die Regeln der Shinobi zu wenig achten, um eine richtige Kunoichi zu sein, die dieses Stirnband, in dessen Metallplatte das Symbol Konohas graviert war, zu tragen.
Der Seitenblick, den er mir aus seinen dunkelgrauen Augen zuwarf, schien diese Meinung von mir und meinem völlig falsch gewählten Shinobiweg nur zu bestätigen. Ich versuchte, ihn zu ignorieren.
Wir waren bereits früh am Morgen aufgebrochen, weshalb die Sonne erst jetzt, nach bereits langer Wanderzeit ohne irgendeine Pause, langsam den Horizont hinaufkroch und alles in ein warmes Licht tauchte. Nach dem vielen Regen in den letzten Tagen war mir dies eine angenehme Abwechslung, obwohl ich zugeben musste, dass ich Sonnenschein währen deines Krieges mehr als nur unpassend empfand. Sonnenschein bedeutete für mich Wärme und Frieden. Nicht Kälte, Krieg und Tod. Kein Blutvergießen und kein Leid.
Ich seufzte und bemerkte erst, als Shin sich nach mir umdrehte und fragte, was denn los sei, dass ich stehen geblieben war und die anderen, nämlich der Inuzuka, Kushina, Ren, Minato, Kakashi, Rin und Obito, bereits ein ganzes Stück vor mir liefen.
»Oh, ähm, nichts, nichts«, murmelte ich hastig und holte die Gruppe mit schnellen Schritten auf. »Ich hatte nur einen Stein im Schuh, den ich schnell loswerden wollte.«
Shin schien zwar nicht sonderlich überzeugt von meiner schnellen Ausrede, nickte allerdings und ging nun neben mir her, während sein Ninken Kohaku die Spitze unserer Truppe bildete, um mögliche Feinde sofort zu wittern und uns vorzuwarnen. Natürlich hätte auch einer von Kakashis Hunden, also Pakkun oder Bisuke, diese Aufgabe übernehmen können, aber da der Hatake seine Ninken sowieso nicht wie Shin zu jeder Mission mitnahm und sie nur, wenn es wirklich nötig war, mit dem Kuchiyose no Jutsu rief, war das kein Problem, das auf einen Streit hinausführen hätte können – zumal Kakashi trotz seiner kalten, distanzierten Art doch sehr ruhig war und kein Typ, der gerne stritt, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
Als wir schließlich nach einiger Zeit die Grenze, die Kusa no Kuni vom Feuerreich trennte, überschritten, spannten wir uns zusehends an. Die wenigen Gespräche, die wir bis dahin geführt hatten, verstummten und jeder war sofort bereit, sollte ein Feind im nächsten Moment aus dem Gebüsch springen und uns angreifen.
Wir hatten Glück: Offenbar waren keine Ninja aus Iwagakure in der Nähe oder sie hatten uns zumindest noch nicht bemerkt. Dennoch waren wir weiterhin vorsichtig und machten nur wenige Pausen, um möglichst schnell voranzukommen.
Als wir kurz vor der Grenze nach Tsuchi no Kuni waren, etwa eine halbe Tagesreise davon entfernt, wenn überhaupt, trennten unsere Gruppen sich wieder. Minato, Kakashi, Obito und Rin würden nun in Richtung Osten gehen, um Kannabikyo zu zerstören, während mein Team, als Kushina, Ren, Shin und ich, den Weg nach Westen einschlagen würden, um Kage no hashi am nächsten Tag zu erreichen und hoffentlich erfolgreich zu sprengen.
»Viel Glück«, sagte der blonde Hokage noch, ehe er Kushina kurz in seine Arme schloss und küsste. Dann wandte er sich ab, seine Schüler folgten ihm.
Nur Kakashi zögerte kurz, ehe er seiner Gruppe hinterherlief. Scheinbar absichtlich ging er dabei noch einmal an mir vorbei und blieb nur einen kleinen Augenblick lang dicht neben mir stehen.
»Viel Glück …«, murmelte er nur leise, ehe er mit seiner Gruppe in Richtung Osten verschwand.
Ich starrte ihm verblüfft nach, unfähig, darauf etwas zu erwidern. Es verwirrte mich noch immer, wie sich, seit dieser Krieg nun offiziell war, alles verändert zu haben schien – oder wie anders ich alles plötzlich wahrnahm. Verhielt sich Kakashi schon immer so reumütig in meiner Gegenwart, seit er mich vor zwei Jahren praktisch aus seinem Leben verbannt hatte? Oder gab es einen anderen Grund, weshalb sein Verhalten sich so abrupt geändert zu haben schien und er sein perfektes Schauspiel von Emotionslosigkeit und Verachtung nicht länger aufrecht erhalten konnte?
Ich wusste es nicht. Und irgendwie spielte es auch keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle. Meine Mutter war gestorben und ich war allein, morgen konnten wir alle tot sein und es wäre ein für alle Male vorbei. Was half es also noch, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, wenn es ohnehin schon zu spät dafür sein konnte?
»Oh, da fällt mir ein!«, unterbrach Shin plötzlich meine Gedanken, woraufhin er einige verblüffte Blicke von Ren und Kushina erntete, die automatisch stehen geblieben waren, genau wie der Inuzuka, der mich nun erwartungsvoll aus seinen blauen Augen musterte. Dass wir uns auf feindlichem Gebiet befanden und jederzeit angegriffen werden konnten, schien er komplett vergessen zu haben.
Wobei ich mir sicher war, dass das eher eine Fähigkeit war, um die ich Shin insgeheim beneidete. Er schaffte es, den Ernst einer Lage, sei es nur für einen kurzen Augenblick, zu entschärfen und uns zum Lachen zu bringen. Shin lächelte selbst dann, wenn es keine Freude und kein Glück mehr gab, ja, er würde vermutlich sogar noch lächeln, wenn er auf der Schwelle zum Tod stünde und alles vor seinen Augen in Blut zerfließen würde. So war der Inuzuka. Und das war vermutlich auch die Eigenschaft, die ich am meisten an ihm schätzte.
»Wir haben dir noch gar nicht deine Geschenke gegeben, Akira!«, erklärte der Braunhaarige, während er in seiner Tasche kramte und schon bald ein kleines, etwas zerknittert wirkendes Päckchen heraus zog, das er mir überreichte. »Hier, das ist von mir … und natürlich von Kohaku. Herzlichen Glückwunsch noch mal zur Beförderung zum Jonin!« Den Neid in seinem Blick versteckte er so gut, dass ich ihn nicht bemerkt hätte, wenn ich nicht gewusst hätte, dass Shin so ehrgeizig war, dass es ihm manchmal schwer viel, sich für andere zu freuen. Aber für seine Freunde würde der Inuzuka bis ans Ende der Welt gehen, weil sie ihm einfach alles bedeuteten.
Noch etwas, das ich so sehr an ihm bewunderte.
Wie schäbig ich mir vorkam.
»D...danke, Shin«, meinte ich und lächelte ein wenig. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Und ob! Man wird immerhin nur einmal in seinem Leben Jonin und außerdem verlangt es der Brauch so, nicht wahr?« Er schwieg kurz, ein seltsamer Ausdruck lag im Blick der blauen Augen des Inuzukas. Dann ergänzte er etwas leiser: »Rin hast du immerhin auch etwas für Hatake mitgegeben.«
Ich starrte ihn überrascht an. Wie hatte er …? Nun gut, diese Frage beantwortete sich von selbst und es war ja auch nicht so, als wäre es allzu verwunderlich, dass Shin etwas davon mitbekommen hatte, war ich doch nicht allzu vorsichtig und geheimnistuerisch vorgegangen, als ich Rin das Päckchen für Kakashi mitgegeben hatte; dennoch merkte ich, wie meine Wangen zu glühen begannen und ich den Blick senkte. Ich antwortete Shin nicht, sondern wickelte stattdessen mit zittrigen Händen das in braunes Papier verpackte Geschenk aus.
Zum Vorschein kam ein kleiner, etwa handbreiter Dolch, in dessen Griff kunstvolle Muster eingearbeitet waren. In die Schneide des Messers, die im Licht der Sonne silbern glänzte, war zudem ein Kanji eingraviert: 明*. Mein Name.


»Shin …«, murmelte ich völlig fassungslos, während ich den Dolch in den Händen drehte, um ihn von allen Seiten zu bewundern. »Du hättest doch nicht … das … das kann ich unmöglich annehmen!«
»Doch, das kannst du.« Der Inuzuka grinste mich breit an, während er mit einer freien Hand meine Finger um das Messer schloss. »Immerhin ist dein Name eingraviert, oder? Also ist er deiner. Und es freut mich, wenn es dir gefällt – mehr will ich ja auch gar nicht.« Kohaku an seiner Seite bellte wie zur Bestätigung.
Ich lächelte. »Danke«, murmelte ich, ehe ich, ohne groß nachzudenken, meine Arme um Shins Hals schloss und ihn kurz an mich drückte.
»Hey, freu dich mal nicht zu früh!«, meinte Kushina belustigt und hielt mir ein kleines Päckchen, das sie in schönes grünes Papier gewickelt und zudem mit einer hübschen Schleife versehen hatte, hin. »Mein Geschenk ist viel besser. Ehrlich!«
»Tss, wer's glaubt, Sensei«, meinte Shin nur trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich steckte den Dolch, den der Inuzuka mir geschenkt hatte, sorgsam in die Tasche, die ich an der Hüfte trug und in der ich meine restliche Ausrüstung aufbewahrte, ehe ich die Schleife von Kushinas Geschenk löste und das Papier sorgsam aufriss.
Es war schon seltsam, wie ausgelassen die vorher so bedrückte Stimmung nun geworden war. Fast schon unwirklich war diese Situation – aber dennoch fühlte es sich gut an, die düsteren Gedanken für einen Moment abzulegen und so zu tun, als wäre alles … normal.
Was unter dem Geschenkpapier zum Vorschein kam, ließ mich unwillkürlich die Luft anhalten.
»Na, Überraschung gelungen?« Kushina lächelte, obgleich nun ein trauriger Ausdruck ihre blauen Augen trübte. »Es hat deiner Mutter gehört und … ich dachte, du würdest dich darüber freuen. Sie ist nämlich gar nicht so weit weg, wie du denkst, weißt du.«
Ich betrachtete weiterhin den kleinen Gegenstand in meinen Händen, während ich nicht wusste, welches der beiden Gefühle, die mich zu überwältigen drohten, nun wirklich die Oberhand hatten: Glück und unbändige Freude oder doch die Trauer, die verbunden mit dem Verlust meiner Mutter war?
Wohl etwas dazwischen.
Man hätte wohl meinen können, dass das Kunai, das ich noch immer völlig fassungslos anstarrte, völlig normal wäre, obgleich es nicht aussah wie für gewöhnlich – aber ich wusste es besser. Während Ren und Shin zwar nichts Besonderes an dem Messer in meiner Hand zu erkennen schienen, allerdings wussten, dass es mir viel bedeuten musste, da es meiner Mutter gehört hatte, sah ich noch mehr darin als nur eine bloße Erinnerung: Das Kunai war nicht so wie alle anderen, die in Konoha eigentlich geläufig waren. Es besaß eine Schneide auf beiden Seiten, sodass der Griff sich in der Mitte befand, und die Klingen waren aus einem weißen Metall gearbeitet, dass es nur an einem einzigen Ort auf dieser Welt gegeben hatte: Uzu no Kuni.
Dieses Kunai war eines der letzten Überbleibsel der Familie meiner Mutter, ein Erbstück, das für sie wohl wertvoller gewesen sein musste als alles andere.
Und nun gehörte es mir.
Ich schloss meine Hand so fest um das Messer, als wäre es mein letzter Halt und als wolle ich es nie mehr wieder loslassen. Meine Augen begannen zu brennen, doch ich schaffte es rechtzeitig, die Tränen zurückzudrängen.
»Danke, Kushina«, murmelte ich leise. Die rothaarige Uzumaki schenkte mir ein warmes Lächeln, ehe sie mich kurz in die Arme schloss.
»Pass gut darauf auf«, sagte sie nur. Ich nickte.
Dann trat schließlich Ren vor und überreichte mir sein Geschenk. Es war größer als die von Kushina und Shin und fühlte sich auch schwerer in meinen Händen an. Anstatt es in Papier zu verpacken, hatte der nur eine kleine Schleife, die ein wenig wie eine Blüte aussah, daran befestigt.
»Danke, Ren«, sagte ich lächelnd, während ich die Kanten der Schachtel abtastete, bis ich schließlich einen Verschluss fand, den ich vorsichtig öffnete. Im Inneren des kleinen Koffer befand sich alles, was man brauchte, um seine Wunden selbst zu versorgen: Verbandszeug, Desinfektionsmittel und ein paar Medikamente – und sogar ein kleiner Anhänger, ein Wolf, der aus Holz geschnitzt worden war.
Der Yamanaka war nicht nur ein ausgezeichneter Iryonin, sondern verfügte auch über ein außerordentliches Talent im Schnitzen, das wusste ich schon seit einziger Zeit; dennoch überraschte es mich jedes Mal wieder, wie gut er diese Kunst tatsächlich beherrschte. Und nicht umsonst hatte er mir einen Wolf geschnitzt – er wusste, wie gerne ich diese Tiere hatte, weil ich ihr besonderes Verhalten, was Zusammenhalt und Vertrauen anbelangt, immer bewundert hatte. Nicht grundlos war immerhin auch ein Wolf mein Kuchiyose-Tier.
Wortlos schloss ich meine Arme um den Blonden. »Danke«, wiederholte ich, ehe ich ihn wieder los ließ. »Ihr seid wirklich die Besten.«
Shin grinste. »Wissen wir doch.«

Als die Sonne schließlich restlos hinter dem Dickicht des Bambushains, das wir gerade erst hinter uns gelassen hatten, verschwand, schlugen wir unser Lager auf. Wir wählten einen Platz, der gut durch einige hohe Felsen geschützt war, damit mögliche Feinde uns nicht allzu schnell entdecken würden und wir eine gute Deckung hatten. Ein Lagerfeuer entfachten wir nicht, da das eigentlich purer Selbstmord gewesen wäre; stattdessen breiteten wir unsere Schlafsäcke nebeneinander unter dem freien Sternenhimmel aus, um im Falle eines Angriffs sofort reagieren zu können.
»Gehen wir also noch einmal unseren Plan durch«, sagte Kushina, die eine kleine Karte aus ihrer Tasche hervorgezogen hatte und sie nun vor uns ausbreitete. »Immerhin darf morgen nichts schiefgehen.«
Wir nickten nur.
»Hier« - die rothaarige Uzumaki deutete mit dem Finger auf einen Punkt auf der Landkarte - »befinden wir uns jetzt. Und hier liegt die Brücke Kage no hashi.«
»Es ist noch ungefähr eine halbe Tagesreise bis dorthin, oder?«, fragte Ren, während er aufmerksam die Karte studierte.
Kushina nickte. »Ja. Deshalb werden wir morgen auch mit Aufgang der Sonne weiterziehen, damit wir rechtzeitig ankommen. Ich werde allerdings einen kleinen Umweg machen« - mit dem Fingernagel fuhr sie von dem Punkt aus, auf den sie deutete, in einen weiten Kreis bis zu dem schwarzen Punkt, der Kage no hashi verzeichnete - »um euch Rückentdeckung zu geben und die Situation im Auge zu behalten. Das heißt, dass du ab morgen dein eigenes Team, bestehend aus dir, Ren und Shin, führen wirst, Akira.«
Ich biss die Zähne aufeinander und nickte nur. »Ist in Ordnung«, murmelte ich, wobei meine Finger sich Halt suchend in den weichen Stoff meines Schlafsacks vergruben.
Kushina erwiderte mein Nicken, ehe sie fortfuhr: »Wenn ihr bei der Brücke angekommen seid, werdet ihr den Sprengstoff an den entsprechenden Stellen anbringen – Shin kennt sich damit am besten aus, weshalb ich euch empfehle, einfach seine Anweisungen zu befolgen.« Der Inuzuka lächelte leicht und Stolz blitzte in seinen blauen Augen auf. »Wenn alles nach Plan läuft, werden euch keine Feinde angreifen, aber … ob dem wirklich so sein wird, steht wohl noch in den Sternen. Ihr werdet die Brücke sprengen, etwa zeitgleich mit Kakashis Team, wenn alles gut geht, und dann wieder hierher zurückkehren. Ich werde versuchen, zu euch zu stoßen, es kann aber auch sein, dass ich aufgehalten werde und erst später komme. Wenn ich bei Anbruch des nächsten Tages immer noch nicht gekommen bin, werdet ihr allein zurück nach Konoha kehren oder versuchen, Minato und sein Team zu finden.«
Ich senkte den Blick. Auch Shin und Ren wirkten verunsichert, nickten dann jedoch.
Kushina lächelte aufmunternd. »Macht euch keine Sorgen«, sagte sie. »Ich spreche nur vom Ernstfall. Das muss ja nicht bedeuten, dass ich wirklich –«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment erschien wie aus dem Nichts Minato neben der Rothaarigen, ein ernster Ausdruck lag in seinen blauen Augen.
Shin, Ren und ich sprangen überrascht auf und nahmen unsere Kampfhaltung ein – als wir allerdings den blonden Hokage erkannten, entspannten wir uns wieder und sahen ihn stattdessen nur überrascht an.
Auch Kushina gelang es nicht, ihre Verwunderung über das plötzliche Auftauchen ihres Ehemanns zu unterdrücken. »Minato, was machst du denn hier?«, fragte sie ihn, ehe sie sich langsam aus der Sitzhaltung erhob, um dem Hokage direkt in die Augen sehen zu können.
»Ich wollte euch vorwarnen«, sagte der blonde Shinobi. »Mein Team und ich, wir sind, als wir den Bambushain durchquert haben, von Iwa-Nin angegriffen worden. Es waren zwar nicht viele – die meisten haben beim Kampf Doppelgänger eingesetzt, weshalb es zuerst natürlich nach mehr aussah als es wirklich war –, aber ich glaube, sie wissen über unsere geplante Sabotage Bescheid. Ob das wirklich so ist, kann ich natürlich nicht sagen, aber es wäre möglich.« Mit einen kurzen Blick auf mich ergänzte Minato: »Wir haben es geschafft, die feindlichen Shinobi zu besiegen. Nur Kakashi hat eine Verletzung an der Schulter davongetragen.«
Ich zuckte leicht zusammen und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Der Seitenblick, den Shin mir zuwarf, sagte mir allerdings nur allzu deutlich, dass mir dies misslungen war. Der Inuzuka wirkte wie immer, wenn es um Kakashi ging, verständnislos, wenn ich mich nicht irrte, lag sogar ein Ausdruck von Kränkung in seinen blauen Augen.
Kushina nickte. »Danke, dass du uns gewarnt hast, Minato«, meinte sie nur, ehe sie den blonden Hokage kurz küsste.
Dieser nickte. »Ich muss jetzt zurück zu meinem Team«, sagte er. »Viel Glück.« Und verschwand genauso schnell und unsichtbar, wie er gekommen war. Den Spitznamen »Konohas gelber Blitz« trug er wirklich nicht zu unrecht.
Die rothaarige Uzumaki seufzte leise, nachdem ihr Ehemann von der Finsternis der Nacht verschluckt worden war. »War ja klar, dass diese Mission kein Zuckerschlecken werden würde …«, murmelte sie mehr zu sich selbst, ehe sie etwas lauter hinzufügte: »Wer übernimmt die erste Nachtwache?«
»Ich«, meldete Shin sich sofort. »Wird wohl am besten sein, wenn Kohaku mit von der Partie ist – ich denke, er kann uns besser warnen.«
»Ich kann das aber auch ruhig übernehmen«, meinte ich. »Wenn ich Daichi rufe, dann …«
»Nein, ich mache das«, unterbrach der Inuzuka mich bestimmt. »Du brauchst Ruhe, Akira. Immerhin musst du morgen unsere Truppe anführen, nicht ich. Ich krieg das schon hin.«
Ich seufzte und gab mich damit geschlagen. Vielleicht hatte er recht. Ich brauchte wirklich dringend Schlaf, wenn ich morgen nicht vor Belastung zusammenbrechen wollte, weil allein diese große Verantwortung mir wie Blei auf den Schultern lastete. Und außerdem hatte Shins Ninken einen besseren Geruchssinn als mein Kuchiyose-Tier, der Wolf Daichi. Zumal dieser sowieso nicht sehr begeistert von der Idee wäre, die ganze Nacht mit mir wach zu bleiben, nur für den Fall, das Ninja aus Iwagakure uns angreifen könnten.
»Gut, dann übernimmt Shin die erste Wache«, sagte Kushina, während sie in ihren Schlafsack schlüpfte. »Die zweite übernehme dann ich.« Als die rothaarige Uzumaki bemerkte, dass ich protestieren wollte, ergänzte sie. »Keine Widerrede.«
»Ihr könntest ruhig mal aufhören, mich so beschützen zu wollen wie einen kleinen Welpen …«, grummelte ich, während ich mich an dem klemmenden Reißverschluss meines Schlafsacks abmühte und mich schließlich, als ich es schaffte, diesen ein Stück weit zu öffnen, hinein legte. Die Anderen ignorierten mich einfach, als hätten sie mich nicht gehört. Mit einem letzten Blick auf Shin, der aufrecht da saß und zusammen mit Kohaku aufmerksam in die Finsternis starrte, schloss ich schließlich die Augen.
Es dauert nicht lange, ehe ein tiefer, traumloser Schlaf mich entführte –
– der jäh unterbrochen wurde, als ich spürte, wie jemand mich heftig schüttelte, um mich zu wecken. Ich riss die Augen auf und blickte direkt in Shins Gesicht. Der Inuzuka ließ meine Schultern los, als er bemerkte, dass ich wach war. Kushina neben mir war bereits aus ihrem Schlafsack geschlüpft und stand in Kampfhaltung ein paar Meter entfernt.
Es war noch dunkel, jedoch brach bereits allmählich die Dämmerung an und tauchte alles in verschiedene Grautöne, durch die ich ein paar Meter weit sehen konnte.
»Iwa-Nin«, flüsterte Shin mit bebender Stimme leise in mein Ohr. »Kohaku hat sie gerochen. Sie wissen, dass wir hier sind. Sind uns anscheinend mit ausreichend Abstand gefolgt – und haben die Windrichtung ebenfalls berücksichtigt, schätze ich – damit Kohaku sie nicht wittert, um uns dann in der Nacht anzugreifen.«
Ich nickte hastig und befreite mich nun ebenfalls aus meinem Schlafsack. Ren erschien direkt neben mir und fragte an den Inuzuka gewandt: »Wie viele sind es?«
»Kann man nicht so genau sagen«, antwortete der Braunhaarige, während er die Augen zusammenkniff und sich nur auf die Gerüche zu konzentrieren schien. Es erwies sich immer wieder als sehr praktisch, ein Mitglied des Inuzuka-Clans im Team zu haben; Shins äußerst gut entwickelter Geruchssinn, sowie natürlich der seines Ninkens, war immer eine sehr gute Hilfe, wenn es darum ging, Feinde aufzuspüren oder rechtzeitig zu wittern, was uns natürlich schon oft gerettet hatte, davon ausgehend, dass ein feindlicher Shinobi einen klaren Vorteil hatte, wenn er einen Angriff in Ruhe planen konnte und den Faktor Überraschung auf seiner Seite hatte. »Es sind mindestens vier, aber ich glaube, sie haben Doppelgänger erschaffen, weil es ein paar gleiche Gerüche mehrmals gibt … zumindest scheint es so. Ich bin mir nicht so sicher.«
Der Yamanaka und ich nickten, ehe wir uns bei Kushina kreisförmig formatierten, sodass es keine Lücke in unserer Linie gab. Wir alle standen stocksteif in Kampfhaltung da, die Nerven wie eine Bogensehne bis zum Zerreißen gespannt; mein Herz schlug mir bis zum Hals und das Kunai meiner Mutter, das Kushina mir geschenkt hatte, zitterte leicht in meiner Hand, während ich krampfhaft versuchte, etwas durch die Dunkelheit zu erkennen.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Jetzt mussten wir kämpfen. Vielleicht sogar um Leben und Tod.
Kushina reagierte pfeilschnell, als ein feindlicher Shinobi aus Iwagakure in unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu stürmte und ein Hagel Shuriken in ihre Richtung warf. Sie wich ihnen geschickt aus und wehrte einige der Wurfsterne mit ihrem Kunai ab, die ihr Ziel, nämlich Shin, somit direkt verfehlten.
»Passt auf!«, rief die Rothaarige, während sie geschickt den Schlägen eines Iwa-Nins, einem sehr hoch gewachsenen, kräftig gebauten Mannes, auswich. Shins Ninken gab ein leises Knurren von sich, während er seine Schultern anspannte und im nächsten Moment die bernsteinfarbenen Augen weit aufriss. Dann stürzte Kohaku sich auf eine Gestalt etwas abseits, die ich nur schemenhaft erkennen konnte. Sein Herrchen folgte seinem Hund, ein Kunai und einige Shuriken in den Händen.
Im selben Augenblick spürte ich, wie ich von den Füßen gerissen wurde und die ganze Erde zu beben schien; wie aus dem Nichts erschien ein anderer feindlicher Shinobi direkt vor mir – hätte ich meinen Sturz nicht rechtzeitig abgefangen, hätte ich den zahlreichen Senbon, die der Iwa-Nin mit einem geübten Wurf in meine Richtung geschleudert hatte, nicht ausweichen können.
»Akira, hinter dir!«, hörte ich auf einmal Ren schreien, der in meine Richtung stürzte und währenddessen einige Fingerzeichen schloss. Im nächsten Moment ertönte ein lauter Knall und alles löste sich vor mir in dunklen, bleigrauen Rauch auf. Instinktiv kniff ich die Augen zusammen, weil ich ohnehin nichts mehr sehen konnte, hielt das Kunai meiner Mutter schützend vor mich und konzentrierte mich voll und ganz auf die Geräusche um mich herum. Ich hörte das Knurren Kohakus, das Fluchen eines feindlichen Shinobi – und schließlich das Klirren, wie Metall auf Metall schlug, gefolgt von einem schmerzvollen Aufstöhnen.
Ich riss die Augen instinktiv auf und bahnte mir durch den undurchsichtigen Nebel einen Weg in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Ich sah Ren auf dem Boden liegend, sich vor Schmerzen krümmend – und einen drahtigen Iwa-Nin, der gerade mit seinem Kunai ausholte, um das Leben des Yamanaka jäh zu beenden.
Ohne groß zu überlegen schnappte ich mir einige Shuriken aus meinem Beutel und schleuderte sie in Richtung des Shinobi; dieser reagierte gerade rechtzeitig und musste sich wegducken, weshalb Ren die Zeit hatte, sich aufzurappeln und zu einem Schlag auszuholen, der sein Ziel jedoch verfehlte. Stattdessen bekam der Ninja aus Iwagakure den Arm des Yamanaka zu fassen und drehte ihm diesen brutal auf den Rücken.
Der Blonde stöhnte vor Schmerz auf und versuchte verzweifelt, sich zu befreien; in diesem Moment stürmte auf den feindlichen Shinobi zu und schloss einige Fingerzeichen. Da die Hände des Iwa-Nin damit beschäftigt waren, Ren festzuhalten, schaffte er es nicht mehr, mein Genjutsu rechtzeitig zu lösen. Stattdessen sah ich zu, wie sein Griff um die Arme des blonden Yamanaka sich löste und der feindliche Shinobi zu Boden fiel. Sein Körper krümmte sich am Boden, als hätte er Schmerzen – die er zumindest glaubte, zu haben. Ein leises Stöhnen drang aus seinem weit aufgerissenen Mund und seine Augen waren weit aufgerissen.
»Beeil dich!«, schrie ich. »Das wird ihn nicht lange –« Doch weiter kam ich nicht.
Denn im selben Moment passierten zwei Dinge gleichzeitig: Während ein weiterer Shinobi wie aus dem Nichts vor mir auftauchte und der dichte, graue Nebel sich auf einmal durch einen heftigen Windstoß lichtete, löste dieser mein Genjutsu, weshalb der andere Iwa-Nin wieder zu sich kam und sich, wenn auch mühsam, wieder aufrichtete, ein gehässiger Blick leuchtete in seinen dunklen Augen auf. Im selben Moment spürte ich einen unbeschreiblichen Schmerz im linken Bein, der mich den Atem anhalten ließ. Die lange Wunde, die meinen halben Oberschenkel aufgerissen hatte, brannte wie Feuer, bunte Lichtpunkte tanzten vor meinen Augen. Gerade rechtzeitig stieß Kushina mich, wenn auch sehr grob, beiseite und riss den feindlichen Shinobi, der mit seinem Kunai, das noch immer befleckt war von meinem eigenen Blut, gerade ausgeholt hatte, um mich zu töten, zu Boden. Eine Hülle aus Chakra umgab den Körper der rothaarigen Uzumaki, ihre Pupillen waren zu zwei kleinen Schlitzen verengt und ihre Augen leuchteten karmesinrot.
»D...die Jinchuriki vom Kyubi!«, stieß der feindliche Ninja, den Kushina zu Boden gerissen hatte, mit vor Entsetzen geweiteten Augen hervor und sprang beinahe hektisch wieder auf die Beine. »Scheiße!«
Während ich selbst verzweifelt versuchte, mich aufzurichten, erkannte ich schemenhaft, wie der Iwa-Nin versuchte, ein Fingerzeichen zu schließen – jedoch traf ihn Kushinas vom Chakra des Neunschwänzigen umgebene Hand ihn direkt in die Brust, woraufhin er röchelnd und endgültig zu Boden ging. Die Zähne fest zusammengebissen presste ich meine Hand auf die stetig blutende Schnittwunde an meinem Bein, während ich mich aufrappelte und unter Schmerzen versuchte, gerade zu stehen.
Im selben Augenblick tauchten etwa fünf feindliche Shinobi vor mir auf – Doppelgänger, wie ich sofort erkannte. Sie glichen alle wie ein Ei dem anderen, jedoch wusste ich, dass nur einer von ihnen der echte sein konnte – wenn dieser überhaupt unter der Zahl seiner Kagebunshin war und nicht stattdessen etwas abseits wartete oder mit einem anderen aus meinem Team kämpfte.
Ich kniff die Augen kurz zusammen und versuchte, nicht an den brennenden Schmerz in meinem linken Bein zu denken, während ich konzentriert einige Fingerzeichen schloss. Auf Taijutsu und meine sonst so überragende Schnelligkeit konnte ich mich nun, da ich verletzt worden war, nicht mehr verlassen – stattdessen musste ich Ninjutsu einsetzen, um diese Gegner zu besiegen.
»Fūton: Kazekiri no Jutsu

**!«, schrie ich, ehe meine Stimme unter dem lauten Heulen des Windes, den ich mit dieser Technik heraufbeschwor, völlig unterging. Im nächsten Moment raste eine riesige Windsichel direkt auf die Doppelgänger zu, in so einer Geschwindigkeit, dass diese keine Zeit mehr hatten, auszuweichen und stattdessen von der scharfen Böe erfasst wurden. Mit einem lauten Knall lösten sich die Kagebunshin in nichts auf. Ich hatte bereits geahnt, dass ihr wahrer Körper nicht unter ihnen sein würde –
– doch just in diesem Moment tauchte dieser hinter mir auf. Ich riss den Kopf herum und spürte, wie mein verletztes Bein unter meinem Gewicht nachgab. Ich stöhnte auf vor Schmerz, während der Iwa-Nin mit einem hässlichen Grinsen auf den Lippen mit seiner Faust ausholte, um mir endgültig den Rest zu geben.
»Jetzt hab ich dich, meine Kleine«, murmelte er nur mit einem triumphierenden Glänzen in seinen hellen Augen, während er weit ausholte, um mich mit einem Schlag zu Boden zu reißen. Wir Beide wussten, dass ich keine Chance mehr hatte, auszuweichen oder mich zu verteidigen; dazu war ich zu sehr geschwächt. Zum einen von meiner tiefen Schnittwunde, zum anderen, weil ich jede Menge Chakra verloren hatte, um das Ninjutsu anzuwenden, mit dem ich die Doppelgänger besiegt hatte.
Gerade in dem Moment, in dem mich die Faust des feindlichen Shinobi hätte treffen sollen, spürte ich, wie ich unsanft beiseite gestoßen wurde. Ich riss die Augen überrascht auf, als ich Shin sah, wie er unter Aufwand all seiner Kraft den Faustschlag des Iwa-Nin, der mindestens doppelt so groß als er selbst war, aufgefangen und mir somit das Leben gerettet hatte. Seine Schultern, die fast zerbrechlich neben den breiten und muskulösen seines Gegners wirkten, bebten vor Anstrengung, während er sich weiterhin mit aller Kraft gegen den Feind zu wehren versuchte. Gerade rechtzeitig rannte Ren, der völlig außer Atem und, abgesehen von einer kleinen Schnittwunde oberhalb seiner Brauen, noch unverwundet war, zu uns und stieß dem Iwa-Nin von hinten ein Kunai in den Rücken. Da der Yamanaka eine sehr große Kenntnis über den menschlichen Körper und medizinische Ninjutsu besaß, konnte ich mir sicher sein, dass er die Stelle, in die er sein Messer gerammt hatte, nicht willkürlich gewählt hatte.
Und so war es auch: Im selben Moment hörte ich, wie der feindliche Ninja vor Schmerz laut aufkeuchte und unter starkem Zittern zu Boden stürzte. Die Erde schien zu beben, als sein schwerer Körper auf ihr aufschlug. Beängstigende Stille legte sich über den Kampfplatz, während die Brust des Shinobi sich noch ein paar Mal schwach hob und senkte – ehe sein Atem aussetzte und seine Augen glasig in die Nacht starrten, völlig leblos. Tot.


Ich schluckte und wandte den Blick von dem Leichnam des Iwa-Nins ab, während ich versuchte, mein verwundetes Bein vorsichtig zu belasten und mich aufzurichten. Noch immer lief Blut aus der tiefen Schnittwunde und der Schmerz war wie Feuer, das meinen ganzen Körper bei lebendigem Leibe zu Asche verbrannte.
»Ist alles in Ordnung bei dir, Akira?«, hörte ich plötzlich Shins Stimme direkt neben mir, der Blick seiner blauen Augen war besorgt und weitete sich unwillkürlich, als er die Wunde in meinem linken Oberschenkel bemerkte. »Oh, scheiße«, murmelte der Inuzuka, während er sich hektisch umsah. »Ren. Ren! Komm her, verdammt!«
Offenbar hatten wir alle Feinde vertrieben – oder besser: besiegt und ein für alle Male unschädlich gemacht. Denn zusammen mit dem blonden Yamanaka, der so schnell er konnte zu mir stürzte und sich meine Schnittwunde besah, kam auch Kushina zu uns. Das glühende Rot in ihren Augen war erloschen, die Hülle aus dem Chakra des Kyubi verschwunden. Einige Kratzer zeichneten sich allerdings auf dem hübschen Gesicht der rothaarigen Uzumaki ab; ansonsten schien sie allerdings unverwundet.
»Die Wunde ist ziemlich tief …«, murmelte Ren abwesend, während er vorsichtig den Schnitt abtastete. Ich biss die Zähne fest aufeinander, um nicht aufzuschreien vor Schmerz. »Shin, bring mir meine Tasche.«
Der Inuzuka nickte hektisch, ehe er, gefolgt von seinem Hund, der sich zuvor in den Schatten gehalten hatte, sodass ich ihn nicht bemerkt hatte, zu unserem provisorischen Lager eilte und mit der ledernen Umhängetasche des blonden Yamanaka zurückkehrte.
»Hier.«
»Danke, Shin«, murmelte Ren, während er seine kühlen Hände, die bereits befleckt waren von meinem Blut, erneut auf die Wunde an meinem Schenkel presste. Dieses Mal allerdings tat es nicht so sehr weh; das grüne Chakra, dass sich auf Rens Handflächen ausgebreitet hatte, hinterließ ein warmes Gefühl und ich glaubte fast zu spüren, wie die Schnittwunde zu heilen begann.
»Die Wunde ist ziemlich tief«, meinte der Yamanaka schließlich, als er seine Hände schließlich wieder von dem Schnitt an meinem linken Bein nahm und in seiner Tasche nach Verbandszeug wühlte. »Ich kann sie nicht vollständig heilen. Es ist zwar gut, dass wir sie gleich behandeln konnten, aber du wirst das Bein trotzdem schonen müssen, Akira.«
»Aber wie soll das gehen, wenn wir jederzeit wieder angegriffen werden können?«, widersprach ich dem Blonden, während ich den Verband festhielt, sodass dieser ihn besser befestigen konnte. »Kannst du mir nicht irgendwas verabreichen? Irgendein Medikament, dass den Heilungsprozess beschleunigt oder so?«
»So was gibt es leider nicht«, meinte Ren nur milde lächelnd. »Wenn es das gäbe, hätten wir Iryonin auch schon einige Probleme weniger … beziehungsweise wäre unsere Existenz dann ziemlich überflüssig, meinst du nicht?«
Ich antwortete ihm nicht, sondern betrachtete beinahe wütend mein nun bandagiertes Bein. Hätte ich nur besser aufgepasst, dann hätte ich jetzt nicht dieses Problem!
Kushina, die meine Wut zu bemerken schien, tätschelte mir kurz die Schulter. »Es wird auch so gehen, glaub mir«, sagte sie ruhig. »Und es ist ja nicht deine Schuld – das hätte jedem von uns passieren können.«
»Aber tatsächlich war es nur ich, der es passiert ist«, gab ich patzig zurück. »Und ihr glaubt ehrlich, ausgerechnet ich bin dann auch noch zur Jonin geeignet und kann morgen meine eigene Truppe führen?«
»Ja, das glauben wir«, meinte die rothaarige Uzumaki, ehe sie sich aus der Hocke erhob und prüfend durch die Gegend sah, als wäre sie unsicher, ob nicht irgendwo noch Feinde lauerten. »Ich übernehme die erste Wache. Wir sollten uns jetzt noch schlafen legen, egal, ob es nicht mehr lange bis Sonnenaufgang ist. Gerade du brauchst jetzt etwas Ruhe, Akira, damit du den letzten Teil der Reise bis zu Kage no hashi schaffst.«
Ich nickte nur und schlug Shins Hände wortlos beiseite, als er mir aufhelfen wollte. Stattdessen erhob ich mich etwas unbeholfen und lief auf wackeligen Beinen zu meinem Schlafsack zurück. Noch immer schmerzte die Wunde, obwohl mein linkes Bein seit der Behandlung durch Ren eher von einem Gefühl der Taubheit, gepackt zu sein schien und das Brennen verschwunden war. Trotzig legte ich mich hin und schloss die Augen. Bevor ich schließlich einschlief, glaubte ich noch Ren »Nimm's ihr nicht übel. Sie ist einfach … unsicher, das musst du verstehen' sagen zu hören.

Überall um mich herum war Finsternis. Schwarze, düstere Finsternis, die schwer in der Luft hing und das Atmen schwer machte. Beinahe greifbar war diese Dunkelheit, die sich wie ein dunkler Mantel um meine Schultern gelegt hatte.
Nur von irgendwo, aus einer Richtung, die ich nicht bestimmen konnte, drang ein schwacher Lichtschein an meine Augen und lichtete die Schwärze um mich herum; mit langsamen, bedächtigen Schritten lief ich auf dieses Licht zu und streckte die Hände aus, als wollte ich es greifen und nie wieder loslassen. Das Verlangen, genau dies zu tun, schien unendlich.
Als ich näher trat, erkannte ich, dass die Lichtquelle ein schwebender Ball zu sein schien, in dessem Inneren ein seltsames, bläuliches Feuer brannte. Ich war nur noch einige Zentimeter von der Lichtkugel entfernt, als plötzlich ein markerschütternder Schrei die Finsternis durchschnitt wie ein scharfes Messer und mich unwillkürlich zusammen zucken ließ.
Nein!


Die Lichtkugel vor mir zerbarst in tausend Scherben, im selben Augenblick wurde ich von einem gleißenden, weißen Licht geblendet. Ich kniff augenblicklich die Augen zu und hielt meine Arme schützend vor mein Gesicht – vorsichtig öffnete ich meine Lider schließlich wieder.
Ich schrie.
Vor mir lagen, zu einem hohen Turm aufgetürmt, die Leichname aller derer, die ich einmal gekannt und geliebt hatte. Zu unterst meine Mutter, deren Augen glasig wie die einer Puppe waren, die von Shin und Ren. Kushina lag über ihnen, die Glieder in einem unnatürlichen Winkel von sich gestreckt.
Und ganz oben auf dem Turm lag Kakashis lebloser Körper. Rotes Blut klebte in seinem silbernen Haar, die Augen waren geschlossen, als schliefe er – und die Hände umklammerten ein kleines Stück Papier, das ich bei näherem Hinsehen als das Photo, das ich ihm geschenkt hatte, identifizierte.
Zu oberst auf diesem Haufen, zu dem die Toten aufgetürmt waren, stand ein imposanter Thron mit roten Sitzpolstern. Und auf ebendiesem imposanten Thron mit den roten Sitzpolstern saß ein Mädchen mit langen braunen Haaren und grünen Augen, die ausdruckslos durch mich hindurch zu blicken schienen.
Doch sie grinste. Ein gehässiges, ja, fast glückliches Grinsen war es, das sich auf ihren Lippen abzeichnete.
In diesem Moment zerbarst der Spiegel, vor dem ich die ganze Zeit über gestanden hatte, in tausend Scherben. Rotes Blut rann aus den Schnittwunden an meiner Hand, mit der ich das Glas zerbrochen hatte.
Und erneut hörte ich einen lauten Schrei, ehe ich in unendliche Finsternis stürzte.

Ich erwachte schweißgebadet in meinem Schlafsack.
Mein Herz schlug beinahe schmerzhaft gegen meine Rippen, mein Atem war stark beschleunigt und mein kompletter Körper zitterte, als wäre ich in Eiswasser gefallen.
Ich atmete tief ein und aus und versuchte noch immer völlig außer mir, mich zu beruhigen. Als mein Herzschlag sich allmählich beruhigte, öffnete ich mit zittrigen Händen den Reißverschluss meine Schlafsacks und erhob mich unter Schmerzen, die hauptsächlich von meinem linken Bein herrührten.
Ich sah Kushina, die etwas abseits saß und noch immer Wache hielt. Wortlos ließ ich mich neben ihr nieder und starrte auf meine Hände.
Ich bemerkte den besorgten Blick in den blauen Augen der rothaarigen Uzumaki, ehe sie vorsichtig fragte: »Hast du schlecht geträumt, Akira?«
»Kann man so sagen«, murmelte ich und knetete meine Finger, um irgendeine Beschäftigung zu haben, die mich von meinem Albtraum ablenkte. Nach einiger Zeit, in der wir nur schwiegen, ergänzte ich: »Glaubst du, dass die Sabotage gelingen wird?«
Kushina neigte den Kopf. »Ach so, deshalb hast du schlecht geträumt ...«, murmelte sie mehr zu sich selbst, ehe sie mir antwortete: »Ich glaube, wenn wir nur fest genug daran glauben, dass wir es schaffen, dann … schaffen wir es auch. Wenn wir uns von Anfang an blockieren, indem wir sagen, wir schaffen es nicht, dann wird es auch so kommen. Das ist einfach so … irgendwie zumindest.«
Ich nickte nur.
»Du machst dir Sorgen, dass du als Teamführerin versagen wirst und Shin oder Ren verletzt oder sogar getötet werden, oder?«, setzte die Rothaarige schließlich hinzu, wobei sie mich nicht ansah.
»Ja, da wirst du wohl recht haben«, gab ich zu. »Ich denke einfach immer, dass … dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin. Ich fühle mich so verdammt hilflos und schwach, ich denke die ganze Zeit, dass … dass wir alle sterben werden und schaffe es nicht, aufzuhören, so zu denken!«
Kushina legte mir einen Arm auf die Schulter und lächelte traurig. »Ich verstehe, was du meinst«, meinte sie leise. »Seit Kaede gestorben ist, ist es sowieso … anders. Abgesehen davon, dass niemand von uns ihren Tod richtig überwunden hat, hat sie uns mit ihrem Verschwinden die Angst hinterlassen, noch mehr geliebte Menschen zu verlieren. Wenn du wüsstest, wie sehr ich mich jetzt in diesem Augenblick um Minato sorge, obwohl ich eigentlich wissen sollte, dass es ihm gut geht, weil er nicht umsonst einer der stärksten Hokage ist, die das Feuerreich je hatte …«
»Ich verstehe, was du meinst«, meinte ich nur und wischte mir mit dem Handrücken verstohlen über die Augen. »Das geht jedem von uns so. Leider.«
Die rothaarige Kunoichi zögerte, ehe sie vorsichtig fragte: »Wenn du das so sagst, dann denkst du automatisch an Kakashi, nicht wahr?«
Mein Schweigen schien Kushina Antwort genug. Sie seufzte leise. »Akira, ich weiß, wie viel er dir bedeutet, aber … du musst ihn loslassen. Zumindest für einige Zeit, so lange, bis ihm seine Fehler von allein klar werden. Natürlich ist es kein Geheimnis, dass Kakashi dich eigentlich liebt und du ihm alles bedeutest, aber … er ist der einzige, der das nicht verstehen will. Du klammerst dich so sehr an ihn, dass du dich selbst vergisst und völlig von deinen Zweifeln und Ängsten dirigiert wirst. Früher warst du willensstark und selbstbewusst, aber seit zwei Jahren, da …« Sie verstummte.
Ich senkte den Blick und riss mit einer freien Hand Grasbüschel aus dem Boden, die ich anschließend wieder wegwarf. »Ich würde ihn ja gerne loslassen, aber … es geht nicht, weißt du. Es geht einfach nicht, Kushina!« Unbewusst war meine Stimme lauter geworden und klang wütender, als eigentlich beabsichtigt. Verzweiflung schwang deutlich in meinen Worten mit.
»Das sagst du nur, weil du es nie wirklich versucht hast«, sagte Kushina völlig beherrscht, während der Blick ihrer blauen Augen mich fixierte. »Aber du suchst etwas, dass du nicht finden kannst, Akira. Der alte Kakashi ist weg. Oder zumindest wird er es noch so lange sein, bis der neue Kakashi endlich seine Fehler begreift und sie wiedergutmacht. Solange musst du ihn einfach in Ruhe lassen und dich auf das Hier und Jetzt konzentrieren! Dass du ihm so sehr nachhängst, ist nämlich deine Schwäche, Akira. Deine allergrößte.«
Ich seufzte leise und starrte auf meine Hände, als erwartete ich, darin irgendetwas zu finden.
»Ich weiß.«

Brennende Brücken, Teil II


Als die Sonne

bereits seit einer Weile aufgegangen war und alles in ein helles, warmes Licht tauchte, beschlossen Kushina und ich, nun auch Shin und Ren aufzuwecken und weiterzuziehen, um die Brücke heute noch rechtzeitig zu erreichen und letztendlich sprengen zu können.
Nachdem ich unser Gespräch über Kakashi und meine Sorgen mehr oder weniger für beendet erklärt hatte, nämlich, in dem ich Kushina keine Antworten mehr gab und nur in meinem Beutel stöberte, um zu gewährleisten, dass ich alles bereit hatte, hatten wir nur geschwiegen und waren still auf der Wiese gesessen, immer ein waches Auge auf den Bambushain vor uns habend. Feinde hatten sich nicht mehr gezeigt; weder die, die uns ein paar Stunden zuvor angegriffen hatten und geflohen waren, noch irgendeine Verstärkung. Entweder war dies die Ruhe vor dem Sturm oder wir hatten es wirklich geschafft, alle feindlichen Shinobi aus Iwagakure zu vertreiben und unsere Spur halbwegs gut zu verwischen. Vorerst.
Was mit der Leiche des Iwa-Nins passiert war, den Ren getötet hatte, wusste ich nicht; jedoch war ich mir sicher, dass Kushina ihn weggebracht und dann vermutlich vergraben oder gar verbrannt hatte. Allein bei dem Gedanken daran spürte ich, wie sich alles in mir schmerzhaft zusammenzuziehen schien. Der Yamanaka hatte diesen Mann ohne auch nur mit der Wimper zu zucken getötet … während ich völlig fassungslos dabei zugesehen hatte und es nie über mich gebracht hätte, das Leben eines anderen so plötzlich zu beenden.
Vielleicht war ich wirklich nicht zur Kunoichi geeignet. Und schon gar nicht zur Truppenführerin.
Ich seufzte. Es half ja sowieso nichts. Entweder, ich brachte mich und mein Team lebend wieder von dieser Mission zurück, indem ich unsere Feinde im Kampf tötete, oder … oder ich könnte gleich zu meinem Kunai greifen und meinem Leben hier und jetzt einen endgültigen Schlussstrich verpassen.
Ich bezweifelte, dass dies der richtige Weg war. Aber was genau das nun war, der richtige Weg, wusste ich nicht mehr. Früher dachte ich, ich hätte meinen persönlichen Shinobiweg bereits gefunden und würde ihm geflissentlich folgen – jetzt glaubte ich wohl eher, all die Jahre lang ziellos durch die Dunkelheit geirrt zu sein.
Es hatte sich einfach so viel in so kurzer Zeit geändert. Es half nichts, es zu verleugnen: Ich steckte mit dem Kopf noch immer irgendwo in der Vergangenheit und schaffte es nicht, nach vorne zu blicken. Irgendwie war ich immer noch das kleine Mädchen, das mit seinem besten Freund durch dick und dünn ging und völlig blind durch die Welt tapste, ohne einen Blick für die Wirklichkeit. Irgendwie war ich immer noch die naive Tochter einer Mutter, die bereits zu Asche verbrannt worden war und eigentlich vergessen sein sollte.
»Shin, wach auf«, murmelte ich, während ich den Inuzuka an den Schultern gepackt hielt und vorsichtig ein wenig schüttelte. »Shin!«
Der Braunhaarige kniff die Augen noch fester zu und murmelte irgendetwas Unverständliches, ehe er meine Hände weg stieß und sich zur Seite drehte.
»Nur noch ein bisschen schlafen …«
»Nein, das wirst du nicht, junger Mann!«, schaltete sich nun auch Kushina ein und zog Shin grob hoch. Ren war ebenfalls bereits wach; auch wenn er noch ein wenig verschlafen wirkte, war er schon dabei, seine Ausrüstung zusammenzusuchen und noch einmal zu kontrollieren, ob er alles bei sich hatte, was er für die Mission brauchen würde.
»Akira?«, fragte der Yamanaka mich schließlich, während die rothaarige Uzumaki gerade die ersten Erfolge erzielte, Shin zu wecken. »Kommst du noch mal kurz her? Dann kann ich deine Wunde noch einmal kurz behandeln, bevor wir losgehen.«
Ich nickte. »Ja, danke«, sagte ich und bemerkte erst jetzt wieder den leichten Schmerz, der in meinem linken Oberschenkel pulsierte. Auch beim Auftreten fiel mir auf, wie ich ein wenig hinkte; sollte es heute wirklich noch zum Kampf mit Feinden kommen wäre demnach eindeutig ich es, der die Rolle des Opfers übernahm. Wenn ich mich nicht schnell genug gegen feindliche Angriffe wehren würde können, wäre mein neu gewonnener Titel als Jonin nicht wirklich von Nutzen, so, wie alle scheinbar immer dachten, wenn sie so andächtig und bewundernd über die Oberschicht der Ninja sprachen.
Ich setzte mich auf meinen Schlafsack und winkelte mein linkes Bein an, damit Ren besser den Verband abwickeln konnte. Beim Anblick dessen, was darunter zum Vorschein kam, drehte sich mir der Magen um: Die Wunde blutete zwar nicht mehr, war aber stattdessen an den Rändern leicht angeschwollen und wirkte im Tageslicht noch größer und schlimmer als zuvor bei Dämmerung. Als der blonde Yamanaka dann auch noch mit seinen Fingern den Schnitt abtastete, um den Heilungsprozess abschätzen zu können, wurde mir fast schwarz vor Augen, als mich ein Schmerz durchzuckte, als würde mir gerade bei lebendigem Leibe das Bein abgehackt.
»Tschuldigung …«, murmelte Ren, völlig vertieft in seine Arbeit, als er bemerkt zu haben schien, dass er mir wehgetan hatte. Dann schloss er kurz die Augen und drückte seine Handflächen, die von einem angenehm kühlen, blassgrünen Chakra umgeben waren, auf die Wunde. Ich unterdrückte ein wohliges Seufzen, als der Schmerz zeitgleich mit Rens Berührung völlig verebbte und einem völlig entspanntem, angenehmen Gefühl Platz machte.
»Danke«, meinte ich schließlich, als der Yamanaka einen neuen Verband um meinen Oberschenkel wickelte und diesen mit einem kleinen Klebstreifen befestigte.
»Kein Problem«, gab er leicht lächelnd zurück, ehe er, die Miene eines sehr konzentrierten Iryonin, dem seine Arbeit voller Ernst ist, aufgesetzt, hinzufügte: »In dem Erste-Hilfe-Koffer, den ich dir geschenkt habe, ist eine kleine Schachtel mit Tabletten, du erkennst sie an der blauen Farbe. Nimm am besten gleich eine, die betäubt den Schmerz ein wenig. Damit das Laufen nicht so anstrengend wird.«
Ich nickte dankbar und rappelte mich möglichst vorsichtig auf, um mein Bein nicht allzu sehr zu belasten. Der Schmerz war zwar völlig weg, dennoch ging jetzt eine unangenehme Taubheit von der Wunde aus, die das Laufen beschwerlicher gestaltete, als ich es mir gewünscht hätte. Ich hoffte, die Tablette würde auch dieses Gefühl ein wenig abklingen lassen.
Den Medizinkoffer hatte ich zum Glück noch nicht in meinen Rucksack gepackt – sonst hätte ich nun wohl mein halbes Gepäck auspacken müssen, um ihn wieder zu finden. Ich ließ den Riegel der kleinen Box aufschnappen und suchte unter all dem Verbandszeug nach der blauen Schachtel mit den Tabletten. Ich fand sie schnell zwischen einer Packung Pflaster und Salbe und öffnete sie. Das Medikament war nur eine sehr kleine Pille mit gewöhnlicher, weißer Farbe; ich zog meine Wasserflasche aus meinem Rucksack und schluckte die Tablette mit ein wenig Wasser runter. Jetzt würde ich wohl so lange warten müssen, bis die Wirkung einsetzte.
»Bist du soweit, Akira?«, hörte ich auf einmal Kushinas Stimme hinter mir; sie stand, zusammen mit Shin und Ren, etwas abseits, den Rucksack bereits geschultert und zum Aufbruch bereit.
Ich nickte hastig. »Ja, einen Moment nur«, murmelte ich, während ich den Erste-Hilfe-Koffer noch schnell in meinem Rucksack verstaute und meinen Schlafsack aufrollte.
Als ich meine Tasche jedoch gerade hochnehmen wollte, kam Shin mir zuvor. »Nein, nein, das nehme ich«, sagte er bestimmt und umfasste mit einer Hand den Griff meines Rucksacks. »Du musst dich schonen.«
Ich schüttelte nur den Kopf, ein kleines Lächeln auf den Lippen. »Ist schon gut, Shin«, meinte ich. »Du musst deine Kräfte auch schonen. Wenn du jetzt mit zwei tonnenschweren Rucksäcken auf dem Rücken bis zu Kage no hashi marschierst, müssen Ren und ich dich sonst Huckepack zurücktragen, weil du auf der Stelle wie ein Klappmesser zusammenklappst.«
Der Inuzuka musterte mich missbilligend, ich sah den Trotz deutlich in seinen blauen Augen aufleuchten. »Papperlapapp! Ich nehme deinen Rucksack und gut ist. Du bist hier immerhin die Verletzte!«
Als ich ihm darauf etwas widersetzen wollte, fuhr Kushina dazwischen: »Ende der Diskussion! Ich nehme Akiras Rucksack, solange, bis wir uns trennen, und dann kannst du ihn meinetwegen tragen, Shin.« Sie wirkte völlig kalt und distanziert, ganz anders als die Kushina, die ich sonst kannte.
Aber eigentlich verstand ich ja, dass sie die Mission, die wir noch vor uns hatten, so sehr belastete, dass sie es einfach nicht schaffte, ein entspanntes und fröhliches Gesicht aufzusetzen.
Der Inuzuka murmelte irgendetwas vor sich hin, nickte dann allerdings. Ich selbst gab mich mit einem Seufzen geschlagen. »Also gut.«

Dank der Tablette, zu der Ren mir geraten hatte, fiel mir das Laufen nun viel leichter; die Schmerzen waren fast komplett verschwunden und zeigten sich nur dann, wenn ich den Fuß zu heftig aufsetzte und mein Gewicht zu sehr auf das verwundete Bein verlagerte. Das Gefühl von Taubheit klang ebenfalls ab, dennoch wusste ich, dass ich mich nur in diesem langsamen Marschtempo bewegen konnte, an den Einsatz Taijutsu während eines Kampfes war gar nicht zu denken.
»Ab hier werdet ihr wohl alleine reisen müssen«, sagte Kushina plötzlich und blieb stehen. »Wir sind jetzt etwa an der Stelle angelangt, von der aus ich in einem weiteren Radius bis zur Brücke laufen werde, um euch vor möglichen Feinden zu warnen und die Situation besser im Auge behalten zu können.«
Ich schluckte, nickte dann allerdings. Kushina schlang kurz ihre Arme um meinen Hals. »Du schaffst das, das weiß ich«, murmelte sie mir ins Ohr, ehe sie auch Shin und Ren umarmte.
»Viel Glück«, sagte die rothaarige Uzumaki noch, ehe sie in erstaunlicher Geschwindigkeit irgendwo in der Ferne verschwand, ohne dass wir sie so wirklich gehen hatten sehen.
Sie schafft das

, redete ich mir immer wieder ein. Und wir schaffen das auch. Zusammen. Wie Kushina schon gesagt hat: Wenn wir daran glauben, dann schaffen wir es. Und wenn nicht, dann …


»Gut, also«, riss Shin mich aus meinen Gedanken, die blauen Augen erwartungsvoll auf mich gerichtet, »was ist jetzt deine erste Amtshandlung als Teamführerin, Akira?«
Ich spürte, wie ich mich sichtlich verkrampfte. Stimmt, jetzt war er gekommen. Der Moment, in dem ich die Verantwortung übernehmen musste. Wenn ich nicht richtig entschied, könnte es sein, dass dies meinem Team das Leben kostete. Wenn ich nicht richtige Anweisungen gab, wenn Unklarheiten auftauchen würden …
Ich biss mir auf die Unterlippe und atmete ein paar Mal tief ein und aus, um mich zu beruhigen. »Ich schlage vor, dass … dass wir den Plan noch einmal genauestens durchgehen, damit alles glatt läuft«, sagte ich schließlich mit erstaunlich gefasster und ruhiger Stimme.
Ren und Shin nickten nur zustimmend.
»Also«, setzte ich an, während mein Blick nervös über die Landschaft um uns herum schweifte, als erwartete ich, einen Feind zu entdecken, »wenn wir bei der Brücke angekommen sind, das dürfte in ein oder zwei Stunden der Fall sein, werden wir uns sofort darum kümmern, den Sprengstoff – den hast du doch dabei, Shin?« - der Inuzuka bejahte und klopfte auf den schweren Beutel, den er an der Hüfte trug - »an den entsprechenden Stellen anzubringen. Du wirst uns die Anweisungen dazu geben, weil du am meisten Erfahrung damit hast, Shin. Sollten Feinde uns erwarten, werden wir kämpfen müssen – egal wie, aber selbst wenn wir in der Unterzahl sind, müssen wir es schaffen, die Brücke zu sprengen, bevor wir …« Ich verstummte und senkten den Blick.
»Sterben, ja, verstehe«, nuschelte Shin und vergrub seine eine Hand Halt suchend in dem langen schwarzen Fell seines Ninkens, dessen bernsteinfarbene Augen, denen er seinen Namen verdankte, wissend drein blickten.
»Wie dem auch sei«, sagte ich, um die bedrückende Stimmung ein wenig zu lockern. »Wir sprechen ja nur vom Ernstfall. Vielleicht wird es wohl am günstigsten sein, wenn du, Shin, dich so gut wie alleine darum kümmerst, den Sprengstoff anzubringen und alles vorzubereiten – dann können Ren und ich für Rückentdeckung sorgen und uns ganz darauf konzentrieren, ob irgendwelche Iwa-Nin im Anmarsch sind.«
Ren nickte zustimmend, auch der Inuzuka gab mit einem knappen Nicken sein Einverständnis. »Ist gut.«
»In Ordnung, dann …« - ich zögerte kurz - »Dann schaffen wir das auch, das weiß ich.«
Mein Versuch, die Beiden zu überzeugen, scheiterte kläglich; noch immer blickten Shin und Ren verunsichert drein und wirkten fast nervöser als ich selbst. Aber vermutlich war es sowieso besser, den Druck, so unangenehm er auch war, nicht von ihren Schultern zu nehmen; wenn sie zu sehr davon überzeugt wären, dass wir ohnehin alles schaffen würden, war es immerhin möglich, dass sie im Kampf leichtsinnig wurden – und das war etwas, das ich unbedingt verhindern musste. Als Truppenführerin.


»Dann mal los«, sagte Shin schließlich und das breite Grinsen auf seinem Gesicht passte ebenso wenig ins Bild und war eindeutig aufgesetzt wie das freudige Aufblitzen in seinen Augen. Aber vielleicht … vielleicht brauchte er genau das, um sich selbst Mut zu machen: Illusion. Nicht Gewissheit – einfach Illusion. Es war nur eine feine Linie, die diese beiden Gefühlseindrücke voneinander trennte – und doch war es fast wie eine gewaltige Schlucht, die sie voneinander trennte und sie zu völlig eigenen Individuen machte. Jedes völlig anders … und dennoch waren sie so gleich. Gewissermaßen zumindest.
Illusion also.
Vielleicht sollte ich das auch ausprobieren.

Den ganzen Weg über sprachen wir kein Wort mehr, sondern konzentrierten uns völlig auf jedes noch so kleinste Geräusch, das von dem leichten Wind, der über die weite Steppe, die wir nun durchquerten, zu uns hinüber getragen wurde.
Im Gegensatz zu Kakashis Team hatten wir einen klaren Vorteil: Während unser Weg über eine Landschaft führte, in der nur vereinzelt Bäume und Felsen aufragten, sodass es wenig Deckung für Feinde gab, mussten Kakashi, Obito und Rin durch einen dichten Bambushain wandern, um Kannabikyo zu erreichen. Dass ein feindlicher Shinobi hinter all den dicht an dicht stehenden Bambusstauden beinahe gänzlich mit seiner Umgebung verschmelzen konnte, war mir beinahe schmerzhaft klar … Obwohl ich eigentlich aufhören sollte, mir Sorgen um Kakashi zu machen. Er hatte mich in der Vergangenheit so viel verletzt und ich war mir sicher, dass meine Angst um ihn nicht auf Gegenseitigkeit basierte. Kushina hatte ja recht, ich musste mich auf das Hier und Jetzt und die Führung meines Teams konzentrieren – aber wie schwer sich das für mich darstellte, konnte sie sich vermutlich nicht einmal ansatzweise vorstellen.
»Wie weit denn noch?«, maulte Shin, der, unter dem Gewicht von seinem eigenen und meinem Rucksack, bereits in Schwitzen kam, nach einiger Zeit. »Wir laufen schon seit Ewigkeiten über diese Steppe, aber die blöde Brücke ist einfach nirgends! Sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?«
Ich nickte. »Ja, kein Zweifel. Man kann sich ja an der Sonne gut orientieren, von dem her bin ich mir sehr sicher, dass wir keine falsche Route eingeschlagen haben …«, antwortete ich. »Ich würde ja eine Pause machen, aber das geht jetzt einfach nicht mehr, weil wir keine Zeit haben. Gib mir einfach meinen Rucksack zurück, dann wird das besser, Shin.«
Der Inuzuka schüttelte heftig den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage!«
Ren seufzte. »Gut, dann nehme ich Akiras Tasche, in Ordnung?«
Shin zögerte kurz, als wöge er ab, ob er sich eine Blöße gab, indem er dem blonden Yamanaka nun meinen Rucksack übergab, nickte dann allerdings und überließ seinem Freund das Tragen meines Gepäcks.
Schweigend setzten wir unsere Reise fort. Kohaku bildete die Spitze unserer Formation, ich selbst lief flankiert von Shin und Ren hinter dem schwarzen Ninken. Mein Zeitgefühl hatte nach und nach nachgelassen, sodass ich nicht richtig einschätzen konnte, wie spät es war; natürlich konnte ich an der Stellung der Sonne erkennen, dass es bereits Nachmittag sein musste, aber genaueres konnte ich daraus nicht erfahren.
»Meinst du … sie beobachten uns gerade? Jetzt im Augenblick?«, fragte Ren auf einmal so leise, dass nur ich ihn verstehen konnte. Der Inuzuka reckte interessiert den Kopf, weil er wissen wollte, um was es ging.
Meine Hände, die in den Taschen meiner Jacke steckten, verkrampften sich und begannen, leicht zu zittern. »Ich weiß es nicht«, flüsterte ich wahrheitsgemäß. »Aber … aber ich hoffe es nicht.«
Der Yamanaka nickte nur, während er die Fragen von Seiten Shins, über was wir denn geredet hätten, geflissentlich mit einem schlichten »Nichts Wichtiges« quittierte.
Wobei in dieser Hinsicht wohl nicht von »Nichts Wichtiges« die Rede sein konnte. Zumindest nicht für mich. Zumindest für absolut … niemanden. Ein Krieg war sicher nicht »Nichts Wichtiges«, so ungern man sich das eingestand, war dieses sinnlose Blutvergießen von mir Bedeutung als es gut für uns alle wäre.
Nach einer weiteren Weile, die wir schweigend und jeder ganz vertieft in seine eigenen Gedanken verbracht hatten, kam endlich die Brücke vor uns in Sicht. Erst, als ich Kage no hashi von Nahem, und nicht als winziger, schwarzer Punkt auf der Landkarte verzeichnet, sah, wurde mir klar, was für eine immense Aufgabe uns aufgetragen worden war: Die Brücke war mindestens sechs oder sieben Fuß breit und führte über eine Schlucht, deren anderes Ende so weit von unserem Standpunkt aus entfernt schien, dass man es kaum noch richtig erkennen konnte. Zudem war Kage no hashi nicht etwa aus leicht zerstörbarem Holz gebaut worden, sondern aus massivem Stein. Ich hoffte, dass Shin genügend Sprengstoff dabei hatte, um unsere Mission erfolgreich und ohne Komplikationen abschließen zu können.
Zögernd trat ich an den Abgrund und sah nach unten. Wenn man von dort aus hinunter fallen würde, würde man den Sturz nicht überleben, so viel war mir klar; nicht nur, dass ein Fall aus dieser Höhe lebensgefährlich gewesen wäre, nein, am Ende wurde man zudem außerdem von spitzen Felsen erwartet, die aus den reißenden Strömen des Flusses, der dort unten als feines Rinnsal zwischen den riesigen Felsen floss, ragten.
Ich schauderte bei dem bloßen Gedanken daran.
»Hm … da werden wir jede Menge Sprengstoff brauchen …«, hörte ich Shin auf einmal hinter mir murmeln. Ich drehte mich in seine Richtung um und sah, wie der Inuzuka auf der Brücke auf und ab lief und scheinbar die Dicke und Beschaffenheit ihres Gesteins abzuschätzen schien. Kohaku folgte seinem Herrchen wie ein zweiter Schatten, wobei der Blick des Ninken allerdings immer wieder mit Schrecken in den bernsteinfarbenen Augen den gewaltigen Abgrund unter Kage no hashi betrachtete. Ich konnte nur zu gut nachvollziehen, was wohl im Kopf des Hundes vorgehen musste.
Ren folgte Shin schließlich und fuhr mit den Fingern über den kühlen Stein der Brücke, der zu beiden Seiten etwas höher war, um Passanten vor einem Sturz in ihren eigenen Tod zu retten, als wolle er gewährleisten, dass auch wirklich alles sicher war.
»Wirst du es schaffen?«, fragte der blonde Yamanaka Shin, wobei er allerdings an diesem vorbei sah, den Blick auf die meterhohen Felsen, die am anderen Ende der Brücke beinahe majestätisch vor uns aufragten, gerichtet, als erwartete er, jeden Moment von Feinden attackiert zu werden, die sich dahinter versteckten.
Der Inuzuka nickte. »Ja, das wird kein Problem«, meinte er und klopfte auf die Tasche an seiner Taille. »Der Sprengstoff, den ich dabei habe, würde die Brücke vermutlich sogar dann sprengen, wenn sie aus massivem Stahl wäre. Auf das Zeug kannst du dich verlassen.«
Ren nickte und sah sich dann nach mir fragend um. Zuerst verstand ich nicht, was für eine stumme Frage er mir stellen wollte – dann wurde mir klar, dass er auf meine Anweisung wartete. Immerhin war ich heute die Truppenführerin und mein Wort war Befehl, den es einzuhalten galt.
»Ähm, dann überlasse ich dir jetzt das Kommando, Shin«, sagte ich stockend und lief zu meinen beiden Teamkameraden. Dabei fiel mir auf, dass der Schmerz in meinem Bein wieder zugenommen hatte; dem Yamanaka schien das sofort aufzufallen, denn er lief schnell zu mir und gebot mir, mich hinzusetzen, damit er die Wunde noch einmal kurz behandeln konnte. Ich wehrte mich allerdings dagegen. »Dazu haben wir jetzt keine Zeit, Ren. Nicht, wenn wir diese Mission jetzt erfüllen müssen und wir jeden Moment von Iwa-Nin angegriffen werden können. Ich kann ja noch laufen … das wird schon.«
Ren wirkte nicht überzeugt, nickte allerdings. Ich war immerhin die, die das sagen hatte.
Obwohl ich auf diese Rolle gerne verzichtet hätte.
»Shin?«, fragte ich stattdessen in möglichst neutralem, ruhigen Tonfall, um meine aufkeimende Nervosität und Anspannung zu verstecken. »Brauchst du unsere Hilfe beim Anbringen des Sprengstoff oder kommst du alleine klar, damit Ren und ich an beiden Enden von Kage no hashi Wachposten beziehen können?«
Der Inuzuka runzelte kurz die Stirn und schien darüber nachzudenken. »Das geht, denke ich«, meinte er und tätschelte seinem Ninken kurz die Schulter. »Kohaku wird mir helfen. Wobei … wäre es vielleicht besser, wenn er bei euch bleibt, um sich auf die Gerüche zu konzentrieren und Feinde rechtzeitig zu wittern?«
Ich biss mir kurz auf die Unterlippe und dachte nach. Dann schüttelte ich den Kopf. »Nein, das ist in Ordnung. Ich rufe einfach Daichi – der Geruchssinn eines Wolfes und eines Hundes unterscheidet sich ja nicht großartig. Dann kann Kohaku dir besser helfen; ihr seid ja immerhin ein eingespieltes Team.«
Shin grinste. »Na, was erwartest du denn, Akira? Stimmt's, alter Junge?«, und kraulte seinen Hund kurz im Nacken.
Ich kramte währenddessen in der Tasche, die ich um die Hüfte trug, und zog das Kunai meiner Mutter heraus. Ohne zu zögern schnitt ich mir mit der scharfen Klinge in den Daumen meiner linken Hand und drückte die Wunde zusammen, bis ein wenig Blut daraus hervorquoll. Dann schloss ich die nötigen Fingerzeichen – Inu, I, Tori, Saru und Hitsuji – und presste anschließend meinen Finger auf den Boden.
»Kuchiyose no Jutsu

«, murmelte ich; im selben Moment erschien um meine Hand herum ein kleiner schwarzer Kreis, bestehend aus vielen Kanji, die zusammen eine Beschwörungsformel ergaben, der in fünf Linien nach außen verlief.
Einen Augenblick später erschien wie aus dem Nichts ein großer grauer Wolf direkt vor mir und musterte mich abwartend aus seinen blauen Augen.
»Akira«, murmelte er und ließ sich auf die Hinterpfoten sinken, wobei er mich nicht aus den Augen ließ. Selbst in dieser Sitzhaltung reichte er mir fast bis zur Hüfte, würde er sich auf die Hinterbeine stellen, wäre er vermutlich sogar ein wenig größer. »Was gibt’s?« Er klang nicht wirklich begeistert davon, von mir gerufen worden zu sein. Wie immer eigentlich.
»Daichi« - ich seufzte - »Du musst mir helfen, auch wenn du nicht wirklich Lust darauf hast. Dir dürfte wohl nicht entgangen sein, dass jetzt Krieg herrscht? Jedenfalls … wurde uns aufgetragen, diese Brücke hier restlos zu sprengen, damit die Feinde aus Iwagakure nicht weiter nach Kusa no Kuni, und somit das Feuerreich, vordringen können. Da Shin und sein Ninken allerdings mit dem Anbringen des Sprengstoffes beschäftigt sind, brauchen wir eben jemand anderen mit gutem Geruchssinn, der die Feinde rechtzeitig wittert und uns vorwarnen kann …«
Der graue Wolf schnaubte und rappelte sich wieder auf. Prüfend sah er durch die Gegend, warf Kohaku, der ein Bündel Dynamit gerade an einer von seinem Herrchen angegebenen Stelle platzierte, einen missbilligenden Blick zu. »Ich bin also mal wieder Zweitwahl.«
»Höre ich da einen Hauch Eifersucht, Daichi?«
»Klappe«, brummte er nur. »Sonst helfe ich dir nicht. Ich bin vielleicht mit diesem Vertrag an dich gebunden, aber das heißt nicht, dass ich mich zum sabbernden Schoßhund lassen machen muss.«
Ich seufzte und verdrehte die Augen, ehe ich Daichi kurz durch das dichte Fell strich. »Schon gut, du hast gewonnen.«
Der Wolf ließ ein zufriedenes Brummen verlauten und reckte dann den großen Kopf zum Himmel. »Der Wind kommt von Westen, weshalb es nichts bringt, sich daran zu orientieren … die Gerüche, die von der Schlucht aus zu uns rüber getragen werden, werden nicht viel vom Standort des Feindes preisgeben, zumal dieser auch nicht auf den Kopf gefallen sein wird … hm.« Nachdenklich trottete Daichi auf der Brücke auf und ab, die Augen konzentriert geschlossen. »Wird schwierig sein, feindliche Shinobi rechtzeitig zu wittern. Tut mir leid, Akira. Aber viel kann ich nicht tun, außer mich ebenfalls auf Geräusche zu konzentrieren. Die Gerüche wären nur schwach, wenn es sie wirklich geben sollte, und ich würde sie vermutlich zu spät erkennen, als dass ihr einen Vorteil daraus ziehen könntet …«
Ich nickte nur. »Trotzdem danke«, murmelte ich, ehe ich leise ergänzte: »Wenn es zum Kampf kommen sollte – und ich hoffe, nicht, obwohl es sehr wahrscheinlich ist –, werden wir jede Unterstützung gebrauche können, die wir bekommen …«
Der Wolf nickte nur. »Mit der Verletzung wirst du eh nicht wirklich eine große Hilfe sein«, bemerkte er mit einem Blick auf den Verband an meinem Oberschenkel, der sich an der Stelle, wo die Wunde war, bereits leicht rot gefärbt hatte. »Wie hast du das eigentlich geschafft?«
»Ich war gestern nicht aufmerksam genug, als Iwa-Nin uns angegriffen haben«, gab ich etwas zerknirscht zu. »Aber jetzt, sei still. Sonst werden wir noch auf der Stelle getötet, ohne das überhaupt mitzubekommen.«
Daichi schnaubte verächtlich. »Für wie dumm und unfähig hältst du uns Wölfe eigentlich, Akira?«

»So, noch ein paar Handgriffe und wir sind soweit«, durchbrach Shin schließlich zufrieden die Stille, die sich über die Brücke und deren Umgebung gesenkt hatte, seit wir uns, alle Nerven wie eine Bogensehne angespannt, auf unsere Wachposten begeben hatten. »Dann können wir die Zündschnur verlegen und diese Brücke in die Luft jagen.«
Ich lächelte leicht und lief das letzte Stück, wenn auch unter Schmerzen, die jeden Schritt zu einer kleinen Qual machte, zu Shin und tätschelte ihm den Arm. »Gut gemacht.«
Der Inuzuka grinste über beide Ohren, wodurch sich die für seinen Clan so typischen roten Sicheln an beiden Wangen nach oben zogen. Kohaku bellte, als wolle er widersprechen.
»Du natürlich auch, Kohaku«, ergänzte ich und kraulte den schwarzen Ninken kurz im Nacken.
»Also können wir die Brücke jetzt sofort sprengen?«, sagte Ren, der nun auch zu uns getreten war. Daichi erhob sich ebenfalls aus seiner Sitzhaltung, streckte sich kurz und gesellte sich zu uns.
»Nein, wir müssen erst noch die Zündschnur verlegen, sodass sie bis zum Ende der Brücke, das nach Kusa no Kuni führt, reicht und wir sie gefahrlos anzünden können … oder willst du, dass dir bei der Sprengung Arme und Beine weggerissen werden?« Als der Yamanaka nur nickte, seinen nervösen und verängstigten Blick allerdings nicht komplett verbergen konnte, ergänzte der Braunhaarige, um vom Thema abzulenken: »Dabei müsst ihr mir helfen. Dann geht es schneller und wir können das hier endlich hinter uns bringen. Daichi und Kohaku können ja zusammen Ausschau nach Feinden halten.« Der Inuzuka ignorierte das verächtliche Schnauben von Seiten Daichis, das daraufhin folgte, geflissentlich, sein Ninken allerdings fletschte die Zähne und knurrte leise.
»Gut, dann gib du uns die Anweisungen und wir helfen dir, so gut es geht«, sagte ich. »Ähm, ich muss nur noch schnell was erledigen …«
Shin und Ren hoben etwa zeitgleich eine Braue, nickten dann allerdings und machten sich sogleich ans Werk. Ich selbst lehnte mich, um mein verletztes Bein ein wenig zu entlasten, an das steinerne Geländer der Brücke und wühlt ein meinem Rucksack, den Shin hier abgestellt hatte, bis ich den kleinen Erste-Hilfe-Koffer gefunden hatte. Ich nahm die blaue Schachtel mit dem Tabletten heraus und zögerte anschließend kurz. Würde es sich negativ auf meine Gesundheit auswirken oder vor allem den Schmerzen in meinem Bein mehr entgegenwirken, wenn ich dieses Mal gleich zwei von den weißen Pillen nahm? Ich wollte Ren nicht fragen, da der Yamanaka gerade sowieso auf das Verlegen der Zündschnur konzentriert war und ich mich selbst nicht in einem allzu schlechten Licht dastehen lassen wollte. Eine Truppenführerin, die nicht wusste, wie viel Medikamente sie nehmen durfte und wie sie sich selbst zu versorgen hatte? Nein, das ging nicht.
Also nahm ich nach langem Hin und Her doch nur eine Tablette, zusammen mit einem Schluck Wasser, ein, ehe ich mich bei Shin erkundigte, wie ich helfen konnte.
»Lehn dich einfach zurück und konzentrier dich auf die Umgebung«, meinte der Inuzuka nur mit einem vielsagenden Blick auf mein bandagiertes Bein. »Ren und ich sind sowieso gleich fertig, da musst du dich nicht unnötig –«
»Ich bin kein kleines Kind, Shin!«, unterbrach ich ihn wütend. »Ich bin heute diejenige, die das Kommando hat, oder? Also hör auf, mich so in Schutz zu nehmen!«
Der Inuzuka seufzte und tätschelte mir kurz den Arm. »Ich weiß, aber du hast selbst gesagt, dass ich die Verantwortung über die Sache mit der Sprengung trage. Außerdem« - Shin schien kurz zu zögern - »sorge ich mich im Gegensatz zu Hatake eben um dich, verstehst du?«
Ich spürte den Stich, den mir seine letzten Worte versetzten, und senkte den Blick. »Was weißt du schon …«, murmelte ich.
»Was ich weiß? Also über die Sache mit Hatake und dir eine Menge«, gab Shin ruhig zurück, ehe er sich wieder von mir wegdrehte und überprüfte, ob jedes Bündel Dynamit richtig mit der Zündschnur verbunden war. »Obwohl mir nach all der Zeit, die ich dich jetzt schon kenne, eigentlich klar sein sollte, dass es nichts bringt, sich irgendwelche Hoffnungen zu machen. Selbst wenn er versuchen würde, dich umzubringen – du würdest Hatake immer noch lieben …«
Vielleicht hatte er wirklich recht. Dennoch schwieg ich und tat das Thema so ab. Es gab jetzt Wichtigeres zu tun. Diese Brücke musste vor Anbruch der Nacht gesprengt werden und wir mussten versuchen, lebend wieder aus der Sache herauszukommen. Dies hatte nun oberste Priorität. Das und nichts anderes.
Vorerst zumindest.

»So, dann wären wir so weit«, sagte Shin schließlich und klopfte sich zufrieden den Staub von den Händen.
Wir standen am einen Ende der Brücke, das nach Kusa no Kuni führte. Die Zündschnur reichte nun etwa einen Meter ins Festland, sodass wir sie gefahrlos entzünden und anschließend hinter ein paar Felsen in Deckung gehen konnten, um bei der Sprengung von Kage no hashi nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Alles verlief nach Plan.
Noch.
»Wenn der Krieg erst beendet ist, wird es die Leute aus dem Grasreich und Tsuchi no Kuni vermutlich lange Zeit kosten, Kage no hashi wiederherzustellen«, bemerkte Ren mit einem Blick auf die riesige aus Stein errichtete Brücke vor uns. »Irgendwie schlimm, wenn man sich ansieht, wie viel die Menschen zerstören, nur um … zu zerstören. Ja, nur deshalb.«
Ich nickte nur. »Ich versteh das auch nicht«, meinte ich nur und zuckte dann mit den Schultern, als wäre es nicht weiter von Belang. »Aber ändern wirst du daran auch nichts, solange es diese blöden Spannungen zwischen den Großmächten gibt und die Menschen … eben Menschen sind.«
Shin schnalzte nur mit der Zunge. »Das klingt so, als wolltet ihr selbst euch da nicht ausschließen.«
»Das tue ich auch nicht«, antwortete ich schlicht. »Im Grunde sind wir alle gleich.«
Der Inuzuka schüttelte nur den Kopf, während Ren nur einen unbestimmten Punkt in der Ferne fixierte.
»Wie auch immer. Lasst uns die Mission jetzt endlich abschließen und dann –« Doch Shin verstummte jäh.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Daichi und Kohaku, die am anderen Ende der Brücke gesessen hatten, um dort Wache zu halten, in einer gewaltigen Rauchwolke verschwanden, die schon bald eine Hälfte von Kage no hashi für sich einnahm. Kurz darauf hörte ich ein lautes Jaulen, gefolgt von etwas, das Geräusch, wenn Metall auf Metall schlug, nicht unähnlich war.
»Nein …«, murmelte ich, ehe ich mich aus der Sitzhaltung erhob und ohne weiter nachzudenken aus der Deckung, einem hohen Felsen, rannte, direkt in die graue Rauchschwade hinein. Der Schmerz in meinen Bein war wieder voll präsent, nachdem ich so schnell lief, doch ich nahm es nur am Rande wahr. Automatisch zog ich das Kunai meiner Mutter aus meiner Tasche und hielt es schützend vor mich.
»Akira!« Shins Stimme drang nur gedämpft zu mir hindurch. Der Nebel um mich herum war so dicht, dass ich nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen konnte, nicht ein einziges Geräusch ließ er richtig zu mir durchdringen. Ich wusste, dass ich diese Rauchwolke loswerden musste, wenn ich nicht aus dem Hinterhalt überwältigt werden wollte – der Kampf letzte Nacht hatte bewiesen, dass Iwa-Nin sich darauf verstanden, sich in dieser Tarnung anzunähern und ihren Gegner anzugreifen.
Also schloss ich die nötigen Fingerzeichen und konzentrierte nur wenig Chakra auf das Jutsu, mit dem ich den undurchdringlichen Nebel um mich herum loswerden wollte; jetzt, wo die Feinde mich noch nicht bemerkt zu haben schienen, war der perfekte Augenblick dafür. »Fūton: Daitoppa

*«, murmelte ich. Im selben Moment kam eine leichte Brise auf, die sich schon bald zu einem Wind entwickelte, der stark genug war, die so schwerfällig in der Luft hängenden Nebelschwaden mit sich zu reißen.
Es war eindeutig ein Fehler gewesen, den Rauch verschwinden zu lassen.
Jetzt, wo die grauen Schwaden weg waren, sah ich alles, was mir zuvor verdeckt geblieben war, deutlich: vor mir stand eine Reihe hoch gewachsener, muskulöser Ninja aus Iwagakure, deren Grinsen zu urteilen sie nur darauf gewartet hatten, dass ich in ihre Falle tappte.
Scheinbar hatten die feindlichen Shinobi von gestern, die entkommen hatten können, ihnen Bericht erstattet; denn offenbar hatten sie bereits geahnt, dass ich erneut zu einem Jutsu aus der Kategorie der Windfreisetzung greifen würde, und sich dieses Wissen nun zum Vorteil gemacht. Und allen Anscheins nach war am gestrigen Abend auch zu ihnen durchgesickert, dass wir vorhatten, die Brücke zu sprengen.
Ich verfluchte mich innerlich selbst für meine Naivität. Was war ich nur für eine erbärmliche Truppenführerin?
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Shin und Ren zu mir rannten und sich neben mir in Kampfposition begaben. Nun erkannte ich auch Kohaku; der Ninken wurde von einem Shinobi aus Iwagakure, der mir zunächst nicht aufgefallen war, auf den erdigen Boden gedrückt, ein Kunai an der Kehle. Daichi aber hatten die Feinde offenbar nicht entdeckt; der Wolf befand sich, das Fell dicht auf die Erde gedrückt, alle Muskeln angespannt, ein wenig abseits und schien nur auf den richtigen Augenblick zu warten, um seine spitzen Fangzähne im Hals des Iwa-Nin zu vergraben.
Ich biss die Zähne fest zusammen und umklammerte das Kunai in meiner Hand fester, um Ruhe zu bewahren. Es blieb jetzt keine Zeit mehr, einen Angriff vorauszuplanen – die Feinde waren in der Überzahl und sogar noch im Vorteil, wie es schien. Ich war verwundet, Kohaku im Inbegriff, getötet zu werden.
»Kohaku!«, schrie Shin, der erst jetzt seinen schwarzen Ninken bemerkt zu haben, und wollte sich sogleich Hals über Kopf in den Kampf stürzen, um seinem treuen Gefährten das Leben zu retten. Ich schaffte es gerade rechtzeitig, ihn zurück zu halten.
Auch wenn mir das Adrenalin durch den Körper schoss und ich jeden Muskel und jeden Nerv bis zum Zerreißen angespannt hatte, schaffte ich es, den ruhigen Tonfall einer Anführerin zu bewahren: »Nicht, Shin. Darum … wird sich Daichi kümmern, vertrau mir.«
Der Inuzuka biss die Zähne fest aufeinander und starrte die Feinde eisern aus seinen blauen Augen an; Ren neben mir schien nicht weniger angespannt. In einer Hand hielt er einige Senbon, in der anderen ein Kunai, jederzeit bereit, diese gegen die Shinobi aus Iwagakure einzusetzen.
Erst das raue, kehlige Lachen eines Iwa-Nin, der aus der Reihe hervorgetreten war und uns mit unübersehbarem Schalk in seinen hellen Augen betrachtete, zerriss die erdrückende Stille, die sich nun über die gesamte Brücke gelegt hatte. »Ach, wie süß! Ein paar Kinder, die uns mit ihren kleinen Messerchen bedrohen!«, höhnte er mit kratziger, tiefer Stimme. »Jetzt hab ich aber Angst.«
Einer seiner Kumpanen spuckte auf den Boden, während er spöttisch den Sprengstoff, den wir überall angebracht hatten, musterte. »Nicht perfekt, aber ganz nett«, bemerkte er kühl. »Mich wundert allerdings, wie diese drei Zwerge Chikos Truppe besiegen konnten …«
»Sie haben Ryo auf dem Gewissen!«, setzte ein anderer hinzu, Wut und Abscheu schwangen deutlich in seiner eher leisen und etwas klareren Stimme mit; als ich ihn näher betrachtete, erkannte ich, dass er vermutlich nicht viel älter sein musste als ich selbst. »Biester!«
Ren, Shin und ich antworteten nicht und starrten die Iwa-Nin nur an, gefasst darauf, dass sie uns jeden Moment angreifen könnten.
Dies ließ nicht lange auf sich warten.
Denn im nächsten Moment geschahen zwei Dinge auf einmal: Während der feindliche Shinobi, der Kohaku noch immer fest auf den Boden drückte, dem Ninken mit einem triumphierenden »So, mein liebes Hündchen, viel Spaß noch im Jenseits« mit seinem Kunai die Kehle durchschneiden wollte, sprang plötzlich Daichi aus seiner Deckung und versenkte mit einem lauten, bedrohlichen Knurren seine spitzen Fangzähne im Arm des Ninja, der sofort völlig erschrocken von Kohaku abließ und verzweifelt versuchte, sich gegen den riesigen grauen Wolf zu wehren. Im selben Augenblick stürzten sich die anderen Iwa-Nin gleichzeitig auf mich und mein Team und versuchten, unsere Formation durch ihren frontalen Angriff mit einem Hagel aus Shuriken und Kunai zu durchbrechen.
»Fūton: Daitoppa

!«, schrie ich erneut, wobei ich so schnell ich konnte die nötigen Fingerzeichen schloss und dieses Mal mehr Chakra auf mein Ninjutsu konzentrierte. Der gewaltige Wind, der nun aufkam, wehrte die Waffen der feindlichen Shinobi ab und richtete diese gegen sie; gleichzeitig mussten die Ninja aus Iwagakure all ihr Chakra in ihren Fußsohlen sammeln, um nicht von der orkanartigen Böe, die ich heraufbeschworen hatte, von der Brücke gefegt zu werden. Der jüngste von ihnen, der, der uns wegen des Mords an seinem Kameraden angeschrien hatte, wurde von einigen Shuriken in Arm und Beine getroffen und konnte sich nicht länger auf den Füßen halten. Stattdessen krachte er mit einem lauten Schrei gegen einen der gegenüberliegenden Felsen, die am anderen Ende der Brücke, das nach Tsuchi no Kuni führte, und blieb schließlich bewusstlos liegen. Blut verklebte sein helles Haar, sein rechtes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel nach außen weg.
Ich schluckte und umklammerte das Kunai in meiner Hand noch fester. Mir war schlecht, kleine Lichtpunkte tanzten vor meinem inneren Auge und mein Bein schmerzte mehr denn je. Dennoch galt mein Blick nur dem Körper des jungen Ninja, der sich nicht mehr bewegte –
– und das war ein fataler Fehler.
In diesem Moment der Unachtsamkeit stürzte ein hoch gewachsener, muskelbepackter Shinobi aus Iwagakure auf mich zu, während er bereits während des Rennens einige Fingerzeichen schloss.
»Doton: Domu

**!«, schrie er. Wie im Zeitraffer konnte ich beobachten, wie sein rechter Arm sich dunkler verfärbte und optisch so aussah, als wäre er aus hartem Stein geformt. Zwar wurde der feindliche Shinobi durch die Anwendung dieses Jutsus erheblich langsamer, dennoch schaffte ich es nicht, ihm rechtzeitig auszuweichen, da in diesem Moment mein verwundetes Bein unter mir nachgab und ich Mühe hatte, mich überhaupt auf den Füßen zu halten; stattdessen packte mich der Ninja grob um den Hals und hielt mich hoch, als wöge ich nicht mehr als eine Feder.
»Mit deinen Fūton-Techniken kommst du bei mir nicht weiter, Schätzchen«, murmelte er, ein ekelhaftes Grinsen lag auf seinen Lippen. »Was soll ich jetzt mit dir machen? Dir so lange die Luft abdrücken, bis du wünschtest, deine dämlichen Ninjutsu würden dir noch helfen, oder dich einfach von dieser Brücke werfen?« Schließlich fügte er kopfschüttelnd hinzu: »Solche kleinen Würmchen schicken sie in den Krieg, weil sie kein Kanonenfutter mehr haben … traurig. Wirklich traurig.«
Verzweifelt trat ich um mich, während ich merkte, wie alles vor meinen Augen verschwamm und die Luft in meiner Lunge knapper wurde. Der Iwa-Nin lachte nur und drückte fast provokativ noch fester zu.
»Akira!«, hörte ich auf einmal Ren schreien, der in diesem Moment einen feindlichen Shinobi mit seinen Senbon erwischte; der Iwa-Nin ging daraufhin mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie, rappelte sich allerdings rasch wieder auf, als die barsche Stimme eines seiner Kumpanen ihn beschimpfte.
Doch der Yamanaka war schneller als sein Gegner. Während er konzentriert einige Fingerzeichen schloss, stürmte er auf den Shinobi aus Iwagakure, der mir nach wie vor die Kehle zudrückte, zu, einen für sein sonst so ruhiges Verhalten viel zu wilden und aggressiven Blick in den hellblauen Augen. »Shinranshin no Jutsu

***«, murmelte er.
Obwohl ich kaum noch bei Bewusstsein war, konnte ich nicht anders, als die Augen weit aufzureißen. Ich wusste, dass dieses Jutsu eine der Techniken war, die vom Yamanaka-Clan von Generation zu Generation mündlich überliefert wurden, neu war mir allerdings, dass Ren eine so komplizierte Technik zu beherrschen schien.
Doch als das Ninjutsu die gewünschte Wirkung tat und die Hand meines Gegners heftig zu zittern begann, während dieser in die Ferne starrte und etwas, das wie »Das kann nicht sein …«, murmelte, wurde mir klar, dass ich Ren bislang sehr unterschätzt hatte und er ein stärkerer Shinobi war, als ich es ihm zuvor noch zugetraut hatte.
Wie hatten sie in diesem Fall nur mich zum Jonin und somit zur Truppenführerin ernennen können?
Der Iwa-Nin, der mich noch immer mit seiner steinernen Faust umklammert hielt, schien verbissen zu versuchen, sich aus der Technik des Yamanakas zu befreien; er hatte die Augen fest zugekniffen und schrie nun sogar um die Hilfe seiner Kameraden, die seine Rufe allerdings nicht zu hören schienen. Der Shinobi bemerkte nicht, wie sich der Griff um meine Kehle lockerte –
– und ehe ich's mir versah, landete ich schwer atmend auf der steinernen Brücke und fasste mir automatisch an den Hals, als erwartete ich, die steinerne Hand meines Feindes dort noch immer zu spüren.
Im selben Moment allerdings schien Ren seine Technik nicht länger halten zu können und der Ninja aus Iwagakure schien die Kontrolle über seinen Körper wiederzuerlangen; seine Augen funkelten bösartig auf, während er mit seiner Faust weit ausholte, um den blonden Yamanaka, der sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnte, von der Brücke zu stoßen.
»Nein … nicht«, murmelte ich, während ich mich so schnell aufrappelte, wie ich konnte. Die Schnittwunde in meinem Bein, die offenbar wieder aufgeplatzt war, pochte schmerzhaft und hielt mich kaum bei Bewusstsein. Dennoch schaffte ich es mit letzter Kraft intuitiv, ein paar Fingerzeichen zu schließen. »Sandā Saberu

***«, murmelte ich, im nächsten Moment stoben einige helle Blitze aus meiner Handfläche. Sie waren nicht so groß und mächtig wie sonst, wenn ich diese Technik durchführte – das allein bewies, wie wenig Chakra ich noch übrig hatte. Dennoch würde es reichen, um den steinernen Panzer des Iwa-Nin zu durchbrechen und ihn schwer zu verwunden.
Wenn ich schnell genug war.
Gerade, als die Faust meines Gegners den Yamanaka hätte treffen sollen, wurde dieser unsanft von einem großen grauen Wolf, Daichi, beiseite gestoßen, im selben Moment traf meine von blitzendem Donner umgebene Hand den Shinobi aus Iwagakure grob in die Brust. Ich glaubte, ein lautes Knacken zu hören, als mein Ninjutsu die scheinbar undurchdringliche Rüstung, die der Iwa-Nin geschaffen hatte, durchbrach.
Mein Gegner riss die Augen weit auf und schrie auf vor Schmerz. Im nächsten Moment sackte er zuckend zu Boden, während die Blitze, die sich in meiner Handfläche gesammelt hatten, im selben Augenblick verschwanden. Er war nicht tot. Aber kampfunfähig und in Lebensgefahr, wenn er nicht sofort medizinisch versorgt wurde.
»Es sind zu viele!«, hörte ich Daichi unmittelbar neben mir knurren. Sein graues Fell war an einigen Stellen von dunklem Blut verklebt, an der Flanke hatte er eine tiefe Schnittwunde.
Während noch immer bunte Lichtpunkte vor meinem inneren Auge tanzten, erkannte ich verschwommen, wie Shin verzweifelt versuchte, sich, zusammen mit Kohaku, der knurrend neben ihm kauerte, gegen drei Feinde gleichzeitig zu wehren. Er stand am anderen Ende der Brücke, das nach Kusa no Kuni führte, die Zündschnur, die Kage no hashi restlos sprengen würde, unmittelbar neben ihm.
Ohne zu zögern schnappte ich mir unter Schmerzen das Kunai meiner Mutter und rannte so schnell, wie meine Verletzung es zuließ, zu dem Inuzuka, um ihn zu helfen. Ren neben mir rappelte sich ebenfalls auf, während Daichi bereits voraus sprintete und den nächsten Iwa-Nin, der ihm nah genug war, sofort die Reißzähne in die Beine schlug. Mein Kopf tat mir höllisch weh und auch der hohe Verlust an Chakra machte sich bereits stark bemerkbar – ich wusste, dass ich, sollte ich noch ein Nin- oder Genjutsu einsetzen, sterben würde, weil mein Körper auf die Energie, die ich dabei schmiedete, dennoch zu einem gewissen Maß angewiesen war. An Taijutsu war allerdings auch nicht zu denken, da mein Fuß mich viel zu sehr behinderte.
Wir saßen eindeutig in der Falle. Es war aussichtslos.
Dennoch bis ich die Zähne zusammen und zog einige Shuriken aus meinem Beutel, die ich zielsicher auf einen hochgewachsenen Shinobi aus Iwagakure schleuderte, der gerade mit der Faust nach Shin ausholte. Die kleinen Wurfsterne trafen ihn zwar nicht, zwangen ihn aber, auszuweichen. Der Inuzuka nutze diesen Moment, um seinen Gegner von den Füßen zu reißen. Im nächsten Moment steckten einige Senbon im Hals des Ninja, die Ren geworfen hatte; der blonde Yamanaka hatte die Brücke bereits hinter sich gelassen und rang nun mit einem weiteren feindlichen Shinobi, der ihn mit mächtigen Doton-Jutsu zu besiegen versuchte.
»Es sind zu viele!«, rief ich, als ich schließlich keuchend neben Shin zum Stehen kam und ungeschickt den Angriffen eines weiteren Feindes auswich, der mit seinem Kurzschwert auf mich einhieb.
Der Inuzuka nickte nur, die Zähne fest aufeinander gebissen.
Doch dann streifte sein Blick die Zündschnur und seine blauen Augen erhielten einen Ausdruck wilder Entschlossenheit. »Kohaku, bring mir die Zündschnur! Sofort!«, befahl er, während es ihm gelang, sein Kunai in den Arm seines Gegenüber zu bohren, das daraufhin für einige wenige Augenblicke gelähmt war.
»Akira, geh weg hier! Verlass die Brücke!«, schrie der Inuzuka schließlich, nachdem er sich, dem brutalen Faustschlag eines Iwa-Nin ausweichend, abgerollt hatte, um die Zündschnur, die sein Ninken zu ihm gebracht hatte, besser zu erreichen. Als er mein Zögern sah, meine wilde Entschlossenheit, bei ihm zu bleiben, erhielt sein Blick etwas Flehendes. »Bitte!

Ich komme klar, versprochen!«
Ich schluckte. Zögerte erneut. Nickte dann.
So schnell es meine Beine zuließen, rannte ich von der Brücke, wobei ich über die Schulter hinweg noch einmal einen Hagel Shuriken auf die Feinde – mindestens noch ein Dutzend; ich war mir sicher, dass sie in der Zwischenzeit sogar mehr geworden waren –, der ihr Ziel allerdings verfehlte und die Schlucht unter der Brücke hinab fielen.
Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie Shin die Zündschnur in die Hände nahm, ein Fingerzeichen schloss – und sie entzündete.
Im nächsten Moment ging alles ganz schnell.
Während ich mich mit letzter Kraft auf die Wiese fallen ließ, die am Ende der Brücke ins Grasreich führte, kam Kohaku plötzlich direkt neben mir zum Stehen und starrte aus seinen bernsteinfarbenen Augen den Iwa-Nin an, der direkt auf mich zu rannte und die Schwäche, die ich nun zeigte, nutzen wollte, um mein Leben endgültig zu beenden.
Doch er schaffte es nicht.
Kurz bevor der Ninja die letzten Meter zum Ende von Kage no hashi gelaufen war, gab es einen so lauten Knall, dass ich dachte, mein Trommelfell würde zerplatzen. Nur mühsam konnte ich die Augen einen Spalt breit öffnen und bei Bewusstsein bleiben – und musste mit ansehen, wie die ganze Brücke auseinanderbrach und, völlig umhüllt von einer schwarzen Rauchwolke, in die tiefen des Abgrunds unter ihr stürzte.
Ich hörte lautes Schreien, sah, wie die Iwa-Nin, die sich nicht mehr hatten retten können, in die Schlucht fielen und verzweifelt versuchten, irgendeinen rettenden Halt zu finden und –
»SHIN!«
Wie in Zeitlupe sah ich, wie Ren auf den letzten Teil, der noch von der Brücke übrig war, zu rannte und erkannte im selben Moment die beiden Hände, die sich verzweifelt an das letzte Stück des Steins klammerten.
Shin ist nicht tot. Er lebt! Shin lebt!


Dieser Gedanke hallte fast schmerzhaft in meinem Kopf wieder, während ich mich wie von selbst aufrichtete und selbst, wenn auch wackligen Beinen, loslief, in die Richtung, in die Ren gegangen war. Ich sah, wie der blonde Yamanaka die Hand seines Freundes ergriff und ihn hochzog. Ein so berauschendes Gefühl von Erleichterung durchzog mich, dass ich fast zu spüren glaubte, wie meine Kraft wieder in meine Glieder zurückkehrte und die Schnittwunde in meinem Oberschenkel zu heilen begann –
– doch als ich sah, wie Ren den bewegungsunfähigen Körper Shins unter Aufwand all seiner verbliebenen Kraft hochhob und anschließend vorsichtig auf dem Gras bettete, wich all die Erleichterung von mir, was blieb, war Entsetzen. Qual. Folter.
Schmerz.
»SHIN!«, schrie ich und kniete mich neben ihm nieder. Der Schmerz in meinem Bein war wieder voll präsent, dennoch kein Vergleich zu dem, der sich wie ein Kunai tief in mein Herz gebohrt hatte.
Noch immer entsetzt betrachtete ich den völlig verstümmelten Körper des Inuzukas. Sein linkes Bein war bei der Sprengung komplett weggerissen worden, sein anderes stand in einem unnatürlichen Winkel ab und triefte nur so vor Blut. Die Arme und der komplette Brustkorb Shins waren ebenfalls völlig zerstört worden bei der Explosion; rotes Blut tränkte seine Haut, seine Kleider waren zerrissen und offenbarten grausame Brandwunden. Das Gesicht des Inuzukas war ebenfalls völlig aufgerissen und blutbefleckt; seine Haare waren größtenteils abgebrannt und die, die ihm noch geblieben waren, klebten in einer Mischung aus Blut und Ruß an seiner Stirn.
Dennoch öffnete er mit allerletzter Kraft seine Augen und musterte abwechselnd mich, Ren, Kohaku und Daichi.
Und er lächelte.
»So … endet es also …«, murmelte er. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Kurz darauf wurde er von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt, bei dem sein so furchtbar zugerichteter Körper heftig bebte.
»Ren! Du musst etwas tun! Sofort!«, schrie ich völlig außer mir und sah den Yamanaka flehend an. Er regte sich nicht. Kummer trübte seine hellblauen Augen. Er tat immer noch nichts. »REN! HILF IHM, VERDAMMT!«
»Akira, ich kann nichts mehr für ihn tun …«, flüsterte Ren leise und legte mir eine Hand auf den Rücken. Ich schlug sie beiseite, beugte mich über Shin, sah ihn flehend an.
»Nein, du darfst nicht … Shin …« Meine Stimme brach. Leises Schluchzen drang aus meiner brennenden Kehle, während heiße Tränen aus meinen Augenwinkeln liefen und auf das Gesicht des Inuzukas tropfen.
Er lächelte immer noch.
»Akira … nicht«, murmelte er leise und hob unter Schmerzen seine Arm, ließ ihn aber sofort wieder sinken. Shin keuchte vor Schmerz und kniff die Augen zusammen. »Du musst … weiterleben, hörst du? Du sollst leben und glücklich sein und … und mich nie vergessen. Du sollst fröhlich sein, wenn du dich an unsere gemeinsame Zeit erinnerst und … dich daran erinnern, dass … dass ich aus … Liebe zu dir gestorben bin …«
»Shin, bitte, du darfst nicht gehen!«, schluchzte ich, nahm seine blutverschmierte Hand in meine, drückte. »Bitte, bleib hier!«
Der Inuzuka schien mich nicht zu hören. Stattdessen neigte er den Kopf langsam in Richtung seines Hundes, der sich leise winselnd im Gras niedergelassen hatte, und sein Herrchen mit vor Kummer getrübten bernsteinfarbenen Augen betrachtete. »Kohaku … alter Junge. Du warst … ein toller Freund, weißt du«, setzte Shin stockend an, wurde allerdings erneut von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt, der ihn unterbrach. Blut lief aus seinen Mundwinkeln, während sein Brustkorb sich immer schwächer hob und senkte. »Aber du musst … jetzt auf Akira aufpassen, ja? Versprich mir das …«
Erneut winselte sein Ninken leise und drückte seine Schnauze vorsichtig gegen die Stirn seines Herrchens.
Shin lächelte immer noch, als er sich an Ren wandte, der sich verstohlen über die Augenwinkel wischte und mehrmals blinzelte. »Und Ren … weißt du, ich hätte mir … keinen besseren Freund wünschen können. Bitte … bleib einfach du selbst und … erinnere dich manchmal an … uns. Versprichst du mir … das?«
»Ich verspreche es, Shin«, sagte der blonde Yamanaka leise, während auch er nun die Tränen nicht mehr zurückdrängen konnte. Leises Schluchzen drang nun auch aus seiner Kehle.
»Shin, bleib hier!«, schrie ich erneut. Tränen verklärten meine Sicht und der Schmerz in meiner Brust wurde mit jedem Mal größer. Jeder Atemzug schmerzte und jeder Schlag meines Herzens, der so lebendig war, vergrößerte meine innere Qual und den Hass auf mich selbst.
Deine Schuld! Deine Schuld! Das ist alles DEINE Schuld!
Ein letztes Lächeln zeichnete sich auf dem entstellten Gesicht Shins ab.
»Vielleicht … sehen wir uns ja … irgendwann wieder …«, murmelte er leise, hustete erneut heftig, während noch mehr Blut aus seinen Wunden sickerte und das frische Grün des Gras mit der Farbe des Todes tränkte.
Ein letztes Mal öffnete Shin die Augen. Seine wunderschönen blauen Augen. Sah mich an. Schloss die Augen wieder.
Das Lächeln starb auf seinen Zügen.
Und ein Teil von mir mit ihm.

Kalte Asche


Kapitel 5


» » Kalte Asche « «



Shin ist tot. Deine Mutter ist tot. Obito ist tot. Du lebst.
Fällt dir der Fehler auf? Siehst du ihn mit eigenen Augen? Spürst du ihn auf der Haut? Schmeckst du ihn auf der Zunge?
Du bist am Leben, atmest, dein Herz schlägt – sie hat der Tod mit sich gerissen, sie atmen nicht, ihr Herz steht still und das Blut in ihren Adern ist gefroren. Warum? Warum nicht du? Warum warst du es nicht, die dort lag, in ihrem eigenen Blut –


Ein abgerissenes Bein, der Geruch von kalter Asche und verbranntem Haar, starre, glasige Augen. Heiße Tränen, schlagendes Herz. Lebendiger Schmerz, tote Hoffnung. Überall. In jedem Winkel, versteckt im Schatten der Bäume. Das Flüstern des Todes im Wind. Das Klagen des Leidenden im leisen Rascheln der Blätter.
– sterbend, an der Schwelle zum Tod stehend? Warum warst du es nicht, die ihr Leben für ihre Kameraden geopfert hat, du, als Truppenführerin? Warum er? Warum hast du es zugelassen, geschehen lassen? Du bist Schuld –


Ein hölzerner Sarg, leer und nichts als Schein. Weinende Menschen, in Schwarz gekleidet. Vorwurfsvolle Blicke, verzweifeltes Schreien. Illusion, begraben unter einer dicken Schicht von Dreck. Lügen in Form von bunten Blumen, gestreut über das Grab. Noch mehr weinende Menschen, in Schwarz gekleidet. Noch mehr vorwurfsvolle Blicke, noch mehr verzweifeltes Schreien.
– du allein trägst die Verantwortung. Sie alle werden dich hassen, dich, die Mörderin. Die dreckige Lügnerin. Die, die nicht gestorben ist. Die, die lebt, während er tot ist. Seine Familie wird dich mit Verachtung strafen, das Leben wird dich verleumden, der Schmerz wird dein neuer Begleiter sein. Du bist Nichts, du –


Ich biss die Zähne fest aufeinander, als ich spürte, wie meine Unterlippe zu beben begann. Meine Augen brannten und ich hatte große Mühe, ein lautes Schluchzen zu unterdrücken. Meine Hand schloss sich fester um den kleinen Dolch, den ich die ganze Zeit über gehalten hatte, die scharfe Klinge schnitt in meine Haut, und ich sah hellrotes Blut an der Schneide hinab laufen. Rot. So rot wie der Tod, der Shin das Leben gewaltsam entrissen hatte.
»Du musst weiterleben, hörst du? Du sollst leben und glücklich sein und mich nie vergessen. Du sollst fröhlich sein, wenn du dich an unsere gemeinsame Zeit erinnerst und dich daran erinnern, dass ich aus Liebe zu dir gestorben bin.«


Drei Sätze. Drei harmlose Sätze, drei harmlose Lügen. Schmerz hinter jedem Wort, brennend und grausam, wie eine Klinge, die sich direkt in mein Herz bohrte. Liebe, die ich nicht verdient hatte. Ein Wunsch, den ich unmöglich erfüllen konnte.
Das Leben geht nicht mehr weiter. Nur die Leute tun es. Sie gehen weiter, nur sie, nicht das Leben, möglichst schnell. Wollen Vergessen schaffen, einen Alltag finden, hast du das vergessen? So ist die Realität, Akira.


Das Leben stand für mich still. Genau wie Shins Herz.
Hättest du früher auch so schnell aufgegeben?
Nein, hätte ich nicht. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Und ich mich mit ihnen.
»… endlich … wach … tut mir furchtbar leid … nicht früher kommen konnte … aber … habe mit Hiraishin no Jutsu

… «
»… ist in Ordnung … ich … ich hätte es kommen sehen müssen … du hättest nicht … «
»… Rin geht es gut … war vorhin schon wach … Obito ist … es tut mir leid …«
Wie durch einen dichten Nebelschleier drangen vereinzelte Satzfetzen an mein Ohr. Ich hörte sie zwar, doch sie ergaben keinen Sinn. Ich schenkte ihnen keine Beachtung, sie waren nicht wichtig. Es war egal, dass Kakashi wieder zu Bewusstsein gekommen war. Egal, dass er beinahe gestorben wäre. Egal, dass Obito tatsächlich gestorben war. Egal, dass Kakashi einen Verband um sein linkes Auge trug, der das Geschenk, das der Uchiha ihm im Moment seines letzten Atemzuges gemacht hatte, verbarg. Egal, dass er mich die ganze Zeit über ansah. Egal, dass das Grau seiner Augen einem wolkenverhangenen Himmel nach einem Sturm glich, unendlich traurig, reumütig. Schuldbewusst.
Alles war egal.
»Akira?«
Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich auf einmal Ren bemerkte, der direkt neben mir stand und auf meine Reaktion wartete. Seine hellen Augen musterten mich besorgt, dunkle Schatten lagen darunter und zeugten davon, dass die Trauer um Shin ihm letzte Nacht ebenfalls den Schlaf geraubt hatte. Der blonde Yamanaka wirkte beinahe gebrechlich, als er langsam vor mir in die Hocke ging, seine sonst so ruhige und gefasste Fassade bröckelte und brachte dahinter zum Vorschein, was der Krieg in seinem Herzen zurückgelassen hatte: Zerstörung. Zerstörung und Zerrissenheit. Angst.
»Darf ich mir noch einmal deine Wunde ansehen?«, fragte er leise und wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern begann bereits, den Verband von meinem Oberschenkel zu wickeln.
Während Ren vorsichtig meine Wunde behandelte, versorgte er auch die zahllosen Verbrennungen, die ich mir am gestrigen Tag zugezogen hatte.
Gestern.

Ich schluckte. Schluckte den bitteren Geschmack in meinem Mund hinunter, als glaubte ich, es könnte etwas ändern an der Realität. Als würde der Schmerz dann vergehen und Shin fröhlich lachend auf mich zu rennen und mich in die Arme schließen.
Gestern. Nicht mehr heute, Akira.


Ich bemerkte, wie Daichi mich aus einiger Ferne beobachtete. In den klugen Augen des Wolfes lag etwas, das ich als Mitgefühl interpretierte, vielleicht auch Verständnis. Aber was verstand er schon von dem, was ich gerade fühlte? Er verstand nichts, überhaupt nichts. Beobachtete nur. War ein Zuschauer in einem Theaterstück, einer Tragödie womöglich sogar.
Doch Kohaku verstand.
Der Ninken lag zusammengerollt neben Daichi, die Schnauze presste er fest an ein verkohltes Stück Stoff, in dessen Mitte sich eine Metallplatte mit dem Zeichen Konohas befand. Shins Stirnband.
Shin.
Shin, der tot war. Shin, den Kushina zu Asche verbrannt hatte, nachdem sie uns aufgefunden hatte, unter Tränen, verzweifelt. Shin, der mich geliebt hatte. Shin, der nicht mehr hier war.
Wie konnte Kushina ihn einfach so verbrennen, war er ihr denn so egal? Er, ihr Schüler? Acht Jahre lang hat sie uns tagein, tagaus trainiert, und das war alles? Mehr nicht?


Ich glaubte es nicht. Konnte es einfach nicht glauben. War es wirklich so, dass alle Shinobi keine Gefühle zeigen durften? Dass sie die Regeln einhalten mussten, strikt und ohne darüber nachzudenken, dass sie töten mussten, nur um des Tötens willen?
Ich hatte also doch recht gehabt: Ich hatte meinen eigenen Shinobiweg noch nicht gefunden. Denn wie hätte ich auch etwas finden sollen, dass gar nicht existierte und nichts als Schein war?
Ich gehörte nicht hierhin, ebenso wenig wie das Stirnband, in dessen Metallplatte das Zeichen Konohas eingraviert war, zu mir gehörte. Ich war Akira. Nur Akira. Keine Kunoichi, schon gar keine Heldin.
Und Nur-Akira war gebrochen. Hoffnungslos gebrochen, völlig zerrissen. Ganz einfach. Einfach auf brutale Weise.
Hatte Sakumo Hatake sich damals ebenso gefühlt, ehe er sich eigenhändig das Leben nahm?
»Danke, Ren …«, murmelte ich abwesend, als der blonde Yamanaka einen frischen Verband um meinen Oberschenkel wickelte und mir wortlos eine kleine Tablette in die Hand drückte. Meine Stimme klang brüchig, tonlos. So leblos wie …
Denk nicht daran!


Ren nickte nur knapp, ehe er sich wieder aus der Sitzhaltung erhob und zu Rin ging, die einige Meter abseits reglos in ihrem Schlafsack lag. Nur ihr Brustkorb, der sich regelmäßig hob und senkte, zeugte davon, dass sie noch am Leben war. Der Yamanaka legte seine Hand kurz auf die Stirn der braunhaarigen Kunoichi, offenbar hatten ihre Wunden ihr leichtes Fieber bereitet.
Gedankenverloren drehte ich die weiße Pille, die Ren mir gegeben hatte, zwischen den Fingern. Sie war klein, winzig klein, und dennoch konnte sie Großes bewirken und Schmerzen lindern.
Ob es auch eine Tablette gegen den Tod gab? Gegen ein zerfetztes, blutendes Herz, das einem grobschlächtig aus der Brust gerissen worden war?
Beinahe hätte ich verbittert aufgelacht. Stattdessen schnippte ich einfach die Tablette weg, achtlos, fast schon ein wenig belustigt. Die Medizin versagte bei dem Schmerz, bei dem ich angelangt war, schlichtweg. Eine kleine, weiße Pille würde nichts ändern, überhaupt nichts.
Dummerchen, h

ätte Mutter jetzt gesagt. Mein kleines, naives Dummerchen. Nimm den Kopf aus den Wolken, so etwas gibt es nicht! Oder hast du jemals einen fliegenden Hasen gesehen?


Mutter.
Wenn du jetzt hier wärst, was würdest du dann machen? Würdest du mich in die Arme nehmen, so wie du es immer getan hast, als ich noch jünger war und geweint habe, weil Vater bis jetzt nicht von seiner langen Reise zurückgekehrt ist? Würdest du mich mit zu Ichirakus nehmen, mir eine extra große Portion Miso-Ramen bestellen und sagen, dass ich jetzt nicht mehr traurig sein darf, weil Nudelsuppe jeden Kummer heilt? Würdest du mir eine heiße Milch mit Honig machen und mich in dein Bett legen, mir ein Märchen erzählen, in dem alles gut geht? Würdest du mir, wie du es so oft getan hast, auf die Brust tippen, genau dorthin, wo mein Herz liegt, und mir sagen, dass alle geliebten Menschen nach dem Tod dorthin zurückkehren und niemals so richtig weg sein werden?


Ich werde weiterleben. In euren Herzen.

Das waren ihre Worte gewesen. Ihre Worte, die nichts waren als … Worte. Denn dort, wo mein Herz sein sollte, war nichts als Leere. Leere, in der ich meine Mutter nicht finden konnte. Eine Lüge, trügerischer Schein, Nichts.


»… möchte nach Feinden Ausschau halten … zur Sicherheit, meine ich.«
Kakashi. Was wohl in ihm vorgehen musste, jetzt, wo Obito tot war und ihm ein einmaliges Andenken hinterlassen hatte?
»In Ordnung, aber … nimm jemanden mit. Du bist noch sehr schwach.« Ich hörte das Zögern deutlich aus Minatos Stimme heraus. Natürlich. Er machte sich Sorgen. Kakashi war gerade erst zu sich gekommen, war verletzt und vermutlich obendrauf völlig zerstreut, auch wenn er niemand hinter seine Maske blicken ließ, selbst jetzt nicht.
Ob man mir auch nichts ansah? Sicher nicht.
Du bist wie ein aufgeschlagenes Buch, Akira,

hatte Mutter einmal gesagt. Auf den ersten Blick glaubt man, alles zu sehen, auf den zweiten bemerkt man dann, dass ein Buch viel mehr Seiten hat als nur die beiden, die du jedem zeigst. Verstehst du, was ich meine? Eine Geschichte hat viele Kapitel, aber was du an die Öffentlichkeit trägst, ist höchstens der Prolog – während alle anderen nur auf ihren Einband den Blick freigeben. Und weißt du was? Irgendwie macht dich das zu etwas Besonderem.


Warum ließ Minato Kakashi überhaupt gehen, wo er selbst doch zu wissen schien, dass es eigentlich völlig falsch war? Obito war gestorben, war ihm das nicht genug? Wollte er, dass Kakashi in die Fußstapfen seines Vaters, den er einmal so sehr bewundert und dann wieder so sehr verachtet hatte, trat? Wollte er, dass –
»Akira?« Augenblicklich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich auf einmal Kakashis Stimme hörte. Seine Stimme, wie sie meinen Namen kostete. In den letzten zwei Jahren hatte ich ihn nur noch selten reden hören. Warum fiel mir aber ausgerechnet jetzt auf, dass Kakashis Stimme tiefer geworden war, irgendwie erwachsener und reifer?
Ich zuckte überrascht zusammen, der Dolch, den Shin mir geschenkt hatte, entglitt meinen Fingern und schlitterte über den Felsen, auf dem ich saß, landete schließlich im Gras. Direkt vor Kakashis Füßen, der mich noch immer aus seinen sturmgrauen Augen ansah. Mich. »Würdest du … mich begleiten?«
Oh.
Meine Überraschung, mein Unglauben verwandelte sich mit einem Schlag in Wut und Widerwillen, als ich verstand, was das alles zu bedeuten hatte. Warum Minato Kakashi erlaubt hatte, sich die Beine zu vertreten und nach Feinden Ausschau zu halten.
In Begleitung eines anderen.
Obito war tot, Shin war tot, es herrschte Krieg. Kakashi wollte vergessen. Dort weitermachen, wo er aufgehört hatte, vor zwei Jahren, damals. Damals, als Krieg irgendwie nicht existiert hatte und Nur du und ich

die einzigen vier Worte gewesen waren, denen es bedurft hatte, um mein persönliches Stückchen Himmel zu ergattern.
Ich antwortete nicht, starrte stattdessen stur geradeaus, als hätte ich Kakashi nicht gehört. Ich hörte mein eigenes Herz rasen, vielleicht sogar das von Kakashi? Meine Gedanken überschlugen sich beinahe, schürten den Zorn in mir immer mehr, wie ein Feuer, das vom kleinen Funken zum gewaltigen Inferno wird.
Nach all den Jahren. Hass, statt Liebe. Zorn, statt Sehnsucht. Wut, statt Trauer. Loslassen, anstatt Festklammern. Freiheit, irgendwie, statt Zwang.
»Du wirst mitkommen, Akira«, meldete sich nun auch Kushina zu Wort. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war sie zu uns getreten und bückte sich nun, um den Dolch, den Shin mir geschenkt hatte, aufzuheben. Wortlos hielt sie ihn mir entgegen, der Blick ihrer blauen Augen war hart wie Stahl, nicht so warm und voll Liebe wie sonst. Es war der Blick einer Offizierin im Krieg, der keine Wiederworte gelten ließ. »Keine Widerrede.«
Ich biss die Zähne aufeinander, nickte dann langsam. Ich gab Daichi, der das Geschehen aufmerksam verfolgt hatte, ein kurzes Zeichen mit der Hand, dass er mir folgen sollte. Kushina erklärte ich dies, indem ich behauptete, zusammen mit dem Wolf an unserer Seite könnten wir Feinde, die sich womöglich hier aufhielten, schneller aufspüren.
Wir. Hatte ich mich nicht genau danach gesehnt? Nach dem Wir, das Kakashi und mich verband? Warum also klang es auf einmal nicht mehr so wärmend und schön wie Sonnenlicht auf der Haut, warum fühlte es sich so abstoßend, ja, fast ekelerregend an?
Es war ja im Grunde genommen egal. Egal, wie alles andere auch.
Möglichst vorsichtig ließ ich mich von dem Felsen, auf dem ich noch immer saß, gleiten und kam behutsam auf beiden Beinen auf. Meine Wunde am Oberschenkel brannte noch immer furchtbar, vor allem jetzt, wo ich mich bewegte, doch es war einfach, den Schmerz zu ignorieren. Viel leichter, als dem silberhaarigen Jungen keine Beachtung zu schenken, der neben mir lief. So nah, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Wohin war die tiefe Schlucht verschwunden, die uns zwei Jahre lang voneinander getrennt hatte?
Ohne ein einziges Wort miteinander zu wechseln, entfernten wir uns von den anderen. Ich selbst starrte nur stur auf den Boden, die Hände in den Taschen meiner Jacke, die noch immer nach Ruß und Blut, Tod, stank, zu Fäusten geballt – während Kakashi die meiste Zeit über nur mich ansah. Als hätte er auf einmal bemerkt, dass es mich auch noch gab. Dass ich all die Jahre über nie weg von ihm gewesen war, er mich nur lediglich nicht wahrgenommen zu haben schien.
Er ist ein Idiot, ein gottverdammter, dummer Idiot, der dich nicht verdient hat, Akira.

Hatte Shin das nicht all die Jahre über gesagt?
Und du dummes Ding hast ihn all die Jahre über verteidigt, dich an ihn geklammert, wegen ihm kaum Schlaf gefunden und Tränen vergossen. Du solltest dich schämen.


Ich beobachtete, wie Daichi, der neben mir hertrottete, Kakashi immer wieder vernichtende Blicke aus seinen hellen Augen zuwarf. Auch ihm gegenüber hatte ich keine Einsicht gezeigt, wenn er mich an knurrte, Bastarde wie der Hatake wären es gar nicht wert, geliebt zu werden. Wenn er mir kein Mitgefühl entgegenbrachte, wenn ich völlig aufgelöst war, nur wegen ihm, wenn er sagte, ich wäre schwach und naiv. Blind, irgendwie.
Ein einziger Tag, der sämtliche Fronten verschoben hatte.


Mein verwundetes Bein, das unter meinem Gewicht immer wieder nachgab und mir schreckliche Schmerzen bereitete, schien meine Wut nur noch mehr zu schüren. Die Scham darüber, dass ich jetzt wieder so schwach vor ihm war, so verletzlich, zusammen mit dem Hass auf ihn wegen allem, was er mir angetan hatte. Und die verdammte Trauer, in jeder Sekunde so quälend wie spitze Shuriken, die sich langsam durch mein Fleisch, direkt in mein Herz hinein, bohrten.
»Die ganze Sache ist wohl wie nach Plan verlaufen, hm?«, riss Daichi mich plötzlich aus meinen Gedanken. Seine Stimme war nichts weiter als ein leises Knurren, in dem die Verachtung beinahe greifbar mitschwang. Kakashi blieb überrascht stehen, als er realisierte, dass der Wolf mit ihm sprach, musterte ihn überrascht aus seinem einen grauen Auge, das nicht von dem Verband verdeckt wurde. »Kaum, dass der Junge seine Sharingan erweckt hat, stirbt er und du erhältst kurzerhand seine neugewonnene Kraft. Ganz nach deinem Geschmack, oder? Hauptsache, du wirst die lästigen Leute los, denen du etwas bedeutest, und ziehst deinen eigenen Vorteil daraus. Ich wette, es hat dir Spaß gemacht, zwei Jahre lang tagein, tagaus auf Akiras Gefühlen herum zu trampeln, nicht wahr? Weißt du, ich habe in meinem ganzen Leben viele Menschen kennengelernt, aber du bist wirklich ein Individuum für sich. Selbst der grässlichste Nukenin besitzt mehr Menschlichkeit als du. Im Gegensatz zu dir wüsste so jemand nämlich, auf welche Seite er gehört, während du immer wieder einen neuen Weg einschlägst, immer den des geringsten Widerstandes.«
Beinahe erdrückende Stille senkte sich über die Lichtung, auf der wir standen, nachdem Daichi geendet hatte. Noch immer funkelte er Kakashi hasserfüllt an und zog die Lefzen zurück, als wollte er sich jeden Augenblick auf den Silberhaarigen stürzen. Ich selbst stand nur völlig fassungslos daneben, wusste nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte. In diesem Moment ergänzte Daichi, als wäre es noch nicht genug: »Du schämst dich für deinen Vater, ja? Dafür, dass er wie ein Held gestorben ist und sich eher eigenhändig das Leben genommen hat, als seine Mitmenschen im Stich zu lassen? Ich glaube, dazu hast du keinen Grund. Der einzige, der einen Grund hat, sich für irgendjemanden zu schämen, wäre Sakumo selbst. Und zwar für seinen eigenen Sohn.«
Er hat recht, dachte ich, während ich beobachtete, wie Kakashi den Blick senkte und mit einer Hand über den Verband strich, der sein eines Auge verdeckte. Beinahe schämte ich mich für diesen Gedanken, weil es doch unmöglich richtig sein konnte, was Daichi Kakashi soeben vorgeworfen hatte – aber es war nun mal die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit. Die ungeschliffene, nackte Wahrheit, die ich zwei Jahre lang vor mir selbst versteckt hatte.
Was nun blieb, war die Stille. Erdrückende, schwere Stille, die uns allen auf der Lunge lastete wie ein Stein und das Atmen erschwerte. Keiner sprach ein Wort, keiner bewegte sich und nicht ein einziges Blatt raschelte im Unterholz, fast so, als hätte jemand den Ton gänzlich abgestellt, um mich noch mehr zu quälen. Ich hasste die Stille. Seit dem gestrigen Tag war sie kein Segen mehr und nicht länger die erwünschte Ruhe und der Frieden, für die ich sie sonst gehalten hatte. Seit gestern war Stille der Vorbote von Leid. Der Überbringer des Todes.
»Es tut mir leid.« Vier Worte, die die Stille für die Dauer eines Wimpernschlags zerrissen, sie durchschnitten wie ein scharfes Kunai blankes Fleisch. Dann: Stille. Schon wieder Stille, die sich um mein Herz legte wie ein schwerer Mantel.
Ich schnappte zittrig nach Luft, während die Fäuste in den Taschen meiner Jacke zu zittern begannen. Tränen stiegen in meinen Augen auf und drohten, über meine Wangen zu laufen. Tränen der Wut, des Hasses. Der Verzweiflung?
»Du …« Ich stockte. Biss die Zähne fest aufeinander und suchte verzweifelt in meinem Inneren nach dem, was ich jetzt sagen wollte. Was ich jetzt sagen musste. Es war kaum zu glauben, wie schwer es war, all die Lügen und die Illusion von der Wahrheit zu trennen, so eng miteinander verwoben hatten sie sich im Laufe der Zeit. »Du bist ein Idiot, weißt du das eigentlich, Kakashi? Weißt du, was für ein verdammter Mistkerl du bist, hat dir das eigentlich irgendjemand jemals gesagt? Nein, natürlich nicht. Das hat niemand, wie auch, wo dir doch sowieso alle egal waren und wir alle so verdammt dumm waren, dich auch noch zu bemitleiden

?« Beinahe hätte ich laut aufgelacht, doch gerade rechtzeitig hielt ich mich zurück. Meine Augen brannten noch immer, während ich Kakashi unverwandt ansah. All die Schüchternheit und die Hemmungen, die Zweifel ihm gegenüber waren zerplatzt wie eine Seifenblase, was blieb, war nichts als … Nichts. Rein gar nichts.
Der Ausdruck in Kakashis Gesicht war so undurchsichtig wie immer. Die Maske, die sein komplettes Gesicht unterhalb der Nase unter nichtssagendem Schwarz verbarg, ließ ebenso wenig Reaktion durchsickern wie der undefinierbare Blick aus seinem einen grauen Auge. Er sah mich einfach nur an. Weder voll Verachtung, noch voll Reue. Irgendwie beherrscht und ruhig. Als hätte er genau das erwartet, als wäre er nicht sonderlich überrascht.
»Du solltest dich selbst sehen«, ergänzte ich. Meine Stimme bebte und mit jedem Wort, das ich sprach, war es, als würde ein Messer noch ein Stückchen tiefer in meine Brust gerammt. »Wie du jetzt hier vor mir stehst und mich so teilnahmslos anglotzt, als hättest du dich eben nicht bei mir entschuldigt. Wenn man es überhaupt so nennen kann. Bereust du überhaupt etwas? Wenn ja, warum sagst du dann nichts, verdammt? Sag doch, was du gerade denkst, schrei mich an, sag mir, was für eine dumme Kuh ich bin, wo ich dich doch jetzt, wo du, der große Kakashi Hatake, dich bei mir entschuldigt hast, nichts für dich übrig habe als Verachtung und Abscheu! Ja, das erstaunt dich, was? Die dumme, kleine, naive Akira rennt dir nicht mehr hinterher wie einer deiner Hunde! Und weißt du auch, warum? Weil Shin recht hatte. Weil du ein verdammter Mistkerl bist und Obito auch noch so leichtsinnig war, sein Leben ausgerechnet für dich aufzugeben. Du verdienst es nicht, sein Sharingan zu tragen, du verdienst überhaupt rein gar nichts, weil du nichts bist als ein –« Meine Stimme brach und verlor sich in einem leisen Schluchzen. Eine Träne bahnte sich den Weg aus meinen Augenwinkeln, rasch wischte ich sie mir mit dem Ärmel meiner Jacke fort. Ich wollte keine Schwäche zeigen, nicht jetzt, nicht vor ihm.


Doch Kakashi sagte noch immer nichts. Ich glaubte nur zu sehen, wie er kaum merklich mit dem Kopf nickte, als wollte er mir Recht geben.
Das ist doch absurd!


»Zwei Jahre lang hast du mich ignoriert, mir mit jedem Tag, an dem du wortlos an mir vorbeigegangen bist, als wäre ich nicht hier, mehr wehgetan und mich immer mehr von Innen heraus kaputt gemacht. Alles hat du zerstört, mein komplettes Leben, alles, was ich einmal war!« Ich schnappte zittrig nach Luft, atmete kurz tief ein und aus, um mich zu beruhigen. »Mein Vertrauen hast du missbraucht und zerstört, mein Herz hast du einfach mit dir gerissen, auf den Boden geworfen und zertrampelt. Du hast mir den Glauben an Glück und eine Zukunft ruiniert, mich alleine gelassen, völlig allein. Deine Versprechen hast du gebrochen, deine Versprechen, immer da zu sein, immer, egal wann, für mich da zu sein, wenn ich dich brauche …« Ich verstummte. Senkte den Blick, um Kakashi nicht ansehen zu müssen. Als wäre jeder seiner Blicke eine spitze Nadel, die den Schmerz jedes Mal ins Unermessliche steigerte. »Aber du hast gar nicht bemerkt, dass ich dich die ganze Zeit über gebraucht habe, oder etwa nicht? Oder war es dir von Anfang an klar, aber es war dir egal? War dir denn wirklich alles egal? War ich …«
Du zeigst Schwäche. Du bist schwach, so schwach. Verdammt, reiß dich zusammen, Akira!


Ein Laut, einem Lachen ähnlich, entwich meiner völlig ausgetrockneten Kehle. »In deinem dämlichen Glauben daran, dass Regeln das einzig Liebenswerte auf der Welt sind, hast du immer behauptet, man sollte sich von Menschen fernhalten, weil sie einem sowieso irgendwann ins Kreuz fallen werden. Aber weißt du was? Du bist kein Stück besser, du bist gar nicht so perfekt, wie du vielleicht gedacht hast. Du bist einer dieser Menschen, die mir ins Kreuz gefallen sind, mich verraten und mein Vertrauen missbraucht haben. Aber da bist du allein, musst du wissen. Es gab nie jemanden, der mir etwas bedeutet hat, der mir den Rücken zugewandt hat. Niemanden, außer dich. Und dafür hätte ich dich all die Jahre hassen sollen, anstatt mich an eine Hoffnung zu klammern, die nichts als Schein ist. Aber das habe ich erst jetzt begriffen. Jetzt, wo es zu spät ist. Jetzt, wo du noch lebst, während Shin tot ist. Shin, der Recht hatte.«
»Ja.« Nur ein einziges Wort, zwei kleine Buchstaben, ein raues Flüstern stolperte über seine Zunge, verließ seine Lippen und verlor sich im leisen Wispern des Windes. Fast genauso unscheinbar und nichtig wie alles andere mittlerweile auch. »Ich weiß, dass … dass ich nichts als ein Fehler bin.« Für einen Augenblick schwieg Kakashi wieder, während sein Blick meinen nicht freigab. »Aber ich will nicht den selben Fehler machen, wie mein Vater. Und ich habe nie behauptet, dich verdient zu haben … ich habe nur gesagt, dass es mir leid tut. Sehr sogar. Und das hat es schon immer, Akira.«
Ich hörte, wie Daichi leise knurrte und Kakashi noch immer zornig aus seinen hellen Augen an funkelte. Ich war ihm dankbar. Dankbar darum, dass er hier war und mich verteidigte. Dass er mir eine Stütze war, während ich selbst erst verstehen lernen musste, was Lüge und war Wahrheit war, Illusion und Realität. Es war, als wären die Linien, die diese beiden Eigenarten voneinander trennten, vollständig miteinander verschmolzen, als gäbe es kein Schwarz und kein Weiß mehr, sondern nur noch Grau. Überall farbloses Grau. Grau wie Kakashis Augen, die meinen Anblick noch immer nicht losließen.
Stattdessen befand ich mich nun in einer Schwebe, in diesem einfachen, leichten und zugleich grausamen Augenblick, indem ich zweifelte. Und das war er: Der Moment in Grau, so klebrig wie das Netz einer alten Spinne, die nur darauf gewartet hat, dass sich jemand darin verfängt.
Am liebsten hätte ich laut geschrien.
Doch stattdessen schwieg ich.
Das leise Heulen des Windes, ähnlich dem Wehklagen eines Leidenden, war das einzige Geräusch, das noch an mein Ohr drang, während ich Kakashi weiterhin ansah, der meinen Blick noch immer auf diese mir verhasste, verdammte ruhige Art und Weise erwiderte. Es kostet mich all meine Beherrschung, nicht einen freien Arm zu heben und ihm direkt ins Gesicht zu schlagen.
Während ich spürte, wie erste Regentropfen von dem sturmgrauen Himmel fielen und sich in meinen Haaren und Wimpern verfingen, war es, als würde der Regen Kakashis Worte fort wischen. Sie mitreißen in den Strömen eines Flusses, der mein Leben darstellte. Ich hatte zu lange gewartet. Er hatte zu lange gewartet.
Denn jetzt war es zu spät.
Die Illusion und all die Lügen hatten Feuer gefangen und waren zu Asche verbrannt. Und diese Asche kühlte in dem Augenblick, als ein lautes Donnergrollen in der Ferne zu hören war, ab und wurde vom heulenden Wind davongetragen. Irgendwohin.
Nur Hauptsache weg von mir.

Verbranntes Glück


Kapitel 6


» » Verbranntes Glück « «



Am Ende

hatten die Götter der Brücke Kannabikyō* tatsächlich nicht geholfen und alles, was von ihr übrig blieb, waren vereinzelte Stücke an Anfang und Ende der Schlucht, die bei der Sprengung nicht in die Tiefen des Abgrundes unter ihr gerissen worden waren. Die einst so riesige Brücke, die den Feinden aus Iwagakure ermöglicht hatte, weiter in das Grasreich vorzudringen und ihre Waffen und Lebensmittel vom einen Ort zum anderen zu transportieren, existierte nun nicht mehr.
Mission erfolgreich abgeschlossen!

, hätte Shin jetzt gesagt, die Fäuste in die Luft gerissen und gelacht wie ein kleines Kind, das ein lang ersehntes Spielzeug endlich bekommen hat. Dann hätte Ren gelächelt, während der Inuzuka ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte, und Kushina hätte uns alle gelobt und außerdem erwähnt, dass wir alle viel gelernt hatten und es sicher noch sehr viel weiter bringen würden. Ich hätte ihr daraufhin breit grinsend das Angebot unterbreitet, den erfolgreichen Abschluss unseres Auftrages mit einer Nudelsuppe von Ichirakus

zu feiern und sie hätte mir sofort zugestimmt, während Shin nur geseufzt hätte. Wenn wir dann vor einer dampfenden Schüssel Ramen gesessen hätten und gerade unsere Essstäbchen auseinanderbrechen wollten, wäre meine Mutter auf einmal wie aus dem Nichts erschienen, hätte sich die katzenähnliche Maske der ANBU aus dem Gesicht gerissen und mir die Stäbchen geschickt aus der Hand genommen. Ich hätte laut protestiert und gleichzeitig gelacht, wir alle hätten gelacht und zusammen gegessen, bis allmählich die Nacht anbrach und wir alle uns verabschiedeten, nur, um am nächsten Tag wieder …
Die Geschichte endete hier. Es war ein grausames Ende, das so schnell gekommen war, als hätte man mir eine geöffnete Tür auf einmal brutal vor der Nase zugeschlagen. Sie anschließend verriegelt. Dann den Schlüssel versteckt, vielleicht sogar zerstört, damit niemand mehr ihn benutzen konnte. Damit die Vergangenheit Vergangenheit bleiben konnte, ein weiteres abgeschlossenes Kapitel.
Mein Leben hatte ebenso schnell aufgehört wie das der Brücke, die nun in Trümmern direkt vor mir lag, noch immer qualmend und voll Ruß. Die Götter hatten weder mir, noch Kannabikyō geholfen. Vom Himmel aus hatten sie dieses grausame Schauspiel tatenlos betrachtet, nicht den kleinen Finger gerührt, sondern sich nur an meinem Schmerz und der Trauer, all dem Blut, das den Boden tränkte, genährt. Was war nur los mit dieser verkommenen Welt, was stimmte nicht? Wo lag der Fehler, der alles zerstört hatte?
Ich wusste es nicht. Denn das Einzige, was ich wusste, war, dass mein Herz es nicht verdient hatte, zu schlagen. Dass ich es nicht verdient hatte, noch hier zu sein, lebendig, bis auf ein paar Verletzungen völlig gesund. Ich, die das Leben aufgehört hatte, im selben Moment, in dem Shin seinen letzten Atemzug ausgehaucht hatte.
»Wir sollten uns jetzt auf den Rückweg machen«, durchschnitten Minatos Worte die seltsame Stille, die sich nach der gewaltigen Explosion über uns gesenkt hatte, auf einmal. Er hatte einen Arm um Kushina gelegt, die seltsam gebrechlich aussah; dunkle Ringe untermalten ihre Augen und ihre Haut sah blässer aus, was sie kränklicher wirken ließ, gebrechlicher. Ließ Shins Tod sie also doch nicht so kalt, wie ich gedacht hatte? »Dann schaffen wir es innerhalb von zwei Tagesreisen nach Hause. Unsere Mission ist ab hier erfüllt.«
Nach Hause. War Konoha wirklich meine Heimat? Ein Konoha, in dem weder meine Mutter, noch Shin war? Konnte ich dieses kleine Haus am Rande Konohagakures wirklich als mein Zuhause bezeichnen, war doch alles, was mir früher Geborgenheit und Liebe – eine Heimat! – gegeben hatte, längst zu Asche verbrannt und mit dem Wind fortgetragen worden, weit fort, an einen Ort, den ich nicht erreichen konnte?
Widerlich, wie sehr du dich in deinem Mitleid mit dir selbst verstrickst. Macht das irgendjemanden wieder lebendig? Nein. Es lässt dich nur noch tiefer sinken, als du es ohnehin schon bist. Versagerin. Du bist eine gottverdammte Versagerin, Akira!


Niemand antwortete Minato. Es war eine lautlose Zustimmung von uns allen – denn wer hätte schon widersprechen sollen? Noch länger zu bleiben, könnte den sicheren Tod bedeuten. Während wir hier an den Trümmern, die einst jene gewaltige Brücke gebildet hatten, standen, waren unzählige Ninja auf dem Schlachtfeld, kämpften auf Leben und Tod, tränkten das grüne Gras und die Blumen, die allmählich aus der Erde sprossen, mit der Farbe des Todes. Bedeckten den Boden mit leblosen Körpern, ließen zerschrammte Waffen, an denen getrocknetes Blut klebte, zurück, Überreste des Krieges, die irgendjemand Jahrzehnte später finden und sich an diese finsteren Zeiten erinnern würde, ohne sie je selbst erlebt zu haben, ohne die zahllosen namenlosen Opfer, die den eisigen Fängen des Todes nicht entkommen hatten können, gekannt zu haben.
Würde sich in einem Jahr, oder vielleicht auch zwei, noch irgendjemand an Shin und Obito erinnern? Würde irgendjemand den heldenhaften Taten, die sie in diesen grausamen Zeiten vollbracht hatten, gedenken, sie in Ehren halten und zu ihnen aufblicken, zu dem endgültigen Opfer, das sie für ihre Kameraden dargebracht hatten?
Ich bezweifelte es.
Sowie meine Mutter beinahe spurlos von dieser Welt verschwunden war und ich und Kushina so gut wie die letzten Zeugen dafür waren, dass sie tatsächlich gelebt, geliebt, hatte, würden auch Shin und Obito bald nicht mehr existieren.
Der endgültige Tod tritt erst dann ein, wenn die Menschen sich nicht mehr erinnern. Wenn die Erinnerung stirbt, ist es aus. Endgültig und unwiederbringlich aus, es ist wie ein kleiner Anfang einer Ewigkeit. Das Rad der Zeit wird sich weiterdrehen, obgleich wieder ein paar Spuren der Menschheit verwischt werden. Sie werden genauso spurlos verschwinden wie ein einzelnes Sandkorn an einem riesigen Strand. Unkenntlich, ohne großen Wert. Allgemein gleich, unwichtig. Und am Ende, am Ende ist dann das Nichts. Das Nichts, zu dem der Tod und jede verlorene Erinnerung einen jeden Toten irgendwann geleitet.



Wir verbrachten unseren Marsch vollkommen still.
Aber tief in mir drin schrie alles. Es war ein lautes, beinahe wahnsinniges Schreien, das in meinem Kopf laut widerhallte und immer schriller und verzweifelter wurde. Niemand hörte es, mein lautloses Klagen, niemand, außer mir. Niemand spürte, wie sich alles in mir in einer beinahe blinden Wut dagegen wehrte, einfach so zu gehen, etwas Essentielles zurückzulassen. Mein Herz, das Shin mit sich fortgenommen hatte, irgendwohin, an einen fernen Ort, eine klaffende Wunde in meinem Brustkorb zurücklassend, die niemand mehr heilen konnte. Immer blutend, immer so frisch, als wäre es nicht lange her, dass jemand mir ein Messer in die Brust gerammt hatte.
Das Rad der Zeit drehte sich weiter. Die kleinen Steine, mit denen ich verzweifelt versuchte, es aufzuhalten, halfen nichts, es drehte und drehte sich weiter und kannte keine Gnade, kein Erbarmen.
Tick, tack. Tick, tack.

Jede einzelne Sekunde zerrann zwischen meinen Fingern, wie feine Sandkörner, und ich schaffte es dennoch nicht, sie festzuhalten. Einatmen, dann wieder ausatmen. Einatmen. Immerzu dasselbe. Poch, poch. Poch, poch.

Immerzu dasselbe schlagende zerfleischte Herz, das eine blutende, zerrissene Seele gewaltsam am Leben erhielt, ohne sie wirklich leben

zu lassen.
Was im Grunde genommen übrig geblieben war, war ein dreizehnjähriges Mädchen aus Fleisch und Knochen, das sein Herz auf einem langen, beschwerlichen Weg, dem Leben, verloren hatte. Ein ziemlich dummes, naives dreizehnjähriges Mädchen, wie ich meinen würde, das die falschen Gedanken dachte und immerzu dieselben Fehler wiederholte. Wieder und wieder.
Warum starben eigentlich immer die falschen Leute?
Ich seufzte lautlos. Was würde ich darum geben, einfach aufhören zu können, zu denken. Seit drei Tagen quälte ich mich nun schon mit diesen verfluchten Gedanken, wie es hätte sein können, wenn alles nicht so gekommen wäre, wenn alles einen völlig anderen Weg genommen hätte – und es brachte nichts.
Genauso wenig, wie all das hier irgendetwas nutzte. Ich war zu schwach, viel zu labil, als dass ich als Kunoichi irgendeine Stütze für das Feuerreich war. Und das war wohl die einzige hilfreiche Erkenntnis, zu der ich gekommen war, seit Shin gestorben war.
Entschlossen blieb ich mitten während des Laufens stehen. Die Wunde an meinem Oberschenkel war bereits so gut verheilt, dass ich kaum noch Schmerzen spürte, wenn ich das verwundete Bein belastete. Was lediglich zurückbleiben würde, würde eine lange, dicke Narbe sein, die mich immer wieder an dieses düstere Kapitel meiner Geschichte erinnern würde, die das Vergessen gewaltsam verhindern würde.
»Kushina?« Meine Stimme klang rau, man merkte deutlich, dass ich sie länger nicht gebraucht und in letzter Zeit viel zu wenig getrunken hatte. Doch zumindest hörte ich mich nicht so schwach und gebrechlich an, wie ich mich tief in meinem Inneren eigentlich fühlte.
Obwohl ich nur Kushina angesprochen hatte, blieb automatisch unsere ganze Truppe stehen. Alle sahen mich erwartungsvoll an; Minato, Rin, Ren, ja, sogar Kakashi, obwohl er zu versuchen schien, meinem Blick auszuweichen. Nur Kushina wirkte unglaublich müde, fast schon ein bisschen gereizt, als sie mir antwortete: »Was gibt’s denn, Akira?«
»Ich …« Ich zögerte. War das wirklich der richtige Weg? »Ich will mit dir sprechen. Unter vier Augen. Ist das in Ordnung?«
Die rothaarige Uzumaki zögerte, nickte dann allerdings, nachdem ihr Minato aufmunternd zugelächelt hatte. Offenbar ahnte er nicht, was mich dazu bewog, allein mit Kushina, meiner Meisterin

, sprechen zu wollen. Gut so. Es war wohl besser, wenn er als Hokage es erst erfuhr, wenn ich wieder Zuhause war und ihm aus dem Weg gehen konnte, um mögliche Diskussionen zu vermeiden.
Während Kushina und ich uns nun von den anderen entfernten, um in Ruhe miteinander reden zu können, machten Minato, Rin, Ren und Kakashi nun eine kurze Rast. Nach einiger Zeit, in der mir schweigend nebeneinander hergelaufen waren, blieb ich schließlich im Schatten eines hohen Baumes stehen und wühlte in meiner Tasche.
»So, was gibt es denn nun Wichtiges, das du mit mir bereden willst?«, fragte Kushina. Ich hatte sie selten so erlebt wie in Tagen wie diesen. Durch den Krieg schien sie um Jahre gealtert zu sein, die Person, die sie früher gewesen war, nichts als ein blasser Schatten im matten Sonnenlicht. Sie war nicht lebhaft und aufgeweckt wie sonst, sondern ernst und so unglaublich müde und erschöpft.
Als ich in meinem Beutel schließlich gefunden hatte, wonach ich gesucht hatte, drückte ich es Kushina wortlos in die Hände. Es war Antwort genug für die rothaarige Uzumaki. Verblüfft musterte sie das Stirnband mit dem Zeichen Konohas, das ich ihr gegeben hatte und schien zunächst zu keiner Reaktion fähig.
»Ich brauche es nicht mehr«, fing ich mit überraschend ruhiger Stimme an. »Weißt du, ich … ich ertrage das nicht mehr, das alles hier. Den Schmerz, das Leid, den Kummer. Ich bin viel zu schwach, um eine richtige Kunoichi zu sein, das ist mir in den letzten Tagen klar geworden. Ich verdiene dieses Stirnband nicht, das für Ehre und Stärke steht, dafür, dass ich bereit bin, für Konoha zu sterben, wenn es von Nöten ist, weißt du. Shin hätte es verdient, genauso wie Obito – aber ich nicht. Es wird besser sein, wenn ich ab sofort keine Kunoichi mehr bin, sondern … einfach Akira. Die schwache, gebrechliche Akira, die ich im Grunde immer schon war.« Der letzte Satz war nichts weiter als ein heiseres Wispern, und für einen Augenblick frage ich mich, ob Kushina ihn überhaupt gehört hatte.
Die Rothaarige schüttelte nur den Kopf, während sie weiterhin das Stirnband in ihrer Hand betrachtete. »Das ist vollkommen dumm, Akira«, sagte sie nur und dieses Mal klang sie wirklich noch viel älter, als sie eigentlich war, und die eigene Erfahrung schwang beinahe greifbar in ihrer Stimme mit. Verstand sie also, was gerade in mir vorging, weil sie etwas Ähnliches erlebt hatte? »Du bist eine großartige Kunoichi, und das weißt du auch. In ein paar Jahren wirst du stärker sein als ich, nicht zuletzt als deine Mutter … und irgendwann wirst du vermutlich in Bingobüchern überall auf der Welt stehen, der Lohn, der auf deinen Kopf ausgesetzt sein wird, könnte wahrscheinlich eine Großfamilie ein ganzes Jahr ernähren, weil du überall gefürchtet bist!« Kushina machte eine kleine Pause, ehe sie fortfuhr: »Was ich damit sagen will, ist eigentlich nichts, als dass du völlig überstürzt handelst. Du hast dieses Stirnband genauso verdient wie Shin und alle anderen auch und es ist nicht dein Versagen als Truppenführerin, dass … dass ein Krieg nun mal seine Tribute fordert. Ich kann mir vorstellen, was gerade in dir vorgehen muss, wie sehr dich der Verlust deiner Mutter und Shin aus der Bahn werfen muss, aber das macht dich nicht zu einer schwachen Persönlichkeit. Du hast einen starken Charakter, das weiß ich, weil ich dich schon dein Leben lang kenne. Und deshalb wirst du auch jedes Mal, wenn ein geliebter Mensch stirbt, weitermachen. Es gehört nun einmal zum Leben eines Shinobi dazu und ich will auch nicht behaupten, dass man sich daran gewöhnen könnte, aber …« Kushina verstummte und schien nach den richtigen Worten zu suchen, die es offenbar nicht gab, um das auszudrücken, was sie mir so verbittert zu erklären versuchte.
»Aber genau das ist es doch!«, rief ich, die Hände in den Taschen meiner Jacke zu Fäusten geballt. »Dass ich einfach nicht damit fertig werde, ständig jemanden zu verlieren, der mir etwas bedeutet! Auf lang oder kurz wird mich das noch mehr zerstören, als ohnehin schon, und das will ich nicht, verstehst du? Nenn mich egoistisch und naiv, nur zu – aber das ändert nichts daran, dass ich lieber Schwäche zeige und nicht länger Kunoichi bin, als ständig tatenlos dabei zusehen zu müssen, wie meine Kameraden niedergemetzelt werden, nur, weil keiner begreift, dass Krieg genauso sinnlos ist, wie … wie …« Meine Stimme brach und verebbte in einem leisen Schluchzen. Beinahe grob wischte ich mir mit dem Handrücken über die Augen. Zu weinen war das Letzte, was ich jetzt wollte. Ich wollte nur noch, dass das alles hier möglichst schnell vorbei war, mehr nicht.
»Akira … nicht«, murmelte Kushina, und für die Dauer eines Wimpernschlags erhielt ihre Stimme wieder den sanften Unterton, den ich von ihr gewohnt war. Sie streckte eine Hand aus und tätschelte mir die Schulter – nach kurzem Zögern allerdings zog sie mich einfach nur in ihre Arme und drückte mich an sich, während sie leise beruhigend auf mich einredete.
Es fühlte sich gut, beinahe zu gut, an, die Trost spendende Wärme eines anderen zu fühlen. In dem Moment, in dem ich nichts weiter tat, als Kushina meinerseits zu umarmen, mein Gesicht in ihrem langen roten Haar zu vergraben und ihren vertrauten Duft einzuatmen, fühlte ich mich seltsam geborgen und befreit, konnte den Schmerz für einen Augenblick vergessen und wieder tief durchatmen. Leben fühlen, irgendwie.
»Danke, Kushina …«, murmelte ich mit brüchiger Stimme, als die rothaarige Uzumaki mich nach einiger Zeit wieder losließ. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich geweint hatte. Hastig wischte ich mir etwas beschämt die Tränen von den Wangen.
Kushina lächelte ihrerseits. Es war ein trauriges Lächeln, fast ein wenig verbittert, das sich in seiner Bedeutung irgendwie zu widersprechen schien. »Du weißt doch, dass ich immer für dich da sein werde, Akira.«
»Ja, aber wenn du auch …« Ich sprach nicht weiter, konnte es gar nicht. Dennoch hingen die Worte, die ich mich nicht auszusprechen getraut hatte, bleischwer in der Luft und machten das Atmen schwer.
»Erinnerst du dich nicht an die Aufschrift auf dem Grabstein deiner Mutter?«, entgegnete Kushina und dieses Mal schien ihr Lächeln aufrichtig, nicht so falsch.
»Doch, aber … es sind nur Worte, weißt du. Ich habe versucht, sie zu finden, irgendwo da, wo vielleicht mein Herz sein sollte, aber … sie war nicht da.« Ich biss mir auf die bebende Unterlippe, um ein weiteres Schluchzen zu unterdrücken.
»Das ist sie aber«, sagte Kushina sanft. »Und wenn du sie nicht da findest, wo sie in Wirklichkeit ist und immer sein wird – dann sieh in den Spiegel. Auch wenn du die ganzen Sommersprossen und deine Haarfarbe eindeutig von deinem Vater geerbt hast – du hast die Augen deiner Mutter. Vielleicht hat Kaede es auch so gemeint, als sie sich damals diese zwei Sätze als Inschrift für ihren Grabstein wünschte, wer weiß. Vielleicht wollte sie damit im Grunde nur ausdrücken, dass sie gar nicht weit weg sein kann, wenn ihre über alles geliebte Tochter, die die meisten in ihre Herzen geschlossen haben, ja noch lebt und ihr so täuschend ähnlich ist, dass man glauben könnte, Kaede wäre noch mitten unter uns.«
Für einen Augenblick blickte ich Kushina nur um Fassung ringend an, unfähig zu irgendeiner Reaktion, während ich noch immer versuchte, den Sinn ihrer Worte richtig aufzugreifen – obwohl ich ihn längst verstanden hatte. Das beinahe berauschende Gefühl von Dankbarkeit, das ich der rothaarigen Uzumaki gegenüber nun verspürte, trieb mir erneut die Tränen in die Augen, genauso wie der Stolz, der irgendwo in meiner Brust aufgeflammt war, als Kushina erwähnt hatte, wie ähnlich ich meiner Mutter war.
»Danke«, war alles, was ich schließlich hervorbrachte, während ich mir verstohlen über die Augen wischte. »Für alles, meine ich.«
Kushina lächelte erneut, eine seltsame Art von Traurigkeit lag in ihrem Blick. »Du hast gar keinen Grund, dich zu bedanken, Akira«, antwortete sie schlicht. »Aber versprich mir, dass du dir noch einmal durch den Kopf gehen lassen wirst, was ich dir gesagt habe. Und wenn du es dann immer noch für richtig hältst, deinen Shinobiweg an dieser Stelle zu beenden, dann wird es wohl auch am besten so sein. Aber ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass erst die Zeit meistens Verständnis schafft. Du kannst nicht erwarten, dass du von Anfang an alles beherrscht, verstehst du? Du musst abwarten und dann weitersehen.«
Ich nickte nur. »Das werde ich«, sagte ich, ein wenig beschämt darüber, wie dumm ich mich, wie schon so oft zuvor, verhalten hatte. »Tut mir leid, dass ich …«
Indem Kushina mir einen Finger vor den Mund hielt, brachte sie mich zum Verstummen. »Shhht. Das will ich nicht hören, ja? Entschuldige dich nicht immer für alles, wenn du gar keinen Fehler gemacht hast. Es mag sein, dass du noch viel lernen musst, aber das liegt sicher nicht daran, dass du dich dumm anstellst. Wetten, dass du in zehn Jahren genauso altklug wie ich daherreden kannst?« Kushina lachte heiter auf, ich lächelte meinerseits etwas unbeholfen.
Eine Weile verging, in der wir uns nur gegenüberstanden; es war beinahe ein wenig skurril, wie seltsam ausgelassen die ganze Situation geworden war. Ich fühlte mich fast schon schlecht, weil ich auf einmal so fröhlich und von einer so seltsamen Art von Glück erfüllt war, während da draußen noch immer verbittert gekämpft wurde und jede Minute Menschen starben. Wie ein schwerer Stein lastete mir mein schlechtes Gewissen, jetzt, so kurz nach Shins Tod wieder zu lächeln und meine Gedanken weit abdriften zu lassen, auf dem Magen und ein beklemmendes Gefühl von Übelkeit stieg in mir auf, das ich etwas unbeholfen zu unterdrücken versuchte.
»Akira? Es gibt da noch etwas, über das ich mit dir reden möchte, bevor wir wieder zurück zu den anderen gehen, wenn das für dich in Ordnung ist.« Mit einem Mal klang Kushinas Stimme wieder ernst, die Wärme und die Liebe waren völlig aus ihrem Blick gewichen. Stattdessen sah sie mich undefinierbar aus ihren blauen Augen an.
Ich nickte langsam, während sich ein ungutes Gefühl in mir ausbreitete, weil ich bereits erahnte, über was die rothaarige Uzumaki mit mir sprechen wollte. »Ja … ja, klar, kein Problem.«
»Gut.« Eine Weile lang musterte Kushina mich eingehend, als suchte sie irgendetwas Bestimmtes, auf das sie keine Antwort finden konnte. »Es geht, wie du vielleicht schon erraten hast, um Kakashi.« Unwillkürlich biss ich die Zähne fest aufeinander und erwiderte ihren Blick trotzig, wusste ich doch, worauf sie hinaus wollte. Kushina ließ sich davon nicht beirren: »Als er gestern zusammen mit dir angeblich nach Feinden Ausschau halten wollte, hat er sich bei dir entschuldigt, oder?«
Ich atmete einmal tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Jetzt bloß nicht die Beherrschung verlieren, Akira

, redete ich mir selbst ein, während ich merkte, wie dieses starke Gefühl von Hass und Verachtung gegenüber Kakashi wieder in mir aufstieg und mich komplett für sich einzunehmen drohte. »Und wie kommst du darauf?«
»Man hat es ihm angesehen … dir auch«, erwiderte die rothaarige Uzumaki und musterte mich, als könnte sie irgendwie nicht glauben, was sie sah. »Und ich habe doch recht, oder? Ich meine, er hätte sich nicht ausgerechnet dich ausgesucht, um ihn zu begleiten, wenn er nicht jetzt, nach zwei Jahren, seine Fehler eingesehen hätte. Das ist wohl das einzig Gute an dem Opfer, das Obito bereit war, für ihn zu geben …«
»Es ist nichts gut daran, rein gar nichts«, erwiderte ich trocken und ballte die Hände in den Taschen meiner Jacke zu Fäusten. »Es ist grauenvoll, genauso grauenvoll wie die Tatsache, dass Shin gestorben ist. Obito hatte den Tod nicht verdient!«
»Aber Kakashi schon?« Die seltsame Ruhe, mit der Kushina sprach, verunsicherte mich einen Augenblick lang. Es lag etwas in ihrer Stimme, das mir im Grunde nur deutlich machen sollte, dass ich mich selbst belog. »Nachdem du ihm zwei Jahre lang hinterher getrauert hast, wünscht du dir, er wäre anstatt Obito von einem Felsen erschlagen worden? Und das, nachdem ihm seine Fehler klar geworden sind und er versucht hat, sich zu entschuldigen? Was genau hat er denn zu dir gesagt, dass du ihn auf einmal so hasst? Erklär es mir, Akira.«
Ich schwieg für einen Moment, in dem ich versuchte, meine rasenden Gedanken, die so voll Hass und Abscheu waren, zu ordnen, um sie irgendwie in Worte zu fassen. Das Letzte, was ich wollte, war, dass Kushina mir Fehler vorwarf, die ich nicht gemacht hatte. Kakashi war schuld, er allein, nicht ich, das musste sie doch begreifen!
»Er hat im Grunde nichts anderes gesagt, als dass es ihm leid tut. Einfach so«, fing ich mit zittriger Stimme an, während ich dem Blick der rothaarigen Uzumaki gezielt auswich. »Ich habe ihn daraufhin angeschrien, ihm gesagt, was für ein Mistkerl er ist, was er mir angetan hat … und weißt du, was seine Antwort war? Dass er das längst weiß, schon eine halbe Ewigkeit lang, und ihm klar ist, dass er mich ohnehin nicht verdient hätte. Merkst du, wie dämlich das ist? Obito ist verdammt noch mal gestorben und er ist am Leben, und alles, alles, was er auf einmal sagen kann, ist, dass es ihm leid tut, es ihm aber im Grunde scheißegal ist, was jetzt aus allem wird! Ihm ist nur wichtig, dass er nicht das selbe Schicksal wie sein Vater erleidet, nichts als das. Warte ein oder zwei Wochen ab, und er wird wieder so, wie diese ganzen, verdammten zwei Jahre lang! Dann bin ich wieder die dumme, blöde Kuh, der er aus reinem Vergnügen wehtun kann, während er … während …« Ich stockte und biss mir so fest auf meine bebende Unterlippe, dass ich glaubte, Blut in meinem Mund zu schmecken.
»Ich glaube, du hast das alles völlig falsch verstanden«, sagte Kushina nach einer Weile, in der wir uns nur schweigend gegenüber gestanden waren. Sie klang völlig ruhig und beherrscht, als hätte sie im Grunde gar keine andere Antwort von mir erwartet. »Weißt du … dich hat das alles, seit Shin gestorben ist, völlig aus der Bahn geworfen, Akira. Du hast dich dadurch, vielleicht unbewusst, verändert, weil du mit der Situation nicht zurechtkommst und versuchst, dich zu distanzieren, weil die Angst, noch einen geliebten Menschen zu verlieren, dich zerfrisst. Und genau das ist es, was Kakashi auch fühlt, auch wenn seine Situation eine völlig andere als deine ist … irgendwie zumindest. Irgendwie ist das, was euch durch die Köpfe gehen muss, komplett verschieden und doch völlig gleich. Verwirrend, ich weiß, aber …« Kushina hielt kurz inne, als suchte sie nach den richtigen Worten. »Jedenfalls … vielleicht hat er sich deiner Meinung nach ungeschickt ausgedrückt, aber ich bin mir sicher, dass er es wirklich so meint. Du hast doch selbst gehört, wie er, nachdem ihr zu Jonin ernannt worden seid, zu Minato gesagt hat, dass er es für besser hält, die Situation so zu lassen, wie sie ist, weil du seines Erachtens nach etwas Besseres verdient hast als ihn? Ist das für dich kein Beweis, dass du ihm so viel bedeutest, dass er im Grunde nur das Beste für dich will?«
Verblüfft starrte ich Kushina an, die mir ein warmes Lächeln schenkte, das irgendwie völlig fehl am Platz zu sein schien. Woher wusste sie, dass ich mitgehört hatte, als Kakashi sich mit Minato unterhalten hatte? Wie hatte sie …?
»Minato hat es mir erzählt, weißt du«, fuhr Kushina fort. »Und du glaubst doch wohl selbst nicht, dass er, der Hokage, es nicht mitbekommen hätte, dass du vor der Tür kurz stehen geblieben bist, als er sich mit Kakashi unterhalten hat?« Die Rothaarige schüttelte nur den Kopf, noch immer zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf ihren Zügen ab. »Kakashi hat es wohl nicht bemerkt, aber wenn doch, so glaube ich, dass er vielleicht sogar froh darüber war, dass du die Wahrheit endlich erfahren hast, wenn auch gewissermaßen unbeabsichtigt. Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass ich nicht glaube, dass du ihm die ganzen zwei Jahre lang egal warst, oder? Und so ist es auch, auch wenn der Moment, den er gewählt hat, um endlich seine Fehler zu begreifen, für dich furchtbar sein muss, weil du dir vielleicht vorkommst, wie ein … Ersatz für Obito. Aber das bist du für Kakashi nicht, Akira, das warst du nie.«
Sie hat Recht, flüsterte irgendeine kleine Stimme tief in mir drin mir leise zu, und ich spürte, wie mein Sichtfeld in den Tränen, die in meinen Augen aufstiegen, verschwamm. Verdammt!
»Aber … das ist kein Grund für mich, meinen Schmerz und all den Kummer der letzten beiden Jahre einfach so zu vergessen, als hätte es ihn nie gegeben«, gab ich fast lautlos zurück.
»Vielleicht ist es das nicht, aber du hast immer noch einen Grund, ihm zu verzeihen«, erwiderte Kushina sanft. »Würde es dich denn glücklich machen, so weiter zu machen, wie diese zwei Jahre lang auch, in denen du nur gelitten hast, wenn du Kakashi nur ansehen musstest? Kannst du mit deinem Gewissen leben, wenn Kakashi Reue empfindet und du nicht bereit bist, ihm die Hand zu reichen und eine neue Chance zu geben, um alles besser zu machen?«
Ich schwieg. Senkte den Blick und wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Kushina hatte recht, das musste ich mir eingestehen. Wenn auch ungern.
Und das war nur mehr Grund, mich selbst noch mehr zu hassen. Mich, das Monster.
»Weißt du, manchmal erhält man so eine Einsicht tatsächlich erst in einem Moment, in dem man am wenigsten damit gerechnet hätte … oder gerade dann, wenn es beinahe zu spät ist«, sagte Kushina nun, und das Lächeln, das auf ihren Lippen lag, wirkte auf einmal traurig und ein klein wenig wehmütig. »Kakashi und Obito waren nach außen hin nie Freunde und alles, was sie zusammengehalten hat, waren Hass und der Zwang, als Team arbeiten zu müssen. Und trotzdem war Obito in dem Augenblick, als er die Wahl zwischen Leben und Tod hatte, sich dafür entschieden, für Kakashi zu sterben, um ihn zu retten. Verstehst du, was ich damit sagen will? Wenn du jetzt nicht die Initiative ergreifst und Kakashi verzeihst, für ihn da bist, gerade jetzt, wo er dich am meisten braucht, dann … dann wird es ihm ähnlich wie seinem Vater ergehen. Wenn nicht sogar genauso.«
Etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen bei dem bloßen Gedanken daran, Kakashi tot von der Decke baumelnd vorzufinden, einen Strick um den Hals, mit dem Wissen, dass es womöglich allein meine Schuld war, dass das Leben ihn letzten Endes umgebracht hatte …
Kushina holte einmal tief Luft, als müsste sie sich beherrschen. Dann fuhr sie fort: »Kakashi hat gesagt, dass er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten will. Und ich glaube, damit wollte er nicht sagen, dass er nicht, genau wie Sakumo, dazu bereit wäre, für seine Kameraden zu sterben, auch wenn das die Schmach und die Verleumdung aller andere bedeuten würde, sondern … sondern dass er nicht will, dass ihm nach all seinen Fehlern letzten Endes nur noch der Tod bleibt, weil er niemanden sonst mehr hat, niemanden, der bereit ist, ihm zu verzeihen …«
»Er hat immer noch Rin«, gab ich kraftlos zurück, in dem schwachen Versuch, mich selbst zu verteidigen. Ich spürte, wie mein Herz beinahe schmerzhaft gegen meine Rippen pochte und das schlechte Gewissen in mir wie Galle aufstieg. Was war ich nur für ein Unmensch, was für ein Monster? »Rin liebt ihn, das weiß doch jeder. Sie würde immer für ihn da sein, sie würde …«
»Ja, das würde sie«, unterbrach Kushina mich ruhig. »Aber Rin ist nicht du, verstehst du? Rin ist nicht die, die Kakashi bereits sein ganzes Leben lang kennt, nicht die, die ihm so viel bedeutet wie kein anderer Mensch. Nicht die, nach der er sich sehnt. Und vor allem ist Rin nicht die, die er so sehr verletzt hat, dass es ihm selbst wehtut.«
Ich senkte den Blick. Eine kleine Träne stahl sich aus meinen Augenwinkeln und lief meine Wange hinab, wo sie eine brennende Spur hinterließ, die mich beinahe schmerzhaft daran erinnerte, wie ich gestern mit Kakashi umgegangen war. Wie ich ihn angeschrien hatte, ihm sogar, wenn auch nicht direkt, den Tod gewünscht hatte … Was musste er gefühlt haben, als ich ihm derart Unrecht getan hatte?
»Und selbst wenn ich ihm verzeihen wollte, für Kakashi wäre das kein Segen. Du siehst doch, was für ein Monster ich bin, welches Leid ich ihm zugefügt habe in meiner blinden Wut … und dennoch behauptest du, aus mir würde einmal eine berühmte Kunoichi werden? Dass ich wirklich weitermachen soll, wo ich doch offenbar nie etwas richtig machen kann? Ich verstehe zwar, was du vorhin gemeint hast, aber das …«
»Verständnis ist der erste Schritt, um zu einer legendären Kunoichi zu werden«, unterbrach Kushina mich sanft und schenkte mir ein warmes Lächeln. »Und es ist auch der erste Schritt in eine bessere Zukunft, selbst wenn es zunächst nicht so scheint. Glaub mir.«
Ja, das wollte ich. Ich wollte Kushina glauben, so sehr. Dennoch war alles, was ich daraufhin hervorbrachte, leises Schluchzen. Tränen, die lautlos über meine Wangen liefen und schließlich auf den schmutzigen Stoff meiner Jacke tropften.
Aber das schien Kushina Antwort genug.
Erneut zog sie mich in ihre Arme und strich mir sanft durch das Haar, so, wie meine Mutter es früher auch oft getan hatte. »Es wird alles besser werden, Akira, das verspreche ich dir.«
Ich hoffte es. So sehr.

Schweigen.
Schweigen war meine Zuflucht, meine Furcht und mein Schmerz zugleich. Schweigen war eine Mauer, die ich um mich herum errichten konnte, um mich von meiner Außenwelt ab zu seilen und mich allein meinen Gedanken hingeben zu können. Schweigen war Segen und Fluch zugleich. Und außerdem war es alles, was blieb, während wir unseren Weg nach Konoha fortsetzten.
Als schließlich die Brücke Tenchikyō**, die Kusa no Kuni mit dem Feuerreich verband, in Sicht kam, bemerkte ich, wie alle sich sichtlich entspannten, als wäre ihnen eine schwere Last von den Schultern genommen worden. Zwar war die Wahrscheinlichkeit, noch von Feinden aus Iwagakure überrascht zu werden, sehr gering, dennoch waren wir hier, im Feuerreich, auf jeden Fall sicher, da feindliche Truppen bislang nicht bis dorthin vorgedrungen waren.
Fertig.


Wir hatten es geschafft. Die beiden Brücken waren gesprengt worden, die Sabotage erfolgreich gelungen – und dennoch war es kein Erfolg, kein Stolz und Triumph, der mein Herz erfüllte, während ich weiterging. Ich hatte auf dieser Mission etwas Entscheidendes verloren. Nicht nur Shin – auch meinen Glauben. Meinen Glauben, der nun irgendwo dort bei der Asche ruhte, zu der man den Inuzuka verbrannt hatte. Meinen Glauben daran, dass es besser werden würde, dass ich nicht ganz verloren hatte, in dem Spiel, das sich mein Leben nannte.
Was blieb, war die Hoffnung. Die Hoffnung, nichts als ein schwaches Abbild des Glaubens. Hoffnung war durchsichtig und nicht greifbar, genau wie Nebel, Hoffnung war im Grunde nichts als verzweifelt gewordene Unsicherheit.
Den ganzen Weg über zerbrach ich mir nun den Kopf darüber, wie ich all die Fehler, die ich gemacht hatte, wieder gut machen konnte. Es war beinahe unerträglich, mit Kakashi reisen zu müssen, weil ich immer, wenn unsere Blicke sich kurz trafen, daran denken musste, was ich angerichtet hatte. Was Kushina mir erzählt hatte. Dass es jeder Zeit zu spät sein konnte, dass er bald, genau wie sein Vater …
Verdammt, denk nicht daran! Du wartest jetzt noch ein oder zwei Tage und dann springst du über deinen Schatten und entschuldigst dich bei ihm!


Oder würde es in ein oder zwei Tagen schon zu spät für eine Entschuldigung sein? Genau wie damals, vor zwei Jahren, als ich gerade dann für Kakashi da sein wollte, als er mich nicht mehr brauchte? Damals hatte ich ebenso wie jetzt nicht verstanden, wie es ihm ging, was er durchmachen musste – und dann war es zu spät gewesen für Umarmungen und tröstliche Worte.
War es womöglich schon jetzt zu spät? Ich sandte ein stilles Stoßgebet zu den Göttern, obwohl sie mich doch offenbar verlassen hatten, damit sie über Kakashi wachten und ihm helfen würden, bis ich selbst endlich dazu imstande war.
Es passiert einfach zu viel. Und alles, was ich brauchte, war Zeit. Zeit, die ich womöglich nicht haben würde. Zeit, um die ich nur noch die Götter anflehen konnte.
Bitte!
»Kakashi …«, hörte ich auf einmal Rins besorgte Stimme. Sie lief ein paar Meter vor mir, dicht neben Kakashi, der ebenfalls kaum mehr ein Wort geredet hatte – seit dem Gespräch mit mir. »W...weinst du etwa?«
Sofort wurde ich hellhörig und das schlechte Gewissen drohte, mich von den Füßen zu reißen. Es war ein beinahe ohnmächtiges Gefühl, das es in mir auslöste, und meine Gedanken überschlugen sich. Deine Schuld, nur deine!, schrie alles in mir und hallte beinahe schmerzhaft laut immer wieder in mir wider, bis –
»Nein, nein, schon gut«, murmelte Kakashi völlig abwesend und strich sich mit der freien Hand über sein rechtes Auge – oder wo es früher einmal gewesen war –, vermutlich, um die Tränenspuren hastig wegzuwischen. »Es … es tränt nur.«
Etwas wie Erleichterung drohte sich in mir auszubreiten, doch ich wusste, ebenso gut wie Rin und Kakashi selbst, dass er gelogen hatte. Auch wenn das Sharingan, das Obito Kakashi kurz vor seinem Tod geschenkt hatte, weil er sein Auge im Kampf verloren hatte, den Hatake viel Chakra kostete, so hatte sich dennoch bei der Implantation keine Schwierigkeiten gegeben, die irgendeine Entzündung hervorrufen hätte können. Dazu verstand Rin ihr Handwerk einfach viel zu gut.
Schweigend setzten wir unseren Weg fort und ich begann, mich selbst immer mehr dafür zu hassen, dass ich es trotz allem nicht schaffte, Kakashi jetzt einfach in die Arme zu schließen, wo er doch augenscheinlich so sehr litt und mich brauchte. Aber irgendetwas in mir wehrte sich dagegen; vermutlich der Teil, der Shin noch immer furchtbar hinterher trauerte und Kakashi dementsprechend für einen Mistkerl hielt. Oder vielleicht hatte auch einfach nur die lauteste Stimme von allen gerade die Oberhand – nämlich meine eigenen Feigheit, für die ich mich im Grunde schämte.
Idiotin.



Als die Sonne bereits tief am Himmel stand und alles in ein sanftes Rot-Orange tauchte, kamen schließlich die ersten Häuser Konohagakures vor uns in Sicht. Insgeheim beneidete ich sämtliche Bewohner des Dorfes dafür, dass sie weiterhin ein ruhiges Leben führen konnten, völlig isoliert vom Krieg, der bislang nicht in dieses Gebiet vorgedrungen war – weil wir es verhindert hatten

. Hatten diese Leute es überhaupt verdient, derart geschont zu werden? Hatten sie es verdient, völlig normal weiterleben zu dürfen, während die Shinobi aus Konohagakure bis zum Tod kämpften und bereit dazu waren, Blut zu vergießen, nur, um Hi no Kuni und seine Einwohner zu beschützen?
Ich wusste es nicht. Und im Grunde war es egal, weil ich jetzt nichts mehr an dieser unumstößlichen Tatsache ändern konnte und es vermutlich auch nie tun würde. Alles, was ich jetzt noch wollte, war, endlich wieder nach Hause zu kommen und mich in das weiche Bett meiner Mutter schlafen legen zu können. Die letzten Tage hatte ich nur auf hartem Boden geschlafen, in einem dünnen Schlafsack liegend, und hatte sowieso kein Auge zugetan, aus Angst, Schmerz und Kummer.
Ob ein weiches Bett und der schale Duft meiner Mutter, der noch an Kissen und Decke haftete, etwas daran ändern würde, würde ich wohl erst noch herausfinden müssen.
Vielleicht unbewusst, vielleicht auch absichtlich, kamen wir schließlich an meinem Haus vorbei. Ich räusperte mich leise, merkte, wie ausgedörrt meine Kehle war. »Darf … darf ich jetzt gleich nach Hause?«, fragte ich schließlich vorsichtig und war darauf gefasst, eine Absage zu erhalten. Immerhin würden wir über die Mission Bericht erstatten müssen.
»Natürlich«, meinte Minato nur und schenkte mir ein kleines Lächeln, das völlig fehl am Platz war. Kurz verdüsterte sich seine Miene. »Ich kann wirklich nicht von dir verlangen, dass du dabei sein musst, wenn wir Shins und Obitos Familie … alles erzählen.«
Ich schluckte und biss die Zähne fest aufeinander, um nicht, wie schon so oft in den letzten Tagen, in lautes Schluchzen auszubrechen. »Danke«, murmelte ich stattdessen leise, und wollte mich gerade umdrehen und meine Haustür aufsperren, als ich auf einmal direkt in die bernsteinfarbenen Augen Kohakus blickte. Der Ninken saß nun direkt vor mir, noch immer verklebten Ruß und Blut sein langes, schwarzes Fell.
»Aber du musst jetzt auf Akira aufpassen, ja? Versprich mir das.«

Shins letzte Worte. Natürlich.
Kurz kraulte ich Kohaku im Nacken, lächelte etwas unbeholfen. Der Ninken winselte leise und vergrub seine Schnauze in meiner Hand. Ab sofort würden wir zusammenhalten müssen, Kohaku und ich. Würden eine kleine Familie sein, irgendwie ein perfektes Schauspiel, das sich nur gut über die Bühne bringen ließ, weil wir etwas hatten, das uns auf ewig aneinander binden würde: Shin.
Vielleicht war der Ninken gerade das, was ich brauchte. Eine Erinnerung an Shin, lebendig und aus Fleisch und Blut, etwas, das mir zeigte, dass der Inuzuka gar nicht so weit fort war, wie wir alle es vielleicht glaubten.
»Bis … dann«, meinte ich kurz angebunden zu den anderen, die mich abwartend ansahen. »Und … danke noch mal.«
Kurz fing ich Kakashis Blick auf, spürte erneut den dicken Kloß in meinem Hals. Lass mir etwas Zeit, versuchte ich ihm vergeblich wortlos zu sagen, während ich ihn noch für die Dauer eines Wimpernschlags ansah, ehe ich mich abwandte.
Rin, Kushina, Minato und Ren nickten mir noch einmal kurz zu, während ich die Haustür aufsperrte, ehe sie ihren Weg fortsetzten. Kakashi war bereits vorangegangen; Rin beeilte sich nun, um ihn aufzuholen und redete eindringlich auf ihn ein – Kakashi selbst schien entweder keine Notiz von ihr zu nehmen oder sie absichtlich zu ignorieren.
Als ich schließlich mein Haus betrat, war es keine liebevolle Umarmung oder ein fröhliches »Endlich bist du wieder da, Akira! Wie war dein Tag?«, mit dem ich begrüßt wurde, sondern alles, was mich empfing, war Stille in Form von Dunkelheit und Leere.
Die Tür fiel mit einem beinahe endgültigen Laut hinter mir ins Schloss, im selben Moment spürte ich, wie Kohakus weiches Fell meine Beine streifte. Der Ninken sah sich misstrauisch um, erneut jaulte er leise, weil nirgends das war, wonach er so verzweifelt suchte.
Hier war weder Shin, noch meine Mutter. Hier war Leere, Stille und Dunkelheit. Hier waren Kohaku und ich, völlig allein und verlassen. Unserem Schmerz überlassen.
Als ich spürte, wie die ersten Tränen lautlos meine Wangen hinab liefen, ließ ich mich völlig entkräftet zu Boden sinken, lehnte mich an den Türrahmen und begann, zu schluchzen. Kohaku vergrub seine Schnauze in meinem Schoß und winselte seinerseits leise, die Augen geschlossen.
»Es wird alles besser werden, Akira, das verspreche ich dir.«
Bitte, lass es die Wahrheit sein. Bitte!


Die Götter blieben stumm.


Impressum

Texte: Die meisten Figuren, sowie alle Schauplätze und große Teile der Handlung gehören dem genialen Masashi Kishimoto; ich locke sie nur mit Keksen, spiele ein wenig mit ihnen und lege sie anschließend (mehr oder weniger) unbeschadet wieder zurück. Die Rechte jedes einzelnen Wortes, das hier aneinander gereiht wird, liegen allerdings bei mir und einige Personen sind ebenfalls mein geistiges Eigentum, das ich nicht wieder hergebe. Nie.
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch einem meiner absoluten Idole - nämlich Masashi Kishimoto, ohne den es meine Geschichte gar nicht erst geben würde. Immerhin braucht jeder von uns diese eine Mauer, die er überwinden will - ich habe sie in diesem brillanten Mangaka gefunden, weil er sich darauf versteht, eine Geschichte voll mit Witz, Freundschaft, Philosophie und Themen, die wir auch im alltäglichen Leben wiederfinden, zu weben. Awesome. (:

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