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Ein bekanntes Geräusch




Es ist lange her. Dezember 1991, um genau zu sein. Ich weiß noch, dass ich mit meiner Nichte Viola (die Tochter meiner Schwester Ria) auf dem Boden im Esszimmer saß, irgendein Gesellschaftsspiel vor uns, mit dem wir uns gemeinsam die Zeit vertreiben wollten. Alles war ganz still.
Ich war so in das Spiel vertieft, dass ich es zuerst gar nicht wahr genommen habe. Das Geräusch, dass Krücken machen, wenn ein Mensch seine Beine nicht mehr richtig gebrauchen kann. Ein wohl bekanntes Geräusch, sehr vertraut, weil schon viele Jahre gehört. Tock-Schritt, Tock-Schritt. Es war mir deshalb nicht aufgefallen, eben weil es so vertraut war. Ich kannte es einfach zu gut. Kein unangenehmes Geräusch. Doch dann fiel es mir ein und ich hob das Gesicht, weniger um etwas zu sehen als vielmehr um mich zu vergewissern, ob ich richtig gehört hatte und weil die Realität langsam wieder in mein Bewusstsein drang.

Es war noch immer zu hören und spätestens jetzt hätte ich mich selbst einen Narren geschimpft und es wohl sehr bald aus meinem Kopf verdrängt. Aber das konnte ich nicht. Denn in dem gleichen Augenblick, in dem ich den Kopf hob, schaute mich Viola fragend an, sie hatte es auch gehört. Wir hatten beide gleichzeitig den gleichen Gedanken. Es war exakt das Geräusch, dass man hören konnte, wenn mein Vater von der Toilette zurück wollte in seinen Sessel, der noch immer im Wohnzimmer stand, ausgebeult von den vielen Stunden die er in Gebrauch war.
Aber er war nicht mehr in Gebrauch. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Die schlimme Nachricht




Seinem Tod ging ein Krankenhausaufenthalt voraus, über dessen Ernst ich mir nicht mal im Klaren war. Mit keinem Wort wurde mir mitgeteilt, wie schlecht es wirklich um meinen Vater stand. Ich bin noch nie gern in ein Krankenhaus gegangen. So kam es, dass ich ihn dort nicht ein einziges mal besucht habe. Als ich es endlich doch tat, war es bereits zu spät.
Denn plötzlich hieß es, es ging ihm schlecht. Als ich das hörte, hatte ich sofort ein ungutes Gefühl denn, wie gesagt, ich wusste nicht, wie schlimm sein Zustand war. Und im Krankenhaus war er relativ oft.
Jetzt aber war es plötzlich ernst, wir (meine Mutter, meine Schwester Evelin, ihr Mann Robert und ich) fuhren gemeinsam in die Klinik, wo man uns zunächst warten ließ. Bis dann schließlich eine Schwester ziemlich unverblümt sein Verscheiden mitteilte. Ich kann mich trotz der schockierenden Nachricht noch ziemlich gut an ihre Kaltschnäuzigkeit erinnern, mit der sie auf Vorwürfe meiner Schwester, warum wir nicht früher informiert wurden, reagierte. Sie erschien mir sehr unangebracht.
Meine Mutter fiel in sich zusammen, wurde irgendwie kleiner von diesem Moment an und davon erholte sich sich auch nie wieder richtig. Mein Schwager tröstete seine Frau und ich konnte es irgendwie nicht glauben, war doch nie von einer lebensbedrohenden Situation die Rede.
Das Zimmer, in dem er lag, war leer, jedenfalls redeten wir uns das alle ein und wollten uns auch nicht unbedingt vom Gegenteil überzeugen lassen, obwohl ich einen Blick hinein warf und das belegte Bett sah, eine Decke über den Körper gezogen. Ich habe es dabei belassen. Dies wäre wohl die letzte Chance gewesen, ihn noch einmal zu sehen. Ich ließ sie ungenutzt vorüber gehen. Es gab keinen Abschied.

Der Himmel weinte




Die Beerdigung war eine sehr schlimme Erfahrung, dazu mit einigen Pannen. Bei den Worten des Priesters an seinem Grab wurden die Namen verwechselt. Es waren sehr wenige Menschen da und es regnete in Strömen und war sehr kalt. Mein Vater hatte keine Freunde und die Verwandtschaft...naja. Ich habe an diese Dinge nur noch sehr wenig Erinnerung.

Ich weiß noch, dass ich zitterte wie Espenlaub, ob der Kälte wegen oder nicht, ich wusste es damals nicht und ich weiß es noch heute nicht. Viola war noch sehr jung damals, aber sie versuchte, mich etwas zu stützen. Wir hatten einen sehr guten „Draht“ zueinander. Ich hatte damals keinen Menschen, an den ich mich hätte lehnen können, so lehnte ich mich an sie.

Ein leises Auf Wiedersehen




Und nun dieses Geräusch, dass sowohl Viola als auch ich gehört hatten und das wir beide nicht unterschiedlich werteten. Die Geräusche waren zu eindeutig. Der Gang meines Vaters. Aber die Tür zum Wohnzimmer ging natürlich nicht auf. Es kam niemand herein. Es war danach auch wieder völlig still.

Viola und ich sprachen kurz darüber und damit findet diese Geschichte ihr Ende. Für mich war klar, mein Vater hatte sich bei uns verabschiedet. Das gibt mir bis heute Ruhe und Frieden, wenn ich mir dennoch Vorwürfe mache, dass ich ihn nicht besucht hatte, als es noch möglich gewesen war.

Erinnerung




Ich habe ihn heute in lieber Erinnerung, auch wenn er als Vaterfigur nicht unproblematisch war, weniger, weil ihm die Vaterrolle nicht lag sondern vielmehr wegen seiner persönlichen Probleme, die es ihm einfach nicht gestatteten, ein „guter“ Vater zu sein, da sie viel zu viel Raum einnahmen bei ihm. Er wurde nicht mit ihnen fertig und sie führten auch letztlich zu seinem Tod.
Obwohl ich schon damals erwachsen und genau der gleiche Mensch war, der ich heute bin, hatte ich jedoch ein völlig anderes Bewusstsein. Ich sah die Dinge einfach nicht realistisch, aus welchen Gründen auch immer.Ich würde mich heute gerne mit ihm unterhalten über viele Dinge. Aber dafür ist es schon lange zu spät. Doch so lange er in lieber Erinnerung ist, ist er auch nicht vergessen. Und irgendwie glaube ich, dass dies wichtig ist. Für ihn wie für mich gleichermaßen.

Warum?




Ach wie ist mir weh ums Herz, fühle einen großen Schmerz.
sticht mir in mein Herz hinein, sodass eine Trän´ich wein.
Diese Träne rollt herab, fällt zu Boden schließlich dann,
Warum ich vergossen sie, werd ich wissen irgendwann.


Für den Leser




Dieses Buch soll mich euch noch ein Stück näher bringen als mein erstes, "Feuerwerk". Es ist ehrlich, mit großen Erinnerungslücken und ohne große Überarbeitung einfach wieder mal aus dem Bauch heraus geschrieben. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es beim Schreiben genau darum geht und nicht um Perfektion. Perfektion ist wie ein Begriff, der niemals wirklich erfahren wurde. Man weiß wohl, was damit gemeint ist aber es ist tatsächlich nur ein Wort das jegliche Kreativität tötet. Perfektion ist Tod!

Impressum

Texte: Alle Rechte komplett beim Autor, die Namen der Personen wurden von mir geändert
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2013

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