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Kapitel 1


Wenn meine Freundin Joe will, kann sie echt lustig sein. Meistens will sie das aber nicht. Jetzt ist allerdings einer dieser raren Momente.
Erst traute ich meinen Augen nicht und dachte, dass ich vielleicht doch ein Beck’s zu viel hatte. Aber nein, das ist wirklich Joe, die da oben auf dem Tisch steht und einen auf Coyote Ugly macht. Und – das muss man ihr lassen – sie hat’s echt drauf.
Ellen hat es anscheinend auch schon gemerkt und hat sich ihren weg durch zu Menge zu mir an die Theke gebahnt.
„Alter! Zieh dir die Joe mal rein!“ sagte Ellen und zieht mich ganz aufgeregt am Ärmel.
„Ey. Nicht am Ärmel ziehen. Du hast gesagt, du bringst mich um, wenn irgendwas an deinem Pulli sein sollte“ grinse ich und ziehe meinen Arm weg.
Ellen versteht meine Anmerkung aber gar nicht, da sie so von Joe eingenommen ist.
„Ich habe sie noch nie so gesehen“. Ellen kommt echt nicht klar. Die kann die Augen ja nicht eine Sekunde von Joe lösen. Ich kann meine Augen allerdings auch schwer von Joe lösen. Gerade ist sie auf die Knie gegangen und gießt irgendwas über sich. Ich glaube, es ist Wodka.
„Meien Herren!“ sagt Jackson, der plötzlich hinter uns auftaucht. „Wenn eure kleine Freundin da nicht so ne geile Show abziehen würde, würde ich echt ungehalten wegen dem Wodka werden“.
Jackson ist der glückliche Gastgeber dieser Silvesterparty. Und der größte Gigolo im Raum.
„Vergiss es, Konstantin Peter“ grinse ich gehässig.
Ich nenne Jackson gerade aus purer Boshaftigkeit beim richtigen Namen. Denn ich habe das Glück, dass Jackson und mein Bruder schon Freunde seit dem Sandkasten sind und ich deshalb alles über ihn weiß. Auch, dass er sich selber den coolen Namen Jackson verpasst hat, in Wirklichkeit aber auf den extrem langweiligen und uncoolen Namen Konstantin hört. Und da ich wirklich, wirklich nicht möchte, dass er eine meiner besten Freundinnen heute klarmacht, hab ich den noch entwürdigerenden Zweitnamen hinterhergesetzt.
„Fresse halten, Pfefferkorn!“ zischt er mich an. Wahrscheinlich will er sich nicht vor Supermodel-Ellen blamieren. Aber machen wir uns nichts vor. Ellen ist meine beste Freundin auf der ganzen Welt. Natürlcih weiß sie Jacksons richtigen Namen und weiß auch, wie Jackson mir mal seinen ziemlich kleinen Pipimann in der dritten Klasse gezeigt hat. Oh, und wie er in der fünften Klasse mal in unsere Küche gereiert hat, weiß sie natürlich auch. Aber gut, dass Jackson nicht weiß, dass Ellen es weiß. Könnte nicht so super angenehm für mich werden. Normalerweise sollte man es sich mit dem nicht so verscherzen. Aber gut, dass ich da eine Sonderstellung habe.
Auch Ellen scheint von Jacksons plötzlichem Interesse für Joe alarmiert zu sein.
„Du, Jackson, wir müssen mal eben gehen“ sagt Ellen, reißt mich wieder am Ärmel in Richtung Joe und lässt Jackson stehen.
„Ey. Ellen. Nicht am Ärmel ziehen!“ Dieses Mal meine ich es total ernst. Der Pulli war bestimmt voll teuer. Alles von Ellen ist voll teuer. Und ich will nicht, dass sie den jetzt kaputt macht.
„Scheiß auf den Pulli. Wir sollten Joe da runterkriegen. Sofort.“
Da scheint aber jemand ganz schön entschlossen zu sein. Ich für meinen Teil hätte Joe noch zehn Minuten länger gelassen. Sie scheint immerhin echt viel Spaß zu haben. So ausgelassen habe ich sie noch nie gesehen. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich selber ganz schön einen im Kahn habe. Sonst wäre ich vielleicht früher eingeschritten. Gut, dass Ellen erst eben von der Arbeit nachgekommen und deswegen noch nicht so betrunken ist.
Auf dem Weg durch die Menge sehe ich auch wie Jackson sich ebenfalls seinen Weg durch die Menge zu Joe bahnt. Er scheint schneller zu sein.
„Ellen“ sage ich und nicke in Richtung Joe.
„Dieses verdammte Schlitzohr!“ brüllt Ellen gegen die nun ziemlich laut gedrehte Musik.
„Wir kommen vor ihm an. Komme was wolle“ brülle ich entschlossen.
Ich vergesse kurz, dass ich eigentlich zu einem der nettesten und sozialsten Menschen auf diesem Planeten gehöre und bahne meinen Weg an Ellen vorbei. Jetzt ist Ellebogen ausfahren angesagt.
Die meisten schauen auch ziemlich verwundert, woher der Schmerz in ihren Nieren kommt. Tschuldigung, kann ich auch nichts für, dass ich nur etwas über eins fünfzig groß bin. Würden die Leute ein bisschen nach unten sehen, würden sie die Ursache auch erkennen. Naja, wahrscheinlich denken die jetzt, dass Ellen das war. Also eigentlich nur von Vorteil für mich.
„Wir haben ihn abgehängt!“ brüllt Ellen freudig, weil Jackson außer Sichtweite ist. Das ist allerdings komisch, weil Jackson übersieht man auch in großen Massen nicht. Man kann ihn nicht übersehen. Er ist fast zwei Meter groß und misst bestimmt noch mal zwei Meter an den Schultern.
Ich halt mich mit der Freude ein wenig züruck. Zurecht. Jackson war einfach nur viel früher am Ziel.
Na toll. Jetzt tanzt Joe ziemlich verführerisch an Jackson rum.
„Du weißt, dass ich Joe wirklich schätze und lieb habe, nicht wahr?“ fragt Ellen, die erstaunt stehen geblieben ist.
„Äh, ja“ sage ich, nicht wissend, was Ellen von mir will.
„Gut, dann weißt du ja, dass ich es nicht böse meine wenn ich sage: Das ist ja widerlich“. Ellen ist so frei, begleitende Kotzgeräusche dazu zu machen.
„Leider muss ich dir zustimmen“.
Was eben noch ein sexy Coyote Ugly Tanz war, ist jetzt nur noch billiges Rumgrapschen.
Gleichzeitig hören Ellen und ich auf inne zu halten und steigen auf den Tisch.
„Alles klar, Joe. Die Party ist vorbei!“ sage ich während ich versuche an Jackson zu reißen und Ellen an Joe zieht. Aber egal wie sehr wir uns anstrengen. Keine Chance.
„Konstantin Peter! Lass Joe sofort los!“ sage ich so laut es geht, damit es auch alle mitbekommen. Aber das war ein Schuss in den Ofen. Jackson hält Joe nur noch fester.
„Ich regel das – versuch’ die beiden so gut es geht auseinander zu halten bis ich wieder zurück bin“ sage ich und springe vom Tisch. Ellen nickt. Mir bleibt nicht lange um meinen Bruder aufzutreiben. Er ist der einzige, der da noch helfen kann.
Wo ist Simon nur? Überall bekannte Gesichter, keines davon Simon. Mein betrunkener Kopf sieht hin und her. Wahrscheinlich habe ich ihn schon drei Mal gesehen. Der Alkohol in meinem Blut verhindert nur, dass mein Hirn diese durchaus wichtige Information verarbeiten kann. Dabei kann das echt nicht schwer sein. Jackson hat sich dieses Mal echt zurückgehalten. Er hat sich auf ein paar hundert Leute beschränkt. Das ist sehr bescheiden für Jacksons Verhältnisse. Denn wo andere Eltern einen Partykeller haben, hat Jacksons Vater einen Ballsaal. Pharmalobbyist müsste man mal sein.
Und dann sehe ich ihn endlich. Meine letzte Hoffnung. Mein allerliebster Bruder.
„Simon!“ brülle ich. Die Wahrscheinlichkeit, dass er misch hört ist jedoch recht gering. Ich bin zu weit von ihm weg.
„Simon!“ sage ich noch mal und hake mich bei ihm von hinten ein.
Als Simon sich umdreht, sehe ich, dass er sich mit einer äußerst attraktiven jungen Dame unterhält.
„Und das ist meine SCHWESTER“ sagt er zu eben genannten attraktiven jungen Dame. Als er das Wort „Schwester“ sagt, überschlägt sich seine Stimme ein wenig. Anscheinend fand er meinen Auftritt destruktiv.
„Hi“ sage ich und will Simon in Richtung Ellen, Joe und Jackson reißen. „Ich muss mir Simon mal eben ausleihen“.
Aber nicht mit Simon. Simon bleibt stur stehen und bewegt sich keinen Zentimeter.
„Ich werde mich keinen Millimeter von Natalia wegbewegen“ flüstert er mir ziemlich angepisst ins Ohr.
„Es ist aber ein Notfall!“ sage ich.
„So groß kann der Notfall gar nicht sein“ zischt Simon mich an, lächelt aber freundlich in Natalias Richtung.
„Jackson tanzt gerade extrem ekelhaft nah an Joe rum“ sage ich, wovon sich Simon noch recht unbeeindruckt zeigt.
Er will gerade etwas erwidern, da setze ich ihn schach-matt „Und Joe ist auch ganz heiß auf ihn“.
Geht doch. Jetzt habe ich Simons volle Aufmerksamkeit. „Bitte?!“
„Joe scheint sich ziemlich betrunken zu haben“ versuche ich zu erklären.
Simon ist mit Joe schon zusammen in den Kindergarten gegangen. Auf Joe lässt Simon nichts kommen. Auch nicht seinen besten Freund Jackson. Besonders nicht seinen besten Freund Jackson.
„Wo?“ fragt Simon, ziemlich kampflustig.
„Da!“ sage ich und zeige in Richtung Tisch, auf dem die drei eigentlich stehen sollten. Ich schaue derweil Natalia mit Argusaugen an. Sie mag zwar attraktiv sein, aber sie hat irgendwie auch das Wort „Zicke“ auf die Stirn tätowiert. Ich beschließe, dass das zwischen den beiden nichts wird.
Simon hält kurz inne und schaut mich dann an.
„Rosalie, wie viel von den kleinen grünen Flaschen hattest du schon?“ fragt er streng.
Was will der denn jetzt?
„So vier oder fünf?“ sage ich, mir keiner Schuld bewusst.
„Dann schau doch jetzt noch mal genau da hin, wo du eben hingedeutet hast“.
Ich drehe mich um und lasse kleine grüne Flasche Nummer sechs gleich aus der Hand gleiten. Was ich da sehe, stellt nicht mehr die Szene dar, die ich verlassen habe. Keine Ellen, die versucht Joe und Jackson auseinanderzuhalten. Nein. Ellen, die mit Jackson rummacht. Und das auf ziemlich nuttige Art und Weise.
„Aber...“ versuche zu einen Erklärungversuch zu starten, starre immer noch auf die bizarre Szene.
„Ich bin weg“ sagt Simon und zischt wieder Richtung Natalia ab. „Ellen kann ich schon lange nicht mehr vor Jackson bewahren“.
Ich bin viel zu perplex um etwas zu antworten.
Eigentlich hatten wir ausgemacht, dass Ellen das mit Jackson lässt. Aber das scheint sie sich wieder anders überlegt zu haben. Und wo ist eigentlich Joe?
Als ich mich frage, wo Joe abgeblieben ist, bin ich auch wieder handlungsfähig. Ich schaue auf die Uhr und lasse einen Seufzer ab. Gerade mal viertel vor zwölf und schon läuft wieder alles aus dem Ruder. Ich weiß, wieso ich mich immer wieder danach sehne abzuhauen und einen Laden für Handarbeitsbedarf irgendwo tief im Harz zu eröffnen. Meine Freunde sind allesamt wahnsinnig.
Au weia! Viertel vor zwölf! Gleich ist doch Silvester! Ich muss ganz schnell Joe finden. Ellen und Jackson lasse ich lieber mal alleine. Da will ich nicht zwischengehen. Zu abartig.
Ich gehe also lieber nach draußen. Irgendwie habe ich nämlich eine Vorahnung.
Oh, und die Vorahnung wird bestätigt.
Joe hockt über dem Beet und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Unsere Freundin Tina hat sie gefunden und hält ihr tapfer die Haare.
„Alles okay bei euch?“ frage ich und geselle mich zu den beiden.
„Also mir geht’s prächtig“ sagt Tina und zuckt mit dem Schultern. „Aber Joe hat Robins Special-Silvestermix so gar nicht vertragen“.
Jetzt wird alles klar.
Trinke niemals – wirklich – NIEMALS irgendeinen von Robins special Getränken. Die hauen dich aus den Socken.
Robin ist Tinas Freund und studiert schon im gefühlten siebenhundertsten Semester Pharmazie. Der kann Sachen zusammenmischen, das ist nicht mehr feierlich. Das Erstaunliche dabei ist, dass der irgendwie nie mehr als Hustensaft und ABC-Pflaster dafür braucht.
Ich kann da auch ein Liedchen von singen. Aber das will ich an dieser Stelle nicht ausführen.
„Kannst du mich hier mal eben ablösen? Ich muss wirklich mal ganz dringend Lulu“ sagt Tina mit verknautschtem Gesicht.
„Klar. Wenn du mir auf dem Rückweg noch ein Bier mitbringst“ sage ich und stelle mich hinter Joe um ihre Haare zu halten.
„Danke“ sagt Tiina und zieht ab.
Meine Herren. Da kommt aber ganz schön viel aus der armen Joe raus.
„Alles klar bei dir da unten?“ frage ich, kriege aber nur einen gemurmeleten Buchstabensalat zu hören. Das heißt wohl nein.
Das geht dann jetzt ein paar Minuten so und ich fange ein bisschen an mich zu langweilen. Außerdem ist es echt kalt.
„Und sonst so?“ frage ich, nicht wirklich auf Antwort hoffend.
„Ja, nee, mir auch. Ja, wirklich gutes Wetter und so“ sage ich, um mich nicht allzu sehr zu langweilen. Wo bleibt eigentlich Tina? So lange kann das doch nicht dauern um aufs Klo zu gehen und ein Bier zu besorgen.
„Was machst du da eigentlich mit Jackson? Der ist doch der größte Schürzenjäger im Umkreis von 100 Kilometern“ stelle ich fest, abermals nicht auf eine Antwort hoffend.
Aber, oh Wunder, Joe sagt etwas wie „Oh mein Gott“. Könnte aber auch „So ein Schrott“ gewesen sein.
Und dann höre ich, wie endlich die Türe aufgeht. In freudiger Erwartung drehe ich mich um. Aber dann sehe ich, dass es nicht nur Tina ist. Nein, es sind gleich alle.
Bevor ich mich fragen kann, was jetzt schon wieder los ist, fängt auch schon das Feuerwerkgeballer an. Vor Schreck lasse ich Joes Haare fallen.
Gerade noch rechtzeitig fange ich die Haare wieder auf, bevor ein erneuter Schwall aus Joe rausbricht. Puh. Gutes Timing!
“Sorry, Joe” sage ich und schaue nach, ob alles gut gegangen ist mit den Haaren. Jap. Alles paletti und trocken.
„Da bist du ja!“ höre ich eine vertraute Stimme hinter mir sagen. Und ich bete noch, dass die Person, die zu der Stimme gehört, nicht das tut, was ich vermute, dass sie gleich tun wird.
„Nein, Jan. Auf keinen Fall...“ versuche ich noch die Situation zu retten. Aber zu spät. Jan hat mich schon in seine Arme gewirbelt und drückt mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Uiuiui. Da scheint mich ja aber jemand ziemlich vermisst zu haben. Mir werden die Knie ganz weich.
„Ich hab dich überall gesucht, Hasenzahn! Frohes neues Jahr!“ grinst Jan mich an und drückt gleich noch einen Kuss nach. Ich bin so benebelt, dass ich die arme Joe ganz vergessen habe.
Sofort löse ich mich und drehe mich hektisch Richtung Joe um. Zu spät. Sie hat sich vollgereiert.
Jan hat sich im selben Moment umgedreht wie ich und sieht das Malheur. Innerhalb einer Millisekunde hat er sich von mir gelöst und drei Meter Abstand genommen weil er Joe und die Kotze gesehen hat.
Da sollte Jan wirklich mal was dran ändern. Medizin studieren und keine Kotze sehen können könnte sich auf Dauer als unvereinbar erweisen. Pussy.
„Übrigens: Ich halte Joe gerade die Haare beim Reiern. Bitte reiß mich nicht weg“ sage ich trocken, setze aber ein Grinsen nach.
„Äh ja, das habe ich jetzt auch gesehen“ sagt Jan und versucht auch tapfer zu grinsen wärhend ich mich Joe wieder zuwende.
„Muckilein, tu’ der Mutti mal nen Gefallen und schaff ihr ein Bier ran, ja?“ sage ich und schaue zu Jan auf.
„Aye aye, Käpt’n“ sagt Jan und macht einen salutierenden Abgang. Er ist wahrscheinlich heilfroh, aus dem Kotzradius gehen zu können.
Besser ist das vielleicht auch. Ich kenne Jan. Irgendwann wird dem so schlecht von dem Geruch, dass man ihm dann die Haare halten muss.
„Frohes neues Jahr, armes Bubu“ sage ich zu Joe und streiche ihr über die Wange. Ich wette, keiner will Joe heute einen Neujahrkuss geben.
„Gefklgfrnewhu“ sagt Joe. Sie scheint mir auch ein frohes neues Jahr zu wünschen.
„Wie sieht die denn aus?“ sagt Tina und schaut mich strafend an.
„Jan hat wieder mal nen Schwanztunnelblick gehabt und nicht gesehen, dass ich hier gerade beschäftigt bin“ lache ich.
„Die Haare fass’ ich jetzt aber nicht an“ sagt Tina angeekelt.
„Hab’ dich nicht so“ sagt Ellen, die plötzlich hinter Tina auftaucht und übernimmt das Ruder.
„Sauber!“ sage ich und nehme Tina das Bier aus der Hand.
„Ey, das ist meins“ versucht sie zu protestieren.
„Erst lässt du mich eine gefühlte Ewigkeit allein und dann bringst du mir nicht mal das versprochende Bier mit. Das ist die Strafe“ grinse ich und strecke Tina auch ein bisschen die Zunge raus.
„Naj gut, ich gebe mich geschlagen“ sagt Tina dann und zuckt die Schultern.
Ich trinke zufrieden aus meinem Bier. Oho. Sogar noch dreiviertel voll.
„Hey Kotzbacke. Wie ist die Lage?“ ruft Tina Richtung Joe. Keine Antwort.
„Alles klar.“
„Was war das denn gerade für eine Aktion mit Jackson?“ frage ich Ellen mit einer gehörigen Portion Vorwurf in der Stimme.
„Komm’ mir nicht mit der Vorwurfsnummer“ sagt Ellen angespannt. „Ich habe hier eindeutig einen Orden der Selbstlosigkeit verdient!“.
Tina und ich schauen sie skeptisch an.
„Wirklich“ sagt Ellen „Das war das letzte mir zur Verfügung stehende Mittel. Anders konnte ich Jackson nicht dazu bringen von der armen Joe abzulassen“.
Jetzt macht es auch Sinn.
„Good Job! Mama ist stolz auf dich“ sage ich und tätschel Ellen die Schulter.
„Aber machen wir uns nix vor. Ganz so uneigennützig, wie du das hier darstellst, war es sicher nicht“ sagt Tina zwinkernd. Wir wissen alle, was sie meint. Gerüchte haben verlauten lassen, dass Jackson einen so niederknutschen kann, dass einem die Lichter ausgehen.
„Stimmt“ grinst Ellen und beugt sich dann zu Joe runter, die irgendwas zu murmeln scheint.
„Mausebacke, hier ist dein Bier. Mit ganz viel Liebe gezapft“ sagt Jan stolz aus sicherer Entfrenung zu Joe „und deinen Mantel habe ich dir auch mitgebracht. Deine Lippen sind ja schon ganz blau“.
„Danke, Schatzilein“ sage ich dankebar, ziehe schnell den Mantel an und gebe ihm einen dicken Kuss.
Das scheint Jan gleich wieder falsch zu verstehen. Seine Hände wandern tiefer.
„So dankbar dann auch wieder nicht“ lache ich und nehme das Bier aus seiner Hand. Kurz ein enttäuschtes Gesicht seitens Jan. Jan wird immer unendlich geil, sobald er auch nur ein bisschen was getrunken hat. Vielleicht sollte ich ich ihm was von Robins Special.Mix verabreichen. Dann will der gleich gar nix mehr – außer schlafen vielleicht. Ach nee, dann schnarcht der wieder so. Naja. Machste nix. Männer.
„Juhu, jetzt habe ich zwei“ grinse ich glücklich und drehe mich wieder zu meinen Freundinnen.
„Wieso hat Joe sich eigentlich so betrunken?“ fragt Jan dann.
„Robin“ sagen Tina und ich gleichzeitig.
„Das ist bitter“ sagt Jan und weiß Bescheid. „Wo ist der überhaupt?“.
„Man weiß es nicht“. Tina zuckt abermals die Schultern.
„Wenn ich den finde, folter ich ihn bis er erbitterlich nach seiner Mama schreit“ kommt es aus Richtung Joe.
„Joe! Du lebst wieder!“ sage ich glücklich. Das ist Joe, wie ich sie kenne.
„Oh oh. Dann suche ich mal lieber Robin und bringe ihn in Sicherheit“ sagt Tina und stritzt ab. Man sollte sich besser nich mit Joe anlegen.
„Besser ist das vielleicht“ grinst Jan schadenfroh. Seine Hände wandern schon wieder da hin, wo ich sie in der Öffentlichkeit nicht so gerne habe.
„Schatzepups. Wenn du endlich damit aufhörst, verspreche ich dir, dass ich gleich alles mache, was du willst“ flüstere ich Jan verführerisch ins Ohr. „Aber erst musst du deine Hand aus meiner Hose nehmen. Echt.“
Wie dumm von mir. Jetzt hat Jan einen Blick der Kategorie „extrahorny“ drauf. Na super. Ich will aber noch nicht gehen. Und ich will es ganz bestimmt nicht wieder in Jacksons Speisekammer treiben. Das letzte Mal hab ich mir dabei fast den Hals ausgerenkt.
Aber es sieht aus, als wäre die Gefahr gebannt. Simon kommt überraschend und gibt Jan eine schöne Umarmung von hinten.
Jan schaut kurz verwirrt und scheint für eine Millisekunde zu überlegen, ob das seine Geilheit noch steigern sollte, entscheidet sich aber sofort dagegen. Geht doch.
„Jannilein. Ich hab dich soooo vermisst“ sagt Simon und kuschelt sich liebevoll in Jans Nacken.
Jan findet das anscheinend nicht so toll und geht ein wenig auf Abstand.
„Guck mal Simon, hier steht deine herzallerliebste Schwester. Die würde viel lieber mit dir kuscheln“ versucht Jan Simon an mich abzuschieben. Aber nicht mit mir.
„Aufgrund nicht vorhandener Blutsverwandschaft schließe ich das sofort aus“ sage ich und gehe ebenfalls auf Abstand. Simon und ich sind nur Stiefgeschwister.
Simon scheint ganz meiner Meinung zu sein. Er bleibt lieber in tiefster Umarmung mit Jan.
„Simon, guck mal! Da steht Jackson. Und der hat ein Bier in der Hand. Das könnte dein Bier sein! Geh’ und hol’ es dir!“ versucht Jan sich aus der Umarmung zu befreien.
„Schwach, Jan. ganz schwach“ sage ich nur trocken, habe aber doch ein wenig Mitleid mit Jan, denn Simons betrunkene Umarmungen können bis in die Ewigkeit gehen.
Doch Jan hat Glück. Robin ist aus der Versenkung aufgetaucht und Simon lässt Jan los in der freudigen Erwartung, dass es jetzt so richtig zur Sache gehen wird.
"Eeeey Leude, was geht ab?" fragt Robin, der mit ausgebreiteten Armen in die Runde läuft. Ich erfreue mich an der Tatsache, dass er noch nicht weiß, dass er jetzt so richtig Stress mit Joe bekommen wird. Und wahrscheinlich mit Tina. Und vielleicht mit mir - je nach dem, ob Ellen jetzt wieder dauerhaft mit Jackson anfängt. Lauf nur ins Verderben, du ahnungsloses kleines Lamm, der böse Wolf steht da hinten am Bett und wird dich in etwa drei Sekunden zerfleischen.
"Hast du eigentlich noch alle Murmeln beisammen, du blöder Blödmann?" faucht Tina ihn an. "Blöder Blödmann" flüstert Jan in mein Ohr und stellt sich hinter mich. "Nice."
"Was geht denn jetzt hier ab?" fragt Robin und zuckt verwundert die Schultern.
"Was hier abgeht?" zischt Tina und fuchtelt gefährlich nah mit ihrem Zeigefinger vor Robins Gesicht rum.
"Das sieht nicht aus, als hätte Tina das im Griff. Das sieht reichlich unkoordiniert aus" sagt Jan und schlingt seine Arme um mich. Wer hat Jan eigentlich dazu aufgefordert, die ganze Szene zu kommentieren? Ich verpasse noch die Hälfte, wenn der nicht endlich mal die Klappe hält.
"Ich sag dir was hier abgeht!" faucht Tina weiter. "Während du unauffindbar warst, hat Joe sich deine Spezialmischung geschnappt, sich fast vor versammelter Mannschaft von Jackson begatten lassen und dann wie blöde ins Beet gereiert!". Tinas Kopf ist ganz rot, weil sie sich so in Rage geredet hat. Robin zeigt sich allerdings recht unbeeindruckt. Wahrscheinlich ist er selber total high.
Ich frage mich allerdings, wieso Joe nichts dazu sagt. Wahrscheinlich wärmt sie sich noch innerlich auf um Robin gleich mit extra viel Anlauf ins Gesicht zu springen.
"Wo ist Joe plötzlich hin?" flüstert Jan in mein Ohr und lässt schon wieder seine Hände dahin gleiten, wo sie in der Öffentlichkeit echt nicht sein sollten.
"Erstens: Hände raus, sonst gibt's Haue!" stelle ich zuerst klar. Anscheinend sind wir jetzt in dem Stadium, in dem nur noch klare Ansagen helfen. Jan befolgt meinem Befehl, wenn auch ein wenig widerstrebend. "Und Zweitens: Ich weiß es auch nicht". Joe ist tatsächlich nicht mehr da, wo sie eben stand.
Ich drehe mich um und finde Joe in seeliger Umklammerung mit Simon. Das muss wahre Freundschaft sein, wenn man Joe selbst noch dann umklammert, obwohl sie voll mit Kotze ist. Weird.
Als ich mich noch ein bisschen weiter umdrehe, sehe ich Ellen und Jackson in voller Aktion. Man, man, man. Was ist denn hier los heute?
Nachdem Tina und Robin sich zu Ende gefetzt haben - oder eher Tina fertig war mit Gift und Galle spucken - kam endlich wieder Ruhe in die Gruppe. Und so kam es, dass Robin und Tina in Versöhnungsknutschen versanken, Jan mir unanständig in die Hose griff, Simon und Joe in tiefster Umarmung verblieben und Jackson und Ellen - naaaah, ich will's nicht aussprechen. Ihr könnt es auch ja bestimmt denken.
"Hey Freunde. Lasst uns noch einen darauf trinken, dass ihr die besten Freunde der Welt seid!" sagt Robin plötzlich und hält eine Flasche hoch, die verdächtig nach seiner Spezialmischung aussieht.
"Niemals!" sage ich. Das tu ich mir bestimmt nicht mehr heute an!

Kapitel 2


Oh Boy. Mein Kopf fühlt sich an, als würden Pete Doherty eine Abrissparty darin feiern. Ich komme zu dem Schluss, dass ich wahrscheinlich irgendwann schlafen gegangen bin und nun der furchtbare Moment ist, an dem ich aufwache. Ich weiß nichts mehr davon, dass ich irgendwie nach Hause gekommen und schlafen gegangen bin. Ich weiß nur noch, dass sich alle furchtbar lieb hatten und Robin vorgeschlagen hat, seine Spezialpampe zu trinken. Da mir danach anscheinend jegliche Erinnerung fehlt, muss ich Idiot wahrscheinlich doch noch den ein oder anderen davon gekippt haben. Wie dumm von mir.
So here I am. Und das anscheinend auch nicht alleine, denn Jan hat mich im Klammergriff und schnarcht seelig. Allerdings scheint er sich gestern noch rasiert zu haben und ist irgendwie auch noch ein bisschen gewachsen. Crazy.
MOMENT! Menschen wachsen nicht einfach so über Nacht! Irgendwas ist hier falsch. Ich befürchte das Schlimmste.
Langsam drehe ich mich um und habe Angst, dass ich mit irgendeinem schrecklichen Typen von der Party abgestürzt bin. Ich liebe Jan über alles und würde ihn niemals absichtlich betrügen, aber dieser Spezialtrunk lässt einem einfach alle Synpasen durchknallen.
In meinem Kopf sehe ich schon, wie sich Jan dramatisch von mir trennt, weil ich mit dem vierzigjährigen, heroinabhängigen und arbeitslosen Lastwagenfahrer Ralf im Bett gelandet bin. Zu allem Übel bin ich auch noch schwanger von ihm und gebe mein Leben auf, als ich mit Ralf und dem kleinen Jeremy-Enrico in eine Wohnwagensiedlung am Stadtrand ziehen muss, wo Ralf und ich vor lauter Langeweile noch mehr Kinder zeugen. Jan wird derweil mit dem Verlust meiner Liebe nicht klar kommen, sich im Alkohol verlieren und auf lauter Frust Ralf umbringen. Dann sitzt er im Knast und ich bin alleinerziehende, mittellose Mutter von elf Kindern, die allesamt bescheuerte Namen tragen.
Doch als ich mich umdrehe, ist die ganze Panik in meinem Kopf umsonst gewesen. Der mysteriöse Mann, der mich umschlingt ist nur Simon, der wiederum von Jan umschlungen wird. Und wir haben alle noch Klamotten an. Ich denke also - und hoffe auch ein bisschen - dass das hier gestern keine Orgie gegeben hat.
Ich stehe erleichtert auf und lasse Jan und Simon noch ein bisschen den Spaß, so absolut niedlich knuddelnd im Bett zu liegen. Langsam schleiche ich mich zu meinem Rucksack, in dem sich meine Kamera befindet. Diesen Moment MUSS ich einfach festhalten.
Lautlos fische ich die Kamera heraus und mache ein Foto. Zum brüllen! Leider sieht man ohne Blitz das Geschehen nicht so genau. Ich schalte also den Blitz an und versuche es erneut. Jawollja, dieses Mal ist es ein astreiner Schnappschuss geworden. Jetzt kann ich Jan und Simon jedes Mal damit drohen, das auf Facebook hochzuladen, wenn einer von denen mir auf die Eier geht.
"Ey, Rober Smith... Gib die Kamera her!" murmelt Jan entschlossen in Simons Nacken.
Robert Smith? Der Sänger von The Cure? Ich verstehe Jans Anmerkung nicht und denke erst, dass es das Delirium ist, das aus ihm spricht. Als ich mich aber intuitiv zur Seite drehe und in den Spiegel schaue, erschrecke ich fast vor mir selber. Ich sehe tatsächlich aus wie Robert Smith. Meine Haare sind zu einem Knäuel aus Drahtwolle mutiert und mein Make-Up von gestern ist zwar noch da, aber gruselig verschmiert.
Ich verhalte mich also unauffällig, in der Hoffnung, dass Jan einfach nur einen kurzen Moment der Klarheit hatte und sich jetzt schon wieder im Land der Träume befindet.
Aber es schadet wohl nicht, wenn ich noch ein Foto mache. Ich werde da mit Photoshop noch ein bisschen nachhelfen und ein paar Themes draus machen. Jan und Simon in SM, Jan und Simon in Transenoutfits, Jan und Simon als Teddybären... Mir wird da sicher noch viel mehr einfallen.
Doch ich habe Jan falsch eingeschätzt. Er ist hellwach und hat wahrscheinlich nur auf den richtigen Moment gewartet. Denn mit einem Mal springt er auf und reißt mich mit einem lauten Rumms

vom Bett auf den Boden. Simon scheint das nicht zu stören, er schnarcht seelenruhig weiter. Wenn Simon ein Mal schläft kriegt den so schnell nichts mehr wach.
"Gib die Kamera her!" fordert Jan und liegt ziemlich schwer auf mir drauf.
"Nein!" sage ich wild entschlossen und kralle mich an der Kamera fest.
"Gib die her! Das ist zu viel Macht für eine kleine Zivilistin für dich. Du kannst mit der Bürde nicht umgehen!" sagt Jan spielerisch und packt fester zu.
Ich winde mich unter ihm und muss lachen. Ehrlich gesagt macht mich dieses Winden und Zupacken gerade auch ein bisschen sehr scharf.
Jan scheint es genauso zu gehen, denn mit einem Mal lässt er von der Kamera ab, küsst mich leidenschaftlich und lässt seine Hände auf diese wunderbare Jan Art und Weise in meine Hose gleiten.
"Ganz schön scharf, mein Lieber" flüstere ich verführerisch in sein Ohr.
"Da sagst du was. Und die Tatsache, dass du aussiehst wie Robert Smith macht es vertsörenderweise irgendwie noch schärfer" grinst Jan, bevor er mich wieder küsst.
"Aber meinst du nicht, wir sollten das verschieben. Simon könnte aufwachen" bekomme ich plötzlich Zweifel.
"Bist du wahnsinnig? Jetzt will ich auf gar keinen Fall mehr aufhören" sagt Jan und zieht mein Shirt aus. "Außerdem ist Simon nicht mal aufgewacht, als Jackson und ich versucht haben ihn mit Böllern zu wecken. Und das waren die Böller aus Polen!"
"Da hast du auch wieder recht" sage ich und umschlinge Jan mit meinen Beinen.
"Ernsthaft, Leute?!" kommt es plötzlich vorwurfsvoll aus meinem Schrank.
Jan und ich halten abrupt inne und lassen voneinander ab.
"Joe?!" frage ich vedutzt. "Was machst du in meinem Schrank?".
"Keine Ahnung. Als ich aufgewacht bin, war ich in diesem Schrank und - es tut mir leid es sagen zu müssen - aber irgendeiner von euch Dummbratzen hat mich hier eingeschlossen!"

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Tag der Veröffentlichung: 27.05.2011

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