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Kapitel 1

Meine letzte Arbeitswoche scheint ja richtig toll anzufangen. Ich hasse es.
„Jetzt mach' auf, verdammt! Ich komme zu spät!“
„Komm' mal wider runter, ich mache mir nur noch kurz die Haare“
„Mach sie in deinem Zimmer, verdammt!“
Endlich geht das Schloss zur Badezimmertür auf und Ben kommt herausstolziert. Ich rieche sofort, dass er wieder mein sauteures Volumenshampoo benutzt hat.
„Hör' auf mein gottverdammtes Shampoo zu benutzen! Erstens brauchst du wirklich kein Volumen mehr und außerdem riechst du jetzt wie eine Tunte!“
Ben beachtet mich kein Stück und verzieht sich ohne ein Wort zu sagen in sein Zimmer.
Soll der doch sterben gehen, mir doch egal. In solchen Minuten berufe ich mich immer wieder gerne darauf, dass Ben eigentlich nicht richtig mit mir verwandt ist. Okay, ein paar Gene teilen wir bestimmt, aber wir sind weder zusammen aufgewachsen, noch haben wir den selben Vater. Wir sind also praktisch nicht wirklich Geschwister.
Man ey, ich hasse ihn. Stocksauer stampfe ich wieder aus dem Badezimmer heraus und in Bens Zimmer hinein.
„Sag nicht, dass du schon wieder mein Handtuch benutzt hast. Das ist ja ekelhaft!“
Ben zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt.
„Dass du nichts anhast, das ist ekelhaft“ sagt er nur kurz um mich dann wieder zu ignorieren und sich wieder voll und ganz seiner Frisur zu widmen.
Egal, dann gehe ich halt wieder, ich lasse mir den Tag durch seine Ignoranz nicht versauen. Heute wird ein toller Tag. Das habe ich im Gefühl. Es kann nur besser werden.

Es kann nicht besser werden.
„Was machst du denn schon hier?“
„Gegenfrage: Was hast du da an?“
Simon hält sich nicht großartig mit Höflichkeitsfloskeln auf und spaziert einfach in die Küche um sich einen Kaffee zu nehmen.
„Setz dich, iss' was von dem Müsli und halt die Klappe“ sage ich um dann so schnell wie möglich aus dem wunderbaren Kelly-Family-T-Shirt zu schlüpfen. Es war das einzige greifbare Kleidungsstück als es an der Tür klingelte. Ich wusste genau, dass der liebe Herr Pascha sich ja wieder mal nicht dazu berufen fühlen würde die Tür aufzumachen. Auf Frank kann ich auch nicht zählen weil der bestimmt wieder irgendwo im Land der Träume und des Tiefschlafs ist. Machen wir uns nichts vor, der hat bestimmt nicht vor fünf Uhr morgens mit dem Schreiben aufgehört.
„Das T-Shirt macht dich echt sexy“ brüllt Simon mir die Treppe hoch hinterher. Ich beschließe das zu ignorieren. Ben ist auch mit einem Mal wie ausgewechselt und kommt mir freudestrahlend auf der Treppe entgegen um sich zu Simon in die Küche zu pflanzen. Plötzlich sind die Haare vergessen. Manchmal muss ich mich echt fragen, was genau bei Bens Sozialisierung falsch gelaufen ist.
Ich höre wie das Telefon klingelt. Wieder fühlt sich der Pascha nicht dazu berufen dranzugehen. Ich werde es einfach auch ignorieren, denn ich MUSS aus diesem T-Shirt raus.
„Rosalie! Geh mal ans Telefon!“ brüllt der Pascha zu mir rauf.
Jetzt reicht es! Ich nehme das klingelnde Telefon, laufe die Treppe runter und werfe es Ben voll gegen den Kopf.
„Ist für dich...“ sage ich und will wieder gehen.
Ben heult natürlich auch gleich los wie ein kleines Baby. Was für eine Sissy.
„Rosalie! Du bleibst hier!“ sagt Simon, sieht mich strafend an und geht ans Telefon. Jetzt hab ich auch Zeit mich zu fragen, wer da eigentlich die Frechheit besitzt, um zehn vor acht bei uns anzurufen. Dabei sehe ich Ben beim rumjammern zu und erfreue mich an der Genugtuung. Ich hab nicht mal sonderlich gut getroffen, der soll sich nicht so anstellen.
„Rosalie, für dich“ sagt Simon und ich nehme verwundert das Telefon.
„Ja?“ gehe ich dran und versuche mich auch gleich aus dem Staub zu machen.
„Ich häng hier i Bilk fest. Ich hab noch viel zu viel Restalkohol im Blut um Auto zu fahren. Holst du mich ab?“
„Ellen? Bist du das?“
„Riiiichtiiiiiig“ sagt Ellen zufrieden. Währenddessen hat Simon mich schon im Flur entdeckt und zieht mich am Kelly Family-Shirt wieder zurück in die Küche. Er bekommt kräftige Gegenwehr meinerseits, scheint aber schon damit gerechnet zu haben. Sein Griff ist nämlich so fest, dass ich Nähte reißen höre als ich zum Abzischen ansetze.
„Ellen? Hast du auch nur ein Auge zugemacht?“ frage ich während ich weiter mit Simon kämpfe.
„Wie sollte ich? Ich bin gerade erst von Schmitzbackes' total steiler Party gekommen.“
„Ellen, das muss aufhören“ seufze ich. „Ich komme dich jetzt abholen und danach reiß ich dir den Arsch auf“.
„Mach das“ grinst Ellen besoffen durch den Hörer und legt ohne ein Weiteres auf.
„So, Rosalie, und jetzt sag mir bitte, wieso du Ben einfach einen Telefonhörer an den Kopf klatschst!“ versucht Simon wieder den großen Familienrichter raushängen zu lassen während ich weiter zapple.
„Das sag ich dir auf dem Weg, wir müssen los“ sage ich und schlüpfe einfach aus dem T-Shirt.
„Das gilt auch für den Pascha“ sage ich und nehme dem verdutzten Simon das Kelly Family-Shirt aus der Hand, um es wieder anzuziehen.
„Es ist erst fünf vor acht. Wir kommen viel zu früh an“ sagt Simon verwundert, als ich nach den Autoschlüsseln greife und hinter mir die Haustür einrastet.
„Nicht, wenn wir erst einen kleinen Abstecher nach Bilk machen müssen“ sage ich genervt, knalle mich auf den Fahrersitz und versuche ihn dann von der Einstellung für Bens Giraffenbeine wieder auf meine einzustellen.
„Aber du hast noch das komische T-Shirt an und deine Haare stehen in alle Richtungen ab“. Simon scheint ein bisschen verwirrt.
„Das muss ich in Kauf nehmen. Reicht, wenn ich blöd aussehe, da muss ich nicht auch noch zu spät zu VWL kommen. Pfeiff' mal Ben ran, auf mich hört der ja nicht.“
Doch da kommt Ben auch schon aus der Haustür gehastet, natürlich perfekt angezogen und gestylt. Der Kerl ist ja so falsch. Vergisst sofort, dass der sauer auf mich ist um nicht mit dem Bus fahren zu müssen.
„Setz dich in die verdammte Karre!“ zische ich und spiele schon mit dem Gas. Sein cooler Gang wird etwas schneller. Ich gebe mir noch ein halbes oder ein Jahr, dann habe ich ihn so abgerichtet, dass er vielleicht sogar apportieren kann. Dass ich wiederum nichts für ihn apportiere, mache ich ihm ja immer wieder mit Aktionen wie die mit dem Telefon klar.
„Was machen wir in Bilk?“ fragt Simon vom Beifahrersitz aus und zaubert plötzlich einen Müsliriegel hervor.
„Ellen abholen“ sage ich nur und brause schon rückwärts die Einfahrt raus.
„Radfahrer!“ kreischt Ben hysterisch.
Will der mich verarschen? Der Fahrradfahrer ist etwa siebenhundert Jahre alt und noch gut hundert Meter von uns entfernt. Das will ich aber sehen, wie der das jetzt noch schafft, dass den noch mit der Stoßstange erwische.
„Jetzt übertreibst du aber wirklich“ sagt dann selbst Simon. Und wenn Simon was gegen irgendwen sagt, dann stimmt das hundertprozentig. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag schnappt Ben ein und ich sage dazu einfach nichts. Ich grinse nur selbstzufrieden.
„Und du hör' auf zu grinsen“ nuschelt Simon unverständlich da er sehr damit beschäftigt ist, den Riegel mit einem Haps zu verschlingen. Das verdirbt mir ein wenig die Schadenfreude und die Fahrt nach Bilk verläuft weiter ziemlich unspektakulär.

Als ich dann in Bilk ankomme, ist es nicht sonderlich schwer Ellen auszumachen. Sie liegt auf einer Bank und schläft. Ohne Jacke, nur im Partyoutfit und mit Wimperntusche die bis zu den Mundwinkeln reicht.
„Was geht denn mit der?“ fragt Ben entsetzt als auch er erkennt, dass die Person auf der Bank Ellen ist - und keine zugekokste Prostituierte.
„Scheint wohl eine lange Nacht gewesen zu sein“ stellt Simon fest und ergänzt auch gleich „Mal wieder“.
Ich halte am Bürgersteig direkt vor der Bank und steige aus. Natürlich versuche ich, so ruhig wie möglich zu bleiben. Aber wenn man seine beste Freundin so sieht - und das wirklich nicht zum ersten Mal - dann ist es nicht mehr so einfach gelassen zu bleiben.
„Steh' auf!“ sage ich gereizt und ziehe Ellen unsanft am Arm. Ellen wacht auf und grinst mich debil an.
„Rosalie“ sagte sie mit einer Schnapsfahne, die von hier nach Tokio reicht. Wenigstens hat sie heute beschlossen zur Arbeit zu gehen.
Ich zerre sie einfach nur ins Auto und sage nichts. Ben sehe ich sofort an, dass er jetzt etwas Belehrendes sagen will. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass das nur in die Hose gehen wird. Deswegen schaue ich Ben nur eindringlich durch den Rückspiegel an und er verstummt gleich beim ersten Atemzug. Von Bilk bis zur Arbeit ist es nämlich ziemlich weit, wenn man zu Fuß gehen muss.


TO BE CONTINUED...

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Tag der Veröffentlichung: 27.05.2011

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