Rauschen des Meeres.
Haylie. Im Krankenzimmer. Jetzt.
Ich höre Stimmen. Stimmen aus dem Nichts. Wo bin ich? Ich möchte schreien, aber kein Laut kommt aus meiner Kehle. „Wird sie es schaffen?“ Mum!! Hilf mir Mum! Wo bin ich? Ich bin wie in einem Schrank eingesperrt. Dort ist ein Licht. Und dann – nichts.
Charlie. Im Krankenhaus. Jetzt.
Wie kann sie uns so was nur antun?! Sie wusste ganz genau, dass sie nicht rausgehen durfte! Und sie tat es trotzdem. Und jetzt, jetzt ist sie halb tot. Mich überkommt eine so große Wut, dass ich gegen die Wand trete. Eine leicht vergilbte Wand. Vermutlich war sie mal weiß. Ich bekomme ermahnende Blicke von Krankenschwestern. Ach guckt bloß so dumm, eure große Schwester hatte ja nicht den tödlichen Unfall! Sie ist tot. Mum meinte: „Sie ist nicht tot, Charlie. Sie wird nicht sterben. Sie wird auf keinen Fall sterben.!!“ Sie klang sehr gereizt und ihre Augen wurden ganz groß, als sie mich so anschrie. Haylie ist so gut wie tot. Sie wird nicht aufwachen. Nie wieder. Ich ermutige mich, in das kahle Krankenzimmer zu gehen. Langsam schlurfe ich hinein und sehe wie Mum an ihrem Bett sitzt. Haylie ist blass. Da ist nichts mehr von ihrer schönen Sommerbräune am Strand in Saversteal Lake. Nur noch ein Häufchen Elend. Mum will, dass ich mich von ihr verabschiede. Sie hat beschlossen mit mir und Joann doch wieder nach Sav zu fahren. Mum schiebt sich mit tränenüberfülltem Gesicht an mir vorbei und ich schreite langsam zum Bett. Wie reglos sie daliegt. Sie sieht aus wie eine Porzellan Puppe, die vor langer Zeit vergessen wurde. Ihre Augen sind geschlossen und ich bin so wütend. So sehr wütend auf sie. Nur wegen ihr schläft Mum unruhig! Nur wegen ihr geht Joann nicht mehr ins Wasser. „Na du alter Stinkstiefel!“, rufe ich ihr zu. Ich weiß ganz genau, dass sie mich nicht hören kann, aber ich will Mum einen Gefallen tun. „Warum tust du uns das an? Haylie. Ich werde dich vermissen.“ Ich legte ihr einen grauen Stein in ihre kühle, steife Hand. „Den hab ich für dich geholt. Vom Strand. Ich hoffe du wirst wieder aufwachen. Mach’s gut, Hay.“
Haylie. Im Krankenhaus. Jetzt.
„Na du alter Stinkstiefel!“ Charlie? Bist du das? Charlie, hilf mir! Wo bin ich? Ich stemme mich mit all meiner Kraft gegen die Schranktür, aber nichts geschieht. Ich kann nichts fühlen. Was passiert hier? Ist das alles nur ein Traum? „Den hab ich für dich geholt. Vom Strand.“ Er legt mir etwas kühles in meine Hand. Es ist ein Stein. Am liebsten würde ich ihm danken, aber wieso tut er das für mich? „Mach’s gut, Hay.“ Nein, halt Charlie! Geh nicht!
Charlie. Im Krankenhaus. Jetzt
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„Geh nicht!“ „Hay?“, frage ich. Nein nein, das kann gar nicht sein. Ich bilde mir das gerade ein – oder? Oder doch nicht? Ich werde verrückt, genauso wie Mum. Völlig benebelt renne ich aus dem Krankenhaus und bleibe erst stehen als Joann mir eine rote Blume unter die Nase hält. „Charlie, ist sie tot? Wird sie wieder wach werden? Wird sie sterben?“ Ich seufze. „Nein Jo, sie ist nicht tot und ich hoffe – nein – wir alle hoffen, dass sie wieder wach wird.“ Sie starrt mich mit großen Augen an. „Charlie, wärst du so lieb und gehst noch einmal mit Joann hoch? Sie möchte Haylie die Blume geben.“ Am liebsten würde ich NEIN schreien. Einfach wegrennen. Irgendwohin. Bloß nicht in das Krankenhaus! Ich hatte mir geschworen nie nie wieder in dieses gruselige Zimmer zu gehen. Doch bei Mum’s Blick war mir klar, es gibt keine Widerrede. Also stampfe ich schweren Herzens noch einmal die riesige, weiße Wendeltreppe hinauf. In diesem Horror-Haus ist alles weiß. Weiße Wände, weiße Betten, weiße Kleidung. Alles nur weiß. Grässlich! Joann plappert die ganze Zeit vor sich hin und ich muss gar nicht erst versuchen, ihr zuzuhören. Denn sie wechselt schneller das Thema, als dass sie blinzelt. „Nicht wahr, Charlie?“ Ich bleibe verdutzt stehen. „Was denn, Joann? Was sagtest du eben?“ „Wir kommen doch zurück und holen sie ab, nicht wahr?“ „Natürlich, Jo.“, flüstere ich, aber da war ich mir nicht so sicher. Joann öffnet die Tür des Zimmers 111. Haylie’s Lieblingszahl. Überhaupt erinnert mich alles an sie. Ich war noch nie allein in Saversteal Lake. Was soll ich dort ohne sie tun? Jo plappert wieder los und verstummt auf einmal. „Haylie. Warum liegst du hier? Sag doch wenigstens was. Hier, ich habe die Blume nur für dich gepflückt. Ich stelle sie in diese Vase. Wie geht es dir in deiner Traumwelt? Mum und Charlie machen sich große Sorgen um dich; Hay. Mum schläft schon ganz unruhig. Immer klopft sie mit den Händen gegen die Wand. Ich kann dabei nicht einschlafen. Hay. Hya, weißt du, wir fahren nach Sav! Aber leider ohne dich. Das ist sehr schade. Weißt du, heute habe ich im Matsch gespielt und Mum war sehr böse mit mir und-’’ „Jo?“, unterbreche ich sie, „wir müssen los. Komm bitte zum Ende, ja?“ Sie sieht mich ärgerlich an. Aber sogleich verschwindet ihr Gesichtsausdruck und sie sagt: „So Hay, wir fahren jetzt nach Sav! Bitte werd wieder gesund.“ Ich ziehe sie am Ärmel und sage: „Komm Jo, schnell.“ Sie fängt fast an zu heulen, aber zu meinem Glück tut sie es nicht, sondern zieht nur ihre Mundwinkel nach unten. „Juhu, Saversteal Lake wir kommen!“
Haylie. Im Krankenhaus. Jetzt.
„…und Mum war sehr böse mit mir.“ Joann? Joann bist du das? Hilf mir, geh bitte nicht weg! Bitte Joann bleib hier! Wo willst du hin? „So Hay, wir fahren jetzt nach Sav!“ Was? Aber…ohne mich? Wollt ihr mich nicht mitnehmen? Halt! „Bitte werd wieder gesund.“ Aber ich bin doch nicht krank oder? Ist das alles nur ein böser Traum? Ich will nicht in diesem Schrank eingesperrt sein! Helft mir!
Haylie. Damals
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„Hey Charlie, warte auf mich!“
„Komm doch du lahme Ente!“ Es war einer dieser schönen Sommertage in Saversteal Lake und ich war am Strand. Charlie und ich spielen im Wald.
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Chloe.
Weil sie meine Idee unterstützte.
Und für Charlie - den Bruder den ich nie hatte.