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Es ist schon fast neun als ich endlich den Anruf bekomme, das ich vorbei kommen kann. Schnell baue ich noch meine schwarze Motorradjacke zusammen. Die Winterfütterung muss noch rein, das Gras draußen vor dem Fenster trägt noch immer die weißlich schimmernden Spuren der nächtlichen Kälte. Die Hose passt besser als noch letzten Herbst. Eine Erleichterung, dachte ich doch, ich hätte es in den vergangenen drei Monaten zu weit getrieben. Schnell noch in die Stiefel geschlüpft und die Jacke übergestreift. Alles dabei? Schlüssel, Führerschein, Personalausweis und Gehörschutz. Nichts davon sollte man vergessen.

Ich gehe in voller Motorradmontur die kurze Strecke durch den Ort, finde nur kurz die Zeit bekannten Leuten einen guten Morgen zu wünschen, zu groß der Wunsch, endlich wieder meine Maschine zu sehen. Schließlich erreiche ich das Hoftor. Irgendwo brummt ein Motor - ob das schon meiner ist? Die Spannung steigt. Ich trete durch die hohe Holztür und werde freudig von den beiden Hunden begrüßt. Wenige Meter entfernt brummelt der Motor einer grünen KTM, meine schwarze Maschine ist noch stumm, jemand kümmert sich sorgsam um die Batterie, die schon gestern aufgeladen wurde.

Strahlend betrachte ich meine Maschine. Noch etwas staubig und müde wirkt sie nach dem 3-monatigen Winterschlaf, als endlich die Batterie eingebaut ist. Ich werde aufgefordert, dem Motor neues Leben einzuhauchen. Nur zu gerne komme ich dem nach! Ein kurzer Check über die Instrumente, bis der Schlüssel umgedreht wird. Mit leisem Klackern meldet sich die Elektronik, ein grünes Lämpchen zeigt den Status der Kupplung an: Der Leerlauf ist eingelegt. Ich ziehe den Choke bis zum Anschlag und drücke erwartungsvoll auf den Anlasser. Mit einem groben Husten meldet sich die Maschine, der Auspuff spuckt weißen Dampf. Ich lasse den Anlasser los und der Motor verstummt sofort, er ist noch etwas schwach auf der Brust. Ein erneuter Anlauf. Wieder hustet die Mechanik, kommt nicht in die Gänge. Ich drehe am Gasgriff.

KOMM SCHON!!

Und da röhrt er auf, brüllt aus vollem Halse. Dicke weiße Schwaden schmeißt das mächtige Endrohr aus dem Herzen der Maschine. Mit einem zufriedenen Lächeln lasse ich Gasgriff und Anlasser los. Der Motor summt, brummt und wird immer lauter. Mit sanftem Druck lockere ich den Choke bis er in ein gleichmäßiges Brummeln verfällt. Die Drehzahl stimmt. Ich lasse ihn etwas laufen und nutze die Zeit, um den Reifendruck zu überprüfen mit dem Gerät, das mir gereicht wird. 2 bar auf jedem Reifen sind zu wenig, ich gebe etwas nach. Nun stimmt es.

Jemand dreht am Gasgriff meiner Maschine und sie antwortet mit einem lauten Brüllen. Ja, der Auspuff ist eingetragen, versichere ich dem Mann, dem fast schon kindliche Freude ins Gesicht geschrieben steht. Die KTM brüllt nicht so laut. Ich blicke stolz auf den wertvollsten materiellen Besitz den ich habe und lasse den Motor noch ein paar Minuten weiter arbeiten, ehe ich ihn ausstelle und das schwere Gerät über den Hof zum Tor schiebe. Dort stelle ich sie auf den Seitenständer und nehme Handschuhe, Nierengurt, Halstuch und Helm aus dem Topcase. Das Anlegen der Dinge ist schon Routine und dauert nicht lange. Endlich öffnet jemand für mich das Tor und ich setze mich auf den schwarzen Sitz. Ein gutes Gefühl, als gehöre ich dort hin. Als ich den Anlasser drücke erwacht der kraftvolle Motor innerhalb einer Sekunde zu neuem Leben. Ruhig und gleichmäßig vibriert die Maschine zwischen meinen Schenkeln, als ich mit einem leisen Klacken vorsichtig den ersten Gang einlege und dem Triebwerk mit Hilfe der Kupplung die Möglichkeit gebe, das massive Gewicht durch den schmalen Torausgang zu bewegen. Langsam, wir fangen erst an.

Auf dem Bürgersteig muss ich anhalten, kann nicht auf die Straße sehen, weil dort Autos parken. Die Konzentration auf den vor mir liegenden Weg gerichtet entdecke ich eine Einfahrt weiter einen Traktor, der rückwärts auf die Straße ausparkt. Ich sehe hinüber zu dem Fahrer der landwirtschaftlichen Maschine, den ich gut kenne und er nickt mir zu. Ich fahre auf die freie Straße hinaus ohne an Dinge wie „Kupplung kommen lassen“ oder „langsam Gas geben“ zu denken, das macht mein Körper auch nach drei Monaten Pause von ganz allein. Der Traktorfahrer blickt mich an, nickt und ich ziehe langsam rechts vorbei, die Linke zum Danke erhoben.

Schon stehe ich an der ersten Kreuzung. Die Bremsen stoppen die vibrierende Maschine, ein kurzer Blick nach beiden Seiten gibt grünes Licht und ich fahre langsam los, denn es ist noch immer sehr kalt und die Straße glitzert. Der Weg durch den Ort ist nicht lang und dennoch habe ich schon ein Gefühl, als würde ich schweben! Wie konnte ich es nur drei Monate ohne diese Maschine aushalten?

Die Tour steht fest. Kurz soll sie sein, nur einmal den Motor warm fahren. Ich biege ab und vor mir liegt eine gerade Strecke mit einer S-Kurve am Ende. Ich drehe am Gasgriff, der Motor röhrt, doch er ist noch zu kalt, kann nicht atmen, es kommt keine Leistung. Egal, ich fahre mit siebzig bis zur ersten Kurve und folge der sanften Biegung erst rechts, dann links herum. Willig und noch etwas träge neigt sich die Maschine und folgt meinen Lenkimpulsen, die ich bewusst sehr sanft einsetze. Was ein geniales Gefühl! Ich bemerke jetzt erst was für ein wundervoller Tag es ist. Die Sonne scheint von einem strahlend blauen Himmel, kleine weiße Wolken flüchten zum Horizont und der kühle Wind weht durch das leicht geöffnete Visier hinein, bringt die Düfte nach feuchter Erde und kühlem Eis mit sich.

Ganz ergriffen von diesen Eindrücken setze ich meinen Weg fort, durch ein kleines Dorf, wo ich dreißig fahren soll und es auch tue. Einfach in Ruhe irgendwo hin zu fahren, ohne Eile, das ist Entspannung und genau das Richtige, das ich und meine Maschine jetzt brauchen. Ich folge dem Weg bis zu einer sehr kurvigen Strecke durch ein kleines Waldstück. Die Straße ist dunkel von der Feuchtigkeit der Nacht, der nicht sparsam aufgebrachte Bitumen glänzt leicht. Vierzig ist die vorgeschriebene Geschwindigkeit, an die ich mich halte. Die schwarze Maschine wird nicht müde, mir Rückmeldungen über den Zustand der Straße zu geben, die mein Kopf schnell in ein Gefühl der Sicherheit übersetzt. Alles in Ordnung. Sanfte Lenkimpulse lassen die massige Maschine mit großer Leichtigkeit durch die Kehren gleiten, eiskalter Wind sammelt sich in meinem Helm und füllt ihn mit dem Geruch nach Wald, Moos und Feuchtigkeit. Ich habe Zeit für die Natur, tauche mit meinem Geist hinein, während mein Körper mit dem Motorrad interagiert, fast als seien sie verschmolzen.

Wunderbar!

Ich komme in den nächsten Ort und fahre die Strecke, die ich geplant habe. Bei einem kurzen Halt an einer Kreuzung richte ich meinen linken Spiegel und genieße anschließend das Gefühl, das die Maschine mir gibt, als ich die Kupplung schnell kommen lasse und gleichzeitig mehr Gas als normal gebe. Der kraftvolle Motor nimmt meinen Wunsch augenblicklich an und treibt das Hinterrad gefühlt tief in den Boden. Ich werde in den Sitz gedrückt und ein breites Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit, als die Kraft aus dem Motor das massive Motorrad mit scheinbarer Leichtigkeit nach vorne wirft. Nach wenigen Metern muss ich den Druck aus der Maschine nehmen, denn auf der rechten Seite ist ein Kindergarten. Den Blick aufmerksam auf die parkenden Autos links und rechts der Straße gerichtet folge ich den langgezogenen Kehren durch das Innere des Ortes.

Zwischen diesem Ort und dem nächsten gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich gebe etwas mehr Gas, der Motor brüllt auf und ich fühle, wie er schon tiefer atmet. Die Kraft nimmt immer weiter zu und ich spüre, wie das Husten weniger wird, die Ablagerungen im Herzen der Maschine sich lösen und sie immer nervöser auf mich reagiert. Genussvoll schmecke ich den Wind bis das nächste Ortsschild meine Fahrt wieder bremst. Spielerisch, mit einem Lächeln auf den Lippen weiche ich ein paar Gullydeckeln auf meinem Weg aus, die Lenkimpulse sind jetzt härter, der Motor reagiert direkt und präzise, während die allseits vertraute Sicherheit in meinen Glieder Einkehr hält. Mein Körper kommuniziert nun für mich beinahe unmerklich mit der schwarzen Maschine unter mir und gibt mir das Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit. Ich fühle mich Eins mit meinem Gefährt, fühle mich ihm verschmolzen.

So soll es sein.

Nach dieser kleinen Ortschaft folgt noch ein bewaldeter Hügel mit zwei S-Kurven. Die erste fahre ich schnell, aber nicht aggressiv an. Die Straße ist trocken, der Grip gut. In einer weiten Schleife zieht die Maschine gleichmäßig den Berg hinauf, die Schräglage innerhalb einer Kurve unverändert. Zwischen den Biegungen nutze ich die Nervosität des Motors aus, verwandle sie in spielerische Leichtigkeit und nutze sie, um die Maschine herum zu werfen. Als würde sie nicht über zweihundert, sondern nur einhundert Kilo wiegen. Leicht. Kontrollierbar. Voller Kraft.

Oben auf dem Berg angekommen folgt noch eine letzte gerade Strecke die Straße hinab in meinen Heimatort. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, der Adrenalinpegel steigt, denn ich weiß, was jetzt gleich kommt. Kopf und Straße sind frei, ich will es wissen, schalte einen Gang herunter und drehe den Gashahn aggressiv auf. Sofort brüllt der Motor, atmet so tief er kann und treibt das Hinterrad mit seiner ihm eigenen brutalen Kraft in den Boden. Die Maschine wird nach vorn geworfen, erreicht binnen Sekunden die hundert km/h und jagt gleich einen schwarzen Pfeil die Straße hinunter, die gesäumt ist von weiten Feldern und Wiesen. Der aufkommende Wind reißt an meiner Kombi, zerrt am Helm und züngelt in jede noch so kleine Ritze, während ich die rasante Abfahrt genieße.

THAT`S IT!

Fast schon traurig bremse ich den Motor am Ortsschild ab und biege nach wenigen Metern in meine Straße ein. In einem großen Bogen wende ich die Maschine und stelle sie auf ihren Platz. Dort steht sie gut, dort gehört sie hin.

Die Saison kann beginnen!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.03.2011

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