-an alle Leser, ich freue mich auch über schlichten Kommentar in den Reviews wie: weiterschreiben.
-Viel Spass beim lesen.
Safina
Das geheime Labor
Vergitterte Fenster siebten das orangenfarbige Strassenlicht an die gegenüberliegenden kahlen Wände. Verwandelten die sonst tagsüber eintönigen Klinikwände in ein warmes Mosaik welches je nach Windstärke draussen, leicht zitterte. Geiziges Stromsparen oder Heimlichtuerei veranlasste das Auslassen von elektronischen Hilfen. Jedenfalls blendeten keine Neonröhren, obwohl es nahezu gegen Mitternacht sein dürfte. Trockene Kälte flutete mich unangenehm da ich nur ein dünnes, schlichtes Baumwollnachthemd trug das mir knapp bis zu den Knien reichte. Farblos weiss, Gespenstergleich, wie in einer anderen Dimension zuhause. Gezwungenermaßen trat ich so in den matten langen Korridor hinaus, eskortiert von zwei kräftigen Wärtern. Schon seltsam, denn normaler Weise reichte ein einziger Pfleger als Begleitperson bei mir völlig aus. Meine Abscheu gegen jede Gewalt am Hauspersonal, sollte in jeder digitalen Akte, sogar in der alten Papierform, vermerkt sein. Im Gang draußen gesellten sich gleich zwei weitere ungeduldig wartende Personen dazu. Einen erkannte ich als den tonangebenden Oberarzt, mit dem ich zum Glück selten in Kontakt kam. Alleine wie seine stechenden Augen anklagend von der teuren Markenuhr zu den flankierenden Wächtern schauten, wirkte auf mich sehr unsympathisch. Was einen Funken Interesse an der Außenwelt in mir aufflackern ließ, war der unbekannte ältere Mann in dem gepflegten grauen Designeranzug. Er passte einfach nicht hierher und es war ihm anzusehen wie sehr er es gerade verabscheute hier zu sein. Sein selbstsicheres Auftreten strömte eine sichtbare Macht aus die sogar den sonst so arroganten Oberarzt nervös seine Hände durch das schüttere kurzgeschnittene Haar gleiten liess. Dieser neue Besucher war kein frischer Neureicher sondern jemand er schon lange die Fäden der Macht in den Händen hielt und mit Bedacht eine potentielle Investition auswählte. Das gänzlich ergraute Haar und die vielen Gesichtsfalten liessen mich annehmen er sei längst über das Pensionsalter hinaus. Seine eiskalten blauen Augen musterten mich kurz aber ziemlich intensiv. Eben genau dieses kalkulierte Einschätzen ob ich den angeforderten Geldbetrag wert sei den er auszahlen sollte. Er verströmte eine tödlichere Kälte aus als er dem unruhigen Oberarzt, der unschlüssig mit seiner Papierakte in der Hand herumstand, zunickte. Sichtlich entspannten sich dessen Schultern. Auffordern deutete er mit der freien Hand den leeren Gang hinunter. Überließ seinem Geldboss den gebührenden Vortritt.
Ein rüder Knuff in mein Schulterblatt ließ mich vorwärtsstolpern. Mein ablenkendes Starren an diesen ungewöhnlichen Besucher unterbrach. Brav trottete ich den beiden hinterher. Im Grunde war es mir egal wohin sie mich diesmal führten. Sehr wahrscheinlich spritzten sie mir bald einen intensiven Cocktail in die Armvenen, der mir wunderbare Träume bescherte. Ganz tief verborgen in meinem abgeschalteten Gehirn, beunruhigte mich diese Aussicht überhaupt nicht. Vorher wurmte es mich nicht zu wissen warum dieser hohe Besuch wegen mir da war? Eine andere Kleinigkeit drang erneut irritierend in mein Lowlevel hinein. Die alteingesessene Aufsicht kannte mein unkompliziertes Verhalten. Warum also flankierten mich gleich zwei massive Muskelberge von der scharfen Securitas? Bei Unwillen gegen das gutgemeinte Integrierungsprogramm, reagierte ich bisher zuverlässig, mit dem Zurückziehen meines letzten klaren Verstandes. Der tieferliegende Eisberg, der ja bekanntlich unter der Wasseroberfläche mit schwamm, reichte bei einer der gängigen psychologischen Schulgrafikdarstellung längst nicht an meine gigantische Tiefe heran. Meine unterirdische Plattform, wo ich überhaupt noch funktionierte, lag eine weitere Etage tiefer unter diesem massiven Eis. In den letzten Jahren, wo ich meistens untätig festsaß, formte ich vollkommener mein `gestörtes` Verhalten. Andere zu täuschen gelang mir mittlerweile Meisterhaft. Fragte sich jemand wo ich mich genau befand? Gefangen in einer geschlossenen Irrenanstalt. Beschützt, behütet vor dem zerstörerischen inneren Ich.
Was mich am Leben erhielt? Einzig das geschulte Personal. Irgendwie bereite es mir allmählich Spass sie zu beobachten und die Schwachstelle im klug ausgetüftelten System zu finden. Schliesslich bestand mein einziges Lebensziel darin, meine sinnlose Existenz zu beenden oder das System auszutrixen. Was gerade mehr Priorität zugeteilt bekam, war abhängig von dem unterschiedlichen Medikamentenmix den sie bei mir ausprobierten. Dabei unterstützte mich mein Glaube, nach dem Tod wiedergeboren zu werden. Gut, vielleicht degradierte mich der gewaltsame eingeleitete Tod ein paar Karmastufen zurück, in dem Programm nach dem Streben der vollkommenen Weisheit und Eins sein mit dem ganzen Universum. Das hatte ich längst einkalkuliert und es war mir momentan ziemlich egal. Sollte ich am Ende als unbedeutender Schweinehirt wiedergeboren werden, dann besass ich immerhin eine sinnvolle einfache Aufgabe. Mich überforderte einfach dieses gnadenlose drillende Weltensystem außerhalb dieser Gefängnismauern.
Leider lebte ich in einer gnadenlosen erfolgsorientierten Zeit. Siegen oder Verlieren, so der erbitterte Kampf um die besten, schmelzenden Arbeitsstellen. Bereits in der Schule versagte ich in diesem frühen Wettbewerb. Mir war das vordiktierende Programm viel zu langweilig. Entdeckte keinen Sinn darin bessere Noten anzustreben. Das waren für mich nur Zahlen auf einem Papier die aber nichts über mich selber aussagten. Nichts von meiner Sehnsucht erzählten ein paar Blumen zu pflanzen um in der tristen grauen Millionenstadt einen bunten fröhlichen Gegensatz zu haben. Oder meine geschickten Finger durch straff gesponnene Wollfäden gleiten zu lassen und einen farbenfrohen Teppich selbst herzustellen. Solche Gedanken seien Kindergartenniveau erklärte mir ein ernster Schulpsychologe. Wenn ich schon Träumen sollte, dann wenigstens von einer eigenen Gärtnerei oder Manager in einer Textilbranche anstreben. Dafür sei aber ein Schulabschluss über den Mindestanforderungen nötig. Also sollte ich mich gefälligst mal anstrengen! Zurück im normal fortgesetzten Schulwahnsinn bekam ich wieder ermüdende Vorträge über Rechnungsbrüche oder gar Sprachgrammatik reingedonnert die sich aber nirgendwo in meinen störrischen Gehirnzellen verankern wollten. Meine einzige Schulkollegin ertrug diesen Irrsinn indem sie gehorsam eine Drogenpille vor dem Unterricht schluckte. Etwas harmloses was sie angeblich konzentrierter auf ihrem Stuhl sitzen liess. Natürlich legal und sogar von der Schulaufsicht an die fürsorglichen Eltern wärmstens empfohlen. Meine aktuellen Pflegeeltern wollten mir meine wenige natürliche Lebendigkeit nicht auch noch nehmen. Meine richtigen Eltern waren, soweit ich mich zurück erinnern kann bodenständige Heimwerker gewesen, bis eine unkluge Investition eine Schuldenfalle auslöste. Ein geleastes Auto, ein unachtsamer Unfall, ausbleibende Zahlungen, Drohungen von den Behörden, ein paar schikanierende Nachbarn, Jugendamtsbesuch gerade zur ungünstigsten Zeit und schon zerrte man mich ins nächste Kinderheim. Damals versuchte man mir zu erklären, dass Fünfjährige einen schönen Geburtstag mit Geschenken verdienten. Andersrum versuchte ich vergeblich diese komischen Erwachsenen davon zu überzeugen wie egal mir Geschenke seien und ich nur zu meinen Eltern wollte. Vieles habe ich seither vergessen, doch nie diese schreckliche Stunde wo man mir zu verstehen gab, dass meine Eltern keine Zeit für mich hätten und es eben nicht okay sei einen ganzen Nachmittag alleine in seinem Zimmer zu sein. Für mich war eigentlich alles okay, denn ich hatte ja meine Spielsachen und jede Menge Fantasy. Ausserdem bekam ich jedes Mal ein kleines Geschenk von meiner Mama wenn sie sehr spät von ihrer Arbeitsschicht nach Hause kam. Sollte ich je einen Funken von Einsamkeit verspürt haben, verflog der in dem Moment wenn wir gemeinsam im Doppelbett schliefen, sie mich umarmte, lustige Geschichten ins Ohr flüsterte und mir sagte wie sehr sie mich liebte. Meinen Dad sah ich selten da er auch zwei Jobs machte und meist gerade dann Zuhause schlief, wenn ich in der Schule war. Aber jeden Tag gehörte mir eine Stunde lang seine volle Aufmerksamkeit beim Mittagessen. Danach begann eben meine kreative Spielzeit, meine Selbstbeschäftigung. Klar verstrich manchmal die Zeit einfach viel zu langsam vorbei bis meine Mutter am Abend die Haustüre aufschloss. Ganz alleine war ich jedoch nie. Schliesslich passte Luna auf mich auf und ich auf Luna. Luna war ein ganz liebes weisses Zwergkaninchen die es gerne mochte, wenn ich sie in den Arm nahm. Noch lieber wenn sie aus dem Käfig durfte um in der Stube, fang mich, zu spielen. Also verstand ich überhaupt nicht warum fremde Leute plötzlich mit nervigem Klopfen und drängendem Rufen mich zur Haustüre lockten. Dann mich gegen meinen Willen mitnahmen und mir danach mehrmals sagten, mein Leben sei so nicht in Ordnung. Wenn ich sie von Gegenteil überzeugen wollte, sagten sie mir sie seien ausgebildete Experten und ich solle mir keine Sorgen machen. Mit meinem hübschen Aussehen, vor allem meine auffälligen halblangen glatten, rotbraunen Haaren die draussen in der Sonne wie Golden glänzte und meinem stillen Charakter würde ich schnell eine wunderbare Familie finden die viel Zeit für mich hätte. Von wegen Still! Meine braunen Augen funkelten bedrohlich auf. Innerlich tobte ein brausender Sturm gegen die Ungerechtigkeit mich von meinen wahren Eltern fernzuhalten. Ich habe mich auf meine ruhige Art gewehrt. Alle neuen begeisterten Familieninteressiere, die eine heile Welt versprachen, abgelehnt. Ich wollte nicht zu fremden Leuten. Egal wie lieb und süss ihre gutgemeinten Versprechungen klangen. Als mein Protestfase zunahm bekam ich die schlimmste Nachricht zu hören die mir zum ersten Mal einen tiefen Schmerz ins Herz riss. Meine Eltern seien einfach verschwunden ohne eine neue Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Weg, unauffindbar ohne den kleinsten Hinweis für mich. Diesmal packte mich die volle Kälte einer bitteren Einsamkeit. Ich besaß weder ein altes Kleidungstück noch ein Foto um meine Erinnerungen aufzufrischen. Nicht einmal von Luna konnte ich mich verabschieden. Gegen sture Behörden kam man nicht an. Also hüllte ich mich lieber in resigniertes Schweigen ein. Vor allem ließ ich mich immer weniger von diesen gutmeinenden Erwachsenen anfassen. In neue Ersatzeltern setzte ich kein Vertrauen mehr. Was meine wahre Familie zerriss konnte jederzeit wieder passieren. So etwa wie Sicherheit existierte nicht mehr für mich. Etwas in mir baute eine riesige unüberwindbare Mauer auf. Vielleicht war ich zu klug, weil ich genau realisierte was mich von meinen wahren Eltern getrennt hatte. Diese riesige Last der Geldschulden, die sie trotz allen Bemühungen nicht mehr entgegenwirken konnten. Möglicherweise konnte man es auch Dummheit nennen, weil ich mich so verbohrt gegen alle neuen Veränderungen sperrte. Mich verstand eh keiner und manchmal verstand ich mich selber kaum. Also bekam ich in einem Heim einen festen Stammplatz, weil ich mich dort am normalsten benahm. Den regelmäßigen Tagesablauf und das kalte Lehrpersonal passte irgendwie zu meiner alles ignorierende, leichtdepressive Stimmung. Mein Zimmer teilte ich nur mit meiner hilfreichen Streberfreundin Cordelia, die sich aber dank ihren Drogen dann leider in eine höhere Klassenliga beförderte. Mit der neuen verbitterten Zimmergenossin die nicht nur schnell in Rage geriet, sondern nachts so grässlich schnarchte, verpuffte bald meine letzte Ruhe. Doch ich sehnte mich nach einer heilen Welt. Nach der so stillen Ruhe an den Nachmittagen wo ich mit Luna glücklich spielte, oder mit den geschenkten Farbstiften von Mama ungestraft meine Zimmerwände verzieren konnte. Sie nannte es ihre wunderschöne Glückstapete. Egal wie schön ich im Internat, selbst was ganz winziges in meinen Schreibtisch zeichnete, es hagelte von der ordnungsliebenden Aufsicht unbeliebte Strafen ein. Kurz gesagt ich wollte meine ruhige Auszeit zurück. Genau das bekam ich geschenkt als ich eines Tages in der Schule, während des Unterrichts, aufstand und sinnlos eine leere Wand anstarrte. Was das Lehrpersonal verängstigte war, dass ich nicht einfach aus dem Fenster starrte. Da hätte ja noch Sinn gemacht. Nein, ich guckte einfach einen kleinen unbedeutenden Fleck an der Wand an, der wohl genau in diesem Moment den Sinn seines Daseins bekam. Weder Geschrei, noch gegiftete Drohungen, nicht mal eine kalte Dusche holte mich aus meinen zugemauerten Zustand. So verdiente ich mir einen ruhigen Platz im Vorstufenprogramm eines Irrenhauses. Nach einem wöchentlichen Aufenthalt störte mich zunehmend der unkontrollierbare zuckende Zimmernachbar. Also startete ich einen harmlosen Selbstmordversuch. Dabei beabsichtigte ich gar nicht das perfekte Ende zu erreichen. Als Lohn steckte man mich in eine isolierte Einzelzelle. Glaubte ich mich nun am begehrten Ziel meiner verdrehten Wünsche, so irrte ich erneut. Vollkommenes Abschalten, vergessen, konnte man leider nicht wenn man einen Körper hat, der nach seinen gewöhnlichen Bedürfnissen wie z. B. Essen lechzte. Irgendwann gab ich mich mit dem fürsorglichen Pflegepersonal ab. Empfand das äußert lästig aber mir blieb gezwungenermaßen keine Wahl. Mit der Zeit akzeptierte ich sogar eine gewisse schwache Ablenkung der auferlegten Isolation. Dafür belohnte mich das wachsame Personal sogar mit einer kleinen, unkomplizierten Heimarbeit- Beschäftigungstherapie. Worauf ich empfindlich Allergisch reagierte. Kräftig ein paar Mal mit der Stirn gegen eine raue Mauer schlug. Dank der beruhigenden, betäubenden Medikamente, mit denen sie uns vollpumpten, tat es nicht einmal besonders weh. Nach meinem radikalen Ausbruch liess man mich wieder in Ruhe. Obwohl ich die meisten aktiven Gehirnzellen, praktisch völlig bis auf ein Minimum abschaltete, entwickelte ich geschickt ein Spiel um genau die gewünschte Level Position zu halten. In welcher keine störenden Veränderungen mein Leben beeinflussen sollten. Wozu sollte ich mich in dieser sinnlosen Gesellschaft, draussen wie drinnen im Haus, die den Hang zur Selbstzerstörung besass, mir etwas aufzwingen zu lassen? Mir ihre unvernünftigen Regeln eintrichtern lassen und ihr gieriges Spiel nach Geld und Ressourcen mitmachen? Hier, in der Klinik entdeckte ich endlich meine eigene Macht, meine verborgene Stärke, ein eigenes gemeines Spiel zu führen. Damit füllte ich meinen sonst ereignislosen Alltag. Meine bescheidene Philosophie; hier schadete ich niemandem ausser den fetten Steuerzahlern. Dafür verursachte ich draussen nicht meinen Teil an der Luft- Erdverschmutzung. Niemand durfte mich verurteilen für die Abholzung des wertvollen Urwaldes oder der Ausrottung einer seltenen Tierart. Keine Verantwortung, ausser dem friedlichen Zusammenleben mit meinen gestörten Artgenossen. So fand ich meinen erfüllten Platz und hoffte dass ich dabei eines Tages nicht gar so Alt ausreifte, wie andere grauhaarige Pensionäre. In den letzten zwei Jahren hütete ich mein chaotisches Leben in einer recht stabilen Lage. Bis vor einer Woche eine unerwartete, gutgemeinte Überraschung mir auflauerte. Anfangs reagierten meine abgestumpften Gehirnzellen ziemlich träge. Realisierten und leiteten es an den verbliebenen kläglichen Verstand, der entschied diesmal nicht gemütlich abzuwarten.
Die männliche Chefstimme holte mich aus meinen versunkenen Träumen der Vergangenheit. „Was genau ist passiert? Bitte die Kurzform und verständlich ohne das Ärztekauderwelsch.“ Gespannt horchte ich mit, als der Oberarzt klar startete. „Klassischer Selbstmordversuch vor drei Tagen. Auslöser war meines Erachtens die schlechte Idee eines neuen Mitarbeiters. Er wollte eine kleine Geburtstagsparty veranstalten. Für die alteingesessenen immer eine nette Abwechslung vom Alltagstrott. Aber Safina reagiert auf solche Veränderungen ziemlich empfindlich. Abstand zu anderen ist ihr extrem wichtig. Keine emotionale Bindungen oder Freundschaften zu anderen Patienten. Notorische Einzelgängerin. Ich habe keine Ahnung wie Frau Braunschweig eine so unkooperativene Patientin überhaupt in Betracht ziehen konnte. Stattdessen würde ich wärmstens B62 empfehlen. Männlich, robust, ausdauernd und hat genug Verstand Geldscheine beim Süssigkeitenautomaten umzutauschen. Was von C44 völlig ignoriert wird.“ Erstaunt hielt der Reiche einen Moment inne. „Kein Geld?“ Kopfschüttelnd tippte der Oberarzt mit einem Zeigefinger auf seine Mappe nieder. „Unbestechlich. Nimmt aber gerne Schokolade an sofern keine Gegenleistung verlangt wird. Wie vorhin erwähnt habe, wird B62 von mir persönlich trainiert. Mit ihm stünden unsere Chancen weitaus besser.“ Genervt seufzte sein Gegenüber auf. „Wieso stehe ich dann hier im Gang mit einer minderwertigen C44!“
Verlegen drückte der Oberarzt seine Mappe wie einen schützenden Schild vor seiner Brust. „Bei B62 müsste man vorher einen schmerzenden Zahn behandeln. Eine halbe Stunde, länger dauert das kaum. Wir ziehen ihm das Übel einfach raus, dann ist er voll einsatzfähig.“ Seinem hoffnungsvollen Tonfall war zu entnehmen wie sehr er diese kleine Verzögerung bevorzugte. Ein deutliches Kopfschütteln zerstört seinen geplanten Einsatz. Wissend sah ihn sein inoffizieller Arbeitgeber an. „Nein, sollte sich nach der Behandlung etwas entzünden oder er schluckt unkontrolliert die Schmerzmittel alle auf einmal wäre das ein gravierender Fehler. Das können wir uns nicht mehr leisten.“ Unglücklich nickte der Oberarzt. Versuchte es zögerlich. „Mit einem neuen zusätzlichen Investor…“ „Vergessen sie das! Was Sie stattdessen nicht vergessen sollten sind, die unzähligen Gesetze die gebrochen wurden. Wie viele Testobjekte wurden geopfert? All die Millionen Ausgaben für Technik und Schweigegeld. Wir brauchen keinen weiteren Risikofaktor.“ Schweigend presste der Oberarzt seine dünnen Lippen aufeinander. Nachdenklich deutete der Chef zurück auf die alte Mappe. „Gesundheitszustand?“ „Ist in Ordnung. Wir haben das kleine Desaster vor drei Tagen mit ein paar wenigen Stichen repariert. Zum Schutz trägt sie jetzt vorübergehend einen Gipsverband am linken Unterarm. Zur Strafe ein bisschen grösser als nötig.“ Als sein Gegenüber seine Augen fragend verengte folgte die rasche Erklärung. „Juckreiz. Ganz harmlos, aber für jemand wie C44 die sich so gerne ausklinkt, ein ziemlicher störender Faktor.“
Aha, das erklärte so einiges. Unauffällig blickte ich auf mein vergipstes Ungetüm von einem Unterarm. Ich hatte mich schon gewundert ob der Aushilfspfleger einfach besonders Kreativ sein wollte. Die verheilenden Narben pochten hin und wieder ganz harmlos. Aber ich hatte den Pfleger schon verdächtigt, dass er mir eine Substanz vor dem Auftragen des Gipses auf Haut schmierte, die eine allergische juckende Reaktion auslöste.
Ein unverständlicher Blick des Investors reichte aus damit der Oberarzt rasch aufklärte. „Wir beobachteten über die Kameras den Einfallsreichtum von C44. Mit Hilfe eines Plasikbecher, den sie heimlich von dem Reinigungspersonal stibitzte, hat sie ihr Ziel erreicht. Obwohl wir ihre Medis erst seit gestern Abend herabgesetzt haben.“ Diesmal blickte er verwundert zu mir rüber als sei ihm das erst jetzt richtig bewusst worden.
Ohne Hast blickte ich zu Boden. Ich musste wohl zukünftig vorsichtiger sein. Anderseits hatte ich den reduzierten Medizintrank am Abend nicht realisiert. Das erklärte den plagenden Druck in meinem Kopf seit den frühen Morgenstunden. Vor allem warum meine Gedanken so klar funktionierten. Sogar störende Gedanken wie, die wollen mich vielleicht ausschlachten für den Organhandel, strömten da herbei und verursachten einen ungewollten Adrenalinausstoss. Angst flackerte in meinen Augen auf. Das würde auf jeden Fall die zwei professionellen Wärter erklären. Warum sonst behüteten sie mich als sei ich der neueste Staatsschatz. Sie kleben an meiner Seite, also war ich die glückliche Zielperson. Vielleicht brauchte dieser nach aussen so perfekte Mister Reich bald ein verjüngendes Ersatzteil für ein inneres versagendes Organ! Meine Augen linsten heimlich zu dem Übeltäter hoch. Das wäre echt übel! Obwohl er trotz seinem fortgeschrittenen Alter ziemlich gesund aussah. Ein bisschen blass und ein paar rundlich Kilos Körperfett, wegen mangelnder Bewegung, zu viel. Seine tiefliegenden Augen ertappten meine einschätzende Musterung. Verstört senkte ich sofort meinen Blick. Ein Blick in die Augen eines hungrigen Haifischs wäre nicht schlimmer gewesen. Schaudernd atmete ich kurz schneller ein. Zuckte ab der plötzlichen klaren scharfen Stimme zusammen. „Sie hat was. Lassen wir unser Gremium antanzen.“ Erleichtert verfolgte ich wie seine auf Hochglanz polierten Lederschuhe in ein seitliches Hauptbüro verschwanden. Dicht verfolgt von den bequemen schlichten medizinischen Berufsschuhen.
Ungewöhnlich schweigend führten meine professionellen Wärter weiterhin ihre Arbeit aus. Normalerweise quasselten die üblichen Angestellten fleissig los, sobald der oberste Chef in seinem privaten Büro verschwand. Unbeabsichtigt erfuhr ich dann so einiges von aktuellen Sportberichten und Problemen mit nörgelnden Freundinnen. Man(n) prahlte mit erotischen Bettgeschichten oder schwärmte von seiner neuen technischen Errungenschaft, meistens ein erweiterndes Programm fürs Handy. Heute jedoch blieb es verdächtig ruhig. Eine deutliche Abweichung von der üblichen Normalität. Seit ich vor zwei Jahren in diesen Trakt verlegt worden war, vermutete ich das hier seltsame Dinge passierten, passend zu diesem verrückten Ort. Niemand schien uns wirklich je zu verlassen. Nicht über dem normalen Weg der durch die gesicherte Haustüre führte.
Ein Gefängnis für die Ewigkeit tauften es die alteingesessenen. Dem wollte ich es gleichtun als ich vor vier Tagen meinen zweiten Selbstmord versuchte, diesmal mit echten Absichten. Verschwinden in ein perfekteres Leben. Tatsächlich meinem letzten Willen folgen, der Erlösung, nach meiner schmerzlichen Vergangenheit bedeutete. Vor wenigen Wochen verriet mir nämlich eine eifrige Betreuerin, dass mein zwanzigstes Geburtsjahr bevorstand und sie plante dafür eine kleine, kurze Feier. Eine Stunde lang Tanzmusik und süssen Kuchen soviel ich möchte, versprach sie mir begeistert. Auf so eine heile Welt Illusion verzichtete ich jedoch gerne. Ganz besonders weil diese lächerliche Kleinigkeiten sogar in meiner Akte als Minus vermerkt worden war. Dabei hatte ich es längst begriffen warum meine Eltern nichts für einen Geburtstagskuchen ausgaben. Eine Kerze und ein aufgewärmter gewöhnlicher Süsskuchen aus dem Billigmarkt, vor allem viel Liebe lange Umarmungen und schöne Worte hatten mir gereicht. Okay, manchmal ist mir doch eine bedauernde Träne über die Wangen gerutscht. Das letzte kleine Geschenk war nicht nur klein gewesen, sondern ich hatte bereits geahnt, dass ich wieder eine Farbtube bekam. Die weiche Form einer Acrylfarbtube ertastete ich sofort durch das Geschenkpapier. Ich hätte mir etwas Überraschenderes gewünscht. Dennoch habe ich meinen fünften Geburtstag nie vergessen. Weil sich der Inhalt der unspektakuläre Tubenform in eine goldene Sinfonie verwandelte. Ich war nicht im mindestens Enttäuscht als Mama mir erklärte das sei nicht echtes Gold. Es sah für mich aus wie Echt, das reichte um meinen Einhörnern an den Wänden mehr Glanz zu verpassen. Diese letzte kostbare Erinnerung an meine komplette Familienzeit hatte sich tief eingegraben. Wir waren zwar bitterarm gewesen aber zumindest ich hatte viele glückliche Momente abgespeichert. Das neuzeitige, ungewollte Fest zu meinem Zwanzigsten konnte mir gestohlen bleiben. Es löste nur Schmerz in mir aus. Neben meinen perfekten Erinnerungen wollte ich keine mit lieblosem Kitsch abspeichern. Keine Entgegenkommenden. Vorher bevorzugte ich ein sauberes klares Ende. Leider schien meine langjährige Betreuerin diese krasse Reaktion voraus zu ahnen. Es war wohl kaum purer Zufall, dass sie mich nachts unangekündigt besuchte. Außerhalb ihrer gewöhnlichen Arbeitszeit. Gerade als ich wenige Sekunden zuvor meine Pulsadern, an den Handgelenken, auf schändlichste operierte. Frau Braunschweig, meine älteste Betreuerin bisher, schüttelte traurig und ein bisschen enttäuscht den Kopf über meinen misslungenen Versuch. Dabei hatte ich gute Chancen gehabt, bis zum nächsten Morgen zu verbluten.
Verständnislos sah sie mich mit ihren resignierten dunkelbraunen Augen an. Seufzte tief, als würde sie mich endgültig aufgeben. „Du verarbeitest deine Vergangenheit wohl nie. Gibt es wirklich nichts worauf du dich in der Zukunft freuen könntest?“ Danach folgte ein in sich gekehrter Blick, der mir mehr Sorgen bereitete als das schmerzende Handgelenk aus dem mein roter Lebenssaft gerade heraus tröpfelte. Sie schmiedete einen neuen Plan, den ich nicht mal ansatzweise erriet. Jedenfalls verschwand sie entschlossen, in ihrem eleganten Straßenanzug. Hoffentlich vermieste ich ihren angestrebten Feierabend genauso wie sie meinen geplanten Abschied vom Leben. Nachdem Frau Braunschweig so entschlossen abrauschte, blieb ich weiterhin deprimiert reglungslos liegen. Genoss einfach das betäubende Gefühl der einschleichenden Schwäche. Ja, sogar das dämliche, kümmerliche Leben zog an mir vorbei. Vor allem die letzten zehn Jahre, mit dem ständigen Wechsel durch drei Pflegefamilien. Das letzte streng gläubige Pärchen erwies sich als besonders hartnäckig. Dachten ihre Lebenserfahrung und eine kirchliche Anleitung für Verhaltensregeln reichten aus mich auf den rechen Weg zu führen. Vor allem die anfangs ständigen aufgezwungenen Umarmungen fand ich so schrecklich. Gegen meine vehemente Abweisung planten sie zur Strafe eine Isolationsrunde ein. Den Zimmerarrest, ohne Fernseher, ohne Computer empfand ich geradezu als erlösend. Ich vermisste kein Handy da ich keine Freunde besass. Es gab niemanden zum anrufen. Nein, die karge Zimmereinrichtung beflügelte meine gedankliche Fantasy. Dort kreierte ich meine eigenen unterhaltsamen Filme. Blendete meine reale Welt, mit ihren Zwängen, einfach aus. Jedoch tolerierten meine fürsorglichen Pflegeeltern keine abschweifenden Tagträumereien. Nun denn, meine Kreativität kannte auch ihre speziellen Fluchtwege. Nachdem mich meine aufmerksamen Pflegeeltern dabei erwischten, wie ich bei einem Test versuchte heraus zu finden wie viele Schmerzen mein Körper, durch das Ritzen mit einem scharfen Cutter aushielt, fuhren sie mich postwendend in die geschlossenen Klinik zurück. Damals besass ich einen blutverschmierten Unterarm. Oberflächliche Schnitte die absolut harmlos waren. Nicht zu vergleichen mit dem krassen Gemetzel das ich erfolglos kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag startete. In der kontrollierten Klinik war es praktisch unmöglich verletzende Gegenstände zu basteln. Die groben, sachlichen Pfleger hatten sogar nur wenige Minuten gebraucht um mich mit ein paar Nadelstichen wieder korrekt zusammen zu pflastern.
Ich hätte mir reine Gleichgültigkeit gewünscht, aber ich wurde immer neugieriger als ich meinen Wächtern voraus schlurfte. In meinem Hinterkopf blinkte ständig eine winzige rote Warnlampe auf. Ausnahmsweise empfand ich die schweigende Stille in dieser Nacht bedrückend.
Meine Barfüsse bemerkten die Kälte des Latexbodens. Weckte mich weiter aus meinem passiven Zustand. Wieso bekam ich heute keine dieser billigen softweichen Sandalen ausgeliehen? Jeder verhielt sich leise, rätselhaft. Automatisch passte ich mich ihnen an. Wer brav mitmachte, dem stopfte man mit wenigen Medikamenten voll. Diese Mittel lösten bei ihrer abklingenden Wirkung ein unangenehmes Kopfweh aus. Schmerzen brachten mich nur in die Gegenwart zurück und von der wollte ich ja verschont bleiben. Also umging ich es möglichst. Vom genauen Datum, Jahr oder Tag hatte ich keine Ahnung mehr. Uninteressant. Auf die Abreiß Zettel vom Kalender, im Speisesaal, war kein Verlass. Einzig, dass der Winter hinter uns lag realisierte ich.
Die dunklen Nachtstunden verkürzten sich. Öfters blieb der Himmel klarer, deutlicher die funkelnden Sterne am Himmel und langsam verabschiedete sich der Mondkreis aus meinem Blickfeld. So empfand ich letzthin vermehrt Bedauern wenn ich auf den automatischen Schalter drückte um das Dachfenster in meiner Zelle zu öffnen. Die Decke war außergewöhnlich hoch. Jedenfalls gelang es mir sie nicht zu erreichen wenn ich vom Bett aufsprang. Das Bett selber, welches man als massive Platte in die Wand einbaute, war mir auch keine Hilfe um an das einzige Fenster, Panzerglas, hoch zu kommen. Früher hatte ich mit meinem Unwissen noch versucht es mit Bücher einzuschlagen. Scherben sind ein guter Selbstmord Gehilfe.
Heute, in diesem Moment war ich einfach schrecklich müde. Körperlich und geistig. Sehnte mich nach meinem gewärmten Zimmer zurück. Heute Nacht wollte ich nach dem anstrengenden Tag, einfach abschalten, wieder ins Vergessen zurück sinken. Vor allem den Zeitpunkt vor vier Tagen auslöschen bei dem ich es endlich schaffte einen der seltenen Plastikbecher zu ergattern die ein unachtsamer, müder Mitarbeiter vom Reinigungspersonal hatte stehen lassen. Ich hatte mir so viele Mühe gegeben um was Geeignetes zu finden um zu sterben. Es gab nirgendwo Stoff den man reissen konnte. Schnüre existierten in diesem kahlen Gebäude nirgends. Das Besteck war in diesem gesicherten Trakt immer aus weichem Kunststoff. Weder Messer, Scheren noch Zahnstocher bekam ich je zu Gesicht. Wir waren perfekter geschützt als jedes Kleinkind. An diesen öden Wänden fehlten Bilder. Weder Trinkgläser noch Vasen. Keine Möbel aus Holz, sondern dichtem gepresstem Karton standen zu unserer Verfügung. Eigentlich plante ich meinen letzten Abschied viel einfacher.
Man eskortierte mich in einen abgelegenen Trakt der berühmten Heilanstalt. Angerostete Sanitäre Installationen und altmodische Farbmuster in den Bodenplatten verrieten mir, dass wir den ältesten Teil des Hauses betraten. Warum vernachlässigte man so einen antiken Abschnitt einer sonst so modernen vorbildlichen Anstalt? Finanzielle Schwierigkeiten? Zum Glück quälten mich nie solche Sorgen persönlich.
Vor mir eine lausig abgesperrte Tür. Warnend sprang einem das gelbe Schild ins Auge. Selbst für jeden Irren ein verständliches Bild das erklärte, dass die Treppen morsch sind und Einsturzgefahr herrschte. Grob schwenkte einer meiner Wärter das angerostete Gitternetz vor der Türe einfach zur Seite. Ziemlich sachte öffnete er darauf die alte Tür dahinter. Fürchterlich quietschten die trocken, verstaubten Scharniere. Es tat weh in meinen sensiblen Ohren. Übermütig grinste mich mein Begleiter an. „Hinunter mit dir! Pass aber auf, es sind ziemlich große Stufen.“ Wie schön, sie waren um meine Sicherheit besorgt.
Sie ließen mir den Vortritt in den steilen, engen Treppenkorridor. Halbdunkles Licht wegen einer angeschwärzten Lampe. Himmel! Zur Sicherheit stützte ich mich an den vergilbten Wänden ab um die ungewöhnlichen, unbequemen Stufen zu bewältigen. Dabei blätterte alte Farbe ab und blieb unter meiner Handfläche kleben. Angewidert rieb ich mir die unerwünschte Hautverzierung weg. Freiwillig spazierte hier garantiert keiner hinunter. Allerdings wunderte ich mich über die ziemlich stabilen Holzstufen. Es knarrte zwar unter den staubigen Stufen doch alles gehörte zu einem vernünftigen Eindruck einer gewöhnlichen stabilen Holzfassade. Wozu also die abschreckende Warnung? Hinter mir rumpelten die schweren Wächter heran. Bestätigten meine Diagnose. Was versteckten sie hier unten? Mit einem zunehmenden bedrückenden Gefühl folgte ich einem schmalen Korridor der um eine Ecke führte, wo sichtbare Schwärze wartete. Es waren die fensterlosen Zimmer und Gänge vor denen mir grauste. Natürliche Dunkelheit empfand ich als er angenehm erträglich. Sternenklare Nächte waren mir die liebsten. Aber diese unnatürliche geschlossene Finsternis eines betonierten Raumes liess mich beklommen frösteln. Das spärliche Licht der Taschenlampe verstärkte den unheimlichen Anblick des dicken Gitters aus massiven Stahlstäben. Das hier glich eindeutig mehr einem soliden Gefängnis. Tief unten abgelegen, wo keine noch so verzweifelten Schreie bis nach oben drangen. Es folgte wieder eine weitere, massive Türe aus stabilem Eichenholz. Verwirrt blieb ich vor dem verriegelten Eingang stehen.
Meine Begleiter schoben mich kurzerhand an die raue Wand zurück. Einer öffnete mit einem speziellen Schlüssel die letzten Schlösser. Geräuschlos schob sich die Gefängnistür zur Seite auf. Wow, DAS machte mir erstmals richtig Angst. Diese unerwartet sündhaft teure Einrichtung nach einem getarnten abschreckenden Eingang? Das bedeutete professionelles Böses! Ein unbewilligtes Versuchslabor! Schmerzhafte Folter, Quälerei, schoss es durch mein aufgeschaltetes Gehirn. Schlimmstenfalls wurde alles versteckt gefilmt und im Internet an zahlende perverse Anbieter verkauft. Draußen versteckten sich schließlich genug weitere inoffiziell Gestörte die man nie Registrierte. Himmel, diesmal tat meine bevorstehende Bestrafung bestimmt weh. Nein, mehr weh tat da der grobe Schubs, an die Wirbelsäule, vorwärts. Zu meinen Schrecken blieben meine Begleiter, wie loyale Wachhunde, hinter mir stehen und schlossen rasch die Tür zu. Ihre Leinenkette reichte nur bis zur Türschwelle. Sie blieben draussen um von was kein Zeuge zu werden? Gestresst stand ich also alleine in einem halbdunklen Raum. Es schien eine größere Halle zu sein. Im hinteren abgedunkelten Teil standen Tische, Stühle, Personen. Verhüllte Lampen warfen ein so ein spärliches Licht, dass nur schummrige Umrisse verrieten wo gerade jemand sass. Dann ein aufflackern einer kleinen, grellen Tischlampe im vorderen Teil. Eine einfache, leere Schreibtischplatte wurde in der Mitte des Raumes beleuchtet. Der freie unbequeme Bürostuhl davor eine deutliche Einladung. Heiser rief eine ältere, männliche Stimme: „C44!“ Das war meine vertraute Zellennummer. Da es keine Frage war, lieferte ich keine bestätigende Rücksendung. Mit kalten Handflächen rieb ich mir über mein ungepflegtes Gesicht um ihm ein bisschen Leben ein zu massieren. Ausdruckslos trat ich zu dem zugeteilten Platz. Setzte mich träge auf den harten Stuhl, dehnte meine Arme auf ein Maximum um die letzte Müdigkeit aus den eingerosteten Sehnen zu treiben. Lange Zeit herrschte gespannte Stille. Gelegentlich schleiften ungeduldige Schuhsohlen über den glatten Boden. Man beobachtete mich einfach von den hinteren verdunkelten Sitzreihen heraus. Gleichgültig sah ich zwischen meinen langen, glatten Stirnfransen hindurch auf dieses wartende Publikum. Dabei bemerkte ich wie das matte, ungepflegte Haar durch das blendende Licht goldbraun Schimmerte. Auch so ein auffälliges Detail welches ich am liebsten wegwünschte. Als Kleinkind hatte es sogar geleuchtet wie eine polierte Orange. Entsprechend erhielt ich unerwünschte Aufmerksamkeit von den neidischen, verwöhnten Gören welche gerne den Mittelpunkt der Schule für sich beanspruchten. Gehässige Hänseleien oder gar angestacheltes Gruppenmobbing taten mir nur innerlich weh. Augen zupressen und den gewöhnlichen Schulwahnsinn einfach überstehen, war meine alltags Devise. Von mir quetschten sie nicht eine sichtbare Träne aus den Augen. Das ärgerte sie mehr, als bloss unterwürfigen Gehorsam zu erpressen. Doch niemand wagte mich schlussendlich anzufassen, da ich ein paar gemeine Handgriffe drauf hatte die sehr schmerzhaft waren, aber keine sichtbaren blauen Flecken hinterließen. Ja, meine damalige kurzfristige Freundin Cordelia war eben nicht nur ein Genie in Mathe gewesen. Im Kampfsport hatte sie nach dem schwarzen Gürtel noch einige weitere Auszeichnungen gewonnen und sie hat mir ein paar einfache Verteidigungstricks beigebracht. Schade eigentlich, dass man ihr mit der Pille in der Grundschule den Bewegungsdrang völlig abgestellt hatte. Ich hoffte sie genoss trotzdem noch eine wundervolle Karriere mit etwas was ihr so richtig Spass machte. Sie war sogar ein Jahr älter als ich, also müsste sie längst mit einem guten Job versorgt sein. Bestimmt war der interessanter als gerade meine unsichere Position. Gelangweilt gähnte ich ungeniert, ohne eine schützende Hand vor den Mund zu heben. Worauf warteten wir? Dieses untätige Stillsitzen liess zu viele offene Fragen aufsteigen. Routiniert sah ich auf meine Fingernägel hinunter, welche gerade wieder zaghaft anfingen zu wachsen. In den letzten zwei Tagen hatten die Fesseln verhindert, dass ich an den fast zur Hälfte gekürzten Nägeln herum kaute. Gewohnheitsgemäß wollte ich gerade eines der längeren, geschundenen Exemplare mit den Zähnen bearbeiten, als ich energische Schritte hörte.
Zunehmende Lautstärke von spitzen Frauenabsätzen hämmerten regelmäßig auf den Untergrund ein. Kündigten eine entschlossene Besucherin an. Im spärlichen Lichtpegel formten sich die vertrauten Gesichtszüge meiner strengen zielbewussten Oberbetreuerin zusammen. Ungeschminkt, ernst mit hochgestecktem, dunklem Haar, energisches spitzes Kinn und kleine, fast schwarze Augen die wie ein Adler jede Kleinigkeit, die ihr wichtig erschienen, anzoomten. Korrekt mit ihrer weissen Berufsuniform gekleidet und mit einer dicken Papierakte in der Hand bewaffnet, steuerte sie geradewegs zu meinen Schreibtisch. Während es mich fröstelte, erleichterte sich sie sich von ihrer schweren Last und raunte beifällig herüber, „Für diesen Schritt brauchst du weniger Mut als für diesen…“Abschätzig klopfte ihr knochiger Zeigefinger, wie ein hungriger Specht, auf meinen Gipsverband hinab. Automatisch zuckte ich zurück um ihn vor der kräftigen Fingernägel Attacke zu schützen.
Bei ihrem energiegeladenen Auftritt fiel es mir schwer die abwesende desinteressierte Fassade aufrecht zu halten. Diese intelligente Betreuerin verstand es hinter vorgetäuschte Fassaden zu schlüpfen. Zerbröselte, strapazierte arg meine Mauer der Gleichgültigkeit. Herausfordernd duellierte sie mich schweigend an. Da ich mich mit keiner emotionalen Regung verriet, richtete sie sich würdevoll auf und wandte sich dem einfacheren Publikum zu. Klar durchschnitt ihre Stimme den düsteren Raum. Weckte jeden bisherigen schläfrigen Gelehrten auf. „Frau Braunschweig, Betreuende Schwester seit einem Jahr. C 44 steht seit dieser Zeit unter ständiger Beobachtung. Wir haben sämtlichen Beschäftigungsprogrammen bei ihr ausprobiert. Sie wurden alle deutlich abgelehnt, was neben ziemlichem Durchhaltevermögen auch für entsprechende Intelligenz spricht“, bei diesem Kompliment lächelte sie mir sogar schief zu. Dafür erntete sie nur einen minimalen verstimmten Blick von mir. Selbst diese Mikroveränderung entgingt ihr nicht. Ihre Zuversicht erhielt eine weitere Bestätigung und diesen hörte man im entschlossen Tonfall heraus. „Quoten auf einen Fehlschlag liegen laut Test bei 50%. Das liegt daran, dass wir keinen motivierenden Köder vorliegend haben. Bei einem individuellen Anreiz halte ich C44 für mehr als hervorragend Qualifiziert. Safina ist überaus Misstrauisch, kreativ Erfinderisch, kann bereits auf minimale Veränderungen gut reagieren und lautloses schleichen gehört ausnahmsweise auch zu ihren guten Eigenschaften. Sie hat ihr Talent unsichtbar zu bleiben bereit mehrfach in den letzten Jahren bewiesen. Meinen persönliche Meinung kenne sie ja, dass ich C44 für eine intelligente Schläferin halte.“ Trotz ihrem wichtigen Referat bemerkte sie meine sachte Bewölkung über der Stirn. Die an mich gerichtete Stimme triumphierte überlegen. „Schläferinnen sind für mich unselbstbewusste Schäfchen, die sich gerne in der untersten Klasse verstecken und nur einen gewissen Tritt brauchen um wieder voll Leistungsfähig in der Gesellschaft draussen zu funktionieren.“ Man merkte ihre gespannte Selbstbeherrschung um mildere Worte zu wählen. Bestimmt wippten ihr unschöne Worte wie Schmarotzer oder Arschtritt auf der vordersten Zungenspitze. Mit einem schweren Räuspern und eine zackigen Kopfnicken beendete sie ihren Auftritt. Ziemlich brav verschwand sie hinter meinem Rücken irgendwo an die Wand.
Ansteigendes Flüstern verriet eine entbrannte, hitzige Diskussion. Bis sich eine kritische Stimme laut äußerte. „Wir zweifeln trotzdem das Erfüllen der geringen Ansprüche an. Bei den letzten gab es immerhin ein gewisses Maß an Interesse.“
„Was wenn sie sich gleich nach der Ankunft umbringt? Also ein zielgerichtete gierige Person wäre mir da viel lieber.“ Mischte sich da eine ziemlich junge Stimme ein.
Selbstsicher, fordernd durchschnitt eine männliche Stimme den Raum. Diesen Mann erkannte ich deutlich als der tonangebende Haifisch von vorhin. „Safina, bist du an einem neuen Anfang interessiert?“
Alleine, weil er mich mit meinem richtigen Namen ansprach, animierte mich zu antworten.
„Wie“, ich schluckte einmal leer um mit meiner ungewohnten Stimme wieder Wörter zu formen. „Wie darf ich das Verstehen?“ Sagte ich ziemlich heiser. Soweit funktionierte mein Verstand noch, dass ich einen faulen Haken an der seltsamen Sache witterte.
Seine tiefe Stimme war wie eine verlockende Sinfonie in diesem akustisch verstärkten Saal. „In einem unerforschten Land ein paar schöne Sommertage genießen. Klingt doch toll! Wenn du stattdessen lieber dein Leben wegwerfen willst, dann melde dich dort einfach bei den hiesigen, misstrauischen Einheimischen. Die beschleunigen diesen Wunsch gerne. Solltest du jedoch mit unserer Mission unerwartet Erfolg haben, winkt dir ein einmaliger Gewinn. Du hättest einen Wunsch frei. Von mir aus verschenken wir dir sogar eine ganze abgelegene Insel, nur für dich alleine.“ Seine Stimme klang verlockend, honigsüß als er hinzufügte, „Ein eigenes Revier. Dein Königreich wo du alles machen kannst was du willst. Je nach Wunsch vielleicht ein paar tröstliche Haustiere? Keine Rechnungen, keine Steuern, kein Druck von der Regierung, die störenden Nachbarn fehlen, der Strand liegt gleich vor der Haustüre und jeden Tag warme Sonne. Wie finden du das?“
Das mit den Haustieren kam von ihm dermaßen spöttisch rüber, dass es mich fröstelte. Er hielt den zusätzlichen Fellbonus wohl für absolut unwiderstehlich.
Ich liess mir eine halbe Minute Zeit um meine rasenden Gedanken zu sortieren. „Wie ein verrücktes Angebot auf das nur Irre hereinfallen“, gab ich trocken zurück.
Ein einsames Lachen des jüngsten Investors hallte aus der zurückhaltenden, humorlosen Menge heraus. Zwar gab ich mich völlig gleichgültig. Innerlich jedoch erwachten unerwartete Lebensgeister. Dieses idiotische Angebot reizte wirklich mein Interesse. Ein kleines Leuchten flackerte in meine Augen auf. Mein untrainiertes Gehirn arbeitete bereits auf Hochtouren. Ein entsetzter klarer Gedanke schoss durch meinen auftauenden Verstand. Bevor ich ihn vergaß, fragte ich sofort. „Was ist mit meinen Vorgängern passiert?“
Diesmal meldete sich unerwartet eine weibliche Stimme. „Erst einmal ein Kompliment an Frau Braunschweig. Hier ist tatsächlich eine gewisse Intelligenz beim Testobjekt vorhanden.
C44, wie gesagt, existiert bei den Einwohnern eine gewisse Angewohnheit fremde Besucher weniger freundlich zu empfangen. Solltest du gefasst werden, steckt man dich in eines dieser altmodischen Gefängnisse die man sonst aus dem frühesten Anfängen des Mittelalters kennt. Dort gibt es dann verschiedene Auswahl Möglichkeiten. Eine milde Strafe wäre, ein paar Jahre in einer schimmligen, kalten Zelle abzusitzen oder im besten Fall eine engere Verbindung mit einem gnädigen Wärter einzugehen. Da du eine fruchtbare, weibliche Gefangene bist, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass du umgebracht wirst. Stattdessen müsstest du um dein Leben in der Schauarena kämpfen oder bei Verweigerung in einem der Bordelle weiterleben. Bis jetzt sind alle Versuchsobjekte, die unsere Mission verstanden haben, unverletzt aus diesem Land zurückgekehrt. Dass wir dennoch keine brauchbaren Informationen haben liegt einzig daran, dass wir zu viele Schwachköpfe rüber geschickt haben. Die sich dort einfach nicht unauffällig anpassen können und zu dumm sind ein paar Sätze in einer anderen Sprache von sich zu geben. Komplette Idioten.“ Es klang ziemlich anschuldigend. Dieselbe sprach auf einmal mit spöttischem Nachdruck, „Safina, wie steht es um deinen Verstand?“
Ausgezeichnet. Verstand ich doch, dass er mich vor dieser oberflächlichen Präsentation hier gerade eindrücklich warnte. Irre können feinfühliger, sensibler sein als andere gebildete Personen. Nehmen ihr Umfeld manchmal viel empfindlicher wahr. Mir jedenfalls standen die feinen Haare auf meinem Arm alarmiert auf, bei der letzteren Frage. Mir blieb als die Opferrolle, der Maus, nur winzige Vorteile vor dem rücksichtslosen, überlegenen Tiger.
Vorsichtig wagte ich einen Anfang:„Was gewinnen Sie eigentlich bei der ganzen Sache? Wenn es mir so viel einbringt, wo liegt dann ihr Vorteil?“
Hämisches, verzerrtes lachen liess mich unangenehm frösteln. War das wirklich eine gebildete Frau mit Doktortitel? Dieser gequälte Ton war unheimlich. „Ich kenne dieses weit entfernte Land. Unglücklicher Weise ist es mir versagt es je wieder zu betreten. Heute bin ich hier so was wie ein unfreiwilliger Austauschstudent. Also kommen wir gleich zum Hauptpunkt. Ist das dir bekannt?“
Bevor ich begriff flog ein vergoldeter Stein vor meinen Schreibtisch. Im Licht glänzte er wie eine harte unförmige Murmel und verschwand dann im Schatten unter dem Pult. Träge folgte mein Körper seinen Befehlen. Bückte sich und hob diesen haselnussgrossen funkelnden Stein in den blendenden Lichtstrahl hoch. Mir entfuhr ein begreifendes mattes „Oh.“ Dieses Beweisstück benötigte keine weiteren Erklärungen.
Wieder dieser überlegene Ton. „Er ist als Echt zertifiziert. Vor wenigen Jahrzehnten haben sie einen kleinen Berg davon eingeschmolzen. Das wäre ein Staubkorn davon. Nur ein kleiner Teil davon ist im geläufigen Handel. Unser Interesse gilt dem riesigen Hauptlager das irgendwo im Land versteckt ist. Sie halten es als eiserne Reserve zurück, damit gewisse Leute an der Macht weiterhin von den Marktanteilen profitieren. Funktioniert so wie hier die Börse. Wir tun also sogar Gutes, wenn wir den bisher Benachteiligten einen Vorteil verschaffen. Sozusagen das Ungleichgewicht wieder in eine ausgewogene Balance bringen.
Wir fragen uns also; wo ist der geschmolzene, pure Kern? Eine gewaltige Masse die man leicht finden sollte. Denn wie versteckt man tonnenweise Gold? Du gehst also in diese Land, mischt dich unauffällig unter die Bevölkerung, suchst die besten bewachten Gebiete und kehrst mit dieser Information zu uns zurück. Je nach Umfang, Genauigkeit des Berichtes erhältst du entsprechend deine Belohnung. Na das klingt doch nach einem guten Handel zwischen uns? Das schaffst du doch mit links? Eine einfache Aufgabe. Die einzige Schwierigkeit darin ist, dich unauffällig unter das Volk zu mischen. Dich Unsichtbar zu verhalten ist ja eines deiner wahnsinnig tollen Talente.“ Wieso klang es bloß so abschätzig aus ihrem Mund? Um mich aufzurütteln klatschte sie kurz in ihre Hände. Es funktionierte wirklich. „Also Safina, ist dein Interesse geweckt?“
Da brauchte ich nur kurz Nachzudenken. Das Gesamtpacket klang einfach zu Verführerisch.
Eigenes Land besitzen und gleichzeitig bis zu seinem Lebensende finanziell unabhängig sein! Das alles ohne einen belastenden Mord zu begehen! Ohne mich selber zu beleidigen; Welcher Idiot würde das Ausschlagen?
„Ok.“ Nach meiner raschen Zusage kehrte die Stille zurück. Eigentlich hatte ich geäußerten Jubel oder eine hörbare Erleichterung erwartet. Vielleicht sogar einen überschwänglichen Applaus, weil das ganze so übertrieben inszeniert war. Einzig meine strenge Oberschwester erwachte aus der Erstarrung. „Gut. Es ist Vollmond. Beeilen wir uns!“
Kleider raschelten und Stuhlsessel klapperte als sich das versteckte Publikum erhob. Weiterhin auf ihre Anonymität beharrend. Dafür nahmen sie in Kauf wie leicht Gehbehinderte im Dunkeln zu tappen. Tanzende, wabbelnde Schatten die zurück in ihre teuflische Höhlen kehrten. Ich fühlte mich wie eine hilflose Fliege in einem klebrigen Netz gefangen. Noch war ich nicht komplett eingewickelt, aber von der mächtigen, haarigen Spinne gelähmt. Nachdem die Leute den Saal vollzählig verlassen hatten, flackerte ein blendendes Oberlicht auf. Ein aufforderndes, scharfes Räuspern liess mich träge aufstehen. Brav trottete ich hinter Frau Braunschweig, in einen kleineren, seitlichen Korridor, hinein.
Sie begleitete mich zu einer neuen automatischen Glastür die nur auf einen speziellen Zahlencode reagierte. Schummrige Nachtlichter begleiteten uns in den nächsten Gang, dessen geruchlose Luft eine ungewohnte Sterilität verriet. Als befände man sich in einem toten Raum, ohne Leben. Diesmal vermisste ich sogar den vertrauten bitteren Zitronenduft von der sonst zuverlässigen Putzkolonne. Bei mir meldeten sich schon die ersten Zweifel. “Was habe ich für eine Rückversicherung von der Belohnung?“ „Einen schriftlichen Vertrag sobald du die Probezeit bestehen. Wir stellen ihn gerade auf deinen Namen aus. Du unterschreibst einfach und das Original bleibt in deinen Händen“, versuchte meine Begleiterin zu beruhigen. Es viel mir schwer ihrem forschen Schritt zu folgen. Ich wünschte mir einen modernen Roller herbei, für das folgende Labyrinth. Ein weisser, öder Gang mit ein paar kaum erkennbaren Türen. Gitterlos, ohne Fenster. Natürlich stand mir der weiteste Weg zum entferntesten Raum bevor. Verfolgte wie sich, durch ein Handscanner aktiviert, die grifflose Türe seitlich nach innen schob. Überrascht blieb ich vor der Grenze in den belebten Innenraum stehen. Solange bis sich die Türe praktisch geräuschlos dicht vor meiner Nase wieder schloss. Wenige Sekunden später öffnete Frau Braunschweig leicht genervt abermals das Eingangsportal. Unterschwellig gereizt; „Hättest du die Güte einzutreten? Du wirst dringend erwartet.“ Unnötig zeigte sie auf die zwei wartenden Personen. Einen älteren weisskitteligen Arzt, der bereits ziemlich nervös wirkte, weil sein perfekter geplanter Tagesablauf vermutlich nicht so verlief wie sonst. Daneben stand ein extremer unerschütterlicher Pfadfinder den keine Naturkatastrophe aus der Ruhe brachte. Zwei völlig gegensätzliche Leute die anscheinend tatsächlich als Team zusammen arbeiteten. Was mich allerdings zögern liess, hier einzutreten, war das furchtbare überladene Chaos in diesem vollgestopften Raum. Gnadenlos zog mich Frau Braunschweigs fester Klammergriff, am Oberarm, ins ungemütliche Testlabor hinein. Da nützte selbst das aufgesetzte freundliche Lächeln der andern Zwei wenig, dass ich mich wohler fühlte. Die Anspannung knisterte förmlich im Raum. Oder es lag an dem seltsamen blubbernden Geräusch, welches ein elektronischer Apparat aus einer Zimmerecke herüber wehte? Nebst einer grossblättrigen Zimmerpflanze, welche bereits ihre Krone vor der Decke neigte, füllten hier unzählige Kleidungstücke, sowie verschiedenartigen Lederschuhe den Raum. Jeder Stuhl, jeder Garderobenständer beherbergte ausgefallene Kostüme, die echt ins Mittelalter passten. Dazu stand in diesem vollgestopften Atelier ein vollgeladener Tisch mit unzähligen, bunten Gläsern welche undefinierbare Gerüche verströmten. Nebst dem wirren Kleidergewühl roch es intensiv nach Parfum, Gewürzen und starker, bitterer Medizin. Kurzum dieser schreckliche Raum bildete einen absoluten Alptraum zu meiner gewünschten Stille und Sehnsucht nach geregelter Ordnung. Unnachgiebig zerrte mich Frau Braunschweig zu einem rasch freigemachten Stuhl. Zwang mich hinzusetzen. Kurz darauf zeigte man mir tatsächlich als erstes die Notarielle Bestätigung der Insel. Sozusagen der belohnende Zucker, der mich zum vollen Einsatz motivieren sollte. Hübsches nachempfundenes Pergamentpapier mit einem roten, altmodischen Siegel bezeugten meine Besitzansprüche die ich später nur zu unterzeichnen brauchte. Bei meiner totalen unwissenden Fachkenntnis hätte man mir genauso gut einen ungültigen Fakevertrag vorsetzen können, ohne dass ich einen Unterschied bemerkte. Gutgläubig nahm ich das dickere Original in Empfang, die bereits mehrfache Unterschriften trug. Es fehlte nur noch meine. Bevor ich überhaupt mein Nachdenken aktivierte, drückte mir Frau Braunschweig einen Kugelschreiber in die Hand. Mahnte: „Rasch! Es gibt kein Kleingedrucktes. Die wichtigen Leute im Hintergrund haben dich ohne Planung reingeschoben, daher haben wir dieses mal keine Woche Zeit dich auf alles gründlich vorzubereiten. Deine Abreise ist heute geplant.“ Da mich drei erwartungsvolle Gesichter abwartend anstarrten, blieb mir in meinem überrumpelten Verstand keine andere Wahl. Natürlich kritzelte ich mit zittrigen Fingern meinen Namen unter den hoffentlich gültigen Vertrag. Was danach folgte, überforderte mein Auffassung heillos. In Blitzgeschwindigkeit demonstrierte man mir die verschiedene Kleidung. Feiertagsanfertigung mit aufwendigem Spitzenbesatz und dünnem Baumwollstoff. Werktags und Freizeitklamotten aus dickem, robusten Leinen. Brustbindetücher, welche ich gefälligst über meinen versteckten, modernen BH zu tragen hatte. Dicke Wollsocken, lange gestrickte Strümpfe, drei paar Schuhe, Kamm aus geschliffenen Elfenbein, halbflüssige Seife, sogar an Frauentage dachte meine Betreuerin als sie mir zwei kleine Pakete mit Tabletten zeigte, welche verhinderte dass ich Schwanger wurde und gleichzeitig meine speziellen Tage ganz verhinderten. Sofern man nicht vergass, sie regelmässig zu nehmen. Die Packungen reichten für ein halbes Jahr! Damit startete erst die Tabletten Vielfalt. Welche die den Hunger nahmen und vorbeugend die wichtigsten Nährstoffe eindeckten. Durchfall und all die unangenehmen Reisekrankheiten heilten. An die zwanzig verschiedene Sorten Schachteln landeten in einem grossen Militärrucksack. Ein absolut hässliches Tragegestell das seinen Inhalt brav schluckte, als besässe er tiefen, verborgenen Keller. Töpfe aus Holz, Wasserflasche, Pfannen und eine kleine Gasflasche stopfte sie hinein. Explosive Munition! Okay, da folgte gleich die Steigerung drauf eine echte Pistole vor meinem erbleichten Gesicht. Eine Kleinkalibrige Waffe mit über fünfzig Patronen zum Nachfüllen. Durch den Nebel drang die Frage, ob ich getraue mich damit zu wehren? Zögerlich brachte ich ein Nicken zustande, worauf mein anschliessendes verwirrtes Kopfschütteln vollständig ignoriert wurde. Jede noch so kleine Tasche stopfte man mit dem nötigsten voll. Dabei war ich unendlich Müde. Mitternacht war längst vorbei. Deshalb bekam ich nur halbwegs mit, was man alles an Ausrüstung in einen steifen nagelneuen Militärrucksack stopfte. Wofür und wie man es gebrauchte. Einzig die Bedienungsanleitung der Maschine die mich Befördern sollte, weckte mich einigermaßen auf. Ich wollte ja wieder zurück. Ständig gähnte ich, stieß aber auf kein Mitleid. Im Gegenteil, sie nutzen einen alt bekannten Schwachpunkt meinerseits aus. Die Berührungsangst. Schlugen mir leicht auf die Schulter, so dass ich vor Schreck wieder meine Augen halbwegs aufsperrte. Hörte mir dann die langweiligen, einschläfernden Berichte über Wasserfiltern an. Essbare Kapseln und deren gefährliche überdossierte Nachwirkungen. Irgendwelche dienten sogar dazu Feinde zu sabotieren. Wahrheitsdrogen ein nützlicher unverzichtbar Gegenstand auf meiner Mission als Spion.
Auf meine eingeworfene Frage, weshalb sie mir gerade alles in einer Nacht eintrichterten, bekam ich zu hören, dass jemand anders vorgesehen war, aber nach meinem letzten herbeigeführten Unfall sollte ich doch als glücklicher Zufall einspringen. Gegen drei Uhr Morgens stellte man mich schwer vollgepackt, wie ein mit allem ausgerüsteter Rekrut vor dem ersten Einsatz, in eine dunkle Kammer. Jemand schrie im Hintergrund, ziemlich nahe an meinem Ohr. „Pause!“ Das unerträglichen Gewicht des Rucksackes lies mich auf den Boden plumpsen. Das vollgefressene Monster an meinem Rücken war halb so gross und doppelt so breit wie ich. Türriegel verschlossen sich hörbar. Zum ersten Mal seit Stunden sass ich alleine in einem Raum. Eingepackt in einem hässlichen Militärischen Sportanzug. Hässliche dunkle Farbe aber der Stoff fühlte sich angenehm an als ob man eine vollautomaische Klimaanlage eingebaute. Verwundert wandte ich mich zu dem unvergitterten Fenster herum. Richtiges Glas flutete das Mondlicht unvermindert hinein. Die natürliche Lichtquelle blendete fast meine vor Erschöpfung brennenden Augen. Keine Möbel bremsten das Licht. Ungehindert fiel es auf den weichen Teppichboden. Fasziniert schleppte ich mich auf allen vieren zum Glas. Diese engen Riemen des Rucksackes ließen sich einfach nicht öffnen.
Unfassbar strichen meinen zittrigen Fingerkuppen über die kalte, glatte Oberfläche. Da erst Begriff ich, durch all meine ansteigenden Kopfschmerzen hindurch, hier bekam ich nochmals die Chance mich umzubringen geschenkt. Sie liessen mir Zeit um zu überprüfen, dass sich ihre Investition auch lohnte. Mich nicht vergebens schickten.
Auf dem empfindlichen Spannteppich gab es keine Blutspuren und ich wollte keine drauf spritzen. Dieses entfernte Land, wie würde es sein? Wo lag es überhaupt? Wie kam ich mit dieser Reisemethode überhaupt dorthin? Müde knickten meine schwachen Beine ein. Knappe zehn Minuten gönnten die Wärter mir eine Schlafpause. Gerade rechtzeitig um zu verhindern, dass mich der Tiefschlaf beschlagnahmte. Schon zerrte man mich wieder hoch. Führte mich in einen blendend hellen Raum hinein. Mir schmerzten die überforderten Augen bis warme Tränen sie erlösten. Verschwommen nahm ich einen zylinderförmigen Behälter wahr, über dessen Anwendung man mich informierte. Sonst erkannte ich nichts von diesem neumodischen Kram. Einzig diese zentrale „Kapsel“ war zwei Meter hoch und so breit wie ein abgerundeter Lift der max. sechs Personen fasste. Um den Mechanismus außerhalb zu betätigen brauchte es eine weitere Person. Allerdings gab für ungebildete Leute, wie mich, bereits ein Notprogramm, dass im inneren nur einen grünen leuchtenden Knopf zu drücken brauchte.
Erneut wunderte ich mich über die ungewöhnliche Transportweise? Es gab ja weder Schienen noch Flügel! Dieser gläserne Lift stand ohne sichtbaren Kabelanschluss auf einem metallenen Podest. Über diese Absonderlichkeit studierte ich wohl etwas zu spät nach. Man schubste mich bereit ins Innere. Den unmenschlichen Rucksack hievte man auf meinen Rücken zurecht, dass ich aufgebend auf die Knie sackte. Das blendende Licht der Deckenscheinwerfer quälten meine empfindlichen Augen dermaßen, dass ich meine Arme abschirmend hochhielt. Was um mich draußen herum geschah, drang kaum mehr zu mir durch. Realisierte gerade noch, dass man die durchsichtigen Türen ziemlich entschlossen schloss. Kein Zögern, nur Tempo nach vorn.
Verstummende Aussengeräusche. Start eines rückwärts zählenden Countdowns. Im exakten Sekundentakt, Zehn, neun, acht…
Erleichtert, dass es bald überstanden sei, lehnte ich meine Stirn erlöst an das kühle Material der Kabine. Freute mich auf die baldige Ruhe und vernachlässigten Schlaf. Grell ein menschlicher, hoher Schrei. „Stoooop! Die Berechnungen sind falsch! Abbruch, Abbruch! Scheisse, haltet das Ding an!“
Fünf, vier… Sollte ich mir langsam Sorgen machen? Hektische verschwommene Bewegungen außerhalb der Kabine steigerten rapide mein Unwohlsein. Übelkeit? Zeit für Panik?
Auf einmal fühlte ich mich schwerelos. Ein vibrierendes Summen erfüllte den Luftraum. Jedes Molekül in der Kabine schien in Schwingung versetzt. Dann gefroren meine Bewegungen für eine sehr lange Sekunde ein. Selbst mein gefühlter Herzschlag hielt spürbar inne. Gedanken hielten an und man konnte sich unbeschreiblicher Weise wie als einen Außenstehenden gespiegelt betrachten. Eine bewegungslose Fremde starrte einem geschockt entgegen. Ein Vakuum von Zeitlosigkeit. Leicht, Sorglos wartete ich den vollkommenen leeren Zustand ab. Druck, Eigengewicht kehrten zurück und ich sank überwältigt wie ein geschleuderter Stein machtlos zu Boden. Eine Flut von Gefühlen explodierte förmlich los. Als ob sich in meinem Gehirn ein bisher unbewusster Knoten löste. Mit ihm sprangen meine Sorgen wieder an, denn meine Umgebung war komplett in Finsternis gehüllt. Das automatische Licht der Kapsel versagte und der einzige Unterschied von draussen oder drinnen erkannte man vom hören des eigenen Atems. Gut, immerhin war noch diese schützende Barriere von der Kabine vorhanden und für meine strapazierten Augen war diese Dunkelheit eine Wohltat. Solange nichts explodierte oder die durchsichtigen Scheiben heil blieben, fühlte ich mich relativ sicher. Was wenn ich allerdings im Nichts gelandet war? Im unendlichen Universum leuchteten bekanntlich sonst immer irgendwo Sterne? Wenn ich mich Recht erinnerte, war es aktuell gerade eine Vollmondnacht gewesen, ohne die geringste Bewölkung. Oder wenn ich irgendwie unter der Erdoberfläche mitten im Boden feststeckte? Man bedenke die plötzlichen Erdverschiebungen und ich war nun in einem unterirdischen Grab gefangen? Ohne Sauerstoff drohte mir bald Erstickungsgefahr! Warum erinnerte ich mich erst jetzt an so was! Reiste ich überhaupt durch die Zeit? Wo…? Kein Mondlicht da draußen! Ich wusste absolut nichts über diese neue Welt außer, dass es eben eine Welt mit einer Zivilisation gab. Probeweise wippte ich mit meinen Füssen. Die Kabine stand auf festem stabilem Boden. Schon mal ziemlich Positiv. Mit neuer Hoffnung schob ich mit zittrigen Händen vorsichtig die durchsichtige Türe ein paar Millimeter auf. „Mensch, lass es bloß kein Gift sein!“
Frische angenehme aromatische Luft strömte herein. Erleichtert erkannte ich das Rauschen von belaubten Bäumen. Ein lauer Windstoß streifte durch die schweren, schaukelnden Baumkronen. Süß herbes Aroma von Tannennadeln beglückte meine kleine Nase. Neugierig tasteten meine Finger vor dem Kabinenrand herum. Fanden kleine abgerundete Steine und viele weiche Grashalme. Befreit von allen Zweifeln kroch ich auf den Knien in die vermeintliche Wiese hinaus. Zwei Jahre ist es her seit ich das letzte Mal so was wunderbares feines Berührte. Ohne den zähen Rucksack abzuschnallen legte ich mich einfach auf die Seite um mich von dem unerträglichen Gewicht zu entlasten. Dann überließ ich mich dem neuen Glücksgefühl. Versank in einen tiefen Schlaf und vergaß die restliche Welt um mich herum.
Etwas kitzelte an meinem Ohr. Krabbelte an der Ohrmuschel entlang. Bevor ich reagierte stach dieses Etwas grässlich zu. Aufschreien fuhr ich hoch. Gebremste durch ein schweres, gemeines Monster an meinem Rücken riss es mich schmerzhaft zurück. Vergeblich strampelten meine Beine in die Luft. Meine fuchtelnden Arme verfingen sich in den ledernen Riemen. Ahhh, kein schönes Aufwachen. Mit bloßen Fingern schnappte ich mir diesen gepanzerten Käfer, der mir mein erstes unerwünschtes Ohrpiersing verpassen wollte. Blutgieriges Aas! Mein erster aufgebrachter Impuls war ihn böse zu zerquetschen. Doch dann hielt ich inne. Es war ein Lebewesen. Ein ziemlich bissiges schwarz gepanzertes Vieh. Mit einem kräftigen Fingerschnippen beschleunigte ich seinen begnadigten Abflug. Mein Ohr blutete leicht. Staunend zerrieb ich die rote Flüssigkeit zwischen meinen Fingern. Es war lange her seit ich mich aus Unachtsamkeit verletzte. Wenn ich nur meine zunehmenden Kopfschmerzen so leicht hätte wegwischen können wie dieses Blut. Dieses ständige quälende Pochen schien eine schmerzliche Erinnerung meines vergifteten Gehirns zu sein, welches nach den üblichen Morgentabletten schrie. Mit einer schlimmen Vorahnung fingerte ich ungeduldig an den Gurten des Rucksacks herum. Erst mal raus aus dem erdrückenden Ungetüm. Befreit von dem schweren Gewicht stand erleichtert auf. Diese bunte grüne Umgebung forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Obwohl der aufwärmende Morgen erst startete, zwitscherte bereits ein lebhaftes Vogelkonzert aus dem umliegenden Wald empor. Dieser abgeschiedene ländliche Standort war hoffentlich eingeplant gewesen. Jedenfalls war er mir zehnmal lieber als in einer Stadt mit Fremden. Das hier gab mir Zeit mich an die neuen Umstände zu gewöhnen. So ganz, ganz alleine war ich bisher noch nie gewesen. Es fühlte sich seltsam an. Keinesfalls beunruhigen. Ganz im Gegenteil schien es den hämmernden Druck in meinem Gehirn zu lindern. Es roch so angenehm nach natürlichem Waldluft. So anders als die bitteren desinfizierten Medizinräume oder dem künstlichen konzentrierten Zitronenaroma aus den Dosensprays, der einmal gesprüht sich wie eine Invasion in sämtlichen offenen Zimmern ausbreite. Taufrisches Gras kitzelte die Haut meines Beines, oberhalb wo die kurzen, schwarzen Socken endeten. Gelbweisse Sonnenstrahlen erobern sich einen Weg durch die schwer hängenden Äste voller saftiger, grüner Blätterzweige. Alles wirkte so magisch wie aus einer gefilmten Märchenszene. Einzig meine durchscheinende Reisekabine wirkte völlig deplatziert auf dieser mit Mikrokosmos gefüllten Waldwiese. Unzählige Insekten erwachten mit der zunehmenden Erwärmung des Tages und das Glas ähnliche Material der Kabine funkelte so hell wie ein reflektierender Sonnenspiegel. Es wirkte wie ein funkelnder Magnet auf die sonnenhungrigen Tiere. Auch nicht gerade vorteilhaft für eine bekanntlich misstrauische, feindliche Landbevölkerung. Schon überfiel mich der erste eiskalte Schauder. Während ich mich nachdenklich umschaute und angestrengt meine eingerosteten Gehirnzellen nach einer vernünftigen Lösung anstachelte, krächzte ein schwarzweisser Vogel aufgeregt von einer der umliegenden höchsten Tannenspitze herunter. Verräterisch beschwerte er sich über meine unerwünschte Anwesenheit. Oder eben über diesen schweren, glitzernden unnatürlichen Fremdkörper der so gar nicht hierher passte. Zerstören durfte ich sie nicht. Mir war sehr daran gelegen meine einzige rettende Hintertür nach Hause offen zu halten. Also musste ich einen Weg finden sie irgendwie zu verstecken.
Vergeblich rieben meine Finger massierend an den hämmernden Schläfen. Wenigstens hörte mein Ohr auf zu bluten, dafür verwandelte sich der stechende Schmerz nun in ein mörderisches jucken. Das hässliche Geschrei des gefiederten Störenfrieds marterte zusätzlich mein empfindliches Gehör. Mir kam ein nahe liegender Gedanke. Hatte ich Hunger? Ja! Ob diese kleinen künstlichen Pillen wohl schmecken? Nein! Der bloße Gedanke daran weckte meine Abscheu. Außerdem hatte ich beim langen Vortrag versäumt mir deren Anwendung zu notieren. Ein saftiges Hühnchen? Mein Blick wandert prüfend zum krächzenden Vogel hoch. Ja von der Größe lohnte es sich ihn zu jagen. Das war bestimmt ein halbes Kilo schmackhaftes Fleisch dran.
Wo war nochmals meine Pistole versteckt? Fieberhaft begann ich alle Taschen zu durchwühlen. Da flog schon was Unnützliches unachtsam zu Boden. Ha, da hatte ich ja schon dieses grau glänzende Metall in den Händen. Wie funktionierte es gleich wieder? Fieberhaft drückte ich an den verschiedensten kleinen Hebel. Neumodisches Zeug. Das sah doch im Fernsehen immer so einfach lässig aus. Nach einem vernehmbaren Klicken, visierte ich an. Drückte ein Auge zu. Wohl bemerkt nur eines, damit das andere besser zielte! Unterdrückte das lästige, aufgeregte Zittern meiner Hände und zog den Abzug rückwärts. Wohahh! Ohrenbetäubend der Knall. Mich schleuderte es ein paar Meter rückwärts. Stolperte ungeschickt über den Rucksack und landete, trotz dem kniehohen Gras, ziemlich deftig auf dem Boden. Explosionsartig zersplitterte der oberste Hauptstamm der Tanne. Eine zwei Meter lange Tannenspitze krachte vor mir zu Boden. Gewaltig ihr Aufschlag. Nadeln spritzten herum. Trockene Rinde blätterte ab, wirbelte wie Staub umher. Mein Vogel selber, eigentlich unverletzt, erwischte die Explosionswelle. Ohne Kontrolle schleuderte es ihn zum nächsten Baum, wo er ungebremst mit einem Ast kollidierte. Von dort segelte er wie ein Stück schweres Papier geradewegs zu Boden. Der erste Sieg ging an mich!
Eine Weile später. Zerstreut um mich herum lagen unzählige schwarze Federn, aber das Vieh selber war kaum bis zur Hälfte gerupft. Meine ungeübten Fingerkuppen schmerzten. Das hier war überhaupt mein erster richtiger Versuch zu kochen! Nachdenklich starrte ich meine mit Federn verklebten Finger an. Okay, also mir wurde bei diesem Trip schon mal richtig klar, wie unvorbereitet ich war. Meine sinnlose Gefangenschaft, meine bevorzugte dumme Isolation und ich war höchstens imstande eine Suppe zu kochen. Eine Instand Suppe wohlbemerkt. Ich wollte vor Scham die Hände vors Gesicht schlagen, realisierte aber im letzten Moment diese grauenhaften Feder die so anhänglich an den Finger klebten. Sie sprachen mich für eindeutig schuldig, weil ich ihren Besitzer gekillt hatte. Außerdem realisierte meine empfindliche Nase wie der halbgerupfte Vogel roch, so ziemlich stank. Ungeduldig schmiss ich den rohen Braten eben so unfertig in das bereits hinunter gebrannte Feuer. Schaute zu wie die restlichen Federn einfach verschmorten. Das verkohlen der äusseren Hautschicht war mir egal. Am Schluss deckte ich die Beute einfach mit heisser Asche zu und beschloss zu warten. Dabei bemerkte ich die neue, schlichte Armbanduhr an meinem rechten Handgelenk. Das Armband bestand aus einfachem geflochtenen Leder und einem primitiven Knopfverschluss. Trotzdem freute ich mich, bis ich nach längerer intensiver Betrachtung feststellte, dass der Sekundenzeiger etwas langsamer als wie sonst üblich tickte. Das lag bestimmt nicht an einer schwachen Batterie. Erst bei längerer Betrachtung erkannte ich auf dem Zifferblatt die sonderbaren Nummern. Anfangs glaubte ich noch es seien vereinfachte schnörkelnde Verzierungen. Nein, hier tickte die Zeit eben ein bisschen langsamer. Alles war in Ordnung. Nur in meinem verrückten Gehirn war ein schlimmer Defekt der mir weiterhin Kopfschmerzen verursachte. Um mich abzulenken, während der Vogel schmorte, beschloss ich den riesigen Gepäcksberg ein bisschen genauer zu erforschen. Garantiert schleppte ich dieses fürchterliche Ding nicht Kilometerweit durch die Wildnis. Nur vom anschauen her bekam man da eine abschreckende Ahnung wie sehr der Rücken am Abend schmerzte. Was sagte ich da; bereit nach wenigen Stunden, denn mein Rücken war genau das Gegenteil von trainiert. Wie hatten sie nur mich, die untätige Außenseiterin für so einen komplexen Job auswählen können? Okay, trotz dem brummenden Kopf funktionierten da einige Gehirnzellen und ohne die vernebelten Medikamente realisierte ich einiges klarer. Warum überließen sie so extreme gefährliche Waffe einem Irren?
Ehrfürchtig betrachtete ich die metallene Waffe in meinen Händen. Ich kannte mich mit solchen Schusswaffen überhaupt nicht aus. Aber so easy wie im Fernsehen war diese Pistole nicht zu halten. Brauchte ich sie wirklich um mich gegen feindliche Leute zu verteidigen? Aber ich war doch nicht in diesem Land um einen privaten Krieg auszulösen. Besser ich versteckte diese tödliche Waffe. So bestand keine Gefahr, dass sie jemals auf mich selber gerichtet wurde. Außerdem zog ihre schreckliche Detonation unerwünschte Aufmerksamkeit an. Sicher hörte man den donnernden Knall meilenweit. Wie sollte ich mit all dem hinderlichen Gepäcksberg fliehen? Dieser kleine solar betriebene Elektroherd. Nett, praktisch, aber wog fast ein ganzes Kilo. War hier Solarenergie bekannt oder musste ich wieder achtgeben das diese verkabelten aufladbaren Batterien niemand zu Gesicht bekam? Nach einer ausgiebigen Denkpause begann ich zu handeln. Als erstes befreite ich mich aus dem eine Nummer zu großen Militäranzug. Mit meinen 1,57 Meter zählte ich halt zu den kleineren Personen. Wählte eine bequeme weite Trainerhose, unauffälliges hellgrünes langärmliges Leinenhemd, einige Unterwäsche, was unverzichtbar für mich schien (typisch Frau) und eine wärmende Wolldecke. Knöchelhohe altmodische Lederschuhe und eine neutrale schwarze Sonnenmütze ohne Werbung. Messer, Streichhölzer, eine leicht Pfanne aus Aluminium, Kompass, den noblen Kamm aus Elfenbein, eine undeutliche, von Hand gezeichnete Karte, ein kleines vollgeschriebenes Notizbuch das kaum mehr Platz für neu gelernte Wörter zuliess, ein kleiner Beutel mit handelsüblichen Silbermünzen und eingewickelten Kristallen, ein Sack voller Haferflocken mit getrockneten Rosinen, eine verschließbare Wasserflasche die innen aus Plastik aber aussen Ziegenfell umhüllte, das schien mir das nötigste. Den großen überflüssigen Haufen stapelte ich wieder fein säuberlich in der trockenen Kabine. All die so kunstvoll von Hand gestickten Frauenkleider mit ihren Hüten und Hauben und all die kleinen unzähligen Schachteln Medikamente mit unaussprechlichen, zungenverknotenden Namen, auf das konnte ich mit gutem Gewissen verzichten. Danach zerrte ich die herumliegende Tannenspitze herbei und tarnte mit zusätzlichen Zweigen und Ästen die moderne Technik die vermutlich geheim bleiben musste. Nach einer halben Stunde Ortszeit hier, betrachtete ich zufrieden mein vollbrachtes Werk. Wischte mir mit einer Ersatzsocke den Schweiß von der Stirn. Erschöpft setzte ich mich ein paar Minuten auf einen Stein nieder. Mitten ins belebte Gras hinein, wo neben emsigen Ameisen noch andere kleine Käfer rumhuschten, getraute ich mich gar nicht reinzusetzen. Pure Natur ist schon was wunderbar schönes zum Bestaunen. Aber ich hielt es klüger einen letzten Abstand einzuhalten, vor allem da ich getrost auf die unbekannten Nebenwirkungen dieser unheimlichen Krabbeltierbisse verzichten konnte. Mein schmerzhafter Erstkontakt mahnte mich zur weiteren Vorsicht. Nach einer abkühlenden Verschnaufpause, stand ich auf um die Schusswaffe abseits in einem halb vermoderten Baumstunk zu verstecken. Dort würde niemand nach ihr suchen, oder zufällig darüber Stolpern. Sie beim Gepäck zu lagern hielt ich zu riskant. Etwas in mir dachte weiter. Sollte mich jemand Foltern und mich zwingen dem Standort meiner Reisekapsel zu verraten, würde immerhin die Waffe nicht in falsche Hände geraten.
Endlich war es Zeit den gebratenen Vogel aus der erkalteten Asche auszugraben. Es schmeckte gewöhnungsbedürftig da ich das Salz, welches sich vermutlich zwischen den Medikamenten versteckte und mich auslachte, einfach vergessen hatte. Anderseits bestand auch die Wahrscheinlichkeit, dass meine Packer überhaupt nicht an dieses kleine Zubehör dachten. Vermutlich war ich sogar die erste Irre die überhaupt ihr Frühstück selbst zubereitete. Wegen diesem Verdacht unterließ ich es in der Reisekabine nach einem Salzstreuer zu suchen. Es stimmte mich nachdenklich, weshalb man keine ausgebildete Spezialeinheit ausschicke dieses so wertvolle Gold zu suchen. Es sei denn, diese mysteriöse Reisekapsel war immer noch in der verfluchten Testphase. Ich hatte vergessen zu fragen in welchen Zustand die Lebenden zurück gekommen waren. So kleine wichtigen Details füllten die ohnehin schon überhitzten Gehirnzellen. Wenigstens war ich satt als ich, leicht verärgert über meine eigene Dummheit, losmarschierte. Dank sei auch, dass ich klug genug war mit leichtem Gepäck zu reisen. Wie hatten das wohl die andern Probanden gehandhabt? Gewiss alles robuste Männer. Eine Ersatzhose und T-shirt reichte bei denen. Trotz den Kopfschmerzen gelang mir ein flüchtiges Lächeln.
Zuversichtlich marschierte ich in die Richtung los in der ich die nächste Stadt vermutete. Gespaltene Hufabdrücke in weicheren Boden verrieten einen schmalen Wildweg. Hier spazierte ich mit meinen ungewohnten Ledersohlenschuhen am sichersten. Denn jeder kleine Kieselstein stach empfindlich in die verweichlichten Fußsohlen. Wohl zum tausendsten Mal rügte ich mich bereits; warum habe ich nicht an die einfachsten Schmerzmedikamente gedacht. Nur eine einzige Packung Dafalgam oder gewöhnliche Aspirin wäre doch wirklich keine Sünde gewesen. Anderseits brauchte ich endgültig einen klaren Kopf. Mit einem kalten Entzug kam ich da am schnellsten weg. Was aber passieren würde, wenn ich wieder mit der Kabine zurück reiste, daran mochte ich gar nicht denken.
Wie wohl die Einheimischen hier aussahen? Ach ja, da gab es ja diese unfreiwillige Austauschstudentin. Schade versteckte sie sich wie die anderen in dem verdunkelten Teil des Verhandlungsaals. Ihrer klaren Stimme nach tanzten hier bestimmt keine Neandertaler um mich herum. Sie wurde von den anderen Mitarbeiter respektiert, also besaß sie nebst Intelligenz eine gute Ausbildung. Kaum einen fremdländischen Dialekt hatte ich ihrer Stimme entnommen. Das erinnerte mich wieder an mein kleines Notizbuch. Mit ihm sollte ich ja die hier wichtigsten, heimischen Wörter einstudieren. Ein Handgriff und ich hielt das bedruckte Papier in meinen Händen. Liederliches Billigmaterial. Sollte es je Regnen musste ich aufpassen, dass dieses dünne unbeschichtete Heft nicht feucht wurde. Für die hundert wichtigsten Wörter brauchte ich sicher eine gute Woche. Doch nach kurzem Durchblättern stutzte ich. War vielleicht ein; wo ist die Toilette, nicht ein wichtiger Satz? Ich suchte vergebens danach. Schei… Ich glaube mit Beine zusammenkneifen und nervös herumtanzen verstand das jeder vernünftige Mensch. Ein fürchterlicher Gedanke huschte herbei. Wenn es den überhaupt Menschen gab. Nur zu gut erinnerte ich mich an die letzten Schreie im Labor. Falsch Programmiert! Nun, jedenfalls schätzte ich mich hier glücklich mit dieser falschen Programmierung. Bis jetzt. Statt im Nichts landete ich immerhin auf einer mit Tieren bevölkerten Welt. War ich überhaupt noch auf der Erde? In welcher Zeit? Musste ich damit rechnen, dass jederzeit ein hungriger Dinosaurier hinter einem Baum hervorsprang und mich als sein zartes Häppchen gierig an sabberte? Mist. Jetzt wusste ich wo im Vertrag der besagte Hacken steckte! Wozu hatte man mich mit einer Pistole ausgerüstet, die explosive Munition abfeuerte? Meine Dummheit schien mir unübertrefflich. Das war selten dämlich bescheuert, die schützende Waffe zurück zu lassen, wenn mir hier Säbelzahntiger oder andere Fleischfresser auflauerten. War da nicht ein leises rascheln in den seitlichen Büschen das mir folgte? Die lange Zeit in der Irrenanstalt hatte wirklich meinen Gehirnzellen geschadet.
Meine Pistole!? Nein, die war jetzt zu weit weg! Auf den drei bis vier Kilometer Rückweg hatte ich absolut keine Lust. Schon gar nicht aufwärts den Berg hoch. Außerdem dachte ich mir; in den letzten drei Kilometern ist dir kein Dinosaurier begegnet, also bestand schon mal eine gute Chance, dass ich weiterhin überlebte.
Ich entschied darüber nicht nachzudenken sonst verschlimmerten sich meine finsteren Prognosen in eine ausgereifte Panik. Meine unsicheren Aktien an Überlebenschancen sanken sonst auf den niedrigsten Wert. Immerhin bei der weitläufigen Natur versteckte es sich leicht vor feindlichen Menschen.
Allerdings wirkte diese menschenleere so ungewohnt, fast unheimlich. Nachdem ich zwei Jahre mit lärmenden, unkontrollierbaren Spinnern zusammen gepfercht war, fühlte ich mich nun auf einmal entsetzlich allein. Besonders wenn man das einzige menschliche Opfer für unvegetarische Insekten weit herum war. Diese monströsen Viecher wurden hier doppelt so groß wie eine ausgewachsene Hummel und besaßen vier Flügel. Dementsprechend wendiger wichen sie meinen lahmen Handschlägen aus. Gelegentlich joggte ich eine Strecke um ihnen zu entkommen. Richtig mit Spaß trainierte ich meine schwachen Beine. Obwohl ich manchmal aus lauter Ungeschicklichkeit stolperte. Mich konnte man keineswegs als Dick bezeichnen schließlich trug ich bei anliegenden Sachen Grösse 38. Bevorzugte jedoch bequemere Kleidung Grösse 40. Meine Problemzonen waren einzig die weiblichen, breiten Hüften. Oberschenkel vielleicht ein bisschen zu schlaff, doch daran arbeitete ich gerade. Stolz hingegen betrachtete ich meine normale, durchschnittliche Oberweite. Meine Busen fand ich unauffällig, perfekt geformt. Die kritische Schulzeit überstand ich ohne den Wunsch nach einer künstlichen Vergrössung. Leicht kräftige Schulter, die ein bisschen mehr weiblicher hätten sein können. Anderseits wenn ich verärgert auftrat, verschaffte es mir mehr Bedrohlichkeit. In der Schule war ich größtenteils ein verunsichertes Kraftpaket gewesen. Worte wie kleiner Giftzwerg oder Kampfkarotte waren da gelegentlich gefallen. Prüde Landkuh oder wandelndes Brockenhaus verdankte ich mehr wegen meiner bevorzugten Distanz und Ärmlichkeit die keine Designerklamotten erlaubte. Es war nicht das kleine Polster um den Bauch, welches in mir depressive Schübe auslöste, sondern die Einsamkeit. Nirgendwo sich wieder zuhause zu fühlen. Das machte mich krank.
Ein Teil von mir vermisste schon den geregelten Alltag der Irrenanstalt. Vor allem der Teil mit dem hungrigen verwöhnten Magen. Beim blossen Gedanken an den süßen verlockenden Kuchenduft, der an den Besuchertagen aus so einigen meiner Nachbarzellen ausströmte, sammelte sich trotz meinem unerträglichen Durst wieder Speichel in meinem ausgetrockneten Gaumen an. An die von den wachsamen Angestellten konfiszierten Pakete welche sie unter den Rollwägelchen versteckten oder in den Abfalleimer rasch entsorgten. Wegen ihrer strengen Arbeitszeit jedoch nicht die Geduld besaßen, die so effektiv zu überwachen wie ich. Einen leichten Hang zur Molligkeit besaß ich schon immer. Schließlich fand ich das fade Kantinen Essen scheußlich. Doch ich fand einen Ausweg wie ich zu den wahren Spezialitäten gelangte. Wenn man genau in die Gänge hinaus horchte und wusste welche großzügigen Verwandten gerade auf Besuch kamen, brauchte man nur hinter der eigenen Türe zu lauern. Darauf das später die überbelasteten Pfleger ihren quietschenden Rollwagen parkierten und gerade ein anderes Krankenzimmer nach schädlichen Lebensmittel absuchten. Dann sekundenschnell raus schlüpfen um etwas von dem meist schon geöffneten Snacks oder selbstgebackenen Kuchen für mich zu ergattern. Darauf achten keine verräterischen Krümmelspuren zu hinterlassen und wieder leise ins eigene Zimmer zu huschen. Für größere Beute eigneten sich besonders die überdachten Hausschuhe unter dem Bett. Das waren die kostbaren, seltenen Momente an die ich mich gerne Erinnerte.
Mein verwöhnter Magen knurrte bereits wieder. Dabei saß ich hier alleine in der wilden Pampa. Hier konnte ich niemanden übers Ohr hauen. Ich fühlte mich unbehaglich, so alleine. Irgendwo an einem bewaldeten Berg ausgesetzt. Das warme Klima ähnelte einem warmen Sommertag. Und die dünnere Luftdichte passte genau zu der erhöhten bergigen Landschaft. Vorsichtig setzte ich dementsprechend meine federleichten Lederschuhe auf den trockenen Untergrund. Die Tannen wurden spärlicher, so gewann ich einen weiten Blick auf die prächtige Umgebung. Bewusst wurde mir auf einmal auch, wie fern rettende Hilfe war sollte ich auf den losen Steinen jemals meinen Fuß verstauchen. Erschrocken hielt ich an. Betrachtete genauer den kärglichen Untergrund. Gelegentlich verwandelten sich diese kahlen Abhänge in trostlose Steinhalden. Kein Gras. Ohne den Halt von Wurzeln schichteten sich diese losen Steine in verschiedenen Lagen übereinander. Hunderte Meter steil hinab bis ins Tal hinunter wo ein kleines Rinnsal von Bach dahin plätscherte. Ein kleiner Stein konnte hier mühelos eine ganze tonnenschwere Lawine auslösen. Äußerst Zeitaufwendig dieses Minenfeld zu umgehen. Aber bei zunehmenden Kopfschmerzen war es schwierig eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Meine eigene Wasserflasche die gerade einen halben Liter Füllmenge besass, hatte ich längst ausgetrunken. Die Nachwirkungen von dem Gift in meinem Körper liess mich öfters auf volles Risiko gehen. Gelockerte Steine kollerten unkontrolliert von mir ausgelöst abwärts. Während ich möglichst schnell auf die andere Seite der Steinhalde flitzte. Versuchte in der rutschigen Masse nicht zu versinken. Mit ausgebreiteten Armen unterstützte ich meinen Gleichgewichtsinn. Schwitzte und zitterte vor Aufregung. Weitere Kopfschmerzen überfielen mich von dem ungewohnten Aufgebot an Konzentration. Manchmal verschwamm sogar die Sicht vor meinen Augen. Spätestens dann legte ich eine weitere Pause ein. Lehnte oder streckte mich flach auf einem felsigen Untergrund aus. Betrachtete mit großer Erleichterung den klaren, blauen Himmel. Genoss das bisher menschenleere Paradies. Versank öfters in einen ruhigen, kleinen Schlaf.
Deshalb schlief ich auch in der kommenden Nacht schlecht. Gähnend und unruhig wälzte ich mich abwechselnd auf die andere Seite. Unheimliche Geräusche, knurren von unbekannten Tieren füllte den sternenklaren Nachthimmel. Ein noch so schwaches Mondlicht hätte ich eher begrüßt, doch da hatte ich leider Pech. Eine moderne Taschenlampe befand sich nicht in meinem großen Startpaket und ich wollte meine kostbaren Zündhölzer sparen. Meinen eingelegten Schlafpausen liessen mich den letzten Moment verpassen wo ich noch ein schützendes Lagerfeuer hätte errichten können. Also wachte ich plötzlich im Dunkeln auf. Ausharrend auf einem harten, kühlen Felsbrocken und hüllte mich trotz der warmen sommerlichen Temperatur in eine gehäkelte Wolldecke hinein. Einfach nur, weil es mir ein kümmerliches Gefühl von Schutz gab. Dabei zählte ich nicht einmal die geflügelten blutgierigen Monster zu meinen schlimmsten nächtlichen Feinden. Obwohl deren brummende Flügelmotoren ein rauschenden Konzert um mich veranstalteten. Unter der Decke, wo ich grausam schwitzte, vernahm ich nebst meinen schweren Atem deutlich das tiefere Knurren, grunzen und ein ziemlich beunruhigendes Fauchen unfern von dem erhöhten Flusstein wo ich grad drauf lagerte. Die lausigen zwei Meter Höhenunterschied zu dem ausgetrockneten Flussbett hinunter würden kaum eine Wildkatze oder einen kräftigen Bären davon abhalten ihre ausgefahrenen Krallen in mir zu versenken, sollten sie mich als Beute betrachten. Als ein rasanter Flügelschlag einer Fledermaus an mir vorbei flitzte, drückte ich den schmerzenden Nacken noch tiefer ein und kontrollierte rasch, dass ja all meine vier Wolldeckenende unter meinen Körper reichten. Nix da Natur ist schön. Also wenigstens in einer finsteren Nacht nicht ohne schützendes Lagerfeuer. In dem Moment wünschte ich mir einfach nur den stabilen Schutz einer soliden Hausmauer. Sogar ein einfaches Stoffzelt wäre gerade wie ein angenehmer Luxus willkommen gewesen. Die haben mir nicht mal ein Zelt mitgebracht aber einen unnützen Berg von Frauenkleidern! Das verzweifelte hohe Fiepen einer todesgeweihten Maus erschreckte mich mitten aus einem rasch vergessenen Traum hoch. Etappenweise schlief ich ein paar kurze Sekunden ein. Befreit von den quälenden körperlichen Schmerzen die sich ständig vermehrten. Von den wundgelaufenen Füssen, den übermüdeten Beinen, einem verkrampften hungrigen Magen, einem gekrümmten Rücken bis zu dem gebeugten Nacken und sogar meine Hände mit den kleinen unzähligen Blasen, weil ich mich in den letzten Stunden Fußmarsch stark an einem Stock abstützte um überhaupt noch ein paar Meter vorwärts zu kommen. Obwohl ich auf einem riesigen Stein lag als wollte ich mit ihm verschmelzen, getraute ich nicht einmal meine brennenden Füsse aus den einengenden Schuhen zu ziehen. Ein mir unbekanntes Tier schnatterte aggressiv in unmittelbarer Nähe. So als ob es sich ärgerte, dass ich ausserhalb seiner Reichweite sei. Erstarrt getraute ich mich lange Zeit einfach nicht zu bewegen. Ja, so eine schlichte Decke ist ein wunderbarer imaginärer Schutzschild. Es war die schrecklichste Nacht seit Jahren. Und ich betete vor Verzweiflung sogar leise vor mich hin, obwohl ich in keinster Weise mich für eine Glaubensrichtung interessierte. Es war einfach ein kleines Stück Überbleibsel welches von der letzten christlichen orientierten Pflegefamilie hängen geblieben war. Ein kleines Trostpflaster. Aber in der grössten Not greift man halt auch gerne zum letzten Grashalm, wenn da sonst keine entgegengestreckte Hand war.
Am nächsten Morgen war ich ein nervliches Wrack. Anfangs sprang ich beim geringsten rascheln im trockenen Gras in die Höhe. Giftige Schlange oder harmlose Maus? Ich wollte es nicht wissen. Beim Wandern im ausgetrockneten staubigen Bachbett stolperte ich mehrmals dermassen heftig über einen ungünstig parkierten Stein, dass ich am Ende auf allen vieren landete. Unzählige Flüche und Verwünschungen sparte ich mir auch bald, da mir schlichtweg die Kraft fehlte. Zu Trocken meine Kehle. Wo war bloss das aufgefangene Wasser dieser hohen Berge hin? Zurück wo ich einst noch ein kleines Rinnsal ganz oben entdeckt hatte, dafür war es weit zu spät. Meine Lippen fühlten sich rissig an und mir wurde ständig schwindlig. Vorwärts, einfach nur vorwärts, drängte es mich. Bis ich auf ein kleines Wunder stiess. Das saftige Blattgrün von einer kleinen Baumgruppe fesselte mein Augenmerk. Wie überlebten eine Handvoll ausgewachsene Baumgruppe diese sonst so karge Einöde. Langsam stolperte ich auf die kleine Oase zu die so unreal auf einer kleiner Anhöhe über meinem versiegten Bach lag. Bald erkannte ich ein von Menschen gemachtes Plateau, welches mit unzähligen Steinblöcken abgesichert, neben einer meterdicken Erdschickt auch das Feldwasser zurück behielt. Doch die untersten Steine waren für mich gemessen sehr gross. An die hundert Kilo mussten diese schweren Brocken wiegen und an dem steilen Hang konnte keine Maschine eingesetzt werden. Wie gewohnt krabbelte ich auf allen vieren den Hang hoch, rutschte trotz meinem vierradantrieb mehrmals aus und es riss mir sogar einen kleinen Schnitt über meinem Knie in die Hosen. Die Anstrengung lohnte sich, denn als ich mich zuletzt auf dieses künstliche Plateau zog, entdeckte ich erleichtert den kleinen fortführenden Weg. Der einzige sichtbare Zufluss dieser Oase war eine kleine Rinne die momentan kein Wasser führte. Sie führte neben dem angelegten Stufenweg nach oben in ein Tal, das dank einer starken Kurve völlig verborgen blieb. Ein tiefer, kaum für zwei Leute breit gehender Spalt führte in eine schattige Zone hinein. Es glich mehr einem gespaltenen Berg, denn einem von Wasser eingefressenen Durchgang. Im normal Fall hätte ich mich auch nie in den unheimlichen Spalt hinein getraut, da die seitlichen Wände, die über zehn Meter bröckelnden kantigen Felswände, alles andere als einladend wirkten. Wie bei einer ausgetrockneten Sandburg lagen hier auch einige heruntergefallene, faustgroße Körner bereits im kühlen Durchgang. Einzig meine Verzweiflung drängte mich in diesen unstabilen Spalt hinein. Befreit von der Tageshitze ruhte ich mich einige Stunden aus. Bis ich mich halbwegs fit fühlte zu stehen, ohne das mich ständig das Gefühl bedrohte gleich Umzukippen. Danach versuchte ich mit einem handgroßen Stein ein paar der grünen dünnen Zweige von den hohen Bäumen herunter zu schlagen. Meine lahmen Bewegungen reichten kaum aus um einen Stein bis hoch in die Baumkronen zu schleudern. Immerhin segelten ein paar der älteren Versuchsexemplare zu Boden. Die zartdünnen keilförmigen Blätter schmeckten leicht bitter, füllten aber den knurrenden Magen und nahmen die schlimmste Trockenheit aus dem Mund. Die bittere Not nahm viel von dem herben Geschmack weg. Besser etwas, als leer auszugehen. Die neu gewonnene Energie vertrieb aber leider nicht meine körperlichen Schmerzen. Obwohl die vernünftige Entscheidung weiter hinab ins Tal zu wandern ziemlich leichter wäre, drängte mich ein merkwürdiger Wunsch diesen von Menschen angelegten Treppenstufen zu folgen. Sie führten direkt zu der stark gekrümmte Schlucht und die wirkte gar nicht so als hätte sie die Natur zufällig geformt. Dazu waren die Wände zu gerade gebaut. Durch die schmale Gasse passte gerade noch ein beladenes Packpferd aber kein Einspänniges Gefährt hinein. Allerdings hätte sich das arme Tier bei dem auf dem Boden angesammelten Lehm und Gesteinsbrocken, die seit Jahrzehnte von den Wänden herunter bröckelten, sich ziemlich schwer getan nicht zu straucheln. Sogar ich überlegte längere Minuten ob ich mir diesen unebenen Boden meinen immer noch schmerzenden Füssen antat. Allerdings fiel mir auch auf, dass in regelmäßigen Abständen, von bis zu anderthalb Metern, eine kleine plattgedrückte Lücke folgte. Diese galt es zu nutzen. In der kühlen Gasse blies kein Lüftchen. Trotzdem war es angenehm kühl und feucht. Gerade als ich wieder ein bisschen Zuversicht verspürte, realisierte ich mein zunehmendes Unbehagen. Etwas unbeschreiblich lag in der Luft wie eine unsichtbare schwere Macht. Verstört blieb ich stehen und schnupperte zur Sicherheit. Nur das gewöhnliche Muffen einer dunklen Gasse in der das Sonnenlicht nie den Boden berührte. Die Enge, vor allem kurz Sicht bereitete mir das ziemlich mehr Sorgen. Doch da war nichts zu hören. Weder vor noch hinter mir. Sofern ich meinem hämmernden Gehirn vertrauen durfte. Auf meine sonst so überempfindlichen Ohren war eigentlich immer Verlass. Dennoch stand ich zögerlich einen längeren Moment da und verfolgte besorgt wie innerlich meine körperlichen Beschwerden wieder rapide zunahmen. Ein bitterer Geschmack von Säure stieg brennend von meinem Magen hoch. Übelkeit ließ mich mehrmals leer würgen. Gekrümmt stützte ich mich an einer der rauen Mauer ab, wo sogleich trockener Lehmstaub unter meinen Handflächen runter rieselte. Wenn diese Wände einstürzten würde ich lebendig begraben. Diese gedachte Vision beunruhigte mich weitaus mehr als mein verrückter Körper der wieder komplett durchdrehte. Taumeln zwang ich meine schweren Füße vorwärts. Die Beine wirkten wie blockiert als wären sämtliche Blutadern verstopft. Überhaupt fühlte ich mich unnatürlich mies als würde etwas meine aufkommenden Ängste verstärken. Hatte ich mich schrecklich vergiftet? Die Wände schienen sich zusammen zu schieben. Selbst der Boden bebte, erzitterte fürchterlich als kündigte er ein weitaus schlimmeres Erbeben an. In der Luft kräuselten sich kleine Lichtblitze und ein knisternder Ton riet mir dringend zu Flucht. Doch gerade für schnelle Reaktionen fühlte ich mich alles andere als fit. Hatte sich die ganze Welt gegen mich verschworen? Ein ganz kleiner Teil in meinem Gehirn meldete mir die unverständliche Tatsache, dass wenn die Erde so heftig bebte, warum rutschten dann diese kleinen Überreste der Mauern nicht mitten auf dem Gang herum? Also passierte vieles nur durch meine eigene Illusion? War mein überforderter Kopf einfach kaputt? Wieso entglitten mir alle klaren Gedanken? Dann war da noch die unheimliche Tatsache, dass ich mich verfolgt fühlte als schwebte jemand über mir. Nein, nicht nur eine Person sondern eine ganze Gruppe düsterer Schatten sang einen tiefen Refrain über mir als würden sie mich aufs übelste verfluchen. Das war so absurd. Niemand kannte mich hier. Hier besaß ich keine Feinde. Jedenfalls noch nicht. Momentan war ich einfach selbst mein größter Feind. Verzweifelt sah ich nach oben zu diesen verschwommene Schatten. Das waren keine Rauchschwaden sondern einfach eine verformte, verpixelte Luftspiegelung. „Raus“, befahl ich laut diesem verfolgenden Wahnsinn. Aus meiner trockenen Kehle kam nur ein heiseres Flüstern. Alles schien sich gegen mich verschworen. Nichts funktioniert. Ich war ja so was von im Arsch. War diese ganze strapaziöse Reise überhaupt es wert sich so anzustrengen? Definitiv nicht. Dieses vielversprechende Bonusticket von einer eigenen Insel war sicher nur eine fette Lüge. Wer sollte ausgerechnet mir, einem absoluten niemand, ein so Riesengeschenk vermachen?
Meine heisse Stirn hiess den feuchten Boden dieser Schlucht willkommen. Ich wollte mich nur noch hinlegen, aufgeben. Auf jeden Fall einen weiteren Gang tiefer runterschalten. Als ich verschwommen am Ende des Ganges ein erhellendes Licht wahrnahm. Also musste es das Ende dieser Schlucht sein. Erst einmal erleichtert holte ich tief Luft. Positiv, sehe immer eine positive Seite, sei sie noch so winzig klein. Ich rollte mich auf den Rücken. Gut, es gab keine gefährlichen Monster die mir in dem Gang auflauerten. Mein köchelnder Mageninhalt war auch drin geblieben. Und wenn sich auch der restliche Körper wie schwerformende Knete anfühlte, so war ich noch am Leben. Unwillig rollte ich wieder auf den Bauch zurück, stemmte mich irgendwie halbwegs hoch. Alles schwankte vor meinem Gesichtsfeld. Als mir die Tasche mit dem wenigen Eigentum von den Schultern rutschte, war ich unfähig mich danach zu bücken. Wenn ich jetzt zu Boden ging, dann wars das endgültig. Lieber stolperte, schlurfte ich mit den Füssen vorwärts. Es war so unreal. Die brennenden Fusssohlen, der heisse Magen und die stechenden Kopfschmerzen fochten wie bei einer Olympiade darum wer die meisten Goldmedaillen in seiner Disziplin absahnte. Trotzdem bewegte ich mich stur, wie in verzögerter Zeitlupe, auf das Licht zu. Die wenigen Meter schienen unendlich. Als sich endlich die Schlucht öffnete, glaubte ich meinen tränenverschleierten Augen nicht zu trauen. Mit jedem Schritt den ich vorwärts taumelte klärte sich mein Blick. Verwundert stellte ich fest, dass ich wie automatisch lief ohne mich an den verschwundenen Wänden abzustützen. Worauf zu? Die zunehmende Sicht zeigte mir ein äusserst unreales Bild wie aus einem Märchenbuch. Meine Gedanken waren einfach leer als ich den ziemlich lebendigen Menschen erblickte der gerade eine scharfe Axt schwang. Entgeistert starrte er mich kurz an. Ein stattlicher Riese meiner Gattung wäre noch weit untertrieben. Dieser mit Fell und Leder bekleidete Bergbauer war doppelt so groß wie ich! Wo war ich nochmals gelandet? Ein grunzender Laut tat seine deutliche Verärgerung kund. „Du sein Nächste.“ Verstand ich gerade knapp. Zur Verdeutlichung seiner Drohung hieb er wuchtvoll seine scharfe Klinge auf eine dicke Baumscheibe hinunter. Wie weiche Butter trennten sich die schweren Teile, die zusammen mehr wogen als eine vollgestopfte Tasche aus dem Supermarkt. Laut polterten sie von dem massiven Wurzelstock hinunter, denn er als Spaltblock benutze.
Ohne Nachzudenken stolperte ich weiter. Er wirkte erst so nahe und doch erreichte ich ihn erst nach mehreren Schritten, den mit unzähligen Schnitten verzierten Wurzelstock. Wegen dem Chaos der herum liegenden Holzscheiten fiel ich förmlich auf ihn zu. Im letzten Augenblick hielt ich mich an diesem höchst praktischen Arbeitsplatz fest. Es mag Dumm erscheinen doch ich war an einem absoluten Tiefpunkt wo ich einfach keine Kraft mehr hatte weiter zu kämpfen. Gegen einen muskulösen Riesen anzutreten, der nebst tödlicher Bewaffnung über Lebenspunkte verfügte die mir eindeutig himmelhoch überlegen war, grenzte an Wahnsinn. So selten Bescheuert, hier um mein verkorkstes Leben zu kämpfen war ich auch nicht. Lieber ein sauberes Ende als eine hinausgezögerte Qual. Ohne geringstes Zögern legte ich meinen Kopf seitlich auf das raue aufgeschnittene Holz hinunter. Bat einfach. „Mach schnell!“
Robazki
Als ich wieder vermochte die Augen zu öffnen, war es draußen bereits dunkel geworden. Ein gemütlich, knisterndes Kaminfeuer erhellte den urchig gestalteten Wohnraum. Wer auch immer der fantasielose Innendesigner gewesen sein mochte, man hatte zu viel beim Lohn gefeilscht, oder mochte es tatsächlich sehr rustikal. Die Wände aus aufgeschichteten grob behauenen Steinen sahen nach sehr zeitintensivem Homemade aus. Jemand hatte viel Mühe in die Auswahl der Steine gesteckt um eine gerade Zimmerwand zu errichten. Durch die winzigen Lücken, in den Zwischenräumen der Steine, vermochte sich höchstens eine dünne Kakerlake hindurch zu quetschen. Die Zimmerdecke aus getrockneten dünnen Baumstämmen und dicken Ästen vermittelte auch einen stabilen Eindruck. Dort wo vermutlich ein Fenster war, hing gerade ein zweifarbiges Ziegenfell als Schutz vor Zugluft. Alles war so schlicht gehalten. Gerade das nötigste zum Leben. Das einzige erfreuliche war die wohlige erwärmte Innentemperatur und die gepolsterte Matratze auf der ich lag. Sie stank zwar unangenehm bitter nach gegerbten Leder. Tatsächlich als ich mich halb aufrichtete entdeckte ich, dass drei ziemlich dürftig zusammengenähte Bärenfelle, der Ursprung für den tierischen Geruch waren. Meine Hand reagierte zwar auf meinen Befehl, aber es fühlte sich an als sei sie mit Blei beschwert. Selbst mein Kopf erfüllte Schwindel sobald ich höher als langsame Bewegungen schaltete. Jemand bewegte einen grob gezimmerten, dreibeinigen Hocker vom Feuer weg. Es schabte schwer über den Boden. Mein Atem beschleunigte sich als ich den dunklen Schatten immer grösser werden sah. Ein wahrer Berg von einem Mann setzte sich neben sein Bett. Ganz vorsichtig, damit nichts vor meinen Augen verschwamm, sah ich mich um. Ich wirkte wie eine zerbrechliche Puppe in dem riesigen Bett. Verwundert sah ich erst auf meine Hand, die zwar das flauschige, dichte Bärenfell betastete, aber ich spürte kaum eine Berührung davon. Verwirrt sah ich zu den im halbdunklen verborgenen Augen hoch. Bedauerlich oder vielleicht war es zu meinem Vorteil, sah ich nicht genau was in den dunklen Augen wirklich stand. „Du“, ich atmete schwer, „du hast mich am Leben gelassen?“ Ein paar Flammen loderten im Kamin hoch und ich bemerkte die starke Verwirrung in seinem Gesicht. Zu spät erkannte ich meinen dummen Fehler. Ich hatte automatisch meinen heimischen Dialekt benutzt, statt seinen. Selbst meine Konzentration konnte ich nicht richtig ankurbeln. Allmählich fielen mir wieder ein paar Brocken ein. „Ich“, dabei zeigte ich auf mich und „Leben“ murmelt ich in seiner Sprache. Verstehend brummte er kurz. Zu meiner Überraschung legte er mein Notizbuch aufgeschlagen neben mich nieder. Damit verdeutlichte er seine offensichtliche Spionage. Er wandte mir kurz den breiten, kräftigen Rücken zu um sich mit einer ölgefüllten Lampe umzudrehen, in der ein kleiner Doch aufglühte. Endlich bekam sein Gesicht klare Züge. Nachdenklich betrachtete er mich als gäbe ich
ihm Rätsel auf. Er wirkte wie jemand Mitte dreißig. Gepflegt, glatt rasiert und überhaupt nicht so bäuerlich wie die Riesen in den meisten Märchenbüchern. Zwar eine gerundete Stubsnase die ihm einen gutmütigen Ausdruck verleite, aber sonst wirkte der blond gelockte Übermensch eher wie ein zugewanderter Städter aus meiner alten Welt. Ein gesundes schlank, weil es hier oben nicht im Übermaß zu essen gab. Kräftig, weil er sich wohl jeden Tag mit den schweren Steinen beschäftigte. Gepflegt, weil seine einfache Leinenkleidung nebst kleinen Abnutzungserscheinungen, kleine verstärke Flickarbeiten aufwies. Er roch nur nach Laugenseife und Rauch. Neugierig und aufgeschlossen beäugte er mich kritisch, als würde er auf was warten. Also setzte ich entsprechend ein fragendes Gesicht auf. Einen langen Moment schmunzelte er zufrieden. Dann spielte er für eine Sekunde eine schreckhafte Person, die Grimassen schnitt und hysterisch rumzuschreien schien.
„Oh“, lachte ich lahm auf. Winkte amüsiert mit einer Hand ab. „Nein. Ich, nein“. Er wollte mir zu verstehen geben, dass er eigentlich von mir erwartete, dass ich ausflippen würde, weil jemand wie er vor mir stand. Als ich ihn wegen seinem Humor erleichtert, geradezu begeistert anlächelte, schien ihn das mehr abzuschrecken als eine laute ausgeflippte Geste. Auf einmal bemerkte ich das gänzliche fehlen meiner lästigen Kopfschmerzen. Verwundert fasste ich mich an die Stirn. Er plapperte etwas vor sich hin von dem ich nur das Wort Medizin verstand. Als er mir eine flüssige Suppe aus einer vertieften Holzschüssel reichte, streckte ich automatisch die Hände danach aus. Mit einem geschnitzten Holzlöffel schob er sanft meine Hand auf die Seite. Die dampfende Gemüsebrühe schmeckte alles andere als lecker. Als er mir den Löffel mit der lauwarmen Suppe an die Lippen hielt trank ich aus reiner Höflichkeit, die für menschliche Maßstäbe ganz Tasse, leer. Die Bergkräuter waren eindeutig zu Bitter und schmeckten wie Petersilie, Schnittlauch und eine ausgepresste Limette zusammen. Nach all den geschmacksneutralen Medikamenten in den letzten Jahren war das eindeutig zu viel Biomaterial für mich. Es gelang mir nicht den Widerwillen vor dem hinunterschlucken zu verbergen. Meine Gesichtsakrobatik löste sogar ein tiefes Lachen bei ihm aus. Die Luft vibrierte förmlich in dem Raum. In seiner bebenden Hand schwappte der Schüsselinhalt bedenklich hoch. Mein stiller Wunsch, sie möge kippen, wurde nicht erhört. Hartnäckig bat er mich noch vier weitere Löffel runter zu schlucken, bis mir beinahe übel wurde. Immerhin sehnte sich mein leerer Magen dringend nach mehr Füllung, da musste mein verwöhnter Gaumen erstmal rückstecken. Bittersüß lächelte ich ihn am Ende an. Zufrieden nickte er und deckte mich mit einem dünneren Fell zu. Müdigkeit flutete meine Körper so schnell als hätte er ein riesiges Leck wo alle Energie hinausströmte. Mit einem schlimmen Verdacht sah ich zu der halbleeren Schüssel hinüber. Das breite, schelmische Lächeln meines Gastgebers bestätigte meine Vermutung, er hatte was beigemengt das meine Müdigkeit verstärkte. Im Moment begrüßte ich jedoch doch die willkommene Pause. Ich hob die Schultern kurz, wie um zu sagen, ist ok. Als ich meine Hand träge nach seiner Aussteckte, zuckte seine erschrocken zurück außerhalb meiner Reichweite. Es war einfach zu schön warm und zu weich und ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben. Willkommen im Traumland.
Eiskalt kam die Dusche am nächsten Morgen direkt, brutal ins Gesicht. Aufgeschreckt richtete ich mich hoch und brauchte in paar Sekunde um mit der Orientierung klar zu kommen. Wenigstens funktionierte es hinter meiner Stirn wieder normal. Schockiert riss ich reflexartig eine raue verfilzte Wolldecke hoch über meinen kühlen Busen. Diesmal spürte ich nur zu deutlich die kratzige Beschaffenheit der einfachen Decke. Eine mysteriöse Decke, da sie mehr aus geflochtenen Strängen bestand, zwischen die man behelfsmäßig ein paar Schafwollbüschel hinein knotete. Sozusagen ein misslungener Versuch eine gepolsterte Decke zu fabrizieren, die vor nächtlichen, lästigen Stechmücken schützte, gleichzeitig aber nicht soviel Wärme wie ein dichter Pelz produzierte. Das rosa Licht der frischen Morgendämmerung färbte nicht nur die Felswände, sondern fiel auch durch die vordere Fensterfront herein. Das Ziegenfell hatte man behelfsmäßig nach oben über eine Holzstange geklemmt. Es fröstelte mich nicht nur weil ich vollkommen entkleidet unter der löchrigen Decke lag. Es war bis auf das Schnaufen des Riesen ziemlich still im Raum. Automatisch sah ich zu der wenige Schritte entfernten Feuerstelle wo nun kalte Asche drin ruhte. Als ich die genaue Lage betrachtete, wo ich mich befand und wie sehr die rechte Bettseite eine deutliche Vertiefung aufwies, wurde mir fast Schwindlig. Okay, diese Nacht hatte ich definitiv nicht allein verbracht. Bevor ich verärgert diesen Fremden anfahren wollte, erinnerte ich mich aber rechtzeitig, dass ich unversehrt war. Für seine rasche Hilfe, vor allem das Verschwinden meiner Kopfschmerzen rechnete ich ihm hoch an. „Danke“, sagte ich in seiner Sprache. Sein krümmender Zeigefinger winkte mich zu sich heran. Aus dem eher grimmigen Gesichtszug las ich keine Freundlichkeit heraus. Seit ich ihn zum ersten Mal sah, wirkte er wie auf einem höheren Level entschlossen. Seitlich stand er vor einem mit reichlich Gemüse beladenen Tisch. Das Morgenlicht fiel günstig vor ihm ins Zimmer herein, während er emsig allerlei Gemüse für eine Suppe klein schnipselte. Zögerlich stand ich auf, mit der Decke als Schutzschild. Obwohl er seine volle Aufmerksamkeit dem scharfen Messer in den Händen richtete, schien er mich aus dem äußersten Augenwinkeln wahrzunehmen. Die Augen verdrehend pflanzte er dreist einen seiner Füße, samt Sandalen, auf die Restdecke auf dem Bett. Erst danach wandte er mit sein breites Grinsen zu. Es sagte eigentlich alles. Empört wollte ich die Decke trotzdem an mich ziehen, doch sein entschiedenes, „Tz, tz“, ließ mich ziemlich auf verlorenem Posten stehen. Was sollte ich tun? Reichte ich ihm wie ein Kleinkind gerade mal bis auf seine Gürtelhöhe. Alleine sein energischer Blick auf den leeren Stuhl neben dem Tisch genügte um zu verdeutlichen wohin er mich gerade wünschte. Meine rasenden Gedanken suchten nach einem Ausweg. Kämpfen würde als Unhöflichkeiten aufgefasst werden und war ziemlich Aussichtslos. Oder sollte ich einfach auf sein gewagtes Spiel eingehen? In der Nacht hatte er, als ich völlig schutzlos war, mich nicht angerührt. Nun in der Klinik musste man manchmal verrückte Sachen spielen um nicht zurück in die normale Konsumwelt gestoßen zu werden. Ein wenig mulmig war mir schon, als ich sehr zögerlich die hässliche Decke zurück aufs Bett legte. Unsicher stand ich da. Sollte ich fliehen? Der scheue Blick zur Türe alleine reichte aus, damit er sich rasch einen Schritt näher dahin stellte. Also wer ist schon so bescheuert und flieht ganz nackt? Diese Option kam überhaupt nicht in Frage. Ohne ein Feuerzeug oder ein Messer überlebte ich keine zwei Tage. Frustriert stöhnte ich laut meinen Ärger hinaus uns stampfte unwillig an seine Seite an den Tisch. Böse funkelten meine verdunkelten Augen hoch in seine strahlenden himmelblauen. Zuerst lachte er leise, dann folgte ein regelrechter Schwall von Worten die ich nicht verstand. Mein fragender Ausdruck reichte vollkommen. Einer der ersten langen Sätze aus meinem Büchlein lautete, „Entschuldigung, ich habe sie nicht verstanden.“ Auf das nächste folgende; „Können sie es bitte wiederholen?“In dieser echten LiveSituation unterliess ich es besser. Fragend zupfte ich einfach an seinem Leinenhemd herum. Er deutete nach draußen. Erst als ich meinen Hals streckte erblickte ich ein tropfnasses Hemd an einer Wäscheleine hängen. Das war pure berechnende Absicht von diesem einsamen Perversling. Nichts anderes ließ ich mir aufschwatzen. Uneingeschüchtert, obwohl er ein scharfes Küchenmesser in der Hand hielt, sah ich finster zu ihm hoch. Sein Finger bohrte sich stupsend in meine Schulter. Mit einem grinsenden Lächeln im Gesicht sagte er verständlich. „Ich Essen dich, vielleicht“. Als er versuchte in meine angespeckten Hüften zu kneifen, verteidigte meine Handfläche rabiat den geplanten Hautkontakt. Abschätzig meine er. „ Zu mager.“ Hartnäckig stupste ich ihn an. Zupfte weiter an seinem Hemd. Sein abweisender Zeigefinger sagte alles. Dafür bot er mir den Hocker an. Mit Handgesten verdeutlichte er mir, dass ich weiter die roten Rüben zerkleinern sollte. In einer Holzschüssel lagen eine Handvoll Kartoffel die ich, er zeigte in den Raum nach hinten, vermutlich mit Waschen von ihrer Erde reinigen sollte. Mein hungriger Magen ließ mir keine Wahl. Als ich das für mich große Messer in die Finger nahm, tätschelte seine große Hand über meinen Kopf. „Sei nicht dumm“, mahnte er mich. Ich nickte brav. Ihn mit einem Messer jetzt anzugreifen wäre ziemlich blöd. Nein, ich musste beobachten, ihn studieren, für den perfekten Moment. Auf jeden Fall erst nach dem Essen. Prioritäten musste man setzten.
Während ich das Gemüse kleinhackte, brachte er Feuerholz von draußen herein und entfachte ein Feuer. Dabei beobachtete ich ihn genau. Nachdem das Feuer selbstständig weiter brannte, stellte er sich mit dem Rücken zum Tisch, neben mich. Mein rasches Hochblicken bestätigte nur, dass er seine Aussicht auf meinen Körper hinunter genoss. Gegen meinen Gift versendenden Blick schien er leider vollkommen immun. Gelassen holte er mein Büchlein hervor und was dann folgte, erstaunte mich. Bis unsere Frühstücksuppe zu Ende köchelte, übten wir an unserem Wortschatz. Mir wurde klar, dass seine Einsamkeit hier oben, ihm höchst selten Besuch bescherte. Und wenn ich ihn richtig verstand, wobei ich diesmal sehr hoffte dass ich mich irrte, hatte er wirklich schon Menschenfleisch gegessen. Wobei er mir auch erklärte, wie hart die Winter hier oben seinen. Es kam mir vor wie eine Entschuldigung. Anderseits drohte er mir klar, dass ich nicht fliehen sollte, oder er mache kurzen Prozess. Irgendwann dazwischen tauschten wir unsere Namen aus. Er hiess Robazki. Unsere kläglichen Versuche einander zu verstehen verspäteten sogar unser Frühstück. Von dem intensiven Gesprächsaustausch bekam ich wieder leichte Kopfschmerzen. Wie von selbst gab er mir zum Frühstück wieder diesen bitteren Kräutertee. Medizin, wie er es nannte, diesmal mit abgeschwächter Wirkung. Aus dem mich hinlegen und ausruhen wurde nichts. Stattdessen schubste er mich regelrecht nach draußen. Innerhalb schützenden Wänden unbekleidet herum zu spazieren war eine leicht Sache. Außerhalb der vier Wände bombardierte mich das schlechte Gewissen. Dasjenige welches seit früher Erziehung eingeimpft worden war. Die kühle Zugluft in dem Bergtal empfing mich unangenehm. Darum, sobald Robazki mich praktisch gewaltsam durch den Türrahmen schob, marschierte ich kurzerhand zu der feuchten Wäsche hinüber. Fairer Weise sei erwähnt, dass er mich mit seinen Händen an den Schultern nach draußen bugsierte und nicht an meiner unteren rundlichen Kehrseite. Sein scharfes, „Hey!“ bremste mich kaum ab. Erst als ein faustgroßer Stein haarscharf an meinem Ohr vorbeiflitzte und an meinem hängenden Hemd abprallte, wandte ich mich herum. Gelassen stand er da und winkte wieder mahnend mit dem Zeigefinger. Also versuchte ich es mit Verstand. „Willst du mich krank sehen?“ „Nix Krank. Du gefällst mir besser so.“ „Wenn ich Schnupfen bekomme, dann…“ Gewisse Wörter kannte ich noch nicht also legte ich meine Hände seitlich ans Gesicht, tat als ob ich schlief und schnarchte laut. „Willst du das? Ich bin dann ziemlich laut in der Nacht.“ „Du ziemlich laut jetzt schon“. „Ach meno“, wütend stampfe ich mit einem Fuss auf. Am liebsten hätte ich auch einen der herumliegenden Steine zurück geschmissen. Mein kluger Verstand, ganz hinten, warnte mich eindrücklich vor so einem Ausbruch. Wenn Robazki wütend werden sollte, hatte ich mehr als nur eine schlechte Karte gezogen. Er spazierte an seinem Kräutergarten vorbei und deutete auf einen grob gezimmerten Stall. „Manchmal Schafe da. Wolle da. Kleider zweite selber machen.“ Das war mal ein netter Vorschlag. Als ich in den nach Schafmist stinkenden Stall reinguckte, entdeckte ich wirklich ein paar grobe Netze an der Decke, die unbehandelte Schafwolle enthielt. Hilfreich holte Robazki eines der prall gefüllten Netze herunter. Danach wollte ich mich vor dem Haus auf die kniehohe Steinmauer, welche den Kräutergarten umgab, hinsetzen. Die Kälte an meinem Hintern ließ mich empfindlich aufspringen. Mit einem kleinen Brummen reichte mir Robazki freundlicher Weise ein graues zusammengefaltetes Tuch. Ich war nicht so dumm es aufzuschlagen, sondern setzte mich brav drauf. Dieses feinere Tuch aus Leinen war vermutlich von den normalen Menschen hier eingetauscht worden. Darum fragte ich vorsichtig. „Ich bin neu hier. Sind alle Menschen so groß wie du?“ Nachdenklich studierte er mich länger, bis er wieder anfing mit seiner Axt Feuerholz zu zerkleinern. „Ich bin alleine hier. Mein Volk weit weg.“ „Warum bist du alleine?“ Kurz hielt er in seiner Tätigkeit inne als suchte er nach dem Grund. „Bin gerne allein. Ruhig, kein Krieg, kein Streit, zufrieden.“
Nachdenklich hielt ich die lange weiche Schafswolle in den Händen. So ein schlichter wärmender Poncho den man vielseitig nutzen konnte war schon eine gute Idee. Also fing ich an die Wolle mit den Fingern zu kämmen. Auf einmal hielt mir Robazki einen seltsamen Gegenstand aus Metall entgegen. Es sah aus wie ein vierzinkiger Kamm dessen Zahnung endete in verschiedenen Dicken und verschiedenen Höhen. Also neben der Zähmung von widerspenstigen Haaren konnte dies auch als Schraubendreher verwendet werden. Dankend nahm ich den robusten Gegenstand entgegen und startete mit dem dressieren der Schafswolle. Allerdings dauerte es ziemlich lange bis ich mit dem von Hand drehen startete und noch länger bis ich einen einigermaßen gleichmäßigen Faden zwischen den Fingern zustande brachte. Was mich erstaunte war das Ausbleiben der gefühlten Kälte. Einzig meine Hände versteiften sich langsam. Die graue, verhangene Wolkendecke welche zähflüssig an den Berggipfel vorbeizog, ließ keinen wärmenden Sonnenschein zu. Irgendwann bat mich Robazki doch in die wärmere Hütte hinein zu gehen. „Bleiben da. Ich bald kommen.“ Folgsam betrat ich den düsteren, behaglichen Innenraum der Hütte. Die dicken Steinmauern hielten die Wärme gütig zurück, solange der Vorhang die Scheibenlosen Fenster abdeckte. Es war später Nachmittag. Zum ersten Mal alleine legte ich mir das Tuch auf dem ich gesessen hatte über die Schultern. Im ganzen Raum gab es keine anderen Handtücher, keine Stofflappen. Einzig in einer aus groben Holzbrettern gezimmerte Truhe fand ich ein paar von Robazkis Ersatzkleidern. Vorsichtig schob ich den Fenstervorhang zu Seite. Er war nirgends zu sehen. Hastig schlüpfte ich in eines seiner trockenen Leinenhemden. Es roch etwas nach getrockneten Lavendelblüten. Die lagen wild zerstreut seitlich auf dem Truhenboden um wohl ein paar tierische Gäste zu vertreiben. Alleine sein weites Hemd wirkte an mir als trüge ich einen zu weit geschnitten Rock. Mit einem robusten Schafgarnfaden band ich mir es um den Bauch fest. Da es mir über die Schultern rutschte trug ich es einfach Schulterfrei und benutzte die langen Ärmel als Träger indem ich sie im Nacken knüpfte. Es wirkte alles andere als Körperbetont. Ich merkte aber erst jetzt die behagliche vermisste Wärme die es aussandte. Eilig packte ich meinen offen stehenden Rucksack und stopfe das zusätzlich Küchenmesser hinein. Ein Reservemesser war nie verkehrt. Na dann wollen wir mal sehen, wie schnell Robazki flitzen kann. Vorsichtig öffnete ich die hohe Türe. Niemand war zu hören außer dem einzigen Vogel, der zwischen den Steinen nach Insekten pickte und dem leisen Flüstern der trockenen Blätter eines Laubbaumes. Leise schlich ich barfuß zu meinen feuchten Schuhen. Sie anzuziehen dauerte mir zulange. Ich nahm sie in die Hände und trabe los auf die enge Schlucht zu, die kaum fünfzig Meter weiter weg begann. Erleichterung flutete mich auf den letzten Metern. Pures Glücksgefühl, als meine Füße den kalten Steinboden der Schlucht berührten. Ich würde es schaffen, Freiheit. Als der ganze Körper in den Schatten eintauchte kam ein gewaltiger Schock. Eine geballte, negative Ladung Energie traf mich so hart, dass ich rückwärts taumelte und mich auf dem Hintern wiederfand. Einen Augenblick saß ich wie von einem schmerzhaften Stromschlag betäubt auf dem rauen Boden. In meinem Herzen hallte der stechende Schmerz ein paar lange Sekunde länger nach. Erst nach einer lähmenden Minute realisierte ich was genau eben geschehen war. Unsichtbar? Eine unsichtbare Barriere hielt mich vor der Außenwelt zurück. Konnte das sein? Außerdem starteten meine Kopfschmerzen wieder los, wie ein aufheulendes Alarmzeichen. Was? Erschrocken krebste ich hastig zurück. Abstand zu dem unsichtbaren Ding. Ein paar Minuten verharrte ich um es zu verarbeiten. So einfach würde ich es nicht mehr schaffen dieses Kraftfeld zu durchbrechen. Kein Wunder hatte ich so eine lähmende Migräne als ich sie zum ersten Mal durchlief.
Aufgebend, mit hängenden Schultern lief ich zu der Hütte zurück. Legte meine Lederstiefel wieder genau dorthin wo ich sie gefunden hatte. Mist, ich musste mir was einfallen lassen.
Lange überlegte ich mir an diesem eindunkelnden Abend, ob ich das riesige Hemd anbehalten sollte. Provozierte ich damit unnötig Ärger? Anderseits ruhten Robazkis Hände stets züchtig auf seiner Seite. Das gab für mich keinen Sinn. In den letzten Minuten vor Sonnenuntergang, der für dieses Tal früher startete, überprüfte ich rasch meine Wäsche draußen und empfand sie immer noch als ungenügend trocken. Also hielt ich es für intelligent sie mit ins Haus zu nehmen. Zuerst entfachte ich ein kräftiges Feuer im Kamin. Dann spannte ich eine feste Schnur und hängte mein Kleid im sicheren Abstand davor. Genau wie zu Mittag startete ich mit dem Rüsten des Gemüses um eine Suppe vorzubereiten. Je länger diese nämlich kochte, umso intensiver kam der Geschmack hervor. Irgendwie sehnte ich mich nach der aromatischen Maggibrühe die es öfters in der Klinik gab. Als ich draußen schwere Schritte hörte, bewachte ich bereits eine Stunde darüber, dass unten im blubbernden Kupfertopf nichts anbrannte. In letzter Sekunde schlüpfte ich hastig aus dem zu weiten Hemd. Stopfte es eilig in die Kiste zurück und sprang gerade hoch, als sich die grob gezimmerte Türe aufschwang. Vier normale Schritte zum fertigen Essen und ich rührte vollkommen gelassen den hölzernen Kochlöffel herum. Prüfend verharrte er einen langen Moment im Türrahmen. Mir kam es vor als hörte er mein heftig pochendes Herz. Als er sich schließlich bewegte, zuckte ich beinahe überrascht zusammen. Ein kühler begleitender Luftzug verflüchtigte sich rasch, als er die Türe hinter sich schloss, ohne mich aus den wachsamen Augen zu lassen. Etwas war anders. Er trug eine für ihn kleine Jutentasche über seiner breiten Schulter. Als er ihn auf dem Esstisch öffnete, kamen dutzende kleine rote Äpfel zum Vorschein. Keine genmanipulierte gross gezüchteten, sondern so klein, dass zwei in meine Hand hinein passten. Fragend sah ich zuerst hoch, ehe ich mich getraute einen davon zu kosten. Robazkis zustimmende Mine ließ mich rasch nach einem Zweiten greifen. Dieses volle Aroma mit einem unglaublich süßen Geschmack war einzigartig. Es schmeckte unvergleichlich. Bis ich den ausgehölten Gang ins Kerngehäuse erblickte. Aus dem aufgebissen Kernenreich schlich sich gerade ein panisches Würmchen übers offene Gelände davon. Mir fiel vor Schreck der angebissene Apfel aus den Händen. Direkt in die darunterliegende Hand von Robazki. Seine Weitsicht war bemerkenswert. Über meine Verwunderung sagte er nur. „Viele Schwestern“ „Wie viele?“ „Beim letzten Besuch waren es vier.“ „Wow“ Alleine die Vorstellung vier riesige Geschwister neben ihm zu sehen, lies mich erschaudern. Dann sah ich mich in der engen Hütte um und grinste. „Die haben hier aber nicht Platz, wenn sie dich mal besuchen“. Sein freundliches Lächeln wurde ein spur breiter und fieser. „Warum wohl habe ich mein Haus so klein gebaut?“ Kluger Mann. Nur eines gab mir zu denken. „Was wenn du eine Frau findest, die dich mag, die du magst.“ Er hob eine Augenbraue. „Nicht hier oben.“ Da er die restlichen Äpfel in einer Schüssel hortete, holte ich eben ein paar andere Holzschalen um meine Suppen gerecht zu verteilen. Als ich ihm den dampfenden Teller mit einem Löffel hinschob, sah ich ihn kritisch an. „Robazki, da du mich immer nackt rumrennen lässt, dachte ich schon du hast Interesse an mir. Also das enttäuscht mich jetzt tief, sehr tief.“ Schauspielerte ich ein bisschen übertrieben. Als ich das Sahnehäufchen drauf setzte. „Also ich wollte schon Kinder von dir. Zehn wären doch eine schöne Zahl.“ Sein anfangs fleißiges reinschaufeln des köstlichen Abendessen verlangsamte sich merklich. Ein seitliches Zucken seiner Nasenflügel verriet seine aufkommende Nervosität. Sie witterten wohl bereits das Unheil einer so großen Kinderschar. Er kam zu einem raschen Urteil. „Du morgen weg!“
Ich sollte eigentlich dankbar, ernst und erfreut sein. Mein gesteigertes Erfreut liess mich einfach nur ausgelassen lachen. Es war so befreiend, nach all der Jahren Gefangenschaft einmal seine Freude so offen zu zeigen. Es dauerte lange bis ich mir die Tränen aus den Augen wischte und selber essen konnte. Zwar stand ich jetzt unter Robazkis Beobachtung, was mir allemal lieber war als das von den elektronischen Kameras. Es fehle jede Art von Hinweis für Elektronik. Nicht mal Batterien oder einen kleinen Radio, den man sonst gerne in den längeren Urlaub mitnahm. Diese schlichte Hütte besaß wirklich nur das allernötigste, was es zum überleben in der Wildnis brauchte. Nachdem ich das schmutzige Geschirr abräumte und wusch, setzte ich mich zurück auf den Bettrand. Es gab ja keinen zweiten Hocker zum drauf sitzen. Jetzt fehlte mir schon ein wenig ein ablenkendes Unterhaltungsprogramm. Der talentierte Hüttenherr holte sein Schnitzwerkzeugt hervor und setzte sich dichter vor den Kamin. Er arbeitete an der gleichmäßigen Vertiefung eines ausgebrannten Teller. Damit ich mehr Licht bekam setzte ich mich genauso zur Lichtquelle, blieb aber auf dem weicheren Bett. Um mich zu beschäftigten, zwirbelte ich zwischen meinen Fingern die lose Wolle zu einem robusten Faden. „Du hast doch Eltern?“ Fragte ich gerade aus, was mir in den Sinn kam. Er nickte, sagte aber nichts weiter. „Vermisst du sie?“ „Nein“
Okay, das war ein sensibles Thema für ihn. Vielleicht weil bei ihm auch etwas schief lief. „Ich vermisse meine schrecklich. Man hat mich, als Kind, weggenommen.“ Jetzt sah er kurz zu mir nach hinten. „Wegnehmen?“ „Sie haben wenig Geld, Arbeiten viel, zuviel und ich war alleine. Bis besorgte Nachbarn die Aufpasser alarmiert haben.“ In meinem neuen Wortschatz existierte keine Bezeichnung für Familienbehörden oder Polizei. Robazki dachte selber kurz nach, ehe es ihn wunderte. „Warum haben nicht die Nachbarn auf dich aufgepasst? Zu weit weg?“ Das tat weh in meinen Herzen. Ihm zu sagen, dass meine Nachbarn nur eine Türe weiter, auf der gleichen Etage wohnten. Dass über zwanzig Familien im selben mehrstöckigen Wohnblock wohnten, wollte ich ihm gar nicht verraten. Vermutlich würde er es nicht verstehen. Also sagte ich nur schwer. „Im Herzen wohnten die alten Leute weg.“ „Das ist schade. Ich bin freiwillig von der Familie weg. Wollte einfach die weite Welt sehen.“ Nach ein paar Minuten wagte ich mich vor. „Ich denke du wolltest vor allem junge Frauen sehen. Ja? Warum sonst muss ich ohne Kleidung rumlaufen. Du hattest wohl nicht viel Glück zu Hause.“ Uh, sein leicht verärgerter Blick verengte seine Augen bedrohlich. „Du läufst so rum, weil ich das so will. Ich muss dich schließlich durchfüttern und möchte auch Profitieren.“ „Nette Art von Profitieren. Wer hat dir das beigebracht? Würde deine Mutter eine solche Benehmen gut heißen?“ Er stand abrupt auf, dass ich erschrocken auf der Matratze nach hinten kippte. Augenblickich dämmerte mir das er diesen Scherz nicht verstand. Jetzt kam ich in den unangenehmen Genuss von Robazkis echtem Zorn. Schwer schnaufte sein aufgeregter Atem wie ein Blasebalg. Sein Schweigen steigerte in dem engen Raum noch mehr die Anspannung. Da er mit dem Rücken zum Feuer stand, waren seine dunklen Augen wie eine unheimliche Schwärze in denen es höchsten Gefährlich aufblitzte. Ich schrumpfte innerlich zusammen. Alleine seine Schultern waren mehr als dreimal so breit wie meine. Ein kleiner Finger von ihm reichte aus mir was zu brechen, wollte er mir was antun. Als er seine Hand tatsächlich bewegte, zuckte ich empfindlich zusammen. Gelassen stellte er seine unfertige Handwerksarbeit auf die Tischplatte auf, ehe er sich zu mir vorbeugte. „Ich habe guten Anstand im Gegensatz zu vielen misstrauischen Bauern die nur mit Mistgabeln vor mir herumfuchteln als müssten sie einen wilden Bären abschrecken. Meine Eltern haben mich gut erzogen. Aber Menschen sind schrecklich und wollen schnell Krieg. Also muss man sich anpassen um zu überleben. Wenn du unbekleidet bist, rennst du mir weniger schnell davon. Oder willst du, dass außerhalb der Schlucht dich hungrige Wölfe jagen. Eine kleine blutende Wunde genügt um dich aus weiter Entfernung zu wittern.“ Verstehend nickte ich. Es war als klug gewesen, ruhig in der Hütte zu bleiben, statt nach einem anderen Ausweg als die Schlucht zu suchen. Um an steilen Bergwänden zu klettern war ich völlig ungeeignet. Da Robazki mir so direkt nahe war, deckte ich mich rasch mit der einfachen Decke zu. Ruhiger setzte er sich auf seine Seite aufs Bett. Jetzt kam es mir plötzlich ziemlich klein vor. „Es tut mir leid“, kam es von mir ehrlich. „Ich weiß selber, dass viele Menschen schrecklich sind.“ Abgelenkt beschäftigte ihn etwas anderes. Meine Unterwäsche hing nämlich hoch über dem Kamin. Sein Arme steckte sich vor und er betastete meine schlichten Unterhosen. Mit einem Ruck zog er sie herunter und warf sie mir zu. Genauso mit dem modernen BH und den langen Brustbandagen. Unter seinem strengen Blick fiel es mir schwer nicht hastig nach den Gegenständen zu greifen. Ich entschied sogar auf den einengenden BH, über Nacht wenigstens, zu verzichten. Ungelenkig benutzte ich einfach die langen Bänder. Als ich wieder hochsah, sass Robazki am Kopfende des Bettes. Der magere rötliche Feuerschein beleuchtet mich so besser. Etwas schien ihn arg zu beschäftigen. Ungeniert hielt er das moderne elastische Kleidungsstück zwischen seinen Fingern, ehe er es mir nochmal reichte. „Was ist das für Material?“ Langsam verstand ich viele der neuen Worte, oder konnte mir den Rest dazu erraten. Manchmal wenn mir eines fehlte, ergänzte ich mit Handbewegungen oder im schlimmsten Fall, eben mit meiner Sprache. Baumwolle zu beschreiben war eine unmögliche Herausforderung. Ich bückte mich vor um nach einem kleinen Kohlestück, rund um den Kamin zu suchen. Mit einem dünnen Scheit schob ich es, aus der am Rande erkalteten Asche, heraus. Es fühlte sich nur ein bisschen warm in meiner Handfläche an. Steine gab es ja genug bei diesem massiven Hausbau. Also zeichnete ich auf einer der abgeschliffenen Seite zuerst einen Baum, dessen verblühende Blüten, bis zu der einen Maschine welche einen dünnen Faden zusammen drehte. Natürlich klopfte sein Zeigefinger fragend auf das viereckige Gebilde mit den angedeuteten Zahnrädern. Das würde eine laaange Nacht werden ohne viel Schlaf oder ich kürzte es ab in dem ich ein Kabel an die Maschine anhängte, welches nach oben, Richtung Himmel, zeigte und einem abschließenden Blitz der stellvertretend für Energie stand. Hoffentlich war ich nicht im Mittelalter gelandet wo Elektrizität ein absolutes Fremdwort war. Sehr lange betrachtete er meine dürftigen Zeichnungen. Das einzige Wort welches ihm darauf einfiel, lag ausserhalb meines Verstehens. Es hörte sich an wie `interessant` und nicht wie ein anklagendes `Hexerei`. Beruhigt setzte ich mich zurück an meine Schlafstelle an der Wand. Gemütlich steckte er sich neben mir aus. Legte seine Hände in den Nacken uns sah entspannt zu dem naturbelassenen Holz an der Decke hoch. „Safina, woher kommst du?“ Und schon waren wir beim nächsten delikaten Punkt den es zu umschiffen galt. „Weiter langer Weg über Berg“, versuchte ich mein Glück. Sein Zweifeln war ihm anzuhören. „Berg, so so!“ Jedes Land oder Kontinent grenzte irgendwann an ein weites Meer. Alleine der Gedanke zu lügen stieß mir Bitter auf. Anderseits konnte ich es zu meinem Vorteil drehen als ich hoffnungsvoll fragte, „Karte? Hast du eine Landkarte?“ Er brummte was Unverständliches. „Nein“. „Dann wird es schwierig zu zeigen wo ich herkomme.“ Er deutete auf den BH den ich halb unter das zusammengerollte Fell, welches als mein Kopfkissen diente, geklemmt hatte. „Wenn du nicht aus Stadt kommst, gibt es nur einen langen Weg der über mehrere Berge bis in die graue Zone führt. Kommst du aus dem grauen Land?“ Zögerlich wägte ich meine Worte ab. „Vielleicht. Bei uns heißt es nicht graues Land. Schon eher Land der verschiedenen Möglichkeiten, weil es nur wenige Wege gibt es zu verlassen, aber viele Wege die abzweigen und dich in die Irre führen.“ Das war mal eine nette Umschreibung für eine Klapsmühle. Trotzdem reagierte er genauso bestürzt. „Du kommst aus der Todeszone? Dort wo unvorsichtige Menschen hingehen und mit inneren Krankheiten zurück kommen an denen sie sogar sterben?“ Er klang sogar ziemlich erzürnt. Meine Gedanken wirbelten auf Hochtouren. Es existierte also eine graue Todeszone. Was für ein Glück das ich nicht dorthin gewandert war. Kein Wunder haben andere Testpersonen versagt, aber was soll ich denn jetzt Robazki sagen? Moment. Ich holte tief Luft. „Ja, vor mir sind einige gestorben, welche über die Grenze wanderten. Mir haben sie“, dabei zeigte ich ihm mein Handgelenk mit dem Gipsverband, „Medizin ins Blut getan. Ist wie ein, ein guter Schild.“ Der große Körper neben mir entspannte sich wieder. „Du hast also keine Krankheit mitgebracht?“ „Nein“, hoffte ich inständig. Was, wenn ich gewisse fremde Keime mit mir rumschleppte die hier eventuell Schaden anrichten konnten? Wo war ich denn überhaupt gelandet? Diese Frage wurde immer interessanter. In verschiedenen Religionen gab es Riesen und alleine ein Blick auf ältere Karten, oder kaum 100 Jahre zurück, genügte um Menschen von Robazkis Grösse sogar auf Fotos zu finden. Die waren gewiss nicht alle gefakt. Vorsichtig versuchte ich dem heiklen Thema auf die Spur zu kommen. „Habt ihr?“ Diesmal war es nötig aufzustehen und das Küchenmesser aus Eisen zu holten. „Große Eisen? Maschinen die euch helfen?“ Mittlerweile glühten nur noch die letzten roten Kohlen im Kamin. Robazkis Augen sahen mich lange nur an, eher er vor sich hin klopfte. Er hatte Recht, ohne Decke war es wirklich kalt und ich schlüpfte vor ihm unter die Decke. Da er sich nur von den Schuhen trennte als er sich hinsteckte, witterte ich keine Gefahr. Es raschelte leise als er den Kopf schüttelte. „Nein. Ja. Vielleicht in der Stadt. Es gibt, allerdings höchst selten, Licht von gezähmten Blitzen. Von alter Technologie die längst in Vergessenheit geraten ist. Kann also schon sein, dass du es dank deiner Medizin durch den Todesstreifen geschafft hast. Wir werden morgen darüber reden. Du kannst bestimmt mehr zeichnen.“ „Dich interessieren also meine Zeichnungen?“ „Ölbilder haben einen hohen Kunstwert, wenn sie exakt die Genauigkeit wiedergeben. Meine Schwester Irina hat schon Höchstpreise mit ihren Portraits erzielt.“ Eine Weile blieb es still bis auf unser Atmen. Der erlösende Schlaf wollte bei mir nicht kommen. Als flüsterte ich. „Erzähle von früher oder erinnerst du dich nicht gerne?“ „Warum sollte ich dir davon erzählen“, fragte er gerechtfertigt. Ehrlich gab ich zurück. „Weil ich lange Zeit in einem Haus eingesperrt war. Ich durfte selten Raus im Garten spazieren. Geschwister zu haben muss schön sein.“ Leise gluckste er vor sich hin. „Nicht immer.“ Und dann begann er leise von seinen Geschwistern zu erzählen. Sein Vater war ein bedeutender Mann, so was wie ein Bürgermeister einer Stadt. Entsprechend mussten sich seine Kinder vorbildlicher benehmen und wurden strenger erzogen als andere. Robazki war einer von drei Brüdern. Vom ältesten Sohn wurde natürlich erwartet, dass er eines Tages die Geschäfte seines Vaters übernahm. Der zweitälteste überwachte die restliche Horde, vor allem neben der Erziehung, dass sich niemand ungebührlich den Schwestern näherte. Robazki fand sich etwas unglücklich inmitten der Schwestern wieder. Da ihn Langezeit niemand beachtete, verschwand er gerne in den Pferdestall.
„Moment“, nahm es mich jetzt brennend Wunder. „Ihr reitet? Wie groß sind die Pferde bei euch?“ „Du bist die erste die mich so was fragt? Mein brauner Hengst reichte mich sogar bis zur Schulter hoch.“ Anfangs startete er begeistert, doch endete seine Stimme traurig, voller Sehnsucht. Er seufzte leise. „Das vermisse ich am meisten hier oben. Zenzken, meinen starken Hengst musste ich vor meinen Studienjahren leider zurücklassen.“ Dann begann er von seinem Studium zu erzählen. Er fand es selber unerträglich langweilig, aber man verlangte von ihm, wegen seinem bekannten Familiennamen, überdurchschnittliche Noten zu bringen. Also packte er eines Tages seine Sachen, schlich sich davon und hinterließ nur einen kappen Abschiedsbrief. Den Reisebericht, wie er es bis hier in die Berge schaffte, kürzte er ungewöhnlich ab. So als wären ihm unangenehme Dinge passiert, die er lieber nicht anderen erzählte. Wir schwiegen danach solange bis er selber flüsterte. „Schläfst du schon?“ „Ja, du erzählst so langweilig, da bin ich eingeschlafen.“ „He“ Die Finger einer Hand schnippten entrüstet an meinen Oberarm. Was mir zu denken gab, „Seither lebst du alleine hier. Ist das auf Dauer nicht einsam?“ „Jetzt habe ich ja dich. Du bist ein angenehmer Floh. Ich glaube ich behalte dich. Wie viele Kinder wünschst du dir nochmal?“ Jetzt war es an mir ihm eines kräftig in den Arm zu schnippen. „Du hast Recht. Morgen wäre ein guter Zeitpunkt um von hier weg zu gehen.“
Verhandlungen
Eine tiefe Unruhe weckte mich in dieser Nacht mehrmals auf. Verfolgte mich bis in die frühen Morgenstunden. Sobald die Kopfschmerzen anfingen mich zu plagen, stand ich leise auf um auf dem Tisch, aus einem glasierten Tongefäß, erkaltete Medizin zu trinken. In dieser seltsamen Nacht tapste ich bereits zweimal zu diesem heilsamen Kräutertee. Irgendwas lies mir keine Ruhe und kündigte sich wieder mal durch nervöse Unruhe an. Die Leuchtziffern meiner Uhr zeigten 4Uhr morgens an, als ich wieder zurück ins warme Bett, unter die Bettdecke, zu Robazki kroch. Nur ein kleiner Bruchteil meines Gewissen meldete sich protestierend als ich meine kalten Füße an seine warmen Oberschenkel anlegte. Es war echt verrückt. Seit dem zusammenwohnen mit Robazki fühlten sich meine Gedanken und Sinne jeder Stunde klarer an. Die behagliche Wärmequelle an die sich mein Rücken anlehnte, spendete Trost. Eine trügerische Sicherheit, weil ich so wenig über Robazkis wahren Charakter wusste. Was in ihm vorging, vermochte ich unmöglich zu erraten. Vielleicht war die Übermüdung schuld, dass ich Gespenster sah wo es keine gab. Vermutlich lag an der ordentlichen Dosis Medizin, welche mich schlussendlich erlöste und eindösen lies.
Genauso wie die Menge der Medizin mich aufweckte und mit gehörigem Druck auf die volle Blase zur Eile drängte. Eines hasse ich in diesem altertümlichen Haus mehr als alles andere. Mein verwöhnter Hintern sehnte sich schrecklich nach einem WC mit einer bequemen Plastikbrille zum drauf zu sitzen. Das windgeschützte Örtchen lag ein paar Schritte getrennt, außerhalb vom Wohnhaus. Zwar schützten drei verstärkte Holzwände vor eisigen Zugluft, aber für mich war der Holzbalken zum drauf sitzen einfach zu hoch angenagelt. Immerhin verhinderte die stetig aufgetragene Erdschicht über dem nachsinkenden Loch, dass unangenehme Gerüche entstanden. In diesem fortschrittlichen Punkt besaß Robazki bemerkenswerte Weitsicht, die nur aus seiner guten Erziehung stammte. Obwohl er mich zu sparsamen Kleiderordnung zwang, mochte ich seine ordentliche Seite mit dem Hang zu einfachen, praktischen Dingen. Auch als ich ihn einmal nach dem Mysterium fragte, wohin eigentlich die schmutzige Erde absank, bekam ich eine unerwartete Antwort. Schließlich glaubte ich keine Sekunde daran, dass er auf dem harten, steinigen Untergrund eine Toilettengrube raus sprengte. Nein, er war so klug, seine Häuschen über einer stillgelegten Höhle eines steinefressenden Bergwurms zu errichten. Okay, anfangs erschreckte mich der Horrorgedanke, dass wenn ich auf den stillen Örtchen saß, da unter mir eventuell die verlassene Wohnhöhle nicht ganz so verlassen war wie Robazki vorgab. Auf jeden Fall setzte ich mich von da an auf den sicheren Balken hoch auch wenn das einen anstrengenden Balanceakt erforderte.
An diesem aufgeschreckten Morgen, griff ich vor dem rausgehen eines von Robazkis Hemden, welche er sorgfältig gefaltet auf seiner Kleidertruhe parkierte. Schlüpfte in seine riesigen, mit Fell gepolsterten Schuhe und hastete aus der Türe hinters Haus. Die aufgegangene Sonne verbarg sich hinter einer dicken Dunstschicht, welche gerade im Moment in dem windstillen Tal wie fest geankert schien. Die Sichtweite von wenigen Metern lies Nebelschwaden wie tanzende Gespenster erscheinen. Hastig erledigte ich meine Toilette und spazierte erleichtert zur Haustüre zurück. Ein müder, brummiger Robazki erwartete mich sobald ich die Türschwelle überschritt. Wäre ich Zwei Meter oder grösser gewesen, hätte mich sein gut trainierter Oberkörper vielleicht ein bisschen ins Schwärmen gebracht. Oder das perfekte Muskelpacket hätte mich von seiner miesen Laune abgelenkt. Für mich strahlte er eine gewisse Unheimlichkeit aus, wie er einfach so dastand mit seinen ineinander verschränkten Armen. Die angespannten Oberarmmuskeln verrieten mir dass seine Hände geballt waren, noch bevor ich diese sah. Ein geladenes, angespanntes Energiebündel. Ahnungslos verharrte ich zögerlich und schaute unentschlossen zu ihm hinüber. Es zuckten seine Kiefermuskeln. Verengte Augen verhießen auch nichts Gutes. Als er endlich mit einem grollenden Satz die Spannung zwischen uns brach verstand ich immerhin seinen Ärger. Es passte ihm nicht dass ich sein Hemd ungefragt entführte. Verdächtigte er mich vielleicht, ob ich angezogen einen Fluchtversucht wagte? Jedenfalls zog ich rasch seinen heissgeliebten Pullover aus und überreichte ihn mit gesenktem Kopf. Hauchte, „Aussen, Kalt“. Rasch schnappte er sich den weichen Strickpullover. Dieses Kleidungstück hatte eindeutig jemand für ihn angefertigt oder es wurde in einem Schneiderladen gekauft. Nach dem gestrigen Abend wusste ich das Robazkis ein außergewöhnliches Talent für Schnitzereien besass. Aber mit Garantie weit davon entfernt war eine Stricknadel meiner bekannten Grösse Zwei zu handhaben. Er liess sie Zeit mit dem anziehen. Da meine Füsse in seinen schweren Schuhen schwammen, setzte ich mich lieber wieder aufs noch leicht erwärmte Bett und steckte sie unter die Restwärme. In der nächsten Sekunde schwappte ein Krug voller kaltes Wasser übers Gesicht. Schockiert sah ich zu Robazki hinüber. Eindeutig grinste er heimlich. Es funkelte ziemlich verräterisch in seinen Augen. Verärgert rutschte ich von dem Bett hinunter. Die halbe Bettdecke war ebenfalls nass. Er deutete erst auf die Decke, dann nach draussen. War ja klar. Dann übernahm ich halt den Wäschedienst. Etwas aufzuhängen ging ja schnell vor dem Frühstück. Trotzdem verblasste meine noch schwache gute Laune. Bevor ich wieder ins wärmere Haus trat, ermahnte ich mich nicht mehr alles so düster zu sehen. Träume von der perfekten Insel. Das gab mir wieder neue Energie mich diesem eigenwilligen Robazki zu stellen. Sobald er mich erblickte, dirigierte er mich zum Küchentisch. Gemüse Verarbeitung. Immer wieder zwischendurch ein paar neue Wörter auswendig lernen. Da war mein neuer Lehrmeister streng. Einmal was vergessen ein strenger Blick, zweimal ein unangenehmes Fingerschnippen in den Oberarm, beim dritten Mal kniff er mich exakt an die schmerzhaft Stelle wo vorher die schwache Warnung nachwirkte. Bei all dem musste ich aufpassen mir mit dem scharfen Messer nicht in die Finger zu schneiden. Robazki entpuppte sich als ziemlich pingelig. Die Kartoffeln mussten nicht nur perfekt geschält sein sondern auch beinahe in exakt gleich grosse Würfel zerkleinert. Nach einer gefühlten Ewigkeit dieser unerträglichen Marterstunde passierte das automatisch meine alte Marode aufschaltete. Ich schaltete ab. Mein berüchtigtes Einfrieren des Moments. Locker blieb mein Messer in der Hand und auch der Rest meines Körpers war plötzlich auf Off. Hinter meinen starren Augen, tief in meinem Inneren, kämpfte meine aufkommende Wut gegen die lähmende Stille an. Ein alter Konflikt, Vernunft gegen Irre ausflippen. Bisher bereitete es mir nie so eine Mühe tief abzuschalten. Normaler Weise trudelten meine Gedanken wie bei einem Wassersog in eine tiefe Ebene und blieben dort entspannt. Etwas war eindeutig anders. Sehr schmerzhaft anders. Höllisch brennender Schmerz zwischen meinen Fingern liess mich auf on schnellen. Nein, keine Unachtsamkeit mit dem Messer. Stattdessen brannte da ein dünnes Stück, wie ein Streichholz, zwischen Mittel- Ringfinger. Geschockt blinzelte ich. Kreischte auf und schleuderte den glühenden Spann weit über den Tisch hinaus. Kalt bliess ich meinen Atem über die mit Blasen gerötete Stelle. Erst Robazi kichern liess mich aufblicken. Das hier war eine ordentlich geführte Irrenanstalt. Hier herrschten andere brutale Gesetze. Dieser Mistkerl hatte in Sekunden geschafft mich aus der Starre zu reissen. Und es machte ihm grossen Spass. Er tippte unerbittlich aufs Wörterheft und verlangte drei lange Sätze zu wissen, so als sei vor wenigen Sekunden gar nichts schlimmes passiert. Mein langsamer Verstand brauchte schon länger um das zu verdauen. Ihn nachahmend blieb ich entsprechend gelassen. Ruhig stand ich von Tisch auf um draussen ein bisschen Luft zu schnappen. Ich kam bis zu den übergrossen Schuhen. Sobald ich meine kalten Zehen in die Hauspantoffeln steckte, zuckte ich zusammen. Da war etwas matschiges drin. Als ich den Fuss zurückzog, schockierte mich die Blutverschmierten Zehen. Einzig das Fehlen des Schmerzen irritierte mich. Während ich mich zittrig nach unten Bückte um den Schaden zu begutachten, schnaubte Robazki. Er grinste sogar breit, während ich äusserst besorgt meine Zehen nach Verletzungen abtastete. Das Wort das er von sich gab, existierte noch nicht in meinem Vokabular. Zögerlich probierte ich mit der Zungenspitze einen meiner Blutverschmierten Finger. Konfitüre! Rote, süsse Marmelade. Meine grossen Augen sahen zu dem verschmitzten Robazki hoch. „Ein Streich“, murmelte ich erleichtert. Er hatte vorausgesehen, dass ich seine Schuhe wieder benutzen würde und hatte mir eine Falle gestellt!
An diesem extrem anstrengenden Tag erledigte ich noch einige unangenehme Aufgaben, wie Boden schruppen, den Schafstall ausmisten oder die Ritzen der Hausmauer mit matschigem Lehm abdichten. Es gab vor Robazkis Schikanen kein Entkommen. Immerhin musste ich nicht seine Füsse massieren oder sonst etwas anderes bei ihm. Dafür überliess er mir quasi den gesamten Hausputz alleine. Ich tobte innerlich. Wusste aber, das jeder Ausbruch, ob fürchterliches Schimpfe oder pure Gewalt gegen einen standhaften Brocken wie ihn, vergebliche Mühe war. Lieber schonte ich meine Energie. Schwitzte nach Stunden wie bei einem Dauerlauft und nahm die Strafaufgaben hin. Im Laufe des Tages wurde Robazki selber ruhiger und wirkte nachdenklicher. Er schien mich wie bei einer Prüfung zu beobachten. Am frühen Abend schon liess er mich ganz in Ruhe. Entspannt zwirbelte ich weiter an der Schafswolle herum und genoss meine wahrhaftig verdiente Pause.
Am nächsten Morgen nahm ich eines der Küchentücher über meine Schultern um ein bisschen Wärmer zu haben und eilte barfuss nach draussen aufs Klo. Nach dem Händewaschen am eiskalten Wasser hatte ich keine Lust ins Haus hinein zu stressen. Noch so vollgestopfter Tag wie gestern glaubte ich nicht zu überleben. Ich sah mich um und setzte mich auf eines der Holzstücke vor dem Spaltplatz. Nachdenklich starrte in die wabbeligen Nebelfetzen hinaus. Jetzt wunderte ich mich über meine Geduld die ich gestern aufbrachte. Wie gerne hätte ich zwischendurch wie eine echte Irre meinen Frust laut hinausgeschrien. Meine Vernunft und die Klarheit genau so einen Ausbruch zu verhindern um diesem Riesen keine Genugtun zu geben, erstaunte mich.
Ein vorwarnendes Räuspern ließ mich ohne Eile umsehen. Mit der zerzausten Decke über seinen breiten Schultern setzte sich Robazki neben mich auf den zentralen Spaltblock. Zusammen blickten wir zu dem verschleierten Ausgang hinüber. Durch den morgendlichen Start klang seine leise Stimme tief und rau. „Du wirst nicht mehr lange hier bleiben.“ Über diese Feststellung sah ich fragend zu ihm. Sein Blick blieb auf dem Ausgang geheftet. „Der Sommer wechselt gerade in den Herbst hinüber. Die meisten Felder sind frisch abgeerntet und jetzt beginnt die Zeit des Sammelns von Beeren und Baumnüssen. Auch für mich wird es höchste Zeit nach dem letzten Wintergemüse aus den abgeernteten Feldern zu suchen. Es gibt immer ein paar kleine schmackhafte Rüben oder Kartoffeln aus dem tieferen Erdreich auszugraben. Es war ein ziemlich trockener Sommer und ich erwarte einen geringen Wintervorrat in den umliegenden Dörfern. Wenn du zu lange bleibst, könnte ich am Ende in Versuchung geraten, dich nicht gehen zu lassen. Das wäre fatal wenn die bittere Jahreszeit an den Reserven des Körpers zerrt. Daher quält mich gerade die Frage; Was mache ich mit dir?“
Ich folgte seinem schweren Blick zu der scharfen Axt hinüber. Mir rutschte empört aus der trockenen Kehle. „Echt jetzt?“
Seine blauen Augen sahen ein wenig traurig in meine zunehmende Verärgerung. Meine funkelnden Augen ließen ihn zaghaft lächeln. „Safina, ein Teil von mir hat dich gerne.“ Okay, das freute mich zu hören. Das war immerhin ein verwendbarer Anfang für Verhandlungen. Ich schluckte grimmig. „Natürlich mag ich dich auch. Trotz deiner kranken Kleidervorschrift die du verlangst. Wiederum nicht so sehr, dass ich je was von dir im Bett möchte. Außer deinen warmen Füssen.“ Dies war eventuell keine so kluge Aussage für eine positive Entwicklung meiner weiteren Reisekariere. Aber nach all den vielen Jahren der Täuschungen hatte ich es satt anderen was vorzuspielen. Da hier war nicht die mit Medikamenten verseuchte Klinik wo ein Missachten der Spielregeln mit Tabletten bestraft wurde. Sein Lächeln vertiefte sich in seinen Gesichtszügen wodurch er um einige Jahre jünger aussah. Wie alt war er eigentlich? „Wie alt bist du?“
Sofort kam die Antwort. „Hundertfünfundzwanzig“ Während ich ihn staunend anglotze sah er mich amüsiert an. „So so, meine Füße dürfen also bleiben?“ „Deine Füße, deine Oberschenkel auch. Deine Arme klammern nachts zu fest, dein Oberkörper strahlt zu viel Hitze ab und droht mich zu zerquetschen.“
Er lachte einmal kurz auf. „Du bist so erfrischen ehrlich. Nach all dem Verrat und den gemeinen Attacken die ich bisher erlebt habe, bist du die beste Erfahrung seit ich in dieses Land betreten habe.“
Hoffnungsvoll sagte ich. „Du lässt mich also am Leben?“ Wieder ein kurzes Lächeln, ein ziemlich bitteres. „Das bedeutet jede Menge Schwierigkeiten für mich und den kommenden Winter der viele Herausforderungen mitbringt. Ich bin nicht als sehr geduldiger Mann bekannt.“ Mist, er hatte wohl seit langem einen Gewissenskonflikt mit sich selber. Sein Vorschlag daher, „Kurz und schmerzlos.“
„Moment“, protestierte ich. „Bedenke zu magst mich! Was wenn du mich nicht vergessen kannst und deine Tat bis zum Ende deines Lebens bereust? Ich meine, du hast ein bemerkenswertes langes Leben zu Verfügung, während ich glücklich sein kann, im Gesunden Zustand knapp die Hundert Jährchen zu erreichen. Außerdem darfst du eines nicht unterschätzen, du lebst hier oben ganz allein. Bedenke, wie schnell da eine Depression entsteht, die dich noch in tiefere Verzweiflung stürzt.“ Seine Verwirrung ließ mich innehalten. Das Wort Depression hatte er so wie einige andere Wörter vermutlich nicht verstanden. Blöde Kommunikation. Also vereinfachte ich. „Du wirst traurig sein. Schlecht für die Gesundheit. Also musst du mich leben lassen und ich verspreche bei meinem Leben“, die rechte Hand über meine Herzstelle legend. „Ich schweige.“ Demonstrativ versiegelten meine Finger meine Lippen.
Sein Schnauben verriet seine ungläubige Skepsis. „Safina, vorher vertraue ich dem ewigen Schweigen eines Grabes“. Das würde schwierig werden. Gegen ihn hatte ich in einem Kampf Null Chancen. Also wie sollte ich vorgehe. Auf einmal riss ich meine Augen auf. „Wow, ich will leben, wieso eigentlich?“ Die plötzliche Wendung mit der ich verbissen so für das Leben stand, überraschte mich. Lag es an der verlockenden Belohnung wegen dieser Insel? Nein, garantiert nicht. Furchtlos legte ich mein Bein auf die andere Seite, so dass ich Robazki direkt gegenüber saß. „Du“, klagte ich ihn beinahe an. „Du hast mich am Leben gelassen. Jetzt Danke ich dir dafür von ganzem Herzen. Und ich bitte dich, jetzt nicht zu zweifeln, weil du etwas Gutes getan hast. Du hast ein Herz. Verschließe das nicht wieder. Ich möchte noch so viel von diesem Land entdecken. So viel…“ Meine Arme streckten sich zur Verdeutlichung aus. „Bitte, gib mir diese Chance?“ Er lachte wieder kurz trocken. Seine Hände klatschten sogar Beifall für meine Darbietung. Er nahm mich einfach nicht ernst. Eine buschige Augenbraue hob sich als er mich aufmerksam beobachte. Nur Dank der Erfahrung in der Klinik erkannte ich das lauernde, das Misstrauen in seiner versteiften Haltung heraus. Mein Überlebenskampf diente ihm wohl zu Unterhaltung und er erwartete gerade einen ziemlich üblen Vulkanausbruch eines aufgebrachten Zwerges zu sehen. Auf den sprühenden Wortreichen Ausbruch konnte er genauso wie gestern ewig warten. Stattdessen stand ich schweigend auf und trat aufrecht vor ihn hin. Obwohl er saß, musste ich immer noch zu ihm hochschauen. Innerlich schrie meine Vernunft gegen diesen unlogische Handlung an. Mein stilles Bauchgefühl dagegen sagte mir, dass Robazki auch unter einer sehr einsamen Seite litt. Ich musste verrückt sein als ich so nahe zwischen seinen Beinen stand, so dass wir uns beinahe berührten. Ein entscheidender Moment. Meine durchdrehenden Gedanken kreischten, gib ihm einen Tritt in sein ungeschütztes Gemächt und renn. Mein untrainierter Körper schaffte einfach noch keine anstrengende Herausforderungen oder extreme Überlebensparcoure. Außerdem zeigte Robazki äußerste Wachsamkeit und Misstrauen. Jede schnelle Bewegung hätte er sofort gekontert. Seine Stimme klang rau, „Was willst du?“ Klar deuteten seine Worte darauf hin, wie sehr ihm meine Nähe missfiel und nicht etwa sein Interesse an meinen Zukunftswünschen. Manchmal handelte man im Irrenhaus einfach frei spontan und ziemlich unlogisch. Meine Intuition winkte ihn näher zu mir heran. Sein fehlendes Vertrauen lies ihn ziemlich zögerlich handeln. Vermutlich siegte seine Neugierde darüber, was der hinterlistige Zwerg vorhatte. Klar erwartete er einen getarnten Angriff. Lebhaft blitzten seine Augen nach meinen Händen als ich einen letzten Schritt vortrat und ihm ganz natürlich um den Hals fiel, umarmend. Er erstarrte wie eine schwere Statue aus Stein. Ich klopfte ihm auf den Rücken. „Entspanne dich, Bruder.“ Er stotterte beinahe, „Du bist keine meiner Schwestern.“ Ich nickte, „Ja, die schlafen wohl kaum in deinem Bett.“
Merkwürdigerweise dauerte es fast eine halbe Minute ehe er mich zögerlich an den Schultern fasste und mich wegdrückte. Jetzt nahm es mich wunder. „Was ist los?“ „Du bist verrückt. Einfach nur dumm oder bei dir sind ein paar Hirnzellen beim überqueren der Eingangsgrenze durchgeschmort.“ Eine seiner Hand ruhte schwer auf meiner Schulter damit der Abstand blieb. Wahrheitsgetreu nickte ich. „Verrückt ist zutreffend. Ich bin nur darum hier, weil ich verrückt genug war die graue Zone zu überqueren. Verrückt genug die Magiebarriere in der Schlucht zu überwinden. Verrückt genug um das Unmögliche einfach zu bitten, mich am Leben zu lassen, weil ich immer noch leben und dies ein Zeichen sein könnte, das es eine Chance gibt mein Leben weiter zu führen. Bis jetzt hab ich noch nichts Zustande gebracht, worauf jemand Stolz auf mich sein könnte. Für mich fühlt es sich falsch an, jetzt schon zu gehen. Daher..“ ich legte meine rechte Hand über meine Herzstelle, sah ihm tief in die azurblauen Augen und sagte in meiner Sprache, weil mir einfach die Übersetzung fehlte. „Bei meiner Ehre, werde ich kein Wort über dich irgendjemanden verraten.“
Zu meinem Erstaunen nickte er und sprach selber einen unverständlichen Dialekt. Kurzsilbige, holprige Worte in seiner wohl heimischen Sprache. Er senkte den Kopf, dass sich kurz unsere Stirn berührte und richtete sich wieder zu seiner stolzen Größe auf. Als er auf mich niedersah lag eine eindrückliche Intensivität in seinen Augen die unvergesslich sich in meine Erinnerungen einbrannte. „Meine Rache wird grenzenlos sein, wenn du jemanden von mir je erzählst.“ Rasch legte ich meine kalten Hände in seine warmen von der vielen Arbeit schwieligen Pranken nieder. „Robazki, auch ich möchte gerne wieder Vertrauen lernen.“ Leider verstand er das Wort Vertrauen nicht so Recht. Stattdessen murmelte er ein neues Wort. Fragend wiederhole ich es als seine Hand mich äußerst behutsam, ohne zu quetschen aber mit einer gewissen Entschlossenheit umschloss wie nach dem Abschluss eines schwer verhandelten Vertrages. Befreit lächelte ich ihn an und ahmte sein Wort überzeugt nach. Rasch verbesserte er die Betonung und schmunzelte selber befreit übers ganze Gesicht. Diesmal zog er mich in eine feste Umarmung, bis ich leise protestierte. Als er einen verlegenen Schritt zurücktrat und seine verrutschtes Hemd richtete, verstärkte bei mir den Eindruck, dass dieser Mann selten jemand umarmte oder auch selten aufrechte Freundschaft außerhalb seiner Familie je erfahren durfte. „Robazki, du bist ein guter Mann. Auch ein bisschen verrückt, aber ein guter Mann.“ Auch in diesem abgelegen Land verstand man die Geste einen Daumen hoch recht schnell. Ich glaube er sah das zum ersten Mal, lächelte aber darüber amüsiert. Winkte dann mit seiner Hand als müsste er ein lästiges Insekt vertreiben. „Blödsinn. Sagen wir einfach ein besser Mann als vorher, bevor ich dich kennengelernt habe.“
Also vollführte ich eine Geste, als ob ich was trinke und forderte ihn auf mir in die warme Stube zu folgen. Zuerst streckte, dehnte er seine mächtigen Glieder bis zur Schmerzgrenze aus, dann nahm er seine scharfe Axt in die mit Hornhaut verstärkten Hände. „Letzte Worte?“ Mein Kopf zuckte verblüfft nach hinten, während mein Körper einfach stehen blieb. Kurz dachte ich über irgendwelche Weisheiten nach die nützlich sein könnten. Aufgebend schüttelte ich bloß den Kopf. Mit einem Geistesblitz hob ich rasch den Finger. „Doch. Wir sehen uns im nächsten Leben bestimmt wieder.“ „Hä“, überrascht strich er sich über noch unrasiertes Kinn. „Nichts Gescheites? Willst du nicht kämpfen?“
Entschlossen verharrte ich auf meiner Stellte. „Nö, wieso? Du bist stärker. Den Gefallen dich zu unterhalten um es spannender zu machen…“ Kopfschüttelnd sah ich zu ihm hoch. Mein so untypisches Verhalten gab ihm zu denken. „Würdest du jetzt echt aufgeben?“ Während er das fragte, schnitt er dünne Scheiben von einem Holzscheit ab. Lange geringelte Späne mit denen man gut anfeuerte. Mein Körper rebellierte wieder mal, doch ich zwang ihn zu gehorchen und trat sogar eine Schritt näher. „Hast du gerne einen Schädel der brummt? Weist du, ich denke ich kann in der Not auch so ein Kilo schweres Scheit dir an den Kopf schmeißen. Rob, wenn wir uns vor einer Woche getroffen hätten, wäre mir dein Angebot äußerst willkommen gewesen. Ich hätte sogar darauf bestanden. Erst in den letzten Tagen hat sich alles verändert. Vorher habe ich mich auf den Tod vorbereitet. Von daher erschreckt mich eine Drohung nicht so sehr, da ich mit meinem Leben abgeschlossen hab. Erst als das Angebot wenigstens die graue Zone zu erforschen kam, hat mich wach gerüttelt. Du hast wieder Neugierde in mir erweckt. Ich möchte wirklich mehr sehen von dieser Seite der Welt. Vor allem die riesige Pferde , von denen du mir erzählt hast. Lass mich die neue Welt erkunden und wenn ich sie als schlecht finde, wie den Ort den ich verlassen hab, dann komme ich ohne Zwang zu dir zurück.“
Als er wuchtvoll mit der Axt ausholte um sie tief im Spaltblock zu versenken, zuckte ich nicht mal zusammen. „Aye, meine Kleine. Deine so ausdrucksvollen Augen bezeugen die Wahrheit. Jemand wie dich hab ich in meinem ganzen Leben nicht getroffen. Ich hoffe das bleibt so, denn ich mag dich. Ich mag dich viel mehr als meine verwöhnten Schwestern, denen ein Rüschenrock mehr wert war als eine blutende Hand die um Hilfe bittet. Du trägst sogar meine einfachen Hemden. Vielleicht wollte ich dich ein wenig Leiden lassen, weil sie immer so gemein zu mir waren. Aber du bist nicht ein klein wenig so. Also, wirst du leben. Allerding, musst du besser vorbereitet sein.“ Nachdem er sich eine schwere Ladung Scheiter auf dem Arm stapelte, sah er mich zum ersten Mal Schuldbewusst an. Seine Lippen zusammen gepresst zu bitteren Linie. Er tat sich schwer mit Entschuldigen. Nun, ich verzieh ihm das, schließlich hatte ich selber Probleme damit. Jetzt verstand ich sein merkwürdiges Verhalten auch am Vortag. Auch das Verzieh ich ihm. SChliesslich hatte ich selber eine gute Lektion gelernt. Als Robazki dem schweren Holz zur Türe schritt, trat ich rasch vor und hielt ihm helfend die Türe auf. Wow, auch ich begann mich zu verändern. Vorher hätte ich nie jemand einfach so einen Gefallen, außer meinen Eltern, getan.
Noch im Türrahmen blickte ich zurück zu der parkierten Axt. Robazki hätte mich leicht vergiften oder schlicht mit einer Hand erwürgen können. „Warum mit der Axt?“
„Schnell und sauber. Ich mag keine blutige, verstreute Sauerei. So ist es wie bei einem großen Hühnchen.“ Sein Zeigefinger fuhr waagerecht über seinen Hals. Angewidert wies ich darauf hin. „Ich schmecke zäh!“ Seine ehrliche Antwort schockierte mich. „Nein, du bist jung. Leute ab fünfzig oder junge, kräftige Bauerburschen sind wegen ihrer Muskelmasse ziemlich zäh. Du garantiert nicht.“ Okay, wieder gefährliches Terrain. Wie entschärfte man so ein explosieves Minenfeld? Ich deutete auf meine vergipsten Handgelenke. „Eines solltest du nicht vergessen. Die starke Medizin in meinem Blut könnte dir eventuell ziemlich schaden. Bis vor einer Woche habe ich regelmäßig Medizin geschluckt. Darum habe ich bis heute als Nebenwirkung die heftigen Kopfschmerzen.“
Nachdenklich blies er ins entfachte Kaminfeuer, ehe er zugab. „Ja, das könnte einen bitteren Beigeschmack auslösen. Meine Entscheidung, dich nicht zu essen, war klug.“ Seine Entscheidung? Wer wollte ihm schon wiedersprechen? Ich sicher nicht. Bei mir zitterten heimlich immer noch die Beine. Hastig zog ich mich auf einen hohen Hocker hoch um sie zu entlasten. Eine seine Hände ballte sich zu einer Faust und hieb leicht an die steinerne Fassade des Kamins. „Ich mag dich.“ Es klang überhaupt nicht glücklich. „Ich darf nicht verweichlicht werden. Menschen sind und waren schon immer heimtückische Feinde. Sie haben ständig zu viel Angst oder zufiel ungesunden Machthunger. Glaub mir ich weiß es aus eigener Beobachtung. Schließlich liegt mein Heimatdorf nahe an der Grenze zu diesem Königreich.“ Im Raum verteilte sich ein starker Geruch von verbranntem Holz. Ich sah den tänzelnden Rauchschwaden nach, welche statt durch den Kamin in den Innenraum entwichen. Nachdenklich entfuhr es mir. „Mir ist diese Gier fremd. Ich möchte nur Reisen. Ich war zulange in einem Raum eingesperrt. Nun muss ich erst richtig aufwachen und das Leben neu entdecken.“
Er hängte den halbvollen Suppentopf über das rauchige Feuer. Robazkis Augen erschienen bei der matten Beleuchtung ziemlich dunkel, geradezu unheimlich. „Safina, du bist wie eine seltene Blume die man nur auf kargem Boden und in verborgenen Nischen findet. An anderen Orten hätte man dich längst gepflückt oder deine Saat verdorben. Das Leben da draußen wird wahrscheinlich nicht anders sein als bei dir zuhause. Schon mal daran gedacht? Wenn du also nicht klar kommst, hinterlasse eine Nachricht hier. Einmal im Jahr komme ich vorbei um den Rückzugsort ein bisschen zu pflegen. Nostalgie an der das Herz hängt.“
„Du bist nicht mehr hier?“ Jetzt nahm es mich Wunder wohin er bald umzog. Vielleicht konnten wir ein paar Tage noch zusammen reisen. Er schüttelte entschieden den Kopf. Als ihm die halblangen Haare wirr ins Gesicht flogen, griff er nach einem Kamm der in der Wand in einer Spalte steckte. Während er sich ordentlich durch kämmte verriet er. „Nein. Zulange an einem Ort zu bleiben verstärkt das Risiko entdeckt zu werden. Wenn du gehst, verlasse ich diesen Platz auch. Der Sommer ist jetzt vorbei und die Winter wären hier in den Bergen zu mörderisch. Außerdem ist das Haus dieses Jahr komplett fertig geworden. Es wäre Zeitverschwendung hier zu bleiben. Zeit für neues Projekt, in einem anderen Gebiet.“ Irgendwie wusste ich das ich nicht fragen durfte nach dem wo. Ich lass deutlich die Anzeichen seines gehüteten Geheimnisses. Unser geduldetes Zusammensein, die zerbrechliche Freundschaft, brauchte kein Misstrauen. Seltsam war nur, trotz der spärlichen Inneinrichtung wirkte das selbst gemachte Heim nicht so als würde man es nach der Fertigstellung wieder einfach so verlassen. Kleine Schnitzereien, sorgfältig aufgebaute Steine wirkten wie eine Dekoration für ein geliebtes, längerfristiges Zuhause. Bis mir der Verdacht dämmerte, dass er nur meinetwegen das alles aufgab. Weil ich sein Geheimnis kannte, seine bloße Existenz. Am liebsten hätte ich mein Geheimnis mit ihm geteilt, aber ich wusste ja noch nicht einmal, was ich war. Eine Zeitreisend, jemand der Dimension wechselte oder einfach ein Versuchskaninchen welches dank teleportation irgendwo wieder auf der Erde landet? Ich war überhaupt nicht ausgebildet für Diplomatie. Am besten ich verschwieg meine wahren Besucher Gründe. Ein klemmender Kloss steckte in meiner trockenen Kehle. Immerhin besaß ich genug Anstand um mich zu Entschuldigen. „Tut mir echt leid. Es ist trotz allem ein sicheres Zuhause für dich gewesen.“ „Ja, aber ich bin nicht verwöhnt. Man muss stark sein und in Bewegung bleiben. Du hast mich nur Erinnert, dass es wieder Zeit wird weiter zu reisen. Nein,“ fügte er scharf hinzu. „Nicht gemeinsam. Getrennte Wege. Deine Bestimmung liegt wie meine irgendwo da draußen.“ Er hatte ja keine Ahnung wie genau das stimmte. An diesem Morgen hatte ich meine Mission komplett vergessen. Eine verzeihliche Tatsache wenn man meine angeschlagene Gesundheit bedachte. Vor allem Robazki verdankte ich meinen verbesserten Start. Ohne seine heilende Medizin wären die letzen vierundzwanzig Stunden die reinste Höllenqual für mein Gehirn gewesen. Okay, da war zwar noch die Kleinigkeit, dass er mich gerne mit einem leckeren Snack verwechselte. Aber bei meiner Herkunft verstand ich seinen Ausbruch, seinen Ausrutscher, aus dem sozialen Bereich. Ihn davon zu überzeugen, keine Menschen zu essen, lag mir fern. Damit musste er alleine klar kommen. Solange er nicht gewissenlos jeden Menschen abschlachtete der ihm über die Füße lief, konnte ich ihm verzeihen. Allerdings empfand ich mich auch nicht so sehr als störenden Notfall. Wieder einmal plapperte ich gedankenlos vor mich hin. „Wolltest du mich wirklich essen?“ Er seufzte. Für meinen Geschmack hätte es durchaus schwerer klingen dürfen.
„Meine Kleine, Macht der Gewohnheit. Vertrauen schenke ich nur wenigen Personen. Vor allem nicht kleinen Zwergenmenschen. Du bist Ausnahme, seltene Ausnahme.“ Er benutzte noch ein paar verstärkende Worte, vermutlich wie Einzigartig, die mein begrenzter Wortschatz noch nicht verstand.
„Danke“ „Lass uns nach vorn blicken.“ Nach dem späten Frühstück übte wir weitere Worte oder Schriftzeichen die dem des ABC ähnelten aber zehn weitere Zeichen mitführten. Nach einer Stunde intensiver Konzentration war mein untrainiertes Gehirn völlig überfordert. Was Robazkis Blick lange faszinierte war meine Armbanduhr. Bis jetzt hatte ich ihr kaum Beachtung geschenkt. Sie war wie der Gips einfach nur zusätzliches Gewicht an meinem Handgelenk. Als er zum Vergleich ein einfacheres Modell aus seiner hölzernen Werkzeugkiste hervorkramte, beschloss ich spontan meine gegen seine schlichtere Uhr umzutauschen. Die neue Alte unterteilte nur zweimal den Morgen, Mittag, Abend und wann die Nachtzeit begann. Robazki erklärte mir, bei den kurzen Strichen seien die wichtigsten Mahlzeiten markiert und die meisten Geschäfte oder Trefftermine seinen entweder kurz davor oder danach so üblich. Höchst zufrieden hielt ich meine neue Errungenschaft hoch und schenkte Robazki ein seltenes seliges Lächeln. Er beobachtete mich eine Weile sprachlos, ehe er antwortete. „Solltest du wieder hier hoch kommen und ich finde einen Hinweis wo ich dich finde, lade ich dich ein, einmal meine Familie zu besuchen. Dann zeige ich dir Zenzken oder zumindest seine Nachkommen.“
Begeistert strahlte ich ihn an. „Bin dabei. Nehme ich gerne an. Es wäre mir eine Ehre. Aber das ist jetzt keine Einladung, damit ich bei deiner Familie AUF dem Esstisch lande?“
Beinahe verschluckte er sich selber an seinem Tee. Hustend stellte er hastig seine Schale ab. „Nein, auf keinen Fall. Sei unbesorgt. Wir essen in unserem Königreich keine Zwerge. Die meisten sind nur Esser was auf den Feldern wächst oder auf den Bäumen reift. Fleisch zu essen wird sogar von den meisten abgelehnt und als schlechte Erziehung angesehen. Aber hier im alten Königreich Dromiruskas gelten völlig andere Sitten. Hier ist es einfach Geschäfte aufzubauen, da es keine strengen Gesetzesregelungen auf dem Lande gibt. Die wenigen Berufsgilden die es gibt, deren Kontrollen reichen allerhöchstens bis in die kleinen Städte hinein. Im Gegensatz zu unserem Land lebt man hier bäuerlich, steinzeitlich trifft es noch genauer. Die unruhige Bevölkerung ist ständigen Veränderungen ausgesetzt und von daher ziemlich gereizt. Die Behörden arbeiten langsam, schlampig und sind bestechlich. Hier muss ich keine Angst haben zu leben, solange sich keine Übermacht ansammelt. Ein Notruf aus einem der umliegenden Dörfer würde in der altwürdigen Drachenstadt völlig ignoriert. Im besten Fall schriftlich notiert und zu den Akten gelegt, bis sich mindestens fünf weitere Beschwerden anhäuften oder ein reicher Grundstückbesitzer, dank einer erkauften Audienz, beim König sich Gehör beschafft. Von daher liebe ich dieses Land. Ideal um ungestört zu leben.“ Oh, das klang ja sehr auch zu meinem Vorteil. Perfekt für meine Mission. Gerade als ich schön entspannt vor mich hin lächelte, flüsterte er leise. „Aber Vorsicht vor den hellsichtigen Melfen.“ „Was!“ „Du bist echt nicht von hier.“ Demnach hatte er bis jetzt immer noch gezweifelt. Langsam dämmerte ihm meine außergewöhnliche Situation. Hilfreich erklärte er. „Melfen sind eine verbesserte Rasse von Menschen. Stehen in Hochrangigen Diensten des Königs. Was für einen reinblütigen Elfen wiederum eine Schande wäre. Die tolerieren nämlich keine materialistischen Ansichten. Aber wegen den Melfen habe ich einen starken Schutzschild in der engen Gasse und über mein Tal gelegt. Die schnüffeln hier nicht rum. Meine altbewährten Tricks sind aus meinem Land. Beste Qualität. Solange du keinen Melfen Soldaten verärgerst, oder auf deren Fokusliste landest, bist du in diesem Königreich absolut auf der Sonnenseite. Und absolut wichtig ist, bringe nie eine Melfen um.“ Ausgerechnet jetzt machte er eine Kunstpause. Man spürte förmlich, dass bei dem heiklen Punkt ein wichtiges Detail fehlte. Ungeduldig hakte ich nach. „Warum?“ Er beugte sich vor. Sein warmer Atem roch nach frischem Pfefferminztee, als er flüsterte: „Ein schrecklicher Melfenfluch bestraft den Übeltäter gleich mit unheilbarem Wahnsinn. Ist so ein furchtbares Energieding, welches das gewöhnliche Menschengehirn.“ Er formte mit den Händen eine Explosionswelle die sich vom Kopf her ausweitete, mit dem passenden Geräusch dazu. Skeptisch äugte ich zu ihm hoch. „Schon einen gegessen?“
Er lachte glucksend. „Es gibt Grenzen, die selbst ich nicht zu überschreiten wage. In alten Aufzeichnungen von den letzten Schlachten ist diese Warnung klar für nachfolgende Streitigkeiten, zukünftiger Generationen, schriftlichen festgehalten. Melfen und vor allem Elfen sollte man tunlichst aus dem Weg gehen. Letzteres besitzt einen gesunden Verstand mit einem guten Gerechtigkeitssinn. Benimm dich ehrlich und freundlich und sie sind die umgänglichsten Personen. Nein, mit denen hatte ich noch nie Probleme. Im Gegenteil. Ich wünschte es gäbe mehr von Ihnen und weniger von den dummen Zwergen.“
Wow. Wir, also ich war einer von den niedrigen Zwergen. Nun, irgendwie schaffte ich es nicht zu wiedersprechen. Wenn man an die Gier nach Edelsteinen, vor allem bei der Ausbeutung, der Suche nach Diamanten und andere wertvolle Rohstoffe nachdachte. Dem fleißigen Konsum von alkoholischen Getränken oder überzuckerten Limonaden, schädlichem Rauchen oder die Verdummung der Masse alleine durch das Fernsehen ansah, traf es auch auf den Punkt. Für materielle Luxusgüter, Drogen, sogar für saubere Wasserquellen fand man Korruption, Täuschung und Verdrehung des Rechtssystems auf allen Kontinenten vor. Alleine was an der Börse für Fakeware gehandelt wurden, bestätigte den Wahnsinn eines verblödeten Systems. Zustimmend prostete ich mit meiner Tasse Robazki zu. „Du hast Recht. Es trifft auf eine riesige Masse von Zwergen zu. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen die anders handeln. Über Melfen kann ich leider noch nicht mitreden. Aber ich freue mich welche zu treffen.“ „Nein!“ „Nein?“
„Suchst du ehrliche Arbeit?“ Robazki besaß auch eine wache Intelligenz. Zweifeln murmelte ich. „Das dürfte schwierig werden, da ich kaum was kann. Ich war ja lange untätig eingesperrt. Die Schulbildung dürfte hier eine vollkommen andere sein.“ Er nickte bedächtig und riet; „Dann gehst du besser den Melfen und den Bewahrern aus dem Weg. Lass sie auf deinen Reisen einfach gleichgültig vorbei ziehen. Suche nie den Rat bei einem von ihnen. Manche verstehen es einen tiefen Blick in deine Seele zu werfen.“
Verstehend hörte ich ihm zu. Manche neuen Wörter vergaß ich nachzufragen. Vieles notierte ich mir um es später noch einmal durchzugehen. Robazkis Hände wuschelten über meine fuchsbraunen Haare. „Du bist ein guter Zwerg.“ Hastig sah ich auf den Inhalt meiner Teetasse hinunter. Unterbrach schuldbewusst den Augenkontakt. Von wegen. Ich war ein gemeiner heimlicher Spion. Dieser Gedanke tat mir zum ersten Mal weh im Herzen. Ein gieriger Zwerg der nach Gold suchte und dafür eine Insel erhielt. Würde ich das Robazki erzählen, wäre ich echt in der nächsten Minute qualvoll an einem Fleischerhaken aufgehängt. Mir wurde jetzt erst richtig bewusst, dass ich eventuell Leute täuschen, enttäuschen musste um mein Ziel zu erreichen. War ich stark genug für das? Als ich wieder in die himmelblauen Augen hochsah, gab es mir erneut einen schmerzhaften Stich. Zwang mich an etwas anderes zu denken als an meine Schuld. Dieses Königreich Dromiruskas, fand man das auf einer Weltkarte? Hatte ich in Geographie was verpasst? Da gab es doch so ein kleines Königreich gleich neben der Schweiz oder lag Dromiruskas etwa im asiatischen Raum. Meine miese Bildung war ja so lächerlich. Dumme Zwerge. Ja, so treffend fühlte ich mich im Moment auch. Da nützte es herzlich wenig als Robazki mich aufmunternd ansah und nach draußen zeigte, wo die ersten Sonnenstrahlen den Dunst aufrissen. Ein warmer Sonnenstrahl der jedoch nicht vermochte mein schweres Herz aufzuhellen.
Am Mittag schmerzten meine Finger von dem Zwirbeln der Wolle. Dank einem dünnen Häkelstäbchen aus Holz, ich hatte mir das von Robazki bestellt, fing ich emsig an Reihe um Reihe mit doppelten Stäbchen zu füllen. Interessiert beobachtete Robazki genau meine Fingerakrobatik die Schlingen miteinander verband. Plötzlich fing er neben mir, mit einem vergrößerten Holzstäbchen, mich nachzuahmen. Zu meiner Überraschung stellte er sich sehr geschickt an. Da beschloss ich ihm zu demonstrieren, wie ein einfacher Teppich geknüpft oder mit einem Weberkamm gewoben werden konnte. Etwas was schon eher seine Fingerfertigkeiten ansprach als das Luftmaschen Prinzip. Am Nachmittag erwärmte sich das Tal dermaßen, dass mich Robazki bat ihn zu begleiten. Hinter seinem Haus gab es ein paar große Steine an denen man, er zumindest, leicht hochklettern konnte. Ich kletterte ziemlich mühsam hoch, während er sich lässig hochschwang. Trotz seinen Muskeln wirkte er alles andere als plump. Abwägend gut einschätzend und als er einmal vorschlug. „Ich kann dich da hochwerfen.“ Lehnte ich dankend ab. Nach ein paar kräftezehrenden Minuten, erreichte ich den schwachen Punkt, wo ich mich vor ihn hinstellte und schnaufend keuchte. „Bitte nur etwas hochheben.“ Er nutzte das natürlich schamlos aus um mit der Hand meinen Hintern hochzuschieben. Jetzt auf einmal überschritt er eine seiner bisherigen Grenzen. Trotz der Unterwäsche, fühlte ich, wegen der Peinlichkeit, Hitze in meinen Wangen aufstiegen. Aber wenn das Herz, wohlbemerkt vor Anstrengung, bis zum zerreißen Hämmerte und die Beine vor Erschöpfung zitterten, dann war ich über seine helfende Hand ziemlich erleichtert. Manchmal versuchte ich ihn mit einem finsteren Blick zu bestrafen, doch er lächelte ohne die geringste Reue zurück. „Komm schon Safina. Gönn mir den kurzen Spass. Du bist ja nicht mehr lange bei mir.“ Er wirkte so Glücklich, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihm diese Freude zu nehmen. Der dumme Zwerg sah dies als eine Art Entschädigung, weil er seine Geheimnisse lieber für sich behielt.
Das Mittagsziel war ein platschender Bach, dessen unruhig fließendes Wasser in der verengenden Schlucht von weitem zu hörten war. Bald darauf kühlte ich meine schmerzenden Fußgelenke in dem eiskalten Schneewasser. Auch hier hatte Robazki den Bach zu einem kleinen Staudamm umgestaltet. Nein, die Umwelt wurde nicht gefährdet, da der kleine See kaum zwei Badewannen für seine Riesengröße maß. Am Rand reichte mir das eisige Schmelzwasser bis zu den Knien. Nach ein paar Schritten würde ich darin bis zum Hals eintauchen. Doch dazu hatte ich bei der abschreckender Seetemperatur absolut keine Lust. Außerdem sah ich einige silbrige Schuppen aufblitzen, als mein dunkler Schatten scheue Wasserbewohner aufscheuchte. Ein kräftiger Lachs konnte spielend die ein Meter hohe überspülte Steinmauer überspringen. Dank fleißiger Bearbeitung tummelten sich eine Menge Fische in dem künstlichen Becken herum. Ich verstand ihre helle Aufregung als Robazki aus seinem geschnürten Stoffbündel eine faustgroßes pralle Tasche hervorzog. Er schüttete einen Teil des Inhalts in seine Hand und streute es großzügig über der Wasseroberfläche aus. An die hundert hungrige Mäuler flitzten nach oben um etwas von dem weißen Zeug zu schnappen. Neugierig trat ich näher zu Robazki. Als er mir die Handfläche hinhielt, mit den zappelnden Maden, zuckte ich angewidert mit einem gewaltigen Sprung aus seiner Reichweite. Quietschend stellte ich mich auf die andere Seite des Beckenrandes. Oh mein… ich wollte nie mehr meine Füße in das verseuche Wasser tunken. Um mich zu beruhigen setzte ich mich etwas abseits auf die von der Sonne aufgewärmten Steine, doch Robazki winkte mich lachend zu sich. „Ne, das kannst du vergessen.“ Winkte ich ab. Energisch klopfte er auf eine schattige Stelle unter einem jungen Baum. Auch hier hatte eine kleine schützende Mauer um das Wurzelwerk des kaum drei Meter hohen Schattenspenders gebaut. Sollte der Bach einmal mit Hochwasser aufquellen, war der Baum in Sicherheit. Sonnenstrahlen wärmen das nach innen schiefe Mäuerchen. Wenn man sich jedoch oben hinsetzte saß man komplett im schattigen Bereich. Energisch deutete Robazki neben sich. „Safina, komm schon her. Ich hab alle Würmer verfüttert. Hier bei dieser verputzten Mauer ist es sicherer. Es gibt in diesem Tal eine Menge kleiner giftige Bergschlangen die sich gerne in Ritzen oder unter Steinvorsprüngen verstecken. Sind kleine aggressive Biester, die hier oben kaum natürliche Feinde haben.“
Okay, schlimmer als eklige harmlose Würmer waren eindeutig giftige mit Zähnen bewaffnete Würmer. Trotz meiner Müdigkeit, sprang ich hastig hinüber zu Robazki. Zischte warnend. „Fass mich ja nicht mit diesen Händen an. Ich hab genau gesehen, dass du sie nach der Fütterung nicht gewaschen hast.“ Ein Mundwinkel verzog sich amüsiert nach oben und in seinen Augen blitzte der Humor auf. Verschwörerisch flüsterte er, „Es kommt noch viel schlimmeres auf dich zu.“
Die Anstrengung auf dem Weg nach hier oben hinterließ eine bleierne Müdigkeit in all meinen Gliedern. Unachtsam lies ich mich einfach auf den gepanzerten Boden plumpsen. Sofort bereute ich es. Da unterschätzte ich wohl mein massiges Eigengewicht welches auf einem harten Untergrund aufschlug. So gut war mein Hintern wieder nicht gepolstert. Als ich nach dem schmerzhaften Kontakt wieder aufstehen wollte, verlor ich wegen meinen schwinden Kräften mein Gleichgewicht. Die schwere Sitzplatte kippte trotz ihrem schweren Eigengewicht leicht und ich quetschte mir ein paar Fingerkuppen ein. Als ich sie wieder befreite, pustete ich abkühlend über die brennenden Abschürfungen. Robazki fragte zweifelnd „ Nützt das wirklich?“
Abrupt hielt ich inne. Dieses Prusten verband mich stark mit der Erinnerung an meine frühere, echte Mutter. Eine tröstende Geste, welche den Schmerz meistens auf magische Weise verschwinden ließ. Heute wirkte der heilende Zauber allerdings nicht so gut. Das lag wohl daran, weil ich ihn alleine anwenden musste. Trotzdem strahlte ich den zweifelnden Robazki mit einem warmen Lächeln an. Obwohl ich hier mit BH und Unterwäsche neben einem Riesen saß, genoss ich einfach den warmen Sommertag und fühlte mich frei. Frei von den Zwängen und Überwachung des Irrenhauses.
Er schüttelte unverständlich den Kopf über mein glückliches Grinsen. Seine Hände bastelten umständlich an einer Kleinigkeit herum. Ohne Vorwarnung pendelte plötzlich vor meiner Nase so ein panischerer Wurm auf einem aufgespiessten Hacken hin und her. Während ich erbleichte, deutete Robazki auf die umliegenden Steine. „Die sind lose, aus gutem Grund.“ Er hob eine weitere Platte an und schnappte sich einen der mehrbeinigen Käfer. Kurzum an diesem Nachmittag lernte ich auf harte unverschönerte Weise wie man Fische fing, diese entschuppte, ausnahm und über einem Feuer briet. Ganz ehrlich, es war dermaßen widerlich, dass ich selbst mit dem knusprigen Endprodukt riesige Mühe hatte, einen Bissen runterzuschlucken. Das hier waren eindeutig keine billigen, ofenfrische Fischstäbchen. Fürs heimische Protokoll sei vermerkt; seit Robazki den Vorteil meines modernen Benzinfeuerzeuges erkannte, blieben seine Feuersteine unbeachtet in seiner Tasche liegen. Feuerzeuge sind also sehr beliebt bei einem Handel.
Am späteren Nachmittag verdichtete sich der Wolkenhimmel in der unheimlichen Rekordzeit von wenigen Minuten. Ohne Kommentar reichte mir Robazki sein Hemd in die Hände. Während ich verdutzt seine kräftigen Oberkörper betrachtete, herrschte er mich ungeduldig an. „Rasch.“ Begriffsstutzig schlüpfte ich unbeholfen in das zu weite Hemd. Wie bei einem Kleinkind half er mir nach. Wegen der breiten Kragenöffnung ruschte es mir immer wieder über eine der schmalen Schultern. Verärgert stiess Robazki einen knurrenden Laut aus. Also zog ich es extra tiefer unter meine Arme und nutzte die weiten Ärmel wie als Träger. Not macht erfinderisch. Anerkennend nickte mein Begleiter. „Los jetzt“, mahnte er unnötig. Das ferne Grollen der verdunkelnden Gewitterwolken war genug Ansporn für mich. Mit seinen langen Beinen war Robazki klar im Vorteil. Ich musste mich immer wo abstützen oder festhalten. Jetzt war ich sehr dankbar für den Schutz von dem Hemd, denn es verhinderte manche böse Abschürfungen von den kantigen Felsbrocken. Erst wenn der ansteigende Fluss sie weiter ins Tal hinunter mitschleppte verloren sie langsam ihre scharfen Kanten. Hier oben, frisch vom letzten Unwetter platziert, schienen diese Hindernisse geradezu sich zu freuen mich da oder dort zu ritzen. Meist in die ungeschützten Hände. Manchmal bot mir Robazki an, in seine Arme runter zu springen. Natürlich traute ich ihm Kräftemässig zu, ganz andere gewichtigere Kaliber als mich zu fangen. Aber ich traute mich einfach nicht in seine Arme zu springen. Dazu war unsere Freundschaft zu frisch. Jemandem sein Leben zu vertrauen war völlig fremd für mich. Ein grelles Aufblitzen zwischen den dunklen Wolken über uns liess mich zusammenzucken. Erst nach ein paar Sekunden grollte es unheimlich düster über unsere Köpfe hinweg. Ganz verkrampft suchte ich weiter nach günstigen Griffstellen für meine empfindlichen Fingerspitzen, als ich auf einmal unter den abrutschenden Füssen den Halt verlor. Blitzschnell war Robazkis Arm nach vorn geschnellt, bevor ich aufschreien konnte. Seine Stärke blockierte mein weiteres Rutschen. Dankbar umklammerte ich seinen gestreckten Arm. Bis mir bewusst wurde, da stimmte etwas nicht. Er reagierte in keiner Weise als ich an seinem Arm hing. Stattdessen blieb sein Blick starr auf etwas weiter unten gerichtet. Meine zappelnden Füsse suchten nach Halt während meine Augen angespannt zu finden suchten was Robazki so genau fesselte. Gerade als ich halbwegs sicher stand, hörte ich die seltsamen knisternden Stimmen. Hohe, verstellte Stimmen hallten irgendwo zwischen den Steinen empor. Als ich gerade den eigenen Mund aufmachen wollte, zischte Robazki, „Still. Das sind unsichtbare Geister die schlimmes Unheil bringen wenn man sie stört.“ Okay, dieses Geistermärchen stieß bei mir auf taube Ohren. Um ihm ein bisschen entgegen zu kommen, flüsterte ich genauso leise. „Das glaubst du wirklich?“ Dummerweise unterstützte mich der laute Donner, genau in diesem Moment, in keinster Weise. Der finstere Blick Robazkis ließ mich dann doch frösteln. Ja, er hatte tatsächlich einen riesen Respekt vor diesen unsichtbaren Geistern. Es war klüger ihn nicht weiter zu reizen. Als hielt ich klugerweise den Mund obwohl der zunehmende Wind begann unangenehm an den Kleider zu reißen. Trotz dem brausenden Sturm begann irgendwo, wie aus den Steinen selbst, ein beruhigendes Schlaflied hervor. Bevor ich dagegen reagieren konnte, hob mich Robazki schwungvoll über die unheimliche Stelle hinweg. Er selber hätte nicht weiter springen können, wenn da eben eine giftige Schlange selbst gelauert hätte. Erst nach ein paar Meter, als sämtliche Stimmen von dem anschwellenden Sturm geschluckt wurden, wagte er wieder normal mit mir zu sprechen. „Glaub mir, die hören und verstehen dich ganz genau. Als ich am Anfang über die Geister lachte, wurde ich rasch des besseren belehrt. Die sind sehr Rachsüchtig und durchaus in der Lage ganz schwere Steine in Bewegung zu versetzen.“ Skeptisch sah ich zu ihm hoch. Gerade weil ich ihn anzweifelte, durchbohrte mich Robazkis eiskalte Augen gerade zu. Seine Stimme schwoll an als wolle er mit dem Gewitter konkurrieren. „Sogar unverschämte Forderungen wurden ausgesprochen. Meinen einzigen Kuchen, meinen besten Kuchen also hab ich denen geopfert und sie wollten noch mehr. Bin ein paar Tage weggezogen und glaube mir, diese dreisten Geister haben ziemlich alles Essbare in der Zwischenzeit geplündert. Diese flinken Bergratten gehorchen sogar diesen Geistern. Manchmal habe ich nämlich beobachtet wie nach dem Flüstern in der Nacht, diese Helfer unter meiner Türschwelle durch flitzten um meine Kupfermünzen oder andere Wertsachen zu stehlen. Gewöhnliche Ratten tun dies von Natur aus niemals. Die wurden von dem Bösen angestiftet. Mit einem schweren Schuh habe ich nach den Ratten geworfen. Damit habe ich die Räubereien beendet, aber es ist kein Zufall mehr, wenn gerade über mir an einen Felsenhang sich Steine lösen. Das ist mir zu oft passiert.“
In meine Ohren klang das eher so als ob ein noch scheuerer Mensch als Robazki es je war, sich in den Bergen versteckte. Ob eine Ratte sich soweit zähmen lies um Beutezüge für andere zu vollbringen, entzog sich meinen Kenntnissen. Gut möglich. An diesem Abend lag das Glück klar auf unserer Seite. Die nachtragenden Geister blieben in ihren Verstecken und wir kamen unbehelligt gerade Rechtzeitig zur Hütte an als die ersten schweren Regentropfen auf die Steine herunter prallten. Es roch nicht nur außerhalb der Hütte so intensiv nach den Steinen, sogar die Hütte selbst dünstete regelrecht nach dem Holz aus dem sie gebaut wurde. Ein elektrisierendes Sommergewitter entlud sich intensiv mit lautem Getöse. Innerhalb wenigen Sekunden sank die Temperatur rapide ab als sich draußen ein halber See zu entleeren schien. Diesmal war ich so froh über die massiven stabilen Mauern dieser Hütte. Sogar das Dach hielt jeden Tropfen vom Inneren fern. Erleichtert zündete Robazki, mit dem Feuerzeug natürlich, ein kleinen Kaminfeuer an. Auch er wirkte erleichtert von dem Ausflug heil nach Hause gekommen zu sein.
An diesem späten Abend, nachdem an meinem Poncho die letzten Nähte vernähte, bekam ich als Dankeschön ein leeres Buch geschenkt. Robazki legte mir das fingerdicke Buch mit dem handgeschöpften Büttenpapier sorgfältig in die Hände als sei es ihm Bedeutsames wert. Eine seiner Schwestern wollte, dass er auf Reisen eine Art Tagebuch, Reisebericht niederschrieb. Doch Robazki selber fühlte sich nie dazu berufen das was persönliches niederzuschreiben. Zu seiner eigenen Orientierung kritzelte er aber die groben Umrisse des Landes auf einer Doppelseite nieder und markierte die größeren Hauptorte die er meiden wollte. Es passte perfekt zu meinem eigenen Plan. Ein paar blasse blaue Linien kennzeichneten die wichtigsten Flüsse. Zwischen den Hügelmarkierungen erkannte man gelegentlich eine kleine Daunenfeder oder ein Bierglas? Darüber sollte ich wirklich nicht überrascht sein. Gasthäuser oder Sicherheitshütten für Reisende.
„Du wirst es mehr brauchen als ich.“ Er hatte ja so Recht. Dann zeigte er mir wie man aus dem gerundeten Rücken des Buches, ein Fläschchen mit Tinte und der Federkiel zum Schreiben herauszog und wieder reinsteckte. Staunend und dankend nahm ich das kostbare Geschenk an. „Ich bedaure nur, dass ich dir nicht gleichwertiges Schenken kann,“ sagte ich ohne gross nachzudenken. Er lachte nur. Eine seiner Pranken fuhr mir durch das struppige Haar, welches ich schon lange nicht mehr sorgfältig durch striegelte. „Kleine Safina. Was ist mit dem Feuerzeug und hast du vergessen?“ Er zeigte auf seine eigene Stirn. „Neuigkeiten sind genau so wertvoll.“ Mist, ich vergass mal wieder wer ich eigentlich war. Hoffentlich richtete ich keinen Unsinn an. Was wenn bekannt wurde, dass plötzlich Menschen durch die graue Todeszone kamen? Was wenn jemand eine Expedition in die andere Richtung schicken wollte? War ich dann Schuld wenn die starben? Nur nicht darüber nachdenken. Blick auf den hübschen braunen Lederband. Meine Fingerkuppen fuhren über kleine eingestanzte Vertiefungen. Eine hübsche Verzierung die verschiedene Baumblätter darstellte. Deutlich zentriert lag eine typische Eichel mit Käppchen. Endlich eine vertraute Erinnerung an mein Land. Robazki erkannte was mich fesselte. „Ist ein altes Schulbuch. Jedoch sollte man kein gutes Buch verschwenden. Vor allem keines das mit meinen Familienwappen, der Eichel, gekennzeichnet ist. In unserem Bezirk würde man das als eine gültige Reiseeinladung akzeptieren. Also achte gut darauf, wem du es zeigst oder gar weiter gibst.“ Ich umarmte es als wäre es ein Goldschatz. Ein wenig Nachdenklich meinte Robazki. „Also so sehr wollte ich es dir auch nicht ans Herz legen. Es war nur ein kleines wichtiges Detail.“ Man sah es ihm an, dass er ein bisschen verstört wirkte, wie er mich da beobachtete wie ich den Einband streichelte. Es war ein richtiges Geschenk. Das erste persönliche Geschenk seit mich damals die Eltern verlassen hatten. Ein praktischer Gegenstand über den ich mich nicht nur freute, sondern den ich wirklich gerne als mein Eigentum willkommen hieß. Lächelnd sah ich hoch. „Das Buch ist wunderschön. Es wird mich immer an dich Erinnern. Darum bleibt es in meinem Besitz.“
„Du wirst es ab morgen brauchen.“ „Morgen?“ „Ja, du wirst Morgen weiterziehen.“ Es zu hören hiess nicht es auch zu glauben. Am liebsten hätte ich die unaufschiebbare Tatsache einfach verdrängt. „Morgen,“ sagte ich belegter Stimme. Ernst sah er mich an. „Ja, Morgen. Den ersten Herbststurm hast du heute live miterlebt. Es wird noch viel schlimmer werden. Wenn du leben willst, gehst du. Nimm all deine Sachen mit.“ Er deutete auf den alten gepackten Rucksack. Ausser dem Feuerzeug benutzte er keinen meiner anderen Gegenstände. Unberührt lagen in der Ecke als hätte Robazki schon lange meine Abreise geplant. Dennoch ein letzter Versuch war es Wert, ihn beim Schnitzen einer Holzfigur zweifeln anzusehen. „Du änderst Morgen aber nicht plötzlich deine Meinung?“ Rs dauerte ein paar schwere Sekunden, ehe das zu im durchdrang. Ein offener Blick suchte den meinen ehe er mit dem harmlosen Griffelende seines sonst scharfen Werkzeuges auf mich zeigte. „Du bist sehr aufmerksam und ziemlich wagemutig mir meinen Schwachstelle zu präsentieren.“ Es zuckte leicht in einem seiner Mundwinkel. „Ich weiss nicht ob ein langer Winter mit dir spassiger wäre, als ganz ohne Gesellschaft. Nein!“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Mag sein, dass ich gelegentlich unentschlossen wirke. Mein Kopf braucht manchmal etwas länger für Entscheidungen. Doch mein Resultat ist mehr veränderbar.“
„Ach und ich darf nicht mehr versuchen daran zu rütteln?“ Eine Zeitspanne lang sah er mich nur an. Völlig entspannt erhob er sich, beugte sich, mit den Armen am Tisch abstützend, zu mir vor. Ein langgezogenes, fragendes, „Ja?“ Abwehrend hob ich die Handflächen nach oben und krebste hastig in die dunklere Ecke des Bettes zurück. Seine Lippen blieben ernst, aber seine Augen glitzerten verräterische. Er amüsierte sich herrlich auf meine Kosten. Meine kleinen Portion hielt es für klüger den Mund zu halten. Nach einer Weile, nachdem er wieder an seiner Skulptur arbeitete, die eine sitzende Persönlichkeit darstellte, lachte er leise vor sich hin. Ein wenig mutiger setzte ich mich wieder Näher in den erleuchteten Schein des Kamins. Er registierte sofort meine langsame Bewegung. „Kleine, ich wünschte meine Schwestern hätte etwas mehr von deiner zurückhaltender Art. Das hätte mir und Ihnen in der Vergangenheit viel Ärger erspart.“
Mein Mangel an Erfahrung mit echten Geschwistern liess mich schweigen. Mit den zänkischen Mitbewohnern des Heimes, bei denen die Rangordnung oder Revierverteidigung, sobald die Heimleiter einem den Rücken zuwandten, als stilles Gesetz anstanden, liess sich wohl das nicht vergleichen. Robazki sprach nach einer Weile einfach weiter. „Mit dir ist es so einfach. Du wirst mir fehlen, Safina. Das wir ein harter kommender Winter. Nur weil dein Besuch alles Verändert hat.“ „Ach jetzt bin ich wieder schuld?“ Er lachte über meinen empörten Einspruch. „Jetzt klingst du wie eine meiner selbstbewussten Schwestern. Du bist, du warst eine gelungene Abwechslung in meinem eintönigen Alltag.“ „Warum adoptierst du nicht einfach einen Hund um die Langeweile zu vertreiben.“ Auf seinen ratlosen Blick hin, nahm ich eine der erkalteten Holzkohlen und zeichnete einen Vierbeiner auf die Esstischplatte. Nachdenklich starrte er das fertige Bild an, ehe er verstand. „Ah, du meinst ich soll einen der wilden Wölf zähmen. Nein, das ist eine schlechte Idee.“ So etwas wie harmlose Hunde kannte man hier kaum. Robazki nahm mir den Kohlestift aus den Händen. Dann verbesserte er meine so harmlose Skizze indem er eine zottelige Mähne hinzumalte, die Hinterbeinde doppelt so dick verstärkte und in das Gebiss lange Reisszähne einfügte die einem Säbelzahntiger Höchste Punktnoten einbrachte. Aus dem niedlichen Hund entstand ein tollwütiger Werwolf. Nachdem ich mehrmals leer Schluckte getraute ich mich kaum zu fragen. „So was läuft wild in den Bergen umher?“ Im krassen Vergleich zu einem menschenfressenden Dinosaurier, fand ich das keine verharmlosende Verbesserung. Ganz im Gegenteil. Zögerlich nickte er. „Nur in den unbewohnten Gebieten, viel weiter oben. Die sind sogar ganz harmlos solange kein Schnee gefallen ist oder man keine offene Wunde hat. Erst im tiefen Winter sind sie ziemlich aggressiv. Vielleicht weil das mit dem Winterschlaf bei denen nicht so gut klappt wie bei den Bären.“
Eines plante ich jetzt schon fest. Niemals reiste ich im Winter durch die Berge. Im besten Fall reiste ich erst im nächsten Sommer zu dieser blöden Reisekapsel zurück. Alleine an den Aufstieg in diese Berge hoch, war ja schon ohne diese Wölfe der reinste Alptraum. Ohne ein Maultier, welches meine müden Beine entlastete oder das Gewicht des Rucksackes abnahm, würde ich das nie schaffen. Wie blöd waren eigentlich meine Vorgesetzten gewesen als sie die kompletten Idioten mit der zehnfachen Last losschickten? Kein Wunder kam keiner von denen je zurück. Vielleicht aber lag es eben auch an den falschen Berechnungen, dass ich an einer ungünstigen Lage strandete. Alles war möglich. Vor allem bei meinem bescheidenen Glück war es höchstwahrscheinlich die mieseste Kartelage gezogen zu haben. Was lief nur immer bei mir schief? Alleine der heimtückische Verrat , wie die so vortäuschenden, helfenden Behörden mich von meinen liebenden Eltern wegrissen. Diese heuchelnden, liebenden möchtegerne Eltern die mich unbedingt adoptieren wollten. Dabei gab es genug echte Waisenkinder im Heim, die meine ausstrahlende Niedlichkeit auch noch zu ihrer beliebtesten Zielscheibe ausriefen. Ständige verbale und körperliche Attacken, denen ich am liebsten in meiner stillen Zelle auswich. Hier gab es keine schützenden Rückzugsorte. Wütend ballte ich meine verkrampften Finger zu Fäuste. Okay, dann lauerten eben eine Horde Kriegswölfe auf meine Rückkehr im nächsten Sommer auf mich. Immerhin besass ich jetzt einen aufgeweckten Verstand. Einen höchst klaren, scharfen Verstand, der bereits vergiftete Köder ausstreute und lächelnd die Berge hochtanzte. Einen flauschigen Bettvorleger konnte ich, später auf meiner neu erworbenen Insel, bestimmt gut gebrauchen. So ein seidiges Pelzchen war eine verdiente Auszeichnung, für meinen tapferen Sieg über die Fressmaschinen. Okay, realistisch gesehen brauchte ich also mindestens ein gutes Gewehr oder selber ein paar abschreckende Wolfshunde die mich auf dem Heimweg beschützten. Im Gegensatz zu früher, sah ich dem obtimistisch entgegen. In meinem Vertrag stand ja nichts über den Zeitpunkt der Rückkehr. Theoretisch konnte ich mir da schon ein Jahr Zeit lassen, wenn es mir weiterhin so gut gefiel. Dann frisch erholt zurück in mein Land reisen. Diese Insel gründlich abchecken und vielleicht, fand ich sogar einen Weg meine Eltern irgendwie zu finden oder kontaktieren. Ich war ihnen nicht mal böse dass sie sie einfach ohne Abschied verschwanden. Ihr Wunsch war es mich an einem besseren Ort zu wissen. Ein Aufenthalt bei einer lieben, perfekten Familie. Ja, aber eben entsprachen sehnsüchtige Wünsche nicht gerade der Realität. Ich wünschte ihnen auf jeden Fall ein glückliches Leben, wenn dies ohne mich möglich war. Und gerne hätte ich gesagt, dass ich keinen Groll gegen sie hegte. Ihre schmerzerfüllten Augen hatten mich beim letzten Besuch beeunruhigt. Doch es gab kein gebrochenen Versprechen, keine Unwahrheiten. Nur Worte wie, es wird alles wieder gut.
Mist, dieser Abschied, der erst Morgen von Robazki sein sollte, weckte wieder so manche scheussliche Erinnerung. Wenigstens hatte ich einen vollen Magen mit gesunder Gemüsesuppe und einen wärmenden Poncho. Die Gesellschaft des Riesen war etwas gewöhnungsbedürftig, aber im grossen Ganzen war ich seit langem wieder einmal richtig zufrieden. Beunruhigt wegen dem Morgigen Tag, aber ich fühlte mich trotzdem gut.
In dieser Nacht wärmte mich Robazkis Körper. Dazu brauchte es nicht einmal Körperkontakt. Er strahlte einfach eine enorme Körperwärme ab. Dennoch war ich über das grosszügige breite Bett froh. Demnach plante er schon ein, hier einmal mit Gesellschaft zu leben. Nur ob er jemanden fand, der seine abgeschiedene Oase genauso liebte?
Der kluge Robazki ahnte wohl meine Abneigung gegen eine Abreise aus meiner Komfortzone. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich alleine im Bett. Durch den stillen Kamin entfloh die aufsteigende Wärme des Zimmers. Kein wärmendes Feuer, kein vorbereitetes Frühstück. Sogar seine Kleiderkiste hatte er mitgenommen. Mein Rucksack lag immer noch hübsch wartend auf seiner alten Stelle. Ein wenig Enttäuscht richtete ich mich von dem gepolsterten Lager auf. Solche Stillen Abschiede lagen nicht gerade auf meiner beliebten Skala. Ein bitterer Beigeschmack lag in meinen Mund. Das kam nicht von dem trockenen Hals. Was ist nur los mit dieser Welt? Kann sich niemand mehr vernünftig Verabschieden? Sind ein paar nette Worte oder ein freundlich gesinnter Händedruck zuviel verlangt? Aufseufzend setzte ich mich auf. Immerhin war Robazki so nett gewesen mich mit dem Poncho zuzudecken. Auch meine alten Kleider lagen ordentlich neben den Bett auf einem Stuhl. Begeister zog ich mich an und stellte überrascht fest wie einengend sich der Stoff anfühlte. Als ob man auch ein bisschen Freiheit aufgab. Ablenkend erspähte ich auf dem Tisch ein paar Kartoffeln und ein paar kleine frisch gepflückte Möhren auf dem Esstisch. Die trockene Erde von Garten lag noch verstreut unter ihnen. Alles deutete darauf hin, dass mich der Ehemalige Besitzer möglichst schnell aus dem Haus haben wollte. Daher plante ich auch ein späteres Frühstück, eine warme Gemüsesuppe, erst später ein. Mit einem flauen Gefühl im Magen packte ich die knappen Vorräte ein. Es reichte kaum für drei Mahlzeiten an einem Tag. Knausriger Robazki. Als ich mit dem erträglichen Gewicht am Rücken aus der Haustüre trat, tat mir der Abschied kaum weh. Mehr die lauernde Ungewissheit lies mich Zweifeln. Dennoch riskierte ich einen Blick zu einer der Holztruhen wo Robazki eigentlich noch einen kleinen Berg Kartoffeln hortete. Der dicke Stein darauf, den höchstens ein kräftiges Pferd oder eben ein Riese wegschieben vermochte, schrie überdeutlich; lass die Hände davon. Dieser Geizhals Robazki! Mit einem stillen Lächeln marschierte ich zügig zum Ausgang. Je näher ich dem verengenden Korridor kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Der magische Schild war unvermindert aktiviert. Das leise vibrieren in der Luft, die Spannung war bereits mehrere Meter davor deutlich spürbar und verursachte mir eine sichtbare Gänsehaut auf den Armen. Ein paar Minuten blieb ich zögerlich davor stehen. Diesen schrecklichen Schutzwall hatte ich schon einmal überwunden. Augen zu und durch, mahnte ich mich. Holte tief Luft und sprang einfach los. Nach wenigen Meter versagten mir beinahe die Beine. Mein Magen krampfte sich zusammen als würde ihn ein Schraubstock zusammen pressen. Nichts mehr schien im Körper richtig zu funktionieren. Am liebsten, so spürte ich einen Drang, hätte ich mich am Boden zusammengerollt und sinnlos losgeheult. Ich kroch mehr auf allen vieren. Schloss meine Augen, atmete nur knapp ein um mit angehaltenem Atem blind vorwärts zu laufen. Zwischendurch gratulierte ich mir für den Einfall später zu Frühstücken. Bei den aufsteigenden Kopfschmerzen hätte ich längst wieder alles ausgespukt. Mehr Blind tastete ich mich vorwärts mit nur einem Gedanken; einen Schritt vor den anderen. Einen Schritt und noch einen. Immer einen Schritt näher dem Ausgang entgegen. Für mich schien es eine nie endende Tortour. Also ob ich mehrere Tage in einem verlangsamten Zeitloch mich quältend abbemühte dessen Türe zu erreichen. Manchmal schrie ich zornig auf, was die Qualen verstärkte. Nur reine Gleichgüligkeit, ein stilles Ertragen der aufsteigenden Ängste und einhämmernden Schmerzen liessen mich einem winzig kleinen Niveau noch funktionieren. Sobald ich die Schatten der Schlucht verliess und mich das grelle Sonnenlicht empfindlich blendete, war der grausame Spuk von einer Sekunde auf die andere Vorbei. Erleichtert liess ich mich erst Recht auf den Boden sinken. Wohl eine Minute heulte ich wirklich vor Erleichterung. Diese saözigen Tränen hatte ich mir verdient. Danach wischte ich mit den Händen die feuchten Wangen trocken. Gab mir einen Ruck und stand auf.
Eine kurze Zeit sah ich Gedanken verloren in die Schattenreiche Schlucht zurück. Sie wirkte so normal, so harmlos bis auf die bröckeligen Wände. Robazki hatte sie perfekt geschützt. Doch jetzt lag mir ein neuer unbekannter Abschnitt bevor. Wenn ich zurückdachte an das Schulbuch, so führte mein neuer Weg in einen kleinen Dschungel. Von dem feuchten Wald hatte mir Robakzi abgeraten. Aber weiter dem Berg entlang, bis zu den ersten Dorfbewohner zu spazieren war für mich keine Option. Auf dem Lande waren die Einheimischen immer misstrauisch. Jeder kannte jeden und von denen kannte jeder die Umgebung hier wie seine Westentasche. Den argwöhnischen Bauern mit den Mistgabeln wollte ich nicht begegnen. In einer grösseren Stadt war es sicher leichter annonym zu lauschen und richtete mit kleinen Fragen keinen Schaden an. Mein nächstes Ziel lautete also die Drachenstadt zu erreichen. Der kürzeste Weg ging nun mal durch den Dschungel. Im Dschungel gab es wenigstens keine menschenfressende Wölfe, aber was sonst da lauertet blendete ich aus meinem Verstand aus. Zuviele Gedanken schürten nur meine Kopfschmerzen. Schlimmer noch meine aufkommende Angst. Also marschierte ich lieber zügig los und bestaunte die Vielfalt und Schönheit der Natur.
Langsam erreichte ich den ebenen Talboden. Oben in den Bergen herrschte wieder klares Wetter. Hier unten verhinderte der aufsteigende Dunst, von den unzähligen feuchten Tümpeln, eine klare Weitsicht. Der dunkle, federnde Moorboden war zwar eine Wohltat für meine geschunden Füße, aber hier wucherte allerlei dichtes Gestrüpp mit so zähen klebrigen Blättern. Sobald man dieses irgendwo berührte blieb von dem anhänglichen Gestrüpp etwas hängen und bekam eine zusätzliche grüne Tarnung verpasst. Da sie bis zu zwei Meter hoch wuchsen und weitflächig ihre schmalen langen Blätter ausfächerten war es schwierig sie zu umgehen. Der feuchte Boden bildete den perfekten Nährboden für die vielseitigsten Schattengewächse die sich unter den wenigen Baumriesen ihr eigenes Reich aufbauten. Die Baumriesen selber massen so breit, dass ich mich verdreifachen müsste um sie mit ausgebreiteten Armen ganz zu umfassen. Wohl an die hundert Höhenmeter schätzte ich ihre dichten verästelten Baumkronen. Die meisten glatten Baumstämme umwickelte eine alles umschlingenden Kletterpflanzen. Dieser Nutznießer bohrte seine haarigen Wurzeln gekonnt in jede noch so kleine Unebenheit. Sobald er die oberen sonnenverwöhnten Etagen erreichte, teilte er sich mehrfach auf und verankerte sich dort oben fest. Danach liess er unzählige Sprösslinge wieder herunter zum Waldboden hängen. Einige Windböen verknoteten diese Leinen in ein haariges Durcheinander. Ein paar dieser immergrünen Wirte erreichten ein so erdrückendes Gewicht, dass bei einigen gigantischen Riesen sämtliche Äste abgeknickt waren. Die Überreste dieser Bäume ragten dann wie stark verwitterte Pfähl einfach sinnlos zum Himmel empor. Immerhin nutzen unzählige kleine Vögel die morschen Stämme in den oberen Regionen als Nistplätze. Mir selber gefiel das zusätzliche Licht bei diesem natürlichen Kahlschlag. Es erleichterte die schwierige Klettertour. Manche dieser entwurzelten Riesen stellen ein unüberwindbares Hindernis da. An den feuchten Kletterpflanzen kam ich nicht hoch. Erfolglos rutschte ich an den hängenden Lianen ab. Selbst wenn, wuchsen da auf dem rottenden Stämmen wieder unzählige seltsame Pflanzen empor, von denen einige ziemlich exotisch wirkten. Da es hier keine Schilder gab, die vor möglichen Giftpflanzen warnten, vermied ich lieber eine Berührung mit denen. Ich war ohnehin nicht der Typ der bei hübschen Dingen gleich ausflippte und seine Finger drauflegten wollte. Die verdrehten weissen Blüten verbreiteten einen wunderbaren süßlichen Duft. Schade reagierten meine überladenen Sinne mit zunehmenden Kopfschmerzen. Genau wie die unzähligen Insekten so ein prächtiges Paradies ausgiebig umschwirrten, summte es ständig in meinem Kopf. Erst nachdem ich etwas von dem stehenden Wasser in meine Handflächen schöpfte und vorsichtige Schlucke nahm, linderte sich das Kopfweh auf ein angenehmeres Level. Für ein paar ruhige Minuten beobachtete ich nur die erschreckende Vielfalt der Tiere. Dabei entdeckte ich verschiedene Grössen von braunen Fröschen in den Teichartigen Mulden. Manche dieser Wasserlöcher stanken erbärmlich, da vermutlich ein verendetes Tier drin lag. In anderen tummelten sich tausende von schwarzen Kaulquappen und andere tauchenden Käfer. Am liebsten hätte ich, in dem knietiefen klaren Wasser, auch gebadet. Aber umgeben von tausenden Vichern, dass war vielleicht nicht so klug. Eigentlich hoffte ich auf ein paar Fische die meinen Speiseplan auffrischten. Kröten würde ich nicht mal anfassen wenn ich echt am Verhungern war. Dann vorher wie ein Vegetarier an dem frischem Blattgrün knabbern um den ärgsten Hunger im Bauch zu besänftigen. Rasch stiegen die Temperaturen dermaßen unerträglich an, dass mir Schweiß von der Stirn perlte. Mehrmals musste ich anhalten um in der ungewöhnlich schweren Luftatmosphäre meine Lungen wieder aufzupumpen. Wenn ich zu tief Luft holte hatte ich das Gefühl, dass meine Lunge fast platzte. Es roch unangenehm nach Schimmelpilzen und faulendem Moder. Zunehmend hinderte mich der leeren Magen daran meine Kräfte voll auszuschöpfen. Hellwach und trotzdem schwach sank ich öfters in die Knie. Immerhin wusste ich, dass ich nicht im Kreis lief. Bisher verschlimmerte sich meine Lage mit dem zunehmenden Dickicht. Durch die abgeknickten Äste von Sträuchern sah ich rückblickend deutlich meine fast gerade hinterlassene Spur. Ich hielt inne. Mich konnte sogar ein Blinder verfolgen. Es gab nirgend hilfreiche Anhaltspunkte. Die Karte von Robazki zeigte einen kleinen Dschungel der kaum eine Fingerkuppe beanspruchte, sofern ich da meinen Finger aufs Papier drückte. Die Wahrheit fühlte es sich aber an als müsste ich ein ganzes verwildertes Bundesland durchpflügen. Momentan war also diese Karte eine unpraktische fast wertlose Kopie, deren fehlende Grössenangaben mich gerade in ziemlich arge Schwierigkeiten brachte. Von der Skizze, die meine Investoren mitgaben, an den Müll wollte ich gar nicht denken.
Ob sie die anderen Irren auch mit miesen, ungenauen Karten losschickten? Dann war ja klar, dass jede Mission scheiterte. Verrückt! Einzig die Unterstützung eines einheimischen, fachkundigen Führers brächte mich einen Bruchteil an meinen Hauptgewinn näher. Eine meiner dringenden Aufgaben bestand darin innerhalb eines Monats wenigstens eine schriftliche Berichterstattung in der Liftmaschine abzulegen und diese zurück zu schicken. Sonst galt ich als Verschollen. Schon jetzt brauchte ich drei volle Tage, mit Umwegen, von dem Berg herunter. Danach dieser katastrophale Dschungel! Höchst zweifelhaft, dass ein ungebildeter Anfänger diese Maschine überhaupt termingerecht fand. Warum eigentlich hatte sie nicht den mit Medaillen ausgezeichneten Pfadfinder auf diese Mission geschickt? Natürlich vermisste mich niemand. Auch bestand keine Gefahr dass meine verschollenen Verwanden je nach einer Schadenersatzklage schrien.
Gezwungen vom Elend im Magen riskierte ich ein paar weiche Baumsprösslinge anzukauen. Bitter schmeckte die dünne Rinde der rutenähnlichen Zweige. Also schälte ich sie zuerst mit meinen geschickten Zähnen, denn meine, vor Nervosität, abgekauten Fingernägel eigneten sich dafür kaum. Geduldig pausierte ich auf einem trockneren Wurzelwerk sitzend ob eine fatale Nebenwirkung einsetze. Erst eine Viertelstunde später bemerkte ich eine minimale, angenehme Sättigung. Mir kam es vor als ob ein fader, schwerverdaulicher Schwamm sich in der Bauchhöhle ausbreitete. Mir blieb keine andere Möglichkeit als zwischen zähen Gemüsestängeln oder mickrigen, mageren Mücken und ekelhaften Sumpfwürmern zu wählen. Zum Jagen kannte einfach nicht die Gepflogenheiten des einheimischen Wildes. Fremdes Land... Mit schmutzigen Händen strich ich mir über die nasse Stirn. Der letzte sauberer Weiher war schon eine Weile her. Meine Wasserflasche hatte permanent Ebbe. Aufgebracht stampte ich einfach auf der Stelle im weichen Boden umher, bis sich eine kleine schmutzige Wasserlache bildete. Hastig schöpfte ich mit der Hand das erdige Nass ab, bevor es wieder im Sumpfboden versickerte. Es schmecke scheusslich nach Erde. Ein paar Schlucke zwang ich mir hinunter. Mein durstiger Körper war wichtiger als mein verwöhnter Gaumen.
Kein Wunder das erst die richtigen Irren hier allesamt versagten. Warum schickten sie keine ausgebildeten Spezialisten? Bei den massenhaften Gewinnaussichten, ganzen Goldbergen, fände man doch sicher einen interessierten Neureichen der sein Vermögen in kurzer Zeit verzehnfachen wollte. Lag es wirklich nur an der neu erfundenen Maschine? Waren wir Irre nur billige Versuchskaninchen? Das schmerzte.
Ein irres Lachen entfuhr meiner durstigen Kehle. Ich hatte ja absolut keine Ahnung worin ich mich da eingelassen hatte. Man war ich naiv! Selbstvorwürfe stiegen in mir hoch. Zu Spät. Mit einem schweren Seufzer zwang ich mich wenigstens einen klaren, positiven Gedanken zu fassen. Meine neue Freiheit und wann ich wohl erste Anzeichen menschliche Zivilisation fand. Auf der primitiveren Karte, war der eingekreiste Mittelpunk, deutlich als ein liegender Drache skizziert. Das bedeutete laut Robazki, das dort die Hauptstadt lag. Mit ein bisschen Fantasie ähnelte die auffällige gekrümmte Hügelstruktur tatsächliche einem liegenden Drachen der sich beinahe wieder am Schwanz berührte. Wobei die reicheren Bürger sich auf dem erhöhten Hügel niederliessen und die handwerklichen Gilden die Vorstadt übernahmen. Vielleicht hatten sie mich einfach in eine falsche Zeit geschickt? Falsch Programmiert! Die letzten geschrienen Worte die mir jetzt schwer auflagen. Robazki bestätigte mir immerhin, dass diese Stadt noch immer existierte.
Entmutigt setzte ich mich nach einem spärlichen Mittagessen hin. Diese vegetarischen Mahlzeiten lieferten nur spärliche Energie. Schnaufend setzte ich mich mühsam in Bewegung. Schwere Beine behinderten meinen Fortschritt. Ich musste was richtige zu essen finden. Wo versteckte sich das grosse Leben zwischen diesen urwüchsigen Laubbäumen? Wo?! Das Leben jedoch fand mich zuerst.
„Wären sie so freundlich hier zu warten“, bat ein kleinwüchsiger Diener des Königs. Respektvoll verbeugte er sich kurz, schob den schweren dunkelblauen Vorhang rasch beiseite und verschwand mit seinem schlichten erdfarbenen Leinenkleid in einen Saal von hellem Licht. Dunkelheit kehrte zurück in den kühlen Treppenturm. Ein massives Gebäude, besonders dicke Mauern eines Schlosses, errichtet für die schlimmsten Zeiten des Landes. Nur selten befand sich der amtierende König im alten Turmsaal. Noch seltener bestellte man den Kommandant vom Aussenbezirk in den Thronsaal. Stolz stand er da. Ein wenig unruhig über das ungewöhnliche Ereignis. Doch seine Unruhe galt mehr dem Land als sich selber. Selbstsicher fand er keinen Grund sich etwas Vorzuwerfen. Eine weitere Beförderung stand ausser Frage da er sich in seinem gewünschten Posten wohl fühlte. Bewusst hatte er sich versetzten lassen, in eine abgelegene Region wo er verschont blieb von den wechselhaften Intrigen der launischen Politiker. Ein wankelmütiges Terrain mit dem er nicht seinen stabilen hohen Rang gefährdete. Für ihn bedeutete der beständige Platz, als unparteiischer Kommandant im Aussendienst, das höchste Ziel seiner gewünschten Karriere. In Rekordzeit verdienter er sich diese begehrte Auszeichnung und nun hiess es sich auf diesem Traumposten zu behaupten. Unter seiner Anleitung bildete er einfache, junge Leute für die Verteidigung des Landes aus und zugleich genossen seine auserwählten Schüler eine höhere Ausbildung für qualifizierte Arbeitsstellen. Dank seiner alten Schule, harten Auslese, öffnete sich seinen Schülern, nach bestandenem Abschluss selbstverständliche, alle Karrierentüren. Ausser sie wagten sich zu radikal in der heiklen Politik vor. Allerdings überwachte er penibel das einzig einwandfreie, talentierte Leute mit gutem Charakter sein seltenes Diplom erhielten. In diesem abgesicherten Punkt gab es keinen Grund zur Anklage. Ihm stand höchstens ein Noteinsatz wegen Unruhen vor neuen Wahlen bevor oder sollte sich gar das neueste Gerücht bestätigen, dass Ausländische Besucher die Königstadt ausspionierten?
Einzig der letzte Grund löste eine ungewohnte Unruhe bei ihm aus. Sollte das den plötzlichen Befehl im Palast zu erscheinen ausgelöst haben? Ausserdem, warum liess man Ihn in einem schlecht beleuchteten Gang warten? Tief holte er Luft, verdrängte den schwachen Moment, sich an die kühle Wand anzulehnen. Befürchtete, dass seine kostbare Uniform Schmutz von der Wand zurück behielt. Ausserdem ziemte es sich nicht für seinen gehobenen Stand irgendwo anzulehnen. Demnächst feierte er erst seinen fünfunddreissigsten Geburtstag, aber öfters fühlte er sich älter, viel älter. Erneut streckte er seinen verspannten Rücken. Rieb sich verstohlen die länglichen und leicht grösseren, ausdrucksvollen Augen. Ein besonderes Kennzeichen seiner seltenen gewordenen Landsleute. Die lange, anstrengende Reise mit dem Duliwagen war leider unumgänglich gewesen. Solange er kein rotes Dringlichkeitsdokument erhielt, persönlich vom König unterzeichnet, durfte er nicht die fliegende Variante benutzen. Normalerweise bevorzugte er den komfortablen, fliegenden Transporter, doch damit war es unmöglich Vorräte aus der Stadt mit nach Hause zu nehmen. Tagsüber war es ihm sowieso strengsten Verboten seine fliegenden Lieblinge auch nur in die Nähe der Hauptstadt zu bringen. Sein so weit entfernter Aussenposten besass eben auch einige Nachteile. Ausser ihm gab es sogar noch drei weitere gleichgestellte Kommandanten die das gleiche Schicksal teilten. Jeder von ihnen kontrollierte, unabhängig, einen anderen Landesteil. Weshalb wünschte man ausgerechnet nur seine Anwesenheit? Normalerweise rief man bei einer Versammlung alle Vier zusammen. Zudem besass er, von den Vier Auserwählten, die geringste vererbte, hellseherische Fähigkeit.
In seinem zu verteidigtem Königreich gab es, weit in der Vergangenheit zurückliegend, einst verschiedene Rassen von Menschen. Kriegerisch versuchte man mit List über die anderen Herrschaft zu erlangen. Nach einer unermesslichen Schlacht, die man sogar als Weltenkrieg aufzeichnete, verschwanden die Grenzen. Zuviel vernichtete, radikal gesäuberte Regionen. Von ganzen ausradierten Kontinenten war die Rede. Zerstörte Technologien die in Vergessenheit gerieten. Unvorstellbare Krankheiten breiteten sich aus und formten die Überlebenden zu ganz neuen Gemeinschaften. Danach hiess es, kam die Zeit der schlimmsten Umweltkatastrophen. Ganze Landesteile gespalten durch heftige Erdbeben. Vulkanausbrüche verfinsterten über Monate hinweg die ganze Welt.
Am Ende kämpften die wenigen Überlebenden wieder, aber diesmal nicht wegen Habgier oder Glaubensbekenntnisse, sondern schlicht um den täglichen Nahrungsbestand. Erst nach Jahrzehnten kehrte die geschundene Natur langsam zur Normalität zurück. Diesmal lernte die nächste Generation, von Menschen, aus früheren Fehlern. Man bildete ein Königreich und versuchte ein perfekteres Menschenbild zu schaffen. Umgänglicher, friedlicher und Anpassungsfähig sollte er sein. Als Vorbild suchte man in alten Geschichten, von Propheten und schönheitsideale wie Engel. So wie die Demokratie aufblühte, gewannen auch die verschiedenen Gläubigen an Stärke zurück. Um neuen Konflikten auszuweichen einigte man sich rasch auf einen harmlosen Mythos. Gegen unparteiische, friedfertige Elfen legte niemand Einspruch ein. Über Jahre hinweg folgte man einem Traum. Förderte eine spezielle Gruppe von Menschen mit erwünschten Talenten. Schulte sie, half ein bisschen mit Gentechnologie auf die Sprünge. Auf einmal weigerten sich die weisen „Elfen“ für weitere Versuchszwecke ausgenutzt zu werden. Forderten ein Recht auf eine eigene Regierung.
Die sanfte Revolution war eine mit heftigen Kopfschmerzen, denn die hoch entwickelten Elfen besassen telephatische Fähigkeiten. Eines Tages verschwanden sie, friedlich wie es ihrer Natur entsprach, an ein unbenutztes Randgebiet des Kontinent. Ein Volk von knapp hundert Elfen besiedelte ein kleines Territorium, das ab nun, nur reinblütige Elfen betreten durfte. Selbstverständlich lachte das restliche riesige Königreich über die lächerliche, gestellte Bedingung. Unbekümmert schickte der König, um den selbstbewussten Elfen endlich ihre Unfähigkeit zu beweisen, nur eine Reservearmee von knapp tausend Männern. Bevor jedoch der Monat endete, kehrte eine völlig verwirrte, unbewaffnete Armee zurück. Die vielseitigen Fähigkeiten der Elfen übertrafen überlegen, die nur mit tödlichen Waffen ausgebildeten Krieger. Misstrauisch suchte der König unter seinen Ratsleuten nach Schuldigen und fand so ein geheimes, verlassenes Labor.
Nun erschrak das einfache, gewöhnliche Volk von dem fremden unkontrollierbaren Phänomen. So unterschrieb der König hastig einen Vertrag welche die Elfen auf dem eroberten Randgebiet duldeten. Allerdings bestand er auf ein bedeutsames Detail um seinem Volk die grösste Angst zu nehmen. Nannte von da an die Elfen- Melfen, weil sie letztlich doch zu den Menschen gehörten.
Jahre später überflutete eine hohe Tsunamiwelle diesen abgeschiedenen flachen Landesteil bis weit ins Innere. Von da an galt dieser Abschnitt, auf jeder neuen oder korrigierten Landkarte, als undurchdringlicher Sumpf in dem niemand mehr lebte, geschweige denn Bewohnte. Höchstens ein paar Geister von Verstorbenen.
Wer von den hellseherischen Fähigkeiten der Melfen Bescheid wusste, den überraschte es kaum als mit der Zeit plötzlich sich einige Melfen in der Stadt unters Volk mischten, sogar längere Zeit in gepflegten Vierteln wohnten. Ihre unbestechlichen, ehrlichen Eigenschaften schätzte man bald besonders im gehobenen Wachdienst und speziellen heiklen Geschäften. Denn ein Melf wusste gleich wer log oder kriminellen Betrug ausheckte.
„Kommandant Dongard. Bitte Treten sie jetzt ein“, rief der königliche Diener gedämpft. Mit einem Arm schob er den dicken, bestickten Vorhang bereits zur Seite.
Würdevoll, wie ein König selber, schritt Dongard nach vorne ins Licht. Normaler Weise verteilte man Fackeln als Lichtspender. Jedenfalls war dies beim gewöhnlichen Volk üblich. Hier allerdings spendete ein einziger, mit Glastropfen verzierter Kronleuchter so helles Licht, dass es für den ganzen Saal reichte. Für einen Moment blinzelte Dongard, bis er sich an die blendende Lichtquelle gewöhnte. Dachte kurz an die schwitzenden Sklaven im Keller die mit ihrer blossen Körperkraft diesen enormen Strom erzeugten. Dann gewahrte er leicht verwundert die bekannten Gesichter seiner drei Amtsgenossen. Er selber hatte die seltenen schwarzen Locken seiner Mutter geerbt. Sie gehörte zu dem ersten Stamm der neuen Melfen Generation. Deshalb verbot man ihr auch nicht die Liebe zu einem gewöhnlichen Mann. Kommandant Dongards echten Genossen besassen dagegen alle die blonde Haarfarbe der alten, reinen Generation, welche sich weigerten den Titel Melfen anzunehmen. Schlank gebaut mit feinen Glieder. Was viele, über ihre wahren Kräfte hinweg täuschten. Schräg stehende Augen, trockene schmale Nasen von denen auch Dongard eine gerade erbte. Nur sein Gesicht war ein bisschen breiter vom Knochenbau. Er erreichte auch nicht ihre stattliche Grösse, aber mit seinen hundertfünfundachtzig Zentimeter, wohl dank seinem menschlichen Erbe, wirkte er robuster. Mit dem richtigen Blick erreichte er mehr als seine Artgenossen. Denn die wahren Elfen zogen das Publikum eher fasziniert an, während Dongards Masse, der beide Rassen verkörperte, dagegen eher einschüchternd wirkte.
Nun standen die drei Kollegen mir ihren aussergewöhnlichsten Amtsroben vor dem zentralen, runden Holztisch. Gehüllt in schwarzen, langen Mänteln aus weicher, seltenen Wolle von den scheuen Bergschafen. Ein merkwürdiges Gewebe das fein gesponnen wärmte oder kühlte, je nach Situation dem Träger angepasst. Über den ganzen Saum verteilte sich eine feine goldene Verzierung. Alle Anführer trugen einen breiten Gürtel aus Goldplatten, inklusive Schnalle. Weiche anliegende Hosen und dunkel gefärbte Lederstiefel. Dongard begrüsste seine weit entfernten Verwandten mit einem wohlgesinnten Nicken und legte seinen Hände, auf Brusthöhe, Horizontal neben einander, die Handfläche offen nach unten. Sofort ahmten die anderen seine Rituelle Geste nach.
„Wir sind alle gleich“, bestätigte Rhan, der Älteste der Runde. Dann wandte sich Dongard dem wichtigsten Mann im Raum zu.
Der rundliche König am Tischende wirkte völlig fehl am Platze. Nicht minder Prächtig in seinem purpur Gewand, dem flauschigen Kragen aus dem weissen Fell von Füchsen verziert. Verglich man ihn jedoch mit seinem eleganten Hofstab, so war er grob, unverblümt ausgedrückt, ein Fettkloss. Dabei unterstützte ihn bedauerlicher Weise seine mindere Grösse. Als er von seinem gepolsterten Thron aufstand um den letzten im Bunde zu begrüsse, reichte er Dongard kaum ans Kinn. Dennoch war der König, gerade weil er eine herzliche Menschlichkeit ausstrahlte, bei seinem Volk so beliebt. Kein anderer vorheriger Herrscher vor ihm, schüttelte seinen untersten Untertanen je die Hand, oder erhob sich zum Empfang. Umso tiefer versank Dongard in einer ergebenen Begrüssung vor seinem bescheidenen König. Diesmal hielt er seine Hände über seinen Kopf. „Eure Hand über Meine“, sagte er mit klarer Stimme.
„Wiewohl“, antwortete der König schnell. „Schön dass ihr da seid, Kommandant Dongard. Wie geht es unserer neuen Züchtung?“ Der junge Kommandant senkte seine Hände, blieb aber in seiner niederen Stellung. Da es erlaubt war den König anzusehen sagte er erfreut über das Interesse. „Eure Investition hat sich gelohnt. Sie vereinen Schnelligkeit und Stärke und zeigen gute Charaktereigenschaften. Nächstes Mal stelle ich ihnen gerne einen vor. Sofern sie es erlauben.“ Nachdenklich überlegte der König. Wobei er den Kopf anzog was ihm ein doppeltes Kinn verpasste. „Besser warten wir noch. Ich will eine starke Armee in Sicherheit wissen, bevor ich einen Teil davon präsentiere. Wer weiss wie mein Volk auf diese…“, er sprach es Bedenklich aus, „neue Art reagiert.
Hier für euch.“ Damit schob er Dongard ein sorgfältig gefaltetes Bündel über die polierte Tischplatte entgegen. Dongard quittierte es mit einem ungewollten Stirnrunzeln.
„Ha, ich sehe euren Unwillen an. Doch ich weiss um eure edle Herkunft. Kommandant Dongard ihr seid zwar kein Seher aber ich brauche eure Anwesenheit in der Zusammenkunft.“ Es klang Besorgnis erregend. Sofort wischte Dongard seine Bedenken weg und nahm seine neue Tracht entgegen. Sie war so weit geschnitten, dass der braune Mantel bequem über seine Kleidung passte. Ein schwarzes gezacktes Muster führte hinten wie ein Dreieck nach unten. Über den Schulten verengt und in geraden Bahnen fiel es nach vorn. Überrascht fassten Dongards feine Finger nach der kostbaren Gürtelschnalle. Obwohl der Mantel gegenüber seinen Genossen völlig schlicht gehalten wirkte übertraf dieser Gürtel aus Bernstein seine Erwartungen. Warm fühlte sich die genau verarbeiten Platten in seinen Händen an. Unglaubwürdig betastete er die kostbare Schnalle. Ein einzigartiger Opal, geformt zu einem Drachen, der je nach Lichteinwirkung von einem zarten leuchtenden grün zu Rot wechselte. Im Gegensatz zu den Anderen versteckte Dongard seine wertvolle Schnalle unter dem Mantel. “Vielen Dank eure Hoheit. Ich werde sie zu ehren wissen. Ihr hab einen exzellenten Geschmack was Geschenke anbelangt.“
Gutmütig lachte der König. „Was denkt ihr, weshalb ich so wenige Feinde habe? Doch gleichzeitig reisst es ein grosses Loch in die Staatskassen.“
„So schlimm wird es nicht sein. Das Volk unterstützt gerne den Frieden als im Krieg zu bluten“, lobte Rhan. Mit einem Stirnrunzeln sah ihn der König an. „Deshalb seid ihr alle hier. Um das Gleichgewicht zu halten. Wenn ich meine obersten Berater öffentlich Einberufe, bricht gleich Unsicherheit im Volk aus.“ Mit seinen kurzen Beinen stapfte der König bereits zum Ausgang. Sofort beeilten sich die paradierenden Diener den schweren Vorhang auf die Seite zu ziehen.
„Ist diese Heimlichtuerei wirklich nötig“, meldete sich der blasse Elf aus dem Norden, seine Bedenken.
„leider ja“, gab der König ohne sich umzudrehen zu wissen. „Denn diese Gefahr nähert sich nicht von ausserhalb.“
Diese Information verwirrte seine Begleiter. Bevor sich noch jemand meldete mahnte der König ungewöhnlich schroff, „Still jetzt. Seid nicht so ungeduldig. Die Wände haben mehr Ohren als man Erwartet.“
Schweigend folgten seine Anhänger. Seine Hoheit watschelte mühsam die Stufen hoch. Würdevoll, seine Hände hinter dem kurzen Rücken verschränkt als wollte er demonstrativ zeigen dass er sie nicht brauchte um sich an den Wänden abzustützen. Obwohl er mehr denn je so einer Kugel glich, die jederzeit unkontrolliert aus der Bahn zu werfen drohte. Bis zum Ende des Turmes. Durch eine unbewachte Tür schlüpfte er geschickt hinaus auf einen schmalen, unbedachten Gang. Hoch oben auf einer Mauer wo sonst nur tagsüber Wächter patrouillierten. Besorgt folgten seine Elfen dicht hinter ihm während er mit seinem schwankenden Gewicht völlig gelassen an den Schiessscharten vorbei spazierte und sich gelegentlich mit einer Hand orientierte. Nacht herrschte. Funkelnde Sterne leuchteten zuhauf und der schmale Mond verstreute nur einen matten Glanz über den gewaltigen Hof. Der Burgfriede thronte selber auf einer hohen Felsnase. Weit unten, fast einen Kilometer entfernt begann das südliche matt beleuchtete Reich der vielen Handwerker. Die reichsten Bürger bevorzugten selber die nördliche, erhöhte Seite. Nicht nur, weil hier oben die Kasernen von der Armee standen, sondern weil hin und wieder Brände in den Heimwerkerständen ausbrachen.
Von den eckigen Zinnen oben hatte der König eine weite Aussicht über das flache Land, das den umliegenden Bauern gehörte welche grösstenteils die Stadt ernährten. Auf einmal stand der König still. Blickte auf seine kaum erkennbaren Felder hinaus und holte hörbar tief Luft. Glücklich meinte er, „Was gibt es schöneres. Werfen wir doch mal zum Spass einen Blick in die Zukunft.“
Eine sanfte, würzige Brise von Wildblumen wehte ihm entgegen. Seine kurzen gestutzten, dunkelblonden Haare hielten die goldene kostbare Krone fest. Nun besorgt um sein Gleichgewicht rückten die Elfen näher, doch keiner wagte seine Hand auszustrecken. Denn auf der Rückseite, von einem knappen halben Meter, gab es keinen Halt der einen Sturz in den Burghof bremste.
Überhaupt weshalb benahm er sich auf einmal so unbekümmert. Fragend sahen sich die Kommandanten an. Empfingen mehr Schwingungen über ihre Gefühle als sie mit blossen Augenkontakten lasen. Sie waren nicht fähig exakte Wörter zu übermitteln aber Gefühle und Bilder konnte man einfach heimlich Austauschen. Höchstens bei wichtigen Missionen sandten sie sprechende Träume an ihre Verbündeten. Doch dazu musste man sich konzentriert in Trance versetzten. Nur so einfach stumm zu reden, dass gab es höchstens zwischen langjährigen Freunden.
„Was ist? Freut euch! Wir können dieses Jahr die Steuern gleich halten. Keinen Streik seit Jahren, unsere verschuldeten Sklaven arbeiten fleissig, und wir haben alle genug zu Essen. Es ist fast langweilig eine Macht zu leiten“, schmunzelte der König.
„Na, klar. Deswegen schauen wir auch mal ohne Druck auf unsere Zukunft. Wir dürfen schliesslich nicht zu nachlässig werden“, stimmte Dongard fröhlich mit ein. Versetzte dabei zusätzlich seinem nahe stehenden Elf einen kollegialen Schlag auf die Schultern. Der zuckte auf den gut gemeinten Hieb heftig zusammen. Drei verwunderte Gesichter starrten nun zu dem neuen infizierten Verrückten. Als sie nur ein übermütiges Grinsen ernteten dämmerte es ihnen langsam, dass das ganze Schauspiel eine Täuschung für die neugierigen Wachen im Hof unten war. Damit sie beim fleissigen Tratschen in der Wachstube nicht den wilden Vermutungen nachhingen, was dieser merkwürdige späte Ausgang bedeutete. Auf einmal lachten sie alle mit einander los, aber es klang nicht sehr echt. Wenigstens nicht für die Ohren Dongards. Er schmunzelte heimlich über seine Blutsbrüder die sich echt schwer gaben mit Täuschungen. Genau deshalb waren Elfen in den obersten Rängen beliebt; sie waren unbestechlich in ihrem Ehrenkodex und absolut ehrlich.
Gemütlich schlurfte der König vorwärts. Sofort konzentrierte sich sein besorgtes Gefolge auf seine wackeligen Schritte. Als sie den nächsten Wehrturm erreichten atmete die hintere Eskorte fast hörbar auf. „Ich weiss, ich sollte mal eine Diät anfangen. Ihr werdet mich bestimmt dabei unterstützen, Rhan, nicht wahr?“ Vorsichtig stieg der König eine tiefer gelegene Stufe ins Dunklere Gemäuer hinein.
„Gewiss, eure Hoheit. Ich leide dann sogar mit euch.“
„Ihr“, meinte der Herrscher erstaunt. „Behaltet diese knapp bemessene Reserve. Ein gut genährter Krieger schafft mehr Eindruck als eine dürre Bohnenstange. Was soll das Volk denken sähe es nur Knochen von meiner Garde.“ Diesmal leuchteten ein paar wenige Fackeln auf dem Weg nach unten. Sofort lag eine veränderte Schwere in der Luft. „Bestimmt bevorzugen die Frauen auch ein gewisses Mass“, meinte der König lachend weiter. Liess einen Rhan vorbei, der die Augen verdrehte. „Ich bin seit Jahren glücklich verheiratet“, gab dieser als Erinnerung zu wissen. Öffnete den nächsten dunkelblauen Vorhang damit sein König ungehindert eintrat.
„Gewiss, aber es tut trotzdem seinem Stolz gut, bewundert zu werden. Dongard lässt sich das auch gerne gefallen“, meinte der König mit einem bewundernden Blick auf die tadellose Erscheinung. Jeder Fremde, liesse man die Krone verschwinden, hätte Dongard in seiner stattlichen Erscheinung für den wahren Anführer des Landes gehalten. Geschmeichelt, dass er wieder im Mittelpunkt stand lächelte Dongard bescheiden zurück. Die nächsten Worte von seinem König versetzten ihn aber einen unverhofften Stich. „Ich frage mich wann gelingt es wohl einer Frau ihn einzufangen. Wie makellos muss sie sein, dass sie seinen hohen Ansprüchen zu Ehren reicht?“ Diesmal stimmten die Elfen mit einer gewissen Unruhe mit ein. Sie alle samt waren Verheiratet. Es war schon merkwürdig, dass das Elfenblut in Dongard, ihn nicht drängte eine Gefährtin zu suchen.
„Mein König“, versicherte der ungern Bedauerte, „Meine ganze Aufmerksamkeit gehört im Moment meiner speziellen Arbeit. Sobald mir der Erfolg auf Dauer sicher ist, halte ich für diese nächste, schwierige Aufgabe meine Augen offen.“ Erleichtert sich Gerettet zu haben stellte sich Dongard rasch in den Hintergrund. Arrangierte Ehen waren am Hofe zwar Seltenheit. Doch Junggesellen oder alleinstehende Frauen waren auf lange Zeit unbeliebt. Mit seinen ledigen fünfunddreissig Jahren forderte Dongard längst die Schmerzgrenze des geduldigen Königs heraus. Einzig allein, dass er halb Elf war schützte ihn vor einer Zwangsmassnahme. Da Elfen als sehr feinfühlig galten durften sie vorbehaltlos ihre Partnerin fürs Leben selber bestimmen.
Die Gruppe empfing einen halb verdunkelten Raum. Seine Fassungsvermögen war dasselbe wie der Empfangsaal und doch glich er ihm in keiner Weise. Im stumpfen Licht der Kerzen schimmerte er wie ein düsteres Labor. Vollgestopft mit Ampullen, und Reagenzgläsern dessen Inhalt fürs nächste Experiment kalt vor sich hin wartete. Alles sauber, doch für eine Laien chaotisch auf den Tischen, mit einander verbunden. Sechs Tische standen im finsteren Raum. Ein schmaler Durchgang führte zum siebten runden Haupttisch der fast die hintere Wand berührte. Mehrere dicke, weisse Kerzen, aufgespiesst auf einem schweren Kronleuchter, hingen weit über Kopfhöhe. Mehrere Spiegel reflektierten das Licht geschickt auf die, mit einer alten ausgebreiteten Landeskarte, besetzten hölzernen Tischplatte. Hinter dem Lichtpegel, aus dem Schatten, trat auf einmal eine ältere Frau hervor. Schlicht in geheimnisvolles violett gekleidet. Dunkelbraune Haare flossen ein weichen Strömen weit den Rücken hinunter. Viele kleine Falten um ihre dunklen ausdrucksvollen Augen verrieten ihr fortgeschrittenes Alter. Als sich ihre Gäste näherten hoben ihre rissigen Hände, gezeichnet vom Umgang mit gefährliche Säuren, ihren Rock und verneigte sich gebürtig vor ihrem König. Für die Elfen reichte ein Ehrfürchtiges Nicken.
Der König gab das Startzeichen. „Gut. Beginnen wir mit der Zeremonie!“.
Während sich die Elfen um den Tisch verteilten, setzte sich der König in eine abgelegene Ecke auf eine kühle Marmorbank nieder. Winkte dem abseits stehenden Dongard zu sich. Heimlich schätzte dieser mit seinen wachsamen Augen zuerst die Stabilität der Marmorplatte ab ehe er sich hinzu setzte. Stumm warteten sie ab, bis sich die reinrassigen Elfen in Trance versetzten. Im Kreis angeschlossen die Seherin. Als einzige Stützte sie ihre Hände auf dem Tisch ab. Ihre Kollegen liessen die Arme locker auf den Seiten. Jeder suchte für sich seine innere Energie zu Wecken. Dann auf einmal hoben sie ihre ausgestreckten Arme, jeder in seinem Tempo. Die Handfläche berührte kaum diejenige des Nachbarn. Dann setzte sich die Seherin, damit der Kreis sich aussen herum schloss. Hörbar knisterte die Luft in dem geschlossenen Raum. Die Temperatur erwärmte sich spürbar. Der König fand einen alten leicht staubigen Fächer auf dem Fenstersims und bewegte sich damit emsig Abkühlung zu. Weder Dongard noch er wagten das nahe Fenster einen Spalt zu öffnen.
Langsam holte die Frau ein verborgenes Bündel Karten aus ihren weiten Rockfalten. Ein hauchdünnes schwarzes Seidentuch schützte die seit Generationen vererbte magische Kostbarkeit. Sorgfältig hoben die knochigen Finger der Besitzerin die Ecken auseinander. Auf einmal wankte der zweitälteste Elf. Fing sich jedoch wieder rasch. Überrascht sahen sich die Abseits wartenden an. „Das bedeutet wohl Ärger,“ flüsterte der König besorgt. Flink mischte die Seherin die alten, stark gebleichten Karten. Legte sie konzentriert lange nachprüfend aus. Zögerte, verbesserte sich, die Hand noch in der Luft schwebend und vollendete sicher, ein anderes Muster.
In dem Moment stockte der jüngste Elf. Sein Arm zuckte wie nach einem Schlag zurück. Krümmte sich zusammen und trat hastig aus der Runde. Als nächstes folgte schon Rhan, erschrocken griff er nach seiner Stirn. Das magische Feld brach abrupt ab. Ihre Atmungen gingen viel zu schnell, nach so einem abrupten Ende. Neben dem keuchenden Atem kehrte eine entspannte Ruhe ein. Man verarbeitete das entdeckte.
„So schlimm“, haucht Dongard, nach vorne tretend.
Einige Elfen nickten, doch der älteste Rhan hob widersprechen schüttelnd seinen Kopf. „Wir haben Glück im Unglück“, krächzte er erschöpft. Im Gegensatz zu den anderen dauerte es bis er sich erholte. Dabei stand sein Erfahrungswert am Höchsten. „Ich sehe noch die schwarze Wand vor mir“, gab er mühsam zu verstehen. Stütze sich dabei mit den Armen auf den Knien ab. Steckte dabei seinen Rücken gerade so, dass niemand seine wahren hundertdreissig Jahren anmerkte. Von den Menschen sollte keiner ahnen wie alt die Elfen in Wirklichkeit wurden.
„Langsam, beginnt von vorne“, verlangte der König. Sein Blick viel auf die bekümmerte Seherin die ihre Lippen schmal aufeinander presste. Ihre Hände legten sie an die gerunzelte Stirn. Dann fielen sie aufgebend auf die Karten hinunter.
„Wir sind zu spät“, sagte sie verzweifelt. „Sie haben ihr Schema geändert. Normalerweise nutzen sie den Vollmond damit sie besser sehen. Diesmal“, sie blickte vielsagend in die Runde. „...ist dieser jemand schon hier!“
Vor diesem Schock schlossen einige die Augen. Der König selber stemmte seine Arme in die ausgedehnten Hüften, schnappte nach Luft und drehte den anderen kurz den Rücken zu damit sie sein besorgten Schmerz nicht mit bekamen. Er mummelte etwas wie ein obszöner Fluch, was verriet aus welcher Gesellschaft er ursprünglich stammte. Könige wählte das Volk und es war egal aus welcher Schicht man stammte.
„Also“, ein trockener Finger strich über eine auf dem Kopf stehende Karte mit einem abgebildeten silbernen Vollmond. „Er oder etwas ist heute angekommen. Bei mir liegt dies noch im Ruhestand. " Eine Bedenk pause folgte. „Sein Ziel ist unsere Stadt. Suche nach ...bei dieser Karte habe ich gezögert… Mir ist als ob sie zweimal hier liegen sollte. Gold zu Gold ? Kann jemand damit was anfangen?“
Verstehende Blicke tauschten die Elfen unter einander aus. Der zweitälteste begann. „Die Person selber trägt Gold mit sich.“ Die Elfen schmunzelten unter einander. Rhan erklärte, „Wir haben ihr Haar im Sonnenlicht gesehen. Es glänzte golden. Diese Rarität gab hat es einst nur im alten Volk. Vor Jahrhunderten. Jetzt wissen wir endlich genau woher diese schwachsinnigen Irren kommen.“
„Ihr, sie “, hakte Dongard unglaubwürdig nach.
„Ja.“ Erzählte der Mittlere weiter, „Diesmal haben sie tatsächlich eine junge Frau geschickt. Nur scheint sie völlig normal zu sein. Keine der letzteren geistig Verwirrten.“ Der König donnerte dazwischen, „Schlimmer für uns. Wenn sie schon da ist, hat sie einen vorteilhaften Vorsprung. Es wird schwieriger sein sie zu fangen!“
„Nach meinem ersten Unterbruch, Ja. Sehr sogar. Ich habe eine Explosion gesehen die nur eine verbotene Waffe ausrichtet.“ „Kann schon sein“, meinte der Jüngste, „Bei mir sah ich sie schon Verletzt. Schmerzhaft verletzt.“ Er rieb sich seinen Unterarm. „Eine grosse Baumkatze hat sie angesprungen. Dabei schmeckte ich sogar Blut.“
Rhan schüttelte den Kopf. Zum Glück bändigte ein silbernes Band seine langen, geraden Stirnhaare am Hinterkopf. „Da war vorher ein merkwürdiger Schild. Kaum wahr zunehmen. Aber es gab eine unbedeutsame Verzerrung in der Zeit, bevor sie sich in den Dschungel stürzte. Trotz allem war sie sehr zäh. Sie hat gelitten. Lag nahe am Ende Ihrer Kräfte. Sie hat die erste Attacke der Baumkatze überlebt. Aber beim Wasser ist die Gefahr zurückgekehrt. Überstürzte Flucht und dann ein verheerender Schlag. Alles ist dunkel geworden und die Verbindung abrupt abgebrochen. Das Bedeutet nur eines...“ Er holte tief Luft um die bedeutsamen Worte zu unterstreichen. „Aussetzender Herzschlag.
Meine Herrn unsere Mission hat sich von selbst erledigt. Das erste mal. Suchen wir also nach den verbliebenen Überresten. Vielleicht bringen wir diese moderne Erfindung endlich erfolgreich in unseren Besitz und forschen mal zu unseren Gunsten nach.“
Erleichtert beglückwünschten sich die Herren. Nur die Seherin und Dongard zweifelten am schnellen Urteil. Ihre Blicke fingen sich auf. Beides Personen mit beschränkteren Fähigkeiten, verbündet. Dongard meldete sich als erster. Seine schneidenden Worte durchbrachen die schnatternde sorglose Menge, wie ein Schwert durch weiche Butter. „Gold zu Gold.“
Die Runde erstarrte. Erinnerung quälte sie erneut.
„Diese Besuche sind noch nicht zuende. Jetzt wissen wir was sie suchen. Gier war schon immer das verdammte Verhängnis der früheren Nationen. Jeder wollte die überlegenere Macht besitzen. Es ist noch nicht zu Ende. Ich fühle es in meinen Knochen. Ich bin froh, dass ich dabei sein durfte“, sagte Dongard dankbar zum König, „Was ihr so einfach wegtut sehe ich voraus. Meine Gedanken schmerzen.“ Dongard versank im Sinnen. Er ahnte, dass etwas bedeutsames auf ihn zukam. Ihn allein persönlich. Gleichzeit warnte ihn ein schwacher Faden darüber zu sprechen.
„Ich verstärke meine Wachen.“ Er wollte sich abwenden, wandte sich dennoch einmal um. Seine Kollegen standen fragend da. Einige erstaunt, andere mit gerunzelter Stirn. Was wollte schon ein Melf wissen? Ein minderwertiger halber Mensch. Ein Unvollkommener!
„Kann es nicht sein, dass zwei Leute durchs Tor gekommen sind? Ihr habt nur einen Verfolgt? Oder es ist schon ein zweiter los geschickt?“
„Unmöglich“, klemmte Rhan ab.
„So etwas fühlen wir“, rutschte dem Jüngeren in einem überlegenen Tonfall heraus. Da er keinen strafenden Blick erntete, hoffte er davon zu kommen. Aber die ausdruckslosen Augen des Ältesten in seine Richtung verhiessen schlechtes.
„Gold zu Gold“, wiederholte die Seherin Nachdenklich. „Was ich sehe trifft auch ein! Irgendwann !“
„Bei Gott“, rief ein verzweifelter König. „Wie soll da ein gewöhnlicher Mensch vernünftig entscheiden. Suchen wie endlich das verdammte Ding.“ Damit drehte er sich, für sein Gewicht, erstaunlich schnell herum. Sofort eilten besorgt die Elfen an seine Seite. Für sie war es undenkbar wie man mit so einer massigen Fülle sich überhaupt bewegte. Zurück blieb ein zögernder Dongard. Dann warf auch er seine unerklärlichen Bedenken weg und folgte der Gruppe aus dem Turm.
Keiner entdeckte das wissende Lächeln der Seherin, welche die letzte Karte vom Stapel abhob. Ihr Zögern vorhin bei der Messe hätte eigentlich fast verraten, dass dies Geheimnis bewahrt werden sollte. Es lag ja noch so viel in der Ferne. Entschlossen legte sie die eine Karte die an zwei Stellen sein sollte in den Kreis. Zeit spielte in diesem Fall keine Rolle.
Abschliessend folgte das verdeckte Blatt neben das Gold. Mit zittrigen Fingern drehte sie es vorsichtig um, als würde sie sich daran verbrennen. Ihr Atem stockte. Was sollte sie davon halten? Es verhiess so viel und so wenig als sie auf den flachen bedruckten Magier hinunter blickte. Schelmisch lächelte dieser zurück.
Maxim
Maxim war alles andere als ein Magier. Er bezeichnete sich wohl am ehesten als ein Ausgestossener. Seine schreckliche Kindheit verbrachte er in verschiedenen Versuchslaboren und häufig war er selbst das Opfer der Experimente. Bis er sieben Jahre alt wurde, litt er seelische und körperliche Qualen unter der erfinderischen königlichen Kommission. Danach verlangten einige höher Gestellten seinen erlösenden Tod. Niemand wollte jemanden mit seinem entstellten Gesicht auf die öffentliche Gesellschaft loslassen. Das Volk wusste zwar von harmlosen Experimenten, hatte selber darüber in einem gewissen begrenzten Rahmen die Zustimmung bewilligt, doch im geheimen Labor herrschten ganz andere eisige Regeln. Maxims zugefallenes Los war das eines willenlosen Sklaven der niemals das Wort Freiheit kennen lernen sollte, geschweige denn aussprechen konnte. Man akzeptierte ihn nie als Gleichgestellten, dabei war er in vielen Sachen sogar viel intelligenter als manche ungebildeten Bauern. Seine angeborenen Fähigkeiten stellten die ausgebildeten, diplomierten Jäger des Königreiches in den tiefsten Schatten zurück. Einerseits ein fataler Fluch, da man ihn so für zu gefährlich hielt. Wiederum ein Segen, da seine hervorragenden Talente seinen Betreuer erweichen ließen. Ein zukünftiger junger Arzt der, als man damals Maxims Todesurteil in der Versammlungshalle aussprach, ihn durch die Lüftungskanäle nach draußen schmuggelte. Kurzfristig organisierte der junge Praktikant in letzter Sekunde die Flucht und stellte alles bereit. So, dass der siebenjährige Junge es schaffte allein zu fliehen. Danach unterzeichnete der Praktikant ein wenig verspätet, gemeinsam mit seinen konservativen Kollegen das grausame Urteil, um später nicht als Mittäter in Verdacht zu geraten.
Der Junge selber begriff anfangs kaum was geschah. Zwar wollte er weg von den ewigen Schmerzen, die ihm andere mit vollen Absichten zufügten. Doch er kannte kein anderes Zuhause als das saubere, sterile Labor. Es war für ihn ein fürchterlicher Schock, als er das erst Mal vor einem stinkenden, alten Esel stand. Nur mit grosser Überwindung legte er seine Angst vor diesem Ungeheuer ab.
Lächelnd dachte nun ein erwachsener Maxim zurück an seine erste Begegnung mit einem so einfachen Arbeitstier. Vom sauberen Labor her kannte er höchstens den Umgang mit den Laborratten. Ein Esel, der nach Schweiss und Staub stank, sprengte seiner Vorstellungskraft was er sich Ausserhalb der Laborräume je erträumte. Wie schwierig war es gewesen, bei dem angebundene Tier nur den Strick zu lösen. Eigentlich hatte ihm der Arzt dringend angeraten zu reiten. Dafür schnallte er dem Esel sogar extra einen Kindersattel auf. Doch für den alles neuen Maxim war es unmöglich gewesen ans reiten zu denken. Steckte er doch zudem in einer viel zu weiten, unangenehmen Kutte. Unscheinbar und getarnt seine sonst auffällige Gestalt auch noch in der dunklen Nacht. Er kämpfte mit den zu langen Ärmeln und versuchte zudem ausserhalb von der Reichweite des Eselhalses zu sein. Zu seinem Unglück hatte die Führleine kaum einen Meter gemessen. Mit Tränen in den dunklen Augen hatte er am Strick gezerrt. Gehadert mit sich selber ob er nicht besser in sein warmes Bett zurückkehren sollte. Zum Glück blieb sein Mut aufrecht. Sobald er den Esel losband brauchte er das alte, sanftmütige Tier kaum zu ziehen. Mit Hilfe eines Magnetischen Spielzeuges schaffte er es in der ganzen Nacht in eine Richtung zu laufen. Er sollte reiten, aber er schaffte es nicht einmal das sonderbare Tier neben sich anzufassen. So rannte er mit seinen langen Beinen um den Zeitplan einzuhalten. Immer die mahnenden Worte seines Freundes in Erinnerung.
Niemand hatte bis dahin den kleinen Maxim rennen sehen. In den Labors wurde es strengstens verboten. Nur sein Freund trieb ihn an, heimlich zu trainieren. So schaffte Maxim eine Distanz, indem ihn keiner der suchenden Wachtsoldaten vermuteten. Es war die schrecklichste Nacht in seinem Leben gewesen. Zum ersten Mal unter einem endlosen Sternenhimmel zu wandern. Vom Labor her kannte er überall gegebene Grenzen, einengende Räume, lange Korridore und künstliches Licht über das einzig ein Mensch Macht besass, es anzuknipsen. Die hohen unerreichbaren Sterne sprengten alle bisherigen gekannte Dimensionen. Erst Recht der ständig veränderte, unendliche Weg. Über Steine im Dunkeln zu stolpern und sich vor jedem unbekannten Geräusch zu fürchten war ihm bisher fremd. Niemand durfte ihn sehen. Niemand mit ihm sprechen. Auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft die irgendwo in den verlassen Teil eines Sumpfes führte.
Heute stand er wieder alleine in der Dunkelheit. Diesmal ziemlich zuversichtlich. Sein feiner ausgeprägter Geruchssinn und mit dem aussergewöhnlichen Gehör machte er sich die Nacht zum Verbündeten. In den letzten Zwanzig Jahren hatte er zu genüge gelernt mit seinen, dem gewöhnlichen Menschen, weit überlegenen Talenten, unentdeckt mit den nächsten Nachbarn zu leben. Im feuchten Sumpf hatte er sich eine robuste Holzhütte gezimmert, welche die Feuchtigkeit abhielt und im Winter behaglich wärmte. Zwei Jahre brauchte er bis seine Geschicklichkeit so weit ausgereifte, dass er ganz alleine eine provisorische Hütte herstellte. Weitere schweisstreibende Jahre hatte es ihn gekostet bis er sich das Wissen aneignete um den Ausbau so vollkommen abzuschließen, dass sie sogar einem mächtigen Sturm standhielt. Im Frühling oder Herbst war dies absolut nötig um nicht plötzlich ohne gelagerte Lebensmittel dazustehen. Dank seinem braven Esel transportierte er alles Baumaterial durch den teilweise knietiefen Morast. Erst in den letzten Jahren hatte er eine Verbesserung der Wasserqualität festgestellt. Über dem abgesetzten schweren Schlamm bildeten sich immer grössere, klare Wasserstellen. Dem hatte er nachgeholfen. So tummelten sich an den tieferen Stellen neben den unzähligen Kröten sogar ein paar grössere Fische. Ganz selten besuchte ihn ein Silberreiher. Die Verscheuchte er, weil er keine Konkurrenz in seiner Speisekammer duldete. Sein treuer Esel starb bedauerlich schon vor einigen Jahren. Seither vertiefte sich seine Einsamkeit. Die Langeweile verleiteten ihn öfters die nächste Siedlung zu beobachten um das Verhalten „Mensch“ genauer zu studieren. Allerdings überlegte er es sich zweimal, ob der anstrengende Fussmarsch, von über drei Stunden, es wert war. Ungefähr ein Dutzend Mal riskierte er es sogar mit den bäuerlichen Bewohnern, Handel mit Tierfellen zu treiben. Selbstverständlich nur am späten Abend oder nachts. Mittlerweile hatte man sich an seine mit tiefer Kapuze verhüllter Gestalt gewöhnt. Anfangs eilten die misstrauischen Menschen rasch auf ihre Häuser zu als verfolge sie ein böses Übel. Überrascht stellte Maxim fest, dass nicht nur er sich vor Fremden fürchtete. Dabei liebte er es mit seiner Stimme zu Kommunizieren und nicht nur mit seinen kurzlebigen Haustieren zu plaudern, die bald in seinen Kochtopf wanderten.
Sobald er seine selbst gezimmerte Hütte verließ, verhüllte er sorgfältig sein Gesicht unter einer großen Kapuze. Es ermöglichte ihm gerade mal wenige Schritte voraus zu sehen, aber genauso verhielten sich auch traditionell die angesehenen, respektierten Bewahrer. Ausgebildete Leute die einen Eid ablegten hatten. Königliche Angestellte um bedrückten Menschen zuzuhören, Geständnisse oder Anschuldigungen abklärten und vor allem ein eisernes Schweigegelübte einhielten. Bewahrer lehrten und gaben gerne einen guten Rat weiter. Sie galten sogar in manchen Gegenden als wahre Glücksbringer. Sie reisten im Auftrag des Königs um in seinem weiten Reich Information zu sammeln, nach was für Verbesserungen das Volk verlangte. Also sogar sehr gerne gesehene Leute, die in einer schlichte Kutte reisten. Das kam Maxim sehr zu Gunsten. Am Abend wenn die kühle Dämmerung anbrach, verdächtige ihn niemand wenn er sein Gesicht im warmen Mantelfutter verborgen hielt. Vor wenigen Tagen wagte er einen neuen Besuch zu einem entfernteren Nachbarn. Dieser hatte ihm verraten, dass eine Rübenernte bevorstand und er sich um tierische Schädlinge sorgte. Leise schmunzelte Maxim vor sich hin. Er zählte sich danach selber zu den Schädlingen. Denn seine Neugierde verleitete ihn, später in der Nacht, von diesen besagten Rüben zu probieren. Schon nach der zweiten, gepflückten Karotte merkte er, dass man besser die orangenfarbigen Wurzeln ass als das grüne Kraut oben. Es gab noch so vieles zu entdecken. Als er ziemlich spät in sein kleines Haus im Sumpf zurückkehren wollte, lief ihm zudem dieses herrliche Pferd über den Weg. Reiterlos war es förmlich über den Boden geflogen. Fast unhörbar, leicht wie eine schwebende Feder. Fasziniert von diesem Traum wollte Maximilian nur noch eines, dieses edle Tier einfangen. Sein erster Esel war schon lange begraben. Er hatte es nicht übers Herz gebracht sein Fleisch zu verwenden. Dafür hatte er sogar den leblosen Körper, bis aufs Festland gezogen um ihn würdig unter Steinen zu begraben, wie er bei den Menschen abschaute. Jetzt kam ihm ein neues Reittier gerade recht. Wenn es auch nur ein leichter Flieger war. Flieger gehörten zwar ausschließlich zu den Vorreitern der königlichen Soldaten. Diese schlanke Rasse züchtete man für eilige Botengänge. Es wunderte allmählich Maxim, weshalb in letzter Zeit so viele in Richtung Berge verschwanden. Diese dünnen Tiere waren geeignet für flaches Gelände und weniger für die unwegsamen, verwitterten Waldpfade die in die Berge hoch führten.
Nördlich von seinem bescheidenen Haus waren die Siedlungen. Östlich von seinem Sumpf endeten die Ausläufer eines riesigen Urwalds. In der Regel reisten die Händler großzügig westlich um sein unwegsames Gebiet herum. Niemand nahm den kurzen Weg zwischen Sumpf und Urwald auf sich. Jedenfalls niemand mit Gepäck und Wagen. Doch die Flieger hatten sich geradewegs mutig ins Grenzgebiet gewagt. Blieb die brennende Frage; wozu dieses unnötige Risiko? Gerne untersuchte er diese Sache genauer. Als erfahrener Jäger wusste er natürlich wie man in seiner erforschten Gegend unsichtbar blieb. Überraschender Weise lohnte es sich doppelt, der einmaligen Stute zu folgen. Denn dabei fand er nicht den dazugehörigen königlichen Reiter sondern einen anderen kostbareren Anblick.
Was hatte diese seltsame junge Frau allein in diesem dichten Urwald verloren? Ohne Zweifel suchten auch die Soldaten nach etwas. Was gab es auf einmal so wertvolles hier, in der unbewohnten Gegend? Früher plante er einmal sich in den bergigen Hängen nieder zu lassen. Aber dort oben boten sich weniger geeignete Verstecke. Im Sumpf bewegte man sich ungestört vor fremden Blicken. Dort oben streiften bei schönem Wetter immer ein paar verstreute Wanderer umher. Manche übereifrigen Städter verliessen sogar die vorgetretenen, sicheren Pfade. Zunehmend suchten häufig Geschichtenerzähler nach Inspiration in den abgelegenen Dörfern. Sammelte die alten Sagen und Mythen ein um sie als ein neues Bühnenstück in der Stadt aufzuführen.
Diese eigenartige Frau gab ihm jedoch wunderliche Rätsel auf. Bestimmt gehörte sie nicht zu diesen Märchenspinnern. Allein ihre einfache Kleidung verriet was anderes. Erst Recht das schlichte Gepäck bereitete ihm zunehmend Sorgen. Wie konnte sie ohne unterstützende Begleitung, ohne Paktier es wagen so schutzlos den gefährlichen alten Wald zu durchqueren. Dieser Urwald beherbergte fleischfressende Raubtiere die es riskierten unachtsame Menschen anzugreifen. Vor den schwarzen Dschungelkatzen fürchtete er sich sogar selber, sollte er nach Anbruch der Dunkelheit unterwegs sein. Da er viel über ihre Jagtstrategien wusste, hielt er sich nachts von den Bäumen fern. Nur so war gewährleistet, dass ihm keines dieser hungrigen Tiere in den ungeschützten Nacken sprang. Sogar er mit seinen hochsensiblen Sinnen war nicht gegen die hinterlistigen Attacken gefeit. Doch diese leichtsinnige Frau wanderte sorglos tagsüber unten den dichtesten Stellen hindurch. Wusste sie denn gar nichts?
Maximilian merkte rasch, dass es sich tatsächlich um eine komplette Närrin handelte. Alleine schon wie sie sich das Tagesmenü aussuchte. Wenigstens sah er einen Funken Verstand, als sie mit Mass von den grünen Blattkäfern speiste. Ihre Erschöpfung war sichtlich.
Stadtmenschen, dachte Maximilian verächtlich, was taten sie auch hier draussen wo sie sich nicht zurechtfanden. Schmutzig und Stinkig. Wenn der Wind ihm entgegen blies bemerkte er in einem Kilometer Entfernung den typischen Schweissgeruch. Beinahe körperlich spürte er ihre zunehmende Erschöpfung. Schade nahm sie keine grössere Dosis von diesen grünen Käfern. Diese Blattlaus hatte einen aufgeblähten, weichen Körper dessen Inhalt süsslich schmeckte. Nachteilig wirkte dieser Nektar bei kleinen Vögeln wie eine vorübergehende Betäubung, bis hin zu längeren verwirrten Fasen. Wäre sie erst einmal richtig weggetreten, hätte er ihr leicht helfen können. Mit dem richtigen Schubs, auf den kürzesten Weg nach draussen um leiten. Hier in diesem dunstigen Element wirkte sie völlig überfordert. In ihrer jetzigen, zweifelnden Stimmung hielt er es für wenig Angebracht vor ihr zu erscheinen. Er roch bereits ihre ersten Anflüge von Angst. Die Art wie sie sich unerwartet Umdrehte. Sie schien exzellent zu sehen, nahm den geringsten Flügelschlag wahr. Zuckte zusammen, jederzeit bereit zur Flucht. Entschied innert Bruchteilen, dass keine ernste Gefahr vorhanden sei und verharrte dann eine Weile in einer lockeren Position bis der Herzschlag sich wieder beruhigte. Nein, mehr Beunruhigung brauchte diese junge Frau gewiss nicht. Schon gar keine Geheimnisse sollte er sich überwinden offen an ihre Seite zu treten. Die nächste Nacht war schon so zu unheimlich für sie. Insgeheim hoffte er sehr, sie möge überleben. Denn selbst er wagte sich Nachts nicht von seinem sicheren Versteck hinunter um sie zu retten. Da musste sie selber durch.
Safina:
Irgendetwas verfolgte mich. Seit Tagen bahnte ich mir einen geraden Weg durch diesen wirren, von Menschenhand unberührten, Dschungel. Das Blattwerk oben hoch so dicht, dass kaum ein Sonnenstrahl den Boden unter meinen Füssen berühre. Man wanderte ständig im halbdunkeln. Gott sei Dank besass ich immerhin diesen verlässlichen Kompass. Mit einer Schnur band ich ihn an meinem schmalen Handgelenk fest, jederzeit griffbereit. Ohne ihn verdächtigte ich mich sonst immer im Kreis herum zu irren. Denn von diesen komischen Bäumen, halb Palmen, gab es hier eine unendliche Menge. So unendlich, dass ich manchmal am funktionieren meines Kompass zweifelte. Unsicher haderte ich ob es vorteilhafter wäre die Richtung zu wechseln. Wer wollte schon gerne einen ganzen Urwald in der ganzen Länge durchqueren.
Zugegeben, unerträglich war es zwar auch nicht aber die monotone Umgebung ängstigte mich schon in einem unsichtbaren Käfig gefangen zu sein. Wenigstens benötigte ich kein scharfes Buschmesser um den Weg frei zu hacken. Der feuchte, federnde Humusboden erlaubte hier keine riesigen Mammutbäume und zum Glück blieb ich auch vor kratzenden Lianen verschont. Dafür verabscheute ich die ständig durchnässten Schuhe, in denen sich ewige Kälte einnistete. Eklige Blutegel zerdrückte ich unter den Schuhsohlen bevor sie unter den Hosen mein Bein herauf krochen. Bis auf Kniehöhe war ich voll gespritzt mit faulendem, stinkenden Schlamm. So begrüßte ich jeden trockenen Untergrund genauso wie dünne faserige Baumwinzlinge, deren grüne saftige Sprosse ich schon mal als kleine Snacks bevorzugte. Unachtsamkeit büßte ich, indem mich abgestorbene oder geknickte Zweige grausam in eine ungeschützte Stelle bohrten. Einmal in einer Pause lehnte ich zwischen den ausladenden Wurzeln stehend an einen bemoosten Stamm. Auf einmal zuckte etwas um meine Schuhe. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich da eine graue, verzweifelte Schlange erspähte. Hektisch zappelte, ringelte sie sich um meine Schuhe, weil ich auf ihrem Schwanzende stand. Mit einem mächtigen Satz rettete ich mich zu Seite. Hinein in einen Busch mit klebrige Blättern. Auf deren Unterseite wimmelte es von weichhäutigen, grünen Käfern. Einige von diesen aufdringliche Viechern wanderten gleich frech auf mein Hemd hinüber. Sobald ich sie zwischen den Fingerkuppen hielt, platzen sie unter dem geringsten Druck auf. Es mag ja ekelig klingen, aber ich habe neugierig an einem Finger, mit der äussersten Zungenspitze, diese grünliche Masse probiert. Was fleißige Ameisen am Leben erhielt konnte ganz bestimmt nicht giftig sein! Zuerst angewidert, dann mit äusserstem Vergnügen schleckte ich meine angeschmierten Finger ab, die nach bitter-süssem Honig schmeckten. Einziger Nachteil, es wurde einem bereits nach ein paar Sekunden unheimlich schwindlig. Dieser unstabile Zustand dauerte einige Minuten an, danach fühlt man sich jedoch wunderbar leicht, geradezu schwerelos. Nachdem ich diese harmlose Droge entdeckte, angelte ich bei jedem dieser Büsche nach einer neue Portion. Wobei ich einfach darauf achtete die Genussmenge gering zu halten. Wer wollte schon versehentlich, im Rausch, einen mit Dornen bewaffneten Busch umarmen oder reinfallen? Ausserdem benötigte ich meine Sinne auf einem klaren Level, falls mich jemand Verfolgte. Oder war ich bereits dermaßen überspannt und litt bereits unter Wahnvorstellungen? Nervös blieb ich nach unregelmäßigen Abständen plötzlich stehen und lauschte in den Urwald hinein. Manchmal hörte ich ein leises rascheln. So als ob weiche Pfoten auf den Ästen über mir wanderten. Sobald ich lauschte, stoppten auch die geschmeidigen Bewegungen verzögert. Manchmal raschelte es für kurze Zeit seitlich irgendwo weiter. Eindeutig etwas grösseres als eine futtersuchende Maus. So verriet sich mir mehr als nur eine andere Existenz. Ach verflucht, warum hatte ich bloß meine geniale Waffe zurück gelassen? Weil ich einfach Angst davor besass, dass man sie einmal gegen mich richtete. Weshalb griff aber dieser Verfolger mich nicht einfach an? Schien jemand nicht genau zu wissen was er vor sich hatte? Darum diese kleine Gnadenfrist? Ein grausames Spiel, Vergnügen wegen meiner sichtbaren Angst oder schlichtweg mangelnder Hunger? Robazki hatte mich ja vor diesem Urwald gewarnt. Jetzt bereute ich es bitter nicht den längeren Umweg genommen zu haben. Wie lange noch bis zur nächsten Zivilisation? Wann die nächste Pause einlegen? Wie meine lästigen Verfolger los werden?
Zu viele Fragen. Zu viele lästige Gedanken die sich schlecht auf meine Unsicherheit auswirkten. Ertappte mich gar wie ich anfing an meinen gekürzten Nägeln tiefer zu knabbern. Verflixt wo blieb meine letzte Selbstkontrolle? Wohl zulange unter diesen Irren gewesen!
Dann ein völlig anderes Geräusch. Es zog in Ferne an mir vorüber. Vorüber? Was tat ich noch hier. Rasch schnellte ich auf die Beine und rannte diesem Beutetier nach. Jemand der so laut durchs Gebüsch hetzte, war garantiert kein jagender Feind. Jedenfalls hoffte ich das Beste. Schon nach hundert Metern entdeckte ich eine schmale, tiefe Spur im weichen Untergrund. Himmel, das waren Hufabdrücke. Sofort verwandelte ich mich in einen glücklichen Jäger. Angetrieben durch einen knurrenden Magen folgte ich der heissen Spur doppelt so schnell. Hastig bewegte ich mich vorwärts. So leise wie möglich. Entdeckte angefressene oder abgerissene Zweige auf meiner Kopfhöhe. Weisse lange Haare hingen ausgerissen am Blätterwerk fest. Meine von der Feuchtigkeit aufgeweichten Hände betasteten die feinen Beweisstücke. Aufgeregt krabbelte ich über umgekippte Baumstämme, welches diese wilde Tier federleicht übersprang. Nach diesen kleinen Hufspuren, die kaum den Umfang meiner inneren Handfläche ohne die Finger erreichte, sollte es die Grösse eines Hirsches haben. Schneller jagte ich vorwärts. Vergaß meine Furcht. Hunger bestimmte den Beginn der Jagdsaison.
Aufgeregt platzte ich durch ein verzweigtes Netz von Blättern. Im letzten Augenblick erkannte ich meinen fatalen Fehler. Vor mir öffnete sich eine kleine Oase. Spätes Sonnenlicht vom Nachmittag brach sich an den vier Meter hohen Felsen und tauchte hinunter in einen klaren Weiher. Seine Uferlinie reichte fast vor meine Schuhe. Im seichten Ufer stand ein überraschtes Tier da, das ich für einen Moment geblendet kaum erkannte. Außerdem raste ich beinahe in dieses Tier hinein. Warf mich reflexartig einfach auf den feuchten Boden. Schon wirbelte die ersten Schlammtropfen über mich hinweg. Ganze ausgerissene Uferbrocken von Dreck prasselten auf mich hinunter als das mutige Tier mit den Hinterbeinen nach mir ausschlug. Dann platschte es regelmäßig. Winzige Wassertropfen spritzten in meine Richtung. Liefen mir übers die bleichen Wangen. Zittrige Hände tasteten danach. Zwischen den dreckverschmierten Fingern perlten helle klare Tropfen hinunter. Rasch probierte ich mit meiner Zunge das Nass einzufangen. Es war herrlich. Süsswasser. Meine trockene Kehle lechzte danach. Diesmal mehr auf Sicherheit programmiert stand ich langsam auf. Spähte nach vorn über die herausgerissenen Kanten des Ufers hinweg. Da stand etwas unruhig hinten im Schatten der Felsen wo die Lichtstrahlen abblockten. Es schimmerte weiss. Da es sich harmlos verhielt stürzte ich vor zum Wasser. Treffender ich spulte voran. Denn auf dem feuchten Boden rutschte ich aus und mein geschwächter Körper landete wieder platt auf der Erde. Wie eine alte Schildkröte kam ich mir vor.
Warm und erdig im Geschmack, schlürfte ich später Wasser aus meinen gewaschen Händen. Wusch mein verschwitztes Gesicht, befreite meine Füße von den aufgeweichten Schuhen und kühlte die Blasen an den aufgeriebenen Fersen. Ausruhend, entspannt genoss ich den auspendelnden Tag. Erkundete mit den Augen mein neues Reich. Dieser Teich reichte mir an der tiefsten Stelle gerade mal an den Bauchnabel. Dennoch wagte ich noch nicht darin zu baden. Angesicht eines Unbekannten im Hintergrund hielt ich es klüger zu warten. Langsam sank die Sonne. Im mindernden Licht sah ich immer deutlicher was sich dort hinten an der Wand verbarg. Auf die Seiten des Weihers wagte ich mich nicht, da es hier dichte, dornige Büsche und kleinere, kantige Felsbrocken gab die diese Oase wie eine undurchdringliche Mauer schützten. Einzig der Pfad den ich benutze bildete einen Ausweg. Also verbarrikadierte ich ihn mit ausgerissenen, stabilen Ästen. Niemand sollte mir entkommen und schon gar nicht in mein neues entdecktes Reich eindringen. Ich besaß Sicherheit im Rücken und eine zukünftige Mahlzeit, welche ich gerade mit niemandem gerne teilte. Allerdings fehlte mir noch ein passender Speer um so eine Beute zu erledigen. Ein nach dem anderen. Zuerst einmal sehen um was es sich überhaupt handelte. Wegfliegen war für es schon mal unmöglich. Pluspunkte für mich.
Leider musste ich bald meinen knurrenden Magen enttäuschen. Zuerst dachte ich das Tier vor mir sei schmal, hochgewachsen wie ein Mensch. Das trog, denn der andere Teil steckte verborgen hinter dem Felsvorsprung. Es ist eindeutig ein Pferd, oder ein direkter Abkömmling davon. Aufmerksam späht es mit grossen, dunklen Augen zu mir herüber. Halb versteckt. Ruhig dastehend. Als ich feststellte, dass dieses Pferd keine Gefahr darstellte zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus und rutschte auf der Seite, wo saubere Ufersteinen lagen, hinunter ins knietiefe Wasser. In der Teichmitte streckte ich meine Arme seitlich aus und liess mich einfach rückwärts fallen. Unter meinen Füssen fühlte sich der kühle Untergrund angenehm an wie weicher Ton. Mit einem Sprung planschte ich nach hinten los. Tauchte ins warme, saubere Wasser hinein wo ich mit offenen Augen tauchte. Nur wenige Fische gab es hier. Das war schlecht für meinen grossen Hunger aber linderte meine Anspannung. Keine zwickenden Krebse, lauernde Krokodile oder blutgierige Piranhas. Also verabschiedete ich mich von der Horrorvision von einem gefährlichen Amazonasdschungel.
Es tat wohl meine verkrampften Muskeln zu dehnen. Zu drehen und winden wie ein Aal. Übermütig wie ein ausgelassenes Kind planschte ich herum. Zu meiner Freude trat auch das neugierige Pferd aus seinem Versteck. So entdeckte ich den gravierenden Unterschied zu seiner mir bekannten Pferderasse. Viel schlanker in den Gliedermassen. Kräftige, dünne Beine. Der schlanke tiefe Hals war kaum geeignet ihn jemals über den Rücken zu heben. Diese Pferdevision glich einem gestreckten Windhund. Einem zähen Windschatten den man reiten durfte, denn so viel verriet mir das sonderbare Sattelgebilde auf seinem Rücken. Anliegend, ein Minimum aus Leder geformte, gepolsterte Sitzfläche. Der leichte Sattel benötigte einen schmalen Schweifriemen um an seinem Platz zu bleiben und einen fast gewöhnlichen Sattelgurt. Vorne zierte ein schmales, dick gepolstertes Brustblatt mit einer weißen Platte und einer aufgezeichneten goldenen Krone. Ein dünner Halsriemen und Sattelriemen hielt alles an seinem Platz. Sobald ich mich gründlich wusch interessierte mich besonders die auffällige goldene Krone, welche wie ein Signal hinaus leuchtete. Das Ledergeschirr schien mir allein ein kleines Vermögen wert zu sein. Ein langes gerades Gesicht mit dunkelblauen Augen sah mich an. In kleinen weichen Schritten bahnte dieses…? Moment mal! Nachdem ich mich bückte, entdeckte ich den ersichtlichen Unterschied. Eine Stute also, näherte sich vorsichtig. Ein wenig unruhig scharrte, wühlte sie mit einem Huf den Untergrund auf. Beige färbte sich das Wasser. Hinter mir folgte genau so eine Spur nach dem ausgelassenen Herumtollen.
Es fehlte das Zaumzeug. Allerdings schien mir das Außergewöhnlich. Dieses Pferd war keines für einen frischen Anfänger. Es stand zu hoch im Blut. Gab es einen Überfall oder ein Unfall, dass der Reiter fehlt? Sobald ich nahe genug vor ihr stand streckte ich meine Hand entgegen. Sie drückte zwar den Körper weg doch der Hals streckte sich entgegen. Ich versuchte gar nicht den schlanken Hals zu tätscheln. Von früher wusste ich, dass misstrauische Pferde es weniger schätzten von Fremden gleich so vertraulich angefasst zu werden. Nur mit Geduld erreichte man am ehesten Resultate. Innert kürze schnappte diese Stute spielerisch nach meinem Arm. Sofort begriff ich, dass es nun um die Verteilung der Rollen ging. Sachte zupfte ich spielerisch an den feinen Tasthaaren. Das quittierte sie mit einem Rollen der Augen. Ich stellte mich mit dem Rücken zu ihr ohne sie anzufassen oder irgendwie zu berühren. Wir maßen uns mit einem scheelen Seitenblick. Hörten auf unsere innere Stimme. Berührten uns mit der Seele. Das funktioniert leider nicht mit allen Pferden, es muss ein besonderer Draht auf beiden Seiten offen sein. Manchmal braucht es einfach Zeit, manchmal wird ein Reiter einfach nur ein einfacher Reiter bleiben ohne je diese verbindende Magie zu spüren.
Die Stute ignorierte zwar meinen Ruf, hörte ihn aber. Nach diesem Grundstein, lobte ich sie mit einem langsamen Streicheln auf die Schulter. Stellte mich fest auf die Beine als ich merkte, dass sie ihren verschwitzten Kopf an mir abreiben wollte. Unterdessen suchte ich unter dem einfachen Sattelblatt nach den richtigen Riemen um ihn zu entfernen. Mit einem Rück hob ich ihn vom Rücken. Es stellte sich heraus, dass er sogar viel leichter war als er aussah. Ich trug ihn mit dem restlichen Geschirr rüber zum Ufer. Dabei folgte mir die Stute schon im Schatten. Kein Wunder nachdem ich sie befreite.
Am trockenen Ufer legte ich mich auf die wärmenden Steine. Genoss die letzte Tageswärme. Dachte zum ersten Mal wieder mit Zuversicht an den nächsten Morgen. Diese Stute kam von irgendwo her. Ihren sichtbaren hinterlassenen Abdrücken im weichen Untergrund waren leicht zurück zu verfolgen. Dann konnte ich auch bestimmt die Stadt erreicht. Was aber wenn ich kein Essen fand. Würde ich es schaffen diese edle Tier zu töten? Fragend sah ich zu ihr hinüber. Mit einem leichten Satz sprang sie leichtfüßig ans Ufer. Wirklich, diese kleinen natürlichen Hufe. Diese Generation brauchte tatsächlich keine teuren Eisen mehr. Verwundert begann ich zu träumen. Ob sie auch so angenehm zu Reiten war wie die breiten Pferde von früher. Eine Pflegefamilie hatte einen grossen PensionsStall. Einer der schönsten Momente war, als ich eines Abends vor dem Heimführen der Pferde auf den Rücken eines alten Wallach geklettert bin. Eigentlich hatte man mir das Reiten verboten. Es seien alles alte Kutschpferde. Doch in dem magischen Moment lernte ich meine Liebe zu dem alten Pferd kennen. So ein großes Herz. Wenn man langsam mit ihm Sprach, hörte er einem genau zu. Er ließ mich einfach so auf sich reiten. Und ich saß nur die paar hundert Meter auf. Nur die kurze Strecken zwischen Stall und Weide. Schließlich wollte ich seinem alten Rücken nicht weh tun. Nach sieben Monaten erblindete er langsam. Offiziell hieß es, man wollte ihn nicht leiden lassen und schläferte ihn ein. Ich erfuhr auch, dass die Tierarztrechnungen für ihn zu hoch wurden. Das dies sein Ende beschleunigte. In dem knappen Jahr, auf diesem Hof, lernte ich wie man einen Zweispänner lenkte. Nicht nur gemütlich kutschierte, sondern mit Vollgas um Hindernisse herum jagte. Neben der Pflege für die alten Pferden, trainierte man den Nachwuchs für kommende Wettbewerbe aus. Für diese Fahrstunden zahlte ich aber einen hohen Preis. Dafür musste ich mir ständig Demütigungen anhören. Nichts wert. Nur ein Knecht. Keine Rechte. Blasen an meinen Händen vom Misten und Rückenschmerzen von den Heuballen waren Alltag. Früh aufstehen und erst spät ins Bett. Dank, den Fahrstunden hätte ich das gerne ertragen. Doch leider war der, ein paar Jahre ältere Sohn, ein snobistisches A… Nicht nur, dass er es Amüsant fand mich zu Beleidigen. Er fing an mich körperlich zu belästigen. Natürlich beschwerte ich mich beim Boss. Das erste und einzige Mal. Mit hochrotem Kopf bin nach seinem verächtlichen Gelächter zurück in den Stall geflüchtet. Sein Angebot war, Ertrags oder geh zurück ins Heim. Beim nächsten unerwünschten Übergriff an meinen Busen habe ich einfach zu geschlagen. So heftig mit dem Fuss getreten, dass er rückwärts zu Boden ging. Vermutlich wäre dieser Unfall unter uns geblieben. Aber da war noch ein anderes altes Pferd. Als der dumme Junge hinter der immer lammfrommen Stute wieder aufstand, schrie ich wütend, „Tritt ihn!“ Es passierte, als sei diese Stute von mir dressiert gewesen. Sie schlug aus, dass er mit einem Rippenbruch und schlimmer Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Während man ihn aufbahrte, keuchte, heulte er ständig. „Die ist verflucht. Verflucht. Sie verflucht die Pferde.“ Tja, eine Stunde später kam auch mein Bus der mich zurück ins Heim brachte. Dennoch war die Zeit mit den Pferden eine wunderschöne Erinnerung.
Mit einem Ruck schnellte ich nach oben. Es herrschte Nacht. Einzelne Sterne eroberten das Himmelszelt. Wovon war ich aufgewacht? Da, wieder ein aggressives Fauchen durchschnitt die sonst unnatürliche Totenstille. Selbst das ewige sachte Rauschen des Blätterdaches fehlte. Es klang wie ein triumphierender Siegesschrei einer Raubkatze. Welches Tier jagte wohl wen? Kälteschauer jagten mir über den Rücken. Die Stute stand wenige Meter neben mir, als schwarze Siluette gegen den schwach beleuchteten Sternenhimmel. Gebannt starrte sie reglos in den Wald hinter mir hinein. Diesmal war ich froh hier zu sein. Ich wartete bis sich ihre Anspannung mit einem erlösenden Schnauben löste, erst dann wagte ich wieder tiefer zu atmen. Erleichtert schlief ich weiter. Ich würde die liebe Stute auf jeden Fall behalten. Ihr sollte kein Leid geschehen. Vorher würde ich sie irgendwo, auf einer perfekten Wiese, einfach ihren eigenen Weg gehen lassen.
Maxim beobachtete mit weniger Freude wie die Frau eigentlich seinem Pferd folgte. Wie aus dem nichts war dieses durstige Pferd wieder erschienen und witterte eine versteckte Wasserquelle. Geschickt fing diese Frau das Tier ein. Nutzte die Gelegenheit ihm den Weg zur Flucht zu verstellen. Was danach folgte, liess erst recht jemanden wie Maxim fasziniert näher treten. Diese junge Frau badete halb nackt im Wasser. Planschte wie ein übermütiges Kind herum. Versteckt zwischen Felsbrocken, hinter Büschen, wagte er sich bis zwanzig Meter heran. Er genoss zum ersten Mal sein herausragendes Talent, sich fast geräuschlos anzupirschen. Es war so lange her, seit er sich so ausgelassen glücklich fühlte. Ihr Freude über das warme Bad war irgendwie anstecken. Wie konnte man nur so ausgeflippt sein? Staunend betrachtete er ihr außergewöhnliches Haar. Es schimmerte wie Gold je nach Einstrahlung der Sonne. Sie hatte beinahe dieselbe Farbe wie sein kurzes Kopffell. Seines war nur eine Nuance dunkler. Was gäbe er darum mit seinen weißen Fingern über dieses flüssige Gold zu streichen. Seit langem fühlte er wieder dieses Ziehen in der Brust. Einsamkeit tat weh. Es viel ihm schwer hier oben tatenlos zu sitzen. Er drückte sich näher an die warmen Felsen als könnten sie ihm Trost spenden. Seufzend, verharrte selbst wie ein regloser Stein sobald sie mit ihrem kritischen Blick die Gegend absuchte. Wäre er doch bloß gerade nach Hause gegangen. Jetzt saß er für eine ganze Weile hier fest auf hartem Untergrund. Sein eigenes Gefängnis. Obwohl jede Minute ihn Erinnerte an das was er war, dass er weiterhin allein leben musste, genoss er jeden kostbaren Augenblick. Er spürte neues Leben in seinen Knochen und seit langem keimte neue schwache Hoffnung. Eine lange, schwere Nacht wartete auf ihn, ringend mit der schweren Entscheidung in ihrer Nähe zu bleiben.
Safina
An diesem Morgen erwachte ich von einem scheußlichen Jucken. Vom Gesicht hinunter bis am schlimmsten an den Armen. Diese verfluchten blutgierigen Insekten waren erbarmungslos über mich hergefallen, als ich im wehrlosesten Schlaf lag. Ohne, dass ich etwas merkte. Geräuschlos ohne, dass ich einen Stich verspürte. Diese Biester waren wirkliche gnadenlose Minivampire! Verärgert setzte ich mich auf, der friedliche Anblick der Stute stimmte mich jedoch wieder sanfter. Meine Finger strichen über die fein gehämmerte Goldplatte. Da stand etwas eingraviert. Mit dieser unbekannten Schrift bekam ich keinen Hinweis. Man hätte mich viel besser auf diese Welt vorbereiten sollen. Ich wusste nicht einmal wo ich war und ich vermutete stark, dass selbst meine Wissenschaftler weiterhin darüber rätselten.
Während die Stute am kurzen Gras zehrte, überkam mich dieses leere Gefühl im rumpelnden Magen. Ich packte mein großes Messer ein. Dasjenige, welches ich Robazki entführte. Sobald ich an den Stauden herumzerrte, stellte sich die Stute erwartungsvoll hinter mich. Ich schob sie zurück und versperrte ihr sofort wieder den Weg. Alleine folgte ich den alten Spuren zurück. Damit ich sie nicht verlor schnitzte ich, zu Unterstützung, sichtbare Kerben in die dunkle Rinde der nächsten Bäume. Mit der Zeit verspürte ich zudem so ein drängendes Verlangen auf meine bekannten saftigen Blattkäfer. Nach einer halben Stunde hielt ich erschrocken an. Es roch so schrecklich... faulig, blutig… Fleisch? Wirklich merkwürdig. Am Boden, in dem verfaulten Laub, sah ich im Umkreis von einigen Metern nichts Auffälliges. Außer ein paar seltsamen Flecken. Mit einem schrecklich Verdacht sprang ich flugs beiseite. Tatsächlich da hing ein angefressener Kadaver in den untersten Ästen eines Baumes. Drei Meter hoch, ein Kinderspiel für jemanden der in einem Pferdestall als Aushilfe Dienst leistete. Zumindest dachte ich anfänglich, dass sich die Kletterei auf den wackeligen Strohballen auszahlte. Dann merkte ich den Nachteil des älter werden. Meine Knochen brauchten dringend Nachhilfe in Kletterei. Dabei wirkten sich meine zusätzlichen Pfunde um die Hüften zudem hinderlich aus, was die Beweglichkeit stark einschränkte. Himmel, war ich schwer und ungeschickt geworden! Oder lag es daran, dass ich schon zu lange nichts vernünftiges Ass? An zwei Zwillingsstämmen angelte ich mich hoch. Jede Vergabelung ausnützend für meine Schuhe. Ich brauchte dringend stabileres Schuhwerk. Vielleicht wenn ich an das Fell kam? Mühselig zog ich mich mit den Armen nach oben. Suchte Halt und fand keinen. Also riss ich kurzerhand an dem angenagten Opfer, dessen halb durchgebissener Hals wild schaukelte. Der Kopf verabschiedete sich als erstes nach unten. Denn wollte ich am wenigsten. Schliesslich erinnerte ich mich an einen Trick. Wie in den Ringen einer Turnhalle hielt ich mich fest und liess meine Beine frei schwingen. Mit voller Wucht von unten stemmte ich den Braten schließlich aus seiner sicheren Verankerung. Die steife Ware krachte nach unten. Ich beinahe auch. In letzter Sekunde konzentrierte ich mich auf einen einzigen Stamm. Unter meiner ganzen Last bog er sich langsam durch. Zum Glück dermaßen gemächlich, dass er nicht brach. Dennoch verursachte diese halsbrecherische Aktion mir einen ziemlich rasenden Puls. Mit zittrigen Beinen landete ich auf dem Boden. Ließ den Stamm los, der wie eine Stahlfeder zurückschnellte. Respektvoll beachtete ich dieses seltsame gummiartige Material. Eine Weile brauchte ich um mich vom Schreck zu erholen, dann stürzte ich auf das tote Reh los. Säbelte mit meinem scharfen Schweizer Taschenmesser einen ganzen Hinterlauf ab. Bei diesen sommerlichen Temperaturen geriet ich viel zu schnell ins Schwitzen. Sobald ich den zweiten Hinterlauf durchtrennte bekam ich es langsam mit aufsteigender Angst zu tun. Was wenn das Raubtier früher zurückkehrte? Ich kam mir vor wie ein gemeiner Dieb bei etwas unrechtem. Bald war jedoch Mittag. Erleichtert schaute ich zur hoch stehenden Sonne die Stückchen weise durchs Blätterdach blitzte. War da nicht eine ungewöhnliche Bewegung im Untergrund? Genau beobachtete ich meine leicht rauschende Umgebung der tausenden von Blättern. Mich überfiel so ein komisches Gefühl. Es war wohl Zeit zu verschwinden. Rasch packte ich je einen dieser dünnen, behaarte Beine. Das kostbare Fell abzuziehen getraute ich mich hier nicht länger. Nur noch eines drängte mich voran, weg von hier, mit einem Anflug von Panik. Hastig rannte ich fast den halben Weg zurück. Krampfhaft meine Beute umklammert wie ein Ertrinkender seinen Rettungsring. Endlich besaß ich Essen im Übermaß. Es reichte sicher mindesten drei Tage wenn ich es mehrmals briet und von gefährlichen Bakterien befreite.
Sobald ich in mein Lager flitzte verstärkte ich die hölzerne Barrikade hinter mir. Schade besaß ich keine Handschuhe um die dornigen Büsche wirkungsvoller vor dem Eingang zu positionieren. Dank Feuerzeug ein Kinderspiel, innerhalb von Sekunden, ein rauchloses Feuer anzufachen. Ungeduldig riss ich mit den Zähnen jeden angebratenen knusprigen Bissen von der Fleischkeule. Es schmeckte auch ohne Salz einfach himmlisch. Erleichterung und eine gewisse Trägheit im schweren Magen veranlasste mich später zu der Überlegung, hier länger zu rasten. Am Nachmittag gönnte ich mir erneut ein Bad. Zuerst reizte es mich sogar nackt zu baden.
Aber ich fürchte, selbst allein in der abgelegensten Wüste, sei es noch so oberdringend auf die Toilette, dass ich trotzdem zuerst hinter den nächsten Dünen nachprüfe werde ob ich wirklich allein war. Da ist einfach so ein beschämendes, doofes Gefühl das einem davon abhält sich sicher zu fühlen. Ich traute mich nicht. Dabei war doch eigentlich sonnenklar, dass außer mir nur Tiere diese Wasserstelle benutzten.
Maxim schimpfte sich einen Narren. Für ein paar Stunden hatte er sie aus den Augen gelassen. In sicherer Entfernung briet er ein paar erjagte Vögel. Verschlang sie sogar halb roh, weil ihn die Sorge nach dieser leichtsinnigen Frau drängte. Da war etwas was ihn dermaßen beunruhigte, dass ihm keine Ruhe liess. Er wollte sie beschützen obwohl er sie überhaupt nicht kannte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. So kannte er sich überhaupt nicht. Unruhig rannte er in Höchstgeschwindigkeit zurück. Obwohl er bestens Trainiert war, keuchte er entsetzt auf. Seine schlimme Befürchtung war eingetroffen. So eine riesige Dummheit! Das tote Wild hatte sie unmöglich selbst erlegt. Das intelligente Raubtier würde sich für diesen großen Diebstahl rächen. Diese Großkatzen waren sehr Revier bewusst und duldeten keine anderen Aasfresser in ihrem markierten Territorium. Seine einzige Hoffnung blieb jetzt an diesem kleinen Feuer hängen. Vielleicht ängstigte sich die Katze vor diesem unangenehm beißenden Geruch?
Während er sie beobachtete und das dichte Gebüsch ringsum noch doppelt sorgsamer, flocht Maxim aus gezupften Grashalmen ein Seil. Bei jedem Blatt das gegen den Wind zitterte, hielt er sofort inne. Bedauerte seinen Pfeilbogen zu Hause gelassen zu haben. Aber echte Bewahrer führten niemals eine Waffe mit sich. Ihr Essen bekamen sie bei jeder Haustür geschenkt, so verlangte es die Sitte. Niemals trugen sie wertvolle Sachen, damit es sich nicht lohnte sie zu überfallen. Nun sass er nur mit einem kleinen Schnitzmesser da, welches ihm eigentlich diente kleinere Tiere auszunehmen. Sorgfältig verstaute er es in seinen weichen Wildlederstiefeln, dann vervollständigte er sein Seil. Damit gedachte er die Stute einzufangen sobald sich ihm eine günstige Gelegenheit bot um unbemerkt zu verschwinden. Diese tollpatschige Frau würde den Spuren der Stute folgen und so könnte er sie unauffällig aus dem gefährlichen Wald hinaus lotsen. Da hielt er für einen perfekten Plan.
War da nicht eine dunkle Bewegung oben in den Ästen? Lag es an dem kleinen flüchtenden Vogel, dass der Ast leicht schaukelte? Keine Sekunde verfolgte Maxim Augen dem Baumvogel hinterher, der mit seinem zwei langen gelben Schwanzfedern sonst bei Sammler eine Begehrte Beute da stellte. Stattdessen starrte er gebannt auf den undurchdringlichen Blättervorhang. Jeder seiner Muskeln angespannt. Erst nach zwanzig Minuten entspannte er sich. Ein aggressives Raubtier hätte längst angegriffen. Wieder konzentrierte er sich auf sein faseriges Band. Jede Minute zählte. Unter seinen geschickten Fingern verlängerte sich der Führerstrick rasch. Mit dem schmalen, zähen Sumpfgras formte er einen weiteren Zaum. Bevor Langeweile am langen, warmen Nachmittag aufkam, verzierte er sein Werk mit den roten langen Blättern von den seltenen Giftsträuchern die hier ungehindert wucherten. Sehnsüchtig blickte Maximilian auf die glitzernde Wasseroberfläche hinunter. Diesmal flog ein gewöhnlicher Waldvogel auf die ersten Bäume zu. Verwundert bemerkte Maximilian, dass der Vogel sobald er eine beabsichtigte Landestellte fand plötzlich hastig abdrehte und aufgeregt davon flatterte. Was hatte ihn abgehalten, oberhalb von dieser Frau zu rasten? Das fertige Seil legte er sich über seine Schulter. Maximilian stand gewarnt auf. Sichtbar hob er sich von den Steinen ab. Wenn sie aufmerksam wäre, hätte sie ihn sehen können. Allerdings traute er ihr das gar nicht zu. Er selber benötigte freie Sicht. Seine sensible Nase filterte den entgegen streichenden Wind. Bei dem schwachen Luftzug verzehrten sich die Gerüchte. Leise fluchte er und wunderte sich sogleich über den seltenen Ausbruch. Zu viele Sorgen! Was kümmerte ihn eigentlich diese fremde Frau? Er verstand sich selber nicht.
Safina
Die grasende Stute hob ihren langen Hals. Halme fielen zu Boden als das Malen der Zähne abrupt stoppte. Ich wunderte mich über die blitzartige, beunruhigte Stute. Sie blickte einem hübschen grauen Vogel nach, dessen lange gelbe Schwanzfedern bei jedem Flügelschlag lässig nachwippten. Abwinkend konzentrierte ich mich wieder auf die Sprachübungen. Bald hatte ich 90% von meinem Notizbuch geschafft. Robazki war eine echte Hilfe gewesen. Beinahe vermisste ich seinen strengen Unterricht. Der misstrauische Kopf der Stute blieb weiterhin aufmerksam oben. Ohren schwenken nach alle Seiten. Besonders auch nach hinten.
Ich folgte ihrer Aufmerksamkeit bis zu den dunklen Steinen hinüber. Da hob sich doch eine menschliche Gestalt ab? Langsam, zögerlich stand ich auf. War das möglich, dass mich jemand längst beobachtete? Gerade als ich zwischen Ärgernis und Staunen schwankte, zuckte die Stute heftig zusammen. Sprang nervös zu Seite, hinaus ins niedrige Wasser. Weg von was?
Verflixt, auch das noch, sie hat mich gesehen, dachte Maxim verstimmt. Wenigsten waren ihre Möglichkeiten näher zu kommen begrenzt. Keiner konnte diese kantenlosen Felsbrocken vor ihm hinauf klettern. Dann floh auch noch die Stute. „Moment“, sagte diesmal Maximilian laut. Das Tier flüchtete nicht vor ihm sondern zu ihm hinüber.
Im nächsten Moment sprang er jede Bedenken wegwerfen nach vorne. Mit einem eleganten Sprung setzte er über die Steine hinweg nach unten.
Was war das? Rätselte ich verwirrt weiter. Eben flüchtete die Stute ängstlich hinaus ins Wasser. Vorbei an dem sichtbaren Schatten der oberhalb lauerte. Unschlüssig trat ich einen Schritt nach vorne. Klopfte mir noch besorgt, über den ersten Eindruck, mit der Hand die Kleider sauber. Da hörte ich zum ersten Mal das zischende Fauchen über mir. Meine Knie knickten ein, bereit zum ersten Fluchtansatz. Da sprang ein schwarzes Tier, so groß wie ein Panther neben mir zu Boden. Ich war noch nie in einem Zoo gewesen, aber genau so stellte ich mir einen Panther vor. Aggressiv, tödlich, wie eine übergroße Katze die Bodybuilding Hauptberuflich tätigte. Superschnell bremste sie ab und wandte sich mir zu. Was! Wieso? An der Stute war doch mehr Fleisch dran als an mir. Ihr zögern verriet mir, dass sie bisher keinen Menschen angegriffen hatte. Ausgerechnet ich musste also ihr erstes Opfer sein? Aggressiv knurrte sie mich herausfordernd an. Vermutlich war ich eher ein lästiger Futterrivale, als die nächste Beute. In diesem Fall probierte ich es mit stiller Standhaftigkeit. Stärke zeigen, Stehen bleiben und ja keinen Millimeter in ihre Richtung gehen. Einfach gesagt, wenn einem die Nerven innerlich zitterten. Eine Flucht wäre mein totaler Untergang. Also riss ich mich zusammen. Mein angespannter Atem ging zu flach. Ruhiger Atmen, keine verräterischen Anzeichen von Angst aussenden.
Schwarze Ohren drückten sich flach auf Kopf. Gelbe Augen funkelten mich böse an. Auf einmal setzte sie sich in lauernde Position. Verriet mir, dass sie auf ein Zucken meinerseits hoffte um angreifen. Schrilles Jaulen machte ihren offensichtlichen Ärger kund. Erneut mahnte ich mich, einfach ruhig zu bleiben. Sollte ich angreifen? Seltsamer Gedanke. Ein bisschen Irre, aber das war ich ja schon längst. „Ha!“ brüllte ich laut. Alles war besser als sich von Angst anstecken zu lassen. Entschlossen stampfte ich mit einem Fuß fest auf die Erde. In dem Moment stellte sich das Raubtier auf die Hinterbeine. Vorderbeine gestreckt, scharfe Krallen blitzten auf mich zu. Schlitzten mein Ärmel auf, gruben sich unter die Haut. Mutig drehte ich meinen Körper ab. Aufpassen, den schwachen Hals schützen, schoss es mir durch den Kopf. Abwehrend hob ich den verletzen Arm wieder nach oben. Meine Finger fanden in dem glatten, kurzen Fell keinen Halt. Ihr volles Gewicht stürzte sich auf mir zu, als sich ihre lange Reiszähne in den Arm bohrten, umschlossen. Verzweifelt legte ich alles auf eine Karte. Hämmerte mit meinem freien, hart vergipsten Handgelenk voll auf ihre empfindliche Nase.
Aufheulend wich die Katze mit einem geschmeidigen Satz zurück. Federte förmlich zurück auf ihre vier kräftigen, langen Beine. Für Sekunden war ich frei. Auf einmal sprang sie wie angeschossen, mit einem mächtigen Satz seitlich über die Büsche hinweg. Geschmeidig fand sie Halt, verschwand lautlos im Wald.
Verwirrt stand ich da. Was sollte ich tun? Sie überwand so leicht meinen Schutzwall aus Dornenzweigen. Langsam kam ich zu mir. Holte erschrocken tief Luft, da bemerkte ich erst das warme Blut das fleißig meinem Arm entlang nach unten zu Boden tropfte. Genau in dem Gipsverband sah ich deutlich drei tiefe eingestochene Löcher der kräftigen Reiszähne. Sogar ein abgebrochener Zahn steckte da drin. Ohne den massiven Gips hätte mir die Katze die Hand mühelos abgebissen, abgerissen
Verflixt, wann hatte ich eigentlich das letzte Mal eine Tetanus Impfung bekommen? Es war vermutlich das Beste ich lies es ein wenig ausbluten, denn allzu schlimm fand ich den Verlust von den paar Blutstropfen nicht. Wie sehr hatte ich mich früher nach diesem Anblick gesehnt. Ein aufgerissenes Handgelenk. Wie durch ein Wunder blieb ich dank einem harten Gips vor dem schlimmsten verschont. Abwesend, halb unter Schock nach dem Angriff, trat ich ins Wasser. Wusch meinen aufgerissenen, blutgetränkten Ärmel. Mir war als hätte ich noch etwas Wichtiges vergessen. Starrte allerhöchstens nervös auf den Punkt wohin die Katze so blitzartig verschwand. Da hörte ich eine Bewegung hinter mir. Das war nicht mein Pferd, dachte ich zuerst schnell. Dann, eine andere Katze greift von hinten an! Beim denken schon, schoss ich halb umgewandt nach vorne. Aus den Augenwinkeln gewahrte ich noch etwas Größeres. Panik artig versuchte ich das Ufer zu erreichen. Einen knapper Meter. Da rutschte ich im weichen lehmigen Seeboden aus. Meine ausgepumpten Lungen erstarrten. Ich sah noch die Erde auf mich zurasen. Besser die harten Steine des Ufers. Meine Stirn knallte auf den festen Untergrund. Schmerz, weitaus größerer Schmerz als die im pochenden Arm. Die farbige Filmwand vor meinen Augen verwandelte sich in Schwarz, als etwas hinter meiner Stirn explodierte. Mein Atem stockte, mein Herzschlag setzte kurz aus.
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Bildmaterialien: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2012
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