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My dear deer - Meine Worte an ein Reh


My dear deer,

Jetzt erzähle ich dir eine Geschichte, die wirklich unglaublich klingt. Du fragst mich warum ich dir eine Geschichte erzählen will?
Nein, es handelt sich nicht um eine Geschichte im traditionellen Sinn. Nein, ich verarsch dich nicht. Lies einfach diese Zeilen und du wirst verstehen, warum ich dir diesen Brief schicke.

Ich kannte diesen Mann. Ein Mann, der in meiner Nachbarschaft lebte - genauer gesagt - gleich nebenan. Er war total verrückt nach „deers“, also „Rehen“. Nein, versteh mich nicht falsch, ich spreche nicht von Tieren, sondern von Frauen. Frauen, die so aussehen wie „Rehe“ und sich genauso verhalten.
Du kennst diese Art von Frauen nicht? Kein Problem, ich möchte sie dir gerne beschreiben. Also pass gut auf: Diese Frauen oder soll ich eher sagen Mädchen? Also diese Geschöpfe haben normalerweise sehr große Augen. Wenn du in ihre Augen siehst, erkennst du darin die Sorte Mensch, die schutzbedürftig ist. Die Menschen sind schüchtern, sprechen kaum, scheinen von sehr zerbrechlicher Natur zu sein und verfügen über keinen eigenen Willen.
Doch dies ist nicht immer der Fall, denn es gibt in dieser Kategorie zwei Untergruppierungen. Die eine Sorte sieht aus wie ein „Reh“ (man kann diese Frauen nur bemitleiden. Denn wenn ein Mann sich nur aufgrund ihrer äußeren Ähnlichkeit mit einem „Reh“ in sie verliebt, läuft er davon, sobald er ihre wahre Natur kennen lernt). Demnach ist eine Frau der ersten Kategorie für jene Männer lediglich eine Illusion. Im zweiten Fall handelt es sich jedoch tatsächlich um so ein Geschöpf.
Auch mein Nachbar bevorzugte diese Art von Frauen und brachte jeden Samstag ein so genanntes „Reh“ mit nach Hause. Wie oft wurde mir speiübel, wenn ich dieses „Reh“ erblickte. An seiner Hand, sprang sie neben ihm nervös auf dem Bürgersteig hin und her und blickte mit ihren großen Augen ängstlich in der Gegend herum. Oh wie wahnsinnig hat mich dies immer gemacht, aber er liebte diese Frauen. Sie waren nicht einmal besonders schön oder intelligent, aber schwach und brauchten einen Beschützer wie ihn. Dies machte ihn stolz und überlegen.
Ja die Geschichte mag bis jetzt nicht wirklich interessant klingen und du bist wahrscheinlich schon gelangweilt, aber jetzt sei aufmerksam, denn jetzt wird es wichtig.
Du kannst dir nicht vorstellen was mit den armen „Rehen“ passiert ist. Sie sind tot. Ja sie sind tot. Wie das geschehen ist? Keine Ahnung. Aber ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie mein Nachbar – bleich wie ein Laken – vor meiner Tür stand. Er war nicht grad aus hartem Holz geschnitzt. Nein, er war ein richtiger „Softy“. Er konnte nicht sprechen, aber ich konnte seine Gesten deuten und folgte ihm zu seinem Haus. Er führte mich zu seinem Schlafzimmer. Aber was zur Hölle war das? Das war wirklich das unbequemste Bett, das ich jemals gesehen habe. Achja, by the way: In seinem Bett lag ein toter Körper, genauer gesagt ein totes „Reh“.

- „Ich habe nichts getan … Ich habe geschlafen. Ich war es nicht. Was soll ich tun?“
Er wiederholte diese Worte mehr als fünfzig Mal.
- „Sei still. Du gehst mir auf die Nerven. Ich glaube dir. Du bist nicht hart genug um so etwas zu tun. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand anderes an deine Unschuld glaubt.“
- „Was soll ich tun? Ich will nicht ins Gefängnis. Ich bin zu jung, ich habe noch mein ganzes Leben von mir. Es gibt noch so viele Dinge, die ich tun wollte. Ich stehe am Anfang meiner Karriere.“
Oh man, er fing an zu weinen. Was für ein „Softy“. Schrecklich!
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich helfe dir. Also erzähl mir was letzte Nacht passiert ist.“
„Oh, ich traf dieses Mädchen. Ich weiß nicht mehr wie sie heißt, ich glaube Melanie oder Jenny oder so … Ich traf sie auf dieser Party. Wir verstanden uns und ich nahm sie mit nach Hause. Sie hat nicht viel geredet, sie war so schüchtern und ein wenig ängstlich. Oh nein, wie kann sie nur tot sein …“
„Jetzt hör auf zu flennen oder ich ruf die Polizei! Ich halte dein Gejammer nicht mehr aus.“
„Nein bitte ruf nicht die Polizei. Also wir sind zu mir nach Hause gegangen, haben die Nacht miteinander verbracht, ich schlief ein und am nächsten Morgen war sie tot.“
„Das war alles?“
„Nein, ich erinnere mich an einen schwarzen Schatten. Ja an einen schwarzer Schatten …“
„Willst du mich auf den Arm nehmen. Hast du vielleicht schon mal einen weißen, blauen oder grünen Schatten gesehen?“
„Nein, natürlich nicht. Aber dieser Schatten war schwärzer als alle anderen, die ich je zuvor gesehen habe. Aber ich habe mir nichts dabei gedacht.“

Das war alles, was er mir erzählt hat. Also half ich ihm und das tote „Reh“ verschwand. Aber das war nicht der letzte mysteriöse Fall eines toten „Rehs“. Einige Monate später kam er erneut mit einem „Reh“ nach Hause. Ich sah sie, als sie an meinem Fenster vorbei liefen und ich half ihm wieder.
Du fragst mich warum ich das tat? Keine Ahnung, vielleicht war ich ja von seiner Unschuld überzeugt.

Ach ja, es ist ja vielleicht ein bisschen zu spät für dich, aber letzte Nacht ist das dritte „Reh“ gestorben. Ja, ich weiß, du hättest die Geschichte schon gestern hören sollen, denn dann wärst du jetzt noch am Leben und würdest nicht in diesem Sarg liegen.
Aber falls es dich interessiert, es gibt zwei gute Neuigkeiten: Mein Nachbar interessiert sich nicht mehr für „Rehe“ der zweiten Unterkategorie und auch wenn du tot bist, du siehst immer noch aus wie ein „Reh“.

CU soon.

Hochachtungsvoll

Black Shadow


Kontrolle?!


Willkommen in meinem Leben. In meinem Land. Wo niemand herrscht außer mir. Doch habe ich über niemand anders die Kontrolle als über mich.
Nein, das stimmt nicht ganz. Eigentlich habe ich nur bedingt die Kontrolle über mich selbst?
Sie fragen mich weshalb dies so ist?
Dies ist in der Tat eine gute Frage. Lassen Sie es mich so formulieren: Nach außen hin wirkt es so als könnte mir niemand das Zepter entreißen. Doch innerlich führe ich unentwegt einen Machtkampf. Es geht dabei nicht um die absolute Gewalt. Dennoch müssen Entscheidungen getroffen werden. Zum Wohle aller, zu meinem Wohle, zum Wohle des Landes in dem niemand wohnt. Hierbei werden die verschiedensten Parteien in den Entscheidungsprozess miteinbezogen.
Es sprechen die Ratio, also die Vernunft, die Moral und die Emotion. Jede der hier genannten Fraktionen ist bei einem derartigen Prozess erforderlich. Doch bevor ich fortfahre möchte ich Ihnen definieren was ich unter den genannten Parteien verstehe. Die Moral trägt eine leicht negative Konnotation, da in ihr gesellschaftliche Normen und Erwartungen getragen werden. Mit ihr verbinde ich in erster Linie erzwungene und korsettähnliche Lebensformen, die einem die Luft zu atmen nehmen. Die Vernunft bildet den Gegenpart zur Emotion und mit ihr verhält es sich so, dass jene das Abwägen von Vor- und Nachteilen favorisiert und sich der Logik zur Entscheidungsfindung bedient. Unter der oppositionellen Partei, der Emotion, verstehe ich die spontane Gefühlsäußerung, die durch ihr Wohl- oder Unwohlsein eine Verordnung im Prozess trifft.
Nun trägt es sich aber zu, dass jede Partei – ihrer Natur entsprechend – danach strebt, ihre Ansichten als die einzig Wahren und Richtigen durchzusetzen. Ich versuche nun, aufgrund von Erfahrungen und Hintergrundwissen, die Aspekte der Parteien miteinander zu verbinden, um das beste Ergebnis zu erzielen.
Ist denn nun dieses Ereignis eingetreten und der Prozess der Entscheidungsfindung abgeschlossen, sollte man annehmen, dass hieraus nun eine Aktion erfolgen könnte. Genau an diesem Punkt tritt meine Machtlosigkeit zutage. Niemand mischt sich von außen in meine Belange ein, doch herrscht in meinem Inneren allergrößte Aufruhr. So wagen sich die drei Parteien – trotz des Beschlusses – ihre Meinung kund zu tun und mich somit in die größtmögliche Verwirrung zu stürzten.
Die schwächste Partei bildet hierbei die Moral. Sie vermag gute Argumente hervorzubringen, doch aufgrund meines Wesens, sind ihre Einwände zwar gesellschaftlich betrachtet wichtig, aber vermögen es nur selten, mich umzustimmen. Die Vernunft steht an zweiter Stelle, dennoch weit vor der Moral und nur wenige Schritte von der Emotion entfernt. Die letztgenannten Parteien spielen in meinem Land eine besondere Rolle. Zwar ist die Emotion die Stärkste und veranlasst mich manchmal dazu übereilte Entscheidungen zu treffen, doch dann betritt die Vernunft die Bühne und meist gelingt es Ihr größeres Unheil abzuwenden.
In anderen Fällen kann die Vernunft jedoch auch hinderlich sein, wenn sie in ihrer besserwisserischen Art ihre Ansichten für die einzig Wahren proklamiert. Dies kann unter Umständen auch zu Schwierigkeiten führen, so wenn zum Beispiel eine Situation des Lebens es erfordert seine Emotion nicht zu verbergen, sondern sie jemanden, wie zum Beispiel einem Freund oder einem Geliebten, mitzuteilen. Doch auch hier lassen sich meist später Korrekturen vornehmen.
So viel zu meiner kleinen Welt. Sie fragen sich nun, wie das weiter gehen soll oder ob ich nicht doch die Kontrolle habe? Die Kontrolle in einem Land, in dem genau genommen niemand Kontrolle hat. In gewisser Weise möchte ich Ihnen Recht geben. Ich bin nicht machtlos, aber auch nicht omnipotent. Dennoch kann ich lernen und versuchen die drei Parteien – insbesondere die Emotion und die Ratio – mehr in Einklang miteinander zu bringen. Somit verfüge ich über die Macht eine Aktion nicht durch das Gewicht einer alleinigen Partei beeinflussen zu lassen. Doch die Entscheidung selbst, die kann mir niemand abnehmen.


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Tag der Veröffentlichung: 08.01.2009

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