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Schöner Advent

Ich hatte von Anfang an etwas gegen diesen Adventskalender mit Bildchen. Und dann machte er auch noch solche Probleme. Jedenfalls glaubte ich, dass es dieser Kalender war. Es muss dieser Kalender gewesen sein. Meine Mutter hatte Flo einen Adventskalender so groß wie eine Postkarte mit winzigen Türchen geschickt.
Ist er schon angekommen, fragte sie mich am Telefon.
Ja.
Ist er nicht goldig?
Ja.
Ich wollte meinem Enkel doch eine kleine Vorweihnachtsfreude machen.
Und dir selbst, dachte ich, denn nötig wäre das nicht gewesen. Sie wusste ja, dass ich zwei Tage vorher herumgerannt war. Süßigkeiten und kleine Geschenke kaufen für den Stoffkalender, den ich für Flo genäht hatte.
Aber Flo freute sich natürlich.
Schau Mama, ein Fuchs, sagte er, als er das erste Türchen öffnete und dahinter einen winzigen Fuchs entdeckte.
Und schau, er hat ein Tuch um den Hals, mit grünen Punkten.
Ja, niedlich.
Mama, warum hat der Fuchs ein Tuch um den Hals?
Wahrscheinlich hat er Halsweh.
Mir fiel ein, dass wir noch Hustensaft brauchten. Flos Husten sollte an Weihnachten vorbei sein. Wenn dieses Jahr zum ersten Mal alle zu uns kommen würden, die ganze Familie, mussten wir fit sein.
Nach der Arbeit holte ich Flo vom Kindergarten ab und wir gingen auf dem Weg nach Hause in eine Apotheke.
Einmal Mucosolvan bitte.
Ja, gerne, Moment, sagte der Apotheker und verschwand im Hinterzimmer.
Er kam gleich zurück.
Der Saft ist leider aus, ich müsste Ihnen einen bestellen.
Bitte, ja.
Der Apotheker tippte etwas in den Computer ein.
Die ganze Stadt scheint zu husten, sagte er ohne aufzublicken.
Auch er schien etwas angeschlagen zu sein. Er trug ein Halstuch. Ungewöhnlich für einen Mann. Vor allem die grünen Punkte darauf. Ein Halstuch mit grünen Punkten?
Mama, kann ich ein Medizini haben?
Bitte?
Ein Medizini.
Ja gleich. Ich frage.
Ich betrachtete den Apotheker genauer. Irgendetwas war seltsam an ihm.
Mama, warum schaust du so?
Nichts, wir haben’s gleich.
Jetzt wusste ich es. Er sah ein bisschen aus wie ein Tier. Seine rotbraunen Augenbrauen waren über der Nasenwurzel zusammen gewachsen. Die Augen standen nah beieinander. Sein Blick hatte etwas Dunkles, Vorsichtiges. Ein Raubtier auf der Hut. Genau. Der Apotheker erinnerte mich an einen Fuchs. –
Ein Fuchs mit grüngepunktetem Halstuch. Ich wollte so schnell wie möglich an die frische Luft.
So, hier ist Ihr Abholschein. Der Saft ist um halb sieben da.
Danke. Das werden wir heute nicht mehr schaffen. Wiedersehen.
Draußen quengelte Flo, weil er kein Medizini bekommen hatte.
Tut mir leid, das habe ich ganz vergessen, mein Schatz, wir gehen morgen hin. Aber jetzt lass uns noch schnell die Bücher für Sonja und ihre Eltern kaufen.
Flo quengelte lauter.
Es war wirklich viel. An viel zu denken. All die Geschenke, mehr als letztes Jahr. Meine Schwester hatte ihr zweites Kind, Karli, bekommen und mein Bruder hatte wieder eine Freundin, Sonja. Und sie wollte an Weihnachten ihre Eltern zu uns mitbringen. Also vier Geschnke extra.
Plötzlich hörten wir einen Hubschrauber. Wir schauten hoch. Flo wurde ganz aufgeregt und vergaß das Quengeln.
Mama, Mama, ein Hubschrauber, so nah!
Flo sagte noch etwas, aber das Donnern der Rotoren übertönte ihn.
Mama, warum fliegt der Hubschrauber so tief, brüllte er mich an.
Ich hielt Ausschau, ob es einen Unfall gegeben hatte. Nichts. Es war auch kein Krankenhaus in der Nähe, das der Hubschrauber anfliegen konnte.
Ich zog Flo in den Buchladen. Da war es leiser.
Mama, was macht der Hubschrauber?
Vielleicht ist eine Bank überfallen worden und die Polizisten im Hubschrauber suchen den Bankräuber, sagte ich.
Wo ist der Bankräuber?
Vielleicht versteckt er sich in einem Hinterhof.
Ich bezahlte die bestellten Bücher. Als wir aus dem Laden traten, war der Hubschrauber weg.
Zuhause beim Kochen schaltete ich das Radio ein. Mit meiner Vermutung lag ich ganz richtig. In den Nachrichten wurde tatsächlich ein Überfall auf die Sparkasse gemeldet. Der Täter war entkommen. Nach Augenzeugenberichten trug er eine Fuchsmaske.
Eine Fuchsmaske? Wie? Seltsam. Die wird er aber jetzt nicht mehr tragen, sonst erkennt man ihn, dachte ich.
Was hast du gesagt, Mama?
Flo stand in der Tür.
Ich? Nichts.
Doch, irgendwas über eine Fuchsmaske.
Nein, da hast du dich verhört.
Was ist eine Fuchsmaske, Mama?
Fast wäre mir die Nudelsoße angebrannt. Ich zwang mich dazu, mich zu konzentrieren.
Mama?
Ja. Schau. Du hast doch eine Tigermaske, Flo, die mit Gummiband, die ihr im Kindergarten gebastelt habt. So was, nur in Fuchs.
Ah.
Papa kommt gleich, deckst du mal den Tisch, bitte?
Mama, was fressen Füchse?
Alles mögliche. Was sie finden.
Was denn?
Fleisch.
Was auch Hunde fressen und Katzen?
Ja, Füchse fressen auch Katzenfutter. Aber jetzt beeil dich mal, Papa ist schon da.
Wir aßen zusammen, ich brachte Flo ins Bett und las ihm aus Jim Knopf vor. Er schlief gleich ein. Beneidenswert, wie normal heute alles für ihn war. Er hatte nichts Außergewöhnliches, Beunruhigendes bemerkt.
Ich drückte Gerhard den Abholschein von der Apotheke in die Hand.
Gerhard, könntest du den Hustensaft bitte morgen mitbringen, wenn du Flo vom Kindergarten abholst?
Ja, klar.
Du bist ein Schatz, danke dir.
Bitte, bitte, ist kein großes Opfer.
Aber eine große Erleichterung für mich, dachte ich, ich wollte auf keinen Fall noch mal den Apotheker sehen.
In den nächsten Tagen lief alles wie sonst. Kindergarten, Arbeit, Flo im Fußball, ich im Klavierunterricht, Gerhard beim Joggen.
Allerdings spürte ich morgens immer eine gewisse Aufregung, wenn Flo ein neues Türchen im Adventskalender öffnete. Da waren ein Kranz, ein Apfel, ein Tannenzapfen, ein Schneemann, ein Stern und ein Zweig. Es passierte nichts Unnormales. Ich atmete durch.
Aber dann kam der 8. Dezember. Flo stürmte schon um halb sechs in der Frühe in mein Bett.
Schau Mama, ein Eichhörnchen.
Ich war zu müde, um zu schauen.
Zeig es Papa.
Flo ließ nicht locker.
Mama, das ist ganz süß, es hat ein rotes Päckchen in der Hand.
In seiner Pfote, meinst du?
Ja, schau.
Ich schaute kurz und schloss die Augen wieder.
Leg’ dich nochmal hin, es ist zu früh zum Aufstehen, Flo.
Ich hatte einen harten Tag vor mir. Im Büro mussten noch alle Rechnungen vom alten Jahr geschrieben und rausgeschickt werden. Außerdem mussten Gerhard und ich anfangen, Weihnachten zu planen, Menü festlegen, Zeitplan aufstellen, Erledigungen aufteilen. Bei 12 Gästen war das nötig. Gerhard arbeitete bis zum Abend. Das Meiste würde also ich erledigen, ich musste mir meine Zeit gut einteilen.
Was ist in dem Päckchen drin, Mama?
In welchem Päckchen?
Na, in dem von dem Eichhörnchen.
Wahrscheinlich das Weihnachtsgeschenk für sein Kind.
Und was?
Bestimmt eine Nuss. Aber jetzt lass mich noch ein bisschen schlafen.
Flo war aufgeregt. Er freute sich auf Weihnachten, die Gäste, die Geschenke. Ich verstand das, aber ich brauchte meinen Schlaf. An den war an diesem Morgen leider nicht mehr zu denken.
Wenn ich dich heute vom Kindergarten abhole, müssen wir noch ein paar Sachen erledigen.
Immer erledigen. Bekomme ich dann was, Mama?
Mal sehen.
Nach dem Kindergarten gingen wir gleich in den Biosupermarkt. Ich suchte nach einem guten Duchgel oder einer Lotion. Als Weihnachtsgeschenk für meine Schwester.
Mama, kann ich ein Heft haben?
Hier gibt es keine Hefte, Flo.
Kann ich dann Schokolade haben?
Du hast doch heute morgen schon zwei Hanutas gegessen.
Ja, aber noch was Kleines.
Ich stand vor dem Regal mit den Cremes und wollte in Ruhe schauen.
Also gut, such’ dir was aus.
Neben mir füllte eine Verkäuferin die Regale auf. Es geht mir oft so, dass gerade das Regal, in dem ich etwas suche, aufgefüllt wird und mir die Verkäuferin im Weg steht. Sie kann ja nichts dafür. Oder vielleicht doch? Ich schaute die Verkäuferin von der Seite an. Mit ihrer Stupsnase, den aufgeworfenen Lippen und ihrem strähnigen hellbraunen Haar war sie nicht besonders ansehnlich. Eigentlich war sie hässlich. Sie sah irgendwie aus wie ein Nagetier. Wie ein Eichhörnchen. Wie ein Eichhörnchen? Ich erschrak.
Mama, darf ich das hier?
Ja, ja, tu’s in den Korb.
Du hast es ja gar nicht angeschaut.
Ah, Schokokugeln, gut.
Echt, Mama?
Ja.
Gehen wir jetzt?
Was?
Ich will jetzt gehen.
Flo, hetz’ mich nicht. Ich steh hier und suche ein paar Weihnachtsgeschenke. Für Oma und Opa brauchen wir übrigens auch noch was. Kannst dir was überlegen.
Was denn?
Überleg halt einfach.
Die Verkäuferin schob sich zwischen mich und das Regal.
Hätte das nicht Zeit, bis ich hier fertig bin, dachte ich und biss mir auf die Lippe. Nicht aufregen.
Sie hatte eine rote Pappschachtel in der Hand und suchte einen Platz dafür.
Mir wurde ein bisschen schwindlig. – Ich sah das rote Päckchen in der Pfote des Eichhörnchens.
Keine Ahnung, was plötzlich in mich fuhr. Ich riss der Verkäuferin die rote Schachtel aus der Hand. Ich musste sehen, was darin war.
Kann ich Ihnen helfen, fragte die Verkäuferin freundlich.
Entschuldigen Sie, das ist genau das, was ich gesucht habe.
Ja, natürlich, wir haben noch mehr davon, das ist ein schönes Gesichtsfluid, für die reifere Haut.
Ja, danke.
Ich wandte mich ab. Meine Hände zitterten. Ich musste die Packung gleich öffnen. Ich atmetete tief ein. Gottseidank. Es war keine Nuss darin.
Was ist da drin, Mama?
Eine Creme.
Ah so.
Ich schloss den Karton wieder und legte ihn ins Regal.
Gehen wir, Flo.
Wir stellten uns an die Kasse.
Geheimzahl, bitte, sagte die Kassiererin.
Ich zuckte zusammen. Es war die Verkäuferin. Ich dachte, sie füllte noch die Regale auf. Von vorne sah sie noch mehr aus wie ein Eichhörnchen. Zwischen Nase und Oberlippe war bei ihr fast kein Abstand. Das ließ ihren Mund wie eine Schnauze wirken. Und ihr dünnes Haar stand an den Ohren auf. Das sah ganz nach den behaarten Ohrenspitzen der Eichhörnchen aus.
Mama, du sollst die Geheimzahl eingeben.
Ach ja, danke Flo.
Die Eingabe war falsch. Wahrscheinlich hatte ich die Zahl der anderen EC-Karte eingetippt. Nochmal. Jetzt klappte es. Die Verkäuferin gab mir die Karte zurück.
Stimmt was nicht, fragte sie mich. Sie lächelte und entblößte dabei zwei große Schneidezähne.
Nein, nein, alles in Ordnung.
Das stimmte nicht, es war nichts in Ordnung. Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fassen. Es wurde mir alles ein bisschen viel. Ich beschloss, das nächste Mal Gerhard in den Bioladen zu schicken.
Am Abend aßen wir Reste. Die Suppe vom Vortag, Wienerle und Brot. Flo ging brav ins Bett, auch deshalb, weil er die Schokokugeln aus dem Bioladen aufessen durfte. Gehard zog sich ins Arbeitszimmer zurück und schaffte Papierkram weg, Stromrechnung begleichen, Nachzahlung ans Finanzamt überweisen. Er wollte den Kopf frei haben, wenn wir an die Weihnachtsplanungen gingen. Ich machte es mir im Wohnzimmer gemütlich, holte mir ein Glas Rotwein und legte eine CD ein. Ich hatte Entspannung dringend nötig.
Vorher musste ich aber noch etwas erledigen. Ich ging in Flos Zimmer, er atmete ruhig. Wenigstens war für ihn die Welt in Ordnung. Ich suchte auf dem Tisch, auf der Kommode. Da sah ich den Adventskalender. Ich nahm ihn, setzte mich aufs Sofa und nippte an meinem Rotwein.
Und dann tat ich das, was mir meine Mutter früher unter Androhung verschiedener Strafen - du bekommts nie mehr einen Kalender, du darfst keine Plätzchen bis Weihnachten mehr essen - verboten hatte. Etwas, das ich unter anderen Umständen auch niemals gewagt hätte. Ich öffnete die restlichen Türchen, eins nach dem anderen. Vor der Zeit.
Der Fuchs mit seinem grüngepunkteten Halstuch war schon zu viel gewesen. Und dann war da noch das Eichhörnchen mit dem roten Päckchen in der Pfote gekommen. Weiteres wollte ich verhindern. Ich öffnete also das neunte, das zehnte, das elfte Türchen und so weiter, schön nach der Reihe, um wenigstens eine gewisse Ordnung aufrecht zu erhalten. Da war ein Lebkuchen, eine Kerze, ein Tannenbaum und da, ich hatte es erwartet, ein Rentier. Dann ein Haus, eine Sternschnuppe, ein Plätzchen, eine Nuss, eine Mandarine, und dann wieder Tiere: zwei tollende Welpen und gleich danach zwei Kätzchen. Schließlich eine Birne, ein Schlitten, ein Holzstoß, ein Paar Skier und, wie kann es anders sein, Ochs und Esel in der Krippe.
Dann riss ich den Adventskalender in kleine Stücke, in sehr kleine Stücke, damit auch kein Bild mehr zu erkennen war. Ich hoffte, dass es mir so erspart bliebe, auch noch Rentier, Hunde und Katzen, Ochs und Esel kennen zu lernen, wie auch immer.
Am nächsten Morgen kam Flo ins Badezimmer.
Mama, weißt du, wo mein kleiner Adventskalender ist?
Nein. Vielleicht hast du ihn zu deinen Bastelpapieren gesteckt.
Nach ein paar Minuten kam Flo wieder.
Nein, da ist er nicht.
Dann weiß ich es auch nicht.
Flo brach in Tränen aus.
Du hast doch noch den großen Kalender mit so vielen gefüllten Taschen.
Ja, ja, nein.
Er schluchzte so laut, dass ich ihn kaum verstand.
Mama, ich bin doch so gespannt, was nach dem Fuchsmann und der Eichhörnchenfrau noch alles passiert.

Impressum

Texte: Cover und Text von Sabina Salander
Tag der Veröffentlichung: 12.12.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Beladenen in der Vorweihnachtszeit

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