Cover


Cover und Text von Sabina Salander


Dass du dich nicht erinnern kannst! Muss ich dir jetzt wirklich erzählen, was passiert ist? O.K. Du lädst mich ein zu einem Wochenende zu zweit. Wohin, frag’ ich. Aber du willst nicht damit rausrücken. Lass’ dich überraschen. Meinetwegen. Wir fahren also Richtung Norden. Ich denke, ja schön, Freising, aber dann biegst du ab zum Flughafen. Ich bettel’, dass du mir verrätst, wohin’s geht. Nichts zu machen. Ich merke dir auch nicht an, was du eigentlich vorhast. Oder hast du dich spontan im Flieger entschieden? Dir ist ein Rätsel, wovon ich spreche? Also hör’ mal, hast du wirklich alles vergessen? Mein Schatz, komm’ mal her und lass dir einen Schmatz geben. Nein?. Dann nicht. O.K.
Wir stehen also zum Einchecken bei Air Berlin, und da sehe ich, wo´s hingeht: Ibiza. Schöne Idee. Ich freu mich. Fall’ dir um den Hals und verbieg’ dir die Brille ein bisschen.
Hast du sie wieder gerade gebogen? Ich finde, sie ist immer noch schief. Gut, gut, dann war sie eben nie verbogen. Hoffentlich reicht das für Ibiza, was ich dabei hab’, denk’ ich mir. Ich hab’ uns nur die kleine Reisetasche gepackt. Wie du es wolltest. Dann sind wir ganz flexibel, hast du gesagt. Wir gehen an Bord. Im Flugzeug stinkt es nach altem Rauch, stimmt’s? Du kannst dich nicht erinnern? Ach, mein Guter, wie schade. Aber O.K.
Wir fliegen los. Beim Steigflug wird’s mir immer mulmig. Aber richtig mit der Angst bekomm’ ich’s, als du plötzlich deinen Gurt aufmachst und aufstehst. Hey, sag ich noch, du darfst noch nicht aufstehen, aber da gehst du schon nach vorne. Versuche noch, deinen Ärmel zu erwischen. Aber du bist zu schnell. Du drehst dich überhaupt nicht um.
Nein, nein, nein, es war genau so, wie ich´s dir sage. Pass auf, wie es weiter geht. Ich denke noch, du musst eben dringend. Aber ich seh’, wie du schnurstracks an der Toilette vorbeigehst und die Tür zum Cockpit aufreißt. Der ist verrückt geworden, denk’ ich mir, da bist du schon im Cockpit verschwunden. Ich weiß nicht, was tun. Da kommt die Stewardess und flüstert mir ins Ohr: Folgen Sie mir. Ich sag’ nichts und geh’ einfach mit. Im Cockpit dann der Wahnsinnsausblick nach vorne. Diese bauschige weiße Wolkendecke und drüber stahlblauer Himmel. Ich bin begeistert. Bis ich dich sehe mit der Pistole in der Hand. Wo hat er die bloß her, denk’ ich mir, sieht aus wie die neulich von der Schießbude.
Du stehst neben dem Piloten und hältst sie ihm an die Schläfe. Mir verschlägt´s die Sprache. Du lächelst bloß und sagst, wir übernehmen jetzt. Du schubst Pilot und Copilot aus dem Cockpit und sperrst die Tür zu. Ich sag’, du kannst doch kein Flugzeug fliegen. Du sagst, da wirst du dich wundern. Du spinnst, sag’ ich. Insgeheim denke ich aber, was hab’ ich da für einen Superman geheiratet, ehrlich. Na, klingelt´s langsam? Immer noch nicht?
Du setzt dich auf den Pilotensessel, ich soll mich daneben setzen. Wir fliegen eine ganze Weile. Schau mal runter, sagst du. Ich seh’ blaues Meer und braune Küste. Das dürfte Hurghada sein. Ach, dieses Massentouristenkaff in Ägypten, sag’ ich. Ja, da ist es schön, da fliegen wir hin, sagst du. Also in den Sinkflug. Du drehst hier einen Schalter und drückst dort ein Knöpfchen.
Wo hast du eigentlich das Fliegen gelernt, mein Schatz? Du hast mir nie was davon erzählt. Was? Du kannst gar nicht fliegen? Jetzt mach’ aber mal einen Punkt. Ich war doch dabei.
Dann sagst du, wir müssen den Tower in Hurghada um Landeerlaubnis bitten, mach’ du das. Ich nehme das Funkgerät und geb’ die Nummer durch, die auf dem Flügel steht, wie du’s mir gesagt hast. Ich sag dann noch Over, wie ich’s aus Filmen kenne. Es kommt keine Antwort. Du fliegst trotzdem weiter. Ich sehe schon die weißen Streifen der Landebahn, wir setzen auf - butterweich. Ich bin beeindruckt. Aber langsam könnte unser Abenteuer zu Ende sein, wünsch’ ich mir.
Mein Lieber, was erzähle ich dir das alles, du warst doch dabei. Du hörst die Geschichte zum ersten Mal? Ach was. Steh’ doch einfach dazu. Jeder baut mal Mist im Leben. Lass dich umarmen. Na, dann eben nicht.
Ich sag’ zu dir, wir sollten uns schnell aus dem Staub machen. Wir rennen auf die Landebahn, du mit Pistole, ich mit der Reisetasche. Steigen in den erstbesten Bus. Der fährt gleich los. Wir schwitzen, die feuchte Luft. Was machen wir jetzt, frag’ ich dich. Wir machen uns ein paar schöne Tage am Strand, sagst du. Du hast wohl einen Vogel, das geht nicht mehr, die sind uns auf den Fersen. Die Piloten und die Stewardess können uns genau beschreiben, erklär’ ich dir.
Weißt du, Schatz, eigentlich find’ ich es ja süß, dass du so verrückt bist. Aber ein bisschen realitätsfremd ist das auch. Man sieht’s dir gar nicht an. Lass’ mich durch deine Haare wuscheln. Magst du jetzt nicht. In Ordnung.
Wir sitzen im stickigen Bus. Er fährt nicht an den Strand. Sondern ins Landesinnere. Wir und lauter ägyptische Arbeiter. Ein Pendelbus, unser Glück, hier vermutet uns keiner, sagst du. Nach einer Stunde halten wir wieder in Hurghada.
Wir stehen am Eingang zum Flughafen. Du zündest dir eine Zigarette an. Die nächste Maschine nach Frankfurt geht in einer Dreiviertelstunde, sag’ ich. Du bewegst dich nicht. Komm’, schnell, sag’ ich. Du musst nachdenken, sagst du. Ich werde wahnsinnig. Du drückst deine Zigarette aus.
Seit wann rauchst du überhaupt wieder? Na gut, dann hast du eben nie geraucht. Wieso riechst du dann manchmal nach Rauch, mein Lieber? Rauchen die Kollegen im Büro?
Komm’ jetzt, sag’ ich. Aber du legst in aller Seelenruhe die Pistole auf die Reisetasche und deinen Hut drauf. Wischst dir den Schweiß von der Stirn. Eine Durchsage im Lautsprecher,
Now Boarding for Flight 605 to Frankfurt. Ich schubse dich an den Schalter. Ich frage, noch zwei Plätze frei? Yes, but hurry up, sagt die Frau.
Dass du so viel Geld dabei hattest, dass wir den Flug bar zahlen konnten. O.K., du hast immer Geld bei Dir, ich weiß. Aber über 3000 Euro?
Wir rennen zum Gate. Beim Boarding drehe ich mich um. Ich traue meinen Augen nicht. Du hast unsere Sachen am Schalter stehen lassen, Reisetasche, Pistole, Papiere. Keine Zeit mehr umzukehren. Wir müssen einsteigen. Jetzt kriegst du doch ein bisschen Muffensausen. Die werden uns in Frankfurt empfangen, sagst du, sowieso ein Wunder, dass die uns nicht hier festgehalten haben. Die suchen doch schon eine Weile.
Am Frankfurter Flughafen kommen wir durch die Kontrollen. Ein Rätsel, warum. Wie wir aussehen, staubig, verschwitzt und ohne Pässe. Aber du hast denen irgendwie glaubhaft gemacht, dass wir in Ägypten bestohlen wurden.
Aber ich bin jetzt vorsichtig. Sehr vorsichtig. Ich stecke meine Nase lieber ins Bahn Mobil Heft. Vor allem, wenn jemand am Abteil vorbeiläuft. So erkennen sie mich nicht gleich. Bestimmt liegen unsere Fotos schon bei allen Polizeistationen.
Du dagegen. Dich kann nichts aus der Fassung bringen, oder? Seit wir im Zug nach München sind, sitzt du da und schaust aus dem Fenster, ungerührt. Wie schaffst du das, nach all dem? Oder hast du wirklich alles vergessen? Langsam werd’ ich sauer. Wir können nicht mehr so weiter machen wie bisher. Das ist dir doch klar. Die können uns jederzeit entdecken.
Hör’ auf, das Ganze herunterzuspielen. Hör’ auf, mich zu beruhigen. Hör’ endlich auf. Ich halt’ das nicht mehr aus.

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Tag der Veröffentlichung: 02.11.2011

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