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Kapitel 1 : Mein Engel




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Jede Nacht träume ich den selben Traum.
Ich stehe vor einer Mauer die mich um einiges überragt, doch wenn ich mir Mühe gebe und hoch springe kann ich sie gerade so erklimmen. Ich klettere hinauf, balanciere herum, springe herunter. Auf der einen Seite der Mauer ist alles weiß und glatt, der Boden ist wie ein Spiegel in dem ich mich sehen kann wenn ich meine Beine über den Rand der Mauer baumeln lasse. Auf der anderen Seite herrscht undurchdringliche Schwärze. Dort gehe ich nicht hinunter, die Dunkelheit macht mir Angst , und ich wusste nicht wie tief ich fallen würde . Also bleibe ich auf der Mauer oder der weißen Seite aus der ich immer die Weckrufe meiner Mutter höre die mich aus diesem Traum entreißen...

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Sie streiten schon wieder. Selbst wenn sie wissen dass ich im Haus bin nahm keiner von ihnen ein Blatt vor den Mund. Erst wenn ich die Küche betrat herrschte augenscheinlich die heile Welt vor, doch ich hatte sie schon längst durchschaut. Einmal hatte ich meine Eltern hinter der Schlafzimmertür belauscht und Dinge gehört die mir noch mehr Angst gemacht hatten als das was ich bisher gehört hatte .
Papa schrie herum.
Mama fing an zu weinen
Sie versuchte unter ihren haltlosen Schluchzern ein Wort herauszupressen und ich konnte nicht anders als mir die Ohren zuzuhalten und die Augen zusammen zupressen. Wie ein ängstliches Tier kauerte ich mich in einer Ecke des Flurs zusammen.
Scheidung.


In der Schule wurde es nicht besser. Als ich nach der Pause ins Klassenzimmer kam starrte ich fassungslos auf die herumflatternden und zerrissenen Seiten meiner Bücher die überall auf meinem Tisch verteilt lagen. Ich traute noch nichtmal mich umzusehen, denn dort würde ich die Schuldigen sitzen sehen wie sie ihre hässlichen Grimassen zogen die wohl so etwas wie Belustigung darstellen sollten und sagten:
"Heul doch.
Macht ja richtig Spaß dich zu quälen.
Freu dich auf das nächste mal."
Ich hörte meine Klassenkameraden tuscheln und kichern, lachen und gröhlen bei dem Anblick meiner herumflatternder Schulbuchseiten. Und ich spürte den strafenden Blick des Lehrers im Rücken als er das Klassenzimmer betrat. Als er fragte was passiert war antwortete ich nicht und rannte auf die Schultoilette. Ich schämte mich dafür, aber diesen Triumph musste ich ihnen wohl oder übel gönnen, mir blieb keine andere Wahl.  Auch als der Lehrer mich nach der Stunde zur Seite nahm konnte ich nichts anderes tun als Schweigen. Er konnte mir doch nicht helfen. Keiner von ihnen konnte mir helfen. Sie kannten mich doch gar nicht. Ich konnte nur hoffen dass sie mich endlich in Ruhe ließen wenn ihnen der Spaß daran verging.

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Jede Nacht träume ich den selben Traum.
Nein, diesmal bemerkte ich eine kleine Veränderung. Der weiße Boden hatte Risse bekommen. Ich fuhr mit den Fingern an einigen von ihnen entlang. Es waren nur oberflächliche Schäden, doch waren sie deutlich zu erkennen und wenn ich auf der Mauer saß hatte ich den Eindruck sie bildeten Buchstaben und Ziffern, Worte die sich zu ganzen Sätzen verbanden und diese wiederrum zu einer ganzen Geschichte. Ich versuchte sie zu lesen und zu deuten, doch ich hatte mich wohl geirrt. Nicht einer dieser seltsamen Gebilde ergab für mich einen Sinn.Vielleicht musste ich noch ein wenig warten. Vielleicht war die Geschichte noch nicht zu Ende.
Plötzlich regte sich etwas hinter mir. Ich wandte mich um auf die schwarze Seite meiner Traumwelt. Das Geräusch dass mich hochfahren hatte lassen wiederholte sich immer wieder in regelmäßigen Abständen. Wie Wasser das irgendwo heruntertropfte. Und tatsächlich geriet das Schwarz unter mir in Bewegung. Als hätte man einen Stein in einen dunklen See geworfen bildeten sich kreisförmige Wellen die gegen die Mauer schwappten und sich in der Ferne des schattenhaften Meeres verloren. Gebannt starrte ich auf die Stelle im Zentrum der Wellenbildung und wurde plötzlich von Angst ergriffen. Ich hatte für einen Moment das Gefühl als würde sich etwas aus dem Schwarz erheben, ein Ungeheuer geformt aus den Alpträumen die ich täglich erlebte.
Dann wurde mir schwindelig. Mein Kopf wurde schwer, tonnenschwer und meine Arme und Beine verließ die Kraft. Ich wollte mich noch an der Mauer festkrallen, mein einziger Rettungsanker in dieser skurrilen Welt, das einzige was immer standhaft bleiben würde...
...dann fiel ich in das Schwarze Meer.
Und ich hörte verschwommen den Weckruf meiner Mutter.

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Schweisgebadet wachte ich in meinem Bett auf. Mir war kalt, eiskalt. Ich hörte wie Regentropfen an mein Fenster trommelten und die Autos die nah an unserem Haus vorbeifuhren. Ich wickelte mich noch fester in meine Decke und schloss die Augen wieder. Dieser Traum war seltsam, sehr seltsam gewesen. Viele Menschen waren ja der Meinung Träume würden uns Signale geben, Dinge aus der Vergangenheit verarbeiten und uns sogar vor kommenden Unheil warnen. War mein Traum vielleicht auch so einer Natur? Nein, das durfte nicht sein.
Ich hatte doch schon genug durchgemacht.
Konnte es denn überhaupt noch schlimmer kommen?
Ich steckte den Kopf unter die Decke und weinte leise eine Träne.
Nein, bitte nicht!
Später als ich mich angezogen hatte tapste ich leise die Treppe hinunter um in die Küche zu gehen. Mir wurde ein wenig schwindelig als ich hinuntersah. Ich bildete mir den schwarzen Abgrund ein der mich in meinen Träumen fast verschlungen hätte, doch einen Lidschlag später war er verschwunden. Das Haus war unheimlich still. Es war Wochenende und ich war froh nicht in die Schule zu müssen. Mama und Papa hatte ich nichts von den zerissenen Schulbüchern erzählt. Schließlich hatten sie doch ihre eigenen Probleme.
In der Küche war niemand. Ich schaltete den Radio ein und machte mir einen Toast den ich nur ein wenig anknabberte. Der Appetit war mir plötzlich vergangen. Ich legte den Kopf auf die hölzerne Platte des Küchentischs und schloss die Augen um der Musik im Radio zu lauschen.

Mama und Papa waren heute den ganzen Tag unterwegs. Als ich sie fragte kam nur eine zögerliche Antwort. Sie haben Verwante besucht. Angeblich. Ich verkniff mir die Frage warum sie mich nicht mitgenommen hatten. Ich wusste ja wo sie wirklich waren, wahrscheinlich beim Scheidungsanwalt oder so jemand ähnlichem. Trotzige Gedanken stiegen in mir hoch. Sollen sie sich doch trennen, wenn sie sich danach nicht mehr streiten müssen wird es viel ruihger und vielleicht lachen sie dann auch mal wieder. Dann kehrt auch Frieden ein.
Aber...
...was wird aus mir?

Als es Zeit war ins Bett zu gehen saß ich oben in meinem Zimmer am Fenster und starrte in die Nacht. Es hatte aufgehört zu regnen und nur noch einzelne Autos fuhren auf der Straße vorbei. Der Mond spiegelte sich in den Pfützen unten auf dem Asphalt. Bald würde man ihn nicht mehr sehen können, denn es zogen dunkle Wolken auf. Wenn er verdeckt war wurde die Nacht zu einer Zeit ohne Lichtblick. Ich fühlte mich unangenehm an die kaputte weiße Seite meines Traumes erinnert. Was würde wohl passieren wenn die Mauer die diese zwei Seiten, Licht und Schatten, trennte einstürtzen würde?
Ich hatte Angst es herauszufinden. Es war seltsam sich vor seinen eigenen Träumen zu fürchten. Dabei ist es doch nicht echt. Es sind doch nur Träume...

~

Erschrocken riss ich die Augen auf und bemerkte wo ich gelandet war. Ich musste am Fenster eingeschlafen sein. Ich saß zusammengekauert auf dem Boden, ganz nah an die Mauer gepresst. Wie zuvor war der Boden mit Rissen und Kratzern übersät, nicht mehr und nicht weniger als letzte Nacht. Ich atmete beruhigt auf. Es hatte sich also nichts verändert. Wesentlich gefasster begann ich meine träumerischen Rituale.
Ich war es gewohnt so lange an der Wand entlang zu gehen, aus Neugierde ob diese Traumwelt eigentlich ein Ende besaß. Also lief ich soweit ich wollte, doch meine Umgebung veränderte sich nicht. Es gab keinen Ausgang, kein Ende , keine Grenzen. Anfangs gefiel mir der Gedanke nicht. Was wäre wenn mir etwas schreckliches passieren würde, so wie der Sturz in das schwarze Meer? Was wäre wohl passiert wenn ich nicht aufgewacht wäre? Wo sollte ich hinfliehen wenn mich ein Ungeheuer verfolgen würde von Jenseits der Mauer?
Ohne den Gedanken weiter zu verfolgen begann ich meinen Spaziergang.
Doch nach zwei Schritten stoppte ich.
Ich musste mich dazu zwingen nicht zu schreien als ich sah was geschehen war.
In der Mauer, der unerschütterlichen Grenze zwischen Licht und Dunkelheit klaffte ein Loch, groß genug um den Dämonen Einlass zu gewähren in meine reine weiße Welt.
"Das kann nicht sein. Das ist bestimmt nur eine Einbildung.", rief ich mich selbst zur Ruhe, doch meine Stimme zitterte zu heftig als dass ich mir mit ihr etwas vormachen konnte.
Von der schwarzen Seite schwappte dunkles Wasser über die Grenze. Es floss in die Kerben und Risse und füllte sie in Sekundenschnelle und machte so selbst die kleinsten Kratzer sichtbar. Es sah so aus als würde ein unsichtbarer Dichter sein Werk mit Tinte auf Pergament festhalten. Und diesmal konnte ich die Worte lesen die dort standen.
"Ich wünsche mir"
Nur diese drei Worte, tausendfach eingeritzt und jetzt sichtbar gemacht durch das schwarze Wasser. Es sah aus wie ein skurriles Muster, ein Spinnennetz aus sich überlappenden Wörtern und Buchstaben. Dieser Anblick war so seltsam und angsteinflösend dass ich mich abwenden musste. Nun sah ich direkt auf die schwarze Seite. Dort war alles unverändert. Immer noch blickte ich durch das Loch auf einen unendlichen Ozean aus Schatten das unruhig kleine Wellen schlug. Noch nie hatte ich es gewagt diese Seite zu betreten oder mehr als nur einen Blick auf sie zu werfen, aber so wie es aussah machte es jetzt nichts mehr aus. Ich kniete mich am Ufer hin und tauchte zögerlich meine Hand ins Wasser. Das Nass war warm und umschloss meine Finger sanft und schmeichelhaft. Nicht wie normales Wasser, aber doch sehr ähnlich. Ich streckte meinen Arm noch weiter ins Wasser und versuchte einen Grund zu ertasten, vergeblich. Wie tief dieses Meer wohl war?
Plötzlich ergriff etwas meine Hand. Panisch fuhr ich nach hinten und zog meine Hand aus dem Wasser um dem Griff zu entkommen, aber was auch immer mich festhielt, es ließ nicht locker. Meine Augen wurden groß als ich sah das eine andere Hand meinen Arm umschlossen hatte. Erst als ich anfing laut zu schreien ließ sie locker und verschwand wieder im Wasser. Ich krabbelte auf allen Vieren so schnell wie möglich weg vom Ufer, weg vom Loch in der Mauer. Was zum Teufel war das gewesen?! Mein Herz pochte wie verrückt und ich blieb einen Moment lang wo ich war ohne mich zu rühren um mich zu beruihgen. Ein bekanntes Tropfgeräusch wühlte mich allerdings erneut auf.
"Wach auf", dachte ich flehend. "Wach auf!"
Das Tropfen wurde lauter. Sonst rührte sich nichts.
Nach einiger Zeit siegte die Neugierde über meine Angst. Vielleicht war das Ungeheuer auf der anderen Seite gar kein Ungeheuer. Vielleicht war ich ja doch nicht ganz allein in meiner Welt. Ich raffte mich auf und lief zu der Mauer die ich mittlerweile problemlos erklimmen konnte. Von Oben sah ich hinunter in das schwarze Meer. Und es war wie in meinem letzten Traum. Aus dem Ursprungspunkt der Wellen erhob sich eine Gestalt. Ich krallte mich mit beiden Händen an der Mauerkante fest mit dem Vorsatz diesmal nicht zu fallen. Und es funktionierte. Diesmal blieb ich beim Anblick der Kreatur standhaft und war überrascht wer zum Vorschein kam. Ein schlankes, männliches Wesen, ganz in schwarz gehüllt mit langen weißen Haaren und strahlender heller Haut entstieg dem scharzen Meer, die Augen verdeckt durch die breite Hutkrempe seines Zylinders. Ich wusste nicht was ich erwartet hatte, aber das mit Sicherheit nicht. Einen Moment ließ die Kreatur den Kopf noch gesenkt, dann sah sie sich um und fasste schließlich mich ins Auge. "Ahhh, wunderbar. Ich hatte befürchtet du wärst schon wieder gegangen." Mit 'schon wieder' meinte er wohl meinen letzten Traum. Seine Stimme war weich und väterlich. "Wer bist du?",fragte ich ohne weitere Umschweife. Der Fremde zuckte mit den Schultern. "Das ist dein Traum. Wer soll ich denn sein?" Eine gute Frage dachte ich und schwieg. Der Fremde ging ein paar Schritte auf die Mauer zu. "Aber warum sitzt du denn ganz allein dort oben? Spring doch runter zu mir.Hier, ich fange dich auf." Er streckte mir seine Arme entgegen. Ich schüttelte den Kopf. "Woher soll ich wissen dass ich dir trauen kann?" Der Fremde beantwortete die Frage nur mit einem leichten Lächeln. "Na gut, wenn du dich dort sicher fühlst... ich will dich zu nichts zwingen." Er setzt sich neben der Mauer auf dem Boden, legte den Zylinder ab und sah zu mir hoch. Jetzt konnte ich seine Auge ganz genau sehen. Sie waren schmal, schmaler noch als Mandeln und ein wenig in die Länge gezogen. Seine Iris hatte die Farbe von Feuer, rot und glühend, doch strahlten sie keine Gefahr sondern eine milde Wärme aus."Wie heißt du?", fragte er.Meine Antwort kam nur zögerlich. "Ich...ich bin Mary. Und wie ist dein Name?" Ein amüsiertes, leises lachen drang zu mir hinauf. "Mary? Das hört sich an wie der Name eines kleinen Engels. Oh, und mich kannst du nennen wie du willst." Bei der ersten Bemerkung röteten sich meine Wangen zusehends. "Und du?", fragte ich nochmals. "Hast du keinen Namen?"
"Oh doch, tausende..."
-"Dann verrate mir wenigstens einen. Der der am besten zu dir passt."
Wieder lachte er leise. "Das wäre kein schmeichelhafter. Aber...wir wäre es mit Mephisto?"
Ich überlegte einen Moment. "Was soll denn das für ein Name sein? Ich nenne dich Mephi, das klingt besser." Mephi schmunzelte und warf mir einen sanften Blick zu. "Wie du willst Mary."
"Und jetzt..." Ich erhob mich und balancierte auf dem Rand der Mauer herum. Ich konnte das mittlerweile so gut dass ich kaum noch wackelte oder Angst haben musste herunter zufallen. "...jetzt will ich wissen warum du hier bist. Das muss doch einen Grund haben."
Mephi richtete sich auf und folgte mir der Mauer entlang. "Nun...meistens komme ich zu Menschen die etwas brauchen. Die einen Wunsch haben. Und meistens ist dieser Wunsch so stark, so mächtig dass ich mir sicher bin dass es ein ehrlicher und guter Wunsch ist. Dann komme ich und erfülle ihn."
Ich stoppte meinen Balanceakt und sah zu Mephi."Du kannst Wünsche erfüllen? Das kannst du?"
Mephi nickte und warf mir einen zufriedenen Blick zu. "Aber ja, wenn ich es doch sage. Vielleicht bin ich ja deswegen hier. Hast du einen Wunsch Mary?"
Für einen Moment konnte ich nicht sprechen. Völlig in Gedanken versunken sah ich rüber auf die weiße Seite die nun völlig durchzogen war von den schwarzen Wörtern.
"Ich wünsche mir"
Es gab so viel was ich mir wünschte. Ich wünschte dass meine Eltern sich wieder vertragen, ich wünschte dass meine Schulkameraden mich in Ruhe ließen, ich wünschte mir endlich wieder glücklich zu sein...
Ich sah wieder zu Mephi. "Ich weiß nicht...ich weiß doch nicht ob ich dir überhaupt Trauen kann. Ich meine...einem Fremden vertraut man doch nicht so einfach seine Wünsche an. Und schließlich bist du nur ein Traum. Eine Fantasie. Wenn ich aufwache bist du verschwunden und alles ist so wie vorher. Dann gibt es das alles hier nicht mehr.", meine Stimme wurde seltsam Rau und in mir stiegen die heißen Tränen hoch. "Oder?"
Mephi sah mich mitleidig an. "Mary...mein Engel..." Trotzig wandte ich mich von ihm ab. "Nein! Ich bin kein Engel! Hör auf das zu sagen!"
Meine Stimme verhallte in den weiten meiner Traumwelt und Mephisto schwieg.
"Wäre ich ein Engel...ich würde wegfliegen von hier...dann würde das alles ein Ende nehmen...ich müsste nicht sehen wie mein Leben den Bach runter geht..." Die Tränen die sich in mir gesammelt hatten traten zum Vorschein und benetzten meine Wangen, meine Hände mit denen ich mein Gesicht verbarg und den zerschundenen weißen Boden.
"Dann wünsche es dir."
Ich schluchzte kurz auf und sah wieder zu Mephi. "Wie denn?! Du bist nur ein Traum!"
Mephi seufzte tief. "Ich bin nicht irgendein Traum. Ich bin dein Traum. Und Träume wären nicht Träume, könnten sie nicht wahr werden."
Ich sah Mephi hinter dem Tränenschleier verständnislos an.
"Ist es nicht wenigstens einen Versuch wert?", fragte Mephi und setzte seinen Zylinder wieder auf. Einen Moment lang dachte ich die Verzweiflung würde mich überschwemmen, doch dann dachte ich über das nach was Mephi mir gesagt hatte. "Versuchen...und wie soll ich einen Traum zur Realität werden lassen? Das ist unmöglich..."
Mephi streckte mir seine beiden Hände entgegen. "Komm, ich zeige es dir. Du musst mir nur Vertrauen mehr nicht."
Sofort wollte ich zugreifen, doch plötzlich erstarrte ich mitten in der Bewegung. Schwarz. Er stand auf der schwarzen, der bösen Seite meines Traumes.
"Was ist Mary? Komm, es ist nicht schwer."
Ich rührte mich nicht. Das Schwarz schien bedrohlich näher zu kommen, mich angreifen zu wollen und wieder fühlte ich mich seltsam leicht und kaum im Stande mich auf den Beinen zu halten.
"Mephi...Mephi...ich falle..."
Ich hörte seine Stimme, konnte ihn im Schwarz erahnen, doch alles nur verschwommen. "Mephi, halt mich fest..."
Und er tat es. Ich verlor den Boden unter den Füßen, kippte nach vorn über und fürchtete wieder in das schwarze Meer zu fallen und vielleicht nie wieder aufzuwachen weil Mama oder Papa nicht mehr da waren um mich zu rufen oder weil ich Angst vor dem Leben da draußen hatte. Doch dann umschlossen mich seine Arme, ich konnte Halt und Sicherheit spüren und klammerte mich an diese Gestalt die doch eigentlich nur ein Traum war und doch viel mehr. "Ich hab dich Mary." Ohne einen Laut von mir zu geben lies ich meinen Tränen in Mephis schützenden Armen freien Lauf. Er strich mir beruhigend über den Kopf wie es mein Vater immer getan hat wenn ich traurig war. Er trug mich durch das Loch auf die weiße Seite meiner Welt und setzte mich auf den Boden. "Und jetzt lass uns deinen Wunsch erfüllen." Er lächelte mich sanft an und deutete auf einen der unvollständigen Sätze."Du musst ihn nur zu Ende führen."
Ich wischte mir die Tränen von der Wangen. "Das ist alles?", fragte ich ungläubig.
"Das ist alles...naja...es würde helfen wenn du noch ein wenig daran glaubst dass dein Wunsch wahr wird.", meinte Mephi und zwinkerte mir scherzhaft lächelnd zu.
"Glaub daran, und es wird wahr. Aus deinem Traum wird Wirklichkeit wenn du ihm die Chance gibst."
Auf Knien robbte ich zu einer günstigen Stelle an der ich meinen Wunsch aufschreiben konnte.
Mit zitternden Fingern zeichnete ich Buchstaben auf den weißen Boden indem ich sie in das schwarze Wasser tunkte wie Tinte. Und es funktionierte, ich konnte schreiben.
"Ich wünsche mir...ich wäre ein Engel.", stand nun dort auf dem Boden.
Mephi grinste zufrieden. Ich sah ihn an, wartete auf eine Veränderung oder irgendein Zeichen, doch im ersten Moment veränderte sich nichts. Dann sah ich wie die schwarze Schrift auf dem Boden verschwand.  Die Mauer, die Licht und Dunkel getrennt hatte versank im und das schwarze Meer war nicht mehr. In mir kam ein Gefühl von Leichtigkeit auf, und ich spürte wie mir komisch wurde. "Mephi was...was passiert hier?"
Mephi seufzte. "Sieht so aus als wäre es Zeit aufzuwachen. Dein Wunsch muss sich doch erfüllen." Ungläubig, mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Glücksgefühlen sah ich Mephi an. "Aber...aber was ist mit dir?"
"Dein Wunsch ist erfüllt, es wird Zeit deinen Traum zu verlassen."
"Aber...sehen wir uns wieder?"
"Bestimmt. Aber jetzt wird es Zeit zu gehen. Auf wiedersehen Mary...kleiner Engel."
Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte er sich von mir ab. Ich konnte ihn noch weggehen sehen, dann erwachte ich aus meinem Traum.

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Als meine Mutter mein Zimmer betrat erstarrte sie. Mein Bett war leer, unberührt.
Und ich?
Ich war nicht da.
Sie rief meinen Namen immer und immer wieder, doch ich antwortete nicht. Nervös sah sie sich um, im Haus, auf der Straße, rief bei Verwandten und Freunden an. Doch ich war nirgendwo zu finden. Leise setzte ich mich aufs Fensterbrett. "Es tut mir Leid...aber ich muss jetzt gehen.", flüsterte ich. "Keine Angst, ich passe auf euch auf...Mom...Dad...nur leider könnt ihr mich jetzt wohl nicht mehr sehen. Aber ich werde euer Schutzengel sein, das Verspreche ich. Lebt wohl..."
Ein letztes mal sah ich zurück. Dann zum Himmel.
"Danke Mephisto.",sagte ich.
Langsam breitete ich meine Flügel aus. Ich spürte wie sie mich nach oben trugen, immer immer weiter in die Höhe,  grenzenlos, ohne eine Mauer die mich halten konnte und ohne ein Meer das ich nicht überfliegen konnte.
"Danke für alles."


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
~Gewidmet allen die mir das Leben verderben und allen die es anschließend wieder schön machen~

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