Wenn man jemanden „Ich liebe dich“ sagt, erwartet man eine normale Antwort wie „Ja“ oder „Nein“. Ich habe meine ersten Erfahrungen mit dieser Aussage anders erhalten. Bei mir war es weder ein „Ich möchte nichts von dir“, noch ein „Endlich sagst du es“ oder ähnliches. Bei mir war es lediglich ein Kopfnicken, ein kurzer Blick und dann hatte er sich auch schon von mir abgewendet. „Schön.“ Dieses Wort, seine Stimme, hallt immer noch in meinem Kopf wider. Schön? Wieso schön? Es scheint ihn rein gar nicht interessiert zu haben, was ich gesagt habe.
„Schön“, wiederhole ich leise und sehe in den hellblauen Frühlingshimmel. „Schön.“
„Leonas Böhnke?!“ Mein bester Freund sieht mich entsetzt an und schüttelt den Kopf.
„Ja! Ich meine, schau ihn dir an! Er ist heiß und energisch und so.. so..“ Ich finde gar keine Worte für eine gute Beschreibung die meinen Schwarm treffen könnte! „Wie kann man sich nur in diesen Kerl verknallen?! Du weißt, dass ich nichts dagegen habe, dass du schwul bist und dass ich dich immer unterstützen werde, aber bitte tu dir nicht selber weh! Der Kerl hat doch überhaupt keine Ahnung von Liebe!“
So ganz Unrecht hat Rafail damit ja nicht. Leonas ist das beste Beispiel für Leute, die noch nie ein Anzeichen von Zuneigung gezeigt oder empfunden haben. „Ich weiß. Aber er ist trotzdem toll! Und außerdem werde ich es ihm schon noch beibringen, was es heißt, jemanden zu lieben! So leicht werde ich nicht aufgeben!“ Ich grinse breit und werfe einen Blick über den Schulhof.
„Ach Tommy.“, meint mein bester Freund und sieht mich leicht mitleidig an. „Ich will nur nicht, dass du noch einmal verletzt wirst!“ Er streicht mir durch mein Haar und drückt mich einmal, ehe er von der Bank aufspringt. „Ich muss nochmal zum Lehrerzimmer. Sehen wir uns nach der Schule?“ Ich nicke und sehe ihm nach, ehe mein Blick zu Leonas schweift, der etwas abseits mit einigen Freunden beisammen steht und plaudert. Ich habe ihn ehrlich gesagt noch nie lachen sehen, oder lächeln. Er schaut immer recht ernst und mürrisch. Aber seine Augen sind so durchdringend, dass man einfach nicht mehr wegschauen kann. Lächelnd stehe auch ich auf und schlendere auf die Gruppe zu.
„Hey!“, meine ich und hebe die Hand zum Gruß. Die Jungs drehen sich fragend zu mir um. Sie kennen mich nicht, da ich noch eine Stufe unter ihnen bin, aber mir ist es ziemlich egal. Ich habe eh nur Augen für eine Person!
Doch Leonas schaut demonstrativ in eine andere Richtung. „Leonas!“, sage ich und lächele ihm ein wenig zu. Er wendet mir den Kopf zu und wieder scheint sein Blick mich prüfend zu beobachten und meine Seele erblicken zu wollen. Mein Herz macht einen kleinen Satz und ich muss schlucken.
Leonas scheint währenddessen auf etwas zu warten. Mist! Ich habe mir gar nicht überlegt, was ich sagen soll. „Schön ist keine Antwort!“, kommt es da aus meinem Mund. Warum habe ich das jetzt gesagt? Ich will ja nicht, dass er mich abweist! Doch Leonas zuckt nur mit den Schultern.
„Kennst du den, Leo?“, fragt ein großgewachsener Junge und zieht eine Augenbraue in die Höhe.
„Nein.“, meint Leonas und wendet sich wieder von mir ab. Ich schmolle leicht, doch von so etwas lasse ich mich doch nicht aufhalten! „Leonas!“, meine ich erneut. „So etwas ist wirklich unverschämt!“ Ich stemme die Hände in die Hüften und werde gekonnt ignoriert.
„So leicht werde ich dich nicht in Ruhe lassen!“, meine ich, ehe ich mich umdrehe und auf das Schulgebäude zugehe. Es klingelt und die Pause ist um. Ich sehe nicht noch einmal zurück, spüre aber seinen Blick auf meinem Rücken und weiß, dass ich einen Eindruck hinterlassen habe!
„Oh man, ich weiß einfach nicht, wie ich das machen soll!“ Ich starre schweigend vor mich her, während mein bester Freund mir sein Leid klagt. Ich bin mir nur nicht so sicher, worüber er da eigentlich redet. Könnte sein, dass er eine Klausur schreibt, oder geschrieben hat. Sicher bin ich mir nicht. Mein Kopf ist an die kühle Scheibe des Busses gelehnt und ich beobachte die vorbei schleichende Landschaft.
„Tommy hörst du mir überhaupt zu?“, fragt Rafail und ich sehe ihn kurz entschuldigend an. Ich bin mit meinen Gedanken die ganze Zeit ganz woanders. Leonas hat einfach mit den Schultern gezuckt. Erneut eine belanglose Antwort auf eine wichtige Aussage! Wieso ist er nur so merkwürdig drauf? Hat er sich wirklich noch nie verliebt?
„Tom~“, quengelt Rafail weiter. Ich seufze leise auf und wende mich vom Fenster ab. „Tut mir leid. Worüber beklagst du dich?“ Ich will ja nicht mit ihm streiten, aber momentan habe ich einfach besseres im Sinn.
„Ich beklage mich darüber, dass du mir nicht richtig zuhörst! Und dass du die ganze Zeit nur an Leonas denkst! Bitte, schlag ihn dir aus dem Kopf. Es gibt sicher jemand viel besseren für dich!“ Ich sehe ihn erstaunt an, ehe ich schelmisch grinse. „Du zum Beispiel?“, frage ich dann scheinheilig nach. Sofort verzieht Rafail sein Gesicht. „Nein!“, meint er dann und hebt abwehrend die Hände. Ich muss auflachen. Mein bester Freund kann manchmal echt prüde sein, wenn er will.
„So, ich muss raus.“, sagt er da gerade und ich lächele, ehe ich ihn kurz einen Handschlag gebe. „Man sieht sich!“, meine ich dann und sehe ihm noch kurz nach, ehe mein Blick wieder auf die Straße gerichtet ist.
Wie kann ich es anstellen, dass Leonas mich wenigstens bemerkt? Wir haben ja nicht einmal zusammen Unterricht. Schließlich ist er ein Semester über mir! Nur noch ein Jahr und er ist weg von der Schule. Nicht mal, ein halbes nur! Wie soll ich ihn nur rumbekommen?! Erst einmal muss ich herausfinden, ob er in jemanden verliebt ist. Und wenn ja, in wen. Und wie ich es verhindern kann, dass sie zusammen kommen. Schließlich weiß ich aus sicheren Quellen, dass er Single ist! Das bringt mein Herz erst einmal zum aufblühen. Ich muss leicht lächeln, als sich plötzlich jemand neben mich setzt.
Erst sehe ich gar nicht auf, aber nach kurzer Zeit schweift mein Blick rüber. Mir fällt beinahe die Kinnlade herunter, als ich sehe, dass Leonas neben mir sitzt. Er sieht mich mit verschränkten Armen vor der Brust an und zieht seine Augenbrauen zusammen.
„Was sollte das?“, fragt er nach. Was meint er? Mein Geständnis? Oder die Blamage vorhin vor seinen Freunden?
„Ich habe dir eine Antwort gegeben, mit der du dich zufrieden geben musst! Es ist mir egal, was du für mich empfindest, ok? Ich gebe keinen Wert auf deine Gefühle. Hör auf mich vor meinen Freunden bloß stellen zu wollen!“
Scheinbar hat es ziemlich an seinen Nerven gezerrt. Aber davon lass ich mich sicher nicht unterkriegen!
„Für mich ist „schön“ aber keine Antwort auf ein Geständnis!“, meine ich empört. Sofort sieht Leonas sich um, ehe er mich wieder ernst ansieht. „Kannst du das vielleicht nicht so laut sagen? Dann wäre ich dir sehr dankbar!“, murrt er genervt. Ich zucke mit den Schultern. Das ist mir nämlich egal!
„Trotzdem! Weise mich wenigstens richtig ab! Oder sag einfach was dazu. Schön ist schließlich keine Meinung! Und ich weiß wovon ich rede! Schön ist.. ist.. ich weiß nicht! Eine halbe Antwort! Schön, ich dich nicht. Schön, ich dich auch. Man kann so viel dazudichten!“ Ich sehe ihn abwartend an. Leonas schüttelt nur den Kopf. „Mach das nie wieder!“, meint er dann drohend.
„Warum? Haben deine Freunde irgendetwas dazu gesagt? Sag ihnen doch einfach, dass ich dich verwechselt habe. Aber ich werde dich nicht in Ruhe lassen, bis ich meine Antwort bekomme!“, bestehe ich weiterhin darauf.
Ich habe das Gefühl, dass dies noch eine sehr lange Busfahrt werden wird.
„Du gehst mir echt auf die Nerven, Kleiner!“ Leonas weicht meinem Blick aus und starrt nach vorne in den Gang. Warum steigt er nicht einfach aus? „Fährst du öfter mit dem Bus?“, frage ich neugierig nach. Er reagiert vorerst nicht, dann nickt er leicht. „Wohin? Nach Hause?“ Er schüttelt den Kopf, schweigt aber. Ich murre genervt auf. Scheinbar ist er nicht so der redselige Typ.
„Zu einem Freund?“
„Einem Bekannten. Könnte man sagen.“
„Was für ein Bekannter?“
„Geht dich nichts an!“
„Ein guter Bekannter oder nur ein Bekannter?“
„Halt die Klappe!“
Ich glaube das ist das erste Mal, dass er eine leichte Gefühlsregung zeigt. Vorher war ihm ja eher alles egal, jetzt ist er genervt. Irgendwie macht es mich glücklich, auch mal andere Seiten von ihm zu sehen! Mein Herz beginnt wieder stärker zu klopfen. Ob er es hören kann? Sicher nicht, oder? Ich höre es ziemlich stark in meinen Ohren puckern! So ein Mist!
Ich sehe ihn schwärmerisch an, was ihn seinen Mund verziehen lässt. „Guck nicht so, dass ist ja ekelhaft!“ Ich schmolle leicht. „Immer diese doofen Hete.“, meine ich.
Leonas knurrt leise auf. „Dumme Schwuchtel!“
Ich muss grinsen. Klar sollte es eine Beleidigung sein, aber es ist irgendwie niedlich, wenn er es sagt. Generell ist sein Verhalten total süß! Es stört mich eigentlich gar nicht, dass er so abweisend zu mir ist, im Gegenteil! Es spornt mich immer weiter an!
„Du kannst echt süß sein!“, meine ich und grinse. Er zeigt keine Regung. Ignoriert er mich jetzt wieder? „Wann musst du aussteigen?“
Leonas steht auf und setzt sich auf einen Platz auf der anderen Seite. Denkt er wirklich, dass er mich so los wird?! Ich murre leise und sehe beleidigt aus dem Fenster. Könnte ihm so passen! Ich werde mir schon eine Taktik ausdenken, auf die er eingehen wird! Hoffentlich..
Ich seufze leise. Plötzlich bewegt sich Leonas und steht auf. Muss er hier raus? Ich beobachte, wie er zur Tür geht und hinaussteigt, als sie sich öffnet. Schnell springe ich von meinem Sitz auf und folge ihm.
„Lass mich endlich in Ruhe!“, meint er genervt, aber ich sehe es nicht ein. „Nein! Ich warte noch immer auf meine Antwort!“
Triumphierend folge ich ihm. Aber bald fällt mir auf, dass wir die ganze Zeit nur um den Block laufen. Wovor hat er denn Angst? Wo will er hin, was ich nicht erfahren soll? Oder hat es nur damit was zu tun, weil wir und kaum kennen? Ich weiß es nicht genau, aber ich würde es gerne herausfinden. „Wo geht’s denn in? Läufst du immer so oft um diesen Block?“, frage ich und muss lachen. „Ich werde trotzdem wie ein Schatten hinter dir bleiben.“, meine ich dann. Leonas bleibt abrupt stehen. „Du nervst!“, sagt er dann. „Verschwinde endlich und lass mich in Ruhe! Mein Leben geht dich einen Scheiß an, ok?! Ich habe mit Liebe nichts am Hut und habe auch nicht vor, es demnächst zu ändern!“ Ich frage mich, was sein Problem ist?
„Dann lass uns wenigstens Freunde sein!“
„Du passt nicht in meinen Freundeskreis!“
„Sei doch nicht so eingebildet! Das ist echt anstrengend!“
„Du musst ja nicht hier bleiben!“
Ich habe das Gefühl, dass Leonas langsam wirklich sauer wird. Ob ich es zu weit treibe?
„Ich will aber!“, meine ich schmollend.
„Was ist eigentlich dein Problem, Knirps?! Wir kennen uns nicht und du folgst mir überall hin! Was willst du von mir? Geld? Liebe?“ Er lacht kurz auf. Ich sehe ihn schweigend an. Dann reiße ich mich zusammen und mache den Mund auf.
„Ich will dich einfach nur gerne besser kennenlernen.“
Texte: S. Wendler
Bildmaterialien: Internet
Lektorat: S. Wendler
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2014
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