„Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.“
-Leonardo da Vinci
Diagnose: Krebs.
Das schlimmste, was man sich vorstellen kann. Das einzige, bei dem ich Angst habe zu sterben. Das erste, was mir damals durch den Kopf ging war: „Wieso ich?“ Es ist nicht so, dass ich es jemand anderem wünsche, im Gegenteil. Diese Krankheit sollte es nicht mehr geben.
Wieso Krebs? Wie lange noch? Ist es heilbar? Muss ich mich nun verabschieden? Werde ich es überleben? Die ersten Fragen, die einem bei solch einer Diagnose durch den Kopf gehen. Weiter geht es damit, wie man nun weiter leben solle, ob es sich noch lohnen würde. Wie würde die Familie sich fühlen? Wie die Freunde? Man geht alles in seinem Kopf durch, bis man bei seiner eigenen Beerdigung ankommt. Werden viele da sein? Wer wird alles auftauchen? Die Streber von nebenan? Die Rüpel, die einem das Leben zur Hölle machen? Der schlimmste Feind und der beste Freund? Die Verwandten von ganz weit weg? Vielleicht auch keiner?
Ich wusste bis dato noch nicht, dass es nur eine Person geben würde, die auf meiner Beerdigung erscheinen würde. Eine Person, die mich wirklich lieben und nie aufgeben würde. Eine Person, die ich für immer lieben und nicht mehr aufgeben würde.
„Timmy~!“, ruft meine Mutter gerade und ich seufze genervt auf. Ich hasse es, wenn sie mich so nennt. Ich lege mein Buch beiseite und sehe auf. „Ja Mum?“, frage ich und stütze meinen Kopf gelangweilt auf meine Hand. „Du hast Post!“, sagt sie voller Freude und hält mir einen Brief entgegen. Ach was, noch ein Gutes-Sterben-Briefchen? Davon kann ich ja auch noch einige gebrauchen. Waren bisher ja schließlich erst fünfzig in einer Woche. Und die meisten von den Personen kenne ich gar nicht, oder habe ich erst einmal gesehen. Aber kaum ist man dem Tode geweiht, kommen sie alle aus ihren Bunkern gekrochen. Und Mum freut sich darüber.
Ich nehme den Brief an und lege ihn auf die Kommode.
„Willst du ihn gar nicht öffnen?“, fragt sie auch schon, aber ich schüttelte den Kopf. Sehe ich denn so aus? Sie zuckt nur gekränkt mit den Schultern. „Dabei ist er doch von Tante Sybille.“
Ach so? Von Sybille? Die Sybille? Kenne ich gar nicht! Also ist es mir auch egal. Und das Geld, was sie mir schicken, kann ich auch nicht gebrauchen, wenn ich krank im Bett liege.
„Was machst du?“, fragt Mum wieder lächelnd. Ich deute nur stumm auf das Buch.
„Hast du jetzt auch noch deine Stimme verloren?“, fragt sie nach und stemmt ihre Hände in die Hüften. Ich nerve sie.
Als sie merkt, dass ich darauf nicht reagiere, lässt sie es bleiben. „Möchtest du einen Tee?“, fragt sie nach, doch ich schüttele den Kopf. Ich habe seit Wochen nichts anderes mehr getrunken. Doch, Wasser. Aber das wird auch langsam fad.
Meine Mutter verschwindet wieder. Ich glaube, sie wäre froh, wenn ich sterben würde.
„If i die young,
Bury me in satin,
Lay me down on a bed of roses,
Sink me in a river at dawn...
Send me away with the words of a lovesong.“
„Los doch! Schneller! Wir brauchen hier Hilfe! Holt einen Arzt!“ Aufruhr, Gemurmel und eine große Menge Leute. Viel zu viele Hände, die mich betatschen. Es ist zu laut, aber ich kann meinen Arm nicht bewegen, um mir die Ohren zuzuhalten. Wo bin ich? Es ist kalt. Sehr kalt. Sterbe ich? Ich kann nichts sehen. Es ist dunkel.
Plötzlich wird es hell! Strahlend weiß! Bin ich im Himmel? Nein, ich würde in die Hölle kommen, wenn ich tot wäre, oder? Bin ich in der Hölle? Ich kneife meine Augen zu, als sie anfangen zu brennen. Ich bin müde und schwach. In der Hölle wäre es doch wärmer, oder? Aber mir ist so unendlich kalt. Ich schlafe wieder ein.
Als ich das nächste Mal wach werde, schaffe ich es meine Augen zu öffnen, ohne von dem grellen Licht geblendet zu werden. Ich sehe mich um und liege in einem kleinen Raum im Krankenhaus. Das Bett neben mir ist frei und ordentlich zusammengelegt. Ich habe Durst, aber meine Arme wollen sich nicht bewegen lassen. Dafür bin ich zu geschwächt.
„Timmy?“, höre ich eine viel zu bekannte Stimme und drehe meinen Kopf in die andere Richtung. Meine Mutter sieht mir besorgt entgegen, aber ich weiß, dass alles nur Schein ist.
„Hey Mum.“, meine Stimme klingt krächzend. „Kann ich Wasser haben?“, frage ich nach und muss mich räuspern. Sie nickt und deutet neben mir auf die Kommode. Ja super Mum! Was für eine Hilfe, echt! Wenn ich rankommen würde, oder mich wenigstens aufsetzen könnte, dann würde ich mir das Glas sicher auch nehmen! Aber, wenn du auch nur einmal schlüssig denken könntest, würdest du merken, dass es nicht geht.
„Frau Preston?“, fragt ein junger Mann und hält meiner Mutter die Hand entgegen. „Ich bin der Arzt ihres Sohnes. Freut mich.“, sagt er und scheint nicht die Güte zu haben, sich auch mir vorzustellen. Ist ja nicht so, dass es hier um mich geht. Um mich geht es schließlich nie!
„Wie geht es ihm? Wird er wieder? Was war das vorhin?“, fragt meine Mutter nach und ich könnte kotzen! Dieses gespielt 'Oh Gott, mein Armer Sohn' kann sie sich ruhig sonst wo hinstecken! Der Arzt wirft mir einen Blick zu und schüttelt leicht den Kopf.
„Lassen sie uns draußen reden.“ Er hält meiner Mutter die Tür auf und lässt mich mit offenem Mund zurück. Was soll denn der Scheiß jetzt auf einmal? Es geht hier um meine Gesundheit und die machen ein Geheimnis daraus?! Ich will auch wissen, wie es um mich steht! Meiner Mutter ist es doch sowieso scheiß egal! Diese Heuchlerin! Ich könnte vor Wut platzen.
Erneut versuche ich, meinen Arm zu bewegen und schaffe es sogar. Es schmerzt irgendwie, aber es funktioniert. Ich greife zitternd nach dem Glas, wobei mehr Wasser auf der Decke landet, als in meinem Mund. Wie soll man auch trinken, wenn man noch halb liegt und das Glas kaum halten kann? Ich stelle es lieber wieder zurück, bevor ich es noch gänzlich kaputt bekomme, indem es auf dem Boden landet und klirrend zerspringt. Dann lege ich meinen Arm zurück auf die Decke und wende meinen Kopf zum Fenster. Gut, wer war bitte so schlau, die Vorhänge zuzuziehen? Wen darf ich dafür jetzt umbringen? Ich knurre leicht auf und lasse meinen Blick einmal durch das ganze Zimmer schweifen. Zwei Stühle, vermutlich für Besuch. Das andere Bett, ein Fenster, die Tür und eine Tür zum Badezimmer. Sie ist geschlossen. Eine Kommode zwischen den Betten, mit ein paar Plastikblumen in der Vase. Weil sie ja auch so schön aussehen.
Meine Mutter tritt wieder in den Raum, doch in ihrem Gesicht kann ich nicht ablesen, ob ich nun überleben, oder womöglich schon morgen sterben werde. Ich sage ja, dass es ihr egal ist. „Wie geht es dir mein Schatz?“
„Ging mir nie besser.“, meine ich sarkastisch und verziehe das Gesicht. Was soll diese dämliche Frage eigentlich?
„Das ist kein Spaß, Timo! Nimm mich doch mal ernst, wenn ich mir Sorgen um dich mache! Du bist wirklich unverschämt! Herr Gott!“ Und schon ist sie wieder auf hundertachtzig. Irgendwie wird man dadurch wenigstens unterhalten. Ich seufze nur und winke ab. Sie grummelt auf und sieht schnippisch weg. Geht sie jetzt endlich mal, oder nicht? Was denkt sie denn, worauf ich sonst warte? Auf den gestrigen Tag?
„Ich muss zur Arbeit.“ Aha, na endlich. „Ich komme dann die nächsten Tage wieder vorbei.“ Ich nicke leicht und sie gibt mir einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Werde schnell wieder gesund.“, meint sie dann, doch darauf antworte ich lieber nicht. Wie auch? Ich weiß ja nichts! Ich seufze laut auf, als sie endlich das Zimmer verlassen und die Tür geschlossen hat. Ich kuschele mich in die Decke, auch wenn mir inzwischen wirklich warm ist. Dann versuche ich wieder zu schlafen. Was besseres fällt mir gerade nicht ein. Aber scheinbar haben die Ärzte etwas dagegen, denn kurz darauf kommt eine Krankenschwester zu mir.
Sie hebt meinen Arm an und misst meinen Blutdruck und meinen Puls. Wofür soll das bitte gut sein? Ich sehe sie verwirrt an, aber sie redet nicht mit mir. Irgendwie scheint keiner mit mir reden zu wollen! „Kann ich den Arzt sprechen?“, frage ich nach, aber Schwester Annette schüttelt den Kopf. „Der ist beschäftigt.“
„Und wenn ich in Lebensgefahr wäre?“
„Er ist beschäftigt!“, wiederholt sie erneut, als wäre ich schwerhörig.
Sie nimmt mir Blut ab, ohne irgendeine Vorwarnung und ich wende meinen Blick ab. Ich kann kein Blut sehen, davon wird mir übel. So schnell, wie die Schwester gekommen ist, geht sie jetzt auch wieder und erneut bin ich alleine. Der Raum kommt mir so einsam viel größer vor, als er eigentlich ist. Mein Magen knurrt und ich sehe ihn an, als wäre er ein Alien. Wo bekomme ich hier eigentlich etwas zu essen? Scheinbar gar nicht, so lange ich nicht ohne Schwindelanfälle aus dem Bett komme. Ich murre genervt auf. Seit ich hier bin, will ich nur wieder weg. Zu Hause war es einfach schöner. Und jetzt muss ich doch im Krankenhaus bleiben. Ich hasse es, wenn Ärzte einem falsche Hoffnungen machen.
„Hallo?“, rufe ich, aber nichts regt sich. „Hier liegt einer, der gerade am Verhungern ist!“, meine ich dann ebenso laut, wie vorher. Nichts. „Man!“, schimpfe ich und würde jetzt am liebsten irgendetwas zerschlagen. Wo sind eigentlich immer die Porzelanvasen, wenn man sie dann mal braucht?
„Hast du gerufen?“ Ich höre eine freundliche Stimme und wende den Kopf um. Ich muss sofort lächeln, als ich erkenne wer es ist. „Na Kleiner.“, sagt mein Onkel und geht auf mich zu. Mit Mühe strecke ich meine Arme aus und drücke mich an ihn.
Wie geht’s?“, fragt er nach, aber ich winke nur ab. „Ging schon mal besser.“, sage ich dann, lächele aber. „Wie kommt es, dass du hier bist?“, frage ich nach. „Bist du nicht derzeit auf Reisen?“ Es verwundert mich schon, dass er plötzlich auftaucht, wo er doch eigentlich gerade in Afrika sein sollte.
„Na hör mal! Wenn mein Neffe im Krankenhaus liegt und es ihm schlecht geht, bin ich sofort zur Stelle! Scheiß mal auf den Job!“ Er lacht und wuschelt mir durch die Haare. Ich mag so etwas nicht, aber das weiß er nur zu gut. Er macht es immer, wenn er mich ärgern will.
Mein Onkel zieht sich einen der Stühle heran und setzt sich breitbeinig darauf. Dann legt er seine Arme auf die Lehne und lässt seinen Kopf auf die Arme fallen. „Erzähl mal. Was ist denn so in den letzten Monaten passiert? Hast du schon eine Freundin?“ Ich bin froh, dass er meine Krankheit nicht direkt anspricht. Ich bin auch froh, dass er mir keine dämliche Karte geschickt hat. „Ich hätte dir ja eine Karte geschrieben, aber ich dachte mir, da komme ich doch lieber persönlich vorbei.“ Er zwinkert mir zu und scheint mal wieder genau zu wissen, woran ich denke. Ich lächele nur und schüttele dann den Kopf.
„Ich hab keine Freundin.“, sage ich dann schulterzuckend. Wer will auch schon mit jemandem wie mir zusammen sein? Vor allem momentan? Ich bin sowieso eher ein Einzelgänger.
„Auch keinen Freund?“, fragt mein Onkel mich betrübt und ich verziehe leicht das Gesicht. „Schließ nicht von dir auf andere!“, sage ich dann und wir müssen beide lachen.
„Ich habe gerade deine Mutter getroffen. War sie die ganze Zeit bei dir?“, fragt er verwundert nach. Er weiß, wie das Verhältnis von mir und meiner Mutter ist. Ich nicke leicht zögerlich.
„Weiß auch nicht, was sie wollte. Ich hab sie dann einfach vergrault.“ Mein Onkel schüttelt mahnend den Kopf, grinst aber. Can hat auch nicht gerade das beste Verhältnis zu ihr. Sie sind zwar Halbgeschwister, aber eine wirkliche Nähe haben sie nicht. Liegt vielleicht daran, dass meine Mutter schon sechzehn war, als meine Oma mit Can schwanger wurde und dann auch noch von einem anderen Kerl.
„Wie siehts denn bei dir aus?“, frage ich nach und Can schmunzelt.
„Finley wartet zu Hause auf mich.“ Er zwinkert mir zu, ich nicke nur.
„Warum ist er denn nicht mitgekommen?“, frage ich nach. Ich habe Finley bisher noch nie gesehen, dabei sind sie schon mehr als vier Monate zusammen. Aber immer wenn ich nach ihm frage, lenkt Can vom Thema ab.
„Er ist schüchtern. Wie eine scheue Katze und kommt mit der Nähe zu anderen Menschen nicht ganz klar. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer das für mich war.“
Wie es wohl ist, wenn man in jemanden verliebt ist und dieser nicht erwidert? Und wie wäre es, wenn er es dann doch tut. Er oder sie. Ich bin mir bei mir selber noch nicht so sicher, ob ich hetero, schwul oder vielleicht auch bi bin. Bisher habe ich schließlich an niemandem Interesse gezeigt.
„Du ich muss wieder gehen. Ich bin aber morgen früh gleich wieder bei dir. Vielleicht schaffe ich es ja auch, Finley zu überreden mitzukommen.“
Ich nicke, lasse mich von ihm umarmen und mir einen Kuss auf die Wange drücken. Dann sehe ich ihm hinterher und weiß nichts rechtes mit mir anzufangen. Warum ist dieses verdammte Bett neben mir eigentlich leer? Kann ich nicht wenigstens einen Zimmergenossen haben? Oder eine Zimmergenossin? Dann wäre es nicht ganz so langweilig. Und Hunger habe ich auch noch, Mist! Ich hatte gerade die Chance, Can darum zu bitten, mir etwas zu Essen zu holen. Und dann hab ich es auch noch total vergessen. Jetzt bin ich sauer auf mich selbst.
Ich lege mich grummelnd einfach zurück in mein Bett und mache die Augen zu. Diesmal kommt keiner rein, um mich zu stören. Ich schlafe nach einer Weile ein und habe auch nicht mehr das Bedürfnis, noch einmal aufzuwachen. Erst als ich ein Rumpeln höre und einige Stimmen, werde ich aus meinem Traum gerissen und drehe mich müde auf die andere Seite. Jetzt habe ich wenigstens wieder genug Kraft gesammelt und bin nicht mehr so gelähmt wie vorher. Ich öffne meine Augen, ohne einen Mucks von mir zu geben und schiele auf das andere Bett. Dort liegt ein Junge, umgeben von anderen Leuten. Er versucht sie scheinbar zu beruhigen, muss aber kurz danach husten. Das Husten hört sich schrecklich an und so sehr ich mir vorher noch einen Zimmergenossen gewünscht habe, so sehr wünsche ich mir jetzt, dass er wieder verschwindet.
„Die Besuchszeit ist um!“, sagt da plötzlich eine Schwester, die ich gar nicht reinkommen gehört habe und zucke zusammen. Sie hat so eine strenge Stimme, dass einem schon fast das Blut in den Adern gefriert. Die Leute verlassen den Raum und ich bin wieder alleine, mit Ausnahme meines neuen Zimmergenossen, der scheinbar nicht einmal das Bedürfnis hegt, sich vorzustellen.
Ich setze mich vorsichtig auf und halte meinen Kopf. Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten, als ich den Jungen ansehe. Warum muss es denn so gegen meine Stirn hämmern?
Ich sehe den Jungen stumm und abwartend an. Kommt da auch noch mal etwas? Oder kann der Kerl etwa nicht reden? Wäre komisch, da er ja eben auch noch mit seiner Familie gesprochen hat.
Der Junge sieht zu mir herüber und stutzt. Dann lächelt er leicht.
„Tut mir Leid. Haben wir dich geweckt?“, fragt er freundlich nach und ich brumme auf. „Ja, das habt ihr!“, meine ich vorwurfsvoll und mustere ihn. Er sieht mich an und lächelt schief. Scheinbar weiß er nicht ganz, was er sagen soll. Ich starre ihn weiter stur an, darin bin ich sowieso mehr als gut.
„Äh..a-also, mein Name ist Dion.“, stellt er sich vor und streicht sich leicht nervös über den Nacken. Scheinbar mag er es nicht, wenn er so sehr im Vordergrund steht. „Ich würde dir ja die Hand reichen, aber ich glaube nicht, dass weder du, noch ich aus dem Bett kommen.“ Er lacht und lächelt zu mir herüber. Ich murre nur leicht. Dion? Was ist das denn für ein Name?! Scheinbar scheint meine Frage mir im Gesicht zu stehen, denn er fängt sogleich an, sie mir zu beantworten.
„Ich bin Spanier. Beziehungsweise eigentlich nicht. Nur halb. Meine Mutter war Deutsche.“
Aha, wen interessiert es? „Und wie heißt du?“, fragt er nach, doch ich sehe ihn nur schnippisch an. Als ob ich mich mit jemandem wie ihm abgeben würde!
„Timo.“, sage ich trotzdem murmelnd.
„Ich mag den Namen. Ein Freund von mir hieß Timo.“, sagt er und grinst wieder so dümmlich. Nochmal, wen interessierts?! Ich nicke leicht und lege mich wieder hin. Langsam wird mir doch etwas schwindelig. Ich lege mich auf den Bauch und drücke das Kissen an mich.
„Warum bist du hier?“, fragt er mich, aber ich zucke nur mit den Schultern.
„Krebs.“, meine ich knapp und wende ihm den Rücken zu. Er soll mich in Ruhe lassen. Ich will weiterschlafen.
„Oh..das tut mir leid.“, sagt Dion, oder so und scheint sich nun auch richtig hinzulegen. „Ich habe Lungenembolie.“, meint er und hustet erneut. Ja, ist ja nicht zu überhören.
„Eigentlich war ich schon entlassen und angeblich geheilt, aber in den letzten Tagen ist mein Husten wieder schlimmer geworden und als ich dann gestern angefangen habe Blut zu husten, musste ich sofort wieder zurück. Ich hoffe, dass es jetzt ein für alle mal weggeht.“ Er bewegt sich, das kann ich hören. Ich hasse Krankenhäuser. Man kann alles hören, was in seinem Zimmer passiert. Es ist so klein, dass kein Geräusch versteckt bleibt.
„Aber du bist ja viel schlimmer dran als ich.“, meint er . Ich reagiere nicht drauf. Nicht noch jemand, der mir Mitleid zustecken will! Ich bin zufrieden mit meinem Leben, ok?! Auch wenn es eine Lüge ist, heißt es nicht, dass ich es nötig habe, jemanden um mich zu haben, der sich um mich sorgt. Das kann ich genauso gut auch alleine tun.
„Du bist kein geselliger Typ, oder?“, fragt Dion mich. Ach, merkt der das auch schon, ja? Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn genervt an.
„Nein!“, sage ich dann und behalte ihn im Auge. Er hat sich hingesetzt und trinkt Wasser aus einem Glas. Wenigstens er kann etwas trinken. Ich starre das Glas an und sehe dann wieder zu ihm auf.
„Möchtest du auch etwas?“, fragt er nach und ich werde auf der Stelle rot.
„N-Nein!“, sage ich und schnaufe auf. Wie kommt er überhaupt darauf, mich zu fragen und mir auch noch sein Glas hinzuhalten?! Ich sehe ihn schmollend an, aber er lacht nur.
„Du bist ja niedlich!“, sagt er dann und die Röte will nicht aus meinem Gesicht weichen. Ich hasse so etwas. Ich werde immer so extrem schnell rot. Dion steht langsam auf und geht auf mich zu. Was hat er denn jetzt vor? Er setzt sich einfach zu mir auf mein Bett und sofort rutsche ich misstrauisch zurück.
„Du bist ja scheuer als eine Katze.“, stellt er fest und grinst. Ich zucke wieder nur mit den Schultern. Ist doch meine Sache!
„Wie alt bist du eigentlich?“ fragt er neugierig nach. „Oder willst du mir das auch nicht verraten Timo?“ Ich knurre leicht auf und ziehe mir die Decke über den Kopf.
„Ich bin zwanzig.“, meint er dann und ich staune nicht schlecht. Zwanzig?! Der Kerl sieht aus wie siebzehn. Ob das nun etwas gutes ist, oder nicht?
„Komm schon, verrate es mir. Sei nicht so mundfaul, sonst macht unterhalten doch gar keinen Spaß. Da kann ich auch gegen die Wand reden!“
Vielleicht will ich ja auch genau das erreichen? Hat er daran schon mal gedacht? Scheinbar nicht, denn er sitzt noch immer erwartungsvoll neben mir. Ich habe allerdings nicht gerade das Bedürfnis, mich mit Dion zu unterhalten. Da kann er noch lange warten!
„Jetzt sag doch mal! Wie alt bist du?“, fragt er wieder nach. „Ich hab dir mein Alter auch verraten!“, meint er und scheint zu schmollen.
„Sechzehn.“, murmel ich undeutlich unter meiner Decke hervor.
„Sechzehn?! Krass...“
Klar, jetzt denkt er sicher das, was jeder denkt. So ein junger Mann, der nicht einmal die Hälfte seines Lebens hinter sich gebracht hat, soll Krebs haben? Er tut einem ja so leid! Ich kann diese Sprüche echt nicht mehr hören. Es ist einfach nur anstrengend.
„Aber eigentlich ja gar nicht so schlimm. Stell dir mal vor, du wärst fünfzehn und bereits Vater. Oder hättest Aids, oder so. Krebs ist ja in einigen Fällen wenigstens heilbar. Wie ist es bei dir?“, fragt er nach und ich bin recht erstaunt. Ich schiebe die Decke zurück und sehe ihn an. Erst sage ich nichts, dann seufze ich auf.
„Keine Ahnung.“, gebe ich zu und weiche seinem Blick aus. Er öffnet seinen Mund, sagt aber nichts. „Du weißt es nicht?“ Ich schüttele den Kopf. Dion steht wieder auf und geht zurück zu seinem Bett.
„Das ist ja arm.“, meint er dann und ich stutze. Bitte was? Wie hat er mich gerade genannt?! Arm? Ich knurre auf und sehe ihn wütend an. „Wer ist hier arm, du Lusche?!“, frage ich ihn keifend. Ich fühle mich wirklich angegriffen von ihm und werfe ihm einen bösen Blick zu.
„Ich meinte damit nicht, dass du arm bist. Aber es ist arm, es nicht zu wissen. Interessiert es dich denn gar nicht?“
„Nein! Und dich hat nicht zu interessieren, was mich zu interessieren hat, also lass mich in Ruhe!“, meine ich und wende ihm erneut meinen Rücken zu. Was ist das eigentlich für ein Arschloch? Der soll sich mal aus meinem Leben raus halten! Ist doch eh bald vorbei. Dion zuckt mit den Schultern.
„Du bist ja ein nerviger Plagegeist.“, merkt er dann an, aber ich reagiere nicht. Im Ignorieren bin ich nämlich einsame Spitze!
„Hallo? Erde an Timo? Lebst du noch?“, fragt Dion auch schon nach. Ich grummel leise in mein Kissen. Geht ihn nichts an, ob ich noch lebe!
„Du musst echt mal Manieren lernen.“, merkt er an. Ach ja? Muss ich? Muss ich gar nicht! Außerdem liegt es doch an der Erziehung, dass ich so geworden bin! Der soll mal aufhören, mir die Schuld zuzuschieben!
„Ach jetzt schmoll doch nicht, Timo.“, quengelt Dion weiter. Ich habe allerdings keine Lust mehr, noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Ich schließe meine Augen und versuche einzuschlafen, als mein Magen auf einmal deutlich anfängt zu knurren. Ich werde sofort rot und ziehe die Decke etwas höher. Hoffentlich hat Dion das nicht gehört. Aber durch sein Auflachen weiß ich, dass dem leider nicht so ist.
„Nein wie süß. Hast du etwa Hunger?“, fragt er nach. Wer oder was ist daran süß?! Ist der Kerl schwul, oder was? Ich antworte wieder nicht.
„Soll ich dir etwas zu Essen besorgen?“, fragt er und ich ziehe wirklich in Erwägung ja zu sagen. Aber ich halte mich doch lieber zurück. „Ich habe auch etwas Hunger. Wir können ja auch zusammen essen?“, schlägt er vor. Ich schüttelte leicht den Kopf. Er und ich zusammen essen? Niemals! Lieber sterbe ich! Das sollte ich wohl nur nicht zu laut sagen, wer weiß schon, ob es dann nicht auch passiert? Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber einiges kann ja doch wahr sein.
„Du hast reagiert! Schon mal ein Fortschritt!“ Mist, er hat mein Kopfschütteln bemerkt. Ich knurre leicht auf und Dion lacht wieder. Wieso lacht der Kerl schon wieder? Der lacht mir eindeutig zu oft! Warum lacht er?! Das will ich jetzt verdammt nochmal wissen! Ich hasse es einfach, wenn jemand über mich lacht!
„Du bist wirklich niedlich!“, schmunzelt Dion.
Schon wieder so eine Zweideutigkeit. Oder meint er das etwa ernst? Das sagt ein Kerl doch nicht einfach so?! Da muss doch was dabei sein? Vielleicht doch schwul? Ich grübele noch ein wenig darüber und merke so auch gar nicht, dass Dion aufsteht und um mein Bett herumgeht. Er hockt sich vor mich und sieht mir direkt ins Gesicht. Als ich aus meinen Gedanken zurückschrecke, sehe ich ihn verschreckt an. Wie ein scheues Reh rutsche ich mal wieder zurück. Er legt seine Arme auf meine Matratze und bettet seinen Kopf auf diese. Dann sieht er mich ruhig lächelnd an.
„Was ist?!“, frage ich genervt, da er eine Weile nichts sagt, sondern mich einfach nur beobachtet. „Wollen wir gemeinsam etwas essen?“, wiederholt er seine Frage, aber ohne auch nur ansatzweise genervt zu klingen. So etwas bin ich nicht gewohnt. Ich zucke mit den Schultern und bin mir nicht ganz sicher, ob das eine gute Idee ist.
„Ich kann eh nicht aufstehen, ohne das mir schwindelig wird.“, meine ich nur und weise ihn damit eindeutig ab, aber er lässt sich von seiner Idee nicht abbringen.
„Ich helfe dir. Ich kann dich ja stützen.“, schlägt er vor, aber ich schüttele nur murrend den Kopf. „Du bist ganz schön verschlossen, kann das sein?“, fragt er. Ach was, wie kommt er nur darauf? Das war jetzt sicher ein Geistesblitz! Ich sehe ihn nur genervt an. „Komm, ich helfe dir.“, meint er und schlägt einfach meine Decke zurück. Sofort werde ich leicht rot. Ich trage so einen komischen Krankenhausfummel, in dem ich ja wohl mehr als weiblich aussehe. Aber Dion scheint das nicht zu stören. Er schiebt einfach einen Arm unter meine Arme und drückt mich hoch. Ehe ich mich versehe hat er auch einen Arm unter meine Beine gelegt und hebt mich in die Höhe. Ich kralle mich an ihm fest, aus Angst, dass ich runter fallen könnte. Dann sehe ich verstört zu ihm auf. Was soll das denn jetzt werden?!
„Lass mich runter!“, befehle ich ihm, aber er sieht mich nur gut gelaunt an. Er stellt mich auf den Boden und ich halte mir meinen Kopf. Sofort wird mir schwindelig. Kreislauf ade~.
Er stützt mich wieder, auch wenn seine Hand gerade an eine verbotene Stelle rutscht.
„Schöner Hintern!“, merkt er an und ich spüre schon, wie mir heiß wird und meine Ohren ganz rot werden. „F-fass mich nicht an!“, feixe ich ihm entgegen und stoße ihn von mir. Er stolpert leicht zurück, was ihn nicht zu stören scheint. Er ist mir viel zu offen! Und zudem scheinbar auch wirklich schwul! Oder nicht?
„Warum machst du so einen Kack?!“, frage ich angespannt nach und taumle leicht von ihm weg. Ich sehe ihn irritiert an, aber er lächelt nur.
„Weil ich mich auf den ersten Blick in dich verknallt habe.“
„Oh, and life ain't always what you
Think it ought to be no,
Ain't even gray
But she buries her baby.“
Ich versuche Dion so gut es geht zu ignorieren und ihm aus dem Weg zu gehen. Leider Gottes ist das alles andere als einfach, da wir nun mal zusammen in einem Zimmer liegen. Ich tue meistens so, als würde ich schlafen, wenn er mich anspricht. Dass ich ihn damit womöglich verletze, ignoriere ich einfach. Ist mir doch egal! Ich kann diesen Jungen nicht leiden, Pech gehabt. Er soll mich einfach in Ruhe lassen, keine Scheiße mehr erzählen und wir kommen gut miteinander aus, da bin ich mir sicher. Aber er scheint das nicht ganz zu kapieren. Trotzdem rede ich nicht mit ihm. Wenn ich Hunger habe, dann kann ich inzwischen eine Schwester rufen, die dann auch kommt. Sie ist noch sehr jung und hübsch. Ich mag sie, aber Gefühle hege ich für sie nicht. Auch wenn ihre Oberweite schön zu betrachten ist und ihr Hintern die perfekte Form hat. Eigentlich sollte ich hin und weg von ihr sein, aber außer, dass ich sie nett finde, ist da einfach gar nichts. Warum kann Dion sich nicht in sie verlieben? Nein, natürlich nicht. Er muss ja durchgängig immer mich anstarren. Hat der nichts besseres zu tun?! Ok, haben wir beide nicht, daher ist es auch recht langweilig.
Ich habe mir ein Buch bringen lassen und lese. Mit dem Rücken in das Kissen gekuschelt, damit es nicht so hart ist, wenn ich mich an die Wand lehnen will, sitze ich im Bett und blättere geräuschvoll die Seiten um. Dion schläft. Wenigstens eine gute Sache bisher. Er ist heute noch nicht aufgewacht, um mich zu nerven. Ich werfe ab und an einen Blick zu ihm, aber er liegt nur ruhig und mit geschlossenen Augen da. Da er noch atmet, mache ich mir auch keine unnötigen Sorgen. Erst, als er beginnt sich hin und her zu wälzen lege ich mein Buch aus der Hand und starre ihn an. Ist er jetzt wach, oder nicht? Ich beobachte ihn einen Moment. Scheinbar doch nicht. Na gut, dann kann ich ja noch gemütlich weiterlesen. Ich schlage mein Buch wieder auf und versuche die Stelle wieder zu finden, bei der ich aufgehört habe.
Als ich ein Husten höre, murre ich genervt auf. Nicht schon wieder. Kann der Kerl mal aufhören, immer zu husten? Ich bin wenigstens ein leiser Patient. Er hustet stärker und ich wende ihm gereizt meinen Kopf zu. „Hölle! Kannst du damit mal aufhören?!“, frage ich ihn und stocke. Ich sehe auf seine Hand, die er vor seinen Mund hält. Blut. Mir wird sofort übel und ich muss meinen Blick abwenden.
„Schwester!“, rufe ich und hoffe, dass uns durch Zufall jemand hört. Ich rufe erneut, als sich nichts tut, aber wieder kommt keiner. Also rappele ich mich auf und kämpfe mich bis zur Tür. Mir ist schwindelig. Mein Kreislauf ist wirklich am Arsch. Ich sollte mich wieder mehr bewegen. Ich öffne die Tür und stecke meinen Kopf heraus.
„Schwester! Wir brauchen einen Arzt!“, rufe ich. Jetzt haben es auch einige mitbekommen und stürmen auf unser Zimmer zu. Ich weiche ihnen mal lieber schnell aus und begebe mich zurück in mein Bett, wobei von hinten zwei stützende Hände kommen, die mir helfen. Ich lege mich rein und schließe einen Moment die Augen, wobei das Schwindelgefühl dadurch nur größer wird. Ich schiele rüber zu Dion, der noch immer stark hustet. Inzwischen hat seine Decke auch schon einige Blutspritzer abbekommen und ich habe das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Dions Atem wird flacher und schneller und eine seiner Hände verkrampft sich in das Lacken. Der Arzt spritzt ihm etwas in den Arm. Dion hört kurz danach mit husten auf, allerdings scheint er noch immer schwer Luft zu bekommen. Eine der Schwester gibt ihm ein Atemgerät und legt es ihm auf den Mund und die Nase. Dion scheint sich langsam wieder zu beruhigen. Der Krampf aus seiner Hand ist gewichen und er hat die Augen geschlossen. Ich konnte nicht einen Moment den Blick von ihm abwenden. Ich war so von der Szenerie abgelenkt, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass mein Magen sich langsam umdreht. Ich halte eine Hand vor den Mund und versuche das Würgegefühl zu unterdrücken. „Eimer..“, nuschel ich und sofort wird mir ein Eimer aus dem Bad gebracht. Gerade noch rechtzeitig, als ich mich auch schon übergebe. Da ich eh nicht viel im Magen hatte, dauert es nicht lange, bis ich zum Badezimmer gehe, während mich jemand stützt und mir mein Gesicht und meinen Mund waschen kann. Ich kehre ins Zimmer zurück, wo Dion nun an irgendeinem Gerät hängt, weiß der Geier wie das heißt. Ich setze mich auf das Bett und winke die Krankenschwester ab. „Ist schon ok. Danke.“, murmel ich und beobachte noch kurz den Arzt, der mir noch einige Fragen stellt. Allerdings geht es mir bisher soweit gut. Dass ich es nicht ertrage Blut zu sehen, behalte ich für mich.
Als wir endlich wieder alleine sind, sehe ich zu ihm. Er liegt ruhig da und rührt sich nicht. Schläft er wieder? Nein, seine Augen bewegen sich. Er öffnet sie und dreht seinen Kopf leicht zu mir. Dann lächelt er. Er sagt nichts, sondern lächelt mich einfach nur an. Ich weiche seinem Blick aus und werde wieder leicht rot. Ich hasse es. Aber wenn mir jemand so etwas sagt wie, dass er in ich verknallt ist, dann kann ich dieser Person einfach nicht mehr in die Augen sehen. „W-wie geht’s dir?“, frage ich vorsichtig nach. Das erste, was ich bisher zu ihm gesagt habe, seit er mir gestanden hat, was er für mich empfindet. Oder nicht empfindet. Oder keine Ahnung!
Er nickt nur leicht, ohne das sein Lächeln verschwindet. Wie kann der Kerl jetzt noch lächeln?! Er hebt seine Hand und deutete mir, dass ich zu ihm kommen soll. Ich bleibe auf meinem Bett sitzen. Er hat dieses Beatmungsgerät noch immer im Gesicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob er es wirklich noch braucht. Scheinbar ja nicht, denn er nimmt es ab und legt es weg. „Komm her.“, meint er, aber ich schüttelte nur den Kopf. Denkt er ich bin blöd und habe nicht verstanden, was er von mir wollte? „Wieso nicht? Hast du Angst vor mir?“, fragt er dann leicht scherzend und mit brüchiger Stimme.
„I-Ich kann kein Blut sehen.“, meine ich dann verlegen. „Außerdem will ich mit dir nichts zu tun haben!“, murre ich dann. Dion grinst nur. „Wieso? Weil ich meinte, dass ich in dich verknallt bin? Ist nun mal so, was dagegen? Ich bin schwul und du bist niedlich. Du bist selber schuld.“ Er streckt die Hand aus und wartet scheinbar immer noch darauf, dass ich mich zu ihm ans Bett setze.
„Ja und?! Ich liebe Schokolade und sag das doch auch nicht die ganze Zeit!“ Ich verschränke meine Arme vor der Brust und weigere mich strikt dagegen, mich zu ihm zu setzen. Der kann mich mal!
„Siehst du. Total süß.“, meint Dion, aber ich verstehe nicht, was er meint. Ich weise ihn ab und er findet mich süß?
„Du bist ein Masochist!“, sage ich und murre auf. Er zuckt nur mit den Schultern. Ich gebe mich geschlagen und stehe auf, um mich neben ihn zu setzen. Allerdings ziehe ich mir einen Stuhl heran. „Dir scheint es für einen Krebskranken aber recht gut zu gehen.“, merkt er an. Was weiß ich denn? Soll es mir schlecht gehen, oder was? Ich knurre nur.
„Wie lange hast du schon Krebs?“, fragt er nach.
„Nicht lange.“, antworte ich knapp.
„Mit dir ein Gespräch anzufangen ist ja nicht gerade einfach.“, meint er und lacht leicht. Dann hustet er wieder.
„Hör auf zu lachen! Sonst stecke ich dir das Teil wieder auf den Mund!“, meine ich und deute auf die Atemhilfe. Dion hebt beschwichtigend die Hände. Ich sehe mürrisch weg.
„Ich mag dich, Kleiner.“
„Du kennst mich gar nicht! Und nenn' mich nicht Kleiner! Echt jetzt!“ Ich knurre leicht. Was soll das überhaupt bringen? Will er echt ein Gespräch aufbauen? Ich gehe darauf jedenfalls nicht ein. Aber das scheint Dion alles andere als zu stören.
„Man muss eine Person nicht kennen, um sich auf den ersten Blick in sie zu verlieben. Deswegen heißt es ja auch Liebe auf den ersten Blick!“, klärt der Junge mich auf. Als wüsste ich das nicht. Aber umso weniger verstehe ich, wieso Dion angeblich in mich verknallt ist. Verknallt sein und verliebt sein ist ja auch noch mal ein großer Unterschied, oder? Oder nicht? Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube schon. Verknallt sein heißt doch eher, dass man für eine Person schwärmt, oder? Und verliebt sein ist so mit richtigen Gefühlen, küssen und dem ganzen drum und dran. Ich habe weder mit dem einem, noch mit dem anderen etwas zu tun und will es auch gar nicht.
Dion scheint auf irgendetwas zu warten. Hat er mich etwas gefragt? Ich sehe ihn fragend an und zucke mit den Schultern. „Hast du was gesagt?“, frage ich nach, doch er lacht nur leicht, was in ein unangenehmes Husten übergeht.
„Tut mir leid.“, meint er und wirft dann einen Blick auf die Uhr. „Wollen wir mal zusammen ausgehen? Also ich meine, wenn wir beide hier wieder raus sind?“
Wie alt ist der Kerl gleich nochmal? Zwanzig? Was für ein pädophiler Sack! Da macht er sich einfach an einen Teenager ran? So ganz frei heraus?!
„Du bist alt.“, sage ich und er sieht überrascht zu mir rüber.
„Alt? Ich bin doch erst zwanzig! Willst du, dass ich Komplexe bekomme?“, fragt er nach.
Ich schüttele den Kopf. „Älter.“, meine ich dann, um mich selber zu verbessern.
„Das weiß ich auch. Aber worauf willst du hinaus? Oder stören dich diese vier Jahre so sehr? Ich meine, ich kann mich auch gerne kindischer verhalten, wenn es dir lieber ist.“ Ich murre auf. Der Kerl macht sich hier einen Spaß nach dem anderen mit mir.
„Das meine ich gar nicht! Abgesehen davon, dass ich weder auf Männer, noch auf pädophile stehe, dürften wir auch gar nicht! Ich bin noch nicht volljährig und du, wie gesagt, pädophil!“
Dion schüttelt mit dem Kopf. „Wir müssen ja nicht gleich miteinander in die Kiste steigen. Und wenn deine Eltern nichts dagegen haben, dass du mit mir ausgehst, ist es auch erlaubt. Und mit dem Rest...da müssen wir halt deine Eltern fragen, oder einfach etwas warten.“
Scheinbar hat Dion schon Pläne geschmiedet. Aber ich werde ganz sicher nicht mit ihm ausgehen, mit ihm schlafen oder sonstiges! Ich werde ihm nicht mehr näher kommen, als jetzt! So weit käme es noch! Reicht ja schon, dass er mir einmal an den Hintern gefasst hat. Und das auch noch unerlaubt. Eigentlich könnte ich ihn jetzt wegen sexueller Belästigung anklagen. Aber das werde ich nicht machen. Einfach, weil ich gar nicht die Chance dazu habe.
Gerade als Dion scheinbar etwas sagen will, klopft es an der Tür. Meine Mutter tritt ein und gleich hinter ihr ein Junge, der mir nur all zu bekannt vorkommt. Leider.
„Hallo Schatz. Guck mal, wer hier ist.“, meint meine Mutter erfreut. Ja, echt toll. Mein Ex-bester Freund. Was will der denn hier?! Meine Mutter kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Ich erwidere die Umarmung nicht, sondern bleibe weiterhin kühl. Wann hört sie endlich mal auf, in Anwesenheit anderer so zu tun, dass sie mich gern hat? Außerdem weiß mein ehemaliger bester Freund doch sowieso über alles Bescheid.
„Ich hab dir ein paar Sachen vorbeigebracht.“, meint dieser gerade. Ich nicke nur. Cole wirft einen Blick auf Dion, dann schaut er zurück zu mir. „Ein paar Schulsachen sind auch dabei. Alles, was wir momentan so an Themen durchnehmen. Ach ja, da war ja noch etwas. Schule, wie lange war ich jetzt eigentlich nicht mehr da?
„Danke.“, nuschele ich. Um diese komische Situation zu verstehen, sollte man vielleicht wissen, dass Cole mal der Meinung war, meinen anderen besten Freund flachlegen zu müssen. Danach habe ich ihm meine Freundschaft gekündigt und meinem anderen Freund den Rücken zugekehrt. Ich hasse so etwas. Wenn sie die ganze Zeit eine heimliche Affäre hatten, hätten sie es mir auch sagen können. Wenn es ein One-Night-Stand war, dann verstehe ich es nicht und wenn sie erst jetzt zusammen sind, dann will ich damit nichts zu tun haben.
„Kein Ding.“, meint Cole knapp und schaut erneut zu Dion. Ich stehe auf und begebe mich auf mein Bett zurück. So können die beiden sich wenigstens setzen, aber das scheinen sie gar nicht vorzuhaben.
„Willst du uns deinen Zimmergenossen gar nicht vorstellen?“, fragt meine Mutter. Sie wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu, aber ich murre nur.
„Nein.“, meine ich dann und sehe hochnäsig weg. Cole muss lächeln. Tja, er ist das scheinbar noch gewohnt. Auch wenn ich zu ihm nie so war. Aber zu meiner Mutter bin ich es durchgängig.
„Timo! Sei mal ein wenig freundlicher und stell uns einander vor!“, meint meine Mutter nun barsch, aber Dion schreitet dazwischen.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht von mir aus vorgestellt habe ist unhöflich. Mein Name ist Dion, freut mich sehr.“, meint er höflich und lächelt ihr entgegen. Meine Mutter ist sofort hin und weg. Sie geht zu Dion und setzt sich zu ihm ans Bett. Ach so und schon bin ich wieder uninteressant genug, um mich zu ignorieren. Ja Mutter, danke auch. Ich habe ja nur Krebs, aber sonst. Cole kommt auf mich zu und zieht sich den anderen Stuhl heran. „Können wir ein wenig reden?“, fragt er mich, als würde er Angst haben, dass ich ihm ansonsten den Kopf abreiße. Ich zucke allerdings nur mit den Schultern.
„Wie geht’s dir?“, fragt er nach.
„Ging schon mal besser.“, murmel ich dann. „Aber nicht schlecht.“, füge ich noch hinzu. Cole nickt. „Es muss anstrengend sein, den ganzen Tag im Krankenhaus zu liegen.“
Nein, wie kommt er nur auf so eine Idee? Will er mich nerven, oder sich unterhalten?! Für mich sind das zwei unterschiedliche Dinge!
„Bist du noch sauer?“, fragt er nach. Aha und da haben wir es auch schon. Das eigentliche Gesprächsthema. Ich sehe ihn an, werfe einen Blick auf Dion, der allerdings von meiner Mutter abgelenkt ist.
„Ja.“, meine ich dann. „Nein. Ich war es nie. Ich bin es auch jetzt nicht.“, verbessere ich mich sofort. Mir scheint es, als müsste ich mich heute oft verbessern. „Ich verstehe es nur nicht. Warum habt ihr mir nichts gesagt? Ich habe mich ausgegrenzt gefühlt.“, kläre ich ihn auf. „Wenn ihr es mir von vornherein gesagt hättet, dann hätte ich weniger dagegen gehabt. Allerdings komme ich mit schwulen sowieso nicht gut klar.“, meine ich und werfe erneut einen Seitenblick auf Dion.
„Wir sind jetzt zusammen. Ich weiß nicht recht, aber ich dachte mir, dass es dich vielleicht interessiert, was aus uns geworden ist. Außerdem, wenn du womöglich bald das zeitliche segnest, wollte ich dir vorher wenigstens noch einmal hallo sagen. Ist ja nicht so, als wären wir fünf Jahre die besten Freunde gewesen, oder so.“ Ja danke auch! Will mir noch jemand meine Fehler unter die Nase reiben? Oder etwas, was ich angeblich falsch gemacht habe? Was ich zurück nehmen sollte? Es ist mir egal, was aus ihnen geworden ist! Ich brauche sie nicht. Ich habe meine eigenen Probleme und der Krebs gehört momentan ganz oben auf die Liste!
„Cole, wenn du nicht hier bist, um mir ein paar aufmunternde Worte zu sagen, sondern mich nur nieder machen willst, kannst du auch gerne wieder gehen. Danke für die ganzen Sachen, aber mehr brauche ich nicht. Also verschwinde.“, meine ich strikt und werfe ihm einen kühlen Blick zu. Er zuckt nur mit den Schultern. „Wie du willst. Aber glaub mir, so wirst du bald gar keine Freunde mehr haben. Du solltest mal ein wenig an dir feilen und darüber nachdenken, wie du mit anderen Menschen umgehst. Es ist einfach unmöglich, was du zu uns sagst und wie du uns behandelst. Wir sind keine Tiere oder irgendein Ungeziefer, was macht, was du sagst, weil es Angst hat, zertrampelt zu werden.“ Cole steht auf und geht Richtung Tür. Meine Mutter schüttelt nur enttäuscht den Kopf, verabschiedet sich von Dion und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Jedenfalls versucht sie es, aber ich weise sie ab. Ich habe auf den Kack echt keinen Bock! Sie geht mürrisch raus und die beiden verschwinden wieder.
„Na du scheinst ja echt kein Funken Spaß im Leib zu haben. Was war das denn eben? Da besucht dich ein Freund und du bist so unhöflich?“, fragt Dion mich. Nicht noch einer, der mir eine Moralpredigt hält. Darauf kann ich nun wirklich gerne verzichten! Ich knurre ihn also nur an und lege mich auf den Bauch. Ich drücke mein Gesicht in das Kopfkissen, in der Hoffnung Dion lässt mich nun in Ruhe.
„Was ist? Wieso warst du so sauer? Habt ihr euch gestritten? Und zu deiner Mutter warst du auch alles andere als freundlich.“, merkt er an.
Ich knurre nur in mein Kissen und drehe mich von ihm weg. „Das geht dich nichts an!“, sage ich dann scharf.
„Ich weiß. Aber ich bin neugierig. Also sag schon.“, meint er nur und steht auf. Er kommt auf mich zu und legt sich eiskalt neben mir ins Bett. Ich erschrecke und bekomme sofort eine Gänsehaut. Was soll das?! Ich rutsche von ihm weg, aber er legt einen Arm um mich und zieht mich zu ihm zurück. Und ich dachte, es ging ihm bis eben noch schlecht? Warum ist er jetzt wieder munter und kann sich bewegen?! Und außerdem kann er doch nicht einfach mal so bestimmten, dass er nicht mehr an das Gerät angeschlossen sein muss. Was denkt der Kerl eigentlich, wer er ist?!
„Jetzt erzähl schon, mein Süßer. Oder bist du jetzt eingeschnappt, mia flor?“ Toll, jetzt fängt er auch noch an, mich auf Spanisch vollzulabern?! Ich verstehe bald echt kein Wort mehr, wenn das so weitergeht. Ich knurre auf und versuche wieder von ihm wegzurücken. „¡no te vayas todavia!“
Bitte was?! Man, hör doch auf damit! Ich verstehe es eh nicht.
„Esto es para ti.“ Er küsst mich in den Nacken und ich erschaudere. Ich weiß nicht, was er da sagt, aber irgendwie ist es mir unangenehm.
„Lass das!“, meine ich also und schiebe ihn mit meinem Ellenbogen etwas weg.
„Aua! Das tut weh. Hör auf!“, meint Dion und hält meinen Arm fest.
„Na und?! Dann hör auf mit der Scheiße.“, meine ich nur schnippisch. Er seufzt auf.
„Jetzt erzähl schon. Ich platze noch vor Neugierde.“, fängt er wieder an, mich zu nerven. Ich zucke allerdings nur mit den Schultern, darin bin ich wenigstens ein Meister.
„Er war mal mein bester Freund. Cole hat sich allerdings nach einer Weile gedacht mit meinem anderen besten Freund schlafen zu müssen.“
„Und das ist dir missfallen?“
„Ja! Sie hätten mir ruhig mal etwas erzählen können! Stattdessen habe ich es aus dritter Hand erfahren. Mit anderen haben sie darüber geredet, aber mit mir nicht. Ich war nur das dritte Rad am Wagen.“, erkläre ich Dion nun doch.
„Du meinst das fünfte Rad am Wagen.“
„Ist doch egal!“, knurre ich auf. „Es hat mich genervt und es nervt mich immer noch. Ich finde nicht, dass es gute Freunde sind, wenn sie so etwas machen! Ich hasse so etwas einfach!“, meine ich und verstehe selber nicht genau, was ich jetzt hasse. Dass sie miteinander geschlafen haben, oder dass sie mir nichts über sich erzählt haben. Ich bin in der Sache vermutlich auch einfach zu empfindlich.
„Ich weiß schon genau, wieso ich dich mag.“, nuschelt Dion hinter mir. Seinen Arm hat er um meinen Bauch gelegt, was mir mehr als missfällt.
„Ich bin nicht schwul!“, sage ich ihm also lieber noch einmal.
„Ich weiß, aber das lässt sich ändern.“, schnurrt er und knabbert an meiner Haut. Mich überkommt ein Schauer und ich versuche mich zusammen zu reißen.
„Hör auf, sonst muss ich noch kotzen!“, knurre ich ihm entgegen. Ich wende mich unter seinem Griff, rutsche nun doch etwas weiter weg und drehe mich um. „Was willst du eigentlich in meinem Bett?! Du hast dein eigenes! Geh da rüber, los! Außerdem solltest du doch an diesem Teil da hängen.“ Dion schüttelt nur den Kopf. Er schnappt nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger.
„Ich werde dich schon noch überzeugen, dass eine Beziehung mit einem Mann viel schöner ist, als du dir je vorstellen könntest.“, meint er dann.
„Ich habe mit Beziehungen nichts am Hut! Lass das! Ich will das gar nicht! Hör auf und bewege deinen Arsch hier raus!“, schimpfe ich nun, was ihn allerdings keines Falls abzuschrecken scheint. Er lächelt nur dümmlich vor sich hin, während er anfängt, mit meinen Fingern herumzuspielen. Ich versuche sie ihm zu entziehen, aber das lässt er nicht zu. Warum ist dieser Kerl auch so verdammt stark?! Das geht doch mal gar nicht! Das ist doch unnatürlich! Außerdem sieht er doch eher normal aus und nicht, wie irgendein ekelhafter Bodybuilder. Allerdings geht er auf meine Versuche und meine Bitten nicht ein und so lasse ich es irgendwann bleiben. Wenn er die Finger von mir lässt, ist es ja ok. Dann soll er halt hier herumliegen und mich anstarren. Wenn ich ihn dann beim Schlafen versehentlich trete oder sonstiges, ist es ja nicht meine Schuld.
„Sag mal Timo.“
Ich sehe auf.
„Was hältst du von der Idee, mit mir zu gehen? Nur so als Probe.“
„And I'll be wearing white when I come into your kingdom
I'm as green as the ring on my little cold finger
I've never fell in love with no one
But it sure felt nice when I held you in the sun „
Nachdem er das gefragt hatte, habe ich ihn von meinem Bett gestoßen und mir die Decke über den Kopf gezogen. Nun liege ich noch immer hier. Dion war wieder aufgestanden und hatte sich vor mein Bett gehockt. Seit dem hat er sich auch keinen Millimeter davon bewegt. Wie lange wir nun schon hier liegen, beziehungsweise sitzen? Das ist eine gute Frage. Eine Stunde? Vielleicht zwei? Dion hat bisher nichts anderes mehr gesagt. Er lächelt nur und sieht mich abwartend an. Erwartet er jetzt allen ernstes eine Antwort? Kann ich mir kaum vorstellen. Wenn doch, dann schätzt er mich ziemlich falsch ein. Wird ihm das da unten nicht auch irgendwann mal zu langweilig? Er soll doch nur weg, mehr nicht! Ich seufze leise in mein Kissen hinein. Unter der Decke wird es stickig, aber ich möchte sie noch nicht zurückschlagen. Nicht, solange Dion noch immer da sitzt.
Ich drehe mich auf die andere Seite und liege nun mit dem Gesicht zu ihm. Leise und klang heimlich schmule ich unter der Decke hervor, ziehe sie dann aber sofort wieder über meinen Kopf, als Dion mich anlächelt. Unsere Blicke haben sich getroffen und genau das wollte ich doch vermeiden! Gott hasst mich und das Schicksal gleich mit dazu!
„Sag mal, willst du eigentlich gar nicht mehr aus deinem Versteck kommen, mi corazón?“, fragt er mich, doch ich murre nur auf. „Verschwinde!“, meine ich und knurre leicht, als Drohung.
„Aber wie denn? Ich wohne auch hier im Zimmer. Du kannst mir nicht verbieten, hier zu hocken.“, meint Dion nur und lacht leicht.
„Ich kann dir aber verbieten, dich mir auf mehr als drei Meter Entfernung zu nähern!“, murre ich. Dion seufzt leise auf.
„Du bist prüde, mi corazón.“, stellt er fest. Ich knurre leise.
„Bin ich nicht! Und hör verdammt nochmal aus Spanisch zu reden! Ich verstehe keine Wort!“, meine ich und werfe die Decke nun sauer zurück. Ich sehe auf Dion herunter, nachdem ich mich aufgesetzt habe, aber dieser grinst mich nur an.
„Lass das blöde Grinsen! Und tu nicht so auf nett! Du kannst mich doch genauso wenig leiden, wie alle anderen!“, meine ich und beiße mir auf die Lippe. Ich verziehe mein Gesicht und sehe Dion genervt an.
„Ich hab dir schon gesagt, dass ich dich gerne habe. Also schließe von dir nicht auf andere. Nur, weil du dich nicht leiden kannst, heißt es nicht, dass alle Welt dich auch hasst.“
Ich muss schlucken. Irgendwie klang das gerade ziemlich barsch in meinen Ohren. Ich zucke leicht mit den Schultern und weiche seinem Blick aus. Er weiß doch gar nichts! Er hat nicht das Recht, sich ein Urteil über mich zu erlauben! Der kann mich mal!
„Was ist passiert, dass du so schlecht über dich selber denkst, Timo?“, fragt er nach. Ich schüttelte den Kopf.
„Das geht dich einen Scheiß an!“, meine ich und nestle nervös an der Decke herum. Ich will nicht darüber reden. Er ist ein Fremder. Es geht ihn doch überhaupt nichts an, wie mein Leben verläuft. Das ist meine Sache! Mein Leben! Da sollen die anderen sich raushalten!
„Willst du denn gar nicht darüber reden? Es ist besser, wenn man über seine Probleme redet, als wenn man alles in sich hineinfrisst.“, meint Dion.
„Nein! Und jetzt hör auf! Geh weg! Verschwinde einfach! Ich will nicht mit dir reden, ich will nicht mit dir gehen und ich will dich nicht sehen! Hau ab!“, werfe ich ihm an den Kopf und meine Hände krallen sich in den Stoff der Decke. Dion sieht mich leicht verletzt und zum Teil auch mitfühlend an, steht auf und geht zu seinem Bett. Danach ist es wieder still. Habe ich ihn jetzt wirklich verletzt? Irgendwie bahnt sich nun doch ein schlechtes Gewissen in mir auf. Ich kratze mich am Kopf, traue mich allerdings nicht, meinen Blick zu heben. Dion kramt etwas aus einer Tasche hervor und fängt an, auf etwas drauf zu tippen. Da ich es nicht wage, ihn anzusehen, kann ich nur erahnen, dass es wohl ein Handy sein wird. Ich habe bisher noch nie ein Handy bekommen. Ich schiele leicht zu ihm herüber, aber er hat sich inzwischen hingelegt, mir den Rücken zugewendet und konzentriert sich tatsächlich auf den kleinen Bildschirm. Und jetzt? Jetzt beginnt es, mir wieder langweilig zu werden. Einfach schrecklich. Ich lasse mich nach hinten fallen und bewege meine Beine ein wenig. Etwas Auslauf würde mir sicher nicht schaden. Aber mein Kreislauf ist im Eimer und auch sonst geht es mir nicht gerade hervorragend. Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee wäre.
Als die Tür ohne Vorwarnung plötzlich auffliegt, schrecke ich auf. Eine Schwester kommt herein gewetzt und kommt auf mich zu. Oh nein, was ist denn nun schon wieder? Ist etwas passiert?
„Du wirst operiert.“
Ich sehe sie mit großen Augen an. Bitte was?! Und das haben Sie mal eben so entschieden, ja? Meine Meinung ist natürlich völlig unwichtig! Ich bin ja auch nur ein dummes Kind. Geht hier ja auch nicht um mich.
„Wer sagt das?!“, frage ich zischelnd nach.
„Deine Mutter hat die Erlaubnis dazu gegeben.“, erklärt die Schwester knapp. Ach so. Klar, wer auch sonst? Mein Vater bestimmt nicht.
„Und wenn ich es nicht möchte?“, frage ich weiter nach. Sie zuckt nur mit den Schultern.
„Warum wollen sie mich jetzt plötzlich operieren?“, frage ich nach und verstehe noch immer nicht ganz, was hier eigentlich vorgeht.
„Wenn wir Glück haben, dann lässt sich der Tumor noch entfernen und eine Chemotherapie ist nicht erforderlich. Für eine Chemotherapie würdest du in ein anderes Krankenhaus kommen, was Experten in Sachen Krebs hat und eine bessere Ausstattung. Deine Mutter war aber für die Operation und hat alles mit dem Arzt geklärt. Also bereite dich darauf vor. In einer Stunde holen wir dich ab.“
Sie hat währenddessen meinen Puls gemessen, mir ein Fieberthermometer in den Mund gesteckt, wobei ich ihr dankbar bin, dass sie es nicht woanders haben wollte und meine Reflexe getestet. Scheint ja alles wunderbar zu funktionieren, wenn sie jetzt einfach mal eben festlegen, dass ich auf den Operationstisch gehöre. Und ich verstehe meine Mutter noch immer nicht. Wie kann sie es einfach bestimmen?! Ohne meine Erlaubnis?! Nur, weil ich gerade erst sechzehn geworden bin, oder wieso? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe das gesamte Handeln der Erwachsenen hier nicht. Aber vielleicht will ich es ja auch einfach nicht verstehen? Wer weiß das schon?
Die Schwester packt ihre Sachen zusammen, wirft einen kurzen Blick auf Dion, der so tut, als würde er schlafen. Scheinbar hat er auch nicht gerade besondere Lust darauf, von der Schwester noch einmal durchgecheckt zu werden. Sie verschwindet und ich sehe ihr mit offenem Mund nach. Das hat mich nun aber wirklich ziemlich überfahren. Ich versuche meine Gedanken etwas zu ordnen, damit ich weiß, was ich machen kann, oder was als nächstes vermutlich passiert. Aber es klappt nicht. Alles dreht sich in meinem Kopf und ich glaube, mir wird schlecht. Eine Operation? Darauf bin ich nicht vorbereitet! Ich hasse Operationen! Was ist, wenn ich nach der Vollnarkose nicht mehr aufwache? Oder, wenn ich gar keine Vollnarkose kriege?! Das wäre doch grausam! Nein, das dürfte nicht passieren! Weder das eine, noch das andere. Mit normalen Narkosen komme ich einfach nicht klar. Ich habe Schiss davor, dass ich irgendetwas mitbekomme und sie aufhören zu wirken, bevor alles zu Ende ist. Man hört oft genug in den Nachrichten, was da alles so passiert ist.
Ich höre ein Rascheln neben mir, aber reagiere nicht. Auch auf die Schritte, die näher kommen kann ich momentan nicht eingehen. Ich muss meinen Gedanken erst einmal mehr Beachtung zukommen lassen. Was soll das?! Wieso eine Operation? Was ist los mit mir und meinem Körper? Wie groß ist der Tumor überhaupt, wenn er operativ ist? Ist er dann klein, oder groß? Kann man ihn sehen, wenn man ein Röntgenfoto machen würde? Aber wenn ja, dann würde ich das Bild sowieso nie zu Gesicht bekommen.
Ich spüre zwei starke Arme, die sich um meinen Körper legen und mich dicht an eine Wärmequelle heranziehen. Ich bin wie gelähmt und nicht fähig dazu, irgendetwas aufzufassen. Ich lasse mich einfach gegen den Körper fallen und ziehe meine Beine an. Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe Angst! Fürchterliche angst.
„Hey..ist doch alles gut. Du schaffst das schon. Du wirst schon sehen. Du schläfst ein und wenn du wieder aufwachst, wirst du mein nerviges Gesicht vor deinen Augen haben. Ich bin doch bei dir.“, höre ich Dions Stimme, die nur dumpf in meinen Ohren wiederschallt. Ich verstehe den Sinn hinter seinen Worten nicht, viel zu sehr ist gerade alles in mir gelähmt, auch meine Gedanken. Alles scheint langsamer zu verlaufen, als normaler weise.
„Sieh mich an Timo. Vertrau mir. Ich bin bei dir, wenn das alles vorbei ist. Und danach auch. Und dabei. Ich lasse dich nicht alleine. Nicht so, wie die anderen. Und ich werde dich nicht aufgeben, so wie du dich aufgegeben hast, weil ich dich mag.“ Die Worte klingen warm und nett und lassen etwas in mir aufgehen. Es beruhigt mich ein wenig und ich schließe langsam meine Augen. Ich lasse mich einfach gehen, unbeachtet dessen, mit wem ich hier gerade meine Zeit verbringe und wer mir diese netten Worte zuflüstert. Ich genieße einfach nur und versuche mich zu entspannen.
Eine große Hand streicht mir durch die Haare, sie ist warm. So wie der Rest des Körpers. So angenehm, dass ich am liebsten nie wieder wo anders sitzen möchte. Ich möchte am liebsten für immer hier bleiben.
„Ist alles wieder ok?“, fragt Dion mich, aber ich schüttele den Kopf. Wenn ich ja sage, dann lässt er mich wieder los und geht weg, das will ich nicht. Ich will nicht, dass er mich hier sitzen lässt und das es wieder kalt wird. Ich will weiter so bleiben. Er soll mich weiter im Arm halten und aufmunternde Worte zu mir sagen. Weil ich noch nie von jemandem so gehalten wurde. Weil sich noch nie jemand so um mich gesorgt hat. Ich will diesen Moment nur noch ein bisschen länger genießen.
Ich merke gar nicht, wie ich anfange zu weinen. Erst, als ich durch mein eigenes Aufschluchzen erschrecke, wische ich mir ganz automatisch mit der Hand über die Wange. Ich reibe mir über die Augen und schniefe leicht.
„Timo, warum weinst du? Was ist los?“, fragt Dion mich perplex, aber ich schüttele nur den Kopf und vergrabe meine Gesicht in seinem Hemd.
„An was hast du gedacht? Was ist passiert? Etwas sehr schlimmes?“, fragt er nach und wischt mir ebenfalls die Tränen von den Wangen.
„Es ist..alles.“, meine ich und kralle mich an ihn, als wäre ich ein Ertrinkender, der nach etwas sucht, woran er sich festhalten könnte. Aber so fühle ich mich zur Zeit auch. Einfach nur erbärmlich und als würde ich es nicht mehr aushalten, mich über Wasser zu halten. Als bräuchte ich wirklich jemanden, der auf mich aufpasst und mir aus dem Schlamassel hilft. Aber so will ich mich nicht fühlen. Ich bin auch alleine stark. Ich bin ein Einzelgänger und das war ich schon immer. Das liegt doch in der menschlichen Natur. Warum sollte ich es jetzt ändern wollen?
„Erzähl mir etwas.“, flüstert mir Dion ins Ohr und ein leichter Schauer überkommt mich. Ich bekomme eine Gänsehaut und versuche mich wieder zu beruhigen. Er soll mir wieder aufmunternde Worte sagen und nicht nach dem Grund fragen. Das macht alles nur schlimmer.
„Erzähl es mir.“, bittet er noch einmal.
„Ich weiß nicht. Es ist..alles.“, beginne ich langsam. Ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll. Vermutlich am besten gleich bei dem Teil, wo man überlegt hat, mich einfach abtreiben zu lassen. Ich war doch schon immer unerwünscht.
„Ich bin ein Einzelkind und eigentlich sollte man meinen, dass ich immer alles bekommen habe. Aber ich habe nie etwas bekommen. Ich sollte erst abgetrieben werden, aber mein Vater war dagegen. Also hat meine Mutter mich doch behalten. Mein Vater ist dann abgehauen, als ich drei war. Na ja, keine große Sache. Es ist zwar schwer, ohne Vater aufzuwachsen, aber da ich ihn nie wirklich kannte, war es mir auch egal. Aber meine Mutter liebte mich nicht. Sie gab mir die Schuld, hielt sie mir immer vor und hat mich verachtet. Sie hat mir für alles die Schuld gegeben, mir gesagt, ich wäre dumm und zu nichts zu gebrauchen. Also habe ich irgendwann angefangen mich zu hassen. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich es bin, der an allem Schuld hat. Ich sehe keinen Sinn darin, warum ich lebe. Und dann kam die Diagnose, dass ich Krebs habe. Meine Mutter tat so, als würde sie sich nun noch besser um mich kümmern, aber stattdessen entfernte sie sich immer weiter. Du hast unseren Umgang ja schon mitbekommen. Und nun verheimlicht sie alles vor mir, als würde es gar nicht um mich gehen. Sie will, dass ich sterbe. Das spüre ich jeden Tag. Egal wie sehr ich mich immer angestrengt habe, ich war nie gut genug für sie.“ Ich verstumme und muss schlucken. Das ist nun eine grobe Zusammenfassung, aber zu mehr bin ich gerade nicht in der Lage. Meine Gedanken schweifen wieder zu der Operation und sofort dreht mein Magen sich wieder um.
„Ich will nicht operiert werden.“, murmel ich dann leise.
Dion hat die ganze Zeit über nichts gesagt. Er hat mir zugehört, mir langsam und vorsichtig über den Rücken gestrichen und meine Haare verwuschelt. Er hat mich an sich gedrückt und nicht mehr losgelassen. Und egal wie sehr ich mir vorher gewünscht habe, dass er weg gehen sollte, genau so sehr will ich ihn jetzt bei mir haben.
„Das klingt schlimm.“ Das erste, was er sagt. „Ich mag dich.“
Das wirft mich jetzt wieder aus der Bahn. Wieso sagt er mir das jetzt? Alle anderen haben immer nur Mitleid. Dieser Kerl ist einfach komisch. „Das sagst du oft.“, murmel ich und höre Dion leise lachen. „Weil ich meine Meinung bisher nicht geändert habe und es einen glücklich macht, wenn man so etwas hört. Und du hast es eindeutig zu selten gehört.“, meint er, aber ich kann es schlecht bewerten. Also zucke ich wie üblich die Schultern.
„Du bist kein großer Redner.“ Hat er das nicht schon einmal festgestellt? Ich sage halt nicht viel, warum auch? Ich rede nicht gerne, also reduziere ich es auf das wichtigste. Ansonsten schweige ich lieber und lasse Taten sprechen. Oder einfach andere Leute. Ich kann eh viel besser zuhören. So habe ich es gelernt. Zuhören und Klappe halten. Einfache Regelung.
„Rede doch wenigstens mit mir ein wenig mehr.“, bittet Dion, aber ich schüttelte den Kopf.
„Ich mag nicht reden.“, sage ich ihm dann, ohne aufzusehen. Ist der Kerl eigentlich schon die ganze Zeit so groß gewesen? Kam mir bisher gar nicht so vor.
„Noch eine halbe Stunde.“, murmelt Dion mir zu. Tja, dann soll es mal noch eine halbe Stunde dauern. Ich weiß nur nicht, wie ich diese halbe Stunde noch rum bekommen soll. Wenn ich nervös bin und immer auf die Uhr schaue, scheint die Zeit nur sehr viel langsamer zu vergehen.
„Mach das, was du vorhin gemacht hast.“, sage ich zu Dion. Er sieht fragend auf mich herunter und scheint nicht zu verstehen, was ich meine.
„Nimm mich in den Arm und sag mir etwas, was mich ebruhigt.“, erkläre ich ihm dann.
„Aber du musstest weinen, also scheint es dich doch eher weniger beruhigt zu haben.“, deutet er vage an. Ich zucke mit den Schultern. Das hat er wohl falsch aufgenommen. Also pieke ich gegen seine Brust und warte. Er schlingt seine Arme um meinen schmächtigen Körper und seufzt. Ich schließe meine Augen und atme seinen Geruch ein. Warum habe ich diesen Duft eigentlich nicht schon früher wahr genommen? Es riecht nach Männerparfüm, oder ist es Deo? Schwitzen scheint der Kerl wohl nie, also ist es vermutlich doch eher Parfüm. Ich habe bisher noch nie einen Mann kennen gelernt, der Parfüm benutzt. Generell habe ich bisher ziemlich wenig Leute kenne gelernt.
Die halbe Stunde scheint dahin zu schleichen und ich werde von Minute zu Minute immer nervöser.
Ich sehe nicht einmal auf, ich bewege mich nicht, sondern warte nur.
„Du schaffst das.“, murmelt er und hebt mein Gesicht an. Ich werde leicht rot, wieso weiß ich auch nicht. Ich habe so ein komisches Gefühl im Magen. Das kann nicht gut enden. Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen und sofort fängt mein Herz an, einen Marathon zu laufen. Ich werde knallrot und wende mein Gesicht ab. Was soll das?! Ich knabbere leicht auf meiner Lippe. Dion steht plötzlich auf und verlässt mein Bett, ich sehe ihn fragend an, als auch schon einige Schwestern das Zimmer betreten. Sofort werde ich wieder nervös. Nein, ich will nicht! Bitte! Warum fragt ihr mich nicht nach meiner Meinung?! Ich werde in ein anderes Bett gelegt und kann mich nicht wehren. Ich will das nicht. Wieso immer ich? Ich sehe Dion hilfesuchend an, er lächelt mir nur beruhigend zu und ich muss zugeben, dass es mir danach wirklich ein ganz wenig bisschen besser geht. Wenn auch nicht viel.
„Du schaffst das.“, wiederholt er noch einmal und ich nicke leicht. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Ich zähle leise bis zehn. Zehn Sekunden, danach habe ich mich wieder beruhigt und ich werde es überstehen. Das hat meine Oma mir immer gesagt, als ich noch klein war. Immer wenn ich Stress mit meiner Mutter hatte, bin ich zu meiner Oma gefahren mit dem Fahrrad. Bis sie eines Tages gestorben war. Das habe ich kaum verkraftet, aber ich habe es ja doch überlebt, wie man sieht. Also werde ich diese kleine Operation auch überleben, richtig? Ich werfe Dion noch einmal kurz einen Blick zu. Er lächelt mich an und ich lächele zurück. „Ich warte hier auf dich. Wenn du aufwachst, bin ich da, versprochen.“, meint er und da werde ich auch schon aus dem Zimmer geschoben. Er bleibt alleine zurück. Ich höre ihn nur noch einmal stark husten, da bin ich auch schon den Gang heruntergeschoben und auf den Weg in den Operationssaal
Es schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen. Die Narkose wirkte recht schnell und ich bin auch nicht aufgewacht, während die Ärzte noch an mir rumschnippelten. Ich schlafe noch eine ganze Weile durch, bis ich endlich wach werde. Ich finde mich wieder in meinem Zimmer wieder. Das freut mich. Ich habe es überlebt und kann mir auf die Schulter klopfen. Ich atme einmal tief durch und mache die Augen auf. Ich sehe mich um. Ich habe wirklich erwartet, dass Dion nun neben mir hockt, ob nun schlafend oder wach und darauf wartet, dass ich aufwache. Aber er ist nicht da. Wo ist er hin? Ich sehe auf sein Bett. Es ist leer und ordentlich zusammengelegt. Ich vermute das schlimmste und werfe schnell einen Blick zum Badezimmer. Die Tür ist auf, der Raum leer. Ich werde nervös und sehe mich panisch weiter um. Er ist weg! Wo ist er ?! Er meinte doch, er würde bei mir sein, wenn ich aufwache! Wo ist er jetzt hin? Mir steigen die Tränen in die Augen. Wieso muss ich jetzt weinen? Ich kann den Kerl nicht leiden, ganz einfach! Ist doch egal, ob er jetzt weg ist, ich bin auch ohne ihn zurecht gekommen vorher. Ich bin nicht auf ihn angewiesen! Ich höre mich selber aufschluchzen und erschrecke leicht davor. Ich hebe eine Hand und merke erst jetzt, dass ich an irgendwelche Schläuche angeschlossen bin. Ich wische mir übers Gesicht und höre ein rumpeln. Die Tür fliegt heute schon zum x-ten Mal auf, doch meine Sicht ist verschwommen. Ich glaube eine Schwester kommt zu mir ans Bett und reicht mir ein Taschentuch. Sie fragt, ob ich Schmerzen habe, doch ich schüttele den Kopf. Nein, nicht solche Schmerzen. Mir geht es gut. Ich muss nur einmal tief durchatmen, mich beruhigen und alles ist vergessen.
Ich versuche es, aber es will einfach nicht funktionieren.
„Was ist los? Tut dir etwas weh? Kann ich dir helfen?“, fragt die Schwester nach. Sie ist nett, anders als die anderen. Ich schüttelte wieder mit dem Kopf und versuche etwas zu sagen. Aber meine Stimme ist tränenerstickt und meine Lippen zittern. Ich deute also nur auf das Bett, was neben mir leer steht.
„Der Junge?“, fragt sie nach und ich nicke. „Er musste operiert werden. Eine Notoperation. Seine Krankheit hat angefangen, seine Lunge zu zerbeißen.“, erklärt sie und ich merke, wie ich immer schwerer zu Atem komme. Sofort wird mir ein Gerät auf den Mund gesteckt. Es hilft mir, wieder an den nötigen Sauerstoff zu gelangen.
„Wo ist er?“, frage ich nach.
„Er wird derzeit noch operiert.“, meint sie. Ich deute ihr, dass sie gehen kann. Aber sie scheint sich dessen noch ziemlich unischer zu sein.
„Bitte gehen Sie.“, meine ich dann und sie kommt meiner Bitte sehr zögerlich nach. Sie steht auf und ich lasse meinen Kopf zur Seite fallen. Ich sehe auf das leere Bett und merke, dass die Tränen mir sofort wieder hochkommen.
„Du hast gesagt, dass du bei mir sein wirst! Du hast es mir versprochen!“, sage ich leise und vorwurfsvoll und stelle mir vor, wie er sich lächelnd bei mir entschuldigt. Er war doch die ganze Zeit die Ruhe selbst, wieso habe ich nicht gemerkt, dass es ihm so schlecht ging? War ich zu sehr auf mich fixiert? Ich mache mir Vorwürfe.
„Komm zurück!“, meine ich dann und weine mich langsam in den Schlaf.
„And you, you took my hand said, you'll love me forever
Who would have thought forever could be severed by
The sharp knife of a short life oh well,
I've had just enough time..“
Ich habe gewartet, nachdem ich aufgewacht bin, ob Dion wieder zurückkommt. Aber er kam nicht wieder. Er blieb weg, als wäre er nie da gewesen. Die Schwestern wollten mir nichts erzählen, also kann ich nur noch hoffen. Ich weiß nicht, ob er die Operation überlebt hat, oder nicht. Ich weiß gar nichts. So langsam glaube ich daran, dass es nur ein langer Traum war und Dion nie existiert hat. Aber das kann ich mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen. Ich komme mir vor, wie irgendein Idiot. Ich sehe aus dem Fenster und verfolge den Tag. Morgens, wenn die Sonne aufgeht, dann scheint sie mir direkt ins Gesicht und ich kann nicht weiter schlafen. Und abends, wenn sie untergeht, dann ist es so dunkel, dass ich eh nichts anderes machen kann. Ich bin zu faul zum Lesen und das Buch habe ich schon drei Mal durch. Ich will raus und mich bewegen. Aber mein Körper ist von der Operation noch mehr geschwächt, als eh schon. Ich kämpfe mich aus meinem Bett und setze mich auf. Ich lasse die Beine von der Matratze baumeln und sehe meinen Füßen dabei zu, wie sie sich hin und her bewegen.
„Guten Morgen Timo.“, begrüßt mich eine der netten Krankenschwestern und schüttelt mir mein Kissen aus. Sie macht das Fenster auf und lässt frische Luft herein. Leider ist es draußen nicht mehr ganz so angenehm warm und so fange ich an zu frösteln.
„Du bist immer sehr früh wach.“, meint sie lächelnd. Ich nicke lediglich. Ist doch meine Sache, wann ich aufstehe.
„Möchtest du ins Bad?“, fragt sie und ich nicke erneut. Sie holt einen Rollstuhl heran und setzt mich rein. Meine Beine sind zu schwach, um mich tragen zu können. Aber inzwischen kann ich schon recht geschickt mit dem Rollstuhl umgehen. Ich begebe mich also ins Bad und wasche mein Gesicht. Ich mache etwas Katzenwäsche und sehe mich im Spiegel an. Ich sehe ehrlich gesagt scheiße aus! Total blass, dünn und mit dunklen Augenrändern. Aber so wie ich aussehe, so fühle ich mich auch.
„Kann ich etwas essen?“, frage ich die Schwester und sie nickt. „Soll ich dir etwas bringen? Oder möchtest du in unser kleines Café?“
Sie haben ein kleines niedliches Café, was sie extra nur für Patienten eingerichtet haben. Ich wähle also lieber das Café. Endlich mal wieder raus aus diesem Zimmer. Ich bin nicht mehr an die Schläuche angeschlossen und scheine mich gut zu regenerieren. Also lassen die Ärzte mir auch endlich mal Auslauf. Ich werde von der Schwester den Gang entlang geschoben, bis ich mich in dem Café wieder finde. Es ist ein paar Stockwerke weiter unten und wir fahren mit dem Fahrstuhl. Die Treppe kann ich ja wohl schlecht nehmen.
Ich setze mich an einen der hinteren Tische, in der Hoffnung, dass sich keiner zu mir setzen will. Ich bestelle einen Kakao, ein Brötchen und ein Croissant. Ich könnte sie mir zwar auch selber holen, aber scheinbar haben sie Nachsicht mit mir, da ich im Rollstuhl sitze. Also hat das Ding wohl doch eine gute Eigenschaft. Ich lasse mir das Essen bringen und bedanke mich. Als erstes trinke ich den Kakao schon fast auf Ex aus. Man habe ich das vermisst. Immer nur Wasser wird langsam verdammt fad und das kenne ich noch zu sehr von zu Hause. Ach, wo wir gerade über zu Hause sprechen. Meine Mutter war nach meiner Operation einmal da, um sich nach mir zu erkundigen. Das hat mich schon ziemlich überrascht Ich hätte eher gedacht, das sie gar nicht kommen würde, aber so kann man sich scheinbar irren. Na ja, Irren ist menschlich, richtig? Ich habe sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen, aber das kennt sie ja auch schon. Sie war nach einer guten Stunde wieder gegangen. Uns sind die Themen ausgegangen, über die wir hätten reden können. Mein Onkel ist auch ein wenig bei mir gewesen, ehe er wieder fahren musste. Er muss schließlich noch seinen Flieger bekommen. Also sitze ich jetzt alleine hier in dem Café und vernasche mein Frühstück. Die Schwester ist glücklicherweise auch gegangen, als sie scheinbar gemerkt hat, dass ich alleine sein möchte. Ich sehe ab und an die Leute im Café an und beobachte sie. Sie ähneln sich alle ziemlich. Vielleicht hängt das aber auch damit zusammen, dass alle krank sind? Dann hält man vielleicht etwas besser zusammen. Einige sehen aus wie eine große Familie. Nur ich sitze alleine hier in meiner Ecke und blase Trübsal.
Seufzend strecke ich mich und rolle eine wenig vor und zurück. Mir ist schon wieder todsterbens langweilig.
„Darf ich mich setzen?“, höre ich da eine Stimme und murre auf. „Alle anderen Tische sind doch auch leer. Setz dich doch da hin.“, meine ich, ohne aufzusehen.
„Aber ich möchte bei dir sitzen, Timo.“ Jetzt sehe ich doch auf. Woher kennt die Person meinen Namen? Meine Augen weiten sich und ich starre Dion in die Augen. Ich bekomme meinen Mund nicht mehr zu, weiß aber auch nicht, was ich sagen soll. Ich kann meinen Blick nicht abwenden und hebe eine Hand. Ich kneife mir in die Wange und verziehe schmerzverzerrt das Gesicht. „Au..“, murmel ich und Dion sieht mich besorgt an.
„Was machst du denn?!“, fragt er und streicht mir über die Wange. Er ist wirklich da. Es war also kein Traum?
„Ich wollte nur wissen, ob du real bist und ich nicht gerade träume.“; meine ich dann. Er sieht mich erst verdutzt an, lächelt dann aber.
„Du bist ja süß.“ Ich weiß, das hast du mir schon öfter gesagt. Und ich verstehe es noch immer nicht. Der Kerl muss verdammt starke Geschmacksverirrungen haben, wenn er es immer wieder wieder holt.
„Tut mir leid, dass ich jetzt erst komme.“, murmelt er und zieht einen Stuhl heran, um sich direkt neben mich zu setzen. „Wie geht es dir?“, fragt er nach.
Ich schlucke und presse meine Lippen aufeinander.
„Du...du Idiot!“, schimpfe ich und schlage leicht mit meiner Hand gegen seine Brust. Mir kommen die Tränen hoch und ich wische mir schnell mit der Hand über die Augen. „Du bist ein riesengroßer Idiot! Du Arsch! Ich hasse dich dafür!“, sage ich und schluchze auf. Dion scheint nicht recht zu wissen, was er jetzt machen soll, aber er nimmt mich trotzdem in den Arm.
„Hey, was ist denn los, mi corazón?“, fragt er und ich schniefe wieder.
„Du meintest, du würdest da sein! Du hast es versprochen! Du hast gesagt, dass du auf mich aufpasst und wartest, bis ich aufwache!“, meine ich und sehe ihn vorwurfsvoll und mit verheulten Augen an. Er streicht mir über die Wange und küsst mir die Tränen weg.
„Tut mir leid, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte. Aber besser später als nie, oder?“, fragt er lächelnd. Ich schüttele wieder den Kopf.
„I-ich dachte du wärst...weil keiner mir etwas..und..“ Ich muss schlucken und beiße mir auf die Lippe.
„Du dachtest, ich wäre tot?“, fragt er mich ungläubig. Ich weiche seinem Blick aus. Wir sind gerade die Attraktion schlecht hin, denn alle starren und gespannt an. Ich drücke ihn leicht weg, aber er lässt es nicht zu, dass ich die Umarmung löse.
„Du bist so ein Idiot!“, schimpfe ich wieder und meine Tränen hören auf zu fließen. Wobei ich nicht einmal mehr weiß, ob es Freudentränen waren oder Tränen der Trauer. Eigentlich freue ich mich nämlich riesig, dass er wieder da ist und dass es ihm gut geht.
„Ich verstehe gar nichts mehr! Es sollte mir doch egal sein, dass du weg warst. Was solls?! Ich bin auch ohne dich gut zurecht gekommen!“, meine ich wieder und drücke ihn nun endlich von mir weg. Er sieht mich an und schüttelt lächelnd den Kopf.
„Du bist vielleicht doof.“, meint er und haut mit leicht auf meinen Kopf, Dann lacht er. Was ist daran jetzt so witzig? Außerdem tat das gerade verdammt weh! Ich sehe ihn murrend an und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Warum lachst du jetzt?!“, frage ich ihn also. Er lächelt mich nur wieder mit seinem engelsgleichen Gesicht an. „Weil du total süß bist, mi corazón.“ Ich schnaube nur auf und beginne wieder zu essen. Irgendwie muss ich mich schließlich von dem Kerl ablenken. „Hey, jetzt dreh mir nicht den Rücken zu. Ich freue mich, dich wiederzusehen.“, murmelt er und umarmt mich einfach erneut von der Seite. „Ich hasse dich!“, meine ich. Er lacht.
„Ich weiß, du sagst es mir ja oft genug.“, meint er dann. Ich schiebe ihn wieder von mir. „Lass mich in Ruhe! Ich will jetzt essen und dann wieder aufs Zimmer!“
Ob er jetzt wieder mit auf mein Zimmer kommt? Oder ist er jetzt woanders untergebracht? Scheint ja wohl so. Warum darf er eigentlich schon wieder alleine rumlaufen, wenn er erst eine Operation hinter sich hat? Ok, es ist schon ein paar Tage her, aber dennoch finde ich es merkwürdig. Es ist gemein, dass er so stark ist und ich so schwächlich. Wieso kann es nicht anders herum sein? Ich will hier raus. Ich will keinen Krebs mehr haben, ich will gesund sein!
„Wie geht es dir eigentlich?“, erkundigt Dion sich da plötzlich bei mir. Ich zucke mit den Schultern. „Na wenigstens das machst du noch.“, meint er lachend. „Du bist bestimmt Weltmeister im Schulternzucken.“
Ich gehe darauf nicht weiter ein. Soll er mal reden. Ich höre sowieso viel lieber zu.
„Also? Wie geht’s dir? Hast du die Operation gut überstanden? Was haben die Ärzte gesagt? Ist der Tumor jetzt weg?“ Ich zucke erneut mit den Schultern.
„Weiß nichts genaues.“, meine ich dann. Er stutzt.
„Aber du musst doch wissen, ob du noch einen Tumor hast, oder nicht?!“, meint er dann leicht aufgebracht.
„Ich glaube ja. Wenn er weg wäre, dann würde es mir sicher besser gehen und sie hätten es mir gesagt.“, gebe ich dann zu. Will Dion mir mein Frühstück vermiesen?
„Warte, ich frage mal nach.“, sagt er zu mir, aber ich will ihn aufhalten. Und schon ist er weg. Er geht zu einer Krankenschwester, die uns die ganze Zeit über kritisch mustert. Also darf er doch nicht ganz alleine unterwegs sein. Er unterhält sich mit ihr deutet einmal kurz auf mich und verschränkt dann seine Arme vor der Brust. Er scheint sich leicht aufzuregen, aber ich weiß es nicht wirklich. Ich kann sie nicht hören, dafür unterhalten sie sich zu leise. Nach guten fünf Minuten kommt Dion wieder zu mir zurück.
„Sie weiß nichts genaues. Die Ärzte machen ein Geheimnis daraus, aber sie kann sagen, dass der Tumor nicht vollständig entfernt werden konnte. Also könnte es passieren, dass er sich wieder ausbreitet und deinen ganzen Körper erneut angreifen könnte.“, erklärt er. Ich nicke.
„Also bin ich nicht geheilt.“, stelle ich ungerührt fest. „Sage ich doch. Und die Ärzte sind nur zu feige, es mir zu sagen!“ Ich knurre auf und verziehe meine Gesicht.
„Nein, sie wollen dich nur schützen.“, meint Dion und streicht mir zaghaft durch die Haare.
„Ich gehe zurück aufs Zimmer.“, meine ich und rolle von ihm weg. Er steht auf. „Ich begleite dich.“, meint er, aber ich schüttele den Kopf. „Nicht nötig, danke.“, meine ich dann und rolle davon. Er folgt mir, das kann ich nicht nur hören, sondern auch spüren. Sein Blick ist direkt auf mich gerichtet.
„Geh wieder zurück!“, sage ich und rolle Richtung Fahrstuhl.
„Nein! Warte doch mal Timo!“, sagt Dion, aber ich schüttele den Kopf.
„Ich will alleine sein! Geh weg! Du brauchst auch nicht mehr wiederzukommen!“, sage ich und muss schlucken. Das kommt mir schwerer über die Lippen, als alles andere bisher. Sogar das nicht ernst gemeinte 'ich hasse dich' ist einfacher zu sagen.
„Timo! Was zur Hölle ist mit dir los?!“, fragt Dion ein wenig aufgebracht. Scheinbar hat er auch keine Lust mehr. Aber wie oft soll ich es noch sagen?! Ich bin kein guter Redner. Da kann er mich gerne so oft fragen, wie er will, ich werde nicht mit ihm reden. Er soll einfach nur weg und nie wieder kommen. Es soll so sein, als wäre er nie da gewesen. Er hat mein Leben total auf den Kopf gestellt. Oder das, was man leben nennen kann. Ich bin durcheinander und verwirrt und es gibt Sachen, die ich einfach nicht will. Also soll er aufhören! Er soll einfach wieder weg!
„Timo! Verdammt nochmal! Rede mit mir und lass mich hier nicht stehen!“
Ich drücke auf den Knopf und bete, dass die Tür sich gleich öffnet, aber das tut sie nicht. Ich lausche und höre ein paar Geräusche aus dem Fahrstuhl. Scheinbar fährt er gerade herunter. Bestimmt auch noch aus dem letzten Stock, soviel Pech wie ich immer habe. Ich warte ungeduldig und meine Finger trommeln auf den Rädern des Rollstuhls herum. Inzwischen hat Dion mich leider Gottes wieder eingeholt.
„Man Timo, was ist los mit dir?“, fragt er mich, aber ich reagiere nicht. Ich starre stur die verschlossene Tür an.
„Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragt er nach. Ja, hast du! Alles! Du bist da, das ist falsch! Aber das sage ich ihm nicht. Das wäre zu hart. Das klingt ja schon in meinen Ohren ziemlich schlimm und das will was heißen. Also schweige ich lieber. Dann soll er halt selber mal überlegen, was er vielleicht falsch gemacht hat, auch wenn ich nicht denke, dass er darauf kommen wird.
„Timo, wenn du nicht mit mir redest, dann kann ich mich auch nicht bessern! Oder liegt der Fehler vielleicht bei dir selbst? Bin ich gar nicht schuld und deshalb redest du nicht mit mir?“
Hält der Kerl auch irgendwann nochmal seine Klappe? Eher nicht, wie mir scheint. Ich knurre leicht auf und gebe ihm damit zu verstehen, dass er einfach nur leise sein soll. Aber er ignoriert es. Tja, hat er doch selber Pech gehabt!
Der Fahrstuhl läutet kurz auf und die Türen öffnen sich. Ein paar Leute strömen mir entgegen und ich muss erst mal ein Stück zurück und an den Rand fahren, um sie durch zu lassen. Daran habe ich gerade gar nicht gedacht. Es dauert nicht lange, da befinde ich mich auch schon im Fahrstuhl und drücke auf den Knopf.
Dion kommt leider auch noch rein, bevor die Türen sich schließen und stellt sich nun vor mich. Glücklicherweise sind wir nicht alleine im Fahrstuhl und so muss er sich beherrschen. Er tippt ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden und hat die Arme verschränkt. Die Leute achten gar nicht auf uns, aber würde er jetzt mit der Pöbelei anfangen, dann wäre das Drama groß.
Bei dem nächsten Stock steigen auch noch nicht alle aus, also habe ich noch etwas Zeit. Allerdings merke ich auch, wie Dion mal zu mal ungeduldiger wird. Als wir im zweiten Stock ankommen, verlässt auch der Rest den Fahrstuhl Ich will ebenso rausfahren, aber Dion hält mich zurück. Die Türen schließen sich wieder.
„Lass mich raus.“, sage ich und sehe ihn an. Er knurrt nur auf.
„Nein! Erst antwortest du mir!“, sagt er dann. Ich zucke mit den Schultern und rolle wieder zurück. Ich will gerade die Tür öffnen lassen, als er einfach auf den Stoppknopf drückt. Der Fahrstuhl bleibt stehen und die Türen zu. Egal wie oft ich nun auf den Knopf drücke, nichts geschieht.
„Lass mich raus!“, wiederhole ich mit ernster Stimme, aber Dion scheint das alles gar nicht zu interessieren.
„Timo! Sieh mich an! Ich weiß was dein Problem ist! Aber ich will es aus deinem Mund hören, also sag es mir!“, knurrt er und sieht mich feindselig an. Ich schüttelte wieder den Kopf und lächel leicht. Er weiß es nicht! Er weiß gar nichts! Und er soll es auch nicht wissen! Er soll mich in Ruhe lassen, mehr nicht! Einfach nur weg! Weit weg! Am besten bis ans Ende der Welt und noch viel weiter! Auf einen anderen Planeten, ist doch egal. Nur weg. Ob er oder ich, tut dabei auch nichts zur Sache. Ich würde auch freiwillig gehen, aber er lässt mich ja nicht. Aber ich versuche es dennoch, indem ich wie wild auf dem Knopf herumdrücke.
„Da wird sich nichts tun Timo!“, sagt Dion nur und sieht mich weiterhin abwartend an. Will er jetzt bis zum gestrigen Tag warten? Oder bis wir beide hier drinnen verhungern? Was soll das zur Hölle?! Ich will nicht reden und fertig! Warum akzeptiert er es nicht einfach? Was ist daran so schwer? Kann er mir das mal verraten? Aber er scheint ja genau wie ich auch nichts mehr sagen zu wollen.
„Man Timo!“, schimpft er wieder und schlägt mit seiner Faust auf die eine Seite des Fahrstuhls. Ich zucke zusammen. Das müssen die Leute da draußen doch sicher gehört haben. Ich taste blind nach dem Alarmknopf, aber ich finde ihn nicht. Der Fahrstuhl soll endlich wieder in Gang gesetzt werden!
„Gib es doch einfach zu!“, meint Dion und kommt auf mich zu. Ich rolle leicht zurück, allerdings ist gleich hinter mir die Wand. Na super. Und jetzt? Er kommt mir gerade so bedrohlich vor, so habe ich ihn vorher noch nicht gesehen. Er ist doch sonst immer so ruhig und lieb. Was ist passiert, was ihn so aufgebracht hat? Ich muss schlucken und presse meine Lippen aufeinander.
„Gib es zu, na los!“, schimpft er weiter. „Sag es endlich! Gib zu, dass du mich magst!“, meint er und meine Augen weiten sich. Also geht es ihm darum? Ob ich ihn mag? Na ja, ich mag ihn vielleicht, aber ich will nicht. Ich schüttelte wieder meinen Kopf. Nein! Nein ich mag ihn nicht! Nein! Er soll aufhören, so etwas zu behaupten!
„Gib es zu verdammt! Ich will es jetzt hören! Warum bist du so feige?!“, fragt er und stützt sich an meinem Rollstuhl ab. Sein Gesicht ist so nahe an meinem. „Na los! Sag es!“, meint er wieder und ich öffne meinen Mund. Dann schließe ich ihn wieder. Ich sehe ihm in die Augen, die gerade alles andere als ruhig erscheinen. Eine Flamme lodert in ihnen auf, er ist sauer. Wieso ist er nur so sauer?
„Geh!“, sage ich wieder, noch immer leicht verwirrt und geschockt.
„Du magst mich doch, oder?“, fragt er wieder. Er hebt seine Hand und sieht mich mit verengten Augen an. „Du bist so ein Feigling!“ Er will mich schlagen. Ich sehe es. Er ist wütend und will mich schlagen. Ich mache meine Augen zu und hoffe, dass das alles nicht stimmt. Dass ich gleich aus einem Alptraum erwache.
„Ja, ich mag dich!“, sage ich dann plötzlich und mache meine Augen wieder auf. Er schlägt mich trotzdem. Nicht so stark, aber etwas. Dann sieht er mich perplex an. Ich ihn genauso. Ich hätte nicht geglaubt, dass er wirklich zuschlägt.
„Du...ach du Scheiße.“, sagt er dann. „Gott! Das tut mir so leid. Entschuldige, ich wollte nicht...magst du mich wirklich?“, fragt er nach und scheint ziemlich fassungslos zu sein. Ich nicke leicht.
„I-ich mag dich..sehr.“, murmel ich dann mit erstickter stimme. Seine Hand streift über meine Wange und er lehnt seinen Kopf an meine Schulter.
„Tut mir leid. Verzeih mir.“, wiederholt er und sieht mich wieder an. Dann drücken sich seine Lippen einfach auf meine. Ich bin viel zu überrumpelt, als das ich mich wehren könnte. Ich sehe ihn an, ehe meine Augen sich langsam schließen und ich den Kuss erwidere. Scheiß Rollstuhl! Wenn der nicht da wäre, dann könnte er mich richtig umarmen. Ich mag es, wenn er mich umarmt.
„Du bist so ein Idiot.“, flüstert er und drückt mich an sich, wobei er sich doch ganz schön runter beugen muss. Er drückt auf den Signalknopf und es dauert nicht lange, bis der Fahrstuhl wieder läuft. Die Türen öffnen sich und wir verlassen den Fahrstuhl, um gemeinsam in unser Zimmer zurückzukehren.
„They're worth so much more after I'm a goner
And maybe then you'll hear the words I been singin?
Funny when you're dead how people start listening...“
Ich liege im Bett, neben mir liegt Dion und schläft. Irgendwie sieht es doch ganz schön verrucht aus. Ich liege in seinen Armen und sehe ihm beim Schlafen zu. Man könnte echt denken, dass wir gerade erst etwas mit einander hatten. Also so richtig intim. Ich werde bei dem Gedanken rot. Zum Glück schläft Dion noch. Ich schmiege mich an ihn und kann mir immer noch nicht vorstellen, dass er mich im Aufzug wirklich geküsst haben soll. Ich meine, wir sind beide Kerle und ich hege sonst auch nie ein Interesse an Männern oder Frauen. Tja, so kann man sich wohl täuschen. Aber ich mag ihn ja auch nur. Ich liebe ihn ja nicht, richtig? Wobei, er hat mich geküsst. Heißt das, dass wir jetzt ein Paar sind? Ich bin mir nicht ganz sicher. Vielleicht? Vielleicht auch nicht. Wer weiß da schon? Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir darüber mal reden? Aber ich möchte ihn jetzt nicht wecken. Er sieht viel zu friedlich aus und das wäre mir zu schade. Ich brumme zufrieden auf und drehe mich in seinem Arm, sodass ich mit dem Rücken zu ihm liege. Es ist einfach unbequem, die ganze Zeit nur auf einer Seite zu liegen.
„Wieso drehst du dich weg?“, höre ich Dion murmeln und werde leicht rot. Er zieht mich dichter zu sich und ich spüre seinen Atem im Nacken. „Komm wieder her, mi corazón.“, murrt er, aber ich drehe mich nicht zurück. „Ich kann nicht so lange auf einer Seite liegen.“, murmel ich nur und bleibe mit offenen Augen unbewegt liegen.
„Wenn das so ist~“, schnurrt er mir zu und ich ahne schon das schlimmste. Dion stützt sich auf und beugt sich über mich. „Sie mich an.“, flüstert er dann und ich drehe langsam mein Gesicht. Sofort legen sich seine Lippen auf meine und ich schließe meine Augen. Automatisch erwidere ich den Druck und so intensivieren wir den Kuss noch etwas. Seine Zunge streicht über meine Lippen und ich muss leise aufstöhnen, als ich meinen Mund öffne, um sie in Empfang zu nehmen. Der Kuss dauert lange an, wie lange genau, kann ich nicht sagen. Aber mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor.
Als wir wieder von einander ablassen, legt Dion sich auf mich, sodass ich nun auf dem Rücken liege. „Damit bin ich auch zufrieden.“, meint er dann grinsend. Ich murre nur.
„Ich nicht! Du bist schwer!“, sage ich und er fängt an zu schmollen.
„Wer ist hier schwer, du Trampel?! Ich bin nicht schwer! Ich bin durchtrainiert, hier schau.“ Er zieht sein Shirt hoch und zeigt mir schamlos seinen freien Oberkörper. „Ja, alles Muskeln! Merk dir das! So schnell bekommst du so etwas nicht wieder zu Gesicht.“
„Ach wirklich?“, frage ich anzüglich nach und Grinse. Ich ziehe ihn wieder zu mir und ergattere mir noch einen Kuss. Er grinst nur.
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß~“, schnurrt er, doch dann werden wir unterbrochen. Es klopft an der Tür und wir sehen beide auf. Meine Mutter kommt herein und sieht mich mahnend an. „Hallo.“, sagt sie barsch und kommt auf mein Bett zu. Sie setzt sich demonstrativ darauf und ich seufze. Ich deute Dion, dass er auf sein Bett gehen soll und sehe meine Mutter dann an.
„Dir auch einen schönen guten Tag, Mum!“, meine ich genervt.
„Hör mit den Förmlichkeiten auf, wir haben etwas zu besprechen!“, meint sie dann ernst. Ich schmunzele. Muss ja wirklich etwas schlimmes sein, wenn sie mich so schräg von der Seite anmacht und mal ausnahmsweise nicht so tut, als wären wir eine Regenbogen-Sonnenschein-Familie. Ich sehe sie also abwartend an und schiele ab und an zu Dion herüber.
Meine Mutter räuspert sich und scheint die richtigen Worte zu suchen.
„Dein Onkel ist tot.“
Das waren definitiv die falschen Worte! Ich starre sie ungläubig an und in meinem Gehirn rattert es. Das kann doch gar nicht sein! Er war doch erst bei mir. Er ist nie und nimmer-! Ich schüttele langsam, wie mechanisch, den Kopf und öffne meinen Mund, aber es kommt nicht ein Wort heraus. „Er ist an seiner Herzkrankheit gestorben. Vorgestern. Er hatte die Krankheit schon, seit er ein kleiner Junge war.“, erklärt mir meine Mutter und ich schüttelte wieder den Kopf. Nein! Nein das kann gar nicht wahr sein! Das darf nicht war sein! So einfach ist es! Er lebt noch, das ist nur ein sehr schlechter und dummer Scherz! Er würde mich doch nicht zurücklassen, ohne etwas zu sagen! Das würde er niemals tun!
„Nein!“, bringe ich mit brüchiger Stimme heraus und fange an zu zittern. Schnell kralle ich mich in die Decke, damit man es nicht sofort bemerkt. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Ich will nicht weinen. Ich will es nicht glauben. Es ist nicht passiert! Das stimmt alles nicht! Meine Mutter hasst mich nur so sehr, dass sie sich das ausgedacht hat.
„Das..das stimmt nicht!“, sage ich und sehe sie noch immer ungläubig an. „Nein, das kann gar nicht stimmen! Er würde nicht einfach gehen, ohne mir etwas zu sagen!“, schimpfe ich nun und merke, wie mir die Tränen hochkommen. Nein, nicht weinen! Wenn ich weine, dann heißt es, dass ich es glaube und dass ich es akzeptiert habe, dass er nun nicht mehr wieder kommt. Gott, wenn ich an dich glauben würde, spätestens jetzt hättest du einen deiner Anhänger verloren! Wie konntest du mir das antun?! Reicht es dir nicht, dass ich schon förmlich im Sterbebett liege?!
„Timo, beruhige dich. Das ist normal, jeder stirbt irgendwann.“, meint meine Mutter. Ach so, klar. Ich muss ja keine Trauer empfinden. Ist ja sowieso klar, dass wir alle irgendwann sterben. Nur weil du keine Gefühle für deine Familie hast, heißt es nicht, dass es mir damit genauso geht, Mum!
Ich sehe sie entrüstet an und sie steht auf. Sie kramt ihr Handy aus der Tasche und sieht auf das Display. „Ich muss jetzt gehen.“, meint sie und wirft Dion einen kurzen Blick zu, der so tut, als würde es ihn nicht interessieren, was hier gerade abläuft.
„Die Arbeit ruft.“
Wohl eher der Chef, was?! Ich würde ihr jetzt am liebsten an die Kehle springen und sie mit ins Grab nehmen. Allerdings schaue ich ihr nur hinterher, immer noch unfähig wirklich zu begreifen was passiert ist. Vorgestern schon? Wieso sagt sie es mir dann jetzt erst?! Wieso kam sie nicht vorgestern schon zu mir?! Ich will ihn sehen, verdammt! Das ist unfair! Das ganze Leben ist gegen mich! Ich hab keine Lust mehr darauf!
Jetzt kann ich endlich weinen. Meine Mutter ist weg und kann es nicht sehen, also kann ich weinen. Aber ich bin zu betäubt, um die Tränen fließen zu lassen. Ich höre ein Rascheln und merke, dass Dion wieder zurück zu mir kommt. Aber ich sehe ihn nicht an. Er nimmt mich in den Arm, zieht mich dich zu sich und streicht mir über den Rücken. Ich habe ein Déjà-vu. Alles kommt mir so vertraut vor, so wie vor ein paar Tagen, als Dion mich vor der Operation in den Arm genommen hat. Ich kralle mich an ihn und fange an zu zittern. Dion sagt nichts, er streicht nur über meinen Rücken und schweigt. Vielleicht fehlen diesmal sogar ihm die Worte.
Langsam kommen mir nun doch die Tränen und ich lasse sie einfach fließen. Ich schluchze auf und krallte mich in sein Shirt, was ich vollheule. Ich heule los und bekomme mich auch kaum noch ein. Dass eine Schwester unser Zimmer betritt, kriege ich nicht mit, auch nicht, dass sie es sofort wieder verlässt, nachdem Dion seinen Kopf geschüttelt hat. Er drückt mich stark an sich und murmelt mir nun leise Worte ins Ohr.
„Es ist alles gut, Timo. Hör auf zu weinen. Beruhige dich. Ich bin da... Ich bin da!“ Aber die Worte beruhigen mich nicht. Wieso ausgerechnet Can? Was hat er gemacht Gott, dass du ihn hast sterben lassen? Er war auch noch so jung. Er war doch selber kaum älter als ich! Gott, ich hasse dich dafür! Ich hasse dich aus tiefstem Herzen! Wieso hast du nicht einfach mich sterben lassen?! Can hat es nicht verdient! Bei mir wäre es doch egal, aber nicht er! Er hatte so viele Freunde und Verwandte, er hatte eine Familie. Ich nicht und trotzdem lebe ich. Ich verstehe es nicht. Das Leben ist nicht fair.
Oder lass mich auch sterben, dann können wir zusammen beerdigt werden und er ist nicht so alleine.
„Nicht fair!“, sage ich mit tränenerstickter Stimme. „Das ist alles nicht fair! Wieso er?! Wieso nicht ich?“, schluchze ich und Dion drückt mich etwas von sich.
„Hör auf so etwas zu sagen, Timo! Und wenn ich diese Meinung aus dir rausprügeln muss! Es ist schlimm, ja! Aber das ist kein Grund, jetzt auch sterben zu wollen! Klar hat er es nicht verdient, natürlich ist es nicht fair! Aber das ganze Leben ist nicht fair! Und du hast es ebenso wenig verdient zu sterben, wie er, ok?! Also hör auf, darüber nachzudenken!“, fährt er mich an und ich zucke zusammen. Ich sehe ihn aus verheulten Augen an und wische mir über die Wangen. Er zieht mich wieder an sich und küsst mich. Ich sehe ihn verständnislos an, kralle mich an ihn und erwidere den Kuss. Als er sich löst, öffne ich meine Augen wieder. Ich schniefe und muss schlucken.
„Versprich mir, dass du nie wieder daran denkst, freiwillig zu sterben!“, murmelt er dann und seufzt auf. „Ich würde es nicht ertragen, hörst du? Für mich bist du mein Ein und Alles und du bist mehr wert, als deine Mutter denkt! Du bist viel mehr wert, als du selber denkst. Du bist so ein toller Junge, du bist hübsch und niedlich. Du bist nett und hast Humor. Man kann mit dir unendlich viel Spaß haben und man kann dich so schnell lieb gewinnen, wenn man es nur zulässt. Lass dir von den anderen nichts einreden. Du hast mich!“, meint er und ein Teil des Knotens in mir löst sich langsam. Ich nicke leicht, ehe er sich zu der Kommode beugt und Taschentücher aus der Schublade holt.
Er hält mir eines hin und ich schnaube mir die Nase. Nicht gerade leise, oder wie es sich gehört. Ich schnaube einfach und werfe es dann in den Mülleimer, der einen knappen Meter von meinem Bett entfernt steht. Ich muss trotzdem noch mal schniefen und meine Wangen sind noch ganz nass. Es kommt mir vor, als würde es kleben und an meiner Haut ziehen. Als wäre sie total ausgetrocknet. Dion küsst mir meine Wangen und leckt mir die Tränen ab. Ich kneife meine Augen zu und werde rot. Jetzt ist nicht der passende Moment, um rot zu werden! Er sehe ihn an, ehe seine Lippen sich wieder auf meinen wiederfinden. Er hält mein Gesicht in seinen Händen und zieht mich ganz nahe zu sich, sodass nicht mal mehr ein Blatt zwischen uns passen würde. Ich keuche leise auf und er beginnt zu lächeln.
„Versprichst du es mir?“, fragt er nach und ich nicke zögerlich. „Tut mir leid..“, murmel ich dann. Die Gefühle haben mich einfach übermannt gehabt. So etwas sollte mir wohl nicht noch einmal passieren. Aber Dion schüttelt nur seufzend den Kopf und lächelt.
„Wir stehen das gemeinsam durch. Das alle, ok? Wir werden das schon schaffen. Wir brauchen dafür keine anderen Leute. Wir haben uns und das ist auch gut so.“, erklärt er mir. Es freut mich, dass Dion es so sieht, auch wenn es mir noch immer schwer fällt, seine Meinung zu übernehmen.
„Timo..ich liebe dich.“, murmelt er mir ins Ohr und ich sitze erneut wie gelähmt da und bekomme meinen Mund nicht mehr zu. Er liebt mich?! Was zur Hölle... Er meinte vor ein paar Tagen oder Wochen erst noch, dass er in mich verknallt ist und mich mag. Wie kommt er jetzt darauf, sich in mich zu verlieben?! Ich muss schlucken. Erwartet er jetzt eine Antwort? Ich mag ihn, sogar sehr. Aber lieben? Ich glaube nicht, oder? Ich weiß es nicht genau, wenn ich ehrlich bin. Ich habe mir darum überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich war glücklicher in den letzten Tagen, als sonst. Vorausgesetzt, er war bei mir! Ich hatte Spaß und Dion hat mich von meinen Problemen abgelenkt, von meiner Krankheit und meiner 'Familie'. Er hat mir geholfen, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich Liebe empfinden kann. Er ist doch ein Junge? Ok, schwul sein gibt es inzwischen schon recht häufig und wird in den meisten Ländern erlaubt, aber..ich bin nicht schwul. Oder vielleicht schon und ich weiß es nur nicht? Can war schwul, das weiß ich. Ich habe nichts dagegen gehabt. Ich mochte ihn ja trotzdem sehr. Und ich hatte bisher noch keine feste Beziehung zu einer Frau, noch ein Interesse an ihr. Ich habe nicht an Frauen denken müssen und finde ihre Kurven auch nicht so toll, wie immer alle sagen. Wenn ich ab und an die Jungs aus meiner Klasse beobachte, dann fällt mir auf, wie sie den Mädchen hinterhergaffen und ihnen auf den Hintern oder ihre Brüste starren. Sie reden fast nur noch darüber und wollen unbedingt mit ihnen Sex haben. Bei dem Gedanken werde ich sofort wieder leicht rot. Aber ich habe bisher nicht an so etwas gedacht. Ich habe kein Interesse daran, so schnell meine Jungfräulichkeit zu verlieren, ein Mädchen zu küssen oder sie anzufassen. Ist das abnormal? Ich bin immerhin schon sechzehn und mitten in der Pubertät. Müsste ich dann nicht eigentlich auch solche Gedanken haben, oder morgens mit einem Ständer aufwachen? Ok, das führt zu weit.
Schnell versuche ich an etwas anderes zu denken. Gott, ist das peinlich! Wieso denke ich ausgerechnet jetzt daran?! Und ich habe ganz vergessen, dass Dion scheinbar eine Antwort will. Er drückt mich leicht von sich und sieht mich prüfend an. Oh nein, ich bin sicher noch ganz rot und verwirrt. Das soll er doch nicht sehen!
„Ich erwarte erst mal noch keine Antwort. Ich habe dich ja schon bei unserem Kennenlernen überfallen und ich will dir Zeit lassen, damit du dir klar darüber wirst, was das heißt. Ich zwinge dich nicht dazu, dich in mich zu verlieben. Es reicht mir, wenn du mich gern hast. Hauptsache du verabscheust mich nicht oder so. Außerdem hast du ja momentan auch andere größere Probleme. Da will ich mir dir nicht auch noch aufhalsen.“ Er sieht mich lächelnd an, ehe er sich erneut einen Kuss von mir raubt. Ich erwidere das Lächeln zaghaft.
„Tut mir leid. Aber noch kann ich dir nicht Antwort stehen.“, gebe ich dann auch ehrlich zu. „Du belästigst mich doch gar nicht. Ich mag es, dass du alles mögliche Versuchst und mich immer wieder so umgarnst.“, sage ich leiser. „Aber es ist ungewohnt und daher muss ich es erst einmal richtig begreifen. So etwas hat vorher noch nie jemand zu mir gesagt.“
Dion lächelt und drückt mich runter auf die Matratze. Ich sehe ihn überrascht an und bekomme leichte Panik. Was hat er vor?! Was will er jetzt machen? Doch er nimmt mich nur in den Arm und legt sich halb auf mich. „Ich bin so glücklich!“, meint er und ich blinzele verwirrt. Glücklich? Wieso? Ich habe ihm ja nicht einmal antworten können, wieso sollte er glücklich sein?
„Ab jetzt gehören alle ersten Male mir!“, meint er dann grinsend. Sofort werde ich rot. Ach das meint er. Er weiche seinem Blick aus und knurre leicht. „Geh runter, du bist schwer!“
„Und du bist ein Trampel!“, meint Dion lachend.
„Wenn du so weiter machst, dann überlege ich mir die Sache gar nicht und weise dich gleich ab!“, warne ich ihn vor. Ich versuche so allerdings nur meine Verlegenheit zu überspielen. Dion kuschelt sich an mich und seufzt leise und zufrieden auf. Ich stutze, dann werde ich knallrot. Was soll das denn jetzt?!
„Dion! Hast du etwa-?“, will ich fragen, aber er murrt nur auf.
„Ignoriere es einfach, dann geht es auch von alleine wieder weg.“, meint er und grinst. „Was erwartest du von mir? Ich bin zwanzig, grade erst aus der Pubertät raus, könnte man sagen. Ich bin ein Mann und hab auch meine Bedürfnisse. Und du bist einfach so zuckersüß, dass ich mich auch irgendwann nicht mehr halten kann.“
Perplex sehe ich ihn an und werde erneut knallrot. Ich versuche ihn wegzudrücken und meine Beine anzuziehen. Er soll wieder auf sein Bett! Ich will nicht spüren, dass er.. Knallrot versuche ich erneut, ihn loszuwerden. „Geh runter! Das ist pervers!“, sage ich fauchend, aber er grinst nur. „Du bist eindeutig noch Jungfrau.“, meint er lachend. Ich sehe ihn leicht entsetzt an und versuche dann nach ihm zu treten, was leider nach hinten losgeht, als er auf einmal aufstöhnt. Ich lasse mein Bein schnell wieder sinken. Oh Gott! E hat gerade gestöhnt! Gestöhnt!!! Was soll ich denn jetzt machen? Mich geht das ja eigentlich nichts an, oder? Ich muss schlucken und beiße mir auf die Lippen.
„Geh ins Bad, oder kalt duschen.“, murre ich dann. Aber Dion scheint etwas anderes im Sinn zu haben und beugt sich vor, um mich zu küssen. Während er mich somit ablenkt, wandert seine Hand in meine Hose und ich sauge scharf die Luft ein. „L-lass!“, murre ich und versuche seine Hand wieder herauszuziehen. Aber wirklich schaffen tue ich es nicht. „W-was hast du vor?! Ich will nicht!“, sage ich. „Keine Sorge, ich will nur, dass du dich ein bisschen gut fühlst.“, murmelt er und im nächsten Moment keuche ich auf. Er hat einfach angefangen, mein Glied zu massieren. Ich ziehe meine Beine an und kneife die Augen zu.
„D-Dion! Was ist, wenn jemand-“ Ich muss abbrechen und stöhne auf. Er greift nach meiner Hand und führt sie in seine Hose. Es ist mir furchtbar peinlich, aber wehren tue ich mich nicht. „Mach einfach das, was ich mache.“, murmelt er und ich bemühe mich, es ihm gleichzutun. Allerdings fällt es mir recht schwer, da seine Hand mich einfach nur an den äußersten Rand des Wahnsinns treibt.So dauert es auch nicht lange, bis ich zu meinem Höhepunkt komme. Er kommt gleich nach mir. Erschöpft schließe ich die Augen, während Dion Taschentücher herauskramt und unsere Hände sauber macht. Dann wirft er sie in den Mülleimer und legt sich neben mich. „Ich hasse dich..“, murre ich mal wieder, aber er zieht mich nur in seine Arme. „Ich weiß. Ich liebe dich auch.“, schnurrt er und ich drücke mich an ihn. Ich schlafe kurz danach einfach ein und schlafe den restlichen Tag durch, bis ich Abends wieder wach werde.
Ich sehe mich blinzelnd um und muss gähnen. „Wie spät?“, frage ich müde nach. „Kurz nach sechs.“, antwortet mir Dion lächelnd. „Hab ich so lange geschlafen?“, frage ich und er nickt. „Du warst nur zwischendurch ein paar Mal kurz wach.“ Ich schmiege mich an ihn und schließe meine Augen wieder. Als mein Magen knurrt, sitze ich schon fast senkrecht im Bett. „Hunger!“, meine ich dann und sehe Dion an. Er lacht auf und wir gehen gemeinsam etwas essen, nachdem wir uns beide wieder richtig angezogen haben.
Ein paar Tage später bin ich auf der Beerdigung von meinem Onkel. Meine Mutter ist auch da, aber ich halte mich von ihr fern. Ich will jetzt nicht mit ihr reden. Dion ist zum Glück mitgekommen, was mir wenigstens etwas Kraft gibt. Ich will nicht wieder weinen müssen. Wir stehen alle um das Grab versammelt, während jemand vorne etwas über Can erzählt. Das erste mal sehe ich seinen Freund Finley. Er sieht mitgenommen aus und schweigt die ganze Zeit. Er scheint Tage lang nicht geschlafen zu haben, seine Augen sind geschwollen und gerötet. Er muss viel geweint haben. Ob er jemanden hat, der ihm jetzt beisteht?
„Can war großartig. Er hat uns alle geliebt, er wurde von allen geliebt. Er hatte keine Feinde und war immer gut zu allen. Er wollte es jedem recht machen, hat immer als erstes an andere gedacht, ehe er sich selbst etwas zu Gute kommen ließ. Er hat oft Geld gespendet, hat sich um verwahrloste Tiere und Waisenkinder gekümmert und wenn er auf Reisen war, haben ihn alle furchtbar vermisst. Dennoch wurde er mit so einer schlimmen Krankheit bestraft. Keiner von uns wird je verstehen, wie es dazu kam.“ Ich höre nicht mehr zu. Ich will nicht noch mehr darüber hören. Ich hasse es. Wenn man bei einer Beerdigung nur gut von der Person redet, ist es einfach nur eine schamlose Lüge. Jeder Mensch hat in seinem Leben Fehler gemacht. Und die sollte man nicht verstecken.
„Und er hat gebeten, dass sein Neffe Timo nach vorne treten soll.“ Ich sehe auf. Bitte was? Dion schiebt mich nach vorne, auch wenn ich ihn dafür anklagend ansehe und stellt sich dann an den Rand. Ich weiß eigentlich nicht, was ich sagen soll.
„Can war für mich der beste Onkel, den man sich wünschen kann.“, sage ich und streiche mir über den Nacken. „Er war immer nett zu mir und als ich klein war, haben wir zusammen gespielt. Er hat mir viel von seinem Freund erzählt.“ Ich werfe einen Blick auf Finley und lächele. „Sie waren wohl sehr glücklich. Und ja, Can war schwul! Aber ich denke, dass alle Anwesenden es schon wissen sollten. Und er war auch nicht der perfekte Mensch, so wie er eben hingestellt wurde. Auch Can hatte seine Wutausbrüche. Er hatte auch keine einfache Kindheit und er war auch nicht immer der freundliche und liebe nette Can, den vielleicht einige von ihnen kennen. Er konnte auch nicht jedem helfen. Wenn er auf Reisen war, meldete er sich nicht. Man wusste nie, ob er überhaupt noch unter uns weilte. Von seiner Krankheit habe ich bis zu seinem Tod nichts erfahren.“, erzähle ich. Es ist nur die reine Wahrheit. „Man sollte über eine tote Person nicht schlecht reden, wird gesagt. Aber das tue ich nicht. Ich habe ihn geliebt! Und ich liebe ihn immer noch. Ich werde ihn nie vergessen, denn für mich war er der wichtigste Mensch in meinem Leben. Aber ich mochte nicht nur seine guten, sondern auch seine schlechten Seiten. Ohne sie, wäre Can sicher nicht Can gewesen. Und ich denke ich spreche nun im Namen aller, wenn ich sage, dass kein Tag vergehen wird, an dem wir nicht an ihn denken.“ Ich deute Dion mich wieder zurückzuschieben. Ich will nicht weiter vor der Menge stehen. Ich hasse so etwas. Aber für Can war es mir wirklich wert.
„Das hast du schön gesagt Timo.“, flüstert Dion mir zu, während irgendein Typ da vorne anfängt, Blumen in das Grab zu werfen. Nun geht es einmal die Reihe durch.
„Danke, dass du mitgekommen bist.“, sage ich leise. Er lächelt und nickt. „Ich glaube, ohne dich hätte ich das alles nicht überstanden.“ Ich werfe eine weiße Lilie ins Grab, die zwischen den ganzen Rosen stark heraussticht. Aber wenn man ihm schon eine Blume schenkt, dann wenigstens seine Lieblingsblume. Wir gehen weiter. „Dion, lass uns gehen.“, bitte ich ihn. Ich will nicht mit meinen Verwandten reden und vor allem nicht mit meiner Mutter. „Timo!“, höre ich da eine unbekannte Stimme und drehe mich um. Finley kommt auf mich zu und lächelt leicht. „Danke.“, meint er dann. Ich nicke nur. „Kein Problem. War schön dich mal kennen gelernt zu haben, auch wenn ich es unter anderen Umständen schöner gefunden hätte.“, gebe ich zu. Er nimmt meine Hand und schüttelt sie. „Pass gut auf dich auf und gute Besserung.“, meint er, ehe er wieder verschwindet.
„Dion, los jetzt.“ Er schiebt mich weiter, Richtung Taxi, hilft mir ins Auto, klappt den Rollstuhl zusammen und verfrachtet ihn in den Kofferraum. Dann setzt er sich neben mich und wir fahren wieder ins Krankenhaus. Ich lehne mich an ihn und schließe die Augen. „Ich glaube, ich liebe dich auch.“
"The ballad of a dove
Go with peace and love
Gather up your tears
Keep them in your pocket
Save them for a time
When you're really gonna need them"
Nach meinem Geständnis sind wir ins Krankenhaus gefahren und sofort in unser Zimmer, um unsere Ruhe zu haben. Dion hat mich sofort wieder in Beschlag genommen und ich scheine nie wieder eine ruhige Minute ohne ihn zu haben.
„Dion!“, murre ich, aber er sieht nur lächelnd auf mich hinunter. Ich liege in seinen Armen auf dem Bett und versuche ihn von mir zu drücken. „Ich muss aufs Klo!“, meine ich dann und er grinst.
„Soll ich mitkommen?“, fragte er scheinheilig nach und ich werde schlagartig rot.
„Du bist ein perverser, pädophiler, alter Lustmolch!“, beschimpfe ich ihn und befreie mich aus der Umarmung.
„Das alt nimmst du jetzt aber auf der Stelle zurück!“, meint er und schmollt. „Ich bin auch erst zwanzig!“
„Sag ich doch. Pädophil und alt.“, murre ich wieder und kämpfe mich aus dem Bett.
„Willst du nicht den Rollstuhl benutzen?“, fragt Dion nach und ich werfe ihm einen mordenden Blick zu. „Schon gut!“, meint er und hebt beschwichtigend die Hände. „Ich mache mir nur Sorgen, kein Mitleid!“, sagt er dann und schüttelt den Kopf. Ich gehe ins Bad und verschließe die Tür. Nachdem ich fertig bin, kehre ich zu Dion zurück. Er sitzt lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf dem Bett. Ich schmunzele misstrauisch und gehe nur langsam auf ihn zu.
„Was hast du gemacht?“, frage ich sofort alarmiert nach, doch er schürzt nur seine Lippen und sieht mich beleidigt an. Dion nimmt seine Arme wieder herunter und verschränkt sie vor seiner Brust.
„Dann komm halt nicht her.“, murrt er dann. Schmollt er jetzt wirklich? Ich sehe ihn verdutzt an, lächel dann aber. Ich setze mich zu ihm aufs Bett und kuschel mich an ihn.
„Sei nicht böse. Ich meinte es doch nicht ernst.“, murmel ich leise. Ich will nicht, dass er schmollt. Schließlich sehen wir uns bald nicht mehr. Tja, das muss ich wohl auch nochmal ansprechen. Ich seufze leise auf.
„Mach die Augen zu.“, flüstert Dion mir plötzlich ins Ohr und ich merke, wie mir heiß wird. Er ist mir wieder so verdammt nahe. „Wieso?“, frage ich nur nach.
„Mach es einfach!“, bittet er ungeduldig. „Und dreh dich um.“
Ich knabbere kurz auf meiner Lippe, drehe ihm dann den Rücken zu und schließe meine Augen. Ich höre, wie er etwas unter dem Kissen hervorkramt. Dann streichen seine Hände über meinen Rücken und ich spüre seine Lippen in meinem Nacken. Ich muss aufschaudern und murre leicht. „Was ist denn jetzt?“, frage ich ungeduldig und will ihn über meine Schulter hinweg ansehen. Aber er hält mir schnell die Augen zu. Ich will widersprechen, aber dazu lässt er mir gar nicht erst die Chance.
„Nicht schmulen.“, murmelt er leise und lässt mich wieder los. Ich knurre auf, lasse meine Augen nun aber zu. Ich spüre, wie sich etwas kaltes um meinen Hals legt und taste danach. Als seine Arme sich um meinen Bauch legen, mache ich die Augen wieder auf und starre die Kette an, die in meiner Hand liegt.
„Eine Kette?“, frage ich nach. Er nickt.
„Gefällt sie dir nicht?“, fragt er dann wieder leicht schmollend nach.
„Doch doch.“, meine ich. „Aber..eine Kette?“, frage ich erneut.
„Sie gefällt dir also nicht!“, stellt er bestürzt fest.
„Es ist eine Kette. Ich bin ein Junge.“
„Und?“
„Die war bestimmt teuer, oder?“, versuche ich es erneut. Natürlich gefällt mir die Kette, aber ich will meine Verlegenheit überspielen. Wieso schenkt er mir überhaupt so ein Teil?
„Das tut doch nichts zur Sache!“, beharrt Dion scheinbar langsam etwas genervt.
„Also war sie wirklich teuer?! Wie viel hat das Teil gekostet?“, will ich wissen und wende mich ihm zu. Er schüttelt nur seufzend den Kopf, ehe er mir einen Kuss aufdrückt.
„Mach dir keine Gedanken.“, murmelt er gegen meine Lippen. „Sie ist längst nicht so kostbar und teuer, wie du.“, schnurrt er und ich verziehe meinen Mund.
„Wieso?“, frage ich dann nach. Er muss lächeln, ehe er mir meine Haare verwuschelt.
„Hast du es wirklich schon vergessen?“, fragt er nach. Dann muss er auflachen. Ich verstehe selber nur Bahnhof!
„Alles gute zum Geburtstag, mi corazón.“, flüstert er mir dann zu, ehe seine Hand unter mein Shirt rutscht und er mich etwas mehr zu ihm dreht, sodass er mich nun richtig und ausgiebiger küssen kann. Ich schließe meine Augen und erwidere den Kuss, lass mich von ihm runter auf die Matratzen drücken. Als er wieder von mir ablässt, muss ich lächeln.
„Danke.“, sage ich und ziehe ihn in meine Arme. Ich drücke ihn fest an mir und bin so glücklich, wie lange nicht mehr. „Das war das schönste Geschenk, was du mir machen konntest.“ Und damit meine ich nicht die Kette. Ich bin einfach nur froh, dass er an meinem Geburtstag bei mir ist. Dion streicht mit durchs Haar und grinst.
„Ich finde es schön, wenn du dich so freust. Du solltest öfter mal lächeln.“, merkt er dann schmunzelnd an. Ich zwicke ihm kurz in die Seite und verziehe mein Gesicht.
„Au! Da siehst du! Schon wieder. Verzieh dein hübsches Gesicht noch weiter und du bekommst Falten.“, seufzt er, während er meine Stirn hinunter über meine Wangen streicht. Seine Fingerkuppen berühren meine Lippen und er knabbert leicht an ihnen. Ich kneife leicht meine Augen zu, da es doch recht ungewohnt für mich ist. Bisher hat noch nie jemand auf meinen Lippen herumgeknabbert...
Aber ich sage nichts, sondern entspanne mich wieder. „Sag mal Timo, wie stehst du eigentlich zu Sex mit einem Mann?“
Ich reiße meine Augen auf und schiebe Dion von mir runter. „Nein!“, sage ich dann ernst. „Nein nein nein!“, meine ich und schüttele den Kopf. „Ich hab dich wirklich gern Dion, versteh das bitte nicht falsch.“ Ich beiße mir auf die Lippe und weiß nicht was ich sagen soll. Jetzt habe ich ihn sicherlich verletzt. „Ich..ich weiß nicht. Ich bin noch nicht so weit. Ich bin krank und geschwächt. Außerdem habe ich Angst, weil es mein erstes Mal ist und...du musst noch ein wenig warten.“, bitte ich ihn. Dion sieht bestürzt zu mir rüber. Meine Reaktion hat ihn wohl ziemlich aus den Latschen geworfen. „Schon ok. Habs verstanden!“, sagt er und steht auf. Es kratzt wohl auch ziemlich an seinem Stolz. Aber ich kann doch nichts dafür. Soll ich ihn anlügen und es über mich ergehen lassen? Er muss doch nur noch etwas warten. Nur noch ein Jahr, dann.. Noch ein Jahr.
„Dion warte!“, sage ich und greife nach seinem Handgelenk.
„Lass mich los, ich möchte ins Bad!“, murrt er und reißt sich los. Ich muss schlucken. Ist er sauer? Mit hängendem Kopf sehe ich ihm hinterher. Oh, ein Fettnäpfchen. Wartet, ich nehme Anlauf! Seufzend lasse ich mich zurück auf die Matratze fallen. Dann eben nicht! Der soll sich mal nicht so haben! Was für ein Weichei!
Ich rolle mich schuldbewusst zusammen und starre an die Wand. Ist ja auch interessant, so einfarbig. Und jetzt? Dion kommt wieder aus dem Badezimmer und lässt sich auf seinem Bett nieder. Er setzt sich in den Schneidersitz und schweigt, während er auf seine Hände starrt, die er in den Schoß gelegt hat. Es ist ein bedrückendes Schweigen.
„Dion?“, frage ich vorsichtig nach. Er sieht nicht auf, sondern gibt nur ein unverständliches Geräusch von sich. „Bist du jetzt sauer?“, frage ich dann. Erst ist wieder Schweigen, bis er langsam mit dem Kopf schüttelt.
„Natürlich bin ich nicht sauer. Ich bin nicht zufrieden damit, aber auch nicht sauer. Wenn du noch nicht so weit bist, dann verstehe ich das schon. Keine Sorge. Ich mache dir keine Vorwürfe.“, erklärt er seufzend. Er ist wenigstens nicht so kindisch wie ich.
„Aber wenn du mich nächste Mal abweisen willst, dann bitte nicht so hart. Dann sag nicht einfach strikt 'nein'. Das klingt schon ziemlich derb in meinen Ohren.“, bittet er mich, scheint aber nicht das Verlangen zu hegen, wieder zu mir zurück zu kommen. Ich nicke zaghaft.
„Tut mir leid. Ich war überrumpelt.“, gestehe ich. Aber das bringt auch nichts mehr und eine Entschuldigung hilft auch nicht immer weiter. Er winkt nur ab. „Wie gesagt. Ich bin nicht sauer. Ich bin auch nicht enttäuscht. Aber ich bin verletzt. Mach dir bitte trotzdem keinen Kopf.“ Er lächelt mich an, jedoch kann ich das Lächeln nicht erwidern. Ich will mich nicht mit ihm Streiten. Noch ein Jahr lang, dann wird auch alles gut. Aber vorher dürfen wir uns einfach nicht streiten!
„Dion, ich muss dir noch was sagen.“, fange ich zögerlich an. Irgendwann muss er es ja mal erfahren. Ich kratze mich am Kopf und weiche seinem Blick aus.
„Also...Die Ärzte meinten, dass der Tumor sich wieder ausgebreitet hat und-“ Ich werde von ihm unterbrochen, als er aufspringt und sich sofort zu mir ans Bett setzt.
„Sag mir jetzt nicht das, wonach es sich gerade anhört!“, bittet er sofort Zähne knirschend. Schnell schüttele ich den Kopf.
„Nein! Nein, um Gottes Willen, nein!“ Ich seufze auf, Dion atmet erleichtert durch.
„Ich muss nach Amerika.“, sage ich dann. Er stutzt.
„Wieso?“, fragt er dann nach.
„Meine Mutter ist der Meinung, dass das Krankenhaus dort, über bessere Ärzte verfügt. Und sie spezialisieren sich seit Jahren nur auf Krebs. Sie hofft, dass ich dort besser aufgehoben bin.“, erkläre ich.
„Wie lange?“, will Dion wissen.
„Ein Jahr.“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. Ich merke, wie Dion sich anspannt. Ein Jahr. Ganz schön lang, oder? Und wir können uns das ganze Jahr über nicht sehen. Nie. Nicht einmal. Er ist genauso krank und er muss hier bleiben. Außerdem muss er doch sicher ein Studium oder einen Job bewältigen. Nervös spiele ich mit meinen Fingern.
„Ein Jahr..“, wiederholt er leicht betäubt. Ich nicke.
„Seit wann weißt du es schon?“, fragt er gekränkt nach.
„Seit ein paar Tagen. Vielleicht auch seit etwas über einer Woche, bin mir nicht sicher.“
Seine Hände ballen sich zu Fäusten und er sieht auf mich hinab. In seinen Augen ist Trauer und auch Wut zu sehen. Wieso ist er jetzt wieder wütend? Was kann ich denn für die Entscheidung meiner Mutter? Ich hatte in unserer Familie noch nie ein Mitspracherecht.
„Du weißt es schon länger als eine Woche und sagst es mir nicht?! Wolltest du mich absichtlich ins Messer laufen lassen? Erst mich heiß machen und dann abhauen oder wie?! Na danke! Steck' dir das doch in den Arsch!“, meint er aufbrausend. Ich zucke zusammen. Was soll ich jetzt sagen? Zum Teil hat er ja recht. Erst so etwas und dann haue ich einfach ab. Aber ich kann nichts dagegen unternehmen. Ich will schließlich auch überleben. Jedenfalls will ich es jetzt. Jetzt wo ich Dion kennengelernt habe, würde es mir sehr missfallen, so früh zu sterben. Dion steht vom Bett auf und scheint sich zusammenzureißen, um mich nicht zu schlagen. Seine Faust zuckt dennoch gefährlich und er beißt sich deutlich auf die Zähne.
„Dion. Es tut mir Leid, wirklich! Ich hätte es dir schon früher sagen sollen, ich-“
„Eine Entschuldigung macht die Sache auch nicht besser, Timo!“, fährt er mich an und mir kommen die Tränen wieder hoch. Ich versuche sie hinunterzuschlucken und nicke leicht. Er hat ja recht. Ich hätte es ihm sagen sollen, aber ich wusste nicht wie. Ich greife nach der Kette, die er mir geschenkt hat und drücke sie fest an mich. Ich lasse den Kopf hängen und weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Dion geht zum Fenster und reißt es auf, um sich ein wenig rauszulehnen und tief durchzuatmen. „Ich würde dir am liebsten jetzt einen Schlag verpassen, Timo.“, murrt er, ohne sich zu mir umzudrehen. Ich sage nichts darauf. Was soll ich auch sagen? Mich freuen? Haha, guter Witz.
„Aber ich mache es nicht.“, fährt er weiter fort. Ach ne, wirklich? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich dachte, er wollte mich jetzt wirklich schlagen. Nein, natürlich nicht! Das würde ich Dion nicht zutrauen, wenn ich ehrlich bin. „Timo, du bist ein richtiges Arschloch!“, stellt Dion fest.
Etwas schnürrt mir förmlich die Kehle zu und ich starre ihn an. Das meint er doch nicht wirklich ernst, oder? Also, nicht wirklich?!
„Ich bin wirklich sauer auf dich! Aber ich mag dich trotzdem und das kannst du so schnell nicht mehr ändern.“ Er kommt wieder auf mich zu und hebt die Hand. Will er mich jetzt doch schlagen?! Ich zucke zurück und kneife die Augen zu, aber er streicht mir nur durch die Haare. Leise atme ich auf und sehe ihm in die Augen. „Du kommst doch zu mir zurück, oder?“, fragt Dion nach. Ich nicke und umfasse seine Hüfte, um ihn zu mir zu ziehen. Ich lehne mich gegen seinen Bauch und schließe die Augen, während ich ihn umarme. Er krault mich leicht im Nacken und hockt sich dann vor mich, nachdem er vorsichtig meine Arme von seinem Körper entfernt hat. Er lächelt von unten zu mir auf und legt seinen Kopf dann auf meinem Schoß ab. Sofort werde ich rot. Das sieht eindeutig pervers aus! So wie er mich umarmt und wie sein Gesicht liegt. Ich zögere, ehe ich seine Haare durchwuschel. „Ich liebe dich, mi corazón.“, murmelt er leise.
„Ich hab dich auch lieb.“, flüstere ich und ziehe sein Gesicht zu mir hoch, um ihn küssen zu können. Er kommt mir nur zu gerne entgegen. Und schon ist das böse wieder aus der Welt. Na ja, nicht ganz. Fliegen muss ich ja trotzdem.
„Ich werde dich vermissen, mi corazón.“, murmelt Dion gegen meine Lippen und seufzt leise. Er hält die Augen geschlossen und scheint sich nicht mehr ganz von mir lösen zu wollen. „I-ich dich auch.“, nuschele ich unverständlich. Aber Dion versteht trotzdem was ich sage, wie immer. Er stützt sich auf und beugt sich über mich, während er mich auf die Matratze drückt.
„Das heißt also, ich muss mit dem Sex noch ein Jahr warten?!“, fragt er dann dreist nach und grinst mich an. Ich schürze die Lippen, werde aber sofort rot. „Du musst auch immer an das eine denken!“, schimpfe ich los.
„Wieso denn? Versöhnungssex halt. Nach einem Streit muss man sich schließlich wieder versöhnen, also wieso nicht mit Sex?“, fragt er grinsend und knabbert leicht an meinem Hals, was mir ein Keuchen entlockt. „D-Dion!“, murre ich und versuche ihn von mir zu schieben, aber er lässt nicht ab, ehe er mir einen dicken roten Knutschfleck verpasst hat. „So, jetzt hast du eine Erinnerung an mich!“, meint er stolz und setzt sich auf meine Hüfte. Ich verziehe nur das Gesicht.
„Du bist schwer.“, murre ich sofort.
„Und du ein Trampeltier!“, verteidigt er sich, ehe er mir zärtlich über die Wange, hinunter über meinen Hals und meine Arme entlang streicht. Kurz darauf berühren mich seine Lippen und fahren genau diesen Weg entlang, bis zu meinen Fingern. Er küsst jeden einzelnen und sieht mir dabei in die Augen. Ich bin knallrot angelaufen. Irgendwie sieht er dabei ganz schön...erotisch aus.
Ich muss schlucken, als mir dieser Gedanke kommt und schaue in eine andere Ecke des Zimmers. Er küsst sich wieder zurück, hoch zu meiner Schulter und über meine Brust auf die andere Seite. Während er dort das selbe mit meinem Arm und den Fingern macht, fährt seine Hand über meine Brust und hinunter zu meinem Bauchnabel. Ich zucke leicht zusammen, als sie meinen Hosenbund entlang streicht. Allerdings lenken seine Lippen mich noch mehr ab und überall beginnt es zu kribbeln. „Dion..“, keuche ich leise und merke, wie gut es sich anfühlt. Aber ich möchte trotzdem nicht weitergehen. Außerdem sollte man bedenken, dass ich bald für ein Jahr im Ausland bin und wenn ich jetzt mit ihm schlafen würde, dann würde mein Verlangen nach ihm nur noch mehr wachsen und das würde ich sicher nicht überstehen.
Dions Lippen liebkosen meine Haut weiter, wandern nun über meine Brust, meinen Bauch und hinunter zu meiner Hüfte.
„Dion, stopp!“, sage ich und sehe ihn ernst an. Er sieht zu mir auf und hält inne. Dann scheint er kurz mit sich zu kämpfen, ehe er von mir ablässt und sich neben mich fallen lässt. Ich spüre deutlich seine Erektion an meinem Bein, sage dazu aber nichts. „Du bist gemein..“, murmelt er, während er mich fest an sich drückt.
„Ich weiß.“, nuschel ich nur und versuche seine Erektion einfach zu ignorieren. Was gar nicht mal so einfach ist, je näher er mich zu sich zieht. „Und was mache ich jetzt damit?“, haucht er mir ins Ohr und sofort merke ich, wie meine Ohren rot werden. Mir wird ganz heiß und mein Herz fängt an stärker zu klopfen. Das ist sicher ungesund.
„W-woher soll ich das denn wissen?!“, murre ich und schließe die Augen, um so zu tun, als würde ich einfach nur schlafen wollen. „Du bist so gefühlskalt. Soll ich jetzt mit einem Ständer hier rumliegen und warten, bis es abschwächt?“, fragt er schmollend nach. „Ja!“, meine ich genervt und ziehe mir die Decke etwas weiter über den Kopf.
„Willst du mir nicht etwas Abhilfe verschaffen?“, bohrt er weiter nach, allerdings antworte ich nur mit einem Murren.
„So wie du dich wehrst, ist es sowieso wieder verschwunden, wenn du dann irgendwann anfangen würdest.“
„Schlaf einfach!“, meine ich genervt und drehe mich von ihm weg. „Oder mach irgendetwas anderes, nur lass mich da bitte raus.“ Ich muss schließlich bald fliegen und ein wenig Schlaf möchte ich dann schon noch haben.
„Na gut. Dann hole ich mir jetzt halt einen runter, während ich dich angucke und dich mir nackt vorstelle.“, schlägt Dion vor und ich höre, wie er an seiner Hose herumzippelt.
„Lass das doch mal!“, knurre ich und greife nach seiner Hand. Ich ziehe sie zu mir und küsse seinen Handrücken. Dann kuschele ich mich an ihn. „Ich muss doch heute Nacht schon los..“, flüstere ich und spüre sofort, wie er seine Arme um mich legt. Danach ist es still und wir genießen noch die letzte Zeit zusammen, ehe wir einschlafen. Mitten in der Nacht vibriert mein Handy und ich taste schnell danach, um es auszumachen. Dann stehe ich leise auf, ziehe mich um und nehme meinen Koffer, der soweit schon gepackt ist. Ich sehe Dion kurz an und hauche ihm dann einen Kuss auf die Wange. „Bis bald.“ Mit diesen Worten verlasse ich leise das Zimmer und gehe nach draußen, wo schon das Taxi auf mich wartet.
„Zum Flughafen?“, fragt mich der Fahrer und ich nicke. Ich starre aus dem Fenster und spüre jetzt schon, wie sehr ich Dion vermissen werde und bin froh, dass ich ihn nicht sehen muss, wenn er ohne mich an seiner Seite wach wird.
Es dauert nicht lange, da bin ich am Flughafen angekommen. Ich steige aus dem Taxi aus und bezahle. Dann mache ich mich auf den Weg zum Schalter. Ich hätte Dion gerne noch einmal richtig tschüss gesagt, aber das hätte den Abschied nur erschwert.
Kurz darauf sitze ich im Flugzeug und schalte meinen I-Pod ein. Während ich die Musik anmache, umfasse ich die Kette um meinen Hals und versuche die aufkommenden Tränen, die sich nun langsam ihren Weg über meine Wange suchen, zu ignorieren.
"Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt ." -Arthur Schopenhauer.
Ich strecke mich und sehe in die kühle Spätsommersonne, während ich nach meinen Taschen Ausschau halte. Ich gehe zu einem Laufband und belade mich mit meinem Koffer und meiner Tasche. Den Krebs habe ich übrigens überwunden. Seit einem Jahr war ich jetzt nicht mehr hier, irgendwie ein komisches Gefühl. Jetzt einfach so in sein altes Leben zurückzukehren, gesund und munter. Es freut mich schon irgendwie, aber wiederum macht mich die Trennung von einigen Freunden aus Amerika traurig. Trotzdem lächele ich und verlassen den Flughafen.
Ob meine Mutter mich abholen kommt? Ich gehe nicht davon aus, also halte ich nach einem Taxi Ausschau.
„Timo!“, höre ich da eine bekannte Stimme und drehe mich um. Meine Augen werden groß und ich lasse meine Taschen unachtsam auf den Boden fallen, ehe ich auf Dion zu renne und ihm in die Arme springe. Ich drücke ihm sofort meine Lippen auf und umschlinge seinen Hals mit meinen Armen. Meine Liebe zu ihm ist nicht verflogen, seit ich damals weggeflogen bin. Sie ist nur mit jedem Tag, den ich nicht bei ihm sein konnte, ein Stück größer geworden.
„Gott, habe ich dich vermisst!“, sage ich fröhlich und lasse von seinen verführerischen Lippen ab.
„Dion reicht mir.“, meint er frech, ehe er mir durch die Haare streicht.
„Dafür hast du dich aber ziemlich wenig gemeldet.“, meint er dann vorwurfsvoll. Ich zucke nur mit den Schultern. „Musste ja auch einiges durchstehen. Aber hey! Ich habs überstanden!“, meine ich dann stolz. Wir gehen zurück zu meinen Taschen und Dion zeigt mir sein neues Auto.
„Krass!“, meine ich und starre es an. Sieht wirklich cool aus!
„Komm, fahren wir.“, meint er und hält mir die Tür auf. Ich steige ein und bin schon ganz aufgeregt. Da nimmt er plötzlich einfach meine Hand, legt etwas hinein und schließt sie zu einer Faust. Er hebt sie hoch und küsst meinen Handrücken. „Esto es para ti.“, murmelt er mir entgegen, ehe er den Motor startet und losfährt. Ich betrachte den Schlüssel in meiner Hand und weiß nicht ganz, was ich davon halten soll.
Als wir vor einem, mir ziemlich fremden, Haus halten, sehe ich ihn fragend an. „Komm, steig aus. Ich muss dir was zeigen!“, meint er und wartet darauf, dass ich ihm zur Eingangstür folge. Dann deutet er auf den Schlüssel in meiner Hand. „Mach auf!“, fordert er und ich sehe ihn misstrauisch an. Dennoch gehe ich seiner 'Bitte' nach und öffne die Tür. Sofort schiebt er mich in die Wohnung und ich habe kaum die Chance, mich zu wehren, da ist die Tür auch schon zu und er drückt mich gegen die Wand. Seine Lippen drücken sich auf meine. Ich keuche auf, als ich seine Hand unter meinem Shirt spüre und versuche mich ihm zu entziehen. „D-Dion!“, meine ich und sehe ihn unverständlich an. „Willkommen in unserer Wohnung. Ich habe alles mit deiner Mutter geklärt, du wohnst ab heute mit mir zusammen hier!“, meint dieser und hebt mich hoch. Ich bin nur wie gelähmt. Wie jetzt?! Ich wohne jetzt mit Dion zusammen in einer eigenen Wohnung? Sofort macht mein Herz einen Sprung.
„Und weil du dich kaum gemeldet hast, werden wir nun als aller erstes unser schönes neues großes Bett einweihen!“, beschließt mein Freund -ich bin sehr stolz, ihn so nennen zu können- und wirft mich förmlich auf die Matratze. „Nicht!“, meine ich noch, doch das ist ihm egal.
„Ich habe so lange gewartet, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten!“, sagt er, während er auf mich herunter sieht. Ich lächele zu ihm auf und lege ihm meine Arme um den Nacken. Dann lehne ich meine Stirn an seine. „Ich auch nicht.“
Es wird sicher noch einige solcher Momente geben. Schließlich sind wir endlich beide wieder gesund und können zusammen leben, vorausgesetzt, dass nicht doch irgendwann wieder etwas dazwischen kommt.
Texte: S. Wendler
Bildmaterialien: Google
Lektorat: S. Wendler
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2012
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