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Hilfe, Hoffnung, Wiedersehen


Seit er hier ist habe ich ihn gerade mal drei mal gesehen. Aber diese drei Mal reichten völlig aus, um mich davon zu überzeugen, dass er mir mehr als ähnlich ist. Ich versuche ihn öfter zu treffen, aber er kommt kaum aus seinem Zimmer. Er ist schwer krank, so wie ich noch vor einem knappen Jahr. Aber ich habe mich gebessert, im Gegensatz zu ihm. Er ist nun schon ein halbes Jahr hier, heißt Mikey und ist knapp siebzehn Jahre alt. Mehr weiß ich nicht über ihn. Aber er weiß dafür nichts über mich. Und das ist vielleicht auch gut so.

Mikey ist drogenabhängig, ich war es auch. Er ist noch in Behandlung. Ich bin es ebenso. Aber ich bin fast durch. Und bisher habe ich es einfach nicht geschafft, ihn anzusprechen. Dabei sehe ich ihn wenigstens als Menschen, im Gegensatz zu dem verschissenen Pflegepersonal hier. Ich weiß, was er durchmachen muss und ich bin der Meinung, dass ich ihm am besten helfen kann. Aber die Ärzte lassen mich nicht zu ihm. Egal was ich sage, egal was ich probiere. Immer wieder werde ich abgewimmelt und zurück geschickt.

Dabei will ich mich doch nur mit ihm unterhalten. Aber alle sagen immer Sachen wie, es ist zu gefährlich! Sie haben ihn noch nicht unter Kontrolle, und außerdem weis keiner, wozu er fähig ist. Aber ich weis doch, wie er ist. Ich habe ihn beobachtet, ich kenne seine Gefühle und sein Inneres. Warum will mir das denn keiner glauben? Ich möchte doch nur, dass wir zusammen sein können. Das ich ihm helfen darf. Weil ich nämlich glaube, dass, wenn ich es nicht schaffe, auch sonst keiner zu ihm durchringt.


Es klopft an der Tür und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. "Silas?" Die Tür geht auf und ich sehe auf. Mein Arzt kommt herein und ich sehe ihn nur fragend an. "Ich gehe Mittag essen, möchtest du mitkommen?", fragt er und zwinkert mir zu. Wir haben ein besonderes Verhältnis zu einander und da er auch nur eine 'kleine' Klinik hat, die ihm gehört, kann ihm keiner Vorschriften geben. So nimmt er mich oft mit aus meiner kleinen Zelle und ich kann endlich wieder frei herumlaufen. Schnell rappel ich mich auf und laufe, ohne etwas zu sagen, an ihm vorbei. Er folgt mir schnellen Schrittes und bald darauf kommen wir auch Mikeys Zelle immer näher. Ich bleibe stehen und sehe ihn an. Er sitzt zusammengekauert auf seinem Bett und zittert. Er ist ganz blass und hat schwarze Augenränder, so wie ich damals. Leise murmelt er etwas vor sich hin und wippt vor und zurück. Es ist wirklich merkwürdig für mich, ihm, gleich meinem eigenen Spiegelbild, in die Augen zu schauen.

"Silas? Kommst du?", fragt mich Jan, mein Arzt. Aber ich reagiere nicht auf seine Frage, sondern sage einfach nur: "Lass mich zu ihm!"

"Du weist genauso gut wie ich, dass das nicht geht. Komm jetzt!"

"Du sollst mich zu ihm lassen!", knurre ich, ohne meinen Blick von der Gestalt in der Zelle abzuwenden. "Ich kann ihm helfen."

Jan sieht mich abwartend an und scheint zu überlegen. Dann schüttelt er den Kopf. "Nein. Das geht nicht. Wir wissen nicht, was passieren würde, wenn ihm jemand Fremdes zu nahe kommt. Er hat noch nicht einmal mit mir Vertrauen gefasst. Also pfusche mir jetzt nicht dazwischen."

Ich funkel ihn wütend an und er weis, zu was ich fähig bin. "Gib mir die Schlüssel!", beharre ich weiter. Aber er reagiert nicht darauf, sondern sieht mich nur wartend an. "Die Schlüssel!", wiederhole ich und strecke ihm meine Hand entgegen. Kopfschüttelnd verschränkt er die Arme vor der Brust. "Silas! Komm doch bitte zur Vernunft! Was willst du denn bitte schön machen? Er muss sich erst mal an seine neue Umgebung gewöhnen, er muss von den Drogen weggeführt werden!"

Mikey kann alles hören, was wir sagen und er zuckt merklich zusammen, als Doc die Drogen anspricht. Sein fahles Gesicht dreht sich zu uns herum und ich glaube schon fast einer Leiche in die Augen zu blicken. Ich bin leicht geschockt. Es ist kaum noch Leben in ihm. Er scheint seine ganzen Kräfte die letzten Monate verbraucht zu haben.

"Doc! Lassen sie mich zu ihm!", sage ich erneut, drehe meinen Kopf nun aber doch langsam zu Jan. Er seufzt geschlagen auf und schließt die Zelle auf. Schnell schlüpfe ich herein und höre, wie die Zelle hinter mir wieder geschlossen wird. "In einer halben Stunde bin ich zurück! Kein Wort zu niemanden!", sagt der Doc und verschwindet. Ich atme erleichtert auf, dann gehe ich langsam auf Mikey zu. "Verschwinde!", faucht er und zieht seine Beine näher an sich heran. Er wippt wieder leicht vor und zurück und murmelt wieder unverständliche Worte.

"Hey Mikey...mein Name ist Silas. Freut mich.", sage ich ruhig und mache noch einen weiteren zaghaften Schritt auf ihn zu.

"Du sollst verschwinden! Geh weg!", ruft er und ich zucke leicht zusammen, als ich die Wut in seinen Augen sehe. Dann lächel ich leicht und gehe nun so nahe auf ihn zu, dass nur noch ein Schritt uns voneinander trennt. Ich lasse mich auf einen Stuhl vor ihm nieder und lächel nur vor mich hin.

"Was willst du von mir?! Verpisst euch doch alle! Ich will hier raus!", wirft er mir an den Kopf, doch ich rühre mich nicht. "Hey Mikey. Ich darf dich doch Mikey nennen?", frage ich und lächel sanft. Mikey reagiert auf die Frage nicht, sondern starrt nur wieder auf seine Füße.

"Ich weis, wie es dir geht. Ich habe das auch durchmachen müssen. Aber ich bin inzwischen Clean. Und glaub mir, danach geht es dir sehr viel besser, als du vielleicht denkst."

Mikey hebt langsam seinen Blick und sieht mich an. Ich kann nicht genau sagen, was er gerade denkt oder fühlt, aber ich kann es mir denken. Warum sollte er mir auch Glauben schenken? Einem völlig Fremden, der ihn einfach mal von jetzt auf gleich auf sein Problem anspricht?

"Als ob du wüsstest, wie es mir geht! Mir geht es dermaßen beschissen, dass ich glaube, ich stehe gerade kurz vor dem Aus!", keift er und mein Lächeln verblasst. Ja, ich kenne dieses Gefühl nur zu gut, aber auch wenn ich es ihm jetzt sage, er glaubt mir ja doch nicht, oder?

"Mikey...vor genau einem Jahr wurde ich hier eingeliefert. Als du angekommen bist, ging es mir auch nicht besser als dir. Glaub mir. Ich wollte auch nur raus und an meine Drogen. Ich dachte ich würde hier drinnen nicht überleben. Aber ich habe es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Zusammen mit dem Doc habe ich die Drogen hinter mir gelassen. Und jetzt möchte ich dir helfen, von diesem Zeug weg zu kommen.", versuche ich ihm zu erklären, aber er sieht mich nicht mal an. "Niemand kann mir noch helfen...ich werde hier sterben..sterben." Er lacht ironisch auf und ich verziehe mein Gesicht. Schnell packe ich ihn bei den Schultern, so dass er letzendlich doch auf mich reagiert.

"Ich kann dir helfen! Nimm meine Hilfe doch einfach an, hörst du?!", murre ich und er sieht mich mit Grinsen und schiefgelegten Kopf an. Ein erschreckendes Bild, wohl bemerkt.

"Haha...warum solltest du mir helfen wollen? Wir kennen uns doch nicht mal mehr!", sagt er und ich seufze tonlos auf.

"Ja, aber ich will dich kennen lernen. Ich mag dich und kenne deine Ängste. Besser als jeder andere hier, glaub mir. Und seit ich dich das erste Mal gesehen habe, wollte ich dir einfach helfen. Ich wäre auch viell früher gekommen, aber die Ärzte liesen mich ja nicht zu dir. Sie haben mich einfach immer wieder weggesperrt und mir meine Freiheiten wieder eingeschränkt. Ich brauchte erst mal wieder das Vertrauen vom Doc."

Mikey sieht mich an, sein Grinsen ist verschwunden, in seinen Augen sieht man den Ernst. Er macht den Mund auf, um etwas zu sagen, schließt ihn dann aber wieder. Er sieht weg und schüttelt leicht den Kopf. "Ich..verstehe dich nicht.", sagt er leise und ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe.

"Wieso.."

"Ich sagte doch schon, weil ich dich mag!" Ich lächel ihn an, weiß, dass ich es geschafft habe zu ihm durch zu ringen. Er sieht mich an und ein ganz kleines schmales und kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht.

"Danke.", sagt er leise und rutscht ein wenig zur Seite. Ich setze mich zu ihm aufs Bett und fange einfach mal an zu erzählen, was ich so durch gemacht habe. Die lustigen Sachen und auch die schlimmen. Ich erzähle ihm von meinen Träumen und er hört die ganze Zeit schweigend zu.

"Du bist ein Träumer.", sagt er dann nach einer Weile und ich grinse. "Ich weis. Aber wenn ich es nicht wäre, würde ich auf dieser Welt nicht überleben."

Impressum

Texte: S. Wendler
Bildmaterialien: Google
Lektorat: S. Wendler
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2012

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