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Heute war es also soweit. Mein Skydiving Termin war gebucht und alles was mich jetzt noch von 40 Sekunden Freifall aus 12000 Fuß Höhe trennte, war mein Frühstück.
Eine schöne Henkersmahlzeit mit getoastetem Früchtebrot und frischen Kiwis (Die vegetarische Version ohne Federn).

In einer Stretch-Limousine fuhren die Leute von Skydive Taupo am Berkenhoff Backpackers vor. Höchstpersönlich holte man mich vor der Tür des Hostels ab. ’Luxus für Lebensmüde’ war hier ein treffliches Motto! So ließ ich mir das gefallen!

– Sehr wahrscheinlich gehörte all das mit zum Plan. Der blitzendweiße Lack der Limu’, die persönliche Eskorte... wie saubequem waren doch die Leder-Bezüge im abgedunkelten Heck!
Wir rollten los und just zu diesem perfiden Zeitpunkt, steckte man mir ganz beiläufig einen unscheinbaren Zettel zu.
Nichts weiter, nur etwas zum unterschreiben.
Eine Einverständniserklärung, sich ausdrücklich freiwillig zu dieser Aktion zu bekennen, ein paar hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen im Kleingedruckten und ein knapper Vermerk mit Adressfeld: Eine Person, die zu benachrichtigen sei ‚im Falle des Falles’.

Da war es endlich, das miese Gefühl, auf das ich den ganzen Morgen gewartet hatte und im Handumdrehen waren selbst die bequemsten Leder-Bezüge auf mysteriöse Weise zur Folterbank umfunktioniert.
Zusammen mit einigen Gleichgesinnten chauffierte man uns zum Taupo Airport.
Die kindsköpfigen Begleiter machten gute Mine zum bösen Spiel. Im hinteren Bereich des Wagens waren wir deutlich kleinlauter.

Das erste was wir vor Ort zu sehen bekamen, war ein Promo-Video, um sich ein Bild davon machen zu können, was einen erwartete, und wie unsere Videos aussehen würden.
Anschließend wurden wir mit unseren Jump-Partnern vertraut gemacht. Jeder bekam einen! Das stimmte mich zuversichtlich. Mehr noch: Ich konnte von Glück reden, einen wirklich netten, riesengroßen Kerl namens Mac abbekommen zu haben, der mich kategorisch „Darling“ nannte.

Mac hatte ein freundliches, rundes, wettergegerbtes Gesicht. Das süffisante Lausbuben-Grinsen darin stand zum gänzlichen Widerspruch mit seinem hünenhaften Körperbau.

Wenn ich schon genötigt war mein Leben einem wildfremden Kerl zu überantworten, überlegte ich, dann war es immerhin sehr tröstlich, dass dieser Jemand gute zwei Köpfe größer war als ich.

Unsere Partner packten uns persönlich in sämtliches Sprung-Utensil ein, zupften und zerrten an allen möglichen Gurten, erklärten, wie wir uns in der Luft zu verhalten hatten und welche Positionen wir beim Freifall und dem anschließenden Paragliding Flug einzunehmen hatten. All das in einem Tonfall, als plauderte man über einen gelungenen Wochenendsausflug.

Ich hing Mac an den Lippen, tat wie mir geheißen, versuchte krampfhaft mich auf alles zu konzentrieren was man mir erklärte und kämpfte beim Anlegen des Harnests mit erbärmlich wenig Erfolg gegen meine motorischen Defizite an, die ich sonst immer gerne als ’Schusseligkeit’ schön redete.

Waren erstmal alle Unklarheiten beseitigt, klopfte man uns im Anschluss Flieger-Kumpel-haft auf die Schulter.
Es folgte zuletzt ein Interview in Macs Kamera, bei dem meine englischen Sprachkenntnisse mir, im schweiße meines Angesichts endgültig den Dienst quittierten. Wenn das jetzt meine letzten Worte gewesen sein sollten, dann gute Nacht!

Einige Minuten saßen wir noch in unseren dicken, blauen Overalls in der Sonne vor dem Hangar und warteten auf die Startgenehmigung.
Währenddessen starrten wir unablässig in den Himmel. Immer wieder sah man hier über dem Flugplatz kleine Spielzeugflugzeuge die noch winzigere Pünktchen in den stahlblauen Himmel spuckten,



welche größer und größer wurden, bis sie schließlich alle sicher, einer nach dem Anderen, direkt vor unserer Nase auf der gräsernen Landebahn eintrudelten.

Dann wurde es Ernst. Mac interviewte mich noch ein letztes Mal mit seiner Handkamera, Fotos wurden geschossen, auf die ich mich nicht mehr so recht konzentrieren konnte. Rumorend starteten die Motoren.
In heißen Kerosinnebel gehüllt, kletterten wir alle in den Bauch des Ungeheuers und knautschten uns dort auf gepolsterten Sitzstangen zusammen.

Alles war etwas spartanischer als in Pasagiermaschinen hier drinnen. Vielleicht lag das aber auch nur an dem Eindruck den die Schläuche für die Sauerstoff-Versorgung vermittelten, die aus kleinen Katuschen in der Flugzeugwand staken.

Nichts desto trotz, das war doch schon mal was Anderes, als die gewohnten Getränke-Wägelchen und Kopfhörer in Zellophan die einen Sonst in Flugzeugen erwarteten!

Ich war bereits als zweiter daran zu springen, also saßen vor mir nur noch ein Mädel aus Kanada, die sehr ängstlich in die Runde blickte und ihr Partner.

Unter tosenden Motoren hob der Flieger schließlich ab und mein Adrenalinspiegel stieg gleichsam mit der Höhenanzeige an Macs Handgelenk. Auch im Flieger wurden noch einige Aufnahmen gemacht, die Sprungpartner schwenkten routiniert ihre Kameras, allerlei positive Handzeichen machten die Runde und wer noch dazu im Stande war, grinste todesmutig in die Linse.

Auf 11000 Fuß startete Mac noch einen gutmütigen Versuch mir über den dröhnenden Lärm der Motoren hinweg, die Namen der Berggipfel beizubringen, die stoisch aus dem zerklüfteten Wolkenteppich ragten, über dem wir uns längst befanden. Ich muss zugeben, ich erinnere mich an keinen einzigen... es wird mir verziehen, hoffe ich?!

12000 Fuß. Das gruselige, grüne Lämpchen in der Kabine blinkte verheißungsvoll auf und die Absprungluke wurde geöffnet.
Ein unvergesslicher Anblick tat sich uns auf: Hinab auf die Wolkenfetzen und den glitzernden, tiefblauen Lake Taupo darunter.
Zwichen dieser dunklen Fläche und uns, lag nur mehr gähnende Leere.

Da saß ich nun, ohne einen Gurt, der einen sicher im Flieger hielt und ohne eine massive Flugzeugwand neben mir. Da war nichts mehr, das einen von einem 40 sekündigen Freifall trennte. Nichts.
Nur eine bedrohliche Luke, in die der Fahrtwind jaulend und mit ungeahnter Gewalt hinein drückte.

Was zum Teufel hatte ich mir nur dabei gedacht!? Alles was ich jetzt noch wollte, war den Sinkflug antreten während alle meine Sinne sich vehement in die entgegengesetzte Richtung der Luke spreizten.
Aber runter kommen sie bekanntlich alle!

Das erste Pärchen sprang.
Das Flugzeug, um einige Kilos erleichtert, machte einen leichten Satz nach oben und in diesem Moment wurde mir folgenschwer bewusst, dass das nächste, was diese Kabine verließ, wir selbst sein würden!

Dass es nichts als gut drei Kilometer Freifall gab, die einem vom Erdboden trennten und NICHTS, an dem man sich hätte festhalten können um es zu verhindern. (vielleicht auch besser so, sonst würde ich aller Wahrscheinlichkeit nach heute immer noch an diesem Fugzeug klammern!)

In diesem Moment, der denke ich der schlimmste an dem ganzen Unternehmen war, begann ich wild durch die Gegend zu fluchen (Worte, welche Gott sei dank, nicht mehr auf dem besagten Video enthalten sind, das wir im begriff waren zu drehen!) und krallte mich mit aller Kraft an meine Brustgurte, so wie mir gesagt worden war.

ICH wäre nicht aus diesem Flieger gesprungen! Um der Wahrheit genüge zu tun, muss das an dieser Stelle deutlilch erwähnt sein.

... Aber Mac tat es - und ich war an seinen Bauch gefesselt. Was blieb mir also über?!
Scheinbar quälend langsam robbten wir auf die Luke zu und dann, dieser furchtbare - wirklich furchtbare - Moment, an dem deine Beine aus diesem Flieger hängen, du die volle Wucht des Fahrtwindes abbekommst, du noch ein letztes Mal nach irgendeinem Halt suchst, wo keiner mehr ist - und schließlich : Freier Fall.

Innerhalb weniger Sekunden beschleunigten wir auf über 200kmh und fielen wie zwei überlebensgroße Lemminge der Erde entgegen.

Mein Leben ang hab ich mich gefragt, ob Skydiving wohl ist wie in der Achterbahn, wenn man von ganz oben hinab stürzt und einem der Magen so unangenehm in Richtung Speiseröhre schnellt (erfahrene Achterbahnfahrer kennen dieses Gefühl).
Ja, es ist so! Allerdings nur in den ersten 2 - 4 Sekunden nach dem Sprung. Danach jedoch ist es einfach nur berauschend und wunderschön!
Man streckt die Arme weit von sich, blickt hinunter auf die Wolken, die rasant auf einen zu kommen, die Fetzen Land und Wasser, die dazwischen aufleuchten und fühlt sich vogelfrei.
Man kann kaum atmen, aber das interessiert nicht, wenn der Körper in diesen Sekunden vom „Funktions Modus“ komplett auf schlichte „Reizaufnahme“ umschaltet.
Auf der Schmalen Landfläche Neuseelands, kann man an klaren Tagen aus dieser Höhe von einer Küste bis zur anderen Blicken. Das Land liegt bar vor einem ausgebreitet.

Heute ist es mir unmöglich mich an ein einzelnes "Bild" aus diesem Erlebniss zu erinnern. Der menschliche Organismus ist für die Verarbeitung dieser außerordentlichen Reize einfach nicht konzipiert.

Woran ich mich jedoch deutlich erinnere sind genau jene Dinge, welche nicht mithilfe von schnöder Logig aufgenommen und reflexartig in einer bestimmten, staubigen Schublade rechts unten mittig im Gehirn abgelegt werden.
Fällt irgendwo in einem Kontext beispielsweise der Name "Humuhumunukunukuapua'a", so setzten sich bei mir quietschend die Schanire in Bewegung und ich sehe in meinem inneren Auge den kleinen, bunten Korallenfisch mit dem furchtbar komplizierten Namen.
Wenn ihr mich jetzt nach meinem Skydive Sprung fragt, dann verfalle ich für einige Minuten in grüblerisches Schweigen und irgendwann, nachdem sich dabei ein genießerisch-verträumter Gesichtsausdruck auf meinem Gesicht eingestellt hat, dann antworte ich:
Die Farben, Das geräusch des Windes in den Ohren, das weiche Luftpolster unter meinem Bauch, die dünne Luft, die kaum deine Lungen füllt und eine Gefühlslage irgendwo zwischen glückseeliger Ehrfurcht und taumelnder Euphorie.

Für 40 Sekunden ist man völlig allein da oben, schwerelos, staunend, frei.

Viel zu schnell öffnete dann auch schon der Fallschirm. Der Ruck, der bei der Abbremsung durch den ganzen Körper geht, holte mich in die Realität zurück und wir tauchten sachte in eine dichte, feuchte Wolkendecke ein.
Enge Kreisel drehend, sanken wir tiefer und tiefer in das undurchdringliche Weiß hinein. Weiß oben, Weiß zu allen Seiten, nichts als Weiß unter meinen Füßen. Schwerelos, in einem vollkommen leeren Raum, als wäre man ganz behutsam in flauschige Watte gepackt.

Es lichtete sich der Nebel und in gleißendem Sonnenschein lag, der Lake Taupo unter uns, mit all seinen umgebenden Weiden, Feldern, Städten und Dörfern.
Es schien wie die verklärte Abbildung eines Bilderbuches!
Ich riss die Augen weit auf und versuchte so viel von diesem wunderbaren Anblick festzuhalten, wie es mir nur irgend möglich war.
Es dauerte ohnehin nicht lange genug!

Nach einigen engen Kurven, in denen wir rasant dem Erdboden entgegenzirkelten und die Zentrifugalkraft einem das Blut richtig unangenehm in die Beine presste, setzten wir tadellos auf dem Boden der Tatsachen auf. Die gute alte Erde hatte uns wieder!

Helferlein kümmerten sich um den Fallschirm und sogleich war schon wieder irgendwer mit der Fotokamera zur Stelle.
Ich plapperte wirres Zeug in Macs Kamera, lachte in ausladenden Siegerposen in alle Linsen und wollte am liebsten nur eines: NOCHMAL! NOCHMAL! NOCHMAAAAL!

Aber ’nochmal’ gab es leider nicht. Nicht heute zumindest! Dafür aber eine Tasse Kaffee, die in die Geschichte eingehen sollte, als der - mit Abstand -schlechteste Kaffee, den ich in Neuseeland trinken würde. Anbetracht der franatischen Glücksgefühle, die zusammen mit dem Restadrenalin aber noch immer durch meine Venen jagten, registrierte ich dieses Detail jedoch höchstens noch als Randerscheinung.

Beweis-T-Shirt wechselten den Besitzer, während wir allesamt in den Sesseln und Couchen im Hangar versanken und uns dort in mentales Wohlgefallen auflösten.
Von aller Anspannung und Todesangst befreit brauchten wir nur mehr auf die Auswertung des Bild- und Filmmaterials zu warten.
In dem kleinen Kino, wo wir zuvor den Promo-Film zu sehen bekommen hatten, flimmerten schließlich, einer nach dem anderen, unsere eigenen, Clips über die Leinwand.



Nach all der Aufregung verspürte ich noch kein großes Bedürfnis in den Berkenhof - Lodge Backpackers zurückzukehren.
Als Abschluss für DIESEN Tag, verlangte es nach etwas deutlich anspruchsvollerem!

Rein für den optimistischen Fall, dass ich dieses Abenteuer der Lüfte doch heil überlebte, hatte ich auch zu diesem Zweck Vorkehrungen getroffen.
Tatsächlich hatte ich heute morgen noch daran gedacht, vorsorglich Handtuch und Bikini mit einzupacken!

Damit brachte ich es nun sogar fertig , mich in gewisser Weise über mich selbst in Erstaunen zu versetzten. So viel akkurate Taktik in Planung wie Umsetzung, waren mir für gewöhnlich sonst völlig fremd!

Ganz in diesem Sinne, ließ ich mich auf dem Rückweg schließlich mit der Limo direkt vor dem Wellnesstempel absetzen.
Etwas außerhalb der Stadt gelegen, watete Taupo für solche Eventualitäten mit einem großen Thermal-Bad auf, wo ich mich bereits Minuten später in stilvoller Atmosphäre in ein herrlich warmes Sprudelbecken sinken ließ. Noch dazu schien es, als hätte ich gerde eine ungemein günstige Zeit erwischt. Abgesehen von ein paar harmlosen Rentnern, hatte ich nämlich die parkähnliche Anlage gänzlich für mich alleine. - Alles zum Backpacker-discount-Preis versteht sich!

Die nächsten Stunden verbrachte ich daraufhin damit, ausgedehnt und nach allen Regeln der Kunst in meinen jungen Erinnerungen zu schwelgen.
Taupos rumorender Untergrund sorgte indessen wie selbstverständlich für angenehme Randbedingungen. Ein bisschen Magma und schon gab es genussvolles köcheln in 36°C frei Haus.
Ein Leben wie Gott in Neuseeland!

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Texte: Alle Rechte vorbehalten.
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009

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