Lange betrachtete die Prinzessin das große Schmuck-Sortiment des Perlenhändlers. Der ältere Herr kam jede zweite Woche am Schloss vorbei, wo die hübsche Blondine immer auf dem Turm Ausschau nach ihm hielt. Die Prinzessin war verrückt nach Schmuck und kaufte sich ständig neue Ohrringe, Halsketten, Armreifen und Anhänger. Der Händler freute sich immer sehr, wenn er zum Schloss kommen durfte, denn er verdiente an der 26-jährigen Frau das meiste Geld.
Jana konnte sich stundenlang den ganzen Schmuck anschauen, denn es gab ständig neue Sachen dort zu finden. Sie war vor allem von Ketten und Ohrringen mit leuchtenden Steinen angetan.
Als sie sich endlich genug ausgesucht hatte, rannte sie flink zurück ins Schloss und in ihr Gemach. Der Raum war sehr groß für eine Person und überaus reichlich geschmückt mit Bildern, vergoldeten Masken, Blumen und glitzernden Fabelwesen aus teuren Edelsteinen.
Sofort musste die Prinzessin ihre Kleider anprobieren, um zu schauen, welcher Schmuck zu welchem Kleid am besten passt. Das tat sie immer, wenn sie sich neuen Schmuck gekauft hatte.
Sie zog schnell das neue rote Kleid an, das sie am Tag zuvor vom Prinzen des anderen Reiches geschenkt bekommen hatte. Er war ein netter junger Mann, jedoch nicht ihre Kragenweite. Er glaubte wahrscheinlich, dass sie ihn heiraten würde, nur weil er ihr ein Kleid geschenkt hatte. Doch dazu war Jana nicht bereit. Nicht mit diesem Prinzen.
Sie suchte das Kleid aus ihrem Schrank und zog es an.
»Susanna, kommst du mal bitte.«, rief Jana, als sie die Tür öffnete. Susanna war ihre Dienerin, mit der sie sich sehr gut verstand und sogar »per du« war. Eine große Ehre für Susanna. Jedoch nur, wenn sie allein waren, denn es wäre ein Skandal, wenn herauskommen würde, dass eine Dienerin die Prinzessin duzt.
Susanna kam sofort angelaufen und betrat nach einem Knicks das Zimmer der Prinzessin, die sofort wieder die Tür schloss.
»Was sagst du zu meinem Kleid, der Kette und den Ohrringen?«
»Also, die Kette und die Ohrringe passen wirklich perfekt dazu. Das kannst du heute auf der Party im Schloss Wolkenstein tragen.«, sagte Susanna.
»Okay, dann lass ich das an. Ich freue mich schon sehr darauf.«
Die Prinzessin machte sich zurecht. Ihr Dienstmädchen half ihr bei der Frisur und dem Make-up.
Sie war am Abend auf eine Feier im Nachbarschloss eingeladen, wo eine ihrer Freundinnen lebte.
Fertig gestylt und angezogen ging sie zu ihrer Kutsche, die sie ins benachbarte Schloss brachte. Die Kutsche war sehr edel und bestand aus einem teuren Holz, das mit vielen, goldenen Ornamenten und Figuren geschmückt war. Im Innenraum befanden sich zwei Sitzbänke, die mit rotem Samt bezogen und unheimlich bequem waren. Jana fuhr oft mit der Kutsche durch die Gegend, weil es sehr angenehm für sie war, ihr Königreich gemütlich aus dem Fenster im Vorbeifahren zu betrachten.
Der Kutscher wartete bereits seit einigen Minuten auf die Prinzessin und sprang schließlich sofort vom Kutschbock herunter, um der jungen Frau die Tür aufzuhalten.
»Guten Abend, eure Majestät.«, begrüßte er sie und verbeugte sich, als sie die Kutsche betrat. Er schloss die Tür wieder, setzte sich auf den Kutschbock und trieb die beiden schwarzen Hengste an, die die Kutsche hinter sich her zogen.
Das benachbarte Schloss befand sich nur zwei Kilometer entfernt und die beiden Könige waren ebenfalls eng befreundet, so dass sie sich auch Teile des Landes teilten.
Jana freute sich sehr auf die Feier. Sie betrachtete die Wälder und Wiesen, die an ihr vorbeizogen und erkannte, dass die Sonne sich bereits auf den Weg zur Nachtruhe machte.
Nach wenigen Minuten erreichten sie das Schloss. Als sie aus der Kutsche ausstieg, fragte der Kutscher: »Soll ich eure Majestät zu einer bestimmten Uhrzeit wieder abholen?«
»Nein danke. Ich werden mich zu Fuß auf den Rückweg machen, weil ich nicht weiß, wie lange ich bleiben möchte.«, antwortete Jana und ging dann auf das Schloss zu. Der Kutscher wendete seine Kutsche und fuhr wieder zurück.
Die Prinzessin wurde sofort in das Schloss eingelassen und von ihrer Freundin herzlich begrüßt.
»Hallo Süße.«, sagte Julia und gab Jana Küsschen auf die Wangen. Sie führte sie in einen großen Saal, in dem schon jede Menge Leute waren. Der Saal war festlich geschmückt und alle Gäste trugen prächtige Gewänder.
»Hey, alle mal hersehen! Jana ist hier!«, rief die Prinzessin des Schlosses in den Raum und alle drehten sich zu ihnen um und sagten im Chor: »Hi Jana.«
Die 26-Jährige Prinzessin musste lachen und winkte dann allen mit einem lauten ‚Hi’ zu.
Es war eine schöne Party mit guter Musik, leckerem Essen und viel zu trinken. Jana tanzte wie ein Wirbelwind durch den Saal und hatte viel Spaß. Sie kannte sehr viele der Gäste und konnte sich somit gut unterhalten, viel tanzen und lachen.
Die Prinzessin feierte bis zum Morgengrauen.
Die Sonne ließ ihre ersten Strahlen über das Land gleiten und verpasste dem Himmel einen goldenen Glanz. Jana verließ das Schloss ihrer Freundin und machte sich schließlich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Ein wenig angetrunken trottete sie über den Feldweg, der kürzer war, als die Straße.
Ein leichter, kühler Wind wehte und bis auf das Rauschen der Bäume und das Gezwitscher einiger weniger Vögel, war in diesen frühen Morgenstunden kein Laut zu hören. So trottete sie über den Feldweg an einer großen Wiese vorbei, in der die verschiedensten Blumen in allen Farben und Formen standen und langsam aufwachten.
Nach einer Weile hallte plötzlich ein Geräusch zu ihr herüber. Die Prinzessin blieb stehen und schaute sich neugierig um. Als es wieder aufhörte ging sie weiter. Das Geräusch erklang wieder, jetzt mehrmals hintereinander. Die Frau schaute um sich, nach oben, konnte aber nichts sehen.
»Was ist das denn?«, fragte sich Jana. »Irgendwie hört es sich an wie das Schlagen großer Flügel.«
Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Ein Drache.«, sagte sie und rannte dann mit ängstlichem Blick über den Weg zu dem Wald, der sich einige Meter vor ihr befand.
Das Geräusch wurde lauter und schien immer näher zu kommen. Das Brüllen, das sie anschließend hörte, versetzte sie in große Angst. Ein riesiger Schatten warf sich über sie und als die 26-Jährige nach oben sah, blickte sie auf einen gewaltigen, roten Körper, dessen Klauen sie fast berührten. Sie rannte so schnell sie konnte, doch die gewaltigen Pranken schnappten nach der Prinzessin und rissen sie mit hinauf in die Luft. Jana schrie so laut es ging, doch der Drache hatte sie fest in der Gewalt und brachte sie weit weg über Felder und Wälder.
Das Metall klirrte, als die beiden Schwerter aufeinander trafen. Der Mann in goldener Rüstung kämpfte mit aller Kraft gegen den Minotaurus, der nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit den Hörnern auf seinem Stierkopf zu kämpfen versuchte. In einem passenden Moment stieß Ritter Ron zu und rammte dem Minotaurus sein Schwert mitten ins Herz. Als er die Klinge wieder herauszog, sackte das Wesen erschöpft, kraftlos und blutend zusammen, um dann kurze Zeit später tot vor dem Ritter zu liegen.
Ron wischte das Blut von seinem Schwert und ging zurück zu seinem weißen, geflügelten Einhorn Pegasus.
»Siehst du Pegasus, so leicht bekämpft man seinen Feind. Der Trottel wollte mir doch wirklich meine Rüstung klauen. Das geht ja gar nicht.«
»Da hast du vollkommen recht.«, antwortete das Pferd. »Wo soll ich dich nun hinbringen?«
Der 31-jährige Ritter Ron steckte sein Schwert weg und überlegte kurz, als er den Schrei einer Frau hörte.
»Hörst du das, Pegasus? Ein Frauenzimmer in Nöten.«
Er schaute sich um und sah dann kurz darauf einen gewaltigen Drachen über sich hinweg fliegen, der in seinen Pranken eine junge Frau umklammert hielt. Ron bekam große Augen, schwang sich sofort auf Pegasus und schrie: »Flieg dem Drachen hinterher, Pegasus. Wir müssen die Schönheit retten!«
Das geflügelte Einhorn startete sofort und verfolgte mit genügend Sicherheitsabstand den roten Drachen. Das fliegende Ungetüm steuerte auf einen großen Berg zu, in dessen Gipfel sich eine Höhle befand. Ron wartete, bis der Drache mit der Frau in der Höhle verschwunden war und landete dann mit Pegasus am Höhleneingang.
»Ich denke, es ist besser, wenn du hier wartest.«, sagte er zu seinem treuen Einhorn.
»Wie du willst, mein Herr. Aber solltest du in Schwierigkeiten sein, so rufe nach mir.«
»Das werde ich, mein getreuer Pegasus.«
Ron zog sein Schwert und ging langsam in die Höhle hinein. Es war sehr dunkel und die Wände waren kühl und feucht. Ron konnte den Schrei der Frau hören und folgte ihm. Es ging tief in den Berg hinein, bis der Ritter endlich an sein Ziel gekommen war. Er versteckte sich hinter einem großen Felsen und konnte auf einen gewaltigen Raum blicken, ein riesiges Loch inmitten des Berges. Der Drache befand sich auf einem großen Felsvorsprung, an dessen Rand es tief hinunter ging und von wo helles, goldenes Licht zu ihnen schien.
Der Drache setzte die Prinzessin in einen großen, hölzernen Käfig, der am Rande des Felsvorsprungs stand. Die Blondine versuchte sich mit Händen und Füßen zu wehren, doch ohne Erfolg. Sie rüttelte stark an dem Käfig und schrie wie am Spieß. Der Drache war genervt.
»Jetzt hör doch endlich mal auf zu schreien! Du machst mich ja wahnsinnig.«
Jana schaute ihn überrascht an und hörte auf zu schreien.
»Du kannst sprechen?«, fragte sie.
»Schon klasse, oder?«, entgegnete der Drache zynisch.
»Dann wirst du mir nichts tun?«
Der Drache musste lachen.
»Du bist echt lustig. Ich bin ein Drache. Hast du schon mal von freundlichen Drachen gehört? Also mir wäre das neu. Nur weil ich sprechen kann, heißt das nicht, dass ich nett bin. Ich mag Prinzessinnen. Die sind immer so lecker. Königliches Blut. Hmmmm.«
Die 26-Jährige bekam Tränen in die Augen und zitterte am ganzen Körper.
Ritter Ron beobachtete alles aus seinem sicheren Versteck und hatte Mitleid mit der Prinzessin. Er musste sich einen Plan überlegen, wie er den Drachen überlisten konnte.
»Ich bin aber auch sehr unhöflich. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Gondar, der furchterregende Drache aus dem Jorgul-Land. Es ist mir eine Ehre, dich als meine Mahlzeit hier begrüßen zu dürfen.«
»Ich schmecke gar nicht. An mir ist gar nichts dran. Da wirst du nur Knochen zu beißen haben.«, sagte Jana.
»Ha, das sagten bisher alle Prinzessinnen, die ich hier hatte. Bis auf die kleine Fette aus dem Königreich Monsata. Die war fett, aber sehr schmackhaft.« Der Drache hatte einen gierigen Blick in seinen gelben Augen und starrte Jana hungrig an.
»Du wirst mir auch schmecken. Aber erst heute Abend. Zuvor bekommst du von mir noch einige Leckerbissen, um dich noch schmackhafter zu machen.«
Gondar kramte in dem Ecken des Felsvorsprungs herum, in dem jede Menge Dinge herumlagen.
»Aha, hier haben wir ja schon was.« Er hielt einen toten Fuchs in den Klauen und warf ihn in den Käfig. Jana schrie auf und drängte sich in eine Ecke des Käfigs, um den toten Fuchs nur nicht berühren zu müssen.
»Meine liebe Prinzessin, ich gebe dir diesen Fuchs zu essen. Er wird dein Fleisch schön zart und dein Blut sehr lecker machen. Lass ihn dir schmecken.«
Jana hielt sich vor Ekel die Hand vor den Mund und schaute weg.
»Ich werde das bestimmt nicht essen. Das ist ja eklig.«, sagte sie.
»Stell dich mal nicht so an. Es spielt doch keine Rolle. Ich werde dich eh bald fressen. Ob du dir den Fuchs nun schmecken lässt oder nicht. Ich nehme ihn auch als Nachspeise für mich.«, sagte Gondar.
Ron saß in der Zwischenzeit immer noch in seinem Versteck und überlegte, wie er den Drachen besiegen könnte.
»So, ich muss jetzt mal noch schnell raus. Dass du mir ja nicht wegläufst.« Der Drache lachte und machte sich dann auf den Weg zum Ausgang. Er bemerkte Ron nicht und flog so schnell los, dass er selbst Pegasus am Höhleneingang nicht entdeckte. Das geflügelte Einhorn war aber nicht dumm und versteckte sich, bis der Drache wiederkommen sollte.
Ron kam aus seinem Versteck hervor und ging zum Käfig. Die Prinzessin erschrak.
»Bleibt ganz ruhig. Ich werde Euch befreien.«, sagte der Ritter in der goldenen Rüstung.
»Wer seid Ihr?«, fragte Jana.
»Ich bin Ritter Ron, meine Gnädigste.«
Er betrachtete den Käfig und suchte nach einer Möglichkeit, ihn zu öffnen, doch dies war nicht so einfach.
»Wo geht denn das scheiß Ding auf. Das gibt’s doch nicht.«
Er suchte weiter und entdeckte schließlich einen Riegel oben auf dem Käfig, als er plötzlich das Schlagen der Drachenflügel hörte und in die Richtung des Höhleneingangs schaute.
»Der Drache kommt zurück.«, sagte er und drehte sich zur Prinzessin um.
»Lenkt ihn irgendwie ab. Ich überlege mir schnell etwas, um ihn zu erledigen.« Die hübsche Frau nickte zustimmend und schaute dem braunhaarigen Ritter nach, wie er wieder zurück in sein Versteck huschte.
Schnellen Schrittes betrat Gondar wieder den Höhlenraum.
»Ah, du bist noch da. Das freut mich. Ich habe nämlich langsam Hunger, obwohl es noch einige Stunden dauert, bis die Sonne untergeht. Von daher habe ich mir noch ein anderes Königreich angeschaut, in dem eine schöne Prinzessin lebt. Somit werde ich dich wohl doch zum Mittagsmahl verspeisen und die andere Prinzessin nehme ich als Snack heute Abend zu mir.«
»Du bist widerlich!«, sagte Jana in rauem Ton.
»So, meinst du?« Der Drache schaute sie etwas verdutzt an. »Was glaubst du denn, was Drachen so fressen?«
Jana verschränkte die Arme und entgegnete: »Keine Ahnung. Aber du musst ja wohl nicht unbedingt Prinzessinnen fressen. Warum frisst du denn nicht diesen Fuchs?« Sie zeigte auf den Kadaver, der in ihrem Käfig lag.
»Oh du, lass mal. Die fresse ich nur in Nöten, also wenn sonst keine Prinzessin da ist. Dauert ja schließlich auch immer ein paar Jahre, bis so ein Menschenmädchen alt und saftig genug für mich ist.« Er grinste und zwinkerte der 26-Jährigen zu, die sich angeekelt wegdrehte. Dann fiel ihr aber wieder ein, dass sie den Drachen ablenken sollte, damit Ritter Ron sie befreien konnte.
Jana drehte sich zu Gondar um und fragte: »Wo kommst du noch mal her?«
»Ich komme aus dem Jorgul-Land. Das liegt weit weg von hier. Du wirst es nicht kennen.«, antwortete der gewaltige Drache.
»Du hast recht, ich kenne es nicht. Erzähl mir doch davon.«
Die gelben Augen des Drachen begannen zu leuchten und er legte sich auf den Bauch vor den Käfig.
»Es ist ein schönes Land, in dem es sehr viele von uns Drachen gab. Doch nur ich war der Furchterregendste von allen.« Voller Stolz berichtete Gondar von seiner Heimat und seiner Macht. Mit seinen Pranken gestikulierte er dazu und Jana hörte ihm zu.
»Wie bist du dazu gekommen, der furchterregendste Drache zu sein?«, fragte sie.
»Nun, das wird dir jetzt nicht gefallen, aber ich habe alle Töchter des Königs gefressen und das Königreich zerstört. Ich wurde von allen Menschen gefürchtet und von den Drachen geachtet und verehrt. Doch die überlebenden Menschen verließen das Land und zogen in andere Königreiche. So gab es nichts mehr zu jagen, zu fressen oder zu zerstören. Die Drachen beschlossen nun ebenfalls das Land zu verlassen und so verteilten sie sich in alle Richtungen. Ich bin dann hierher gekommen, weil ich von diesem Berg hier die umliegenden Königreiche am besten erreichen kann, wenn du weißt, was ich meine.« Wieder zwinkerte er Jana zu, die sich ein Verdrehen der Augen nicht verkneifen konnte.
»Aus den vielen Königreichen habe ich außerdem viele Schätze gesammelt. Wollt ihr meinen Schatz einmal sehen?«
Die Prinzessin bekam große Augen und war plötzlich gar nicht mehr so abgeneigt von dem Drachen. Sie nickte heftig und der Drache stand auf. Er packte den Käfig mit seinen Pranken und kippte ihn rücklings über den Felsvorsprung. Jana schrie und stürzte auf die Holzstäbe mit dem Gesicht nach unten. Gondar hielt den Käfig von oben fest und so hing der Käfig sozusagen in der Luft. Als die Prinzessin ihre blauen Augen öffnete, erblickte sie einen gewaltigen Berg aus Gold, Schmuck und Diamanten. Doch der Drache ließ ihr diese Freude nicht allzu lange und zog sie wieder nach oben auf den Felsvorsprung.
»Ein schöner Schatz, nicht wahr? Aber leider bekommst du nichts davon. Denn du landest nun bald in meinem Magen.« Während er noch lachte, stürzte sich Ritter Ron aus seinem Versteck hervor und sprang mit gezogenem Schwert vor das Ungeheuer.
»Lass die Prinzessin sofort frei!«, rief er.
»Oder was?«, fragte der Drache belustigt.
»Sonst werde ich dich töten!«
Entschlossen und tapfer kamen diese Worte aus dem Mund des 31-Jährigen und der Drache starrte ihn etwas eingeschüchtert an. Doch er nahm ihn nicht wirklich ernst.
»Irgendwie nervt mich dieses ganze Geschwätz hier. Ich habe Hunger und will jetzt essen.« Gondar öffnete den Käfig und wollte gerade seine Pranke hineinstecken, als Ron ihn mit seinem Schwert angriff und ihm kleinere Wunden zufügte. Gondar drehte sich zu Ron um und wurde dann sehr wütend.
»Ritter, Ihr geht mir auf die Nerven.« Mit diesen Worten erhob er seine Pranke und schlug nach Ron, der aber flink ausweichen konnte. Der Ritter schlug dem Drachen mehrmals mit dem Schwert auf die Pranke, der sie rasch mit lautem Schmerzensbrüllen zurückzog. Nun war der Drache richtig wütend und spie Feuer auf den Ritter, der sich jedoch blitzschnell unter dem Flammenstrahl durchrollte und sich an den Rand des Felsvorsprungs stellte.
»Daneben!«, sagte Ron spöttisch. »Na komm doch, du bescheuerter Drache. Fang mich, wenn du kannst.« Ron provozierte Gondar immer mehr, dem vor lauter Wut schon der Speichel aus dem Mund lief und seine roten Schuppen glühten feuerrot.
»Ich könnte dich mit meinem Feuerstrahl einfach verbrennen, aber das werde ich nicht tun. Es wird mir nämlich einen riesigen Spaß machen, dich lebend zu verschlingen und ganz langsam zu kauen.« Er visierte Ron an und setzte dann zum Sprung an, um den Ritter direkt mit seinen Pranken zu fangen. Ron wartete schon darauf und als der Drache sich in der Luft befand, sprang der Ritter unter dem Drachen hindurch. Gondar konnte dies noch mitverfolgen, als er auf den Rand des Felsvorsprungs zustürzte. Er hatte seine Sprungkraft überschätzt und als er über den Rand hinunterfiel, schaffte er es vor Überraschung nicht einmal, seine Flügel auszubreiten. Mit einem lauten Poltern schlug er unten auf und gab keinen Laut von sich.
Ritter Ron und die Prinzessin starrten mit runzelnder Stirn auf den Felsvorsprung und warteten darauf, dass der Drache jeden Moment wieder hinauf kommen würde. Doch er tat es nicht. Ron ging zum Rand des Felsens und schaute hinunter. Er bekam große Augen, als er das viele Gold dort unten sah, doch er sah auch Gondar. Der furchterregende Drache erlag seinem eigenen Schatz, denn er wurde von einem goldenen, übergroßen Kerzenleuchter aufgespießt, der senkrecht aus seinem Goldberg herausragte. So lag Gondar blutend und durchbohrt auf seinem Schatz und regte sich nicht mehr.
Ron ging zum Käfig und sagte: »Der Drache ist tot.« Er kletterte auf den Käfig und schob den Riegel zur Seite, der den Deckel öffnete. Er half der Prinzessin heraus und sie schauten nach unten auf das tote Ungeheuer.
Erst jetzt wurde der hübschen Frau klar, welches Glück sie hatte und fiel dem braunäugigen Ritter vor Freude um den Hals.
»Danke für meine Rettung. Ihr seid mein Held.«, sagte Jana.
»Ich möchte Euch zum Dank gerne in mein Schloss einladen, wo Ihr essen und trinken könnt, was Ihr wollt.«
»Das nehme ich gerne an. Aber zuvor hätte ich gerne noch etwas von diesem wundervollen Schatz. Ihr nicht auch?«
Ron schaute die Prinzessin an. Diese warf einen Blick auf den Schatz, entdeckte Schmuckstücke und sagte sofort: »Ich möchte auch etwas davon haben.«
»Pegasus, mein getreuer Freund, komm herein.« Ron rief sehr laut und kurz darauf galoppierte das weiße, geflügelte Einhorn zu ihnen und trug beide hinunter zu dem Schatz, wo sich die Beiden mit genügend Gold und Schmuck ausstatteten. Anschließend rief Pegasus eines seiner geflügelten Freunde herbei und gemeinsam brachten sie den Ritter und die Prinzessin sicher zum Königschloss. Jana bedankte sich ausgiebig bei Ritter Ron, indem sie ihm alles zu essen und zu trinken gab, was er wollte.
»Vielen Dank für das leckere Essen. Es war köstlich.«, sagte Ron.
»Gern geschehen. Schließlich verdanke ich Euch mein Leben.«, entgegnete Jana. »Ihr könnt gerne eine Weile bei mir bleiben und meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Das ist das Mindeste, das wir für Euch tun kann.«
Er blieb einige Tage bei der Prinzessin und die beiden boten sich bereits nach kurzer Zeit das »Du« an.
Doch dann kam die Zeit des Abschieds.
»Ich muss wieder los. Ich wünsche dir alles Gute. Und lass dich nicht wieder von Drachen verschleppen.«
Er lächelte sie an und schwang sich auf Pegasus.
»Vielen Dank noch mal für die Rettung.«, sagte Jana. »Komm doch mal wieder vorbei, wenn du in der Gegend bist.«
»Das werde ich tun. Mach’s gut.« Pegasus breitete seine Flügel aus und erhob sich mit dem Ritter in die Lüfte und verschwand dann irgendwann am Horizont.
Jana freundete sich mit dem geflügelten Einhorn an, welches sie vom Berg heruntergebracht hatte, und flog mit ihm immer wieder zu dem Drachenberg zurück, um weitere Schmuckstücke aus dem Schatz des Drachen mitzunehmen.
An einem Tag stand sie auf dem Felsvorsprung im Berg und schaute mit weit aufgerissenen Augen und zitternd vor Furcht auf den Schatz, denn der Drachenkörper war nicht mehr zu sehen.
»War er doch nicht tot?«, fragte sich Jana. »Er war doch aufgespießt und hat sich nicht mehr bewegt. Er kann nicht überlebt haben.«
Mit fragendem Gesichtsausdruck setzte sie sich auf den Rücken des Einhorns und flog um den Berg herum.
Plötzlich erkannte sie etwas, das wie ein Drache aussah. Und tatsächlich. Gondar war dort unten. Doch nicht allein. Er war in Seile eingeschnürt und wurde von mehreren Männern gezogen. Die Prinzessin flog zu ihnen herunter.
»Was tut ihr mit dem Drachen?«, fragte sie.
»Guten Tag, Majestät.«, begrüßte sie ein Herr. »Wisst Ihr, wir lebten einmal in einem anderen Land, in dem dieser Drache unser Reich zerstört hat. Als wir nun von seinem Tod hörten, wollten wir ihn mitnehmen, als Abschreckung für andere Drachen. Damit uns so etwas nicht wieder passiert.«
Die Prinzessin nickte den Männern zu.
»Dann will ich euch nicht länger aufhalten.«, sagte Jana und die Männer zogen weiter. Die Prinzessin flog mit ihrem Einhorn wieder zurück zu ihrem Schloss und behielt nun stets den Himmel im Auge, wenn sie alleine durch die Wälder und Felder spazierte.
Schon früh morgens waren die ersten Bewohner des Dorfes unterwegs und erledigten ihre Arbeit. Schmied, Bäcker, Holzfäller, Verkäufer...alle waren bereits wach und munter, als die Sonne gerade erst ihre ersten Strahlen über den Horizont warf.
Shari schlief noch tief und fest, bis sie schließlich ein lautes Poltern aus ihrem Schlaf riss. Mit gerunzelter Stirn öffnete sie langsam die Augen und setzte sich auf, um zu sehen, was sie gerade aufgeweckt hatte. Plötzlich streckte ein Drache seinen Kopf durch ihr Fenster und sagte:
»Entschuldigung, Shari. Das war ich.« Der Drache grinste die Kriegerin an, welche ihn verärgert anstarrte. Schließlich ließ sie sich wieder ins Bett fallen und fragte: »Wie spät ist es denn?«
»Zeit, dass du aufstehst.«, sagte der Drache und zog sich dann wieder nach Draußen zurück.
»Danke für die genaue Antwort.«, nuschelte Shari so vor sich hin und stieg dann einige Minuten später aus ihrem Bett auf.
Der Drache wartete bereits draußen auf sie und spielte in der Zwischenzeit mit dem Hund eines Nachbarn. Er warf ihm immer wieder einen kleinen Ball zu, welcher der Hund brav fing und wieder zurück brachte. Die Kriegerin stand eine Weile an der Tür ihres Hauses und beobachtete das Schauspiel mit einem Grinsen im Gesicht.
»Nyarla, was machst du denn da?«, fragte sie schließlich.
Erschrocken drehte der Drache den Kopf um.
»Beobachtest du mich etwa? Du siehst doch, ich spiele mit dem Hund. Diese Tiere sind schon sehr seltsame Wesen. Haben an so einem blöden Spiel so viel Spaß.«
»Ich will dir mal eins sagen, mein Freund. Als du noch ein kleines Drachenkind warst, hast du auch gerne solche blöden Spiele gespielt.« entgegnete Shari.
»Was? Das kann gar nicht sein.« sagte Nyarla lachend und spielte weiter.
»Wollen wir uns mal einen Überblick verschaffen?« fragte sie den roten Drachen.
»Ja, sofort.« Er warf dem Hund noch einmal den Ball, aber diesmal richtig weit weg, so dass der Hund ein gutes Stück zu laufen hatte.
»So, jetzt kann’s losgehen.«
Die Kriegerin stieg auf den Rücken des Drachen. Jeden Morgen machten die beiden einen Rundflug über das Dorf und die umliegenden Wälder, um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung war. Denn es gab in den angrenzenden Ländern auch gefährliche Kreaturen, die gerne Unheil stifteten.
Der Schlag seiner Schwingen war schon Kilometerweit zu hören, so dass alle Bewohner in den Himmel aufschauten und die beiden mit winkenden Händen begrüßten.
»Es scheint ja soweit alles in Ordnung zu sein.«, sagte Shari.
»Nein, schau mal da unten.« Der Drache zeigte auf eine Lücke zwischen den Baumkronen. Auf dem Boden des Waldes lag eine in weiße Gewänder gehüllte Gestalt.
»Das ist einer der Waldelben. Schnell, er scheint Hilfe zu brauchen.«
Nyarla setzte zur Landung an und ließ sich langsam neben dem auf dem Boden liegenden Waldelben nieder.
»Das ist Camiel. Ich kenne ihn.« Die Kriegerin versuchte ihn wach zu rütteln.
»Camiel. Camiel, wach auf.«
Langsam öffnete der erschöpfte Elb die Augen und schaute die schwarzhaarige Kriegerin an.
»Shari, du bist es. Ich bin so froh, dass ihr mich gefunden habt. Es ist etwas Schreckliches passiert.« Der Elb bekam kaum Luft.
»Ruh dich erst mal aus, dann kannst du mir alles erzählen.« sagte Shari.
»Nein, das geht nicht. Es bleibt keine Zeit mehr. Eine Kreatur hat uns angegriffen. Es hat alles zerstört und sogar einige von uns schwer verletzt. Den Brunnen mit dem Heilwasser hat es zerstört. Wir können uns nicht mehr selber helfen. Ich habe mich auf dem Weg zu dir gemacht, weil du die Einzige bist, die uns helfen kann. Du beherrschst die Macht der Magie und dein Drache ist der Stärkste in der Gegend. Bitte, ihr müsst etwas tun.«
Die Kriegerin und der Drache schauten sich fragend an und verloren dann keine Zeit. Sie packten Camiel auf den Rücken von Nyarla und flogen mit ihm ins Dorf, wo er versorgt wurde.
Shari berichtete von den Vorkommnissen im Reich der Waldelben.
»Was sollen wir tun? Wir sind einfache Leute, wie könnten wir helfen?« fragte ein Bewohner des Dorfes.
»Er möchte, dass Nyarla und ich ihnen helfen. Ich werde keine Zeit vergeuden und mich sofort auf den Weg machen.« Mit diesen Worten schwang sich die 21-Jährige Kriegerin auf den Rücken des Drachen und flog los.
Je näher sie dem Reich der Waldelben kamen, umso größer wurde die Spur der Zerstörung. Denn auch vor dem Wald selber hatte das Wesen nicht halt gemacht.
Der Drache flog ganz langsam, damit sich beide ein genaues Bild der Zerstörung machen konnten. Es war ein grauenvoller Anblick. Die einst so wundervolle, leuchtende Stadt der zauberhaften Wesen lag in Trümmern. Man konnte nur die Hilferufe der Elben vernehmen, von denen sich einige verletzt in den Überresten der Stadt versteckten. Umgestürzte Bäume und zerbrochenes Gestein waren alles, was noch übrig blieb.
Es brach der Kriegerin das Herz und verzweifelt suchte sie den Schuldigen. Hinter großen, noch halb stehenden Säulen und Überresten von Mauern entdeckte sie schließlich ein riesiges, grauenvolles Wesen.
»Siehst du es?«, fragte Nyarla, während er auf die Kreatur zuflog.
»Ja, ich sehe es. Aber wie soll ich es besiegen? Es ist viel zu groß, so viel Macht habe ich nicht.«
»Du musst es versuchen. Wir haben keine andere Wahl.«
Der Drache umkreiste das schuppige Ding, das mit seinen gewaltigen Klauen alles zerstörte, was ihm im Weg war. Seine Augen waren glutrot und aus seinem Rücken ragten Unmengen von spitzen Stacheln. Am Ende seines Schwanzes befanden sich zwei sehr große Stacheln, mit denen er ganz leicht einen Drachen töten könnte, welcher im Vergleich zu ihm recht klein wirkte.
Nyarla blieb vorsichtig, denn sollte das Wesen ihn entdecken, würde er sie mit einem Schlag töten. Shari machte sich derweil bereit ihre selten gebrauchten, magischen Kräfte einzusetzen und murmelte einen Zauberspruch. Sofort begannen ihre Hände zu leuchten und kleine, blaue Feuerbälle erhoben sich aus ihren Handflächen, stiegen nach oben und als sie schließlich den Spruch zu Ende gesprochen hatte und mit den Händen auf die Kreatur zeigte, schossen die Feuerbälle in einem blauen Strahl darauf zu. Das Wesen spürte diesen magischen Schlag, doch reagierte es kaum darauf. Es drehte sich lediglich in die Richtung um, aus der es den leichten Schmerz vernahm. Es entdeckte den Drachen und wurde schließlich noch wütender. Die Kriegerin sprach noch einige Zaubersprüche aus, welche jedoch alle keinerlei Wirkung zeigten.
»Ich verstehe das nicht. Diese Menge an Magie hätten den größten Drachen umgebracht.«, sagte sie zu ihrem Gefährten und fühlte sich hilflos.
»Ich versuch´s auch mal.«, entgegnete Nyarla und setzte seinen mächtigen Feuerstrahl ein, um das Wesen anzugreifen. Die Flammen verbrannten einige seiner Schuppen und färbten diese schwarz, doch mehr geschah nicht. Die Kreatur wurde nur noch wütender und schlug nun mit seinen gewaltigen Klauen nach dem Drachen, der blitzartig auswich.
»Es hat keinen Sinn. Wir schaffen es so nicht.«, sagte Nyarla erschöpft.
»Du hast Recht. Wir müssen uns ein Versteck suchen. Am besten weiter im Wald, wo uns dieses Ding nicht sieht.«
Der Drache wendete sofort und flog dann zwischen den Bäumen hindurch zu einer sicheren Stelle.
»Was sollen wir nun tun?«, fragte Nyarla und schaute Shari an, die sich an einen Baum lehnte und angestrengt nachdachte.
Nach einer ganzen Weile sagte die Kriegerin: »Wir sollten das Orakel um Rat bitten. Vielleicht kennt sie ja den Weg dieses Wesen zu vertreiben oder gar zu vernichten.«
Der Drache machte sich Flugbereit und als Shari seinen Rücken bestiegen hatte, erhob er sich in die Luft und flog über den Wald hinweg auf einen großen Berg zu, der weit weg von ihrem Dorf inmitten von Sümpfen aus dem Boden herausragte.
Majestätisch blau schimmerte dieses steinerne Gebilde, welches auf der Spitze mit Schnee bedeckt war. Ungefähr in der Hälfte der Berghöhe befand sich eine Höhle, auf deren Eingang der Drache zuflog.
Auf dem harten Felsboden stehend stieg die Kriegerin von ihrem geflügelten Gefährten ab und schaute in das Höhleninnere. Es war viel zu dunkel, um etwas zu erkennen.
»Na los, mein Freund. Lass uns reingehen.« Shari zwinkerte dem Drachen zu und ging dann voraus. Das gewaltige Tier folgte ihr.
Nach einigen Schritten, die sie durch die Dunkelheit umherirren ließen, konnten die beiden einige blau-leuchtende Steine erkennen, die sich an den Wänden befanden und ihnen den Weg zeigten. Je tiefer sie ins Berginnere kamen, desto kälter wurde es. Der Drache spie zwischendurch Feuer, um seine Freundin und sich ein wenig zu wärmen.
Der Weg führte sie tiefer und tiefer in den Berg hinein und die Menge der leuchtenden Steine nahm stetig zu. Endlich erreichten sie einen großen Platz, der von weißem Licht eingehüllt wurde. In der Mitte saß eine frauenähnliche Gestalt, die jedoch die Ausmaße eines Riesen hatte.
Shari ging langsam darauf zu, während Nyarla die Gestalt betrachtete, welche die Augen geschlossen hatte.
»Großes Orakel«, sagte sie, als sie davor stand, »wir brauchen deine Hilfe.«
Die Frau öffnete ihre Augen und schaute die Kriegerin an.
»Ich habe dich bereits erwartet. Ihr habt große Schwierigkeiten, wie ich erahne.«
»Das ist richtig. Ein riesiges Wesen hat die Elbenstadt angegriffen und lässt sich weder mit meiner Magie noch mit dem Feuer eines Drachen verletzen.«
»Stell dir jetzt das Wesen vor.«, bat sie das Orakel und holte nun ein Bild der Kreatur aus dem Kopf der Kriegerin hervor, welches dann als Projektion in der Luft schwebte. Nyarla schaute diesem Spektakel mit offenem Mund staunend zu.
»Ist dies das Wesen, das alles zerstört?«
Die Kriegerin schaute nach Oben und nickte schließlich. In diesem Augenblick verschwand das Bild wieder, nachdem das Orakel einmal ihren Arm durch die Luft schwang.
»Dieses Wesen ist nicht einfach zu töten. Ich verrate es euch, jedoch verlange ich zuvor ein Geschenk.«
Shari schaute das Orakel fragend an. »Von welcher Art Geschenk sprecht Ihr?«
Sie drehte den Kopf in Richtung des Drachen.
»Ich möchte eine Drachenschuppe.«
Nyarla schluckte und sah dann Shari an, die auf ihn zukam.
»Mein Freund, es geht um unser aller Leben. Wirst du ihr dieses Geschenk machen?«
Nyarla nickte zustimmend und sagte: »Natürlich werde ich das. Das ist doch selbstverständlich.«
Beide gingen sie nun zum Orakel und der Drache schnitt sich mit einer Kralle seiner rechten Klaue eine Schuppe aus seinem Bein heraus. Es blutete stark und schmerze das mächtige Tier, doch er wusste, dass es nötig war. Vorsichtig reichte er seine Schuppe dem Orakel herüber, die das Geschenk lächelnd und danken annahm.
»Ich danke Euch. Nun werde ich euch sagen, wie ihr das Wesen besiegen könnt.« Nyarla und Shari hörten genau zu, denn das Orakel war bekannt dafür, dass es einen Rat nur einmal aussprach und nicht mehr wiederholte.
»Ihr braucht einen Pfeil aus einem bestimmten Material, welches ihr nur in den Schluchten von Amuranth finden werdet. Das Gestein dort beinhaltet ein tödliches Gift. Als Pfeilspitze geformt könnt ihr die Kreatur besiegen.« Das Orakel schloss sofort wieder die Augen, senkte den Kopf und saß nun wieder so da, wie zu dem Moment, als die beiden gekommen waren.
Die Kriegerin und der Drache hatten alles verstanden und gingen nun wieder aus dem Berg hinaus. Draußen vor dem Höhleneingang blieben sie stehen.
»In welche Richtung müssen wir denn?«, fragte Shari.
»Die Schluchten von Amuranth befinden sich hinter dem Carlutas-Gebirge. Ich weiß, wo das ist.«, antwortete Nyarla und ließ die 21 jährige aufsteigen.
»Dann lass uns aufbrechen.«
Der Drache breitet seine gewaltigen Schwingen aus und erhob sich in die Luft, geradewegs in Richtung des Carlutas Gebirge, welches weit hinten am Horizont zu sehen war.
Shari betrachtete derweil das Land, über das sie hinwegflogen. Das Wesen schien nicht nur bei den Waldelben alles zerstört zu haben. Bäume lagen entwurzelt auf der Erde, die Lebensräume vieler Tiere waren vernichtet und er konnte trauernde Familien sehen, die jemanden verloren hatten. Sie mussten sich beeilen, bevor das Wesen ihr Dorf erreichte.
Nach einem langen Flug kamen sie endlich an dem Carlutas-Gebirge an und suchten nun nach den Schluchten von Amuranth, die sich direkt dahinter befinden mussten.
»Da, siehst du?« Der Drache zeigte mit seiner Klaue nach unten, wo Shari tiefe Schluchten erkennen konnte.
»Wir sind da.«, sagte sie und Nyarla setzte zur Landung an. Je tiefer er in die Schlucht hinein flog, desto dunkler wurde es. Doch bevor die Düsternis sie vollständig einhüllen konnte, erreichten sie den Boden. Die Kriegerin stieg von dem Drachen herunter und schaute sich das Gestein der Felswand vor ihr an. Es schimmerte irgendwie seltsam und als sie es berührte, spürte sie überraschenderweise eine große Wärme.
Sie holte ihren Dolch hervor und versuchte damit ein Stück des Gesteins zu entfernen.
Plötzlich war ein lautes Brüllen zu hören, welches direkt von einem Zweiten übertönt wurde. Shari erschrak und drehte sich ruckartig um, den Dolch nach vorne gerichtet. Auch Nyarla lauschte, woher die Geräusche gekommen waren. Doch dies war gar nicht mehr nötig, denn sofort traten zwei riesige Zyklopen um die Ecke vor ihnen und hielten ihre Keulen zum Schlag hoch in die Luft. Der Drache schlug sofort mit seinen Schwingen und spie Feuer gegen die aggressiven, einäugigen Zyklopen. Leicht verletzt taumelten sie schreiend zurück, rafften sich aber gleich wieder erneut zum Angriff auf.
»Warte, ich mach das.«, sagte die Kriegerin und begann eine Zauberformel zu sprechen. Sie schoss zwei rot-leuchtende Feuerbälle auf die Zyklopen los, welche daraus einen sehr hellen Lichtblitz machten. Shari und Nyarla mussten ihre Augen abwenden. Als das Licht wieder verschwand, schauten die beiden auf zwei in Stein verwandelte Zyklopen, die immer noch wütend die Keulen hoben.
»Hast du gut gemacht.«, sagte Nyarla grinsend und tätschelte den Kopf der Kriegerin, die genervt nach ihm schlug und nur rief: »Lass den Unsinn.« Der Drache musste laut lachen.
»Ich wollte nur ein wenig Spaß machen.«
»Denk dran, wir haben eine Aufgabe zu erledigen.« Mit diesen Worten machte sie sich erneut daran, ein wenig Gestein aus der Felswand zu schlagen. Die Klinge ihres Dolches war aus einem unzerstörbaren Material und machte es ihr somit recht einfach, ein Stück Gestein abzubrechen. Sie hielt es in der Hand und betrachtete es eine Weile.
»Und dieses kleine Stück Stein soll ein Wesen gigantischen Ausmaßes töten können? Hoffen wir, dass es wirklich so ist.«, sagte die Kriegerin und stieg wieder auf den Rücken des Drachen.
»Du wirst doch nicht den Rat des Orakels in Frage stellen?«, fragte dieser.
»Nein, es überrascht mich nur, wie so etwas Kleines doch so eine Wirkung haben kann.«
Nyarla erhob sich aus der Schlucht in den Himmel und flog zurück ins Dorf, in dem bereits sehr viele der Waldelben Zuflucht gefunden hatten.
Shari ging zum Schmied, hielt ihm das Gestein vor die Nase und fragte: »Kannst du mir daraus eine Pfeilspitze machen?«
»Aber sicher kann ich das. Leichteste Übung.«, antwortete der Schmied, nahm das Gestein an sich und begann mit seiner Arbeit.
Die Kriegerin nahm sich in der Zwischenzeit einen ihrer Pfeile und montierte die normale Pfeilspitze ab, um später die Gift-Pfeilspitze zu montieren.
Es dauerte eine Weile, doch letztendlich hatte der Schmied aus dem schimmernden Gestein eine stabile Pfeilspitze hergestellt. Er überreichte sie Shari, die sich herzlich dafür bedankte und ihm noch eine Belohnung versprach. Doch der Schmied schüttelte den Kopf und winkte dankend ab.
»Helfen zu können ist für mich Belohnung genug.«
Die Kriegerin lächelte den Schmied an und rannte dann sofort zu seinem Drachen, auf dessen Rücken sie sich schwang. Gemeinsam flogen sie wieder zum Reich der Waldelben, um der Zerstörung ein Ende zu machen.
Das Wesen befand sich immer noch dort und hatte nun wirklich alles vernichtet, das dort einmal stand. Es saß gerade gemütlich auf dem Boden und schien sich etwas auszuruhen. Das war die Chance.
Shari spannte ihren Bogen, während Nyarla direkt auf die Kreatur zuflog. Sie näherten sich ihm von hinten, wo es sie nicht bemerkte. Die Kriegerin zielte auf den Kopf, wartete noch etwas, bis sie fast dran waren und schoss dann den Gift-Pfeil ab, der im Kopf des Wesens stecken blieb. Es schrie laut auf und begann nach dem Pfeil zu greifen. Es konnte ihn herausreißen und schaute sich wütend um.
»Ich hoffe, das Gift konnte noch schnell genug in seinen Körper gelangen.«, sagte Shari, während Nyarla sich wieder von dem Wesen entfernte und sie aus sicherer Umgebung alles beobachten konnten.
Es begann wieder wild um sich zu schlagen und brüllte laut, bis es schließlich zu schwanken begann. Es konnte sein Gleichgewicht nicht mehr halten und stolperte über die Trümmer der Stadt. Mit einem lauten Knall schlug sein gesamter Körper auf dem Boden auf und seine Pupillen drehten sich langsam nach oben unter das Augenlid. Es atmete noch eine Weile schnell und heftig bis es dann ohne Vorwarnung einfach verstummte und regungslos da lag.
Nyarla und Shari schauten das Wesen lange aus ihrem Versteck an. Auch die restlichen Waldelben, die noch dort blieben, warteten auf eine Reaktion der Kreatur. Doch es regte sich nicht mehr.
»Ist es tot?«, rief einer der Elben und schaute die Kriegerin fragend an.
Shari und ihr Drache gingen vorsichtig auf das Wesen zu. Es atmete nicht mehr und sie konnte auch keinen Herzschlag feststellen.
»Es scheint wirklich tot zu sein.«, sagte sie Nyarla zugewandt.
»Aber wir müssen ganz sicher gehen.« Die Kriegerin hob eines der Augenlider hoch, die zugefallen waren, und stach mit ihrem Dolch mit voller Wucht hinein. Nichts. Die Kreatur war besiegt.
»Es ist tot!«, rief Shari, woraufhin alles Waldelben laut jubelten. Nyarla erhob sich und flog ins Dorf, um die frohe Botschaft zu verkünden. Auch dort freuten sich alle, sangen und tanzten.
Die Kriegerin und ihr Drache wurden groß gefeiert. Die Waldelben und auch die vielen Bewohner des Waldes waren ihnen sehr dankbar und wollten ihnen dies persönlich mitteilen.
Die Kreatur wurde von fünf Greifen und drei Drachen aufgehoben und zu den Sümpfen gebracht, wo er in den Tiefen der stinkenden Masse versank.
Die Waldelben atmeten wieder auf und alle zusammen, die Dorf- und Waldbewohner, halfen ihnen ihr Reich wieder neu aufzubauen. Diesmal noch größer und schöner als zuvor.
Texte: Alexandra Schu
Bildmaterialien: frenta - Fotolia.com
Lektorat: Alexandra Schu
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2013
Alle Rechte vorbehalten