Martin
Verflucht! Verzweifelt klammere ich mich an der Leiter fest. Völlig erstarrt stehe ich auf der dritten Stufe und versuche meine Panik unter Kontrolle zu bringen. Hätte ich doch nur gewartet, bis Sabine da ist. Aber nein, ich musste ja unbedingt versuchen die Gardinen gleich selbst aufzuhängen. Verfluchte Ungeduld. Wenn ich könnte würde ich mir selber in den Hintern treten. Allerdings ist dieser Gedanke gerade so was von abwegig und vor allem nicht ausführbar. Ich muss mich unbedingt konzentrieren und ganz still stehen, damit sich diese verfluchte Leiter nicht schon wieder selbst bewegt. Meine Muskeln sind total verkrampft. Mittlerweile schmerzen nicht nur meine Arme, sondern mein ganzer Körper tut weh. Obwohl es nur ein paar Minuten her ist, seit sich diese blöde Aufstiegshilfe bewegt hat, kommt es mir vor wie Stunden. Von hier aus kann ich noch nicht mal einen Blick auf die große Uhr werfen, die über der Tür hängt, da die Schrankwand im Weg ist. Eine Armbanduhr besitze ich nicht, da ich diese absolut nicht mag. Tief durchatmend versuche ich meine Muskeln ein wenig zu entspannen, was mir aber nur kurz gelingt. Schon wird mein Griff wieder fester, zu groß ist meine Angst, dieses Höllengerät wieder zum schwanken zu bringen. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange, bis Sabine wiederkommt.
Verflucht! Verflucht! Verflucht!
Nach einer Weile traue ich mich mein Gesicht in Richtung Fenster zu drehen. Sabines kleiner roter Polo dürfte ja nicht zu übersehen sein, wenn sie die Straße raufkommt. Oh nein, keine gute Idee, schnell schließe ich die Augen. So was von blöd aber auch, dass ich unter extremer Höhenangst leide. Normalerweise stört es mich nicht, wenn ich aus dem Fenster schaue, außer ich stehe gefühlte zehn Meter über dem Boden auf einem Gestell, dass sich Leiter schimpft. Also, alles wieder auf Ausgangposition. Vorsichtig öffne ich wieder die Augen und lasse meinen Blick durchs Zimmer schweifen, allerdings ohne nach unten zu schauen. Aha, die Schrankwand, könnte ich auch mal wieder abstauben. Und in der einen Zimmerecke hat sich doch tatsächlich so ein kleines Mistvieh von Spinne ein Netz gewoben. Grrr … wie ich diese kleinen Krabbeltiere hasse. Regelrechte Panik bekomme ich, wenn so ein Vieh in meiner Nähe ist. Manche nennen es Spinnenphobie. Obwohl, wenn ich nicht lange überlege und sie gleich erschlage habe ich diese Angst ziemlich gut im Griff. Bei größeren Exemplaren kommt mir Sabine zur Hilfe. Es ist zwar peinlich, wenn ich als Mann eine Frau drum bitten, ja, manchmal sogar betteln muss, solche Krabbeltiere aus meiner Wohnung zu entfernen, aber wenn ich eine Panikattacke habe, ist mir so ziemlich alles Schnurz. Manchmal bin ich mir selber richtig peinlich. Ungeduld, Höhenangst, Arachnophobie und das als Mann. Aufseufzend schüttele ich den Kopf. Auch wieder keine gute Idee und mein Griff an der Leiter wird noch fester.
Als die Türklingel schellt zucke ich zusammen. Oh … oh … ganz ruhig Martin, die Leiter hat nur ein ganz klein wenig gewackelt. Puh, alles wird gut, rede ich mir selber gut zu. Sabine ist da, zumindest hoffe ich das. Aber die Erleichterung, dass meine Freundin endlich wieder da ist währt nicht lange. Denn siedend heiß fällt mir ein, dass ich sie ja gar nicht rein lassen kann. Ein zweites Mal ertönt die Klingel. „Martin?“, kommt es fragend von der anderen Seite.
„Sabine“, rufe ich erleichtert.
„Martin, würdest du mich rein lassen?“, kommt es ungeduldig zurück.
„Sabine“, rufe ich laut, „du musst irgendwie versuchen rein zu kommen. Ich stehe auf der Leiter und kann nicht runter.“
„Du stehst was?“, höre ich sie empört fragen.
„Ich stehe auf der Leiter“, wiederhole ich noch einmal für sie und mache mich auf eine Schimpftirade gefasst.
„Oh Scheiße Martin. Konntest du es wieder nicht abwarten“, schimpft sie. „Hat jemand im Haus einen Schlüssel von dir?“, fragt sie daraufhin.
„Nein“, entgegne ich ihr geknickt. Da fällt mir ein…, „aber ich glaube der Mieter über mir arbeitet bei einem Schlüsseldienst, vielleicht kann er ja helfen.“
„Okay, ich geh mal nach oben und frage“, kommt es von ihr, „bleib ruhig stehen und schaue nicht nach unten. Hörst du?“, ruft sie mir noch zu.
„Ja, mach ich nicht“, rufe ich zurück, gleichzeitig schaue ich auf den Boden. „Oh … Sch … Scheibenkleister“, bring ich noch raus und klammere mich noch mehr an der Leiter fest. Immer wenn jemand sagt `Schau nicht nach unten`, geht das bei mir automatisch und ich schaue … nach unten.
Nach einer Ewigkeit höre ich, wie an meiner Wohnungstür hantiert wird und kurz darauf steht Sabine im Wohnzimmer. „Bleib ganz ruhig, du hast es gleich geschafft“, redet sie auf mich ein. Wahrscheinlich gebe ich wieder mal ein jämmerliches Bild ab. Bei mir angekommen streicht sie mir beruhigend über mein Bein. „So, ich halte die Leiter fest und du kommst ganz langsam runter. Schau mich dabei an, dann klappt das“, weist sie mich an. Sie hat darin viel Erfahrung, so oft wie sie mich schon aus so einer Situation retten musste. Allerdings hat sie leicht reden, sie steht ja nicht auf diesem Gestell.
„Ich kann nicht Biene“, gebe ich kläglich von mir. „Ich bin total verkrampft.“
„Okay. Dann schließe die Augen und atme erst mal tief durch“, spricht sie beruhigend auf mich ein. „Versuch dich zu entspannen, ich bin ja jetzt da, es kann dir nichts mehr passieren.“ Also schließe ich die Augen und atme ein paar Mal tief durch. Plötzlich spüre ich Hände an meinen Hüften. Vor Schreck lasse ich die Leiter los, werde hoch gehoben und an eine Männerbrust gezogen. Kurz darauf finde ich mich auf dem Sofa wieder und Sabine hockt vor mir. Ich zittere wie Espenlaub und sie streicht mir beruhigend über die Knie. „Ganz ruhig Süßer. Alles vorbei.“
„Macht er das öfters?“, fragt eine tiefe Stimme. Erschrocken hebe ich meinen Blick und schaue in grüne Augen, die wie Türkise schimmern und mich musternd betrachten.
„Ja, leider“, antwortet meine Freundin seufzend. „Er ist sehr ungeduldig und vergisst dann immer wieder, dass er Höhenangst hat.“ Ein Lächeln huscht über seine Lippen, die für einen Mann sehr voll sind. Es lässt mein Herz schneller schlagen. Beschämt senke ich meinen Blick. Ausgerechnet wenn ich aussehe wie ein Häufchen Elend begegnet mir so ein attraktiver Mann. Und was für ein Mann. Er muss um die zwei Meter groß sein, aber er sieht nicht aus wie ein Schrank. Schlank ist er, mit einem muskulösen Oberkörper. Die Muskeln sind wohl definiert, verborgen unter einem weißen T-Shirt, die langen Beine stecken in einer blauen Jeans. Erstaunt registriere ich, dass seine Füße nackt sind.
„Okay“, meint er darauf hin, „wenn soweit alles in Ordnung ist, werde ich wieder gehen. Vorher bringe ich aber noch das Schloss in Ordnung. Und“, wendet er das Wort an mich, „vielleicht wäre es ganz praktisch, wenn du deiner Freundin einen Schlüssel geben würdest. Nur für alle Fälle.“ Verlegen nicke ich.
„Danke, für die schnelle Hilfe“, äußert sich Sabine anerkennend.
„Kein Problem“, erwidert er grinsend und verlässt das Wohnzimmer. Kurz hantiert er noch am Schloss, dann wird die Tür leise zugezogen.
Christian
Das nervige Klingeln an der Wohnungstür reißt mich aus dem Tiefschlaf. Es ist halb neun, wie ein schneller Blick auf mein Handy verrät. Gerade mal zweieinhalb Stunden habe ich geschlafen. Erst um sechs war ich erst von meinem Securityjob, den ich zusätzlich zu meiner Arbeit bei einem Schlüsseldienst mache, nach Hause gekommen. Todmüde fiel ich ins Bett, kaum dass ich meine Kleider abgestreift hatte. Schwerfällig erhebe ich mich. Der Störenfried kann sich gleich auf was gefasst machen, wenn ich müde bin ist mit mir nicht gut Kirschen essen. Auf dem Weg zur Tür greife ich nach Jeans und T-Shirt, streife mir die Sachen über und ohne durch den Spion zu schauen öffne ich schwungvoll die Tür. Vor mir steht eine hübsche Braunhaarige, in ihren braunen Augen sehe ich leichte Panik. Ich verkneife mir die Schimpftirade und lächele sie an.
„Hi“, fängt sie an, „tut mir leid, dass ich Sie störe. Aber können Sie zufällig eine Wohnungstür öffnen? Ich komme nicht in die Wohnung unter Ihnen, ich glaube, mein Freund steckt in Schwierigkeiten“, rasselt sie ohne Luft zu holen runter. Ohne weiter zu fragen schnappe ich meinen Werkzeugkoffer und folge ihr die Treppe hinab. Die Steinstufen sind arschkalt, schließlich habe ich doch nicht mal Schuhe angezogen. Aber jetzt war es auch egal, jemand brauchte scheinbar dringend Hilfe, das ist jetzt erst mal wichtiger.
Die Frau zeigt auf die entsprechende Wohnungstür und ich mache mich ans Werk. Unruhig tritt sie auf der Stelle und kaum habe ich das Schloss geöffnet flitzt sie in die Wohnung. Langsam folge ich ihr und kann hören, wie sie jemanden versucht zu beruhigen. Als ich ins Wohnzimmer trete muss ich mir ein Grinsen verkneifen. Auf einer Leiter steht ein junger braunhaariger Mann und klammert sich an diese. Anscheinend wollte er Gardinen aufhängen. Die Braunhaarige streicht über sein Bein und gibt ihm Anweisungen. Doch es kommt nur ein klägliches, „Ich kann nicht … Biene, ich bin total verkrampft“, von ihm. Vorsichtig nähere ich mich von hinten und in stummer Absprache, durch Blickkontakt, mit der jungen Frau, weist sie ihn an, die Augen zu schließen und ein paar Mal tief durchzuatmen. Als er der Anweisung befolgt, fasse ich ihn an die Hüften, er lässt vor Schreck die Leiter los und ich ziehe ihn an meine Brust. Es fühlt sich verdammt gut an, ihn so zu halten und sein Duft steigt mir in die Nase. Nach irgendwas Exotischem.
Schnell aber behutsam, setze ich ihn auf dem Sofa ab. Sofort lässt sich seine Freundin vor ihm nieder und streicht über seine Knie. „Ganz ruhig, Süßer. Alles vorbei.“ Er zittert wie Espenlaub.
„Macht er so was öfters?“, frage ich neugierig. Ein erschreckter Blick aus schokoladenbraunen Augen trifft mich und mein Herz schlägt, nach einem kurzen Aussetzer, doppelt so schnell weiter. Wow, was für Augen. Sie sind umrahmt von dichten langen Wimpern, die man normalerweise nur im Fernsehen, bei der Wimperntusche-Werbung sieht. Eine niedliche Stupsnase und ein kleiner süßer Mund gehören mit zu dem Gesicht, das sehr ansprechend auf mich wirkt. Als seine Freundin bestätigt, dass er, dank seiner Ungeduld und Höhenangst, öfters in Schwierigkeiten steckt, muss ich lächeln. Beschämt senkt er den Blick, was ich sehr schade finde. Er soll nicht denken, dass ich ihn auslache. Höhenangst zu haben ist schließlich keine Schande, ich kenne einige gestandene Männer, denen es ähnlich geht. Trotzdem wäre es wohl besser, wenn ich jetzt gehe.
„Okay“, wende ich mich an beide, „wenn soweit alles in Ordnung ist, werde ich gehen. Vorher bringe ich noch das Schloss in Ordnung. Und“, wende ich mich an den süßen Braunhaarigen, „vielleicht wäre es ganz praktisch, wenn Sie ihrer Freundin, einen Schlüssel geben würden. Nur für alle Fälle.“ Durch ein schüchternes Nicken zeigt er mir, dass er mich verstanden hat, denn er schaut immer noch auf den Boden. Bedauerlicherweise schenkt er mir nicht noch einmal einen Blick, denn er schaut immer noch auf den Boden. Die Frau bedankt sich bei mir. „Kein Problem“, winke ich ab und verlasse das Wohnzimmer. An der Tür bringe ich das Schloss wieder in Ordnung und ziehe die Tür leise hinter mir zu. Kopfschüttelnd und vor mich hin grinsend steige ich, mit meinem Koffer in der Hand, die wenigen Stufen zu meinem Stockwerk hoch. Seufzend öffne ich die Wohnungstür. An Schlaf ist erst einmal nicht zu denken, dafür bin ich zu aufgewühlt. Während ich die Kaffeemaschine auffülle denke ich an die sensationellen Augen meines Nachbarn. Aufseufzend drücke ich den Startknopf. Warum mache ich mir überhaupt Gedanken, schließlich hat er eine Freundin.
Eigentlich schade, denn er wäre genau mein Typ. Als der Kaffee fertig ist, schnappe ich mir die Zeitung und mache es mir auf der Couch bequem. Doch auf die Artikel kann ich mich nicht konzentrieren und der Kaffee schmeckt grauenvoll. Wie viel Pulver habe ich da nur rein gemacht? Frustriert lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Sofort erscheint wieder das Gesicht meines Nachbarn vor meinem inneren Auge. Und auch der Rest ist nicht zu verachten. Klein und schmal gebaut hat mir schon immer gefallen. Warum vergucke ich mich immer in Männer, die entweder Hetero oder vergeben sind? Und er ist sogar beides. Gähnend, reibe ich mir die Augen. Der Schlafmangel macht sich bemerkbar und mit dem Gedanken an die schokoladenbraunen Augen, schlummere ich ein.
Martin
Kaum war mein Nachbar verschwunden, fing Sabine an zu schimpfen. „Martin, ich habe langsam die Faxen dicke. Wie oft habe ich dich jetzt schon von irgendwelchen Leitern, Metalltreppen und sogar Hockern runtergeholt? Setzt dein Verstand irgendwie aus, sobald du ungeduldig wirst? Oder was ist der Grund, dass du ständig irgendwann wie zur Salzsäule erstarrt irgendwo, oberhalb des Fußbodens bist, statt AUF dem Fußboden?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen schaut sie mich fragend an. Oh man, diesmal ist sie echt sauer. Ich versuche mich noch kleiner zu machen, als ich mich so wie so schon fühle. „Martin? Hörst du mir überhaupt zu?“, fragt sie und hockt sich vor mich hin. Mit dem Zeigefinger hebt sie mein Kinn an und blickt mich liebevoll an. „Martin, Süßer. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich. Was ist, wenn ich mal nicht da bin? Außerdem hatte ich dir gesagt, dass ich in einer halben Stunde wieder da bin. Also, warum machst du das immer wieder?“ Ich zucke mit den Schultern. Was soll ich schon sagen. Ich kapier es ja selber nicht, warum ich das tue.
Aufseufzend steht sie auf. „Ich hänge jetzt die Gardinen auf“, meint sie, geschickt das Thema wechselnd und steigt auf die Leiter. „Und du könntest mir auf den Schreck einen Kaffee kochen“, fordert sie mich auf, „und vielleicht hast du noch ein Stück von einem deiner leckeren Kuchen“, fügt sie noch lächelnd hinzu.
Langsam erhebe ich mich, was mich stöhnen lässt. Verdammt, mir tut alles weh. Unter Schmerzen schlurfe ich in die Küche und setzte Kaffee an. Aus dem Gefrierschrank nehme ich noch den letzten Kuchen, stelle ihn zum Auftauen in die Mikrowelle. Während ich beobachte, wie der Kuchen Runde um Runde dreht, denke ich an meinen Nachbarn. Vor zwei Wochen ist er eingezogen und ich habe ihn nur einmal von weitem beobachtet, als er aus einem Auto ausstieg, was augenscheinlich von einem Schlüsseldienst war. Aber von so nahem habe ich ihn vorher noch nie gesehen. Verträumt denke ich an seine Augen, so ein wunderschönes Grün. Die schwarzen Haare, ein wenig zu lang für meinen Geschmack, heben sie noch richtig hervor. Auch der Rest ist absolut nicht zu verachten. Aber so ein attraktiver Kerl hat sicher eine riesige Schar an Bewunderinnen. Denn dass ausgerechnet er schwul sein sollte, kann ich mir nicht vorstellen. Und warum sollte er ausgerechnet mit mir was anfangen wollen? Ich bin doch nur ein, an Phobien leidender Witz von einem Mann. Das Piepsen der Mikrowelle holt mich aus meinen Gedanken. Ich nehme den Kuchen und den mittlerweile fertigen Kaffee mit ins Wohnzimmer.
Sabine ist fertig und die Gardinen strahlen wieder schön weiß an ihrem angestammten Platz. Ich stelle alles auf dem Tisch ab und hole noch Tassen und Teller. Bevor ich mich setze räume ich noch die Leiter in die Abstellkammer. Aus den Augen, aus dem Sinn. In der Zwischenzeit hat Bienchen Kaffee eingeschenkt und den Kuchen auf die Teller verteilt. Mit einem leisen Stöhnen lasse ich mich auf dem Sofa nieder und Sabine schaut mich mitleidig an. „Geht’s?“, fragt sie besorgt, „soll ich dich dann ein wenig massieren?“, bietet sie an.
„Lass nur“, winke ich ab, „ich lege mich später in die Wanne, mir tut jeder Muskel weh. Selbst an Stellen, an denen ich nicht mal wusste, dass ich dort welche habe.“
„Das glaube ich dir“, meint sie lächelnd, „so wie du an der Leiter geklebt hast. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass du einen granatenscharfen Nachbarn hast.“ Sie zwinkert mir verschmitzt zu. Na super, Biene findet meinen Nachbarn auch scharf. Da habe ich ja erst recht keine Chance, obwohl ich ja noch nicht mal weiß, auf welches Geschlecht er steht. Lustlos stochere ich in meinem Stück Kuchen. Biene hingegen verschlingt ihn regelrecht, nur unterbrochen von „Hmmm“ und „Der ist saulecker.“ Zwischendurch trinkt sie den Kaffee, wie andere Leute Wasser. Schon die dritte Tasse ist fast leer. Und das ist sicher nicht der erste Kaffee und vor allem nicht der Letzte, den sie heute trinkt. Sie ist ein regelrechter Koffeinjunkie.
„Wir müssen was gegen deine Höhenangst unternehmen.“ Kauend zeigt sie auf mich. „Ich werde mich mal umhören, ob es hier irgendwo so ein Seminar oder eine Therapie gibt“, ernst schaut sie mich an. Betreten nicke ich. „Keine Angst, ich helfe dir dabei. Du weißt, dass du auf mich zählen kannst“, liebevoll wuschelt sie mir durchs Haar. Na toll, jetzt fühle ich mich auch noch wie ein kleiner Junge. Als wenn die ganz Sache nicht schon peinlich genug wäre. Aber sie hat Recht, langsam muss ich was unternehmen. Vielleicht gibt es auch gleich noch eine Therapie, um meine Ungeduld im Zaum zu halten. Nachdem Sabine ihre Tasse geleert und auch den letzten Krümel des Kuchens verdrückt hat, steht sie auf und räumt das Geschirr zusammen. „Du weißt“, fängt sie an, “dass ich nächste Woche nicht da bin. Also, tue mir den Gefallen, bleib von Leitern und Hockern fern.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen blickt sie mir in die Augen. Richtig, sie wollte ja ab morgen ihre Eltern besuchen.
„Okay“, verspreche ich und folge ihr in die Küche, wo ich gleich das Geschirr in die Spülmaschine räume.
„Laut dem Plan für den Hausflurputz bist du erst übernächste Woche dran und dann helfe ich dir beim Fenster putzen“, redet sie weiter und ich nicke nur. „Also dann, bis nächsten Sonntag“, verabschiedet sie sich und drückt mir, während sie mich umarmt, einen Kuss auf die Wange.
„Bis Sonntag“, entgegne ich, „und danke noch mal für die Hilfe, beim Gardinen aufhängen.“
„Kein Problem“, winkt sie ab und öffnet die Tür. Plötzlich, dreht sie sich noch mal um und sieht mich eindringlich an, „Denk dran, was du mir versprochen hast. Ich kann nicht mal eben 500 km fahren, um dich von der Leiter zu holen. Okay?“
Mit hochrotem Kopf verspreche ich ihr noch einmal, den Boden nicht zu verlassen. Sie winkt mir lächelnd zu und schon ist sie um die Ecke verschwunden. Seufzend schließe ich die Tür.
Christian
Kaum habe ich meine Wohnung betreten, wandert der Werkzeugkoffer in die Ecke, die Jacke hinterher und ich hole mir ein kühles Blondes aus dem Kühlschrank. Auf der Arbeit war heute die Hölle los. Man hatte den Eindruck, dass sich die Einwohner der halben Stadt ausgesperrt hatten. Kaum war ein Auftrag erledigt, schon kam der nächste rein. Vielleicht lag es aber auch nur am Schlafmangel, denn das restliche Wochenende habe ich nur an meinen süßen Nachbarn gedacht und vor allen Dingen, geträumt. Obwohl ich alles versucht hatte, bin ich ihm dieses Wochenende nicht einmal begegnet. So bin ich x-Mal zum Briefkasten gegangen, dabei kommt sonntags gar keine Post. Dann habe ich den Müllsack, der nicht mal ansatzweise gefüllt war, in die Tonne gebracht und immer wieder kleinere Runden um den Block gedreht. Aber von ihm war nichts zu sehen. Am liebsten wäre ich direkt zu ihm gegangen, aber mir fiel einfach kein plausibler Grund ein. Außerdem hätte es ja sein können, dass seine Freundin da gewesen wäre. Verdammt! Er geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Seufzend lasse ich mich auf einen Küchenstuhl fallen und nehme einen tiefen Schluck aus der Flasche. Plötzlich höre ich aufgeregte Stimmen im Haus. Gleich darauf klingelt es und ich beeile mich, um an die Tür zu kommen. Frau Schneider, die eine Etage unter mir wohnt, fuchtelt wild mit ihren Armen und redet so schnell, dass ich kaum was verstehen kann. Das einzige, was ich verstehe ist ´Martin´. Hieß nicht der Kleine unter mir so? Nichts Gutes ahnend greife ich mir meine Schlüssel und ziehe die Türe zu. Ohne weiter auf die alte Dame zu achten renne ich die Treppen nach unten. Eine Etage tiefer steht eine Leiter vor den Fenstern im Flur. Auf der Leiter steht mein Nachbar, in inniger Umklammerung mit dieser.
Obwohl ich es gerne tun würde, verkneife ich mir mein Grinsen, als ich seinen verzweifelten Blick sehe. „Hatte Ihre Freundin nicht gesagt, dass Sie Höhenangst haben?“, frage ich ihn und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zaghaft nickt er.
„Und warum stehen Sie dann auf der Leiter?“, neugierig schaue ich ihn an. Bevor er mir antworten kann, werde ich von Frau Schneider aufgeklärt, die für ihr Alter noch recht fix auf der Treppe ist und schon neben mir steht.
„Ich habe ihn gebeten meine Fenster zu putzen, da ich doch mit dem Hausputz dran bin. Mein Sohn hatte keine Zeit, der macht das nämlich sonst immer und da habe ich Martin gefragt“, erzählt sie aufgeregt und noch leicht außer Atem. „Aber ich kann doch nicht ahnen, dass der junge Mann Höhenangst hat“, verzweifelt schaut sie mich an. „Können Sie ihn dort runter holen, er hört einfach nicht auf mich, ich habe schon alles versucht.“ Grinsend nicke ich und drehe mich zu meinem Nachbarn um, der immer noch total verkrampft auf der Leiter steht.
Auf einmal schrillt ein lautes Piepsen durchs Haus. „Oh, mein Kuchen ist fertig“, ruft Frau Schneider. „Kommen Sie alleine klar?“, fragt sie unsicher. Dabei geht sie schon in Richtung ihrer Wohnung, aus der es lecker duftet, da die Wohnungstür einen Spalt offen steht.
„Gehen Sie ruhig. Ich mach das schon“, beruhige ich sie und greife nach der Leiter. „Martin. Richtig?“, spreche ich ihn an und bekomme wieder ein zögerliches Nicken als Antwort. „Ich heiße Christian. Wir haben uns ja am Samstag nicht vorgestellt“, versuche ich ihn abzulenken. „So, wir machen es wie letztes Mal“, weise ich ihn leise an, „du schließt die Augen und versuchst dich zu entspannen.“
„Okay“, kommt es zittrig von Martin und er schließt die Augen. Bei meinem Griff an seine Hüften lässt er wieder die Leiter los, ich hebe ihn runter und ziehe ihn an mich, was sich erneut verdammt gut anfühlt. Augenblicklich fängt er an zu zittern. Ihn auf die Arme nehmend flüstere ich ihm Worte zur Beruhigung zu, gehe zu seiner Wohnung und öffne sie, da der Schlüssel von draußen steckt. Nachdem ich die Tür mit meinem Fuß zugeschubst habe, setze ich ihn vorsichtig auf dem Sofa ab und hocke mich vor ihn hin. Er zittert immer noch und ich streiche über seine Knie. „Hey, alles gut“, raune ich ihm zu. „Soll ich deine Freundin anrufen?“ Energisch schüttelt er den Kopf, hebt seinen Blick und schaut mich mit seinen Schokoaugen an.
„Sabine ist für eine Woche zu ihren Eltern gefahren“, wispert er, „erzähl ihr bloß nicht, was ich gemacht habe. Ich habe ihr versprochen nirgendwo rauf zu steigen.“ Bittend schaut er mich an.
„Und warum hast du es dennoch gemacht?“, frage ich interessiert, „Ich meine, warum hast du Frau Schneider nicht gesagt, dass du die Fenster nicht putzen kannst, da du Höhenangst hast?“
„Weil ich immer erst ja sage, bevor ich nachdenke und dann war es mir peinlich. Ich wollte es versuchen“, gibt er niedergeschlagen zu. Langsam lässt sein Zittern nach und ich setze mich neben ihn.
„Okay, ich werde es deiner Freundin nicht verraten“, beruhige ich ihn und er wirft mir einen dankbaren Blick über die Schulter zu. Lächelnd schüttele ich den Kopf. Er ist absolut niedlich in seiner Verlegenheit und ich überlege, ob ich alles auf eine Karte setzte und ihn frage, ob er mit mir Essen gehen will. Seine Nähe beschert mir Schmetterlinge im Bauch. Aber vorher muss ich rausbekommen, auf welcher Seite er fischt.
***
Martin
Mein erster Urlaubstag. Zwei Wochen ausschlafen, entspannen, ein gutes Buch lesen. Zumindest habe ich mir das vorgenommen.
Obwohl ich hundemüde bin liege ich dennoch wach im Bett, es ist fünf Uhr in der Früh. In der Wohnung über mir hat gerade der Wecker geklingelt. Seit einer ganzen Weile starre ich schon an die Zimmerdecke, im Bewusstsein, dass da oben der Mann meiner Träume im Bett liegt. Leise Schritte verraten mir, dass mein Nachbar aufgestanden sein muss. Seufzend drehe ich mich auf die Seite und schließe meine Augen. Schon tauchen grünen Augen vor meinem inneren Auge auf, die mich schon das ganze Wochenende kirre machen. Seitdem der attraktivste Kerl, dem ich je begegnet bin, meine Wohnung verlassen hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen, aber ständig an ihn gedacht. Auch in meinen Träumen spielt er die Hauptrolle. Wieder höre ich Schritte, jetzt auf der Treppe, kurz danach fällt die Haustür ins Schloss. Mich auf die andere Seite wälzend, versuche ich an was anderes zu denken, um noch ein wenig Schlaf zu bekommen. Doch immer wieder schweifen meine Gedanken zu ihm.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist es zehn. Da habe ich ja wenigstens, noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Nachdem ich mich ordentlich gestreckt habe, verlasse ich das kuschelige Nest und gehe ins Bad, wo ich mir eine lange heiße Dusche gönne. Nach einer ausgiebigen Mundpflege und glatt rasiert, bereite ich mir einen Kaffee, toaste mir zwei Scheiben Weißbrot und überlege, was ich heute zu tun gedenke. Nach dem letzten Bissen, den ich mit dem restlichen Kaffee runterspüle, schnappe ich mir Staubtuch und Wedel. Mit Feuereifer geht’s dem Staub an den Kragen. Natürlich vermeide ich, irgendwo hochzusteigen, obwohl es mich ärgert, denn die Schrankwand ist oben doch sehr verstaubt. Aber ich habe es Sabine versprochen und wer soll mich retten, wenn ich dann fest hänge. Obwohl, es wäre ein Grund, um den Nachbarn wieder zu sehen, ich könnte ja solange schreien, bis er mich hört. Grinsend schüttele ich den Kopf. Nein. Das wäre ja noch peinlicher, als das letzte Mal. Gut zwei Stunden später ist die Wohnung vom Staub befreit. So, genug gearbeitet, jetzt werde ich es mir gemütlich machen. Gesagt, getan. Eine heiße Schokolade, eine Tiefkühlpizza und ein gutes Buch und schon habe ich es mir auf der Couch bequem gemacht. Die Türklingel reißt mich aus der spannenden Handlung des Buches. Ächzend erhebe ich mich und öffne, nach einem Blick durch den Spion, meiner Nachbarin die Tür. Frau Schneider ist eine ganz Liebe und ich komme gut mit ihr aus. Zuweilen helfe ich ihr, kleiner Sachen zu erledigen.
„Hallo Frau Schneider“, grüße ich sie.
„Hallo Martin“, grüßt Sie freundlich zurück, „entschuldigen Sie bitte, dass ich störe, aber ich hätte eine Bitte an Sie“.
„Was kann ich für Sie tun?“, frage ich hilfsbereit.
„Ich bin doch mit dem Hausputz dran“, fängt sie an, „mein Sohn hat aber leider keine Zeit diese Woche und deswegen wollte ich fragen, ob sie mir die Fenster putzen könnten.“ Ohne nachzudenken nicke ich und die alte Dame huscht erfreut in ihre Wohnung. Kurz darauf steht sie mit Lappen und Fensterputzspray vor mir und drückt mir alles in die Hände. „Das ist wirklich sehr lieb von Ihnen“, meint sie, freudestrahlend. Oh Mann, was habe ich nur wieder getan. Aber ihr jetzt zu sagen, dass ich es doch nicht tun kann, mag ich auch nicht, das wäre mir unangenehm. Also hole ich tapfer meine Leiter aus der Abstellkammer und positioniere sie unter den Fenstern. Das Spray und die Lappen lege ich auf das Fensterbrett, dann steige ich mutig die Leiter nach oben, ist doch gar nicht so schwer. Als ich nach dem Spray greife, wackelt die Leiter kurz und schon überfällt mich die altbekannte Panik. Hastig umklammere ich die Leiter und erstarre zur Salzsäule.
Frau Schneider, die gerade wieder aus ihrer Wohnung kommt, schaut mich verwundert an. „Was ist denn los Martin?“, fragt sie mit besorgter Stimme und runzelt die Stirn, „Sie sind ja weiß wie eine Wand. Geht es Ihnen nicht gut?“
„Ich … ich habe Höhenangst“, gebe ich leise zu.
„Aber das hätten sie mir doch sagen müssen, junger Mann“, schimpft sie, „kommen Sie, ich halte die Leiter fest und Sie steigen runter.“ Vorsichtig schüttele ich den Kopf, bemüht, mich nicht zu viel zu bewegen.
„Ich kann nicht“, flüstere ich.
„Ich habe eine Idee“, sagt Frau Schneider, auf einmal aufgeregt, „warten Sie hier. Und schauen Sie NICHT nach unten.“ Recht flink für ihr Alter steigt sie die Treppen nach oben und mein Blick geht Richtung Boden. Sch… verzweifelt, schließe ich die Augen. Von oben kann ich die aufgeregte Stimme meiner Nachbarin hören. Und dann erscheint der Mann meiner Träume auf den Stufen. Ausgerechnet er. Und dann sieht er auch noch verboten gut aus.
„Hatte ihr Freundin nicht gesagt, dass Sie Höhenangst haben?“, fragt er schmunzelnd. Mehr als nicken kann ich nicht. Mir ist das hochpeinlich. Mit einem neugierigen Blick schaut er mich an. „Und warum stehen Sie dann auf der Leiter?“. Bevor ich antworten kann, hat Frau Schneider das Wort ergriffen und redet auf ihn ein. Als sie geendet hat, dreht er sich grinsend zu mir um. Bevor er irgendwas zu mir sagen kann, fängt es laut an zu Piepsen und meine Nachbarin ruft, „Oh, mein Kuchen ist fertig.“ Schon auf dem Weg zu ihrer Wohnung, aus der ein verführerischer Duft dringt, dreht sie sich noch einmal um und fragt, „Kommen Sie alleine klar?“
„Gehen Sie ruhig. Ich mach das schon“, beruhige der Schwarzhaarige sie und greift nach der Leiter. „Martin. Richtig?“, spricht er mich an und schaut mir tief in die Augen, was mein Herz schneller schlagen lässt. Bejahend nicke ich. „Ich heiße Christian. Wir haben uns ja Samstag nicht vorgestellt“, meint er lächelnd. „So, wir machen es, wie letztes Mal“, flüstert er mir leise zu, „du schließt die Augen und versuchst dich zu entspannen.“
„Okay“, bringe ich raus und schäme mich, für meine zittrige Stimme. Er muss mich doch, für einen totalen Versager halten, schließlich klammere ich mich schon das zweite Mal, wie ein Häufchen Elend, vor ihm, an eine Leiter. Schnell, schließe ich die Augen. Als seine Hände, an meinen Hüften liegen, lasse ich, ihm vertrauend, die Leiter los. Er hebt mich wieder runter und zieht mich an seine Brust. Bilde ich mir das nur ein oder schlägt sein Herz auch ganz schön schnell. Schon merke ich, wie mein Körper anfängt zu zittern und das nicht nur, weil ich endlich von der Leiter runter bin. Er nimmt mich auf die Arme, ich halte mich an seinen Schultern fest und während er mir, ständig beruhigende Worte zuflüstert, die ich kaum verstehen kann, da in meinen Ohren das Blut rauscht, geht er in meine Wohnung. Mit dem Fuß schließt er die Türe und setzt mich im Wohnzimmer, aufs Sofa. Da ich immer noch zittere, hockt sich Christian vor mich hin und streichelt meine Knie, was mich wieder mehr zittern lässt, nun jedoch, vor Erregung. „Hey, alles gut“, meint er, „soll ich deine Freundin anrufen?“ Oh nein, nein, nein. Ich schüttele den Kopf und schaue in seine wunderschönen grünen Augen, in denen Sorge steht.
„Sabine ist für eine Woche zu ihren Eltern gefahren“, erkläre ich ihm leise, „erzähl ihr bloß nicht, was ich gemacht habe. Ich habe ihr versprochen nirgendwo rauf zu steigen.“ Flehend schaue ich in an, was ihn wieder zum schmunzeln bringt.
Als er mich fragt, warum ich es dennoch gemacht habe und nicht gleich gesagt habe, dass ich Höhenangst habe, muss ich niedergeschlagen zugeben, dass ich immer erst ja sage, weil ich gerne helfe und es mir dann zu peinlich gewesen wäre, es Frau Schneider zu sagen. Verstehend nickt er. Da mein Zittern aufgehört hat, setzt er sich neben mich, seine Nähe bringt mich fast wieder zum Zittern.
„Okay, ich werde es deiner Freundin nicht verraten“, meint er grinsend, ich seufze erleichtert und werfe ihm einen dankbaren Blick zu.
Christian
Ich beschließe, alles auf eine Karte zu setzen. Mein Herz rast vor Aufregung, da mir klar ist, dass das auch eine dicke Abfuhr werden kann. Aber wer nicht wagt, gewinnt auch nicht. Mehr, als dass er nein sagt, kann ja nicht passieren. Tief durchatmend blicke ich in seine Augen. „Martin?“
„Hm?“ Fragend die Augenbrauen hochgezogen, guckt er mich an.
„Sag mal … ist deine Freundin, deine richtige Freundin?“ Gespannt beobachte ich sein Gesicht. Er räuspert sich und senkt schnell den Blick. Hab ich da Traurigkeit gesehen? Oder Enttäuschung? Ich bin mir nicht sicher.
„Nein“, antwortet er leise, „Sabine ist nicht meine richtige Freundin. Also, es ist nur platonisch.“ Mein Herz macht einen Freudensprung und erleichtert atme ich aus, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich gespannt die Luft angehalten habe. Die erste Hürde ist geschafft. Puh, jetzt kommt das Schwerste. Man fragt ja nicht mal eben so, ob einer schwul ist. Aber der direkte Weg ist immer der Beste. Also Augen zu und durch. Gerade als ich ihn fragen will, schießt mir blitzartig der Gedanke durchs Hirn, dass er ja trotzdem eine Freundin haben könnte. Oder noch schlimmer, dass er seine platonische Freundin, als richtige Freundin haben will. Das würde die Traurigkeit in seinem Blick erklären. Oh, man, nervös fahre ich durch meine Haare. Egal, jetzt habe ich angefangen.
„Hast du … eine richtige Freundin?“ Unsicher schaue ich auf meine Hände.
„Nein, habe ich nicht“, kommt es prompt von ihm und ich blicke auf. Er sieht nervös aus. „Ehrlich gesagt, mag ich keine Frauen“, gibt er zu und fügt noch schnell hinzu, „also, als Partnerin meine ich. Ich … Ich steh auf Männer.“ Oh Gott, er sieht so niedlich aus, mit seinen roten Wangen, ich könnte ihn abknutschen. „Ist das ein Problem für dich?“, fragt er leise.
„Nein“, antworte ich grinsend, „das ist überhaupt kein Problem für mich.“ Langsam lasse ich mich auf den Boden gleiten und schiebe mich zwischen seine Beine. Überrascht blickt er mit großen Augen auf mich. „Ich hatte es gehofft“, murmele ich, lege die Hände auf seine Wangen und berühre zärtlich seine Lippen mit meinen. Langsam lasse ich meine Zunge über seine Unterlippe gleiten. Stöhnend öffnet er den Mund und ich taste mich in seine warme Mundhöhle vor, stupse an seine Zunge. Bald darauf entwickelt sich ein wilder Tanz. Als wir uns nach einer Weile von einander lösen, schauen wir uns atemlos an. Martins Augen strahlen und er lächelt.
Ich nehme seine Hände in meine und verschränke unsere Finger. „Willst du mit mir Essen geht? Heute Abend?“, erwartungsvoll schaue ich in seine strahlenden Schokoaugen. Sein Lächeln wird breiter und er nickt heftig mit dem Kopf.
„Ja, sehr gerne“, gibt er auch noch mal verbal seine Zustimmung und haucht mir einen Kuss auf den Mund. „Oder“, verlegen senkt er die Lider, „wir bestellen uns was … hier her.“ Perplex gucke ich ihn an und ein breites Grinsen ziert mein Gesicht, denn ich fühle mich gerade so, wie es ist, auch pudelwohl. Zärtlich hebe ich sein Kinn, schaue ihm tief in die Augen und erobere stürmisch seinen Mund und er küsst mich, nicht minder stürmisch zurück.
***
Martin
Als er fragend meinen Namen sagt, schaue ich in seine grünen Augen. Er sieht nervös aus.
„Hm?“, angespannt, blicke ich ihn fragend an.
„Sag mal … ist deine Freundin, deine richtige Freundin?“ Enttäuscht senke ich schnell den Blick. Somit ist meine Frage beantwortet und die Hoffnung nur noch ein Scherbenhaufen. Er will was von Sabine. Als ich ihm sage, dass sie nur meine platonische Freundin ist, sieht er erleichtert aus. Jetzt wird er sicher gleich nach ihrer Telefonnummer fragen, die ich ihm natürlich geben werde, weil ich ja ein so guter Freund bin. Seine nächste Frage lässt mich verdutzt aufblicken. Ob ich eine richtige Freundin hätte, will er wissen. Prompt verneine ich. Nervös betrachte ich sein Gesicht. Soll ich es ihm sagen? Allen Mut zusammen nehmend, vertraue ich ihm an, dass ich keine Frauen mag, zumindest nicht als Partnerin. „Ich … Ich steh auf Männer“, gestehe ich, spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. „Ist das ein Problem für dich?“, flüstere ich schon fast. Immerhin könnte es sein, dass er mir jetzt eine reinhaut oder angeekelt von mir abhaut.
Doch zu meiner großen Überraschung lässt er mich wissen, dass das absolut kein Problem für ihn darstellt und gleich darauf kniet er zwischen meinen Beinen. Mit seinen Hände an meinen Wangen murmelt er was von, dass er es gehofft hat, dann liegen seine Lippen schon auf meinen. Seine Zunge streicht zärtlich über meine Unterlippe, ich öffne den Mund und ein Stöhnen entweicht mir. Er erkundet die Mundhöhle, fordert meine Zunge zum Tanz. Nach einer Ewigkeit lösen wir uns atemlos und ich strahle ihn an. Was für ein atemberaubender Kuss. Seine Hände wandern zu meinen und mit verschränkten Fingern fragt er mich, ob wir zusammen essen gehen wollen. Nicht irgendwann, sondern heute. Mein Herz rast im schnellen Takt und ich nicke wie verrückt mit dem Kopf. „Ja, sehr gerne“, bekräftige ich noch mal glücklich, hauche ihm einen Kuss auf die weichen Lippen. In einem Anfall von Übermut schlage ich ihm vor, dass wir uns das Essen auch liefern lassen könnten. Verlegen schaue ich auf unsere verschränkten Hände. Sein zärtlicher Griff an meinem Kinn lässt mich aufblicken und stürmisch erobert er meinen Mund. Doch ich steh ihm in nichts nach und erwidere den Kuss ebenso stürmisch. Ich deute dieses mal als ja.
Vorsichtig steht er auf, setzt sich neben mich und zieht mich auf seinen Schoß. Seine Lippen wandern zum Hals und necken mich, indem er immer wieder zaghaft an der Haut saugt. Die Hände haben den Weg unter das T-Shirt gefunden und streichen über meinen Rücken, was mir eine Gänsehaut beschert. Seufzend genieße ich seine Streicheleinheiten und reibe mein Becken an seinem. Die lustvollen Laute spornen mich an und ich erhöhe den Druck, bis er mich, mit den Händen an meinen Hüften stoppt. „Wenn du so weiter machst ist gleich alles vorbei“, bringt er mühsam heraus. Im nächsten Augenblick liege ich auf dem Rücken, er zieht das Shirt über meinen Kopf und macht sich gierig über meine Brustwarzen her. Mit zarten Bissen verwöhnt er mich, leckt und saugt, dass ich nur noch wimmern kann. Flink öffnet er den Knopf meiner Hose und befreit in Rekordzeit meine pochende Härte, die gleich in seinem Mund verschwindet. Stöhnend greife ich in sein Haar, will ihn wegziehen, sonst ist es gleich bei mir vorbei. Unbeirrt macht er weiter, saugt immer heftiger. Schon zieht sich alles in mir zusammen und ehe ich ihn warnen kann komme ich zum Orgasmus und ergieße mich in seinem Mund. Er schluckt alles, kommt grinsend hoch und gibt mir einen zärtlichen Kuss.
„Seit zwei Tagen habe ich davon geträumt. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe“, flüstert er, steht geschmeidig auf und zieht mich vom Sofa. Ungeduldig zieht er mich Richtung Schlafzimmer. Am Bett angekommen, schubst er mich auf die Matratze und zieht mir die Hose aus. Genüsslich betrachtet er mich. Vor Verlegenheit steigt mir die Röte ins Gesicht, was ihn grinsen lässt. Langsam zieht er sich aus und ich genieße die Show. Als er nackt vor mir steht, mit einer beachtlichen Erektion, lecke ich mir provozierend über die Lippen, was ihn aufstöhnen lässt. Flink ist er über mir und er küsst mich voller Leidenschaft. Gierig lasse ich meine Hände über seinen Körper wandern, knete seinen straffen Po und reibe meinen, wieder harten Schwanz an seinem. „Gleitgel? Kondome?“, raunt er an meinem Ohr.
„Oberste Schublade im Nachtschrank“, bringe ich mühsam hervor, da er mit Wonne an meinem Ohrläppchen knabbert. Ich wusste gar nicht, dass ich dort so empfindsam bin. Sich kurz streckend holt er die Sachen und macht sich über meinen Hals her. Saugt und leckt, wandert mit seinen Lippen weiter über meine Brustwarzen, die er ausgiebig verwöhnt.
Keuchend bäume ich mich auf. Mit den Knien drückt er meine Beine auseinander, lässt sich dazwischen nieder, ohne von den Brustwarzen abzulassen. Seine Hände wandern über meinen Bauch, bis zu meinen Knien. Sich aufrichtend drückt er die Beine weiter auseinander. Zart streicht er über die Innenseite der Schenkel und umfasst meinen Schwanz.
Mit glänzenden Augen sieht er mich an, beugt sich nach unten und leckt über die Eichel. Stöhnend winde ich mich, während er meine Härte verwöhnt. Eine Hand wandert zu meinem Eingang und beginnt ihn zu massieren. „Mach endlich“, presse ich zwischen zusammengebissen Zähnen heraus. Er nimmt das Gel, verteilt es großzügig und schiebt vorsichtig einen Finger in mich. Mühsam muss ich mich beherrschen, als er den zweiten Finger dazu nimmt und über den Glückspunkt reibt, um nicht zu kommen. Gewissenhaft dehnt er mein Loch, ein dritter Finger folgt. „Bitte, komm“, flehe ich ihn an. Die Finger verschwinden, er beugt sich schwer atmend über mich und während er mich verzehrend küsst, dringt er behutsam ein. Vollkommen miteinander verbunden hält er inne.
Auffordernd bewege ich das Becken und er fängt an, sich zu bewegen. Seine Beherrschung abwerfend treibt er sich immer wieder und immer schneller in mich. Wimmernd kralle ich mich an seine Schultern und schreie befreit auf, als mich der Höhepunkt überrollt und ich mich warm zwischen uns ergieße. Fast gleichzeitig versteift sich Christian und ich spüre, wie er pumpt und dann ermattet auf mich sinkt. Nach Atem ringend liegen wir Arm in Arm. Nach einer Weile zieht er sich aus mir zurück, entsorgt das Kondom neben dem Bett und nimmt mich wieder in seine Arme. Zärtlich küsst er mich, gleitet an meine Seite und zieht mich mit dem Rücken an seine Brust. Er angelt nach der Bettdecke, zieht sie über uns drüber und eng umschlungen schlafen wir ein.
Christian
Schlaftrunken öffne ich die Augen. Warme Lippen gleiten über meine Brust und saugen sich an meinen Brustwarzen fest. Eine Hand streichelt über meinen Bauch, legt sich auf meinen halbsteifen Schwanz und massiert ihn zaghaft. Weg ist die Müdigkeit und ich stöhne auf. Sekundenschnell bin ich voll erigiert. Martins Blick trifft auf meinen, als ich an mir runter schaue. Er lässt von meinen Brustwarzen ab und küsst sich lächelnd nach unten. Ohne den Blick zu lösen leckt er über die Eichel, was mich aufseufzen lässt und nimmt meine Härte Stück für Stück in seine warme Mundhöhle auf. Der Anblick macht mich so geil, dass ich nicht lange brauche, bis ich mich ergieße. Liebevoll leckt Martin alles sauber und küsst sich wieder nach oben, bis seine Lippen auf meinen liegen. „Hey“, flüstert er, nach einem zärtlichen Kuss und strahlt mich an.
„Hey“, flüstere ich zurück. Ich kann mich nicht satt sehen, an seinen Schokoaugen.
„Gleiches Recht für alle“, grinst er und mit Schwung drehe ich ihn auf den Rücken.
„Genauso ist es“, nicke ich und wende mich blitzschnell seinem Schwanz zu, nehme ihn tief in den Mund. Überrascht schreit Martin auf. Danach hört man ihn nur noch seufzen und stöhnen, während ich mich um seine Härte kümmere.
„Ich werde uns was vom Italiener bestellen“, kommt es später noch ein wenig atemlos von Martin, „ich habe einen Kohldampf.“ Zustimmend nicke ich und muss grinsen, als er sich schwerfällig erhebt und aus dem Zimmer geht. Lächelnd denke ich an die letzten Stunden zurück. Mit einer Speisekarte und dem Telefon in der Hand kommt Martin zurück und setzt sich vorsichtig auf die Bettkante. Grinsend knie ich mich hinter ihn und hauche einen Kuss auf seinen Nacken. „Was willst du essen?“, fragt er und schlägt die Karte auf.
„Am liebsten dich“, necke ich ihn, „aber ich gebe mich auch mit Spaghetti arrabiata zufrieden, extra scharf.“ Glucksend lehnt er sich an mich und wählt die Nummer. Nachdem er die Bestellung aufgegeben hat, für sich hat er eine Pizza Margherita bestellt und als Nachtisch Tiramisu, legt er das Telefon auf den Nachttisch, lässt die Karte auf den Boden segeln und dreht sich flugs um. Zusammen fallen wir auf die Matratze.
„Wir haben vierzig Minuten“, grinst er frech, „genug Zeit um uns um die Vorspeise zu kümmern.“
Fünfundvierzig Minuten später nehme ich die Lieferung entgegen und drücke dem Boten ein großzügiges Trinkgeld in die Hand. Leise schließe ich die Tür, hole Besteck aus der Küche und betrete das Schlafzimmer. Martin hat die Augen geschlossen und sein Atem geht immer noch schnell. Schmunzelnd setzte ich mich zu ihm aufs Bett, stelle die Nudeln und den Nachtisch auf den Boden und öffne den Pizzakarton, fächele ihm den köstlichen Duft zu. Träge öffnet er die Augen. „Hier, zum stärken“, wackele ich mit dem Karton vor seiner Nase. Schwerfällig erhebt er sich, nimmt die Pizza entgegen und lässt es sich schmecken. Eine Weile beobachte ich ihn lächelnd, dann mache ich mich über die Nudeln her.
Fürs erste gesättigt liegen wir, uns zugewandt im Bett und quatschen über Gott und die Welt. Später widmen wir uns dem Nachtisch und ich kann nur sagen, Besteck haben wir dazu nicht gebraucht.
***
Ein halbes Jahr später.
Martin
Lächelnd betrachte ich Christian, der konzentriert am Steuer sitzt. Heute sind wir sechs Monate zusammen und er hat mich in ein französisches Restaurant ausgeführt. Danach waren wir im Kino. Es lief „Spiderman“. Ja, lacht nicht, aber seit ich mit Christian zusammen bin, habe ich nicht mehr so eine Panik vor den kleinen Biestern. Schließlich bin ich doch um einiges größer als sie. Nicht, dass ich mit ihnen kuscheln möchte, aber ich renn auch nicht mehr schreiend weg. Auch meine Höhenangst habe ich im Griff, nach mehreren Therapiesitzungen kann ich auch mal auf einen Stuhl steigen ohne, dass ich gerettet werden muss. Auf eine Leiter allerdings steige ich nur noch, wenn mein Schatz in der Nähe ist, für alle Fälle. Lächelnd schüttele ich den Kopf.
„Was ist los Schatz?“, kommt es fragend von Christian.
„Nichts“, schmunzele ich, „ich habe nur über meine Phobien nachgedacht.“
„Ah … immerhin hatte deine Höhenangst was Gutes, ohne sie hätten wir uns nicht kennen gelernt“, grinst er frech. Leicht schlage ich auf seinen Arm.
Sabine kommt weiterhin regelmäßig vorbei. Am Anfang war sie ein wenig enttäuscht, dass Christian schwul ist, da sie ihn ja granatenscharf gefunden hatte. Aber darüber ist sie schnell hinweg gekommen, als sie gesehen hat, wie glücklich wir beide sind. Mittlerweile trifft sie sich mit einem sehr netten Mann und ist happy.
Christian
Psst: Die Ungeduld von Martin stört mich nicht im Geringsten, manchmal bin ich sogar noch ungeduldiger, besonders wenn es um ihn geht, wenn ihr versteht was ich meine.
Texte: Micaela S.
Bildmaterialien: pixabay, S. Licht
Lektorat: Lara, Sa bine, elennna
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen, die meine Geschichten gerne lesen.