„Na endlich“, stoße ich seufzend aus und stelle den Motor aus. Ich ziehe den Zündschlüssel ab, greife mir meinen Rucksack vom Beifahrersitz und steige aus. Nachdem mein Frosch, so die liebevolle Bezeichnung für meinen grünen Suzuki, verriegelt ist, schlendere ich gemütlich in Richtung Elternhaus. Obwohl ich mittlerweile sechsundzwanzig Jahre alt bin, wohne ich noch bei meinen Eltern. Immer wieder kommt der Auszugsgedanke, aber mein Vater redet es mir auch immer wieder erfolgreich aus. Er meint immer, besser kann man es nicht haben. Ich habe eher den Verdacht, dass er mit Mutter nicht unbedingt alleine bleiben will, es gibt doch manchmal ganz schön Zoff zwischen meinen Eltern.
Ein eigenes Zimmer, in einer für mich vollkommen ausreichenden Größe, eine erst letztes Jahr komplett neu gemachte Wohnküche, die ich nach Belieben benutzen darf und ein modernes Bad, sogar mit Fußbodenheizung, stehen mir zur Verfügung. Und das allerbeste … der Pool, sechs mal vier Meter groß. Ich bin eine absolute Wasserratte und vor ein paar Jahren haben meine Eltern beschlossen einen eigenen zu bauen. Es war zwar eine Heidenarbeit, aber jetzt genießt man die Früchte der schweren Arbeit. Es ist nicht nur einer zum aufstellen, nein, sondern ein richtig gemauerter. Einfach herrlich im Sommer jederzeit das erfrischende Nass vor der Haustür zu haben.
Trotzdem sehne ich mich doch öfters danach, mein eigenes kleines Reich zu haben und auch der Kontrolle meiner Eltern zu entkommen. Wenn ich das Haus verlassen will, kommt grundsätzlich von meiner Mutter die Frage `Wo willst du hin? ` oder `Muss das sein, dass du sinnlos das Benzin verfährst? ` Also bleibe ich oft zu Hause. Das ich im Haushalt helfe, ist für mich selbstverständlich und ich mache es auch gerne. Aber manchmal nimmt es echt über Hand, dann liegt ein ellenlanger Zettel von meiner Mutter auf dem Küchentisch mit Anweisungen, was ich doch bitte alles im Haushalt zu erledigen habe. Schon in meiner Kindheit war es so, erst musste ich den Zettel abarbeiten, dann kam Freizeit.
Wenn meine Mutter von der Arbeit kommt, gibt es erst mal das „verdiente“ Feierabendbier und spätestens wenn dann noch der Shoppingkanal läuft, macht sie gar nichts mehr. Schließlich kann ich den Haushalt erledigen. Aus diesem Grund streite ich auch öfters mit ihr, denn mein Job ist auch nicht gerade leicht, auch wenn ich immer schon mittags zu Hause bin. Dafür fange ich auch mitten in der Nacht an und habe einen langen Arbeitsweg. Aber wenn ich deswegen mecker, dann kommt immer der absolut nervige Spruch `So lange du die Füße unter unserem Tisch hast gelten unsere Regeln`. Wie ich den hasse. Kommt mein Vater von der Arbeit, isst er Abendbrot und verzieht sich dann in seine kleine Werkstatt.
Auf dem Weg ins Haus leere ich noch den Briefkasten Mit der Post und der kostenlosen Wochenzeitung in der Hand, tippe ich flink den Code ein und öffne die Haustür. Schnell erklimme ich die Stufen, schiebe die Flurtür auf und schon springt mir ein grauer Fellball entgegen. Mein Peterle hat die Angewohnheit gern auf Leute zu springen, was meistens sehr schmerzhaft ist, wenn er sich festkrallt und vor allen Dingen wenn man sich nicht darauf vorbereitet. Vorsichtig entferne ich seine Pfoten von meiner Brust und kraule ihn hinter den Ohren, was er besonders liebt. „Na Dickerchen, warst du wieder in meinem Zimmer?“, frage ich ihn schmunzelnd, mir ist schon aufgefallen das die Schiebetür und die Zimmertür offen stehen. Man kann machen was man will, die Türen bekommt er immer auf.
Den Kater absetzend gehe ich als erstes ins Bad, ziehe mich aus und werfe die Arbeitsklamotten in den Wäschekorb. Als ich die Badtür schließen will, trifft mich ein beleidigter Blick von Peterle. „Jetzt dusche ich erst mal, dann gibt es was zu essen“, verspreche ich ihm und schließe die Tür ganz. Nach einer ausgiebigen Dusche, folgt mir der Kater in die Küche. Nachdem sein Futternapf aufgefüllt wurde und er, zufrieden schmatzend, davor sitzt, bereite ich mir Rührei zu. Schnell schmiere ich mir noch ein Butterbrot dazu und lasse mich am Küchentisch nieder. Während des Essens blättere ich in der Zeitung und ignoriere den, wieder mal langen Zettel meiner Mutter völlig. Mein Blick bleibt bei den Kontaktanzeigen hängen.
Interessiert überfliege ich die Spalten. `Er sucht Sie´, ´Sie sucht Ihn´, davon sind ja wie immer massenweise vorhanden. Aha, da sind auch zwei unter ´Er sucht Ihn´. Manchmal sind wochenlang keine solchen Anzeigen in der Zeitung, aber diesmal habe ich Glück. Ja ich gebe zu, jede Woche schaue ich nach. Da ich oft zu Hause bleibe und auch nicht so offen auf andere zugehen kann, habe ich mir schon öfters überlegt mal auf eine Anzeige zu antworten. Einen Partner hätte ich schon gern, nur so einfach ins Haus geschneit kommt ja auch keiner.
Also mal schauen. `Er, netter, sportl. Typ (50) sucht schlanken…`, okay, das ist mir zu alt. Aber das hört sich gut an `Bist du auch so einsam wie ich? Dann melde dich bei mir, Sandro, 29, 1,90, schl., tierlieb und vielseitig interessiert.´ Angegeben ist eine Chiffrenummer, also schon mal keine Partnervermittlung, das ist gut. Ein ehemaliger Kollege, allerdings Hetero, hat mal eine Partnervermittlung erwischt und sollte erst mal 50 Euro zahlen, keine Ahnung für was genau, aber er hat dann dankend verzichtet. Schnell schiebe ich mir noch den letzten Bissen in den Mund und räume mein Geschirr in die Spülmaschine. Wenn ich schon mal dabei bin wandert auch noch das herumstehende schmutzige Geschirr hinterher. Meine Eltern bekommen es einfach nicht gebacken, es gleich selber zu tun. Ich schiebe einen Tabs in die vorgesehene Öffnung und stelle die Maschine an. Gedanklich hake ich den Punkt schon mal ab, der unter Garantie, mit auf der Aufgabenliste steht.
Mit der Zeitung in der Hand, betrete ich mein Zimmer. Der Kater schleicht natürlich hinter mir her, springt sofort aufs Bett, kriecht halb unter die zerwühlte Bettdecke und schon bald ist er eingeschlafen. Ja, es ist schon schwer, so ein Katerleben. Schmunzelnd setze ich mich an den Schreibtisch, nehme mir meinen Briefblock und einen Stift. Die Zeitung ausgebreitet, lese ich mir die Anzeige noch mal durch. Tief durchatmend greife ich mir den Stift und fange einfach mal an zu schreiben.
Hallo Sandro,
ich habe deine Anzeige in der Zeitung gelesen. Mein Name ist Marcel, ich bin 26 Jahre alt und 1,75 m groß. Von Beruf bin ich Konditor, daher auch nicht der schlankste, weil man immer wieder zum naschen verführt wird. Auch ich liebe Tiere, habe selbst einen verwöhnten Kater, namens Peterle.
So weit, so gut. Nachdenklich streiche ich mir durch die Haare und überlege was ich noch schreiben könnte. Ein bisschen ist es wie Bewerbung schreiben, denke ich und muss grinsen. Okay, vielleicht noch was zum Aussehen und den Hobbys, also schreibe ich weiter
Meine Haarfarbe ist braun und die Augenfarbe grau-grün. Am liebsten lese ich so ziemlich alles, was mir unter die Finger kommt, backe auch privat sehr gerne und liebe lange Spaziergänge.
Und ich fahre wahnsinnig gerne mit meinem Frosch, einem grünen Suzuki.
Ich hoffe, dass ich dich ein wenig neugierig auf mich machen konnte und würde mich freuen von dir zu hören, beziehungsweise zu lesen.
Ganz liebe Grüße
Marcel
Geschafft. Flink falte ich den Bogen zusammen und stecke ihn in den Umschlag. Lesen werde ich den Brief lieber nicht mehr, sonst wandert er wahrscheinlich in den Papierkorb. Die Adresse der Zeitung, Chiffrenummer und meine Anschrift sind schnell geschrieben und jetzt fehlt nur noch die Briefmarke. Sicher, dass noch welche im Schubfach liegen, öffne ich dieses und habe Glück, eine ist noch da. Fertig frankiert nehme ich den Brief und gehe wieder in die Küche.
Lustlos nehme ich Mutters Aufgabenzettel zur Hand und schaue mir an, was heute wieder alles ansteht:
-Wäsche waschen
-aufhängen
-Spülmaschine einräumen und
anschalten
-Katzenklo säubern
-Küche und Bad wischen
-Wohnstube saugen
-Treppe kehren
-Zeitungen und Altglas wegschaffen
Na prima, der halbe Hausputz mal wieder. Zwei Punkte kann ich schon streichen, hätte mich auch gewundert wenn sie nicht drauf gestanden hätten. Im Bad fülle ich die Waschmaschine mit der Schmutzwäsche, gebe Waschmittel dazu und lasse sie laufen. Dann ziehe ich mir die Jacke und meine Schuhe an, schnappe mit den Beutel mit den alten Zeitungen, das Altglas und ganz wichtig, den Brief. Auf dem Weg zu den Containern komme ich am Briefkasten vorbei und werfe ihn gleich ein. Zufrieden und schon ein wenig aufgeregt, mache ich mich nach meiner Rückkehr an die Erledigung der anderen Aufgaben.
***
Drei Tage später.
Es ist Wochenende und ich habe, wie immer, frei. Bis jetzt habe ich noch keine Antwort von Sandro erhalten und bin ehrlich gesagt ein wenig enttäuscht. Aber Geduld ist wirklich nicht meine Stärke. Voller Hoffnung öffne ich den Briefkasten, nehme den Stapel heraus und beim durchsehen, finde ich einen Brief, der an mich adressiert ist. Aufgeregt lese ich den Absender und ja, der Brief ist wirklich von Sandro. Laut Adresse wohnt er in der Stadt, rund 20 Kilometer von hier. Mit leicht zittrigen Fingern öffne ich den Brief und fange gleich an zu lesen.
Hallo Marcel,
vielen Dank für deinen Brief. Du hast mich neugierig gemacht. Wie ich ja von dir weiß, hast du einen Kater und ich hoffe, du magst auch Hunde. Denn ich habe einen, der auf den Namen Rex hört. Ich habe ihn, mitten im Winter, in einem Karton ausgesetzt gefunden und er gehört, seit mittlerweile schon über 10 Jahren, zu meinem Leben dazu. Leider bin ich zurzeit arbeitslos und einen Führerschein habe ich auch nicht.
Okay, wie sehe ich aus? Meine Haare sind dunkelblond und sehr kurz geschnitten. Meine Augenfarbe ist blau. Bücher lesen ist gar nichts für mich, dafür interessiere ich mich sehr für Computer. Spazieren gehe ich auch gerne, schon alleine wegen Rex, damit er genug Auslauf hat. Und ich esse sehr gerne, – grins – besonders Süßes. Ansonsten bin ich ein ganz umgänglicher Typ, ich trinke keinen Alkohol, aber ich rauche. Ein Laster muss der Mensch haben, sag ich immer. So, wenn du immer noch Lust hast mich kennenzulernen, kannst du mir entweder wieder schreiben, oder du kannst auch anrufen. Ich hoffe bald wieder von dir zu hören.
Liebe Grüße
Sandro
Wow, er hat Interesse an mir, denke ich mit einem Kribbeln im Bauch, und er hat seine Telefonnummer mit dazu geschrieben.
In Gedanken versunken war ich stehen geblieben und zucke zusammen, als von oben die Stimme meiner Mutter dröhnt.
„Marcel?“, schreit sie aus dem Küchenfenster.
„Ja?“, fragend schaue ich nach oben.
„Kannst du mir mal verraten, wieso du so lange brauchst?“, schreit sie gleich weiter und nicht mal meine Antwort abwartend, setzt sie gleich hinterher, „Bring Bier mit hoch, vergiss das bloß nicht.“ Genervt verdrehe ich die Augen. Ich schiebe den Brief wieder in den Umschlag und stecke ihn in die Hosentasche. Schnell hole ich das gewünschte Bier und steige die Treppe hoch.
„Das wird auch Zeit“, keift meine Mutter rum, sofort, als ich die Küche betrete. Wortlos stelle ich den Korb mit dem Bier ab und verzieh mich in mein Zimmer. Wenn sie so drauf ist, dann sollte man sie besser in Ruhe lassen.
Vorsichtig setze ich mich aufs Bett, denn falls Peterle in einem unbemerkten Augenblick in mein Zimmer geschlichen sein sollte und es sich wieder unter der Decke bequem gemacht hat, will ich ihn ja nicht zerdrücken. Schon höre ich das leichte Schnarchgeräusch von ihm, er hat sich wirklich ganz unter der Decke versteckt. Also rücke ich zur Seite, lehne mich mit dem Rücken an die Wand an und ziehe den Brief aus der Hosentasche. Immer wieder lese ich die Zeilen und finde Sandro immer interessanter. Leise erhebe ich mich und hole mir das schnurlose Telefon vom Flurtisch. Mein Herz hämmert wild in der Brust und meine Hände schwitzen. Telefonieren tue ich überhaupt nicht gerne, schon gar nicht, wenn ich den anderen noch nicht persönlich kenne. Tief durchatmend, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und wähle die Nummer. Es klingelt.
Je länger das Klingeln dauert, umso nervöser werde ich. Jetzt springt auch noch der Anrufbeantworter an und fordert mich auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Wie ich diese Teile hasse. Schnell nenne ich meinen Namen und meine Telefonnummer, dann lege ich auf. Jetzt heißt es also warten und ich lege mich zu meinem Kater aufs Bett. Ich bin leicht eingenickt, denn als das Telefon klingelt, zucke ich so sehr zusammen, das Peterle vor Schreck flüchtet, auf die Klinke springt und im Flur verschwindet. Aus der Küche höre ich wie meine Mutter meckert, „Geht mal jemand an das blöde Telefon?“ Schnell drücke ich auf den grünen Hörer und melde mich, „Hier bei Schieber.“
„Hallo, hier ist Sandro“, dringt es mit sanfter Stimme, welche mir eine Gänsehaut beschert, an mein Ohr. „Könnte ich den Marcel sprechen?“ Auf einen Schlag bin ich hellwach und mein Herz beginnt wieder vor Aufregung zu rasen. Einigermaßen verständlich antworte ich ihm, „Hallo … ich bin dran.“
„Tut mir leid, dass ich nicht da war, aber mein Nachbar hatte was dringendes zu erledigen und brauchte meine Hilfe“, erklärt er mir. Bei dieser Erklärung muss ich schmunzeln und beruhige ihn
„Hey, ist okay, du kannst ja nicht den ganzen Tag am Telefon sitzen.“ Dann herrscht erst einmal Stille, anscheinend ist er genauso aufgeregt wie ich. Fieberhaft überlege ich mir, was ich als nächstes sagen könnte.
„Du hast eine sehr schöne Stimme Marcel“, unterbricht er meine Überlegungen, was mir ein Lächeln auf das Gesicht zaubert.
„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, erwidere ich lächelnd, „deine gefällt mir auch.“
„Ich muss dir was gestehen“, fängt er wieder an, „ich war überrascht als ich deinen Brief erhalten habe, denn ich habe die Anzeige nicht in die Zeitung gesetzt. Ich wusste nicht mal davon.“ Jetzt bin ich doch ein wenig irritiert und muss nervös schlucken. „Aber“, redet er weiter, „ich bin wirklich froh darüber, denn dadurch habe ich dich kennengelernt.“ Glücklich über dass, was er gesagt hat, will ich dann neugierig wissen, „Wer hat denn dann die Annonce aufgegeben, wenn nicht du?“
„Das war mein bester Freund“, fängt er zu erzählen an, „er ist vor kurzem in eine andere Stadt gezogen und wollte mich nicht so allein zurücklassen. Also hat er die Anzeige geschaltet und gehofft, dass sich jemand meldet.“ Das, denke ich beeindruckt, ist wirklich ein bester Freund, wenn er sich solche Sorgen um ihn macht.
Über zwei Stunden reden wir noch, fragen uns gegenseitig aus und am Ende sind wir uns einig, dass wir uns am nächsten Freitagnachmittag treffen wollen. Da ich motorisiert bin, werde ich zu ihm fahren und er erklärt mir den Weg. Da er am Stadtrand wohnt, ist es einfach zu ihm zu gelangen und ich traue es mir zu, trotz meines miserablen Orientierungssinns. Voller Vorfreude auf das Treffen, verabschieden wir uns und glücklich lege ich auf.
Als ich das Telefon wieder auf die Ladestation im Flur stelle, ruft mich meine Mutter in die Küche. „Wer war das?“, fragt sie gleich, kaum dass ich eingetreten bin.
„Jemand, mit dem ich mich am Freitag treffen werde“, informiere ich sie.
„Hast du endlich mal ein Mädchen gefunden?“, fragt sie, erstaunlicherweise interessiert. „Ich dachte schon du bist schwul, oder einfach nur zu dumm dazu“, schießt sie ätzend nach, „schließlich will ich mal Enkelkinder haben.“ Diese Leier höre ich mir schon seit Jahren an. Wenn sie wüsste, dass ich tatsächlich schwul bin und es nie mit Enkelkindern klappen wird, hätte ich keine ruhige Minute mehr. Denn bis jetzt war ich zu feige, es meinen Eltern zu sagen. Sollte sich mit Sandro allerdings mehr entwickeln, dann wird mir nichts anderes übrig bleiben. Dieses Wissen verursacht mir Magenkrämpfe, wo doch gerade noch die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch flatterten.
***
Die Woche vergeht quälend langsam. Je näher der Freitag kommt, desto aufgeregter werde ich. Immer wieder denke ich an das Gespräch mit Sandro zurück. Nur seine Stimme hat mich schon kribbelig gemacht, wie wird es sein, wenn er persönlich vor mir steht?
Dann ist es endlich so weit. Es ist Freitag. Pünktlich mache ich Feierabend und in Rekordzeit bin ich zu Hause. Wie immer erwartet mich Peterle schon an der Schiebetür und springt mir entgegen, kaum dass ich sie geöffnet habe. Schmerzhaft bohren sich seine Krallen in meine Schulter. „Hallo Dickerchen“, begrüße ich ihn und löse ihn vorsichtig von mir und setze ihn ab. „Komm, du bekommst jetzt dein Essen“, locke ich ihn und er folgt mir in die Küche. Dort hole ich eine Dose Katzenfutter aus dem Schrank und habe Mühe, sie in seinen Fressnapf zu entleeren, da er schnurrend um meine Beine streicht und immer wieder nach der Dose tapst. Als alles, einigermaßen unfallfrei, dann doch in der Schüssel gelandet ist und er sich schmatzend davor niedergelassen hat, gehe ich ins Bad. Nicht einen Blick werfe ich heute auf den Zettel, der wie immer, mitten auf dem Küchentisch liegt.
Spontan entscheide ich mich, mir ein Bad zu gönnen, obwohl ich eigentlich lieber dusche. So ein entspannendes Bad, tut mir sicher gut, denn ich bin wirklich wahnsinnig nervös, wenn ich an Sandro und unser heutiges Treffen denke. Als die Wanne voll ist, lasse ich mich in das warme Wasser gleiten. Ich versuche mich zu entspannen und ein wenig gelingt mir das sogar. Nach einer halben Stunde verlasse ich die Wanne, trockne mich ab und rasiere mich noch mal neu. Als ich die Badtür öffne, sehe ich, dass die Türen, von der Küche und meinem Zimmer, offen stehen. Es sieht so aus, das Peterle sich zu seinem Mittagsschläfchen ins Bett zurückgezogen hat, was mir ein schneller Blick bestätigt. Auf dem Weg zum Kleiderschrank, streichle ich ihm kurz über den Rücken, was ihn zum schnurren bringt. Ich suche mir frische Unterwäsche, meine Lieblingsjeans und eine schwarzen Pullover raus und ziehe mich an. Noch mal ein kurzer Zwischenstopp im Bad, wo ich mir die Haare noch mit ein wenig mit Gel in Form bringe und los geht’s. Während ich mir die Jacke anziehe, schlüpfe ich in meine Schuhe, nehme den Autoschlüssel vom Board und stecke noch die Geldbörse ein.
Als ich die Haustür öffne, steht meine Mutter davor. Freitags hat sie immer eher Feierabend. Scheiße, denke ich, wäre ich fünf Minuten schneller gewesen, dann hätte ich mir das jetzt erspart. „Wo willst du hin?“, kommt natürlich die ewig gleiche Frage.
„Ich bin verabredet. Das habe ich dir am Wochenende gesagt“, antworte ich ihr, ein wenig schroffer, als ich wollte.
„Hast du deine Arbeit erledigt?“, fragend, schaut sie mich an. Die Augenbrauen nach oben gezogen, erwidere ich ihr zischend,
„Nein, ich habe keine Zeit dafür gehabt, außerdem bist du doch jetzt da und kannst auch mal was machen.“
„Nicht in dem Ton, mein Freund“, schreit sie gleich los, „solange … „
„Ja, Ja“, unterbreche ich sie aufgebracht, „Solange ich die Füße unter eurem Tisch habe, gelten eure Regeln. Das kenne ich inzwischen auswendig.“ Mich mühsam beherrschend, um nicht auch noch zu schreien, setzte ich dazu, „Das heißt aber nicht, dass ich alles alleine machen muss, schließlich gehe ich genauso arbeiten, wie ihr. Und was du heute noch unbedingt erledigt haben willst, musst du ausnahmsweise mal selber machen.“ Bevor sie einen Ton rausbekommt, drehe ich mich um und renne regelrecht zu meinem Auto. Was sie mir dann doch noch hinterherschreit kann ich nicht verstehen, ist wahrscheinlich auch besser so. Genau deswegen wollte ich weg sein, bevor sie nach Hause kommt.
Aufgewühlt starte ich das Auto, setze zurück und verlasse den Hof. Etwa eine halbe Stunde wird die Fahrt dauern, genug Zeit, wieder etwas runter zu kommen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich so mit ihr anlege und genau deswegen würde ich eigentlich gerne ausziehen. Nur, wenn dann mein Vater vor mir steht und er mich, fast schon anflehend bittet, es mir doch noch mal zu überlegen, dann werde ich immer wieder weich. Mit ihm verstehe ich mich eigentlich ganz gut. Nur, wenn Mutter mal wieder vor ihm rum heult und sich über mein Benehmen ihr gegenüber beschwert, dann steht er auf ihrer Seite. Wahrscheinlich, um selbst seine Ruhe zu haben.
***
Energisch schiebe ich die Gedanken an meine Eltern beiseite. Und augenblicklich stellen sich wieder die Aufregung und das nervöse Kribbeln ein. Die Stadtgrenze habe ich erreicht, jetzt muss ich mich konzentrieren und mich genau erinnern, was Sandro gesagt hat. Ohne mich zu verfahren, stehe ich zehn Minuten später vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er wohnt. Nachdem ich ausgestiegen bin, verschließe ich sorgsam meinen Frosch und tätschele ihm liebevoll das Dach. Ich atme noch ein paar Mal tief durch, um das nervöse Magenflattern etwas zu beruhigen und drücke auf die Klingel, neben der `Kieslich S. ` steht. Da es keine Sprechanlage gibt, ertönt gleich darauf der Summer der Tür und ich stoße sie auf. Sandro wohnt im zweiten Stock und ich beginne die Treppen hoch zusteigen. Auf dem letzten Absatz angekommen, hebe ich meinen Blick und schaue in stechend blaue Augen.
´Wahnsinn´, ist mein erster Gedanke. Langsam steige ich die letzten Stufen hoch, und kann meinen Blick nicht von seinen Augen lösen. Lächelnd streckt er mir seine Hand entgegen, die ich zögerlich umfasse. Die Berührung lässt meine Hand kribbeln, das Kribbeln wandert über den Arm und breitet sich schnell in meinem ganzen Körper aus. „Hallo Marcel“, begrüßt er mich und schaut mich strahlend an.
„Hallo“, erwidere ich. Mein Herz schlägt heftig in der Brust und auch die Schmetterlinge flattern wieder in meinem Bauch.
„Komm rein“, bittet er mich und ich folge ihm in die Küche, es riecht leicht nach Zigarettenrauch. Das Fenster ist offen und auf der Fensterbank steht ein Aschenbecher. „Entschuldige, ich habe noch schnell eine geraucht“, meint er verlegen, „ich war nervös.“
„Kein Problem“, beruhige ich ihn, „es stört mich nicht. Gelegentlich rauche ich auch gerne mal eine.“
Ein Fiepen unterbricht uns und Sandro deutet mir an, ihm zu folgen. „Erschreck jetzt nicht“, warnt er mich vor, „Rex ist immer ein wenig wild, wenn jemand da ist, aber er ist sonst ganz harmlos.“ Vorsichtig öffnet er die Wohnzimmertür, hinter der weiterhin ein aufgeregtes Fiepen zu hören ist und kaum das sie einen Spalt offen ist, drängt sich eine spitze Schnauze durch. Sandro öffnet die Tür nun ganz und ein Lassie-Verschnitt kommt mir entgegengesprungen. Aufgeregt schnüffelt er an mir, ich halte ihm meine Hand entgegen und schon schleckt er sie freudig ab. „Rex komm!“, ruft Sandro, der Hund reagiert prompt und stürzt zu seinem Herrchen ins Zimmer. Ich entledige mich meiner Jacke, ziehe die Schuhe aus und folge dann den beiden. „Setzt dich doch“, bietet er mir an und ich lasse mich auf einem Sessel nieder. Der Hund drängt sich zwischen meine Beine und ich kraule ihn hinter den Ohren, was ihm sehr zu gefallen scheint. „Willst du was trinken?“, fragt Sandro mich, „ich kann dir Cappuccino, Tee oder Himbeerbrause anbieten“, zählt er auf.
„Tee, würde ich nehmen“, entscheide ich mich.
„Okay, bin gleich wieder da“, sagt er, wieder mit einem umwerfenden Lächeln und geht in die Küche, um das Gewünschte zu holen. Währenddessen schaue ich mich ein wenig um, den Hund kraule ich weiter, der das sehr zu genießen scheint und sich zu meinen Füßen niedergelassen hat.
An der einen Wand stehen schwarze Regale mit einem großen Schreibtisch davor, eine große Schlafcouch steht gegenüber an der anderen Wand, davor ein Tisch und der Sessel, indem ich sitze. Ein Glasschrank steht noch neben der Couch, indem er, wie es aussieht Sammelgläser aufbewahrt. Mit zwei dampfenden Tassen in der Hand, kommt Sandro wieder ins Zimmer und stellt eine davon, gefüllt mit Tee, vor mir auf den Tisch. Er selber scheint Cappuccino zu trinken. Mein Blick folgt ihm, als er zu seinem Schreibtisch geht, die Tasse abstellt und sich auf den Stuhl fallen lässt. Er sieht einfach fantastisch aus. Kaum das er sitzt er, schaut er mir tief in die Augen. Das Blau seiner Iris ist der helle Wahnsinn, so eins habe ich noch nie gesehen. „Bist du gut hergekommen, oder hast du dich irgendwo verfahren?“, fragt er mich grinsend. Ich hatte ihm bei unserem Telefongespräch verraten, dass ich absolut keinen Orientierungssinn besitze und daraufhin hat er mir den Weg so präzise wie möglich beschrieben.
„Ich hab ohne Umwege hierher gefunden“, erzähle ich ihm stolz und er nickt anerkennend.
„Wie war dein Tag?“, fragt er weiter und beobachtet mich, wie ich einen Schluck von dem Tee trinke.
„ Ganz locker eigentlich, kein Stress und pünktlich Feierabend“, antworte ich, und werde ein wenig nervös unter seinem Blick. Am Telefon war es einfacher mit ihm zu reden, jetzt komme ich mir so beobachtet vor. Obwohl ich meinen Blick auch kaum von ihm lösen kann. „Rex!“, ruft er, zeigt unter den Schreibtisch und mit hängendem Kopf schleicht der Angesprochene dorthin. Sandro steht auf, kommt zu mir rüber und kniet sich vor den Sessel und schiebt sich zwischen meine Beine. „Weißt du was ich schon die ganze Zeit machen will, seitdem du hier bist?“, fragt er leise flüsternd und seine Hand legt sich warm in meinen Nacken. Ich kann nur den Kopf schütteln, mein Herz rast und Sprechen ist nicht mehr möglich. „Das“, stößt er noch hervor, zieht mich zu sich ran und schon liegen seine Lippen auf meinen. Zärtlich streicht er mit seiner Zunge darüber, stupst immer wieder zaghaft an meine Lippen und ich öffne sie. Seine Zunge taucht in meinen Mund, erst vorsichtig tastend, dann immer leidenschaftlicher. Wie von selbst legen sich meine Arme um ihn.
Nach einer Weile lösen wir uns atemlos von einander. „Wow!“, stoßen wir beide gleichzeitig aus.
„Ehrlich, ich habe nie an die `Liebe auf den ersten Blick` geglaubt“, fängt er an, „aber als du die Treppe hochgekommen bist, war es um mich geschehen.“ Verlegen schaut er mich an. Immer noch überwältigt, von dem eben erlebten Kuss, kann ich ihn nur strahlend anlächeln. Wieder treffen sich unsere Lippen und für geraume Zeit, ist nur hin und wieder, ein leises Stöhnen von uns beiden zu hören. Ein leises Fiepen holt uns schließlich wieder in die Wirklichkeit zurück. Lachend löse ich mich von Sandro´s Lippen und schaue über seine Schulter zu Rex. „Ich glaube, da ist jemand eifersüchtig“, flüstere ich schmunzelnd zu dem Mann in meinen Armen. Grinsend schaut er zu seinem Hund.
„Ja, sieht so aus.“ Dann schaut er mich wieder an. „Er musste mich schon lange nicht mehr teilen, aber er wird sich dran gewöhnen müssen“, sagt er grinsend. „Allerdings kann es auch sein, dass er mich daran erinnern will, mit ihm Gassi zu gehen“, lachend erhebt er sich und streckt mir seine Hand entgegen. „Hast du Lust mitzukommen?“
„Ja, gerne“, erwidere ich, greife nach Sandro´s Hand und lass mich auf die Füße ziehen.
***
Wie auf Stichwort, erhebt sich Rex und steht, mit dem Schwanzwedelnd, vor uns. Lachend gehen wir in den Flur und ziehen uns an. Sandro steckt noch einen Tennisball ein, nimmt den Hund an die Leine und wir verlassen die Wohnung. Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinander her, während Rex an jeder Ecke schnüffelt und Markierungen setzt. Zögerlich greift Sandro nach meiner Hand, noch kurz abwartend, ob ich sie wegziehe, wird sein Griff schnell fester. Hand in Hand gehen wir weiter, reden und lachen. Einfach glücklich, dass wir uns gefunden haben. Sandro zeigt mir seine Lieblingsplätze, wir kommen an mehreren, großen Wiesen vorbei, da lässt er den Hund frei laufen und ungestüm bringt Rex immer wieder den Ball zurück, den wir abwechselnd wegschmeißen. Nach über zwei Stunden sind wir wieder zurück in der Wohnung. Gemeinsam versorgen wir den Hund mit Essen, dann machen wir uns selbst eine Kleinigkeit.
Nach dem Essen, kuscheln wir uns gemütlich auf die Couch, immer wieder finden sich unsere Lippen zu leidenschaftlichen Küssen. „Bleibst du heute Nacht bei mir?“, fragt Sandro, nach einem weiteren Kuss. „Wir müssen nichts machen, was du nicht willst“, fügt er dazu.
„Ja“, ist meine schlichte Antwort und er strahlt mich glücklich an.
Später ziehen wir uns ins Schlafzimmer zurück und Sandro schließt die Tür. „Ich habe ungern Zuschauer“, zwinkert er mir zu. Plötzlich fällt mir aber noch ein, dass ich doch wenigstens eine SMS an meine Eltern schicken sollte, unnötig Sorgen will ich ihnen nun doch nicht bereiten. Schnell ist die Nachricht getippt und abgeschickt.
Kaum habe ich das Handy abgelegt, zieht mich Sandro auf das Bett und nimmt mich in die Arme. Stürmisch erobert er meine Lippen und drückt mich mit seinem Gewicht in die weiche Matratze. Stöhnend winde ich mich unter ihm, als er mich Stück für Stück auszieht und gleich jedes Stückchen nackte Haut mit Küssen verwöhnt. Irgendwann wechseln wir die Positionen und ich schäle ihn aus seinen Sachen. Danach verwöhne ich ihn, wie er es bei mir gemacht hat, bis er keuchend und nach Atem ringend, nach einer geschickten Drehung von ihm, wieder auf mir liegt. Aufreizend reibt er sich an mir, schiebt eine Hand zwischen unsere Körper und umfasst unsere pochenden Schwänze, reibt sie aneinander. Laut stöhne ich auf, will ihn warnen, „Sandro … ich …“. Doch zu spät, schon überrollt mich der Orgasmus, so heftig, wie ich noch nie einen erlebt habe, um dann zu spüren wie ich mich warm zwischen uns ergieße.
Schwer atmend schaue ich Sandro verlegen an. „Sorry, aber…“, will ich mich entschuldigen, da legt er einen Finger auf meinen Mund,
„Schscht… dafür brauchst du dich ganz sicher nicht entschuldigen“, flüstert er und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Grinsend reibt er seinen Unterleib an mir und ich fühle seinen immer noch harten Schwanz an meinem Oberschenkel.
„Oh“, entfährt es mir und mir müssen lachen.
„Ja … oh“, meint er, immer noch lachend. „Was können wir dagegen tun?“, fragt er grinsend.
„Schlaf mit mir!“, fordere ich ihn auf.
„Bist du dir sicher?“, fragt er überrascht. „Ich will dich zu nichts drängen, schließlich kennen wir uns kaum.“
„Ich bin mir sicher. Ich glaube ich habe mich auch in dich verliebt“, gestehe ich ihm. Fassungslos schaut er mich an und ich muss grinsen. „Naja, eigentlich schon in deine Stimme“, verrate ich dann auch noch. Mit leuchtenden Augen zieht er mich auf seine Brust und küsst mich. Gierig wandern seine Hände über meinen Körper, streicheln über den Rücken zum Po. Während ich ebenfalls meine Hände über seinen Körper gleiten lasse, greift er zum Nachtschrank und holt Gleitgel und ein Kondom aus dem Schubfach. Er dreht mich auf den Rücken und legt sich zwischen die Beine. Zärtlich bereitet er mich vor, verwöhnt mich erst mit einem, dann mit zwei Fingern. Als er sie zurückzieht, stöhne ich enttäuscht auf. Schnell bereitet er sich vor, gibt reichlich Gel auf seinen Schwanz und meinen Eingang, legt sich wieder zwischen meine Beine und schön spüre ich, wie er langsam Stück für Stück in mich eindringt. Als er ganz mit mir verbunden ist, hält er inne und schaut mir in die Augen. Ganz langsam und vorsichtig beginnt er sich zu bewegen. Wimmernd winde ich mich unter ihm, bitte ihn schneller zu werden. Er kommt meiner Aufforderung nach, treibt sich immer schneller und härter in mich, bis ich von einem erneuten Höhepunkt überrollt werde und mich aufstöhnend zwischen uns ergieße. Gleichzeitig erreicht auch Sandro, mit einem Schrei, seinen Höhepunkt, sackt auf mir zusammen und wir bleiben, schweratmend liegen. Nach einer Weile zieht er sich vorsichtig aus mir zurück, entsorgt das Kondom neben dem Bett. Wir ziehen die Bettdecke über uns und schlafen fest aneinander gekuschelt ein.
Herzhaft gähnend und mich wohlig streckend wache ich am nächsten Morgen auf. Ein glückliches Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an gestern denke. Da ich den warmen Körper an meinem Rücken vermisse, drehe ich mich um und stelle fest, dass das Bett leer ist. Mein Lächeln verschwindet und unsicher stehe ich auf, schnappe mir meine Sachen, die ich schnell überziehe. Langsam öffne ich die Schlafzimmertür, auch im Wohnzimmer ist niemand. In der Küche finde ich einen Zettel, der am Wasserkocher lehnt. `Guten Morgen Schatz. Bin mit Rex draußen. In der Thermoskanne ist Tee für dich. Ich bringe frische Brötchen mit. Kuss Sandro`
Erleichtert atme ich auf. Natürlich … er muss ja mit Rex raus.
Nachdem ich mich im Bad frisch gemacht habe, beschließe ich den Frühstückstisch zu decken. Schnell ist alles gefunden und in die Wohnstube gebracht. Schon höre ich die Schlüssel im Schloss, dann stürmt mir Rex entgegen und als ich mich zu ihm hocke, schleckt er mein Gesicht ab. Lachend halte ich ihn zurück, da es mir doch jetzt zu feucht wird. Sandro kommt mit der Brötchentüte ins Zimmer geschlendert, beugt sich zu mir runter und gibt mir einen Kuss. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, fragt er und legt die Brötchen auf den Tisch.
„Ja, ich kann nicht klagen“, erwidere ich, „ich habe gar nicht mitbekommen, wie du aufgestanden bist.“ Sandro nimmt neben mir Platz, öffnet die Tüte und legt jedem ein Brötchen auf den Teller.
„So sollte es sein“, meint er grinsend, „du sahst so niedlich aus beim Schlafen, da habe ich mich leise raus geschlichen.“ Leicht verlegen, fange ich an mein Brötchen aufzuschneiden, bestreiche es mit Margarine und entscheide mich für Erdbeermarmelade. Sandro tut es mir gleich und wir lassen es uns schmecken.
„Willst du übers Wochenende bleiben?“, forschend schaut er mich an. Überrascht drehe ich mich zu ihm, „Ist das dein Ernst?“
„Natürlich, sonst hätte ich nicht gefragt“, meint er kauend.
„Gerne“, strahle ich ihn an, „da fahr ich dann schnell nach Hause, packe ein paar Wechselsachen und meine Arbeitsklamotten ein und schon bin ich wieder hier.“
„Soll ich mitkommen?“, fragt er.
„Öhm … nein. Lieber nicht“, lehne ich ab. „Sei mir nicht böse, aber meine Eltern wissen noch nicht das …“, nervös schlucke ich, „dass ich schwul bin.“
Fassungslos schaut er mich an, „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
„Doch … leider“, gebe ich zu, “Aber ich werde es ihnen heute sagen. Keine Ahnung, wie sie reagieren werden.“ Schweigend beenden wir unser Frühstück und ich ziehe mir Jacke und Schuhe an. An der Wohnungstür nimmt mich Sandro ganz fest in den Arm und gibt mir einen stürmischen Kuss. „Bis nachher und fahr vorsichtig“, verabschiedet er sich von mir, „und halt die Ohren steif.“
***
Auf der Heimfahrt, wird mir erst mal richtig bewusst, was ich da zum Sandro gesagt habe. In meinem Magen bildet sich ein dicker Knoten, oh Mann, hoffentlich geht das gut.
Eine halbe Stunde später biege ich auf den Hof ein und stelle mein Auto ab. Nervös laufe ich zur Haustür, vertippe mich zweimal beim Haustürcodeeingeben, doch als ich es endlich schaffe, öffne ich sie. Ich schleiche die Treppe nach oben und schiebe vorsichtig die Schiebetür auf. Heute wartet Peterle nicht auf mich, er scheint aber in meinem Zimmer zu sein, denn die Türen stehen offen. Meine Mutter muss in der Küche sein, denn ich kann die Moderatorin des Shoppingkanals bis in den Flur hören. Tief durchatmend, drücke ich die Klinke der Küchentür nach unten und trete ein. „Guten Morgen“, grüße ich sie. Mir ist schlecht und mein Magen fährt Achterbahn vor Nervosität, als ich ihre spöttische Stimme vernehme. „Ach, hat der Herr auch mal nach Hause gefunden.“ Ihre Bemerkung überhörend, frage ich sie, „Wo ist Papa?“
„Der ist nicht da“, erwidert sie, was mir einen enttäuschten Seufzer entlockt, „aber du kannst dich gleich um die Wäsche kümmern.
„Nein! … kann ich nicht“, widerspreche ich ihr mit angespannter Stimme, „dass musst du wohl selber erledigen, denn ich werde das Wochenende bei jemanden verbringen. Eigentlich bin ich nur gekommen, um mir ein paar Sachen zu holen“, erkläre ich ihr, „Ach ja, ich fahre auch gleich von da aus zur Arbeit. Also sehen wir uns erst Montagnachmittag.“ Ich kann ihrem Gesicht ansehen, dass ihr das überhaupt nicht passt und meine Widerworte reizen sie gleich wieder, so dass sie mir schon fast ihre Frage entgegen schreit, „Was soll das den heißen, bitteschön?“
„Das heißt ganz einfach“, wiederhole ich so ruhig, wie möglich, „dass ich das Wochenende nicht da bin und du dich mal selbst um alles kümmern musst.“ Ich drehe mich um, verlasse die Küche und beeile mich, in meinem Zimmer ein paar Sachen in die Reisetasche zu stopfen. Fertig. Als ich wieder in den Flur komme, steht meine Mutter da und fängt gleich an zu keifen, „Solange du deine Füße unter unserem Tisch hast, gelten unsere Regeln.“ Jetzt hat sie aber echt den Bogen überspannt und Wut steigt in mir hoch, die Nervosität ist verschwunden und mühsam beherrscht antworte ich ihr,
„Ich bin s-e-c-h-s-u-n-d-z-w-a-n-z-i-g und kein kleines Kind mehr. Wenn ich das Wochenende woanders verbringen will, dann tue ich das auch, ob es dir passt, oder nicht.“
Damit drehe ich mich zur Treppe um und will gerade die Stufen runter gehen, als sie wieder anfängt,
„Ist dir diese Schlampe also wichtiger, als deine Familie?“ Langsam drehe ich mich um. Jetzt muss ich aber erst mal wirklich tief durchatmen, sonst explodiere ich. Mit schneidender Stimme entgegne ich ihr und zähle an den Fingern ab, „Zu allererst, ist es keine Schlampe, wie du es ausdrückst, sondern ein Kerl.“ Die Augen meiner Mutter werden riesig. „ Zweitens“, fahre ich fort, „ja, denn ich habe auch noch ein eigenes Leben. Und Drittens“, jetzt schaue ich ihr fest in die Augen, „ich bin schwul. Und ich werde jetzt zu diesem Kerl fahren, in den ich mich verliebt habe und bei ihm übers Wochenende bleiben.“ Sprachlos steht meine Mutter da und ich muss grinsen. Dann drehe ich mich um und steige die Treppe runter.
***
1 Jahr später.
Als ich die Wohnungstür öffne, springt mir ein grauer Fellball entgegen. „Hey Dickerchen“, begrüße ich Peterle und pflücke ihn wiedermal von meiner Brust. Kaum habe ich den Kater abgesetzt, kommt schon der nächste zur Begrüßung und versucht mir einen feuchten Kuss zu geben. „Rex lass!“, wehre ich ihn lachend ab und kraule ihn kurz hinter den Ohren. Als ich meine Jacke ausgezogen und die Schuhe abgestreift habe, kommt auch noch der letzte des Begrüßungskommandos. Ich lasse mich von ihm in die Arme ziehen und bekomme einen stürmischen Begrüßungskuss. „Hallo Schatz“, grinst Sandro mich an, nachdem er den Kuss gelöst hat. „Wie war dein Tag?“
„Stressig, aber jetzt ist er ja vorbei“, antworte ich ihm lachend.
„Dann komm, ich habe was zur Entspannung vorbereitet“, meint er augenzwinkernd und zieht mich durch die Wohnstube ins Schlafzimmer. Mit großen Augen betrachte ich das Bild, was sich mir bietet. Überall im Raum brennen Kerzen und eine Flasche Sekt steht auch bereit.
„Heute ist unser erster Jahrestag“, flüstert er mir ins Ohr.
Freudestrahlend drehe ich mich zu ihm um und lege meine Arme um ihn. „Wow, das ist wirklich schön.“ Stürmisch finden sich unsere Lippen, Sandro schließt, mit einem Fußtritt die Tür und wir feiern unser Einjähriges. Um Rex und Peterle müssen wir uns keine Sorgen machen, die verstanden sich vom ersten Tag an, als ich meinen Kater zu uns geholt habe.
Mit meinen Eltern stehe ich in Kontakt, mit meinem Vater mehr, als mit meiner Mutter, aber das stört mich nicht, den jetzt habe ich wirklich mein eigenes Leben und genieße es mit meinem Schatz.
ENDE
Texte: Micaela S.
Bildmaterialien: S. Hofschlaeger/pixelio.de, knipseline/pixelio.de, Rainer Sturm/pixelio.de, S. Licht
Lektorat: Sabine, Lara
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Caroline und Sabine
ihr
beide seit einfach toll
Und Ehlena, Danke für das tolle Cover