Cover

Titelei

Beatrix Lohmann

 

 

 

 

 

 

Satansbraten

 

 

 

 

 

 

 

Humorvoller Roman

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2015

2. Auflage 2016

 

Copyright © 2016 bei

Miko-Verlag

Lesen & Kunst

 

Hauptstraße 43

54314 Greimerath

 

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Cover: Niclas Treinen

 

 

www. Miko-Verlag.de

 

Ein Unglück kommt selten allein

 

So ein Mist! Ständig geht hier irgendetwas kaputt.

Ich stelle meine Einkaufstüten ab und versuche mit beiden Händen den Hausschlüssel ins Schloss zu drücken. Es klappt einfach nicht. Langsam werde ich sauer. Ich schaue an der Hausfront hoch, als wäre dort die Lösung des Problems zu finden.

Doch es ist alles wie immer. Die Fassade mit dem hellgrauen Reibeputz und den weiß abgesetzten Fensterlaibungen, die beiden mit lila Petunien bepflanzten Blumenkästen und die Hausnummer. Alles ist genau so, wie es sein soll. Also stochere ich weiter im Schloss herum und murmele:

»Nun mach schon, du dämliches Ding!«

In diesem Moment lässt sich der Schlüssel endlich ins Schloss stecken. Na, also. Geschafft! Doch ich habe mich zu früh gefreut. Das Schloss gibt ein unschönes Knirschen von sich und der Riegel schnappt mit einem viel zu lauten Geräusch zurück.

»Deine Tage sind gezählt, Schloss«, knurre ich und greife nach den Tüten. Ich schiebe die Tür auf und bleibe abrupt stehen.

So habe ich mein Haus heute Vormittag definitiv nicht verlassen. Erschrocken starre ich in die Diele. Dort sind Kleidungsstücke auf dem Boden verstreut, die Schubladen der Garderobe hängen halb aus der Führung und der Garderobenschrank steht offen.

Vor meinem geistigen Auge nimmt das Bild eines maskierten Mannes mit einer Brechstange in der Hand Gestalt an und Panik schlägt über mir zusammen, wie eine Welle. Mein Gott! Es ist jemand im Haus. Augenblicklich bleibt mir die Luft weg.

Im Bruchteil einer Sekunde lasse ich die Einkaufstüten, meine Handtasche und den Schlüsselbund fallen. Dann rette ich mich mit einem rekordverdächtigen Satz vor die Tür und laufe in Richtung Straße. Mein Herz klopft bis zum Hals und mir ist, als müsste ich ersticken.

In unserer ruhigen Wohngegend habe ich mich all die Jahre immer völlig sicher gefühlt. Nicht im Traum hätte ich geglaubt, dass es einmal mich treffen könnte. So etwas passiert doch immer nur den anderen. Ich bin fassungslos.

»Atmen Sie ruhig, Frau Berger«, höre ich die Stimme meiner Therapeutin, Frau Schmökel-Neumann. »Einatmen, drei, vier, fünf, sechs ... Ausatmen, drei, vier, fünf, sechs …

Die Atemübung funktioniert zumindest ansatzweise. Ich zittere zwar am ganzen Körper, doch ich atme, zähle bis sechs und kann wieder etwas klarer denken. Was jetzt?

Meine Nachbarn sind ausnahmslos berufstätig. Dort werde ich keine Hilfe finden. Ich stehe vor meinem Haus und atme. So weit, so gut. Aber das hilft mir nicht dabei, den Eindringling zu stellen. Ich sollte vielleicht …

Mein Handy!

Es steckt in der Handtasche, die jetzt dummerweise in der Diele liegt. Soll ich es wagen?

»Frau Berger, haben Sie keine Angst vor der Angst. Sie schaffen das.«

Mit Frau Schmökel-Neumanns Stimme im Ohr schleiche ich zurück zum Haus. Vorsichtig lausche ich an der Tür. Es ist kein Ton zu hören, also schiebe ich sie auf, schnappe mir meine Handtasche und bin wie der Blitz wieder draußen.

In sicherem Abstand zum Haus wähle ich mit wild pochendem Herzen die 110 und kann, als ich jemanden vom Polizeirevier in der Leitung habe, fast verständlich und zusammenhängend den Vorfall melden.

»Ist die Person noch drin?«, werde ich gefragt.

»Ich …, ich weiß nicht …«

»Gehen Sie nicht ins Haus! Warten Sie in der Nähe. Wir schicken einen Streifenwagen.«

»Danke, … vielen Dank …«, stammle ich und vor Erleichterung werden meine Knie ganz weich.

Ich schaue nach einem geeigneten Versteck umher und entscheide mich für die Thujahecke des gegenüberliegenden Gartens. Dahinter gehe ich in Deckung und beobachte durch die Zweige meine Haustüre. Falls der Einbrecher noch im Haus ist, muss er diesen Weg wählen, denn um über den hohen Zaun meines Gartens zu kommen, müsste er klettern können wie ein Affe.

Und richtig …

Gerade, als ich wieder etwas ruhiger werde, sehe ich, wie sich die Tür ganz langsam öffnet. Mein Herz klopft augenblicklich wieder schneller, und ich beobachte entsetzt und gleichzeitig fasziniert, wie eine Gestalt aus dem Haus tritt.

Der Einbrecher ist groß, bestimmt über eins achtzig, und hat eine sportlich schlanke Figur. Eine blaue Baseballmütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Na, klar, er will nicht erkannt werden, stelle ich mit detektivischem Spürsinn fest. Unter der Mütze schaut halblanges, dunkelbraunes, leicht gewelltes Haar hervor. Als der Mann ruckartig nach rechts und links schaut, erkenne ich einen dichten Vollbart. Mist! Sein Gesicht ist dadurch so gut wie unkenntlich gemacht und auch sein Alter kann ich so nicht einschätzen. Seine Kleidung ist unauffällig. Jeans, blaues Sweatshirt und Sportschuhe. Noch einmal schaut er sich prüfend um.

Vielleicht sucht er mich? Ich halte die Luft an. Jetzt bloß keinen Mucks! Nur einen Augenblick später ist er schon um die nächste Ecke verschwunden. Wieder Mist. Wäre er im Auto geflüchtet, hätte ich mir die Nummer merken können.

Ich überlege kurz, ob ich ihm folgen soll, doch so mutig bin ich nun ganz gewiss nicht. Ins Haus traue ich mich alleine auch nicht rein und so bleibe ich lieber in meinem grünen Versteck und warte auf Verstärkung. Nach einer scheinbaren Ewigkeit biegt ein Streifenwagen in die Straße ein und bleibt genau vor meinem Haus stehen.

Komisch. Im Film schleicht sich die Polizei immer an. Wenn ich der Einbrecher wäre, würde ich spätestens jetzt das Weite suchen und zur Not auch affengleich über den Zaun entschwinden.

Aus dem Auto sind ein Beamter und eine Beamtin in Uniform gestiegen und schauen sich suchend, aber in keiner Weise beunruhigt um.

»Ssstt!«, zische ich aus meinem Versteck.

Als sie in meine Richtung blicken, winke ich durch das Gestrüpp.

»Hier bin ich«, raune ich und winke noch etwas heftiger.

Der Polizist nickt und macht mir mit der Hand ein Zeichen, aus der Deckung zu kommen. Das ist so ganz anders, als in den Fernsehkrimis. Etwas enttäuscht verlasse ich das schützende Dickicht und trete auf die Polizisten zu.

»Er ist weg«, verkünde ich den beiden. »Ich habe ihn genau gesehen.«

»So, so«, meint der Polizist. »Sie haben uns angefordert?« Als ich nicke, fragt er: »Sind Sie die Geschädigte?«

»Ja, die bin ich. Mein Name ist Karin Berger und das ist mein Haus.« Ich deute hinüber.

»Ich bin Oberkommissar Gerber und dies ist Kommissarin Premmel«, stellt der Polizist sich und seine Begleitung vor.

»Freut mich«, erwidere ich.

»Wir werden jetzt ins Haus gehen, und nach dem Rechten sehen«, klärt mich Frau Premmel auf.

»Sie bleiben so lange hier draußen. Ist das für Sie in Ordnung? Geht es Ihnen so weit gut?«

»Ich habe mich schon mal besser gefühlt«, gebe ich zu.

Nachdem die beiden im Haus verschwunden sind, stelle ich mir vor, wie sie mit gezückter Dienstwaffe die Räume durchsuchen. Dabei fällt mir siedend heiß ein, dass ich heute Morgen meine schmutzige Unterwäsche auf dem Boden des Schlafzimmers habe liegen lassen.

Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf schießt.

»Wie peinlich«, murmele ich, als Herr Oberkommissar Gerber schon an der Tür erscheint und mich zu sich winkt.

»Erschrecken Sie nicht, Frau Berger, der Kerl hat ein ordentliches Chaos hinterlassen«, empfängt er mich dort und die Unterhose ist erst einmal vergessen.

Ich betrete zögernd das Haus. Der Zustand der Diele ist mir ja bereits bekannt und ich folge dem Polizisten ins Wohnzimmer. Als ich sehe, was der Kerl hier veranstaltet hat, habe ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Der Einbrecher hat sämtliche Schubladen herausgerissen, Schranktüren geöffnet und alle meine Sachen durchwühlt. Die DVDs sind achtlos im Zimmer verstreut. Auch meine geliebten Klassik CDs hat er einfach aus dem Schrank geworfen. Einige sind dabei aus ihrer Hülle gefallen und jetzt sicherlich zerkratzt und nicht mehr zu gebrauchen.

Die Glasvasen und die beiden Kristallkerzenständer hat er verschont, denn sie stehen allein und verlassen auf einem ansonsten leer gefegten Regalbrett. Doch einige meiner teuren Weingläser aus der Vitrine sind heruntergefallen und zerbrochen. Es sieht entsetzlich aus.

»Ich glaube, mir wird schlecht«, stöhne ich und starre auf den Boden, der mit Glasscherben und meinem heiß geliebten Krimskrams übersät ist.

Glücklicherweise ist Frau Premmel eine vorausschauende Person. Sie hakt sich schnell bei mir unter und bugsiert mich zu einem meiner Sessel. Ich lasse mich fassungslos hineinfallen und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann höre ich von weit weg Herrn Oberkommissar Gerbers Stimme:

»Sie haben noch Glück gehabt. So wie es aussieht, hatte der Mann wohl keine Zeit mehr, auch noch das obere Stockwerk zu durchsuchen. Hier unten hat er sich viel Zeit gelassen, aber Sie haben ihn offenbar gestört, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte.«

»Äh, was?«, frage ich und kann den Blick nicht von meinem verwüsteten Wohnzimmer wenden.

Frau Premmel spricht ganz langsam und betont:

»Kollege Gerber meint, dass der angerichtete Schaden nicht ganz so hoch ist, wie vermutet. Hatten Sie Wertsachen in diesem Raum?«

»Wertsachen?«, frage ich und gebe mir Mühe, mir den Inhalt der Schubladen und Schränke vorzustellen.

»Geld, Schmuck oder Wertpapiere ..?«, versucht Frau Premmel mir auf die Sprünge zu helfen.

»Kein Geld«, antworte ich knapp aber wahrheitsgemäß. Doch da fällt mir die Brosche ein, die ich von Tante Luzia geerbt und in der kleinen Schublade unter dem Fernseher aufbewahrt habe.

»Eine Gemme«, stammle ich.

»Eine was?«, fragt Oberkommissar Gerber verdutzt.

Frau Premmel kann weiterhelfen.

»So nennt man ein Relief aus Schmuckstein«, erklärt sie ihrem Kollegen. Dann wendet sie sich an mich.

»Wo lag sie denn?«

Ich zeige auf die Schublade, die nun umgekippt unterhalb des Fernsehers liegt. Frau Premmel zückt einen Kugelschreiber, hebt damit die Schublade leicht an und schaut darunter. Dann blickt sie in meine Richtung und schüttelt bedauernd den Kopf.

Urplötzlich machen meine Angst und die Verzweiflung beim Anblick der leeren Schublade etwas anderem Platz. Ich spüre stattdessen, wie heiße Wut in mir hochkocht.

Dieser Dreckskerl! Kommt einfach her, verwüstet mein Haus und klaut Tante Luzias Brosche. Ich sehe ihn vor mir, wie er meinen Wohnzimmerschrank durchwühlt. Ich höre, wie die CDs auf den Boden knallen und die Weingläser zerschellen. Das durfte er nicht. Er soll dafür bezahlen. Ich springe unvermittelt auf.

»Der Kerl muss doch irgendwie zu schnappen sein. Diese Brosche hatte ich von meiner Lieblingstante!«

Frau Premmel ist durch meinen Ausbruch leicht zusammengezuckt und ich habe sofort ein schlechtes Gewissen.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, fahre ich daher etwas ruhiger fort. »Aber können Sie nicht gleich etwas tun? Eine Ringfahndung einleiten, oder so?«

Frau Premmel hat sich schnell wieder gefasst.

»Wir werden erst einmal Ihre Personalien aufnehmen und natürlich die Beschreibung des Täters …«, beginnt sie, doch ich lasse sie nicht ausreden.

»Und was ist mit Fingerabdrücken, Körperflüssigkeiten und Hautschüppchen?«, bringe ich meine Kenntnisse aus regelmäßigem Krimikonsum ins Spiel. Jetzt muss Polizist Gerber schmunzeln:

»Ich weiß schon. Unsere Arbeit sieht im Film immer viel aufregender aus, nicht wahr?«

Frau Premmel fügt hinzu:

»Wir haben die Spurensicherung bereits informiert. Sie werden Fotos machen und versuchen, Fingerabdrücke und andere Spuren sicherzustellen. Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass sich dies bei Einbrüchen häufig als vergeblich erweist. Die Täter tragen meistens Handschuhe.«

So schnell wie er kam ist mein Wutanfall auch schon wieder verraucht und ich sinke in mich zusammen.

»Ich darf mir also keine großen Hoffnungen machen, dass Sie den Kerl schnell erwischen werden?«

Frau Premmel schüttelt bedauernd den Kopf.

»Am Besten schauen Sie jetzt noch oben nach, ob nichts fehlt und dann nehmen wir Ihre Personalien und die Täterbeschreibung auf«, weist mich Herr Gerber an.

Also gehe ich mit klopfendem Herzen nach oben, doch ich kann aufatmen. Hier sieht tatsächlich alles aus wie vorher. Auch meine Unterhose liegt noch im Schlafzimmer und ich kicke sie schnell unters Bett. Nachdem ich meinen Rundgang beendet habe, stehe ich den Beamten Rede und Antwort.

»Karin Berger, geboren: 18.10.1966, geschieden, Realschullehrerin, ein Sohn …«.

»Sie sind Lehrerin?«, unterbricht mich Frau Premmel. »Dann freuen Sie sich sicher auch, dass endlich die Ferien begonnen haben. Meine Kinder sind jedenfalls ganz aus dem Häuschen.«

»Ja, ein wirklich gelungener erster Ferientag, kann ich nur sagen«, erwidere ich niedergeschlagen.

Ich hatte mich tatsächlich sehr auf die Ferien gefreut. Die letzten Wochen in der Schule waren hektisch und anstrengend gewesen. Und dann so etwas gleich am ersten Tag. Na, herzlichen Dank.

Frau Premmel lächelt verständnisvoll und zückt wieder Block und Stift. Ich beschreibe den Täter und auch die gestohlene Brosche. Kurz darauf trifft ein Mitarbeiter der Spurensicherung ein, und die beiden Polizisten verabschieden sich. Herr Gerber gibt mir seine Karte.

»Falls Ihnen noch etwas einfällt, oder Sie noch Fragen haben.«

Er lächelt mich an.

Die Spuren sind schneller gesichert, als ich dachte. Ehe ich mich versehe, bin ich wieder allein. Ich schaue mich um und plötzlich wird mir ganz mulmig. Wie soll ich mich hier jemals wieder wohlfühlen? Wie soll ich hier jemals wieder ruhig schlafen können? Was kann ich tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert? Sofort greife ich zum Telefon und wähle die Handynummer auf Herrn Gerbers Karte.

»Soll ich die Fenster im Erdgeschoss vergittern lassen, oder mir eine andere Haustüre kaufen?«

Er scheint nicht wirklich überrascht über meinen Anruf zu sein und seine Antwort ist so simpel, wie ernüchternd.

»Wenn jemand wirklich in Ihr Haus will, kommt er auch rein. Da will ich Ihnen nichts vormachen, Frau Berger.«

»Aber … Es muss doch etwas geben.«

»Statistisch gesehen ist der beste Schutz vor Einbruch Hundegebell. Wenn Einbrecher einen Hund im Haus vermuten, geben sie in der Regel auf«, informiert mich Herr Gerber, verabschiedet sich und lässt mich verzagt zurück.

 

Ein Freund, ein guter Freund …

 

»Und was haben die Polizisten gesagt?«, fragt Sonja und ordnet einige lose Blätter, die sie gerade vom Boden aufgehoben hat.

»Dass sie tun werden, was sie können. Was sollen sie denn auch anderes sagen?«, antworte ich und schiebe eine Schublade wieder an ihren Platz zurück.

Nach dem Telefonat mit Herrn Gerber habe ich sofort meine Mutter, meine Schwester Petra, meinen Sohn Alex, und dann meine Freundin Sonja angerufen und ihnen alles haarklein berichtet. Wenn ich schlimme Sachen oft und immer wieder erzähle, dann sind sie irgendwann nicht mehr ganz so scheußlich.

Eigentlich hatte ich auf Petras Beistand gehofft, doch sie musste arbeiten. Alex ebenso. Sonja hatte aber heute Nachmittag frei und ist, ohne viel zu fragen, gleich hergekommen. Das Fragen holt sie jetzt nach. Während ich mit ihrer Hilfe das Chaos beseitige, berichte ich den ganzen Hergang erneut.

»Erzähl noch mal, wie der Kerl ausgesehen hat«, fordert sie gerade und ich lasse mich nicht zweimal bitten.

»Dass der aber auch einen Bart haben muss. Wie blöd«, stellt Sonja fest.

»Denkst du denn, die Polizisten hätten ihn geschnappt, wenn er noch da gewesen wäre?«

Ich muss kichern, obwohl mir eigentlich gar nicht danach ist.

»Bei Oberkommissar Gerber wäre ich mir nicht so sicher. Der hat einen ordentlichen Bauch. Aber seine Kollegin, die Frau Premmel, die sah recht fit aus. Vielleicht hätte sie die Verfolgung aufgenommen.«

Sonja macht große Augen. Sie findet das alles ziemlich aufregend.

»Und die Brosche, die kannte ich ja gar nicht. Ist die denn etwas wert? Wie sieht sie denn aus? Wie kann man denn so was zu Geld machen? «, möchte sie wissen.

»Ich habe die Brosche schon über 15 Jahre«, beginne ich.

»So lange kennen wir beide uns ja überhaupt noch nicht«, schiebt Sonja ein und ich nicke.

»Onkel Heribert hat sie Tante Luzia damals zur Verlobung geschenkt. Ein schönes Stück. Viktorianisch. Das hat Tante Luzia immer betont.

-Diese Brosche ist antik- hat sie oft zu mir gesagt. Aus Engelshautkoralle. Dein Onkel Heribert war ein sehr generöser Mann, Gott hab ihn selig.-

Sie hat dieses Schmuckstück geliebt. Ich starre vor mich hin. Sonja unterbricht meine Gedanken:

»Weißt du denn, ob sie was wert ist?«

»Ich habe sie irgendwann mal zu einem Juwelier in der Stadt gebracht. « Der fand die Brosche sehr schön und meinte, sie wäre um die 2000 Euro wert. Für Liebhaber wahrscheinlich sogar mehr«.

Sonja pfeift durch die Zähne: »Alle Achtung. Das ist nicht gerade wenig. Ich kann verstehen, warum du sie wiederhaben willst.«

»Das ist nicht der alleinige Grund«, widerspreche ich, während ich einige CDs und DVDs aufeinanderstaple. »Ich wollte die Brosche meiner Schwiegertochter in spe zur Hochzeit schenken, falls Alex denn jemals Ernst machen sollte. Außerdem bin ich stocksauer auf den Kerl, der mir das hier angetan hat. Er soll zur Rechenschaft gezogen werden!«

Sonja ist meiner Meinung.

»Da hast du absolut recht. Hier so ein Durcheinander anzurichten. Mistkerl, der!«

»Scheißkerl!«, pflichte ich ihr bei.

»Weißt du was?«, Sonja schaut mich nachdenklich an. »Du kannst von Glück sagen, dass der Kerl nicht oben war.«

»Klar«, grinse ich. »Dann müssten wir noch viel mehr aufräumen.

»Das meine ich nicht«, fährt Sonja fort.

»Hier unten hast du keine Fotoalben, oder Fotos, so weit ich das sehe.«

»Nein«, bestätige ich. »Die hängen oben im Flur und im Schlaf …« Dann erst verstehe ich, was Sonja andeuten will.

»Der wüsste, wie ich aussehe, wenn er oben gewesen wäre. Der könnte mich auf der Straße erkennen.«

Der Gedanke jagt mir augenblicklich einen Schauer über den Rücken und mein Hals wird eng.

»Ein schrecklicher Gedanke, aber so ist es ja Gott-sei-Dank nicht«, lächelt mich Sonja an und nimmt mich in den Arm. Ich lehne mich an sie und schließe kurz die Augen. Sonja schiebt mich auf Armlänge von sich weg, schaut mich an und zwinkert.

»So, Themenwechsel. Willst du die neuesten Schnapsideen meines geliebten Göttergatten hören?«

Ich schlucke, hole tief Luft und nicke. Mir ist jede Abwechslung recht. Dann greife ich mir die nächste Schublade und Sonja berichtet.

»Ich glaube, Konrad ist momentan in einer tiefen Sinneskrise. Will sagen: Midlife-Crisis.«

»Wie kommst du darauf?«, frage ich.

»Was würdest du denn denken, wenn dein 54jähriger Gatte, der bisher Vorsitzender der Couch-Potatos war, sich plötzlich im Fitness-Center anmeldet und jeden Morgen joggt, bevor er zur Arbeit geht?«

»Ok«, gebe ich zu. »Ein bisschen merkwürdig ist das schon. Aber vielleicht hat er ja zugenommen.«

»Hat er, mal ganz nebenbei bemerkt«, antwortet Sonja mit hochgezogener Augenbraue. »Aber das Beste kommt ja noch. Er will …«, Sonja macht eine dramatische Pause.

Meine Aufmerksamkeit hat sie. Ich erstarre in der Bewegung und

schaue sie gespannt an.

»Er will sich doch tatsächlich einen Sportwagen kaufen. Einen Zweisitzer. In Rot!« Sonja ist sichtlich empört. »Was hältst du davon?«

»Eindeutig Midlife-Crisis«, pflichte ich ihr bei und muss grinsen, als ich mir den fast kahlköpfigen und etwas moppeligen Konrad vorstelle, wie er sich in einen winzigen Sportwagen quetscht.

»Der hat sie doch nicht mehr alle«, schnaubt Sonja.

»Das ist sicher nur vorübergehend«, beruhige ich sie.

»Sprich du doch mal bitte mit ihm. Auf dich hört er doch meistens«, bettelt Sonja und ich verdrehe die Augen.

Meistens mag ich Konrad. Schließlich bin ich nicht mit ihm verheiratet. Einige seiner Ansichten und Meinungen kann ich allerdings nicht teilen. Trotzdem nicke ich ergeben. Schließlich ist Sonja meine beste Freundin.

»Klar, ich werd´s versuchen. Aber vorher musst du ihn noch weiter bearbeiten, ja?«

»Da kannst du Gift drauf nehmen,« verspricht Sonja.

»Gut. Dann lass uns jetzt bitte weitermachen. Um 18 Uhr kommt der Mann von der Türenfirma. Er wird einen einbruchsicheren neuen Zylinder mit Bolzen in die Haustür einbauen und danach möchte ich für heute erst einmal abschalten, wenn´s geht.«

»Na, sicher.« Sonja fischt weitere Blätter vom Boden, schaut sie sich an und klemmt sie dann in meinen Ordner für Versicherungen.

»Willst du wirklich nicht, dass ich bei dir übernachte?«, fragt sie zum wiederholten Mal. »Du kannst auch bei uns schlafen, wenn es dir hier heute Nacht zu gruselig ist«.

»Nein, danke. Schließlich muss ich in diesem Haus weiter mein Leben fristen. Ein Neues kann ich mir auf die Schnelle nicht leisten«, antworte ich betont heiter. In Wahrheit würde ich nichts lieber tun, als mich für immer bei ihr zu verkriechen. Tatsächlich habe ich panische Angst davor, hier allein im Haus zu bleiben. Und an heute Nacht darf ich gar nicht erst denken.

Doch das möchte ich nicht zugeben. Schließlich habe ich eine Gesprächstherapie hinter mir und war fest der Meinung meine Ängste im Griff zu haben. Und jetzt das. Mir ist, als wäre alles umsonst gewesen. Aber das darf einfach nicht sein!

»Vielleicht schlafe ich nicht gut, oder auch gar nicht, aber ich werde mich nicht von so einem Widerling aus meinem Haus vertreiben lassen«, fahre ich also fort.

»Das ist die richtige Einstellung«, lobt Sonja. »Diese Frau Schmökel-Neumann scheint wirklich gut zu sein. Na ja, wenn Konrad so weiter macht, werde ich ihre Hilfe vielleicht auch mal in Anspruch nehmen müssen«, grinst sie und ich grinse zurück und denke mir meinen Teil.

Nach einer weiteren Stunde ist mein Wohnzimmer fast wieder im Originalzustand. Man könnte glauben, es sei gar nichts passiert. Nur die fehlenden Weingläser erinnern noch an den Einbruch.

Kurz darauf kommt der Mechaniker und werkelt an meiner Haustüre herum. Ich weiche nicht von seiner Seite und löchre ihn mit Fragen über die Sicherheit und Unverwüstlichkeit des neuen Schlosses.

Falls er genervt sein sollte, lässt er sich davon nichts anmerken. Er beantwortet höflich und immer wieder die gleichen Fragen.

Ja, das Schloss ist einbruchsicher. Ja, das Schloss wurde mehrfach getestet. Ja, der Bolzen ist nur mit dem passenden Schlüssel verschiebbar. Nein, ich brauche mir keine Sorgen mehr zu machen. Nein, außer mir kommt hier niemand mehr rein, wenn er keinen Schlüssel hat. Vielleicht hat er häufiger mit Einbruchsopfern zu tun, überlege ich und gebe ihm ein ordentliches Trinkgeld, nachdem er seine Arbeit beendet hat.

Ich seufze tief. Mehr kann ich momentan wohl nicht tun. Wenn nur dieser Kloß im Hals und der Druck im Magen nicht wären. Ich habe immer noch panische Angst.

Sonja hat uns in der Zwischenzeit ein kleines Abendessen gezaubert und eine Flasche Wein auf den Tisch gestellt.

»Fühlst du dich jetzt etwas besser?«, fragt sie mich, als ich uns beiden das Glas fülle.

»Nur ein wenig«, muss ich zugeben und nehme einen großen Schluck.

»Das wird schon«, muntert mich Sonja auf und nippt am Wein.

Wir sitzen noch über zwei Stunden zusammen, reden über Verbrecher im Allgemeinen und Einbrecher im Besonderen und ich trinke mehr Wein, als mir wahrscheinlich gut tut. Nachdem Sonja gefahren ist, bleibe ich noch lange auf, und es ist fast halb zwei, als ich ziemlich angeschickert den schweren Gang nach oben antrete. Vorher verkeile ich allerdings noch einen Wohnzimmersessel vor der Haustüre und hole mir eine Tüte getrocknete Erbsen aus der Küche. Die streue ich vom oberen Treppenabsatz auf die Stufen. In Filmen funktionieren solche Einbrecherfallen immer ganz prima. Trotzdem bin ich nicht wirklich beruhigt, als ich endlich ins Bett gehe.

 

***

 

»Aber, aber, Frau Berger. Das ist doch kein Beinbruch. Jeder würde nach so einem schrecklichen Erlebnis erst einmal die Fassung verlieren«, meint Frau Schmökel-Neumann und hält mir ein Papiertaschentuch vor die Nase. Ich ergreife es und wische mir damit über die Augen. Dass ich auch gleich losheulen muss, kaum dass ich mich hingesetzt habe. Doch die letzte Nacht hat mich sprichwörtlich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.

Nachdem ich stundenlang aufrecht im Bett gesessen hatte, nickte ich immer wieder kurz ein und träumte von maskierten Männern, die mich verfolgten. Ich schreckte immer wieder schweißüberströmt und mit Herzrasen auf und versuchte daher den Rest der Zeit mit Fernsehen und Bügeln zu überbrücken. Das half allerdings auch nicht. Bei jedem Geräusch bekam ich fast eine Herzattacke und musste um Atem ringen. Außerdem war mir vom vielen Wein auch noch übel. Am frühen Morgen war ich nur noch ein Häufchen Elend und rief, sobald es möglich war, in der Praxis an. Da es schließlich um Leben und Tod ging, bekam ich gleich einen Termin und jetzt sitze ich hier und weine mir die Augen aus dem Kopf.

Frau Schmökel-Neumann lässt mich schluchzen und bewahrt die Ruhe. Auch als ich mir lautstark die Nase putze, verzieht sie keine Miene.

Sie ist ungefähr in meinem Alter und scheint, trotz der frühen Stunde, wie immer frisch und ausgeruht. Heute trägt sie ein dunkelrotes, todschickes und für mich sicher unbezahlbares Kostüm, das hervorragend zu ihrem dunklen Teint und den hochgesteckten dunkelbraunen Haaren passt. Ihre im gleichen Farbton gehaltenen Pumps haben einen mittelhohen Absatz und sehen ebenfalls sündhaft teuer aus. Sie ist nicht wirklich eine Schönheit. Dafür ist ihre Nase etwas zu breit und das Gesicht nicht symmetrisch genug. Doch dies überspielt sie geschickt durch ein dezentes, aber perfektes Makeup. Ihr Gesicht strahlt genau die Mischung zwischen Autorität, Zuversicht und Verlässlichkeit aus, die ich in meiner jetzigen Situation dringend brauche.

Endlich habe ich mich beruhigt und als sie mich mit einem freundlichen Nicken zum Sprechen auffordert, sprudelt alles aus mir heraus.

»Ich habe ständig Geräusche gehört. Überall hat es geknarrt und ich dachte, jeden Moment kommt der Mann zurück. Ich hatte solche Angst«, schluchze ich und muss mir erneut die Nase putzen. »Zu allem Überfluss bin ich dann auch noch die Treppe hinunter gefallen und habe mir den Knöchel verstaucht«, jammere ich.

Den tatsächlichen Grund für den Sturz behalte ich lieber für mich.

»Haben Sie denn Ihre Atemübungen gemacht?«, will Frau Schmökel- Neumann wissen.

»Ich … Ich hab´s versucht, aber ich konnte ja kaum atmen. Es war so grauenvoll. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Was soll ich denn jetzt bloß machen? Eine weitere Nacht wie diese überlebe ich nicht!«

Nachdem wir gemeinsam einige Entspannungsübungen durchgeführt haben, schreibt sie mir ein leichtes Beruhigungsmittel auf.

»Aber das werden Sie gar nicht brauchen, Frau Berger. Sie können diese Phase Ihres Lebens auch ohne Hilfsmittel bewältigen. Da bin ich mir ganz sicher«,

»Gut, dass wenigstens eine von uns beiden so denkt«, murmele ich.

»Frau Berger,« fährt Frau Schmökel-Neumann fort.

»Was fehlt Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt, um Ihnen die Angst vollständig zu nehmen? Denken Sie nach!«

Da muss ich nicht lange nachdenken.

»Sicherheit.«

»Wer oder was könnte Ihnen diese Sicherheit vermitteln?«

Dafür brauche ich etwas länger.

Also einen Mann kannst du jetzt so schnell nicht aus dem Hut zaubern, das steht mal fest. Für eine Alarmanlage oder einen eigenen Wachdienst fehlt dir das Kleingeld, und eine Waffe im Haus kommt gar nicht in die Tüte lässt sich meine innere Stimme vernehmen.

Ich nenne sie: »Babette«, mit stimmhaftem –e- am Ende.

Babette ist mein moralischer Zeigefinger, gutes und schlechtes Gewissen, eine Nervensäge und Spaßbremse und … Ich führe in letzter Zeit immer häufiger laute Zwiegespräche mit ihr.

Frau Schmökel-Neumann findet das ganz ok und ist der Meinung, dass Selbstgespräche der seelischen Gesundheit äußerst zuträglich sein können. Ich hingegen frage mich öfter einmal, ob diese Gespräche nicht eher ein Zeichen schwindender geistiger Gesundheit sind.

»Der Polizist, also Herr Gerber hat mir erklärt, dass die meisten Einbrecher von Hunden abgeschreckt werden«, sage ich unvermittelt.

Frau Schmökel-Neumann nickt mit großen, wissenden Augen und schaut mich einfach nur an.

Will sie damit andeuten …?

Meint sie etwa …?

Aber der viele Dreck.

Denk doch nicht immer nur an die negativen Seiten! Ein Hund würde deine Probleme in jeder Hinsicht lösen, mischt sich Babette ein. Du wärst nicht mehr allein, hättest jemand, um den du dich kümmern kannst und der mit dir kuschelt, kämst täglich an die frische Luft …

»Einbrecher würden in Zukunft ganz schön blöd gucken«, denke ich laut weiter und Frau Schmökel-Neumann lächelt.

»Habe ich Ihnen eigentlich erzählt, dass ich mich im Tierschutz

engagiere?«, unterbricht sie meine Gedanken.

»Ich habe einen Patenhund in Spanien, Manolo heißt er. Außerdem gehe ich einmal die Woche mit Hunden aus dem hiesigen Tierheim spazieren.«

Ich schaue sie ungläubig an. Nein, das hätte ich ihr nun wirklich nicht zugetraut. So adrett, wie sie vor mir sitzt, kann ich sie mir schlecht mit Hundehaaren und Pfotenspuren am Kostüm vorstellen.

»Irgendwann werde ich einen eigenen Hund haben, aber bei meinen Arbeitszeiten ist das zurzeit einfach unmöglich«, seufzt sie bedauernd.

»Aber der viele Dreck, der Geruch , die Haare überall,« wage ich einzuwenden.

Frau Schmökel-Neumann lächelt mich mitleidig an.

»Ach, Frau Berger. Was ist das denn schon gegen einen wirklich treuen Gefährten, der uns auch noch beschützt? Rein gar nichts! Schon Carl Zuckmayer hat gesagt: «Ein Leben ohne Hund ist ein Irrtum« und ich bin ganz seiner Meinung.«

Ich starre eine Weile vor mich hin und mit einem Mal spüre ich, wie sich der Knoten in meinem Magen löst. Plötzlich fühle ich mich besser, freier, sicherer.

Warum denn eigentlich nicht? Zeit genug habe ich doch und putzen muss ich, so oder so …

»Ich werde darüber nachdenken«, sage ich. Doch ich weiß, dass das eigentlich nicht mehr nötig ist.

 

Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt

 

Nachdem ich die Praxis verlassen habe, starte ich durch in mein neues Leben. Warum lange warten? Schon heute Nacht will ich wieder ruhiger schlafen können. Jetzt gibt es kein Zurück mehr und ich fahre Richtung Stadtrand.

Hast du dir das wirklich gut überlegt?

Na, klasse! Kaum wage ich mal was, stelle ich es sofort wieder infrage.

»Natürlich habe ich es mir nicht genügend überlegt. So etwas nennt man Spontanentscheidung. Und die sind oft nicht mal die Schlechtesten«, kläre ich Babette auf.

Nach ungefähr 30 Minuten habe ich mein Ziel erreicht und fahre auf den Parkplatz. Als ich aussteige, schallt mir lautes Bellen und Jaulen entgegen. Plötzlich ist der Druck im Magen wieder da. Das Geräusch der vielen Hunde, die dort hinter Gittern warten, macht mich traurig, aber es ängstigt mich auch ein bisschen. Ich schlucke.

Jetzt noch einen Rückzieher machen? Nein! Ich will das jetzt durchziehen! Also schließe ich den Wagen ab, kneife den Hintern zusammen und gehe los.

Der Eingang zum Tierheim wird von einem großen schmiedeeisernen Tor bewacht und ich schiebe es vorsichtig auf. Das Geheul der Hunde nimmt deutlich an Lautstärke zu. Sie wissen wohl, was es heißt, wenn das Tor aufschwingt. Und die Mitarbeiter des Tierheims wissen es scheinbar auch. Sie heulen zwar nicht, doch wie auf ein Kommando treten zwei von ihnen aus einem Gebäude, auf dem in großen schwarzen Lettern das Wort »Büro« zu lesen ist. Ich lächle sie unsicher an und sie lächeln freundlich zurück.

»Grrüß Gott. Können wir Ihnen helfen?«, fragt einer der beiden.

Aha, ein Bayer. Der sympathische Akzent ist unüberhörbar. Der Mann ist Mitte bis Ende fünfzig, hat einen grau durchwachsenen, ziemlich großen Schnauzbart und darüber freundliche, blaue Augen mit vielen Lachfalten. Er trägt einen Blaumann und darunter ein kariertes Holzfällerhemd. Auf dem Kopf sitzt eine grünliche Schirmkappe. Schade. Mir hätte ein Gamsbarthut für ihn besser gefallen. Ich mag die Bayern. Sie haben so etwas Ursprüngliches. Und dieser hier gefällt mir auf Anhieb.

Sein Begleiter ist wesentlich jünger, hat keinen Bart, weil ihm wohl noch keiner wächst, lächelt breit über sein etwas einfältiges, rundes Gesicht und zeigt dabei seine großen, schiefen Schneidezähne. Er erinnert mich ein wenig an ein freundliches, wohlgenährtes Kaninchen.

»Tach«, sagt er und ich erwidere seinen Gruß.

»Ich wollte mir gerne die Hunde ansehen, wenn das möglich ist.«

»Möchten Sie mit einem Hund spazieren gehen, oder wollten Sie einen mit nach Hause nehmen?«, fragt der Ältere freundlich.

»Ich würde gerne einen mitnehmen, wenn das geht und ich einen Hund finde«, antwortete ich.

»Hier brauchen Sie keinen Hund zu suchen. Die sind gleich da drüben«, mischt sich nun das rundliche Kaninchen ein und lacht sich über seinen eigenen Witz fast schief.

Ich lächle freundlich und schaue wieder den Älteren an.

»Das wird sicher kein großes Problem. Das werden wir schon hin bekommen. Kommen Sie doch einfach mal mit. Wir zeigen Ihnen einmal unsere Jungs und Mädels. Nicht wahr, Hannes?

Hannes, das Kaninchen, nickt heftig und wir setzen uns in Bewegung.

»Welche Größe darf der Hund denn haben?«, fragt mich der Bärtige.

»Ich habe mir ehrlich gesagt keine Gedanken darüber gemacht. Aber ich habe ziemlich viel Platz. Welche Größen haben sie denn («vorrätig« hätte ich fast gesagt) hier, Herr …?«

»Ach. Des tut mir jetza leid. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Gröbner. Erwin Gröbner. Ich bin hier für die Hunde zuständig. Und das ist unser Auszubildender, der Hannes. Nicht wahr Hannes? Wir beide machen es den Hundchen so gemütlich, wie es eben geht.«

»Karin Berger.« Ich schüttle seine Hand und wir setzen unseren Weg fort. Je näher wir den Hundezwingern kommen, desto nervöser werde ich.

»So, da wären wir also«, meint Herr Gröbner gut gelaunt und zeigt auf den ersten.

Darin befinden sich drei Hunde unterschiedlichster Größe.

»Hier haben wir unseren Paule. Nicht wahr, Paule?«, stellt Herr Gröbner vor und zeigt auf den größten der Drei. Ein hellbrauner Wuschelmix, der hektisch am Zaun hochspringt und dabei seine beeindruckende Baritonstimme erschallen lässt.

»Das ist ein ganz Lieber, der Paule, nicht wahr Paule?«, meint Herr Gröbner und steckt todesmutig den rechten Zeigefinger durch den Draht.

»Und da drüben, da hat´s die Emily und den Herbert.«

Die besagten beiden sind ein kleiner Handfegermix in schwarz und weiß, dem man die Verwandtschaft zum Pekinesen an der Nasenspitze ansieht und ein brauner Schnauzermix mit Stehohren. Beide kläffen, was das Zeug hält und Herbert zeigt mir schon mal seine Beißerchen, indem er gekonnt die Lefzen hochzieht und dabei bedrohlich knurrt.

»Herbert macht mal wieder dicke Backen«, meint Kaninchen Hannes.

»Der will doch bestimmt nur … spielen?«, frage ich verunsichert, doch Herr Gröbner schüttelt den Kopf.

»Der Herbert ist gestört. Der hat es wohl sicher schwer gehabt im Leben. Den können wir nicht vermitteln. Aber die Emily ist eine ganz und gar Feine. Nicht wahr, Emily?«

Emily kläfft wie bekloppt und springt gegen den Zaun. Ich bin entsetzt. »Sind die alle so äh, aufgeregt?«, erkundige ich mich.

»Ja, klar. Es ist doch was Besondres, wenn Besuch kommt, nicht wahr? Aber wir gehen besser mal weiter.«

Sagt`s und tut`s und ich laufe hinterher und fühle mich zugegebenermaßen reichlich überfordert. Vielleicht hätte ich doch etwas länger über alles nachdenken sollen?

Der nächste Zwinger ist nicht so groß wie der erste und hier sind deshalb wohl auch nur zwei Hunde untergebracht. Ein großer Schäferhund, der mit seinem vollen Gewicht (von gefühlten 100 kg) gegen den Zaun donnert, sodass ich erschrocken zwei Schritte zurückweiche. So ein Hund würde allerdings jeden Einbrecher in die Flucht schlagen.

Du und so ein riesiger Hund? Vergiss nicht, dass du nur 1.62m groß bist. Niemals!!!, meldet sich Babette entsetzt und hat augenblicklich meine vollste Zustimmung.

Dann fällt mein Blick auf den zweiten Hund. Er ist ein gutes Stück kleiner, hat ein braun-weißes, langes Fell und schwarze Schlappohren. Er sitzt einfach nur da und schaut an mir vorbei. Er hat wunderbare dunkelbraune Augen und sieht furchtbar traurig aus. So verlassen und allein. Er fühlt sich bestimmt verloren und hat den Glauben an ein schönes Zuhause längst aufgegeben.

Ich stehe wie hypnotisiert vor dem Tier und weiß in meinem tiefsten Inneren, dass ich eigentlich nicht mehr weiter suchen muss.

»Warum ist der da so ruhig?«, frage ich Herrn Gröbner.

Der wiegt wissend den Kopf und macht ein bedenkliches Gesicht.

»Das ist ein Neuzugang. Wir haben sie gestern Morgen am Tor angebunden gefunden. Sie heißt Molly. Zumindest stand der Name auf ihrem Halsband. Bisher hat sie sich ganz gut benommen. Sonst kann ich Ihnen aber noch nichts über diesen Hund sagen.«

»Sie ist so hübsch«, bemerke ich.

»Ja, das stimmt. Aber wie schon gesagt, wir wissen noch nichts über das Tier«, erinnert mich Herr Gröbner.

»Wir können uns doch noch etwas umsehen. Ich denke, ich weiß da ein Hundchen, das würde Ihnen sicher gefallen.«

»Wie kann man nur so ein herrliches Tier aussetzen?«, erkundige ich mich mit klopfendem Herzen und schaue Molly weiter unverwandt an.

»Sie glauben gar nicht, zu welchen Dingen Menschen fähig sind«, erklärt mir Herr Gröbner. »Wir haben hier schon weit Schlimmeres erlebt.«

»Vielleicht ist es ein Glück für Molly, dass sie hier gelandet ist. Andere werden einfach nicht gefüttert, totgeschlagen oder vergiftet, wenn sie nicht mehr erwünscht sind.«

Mir steigen Tränen in die Augen. Diese armen, bemitleidenswerten Tiere. Ich muss Molly helfen. Ich spüre es ganz deutlich.

»Was für eine Sorte Hund ist sie denn?«, frage ich mit belegter Stimme.

»Das kann man nicht so genau sagen. Es könnte ein Bretone, ein Setter oder ein anderer Jagdhund mit drin sein«, meint Herr Gröbner.

»Die hauen schon gerne mal ab, wenn man sie lässt,« wirft Hannes ein.

»Aber das ist ja nur eine Vermutung«, fügt Herr Gröbner hinzu.

»Kommen Sie doch mal mit, junge Frau. Wir zeigen Ihnen unseren Dändy. Der wäre bestimmt was für Sie. Was meinst du, Hannes?«

Hannes grinst zustimmend und wir gehen weiter zum nächsten Zwinger, in dem zwei riesige Schäferhunde untergebracht sind und beim Bellen ihre mächtigen Beißwerkzeuge zur Schau stellen. Mir wird angst und bang. Doch schon ist Herr Gröbner an den nächsten Verschlag getreten und deutet mit dem Finger in eine Ecke.

»Da sitzt er, unser Dändy. Ein feiner Kerl und noch so ein kleiner.«

Ich folge seinem Fingerzeig und entdecke einen winzigen schwarzen Welpen. Als er uns sieht, kommt er schwanzwedelnd und mit leuchtenden Augen an den Zaun gehopst und ich kann nichts anderes tun, als meinen Finger durch die Maschen zu stecken und mit seinen nadelspitzen Zähnchen Bekanntschaft zu machen.

Hingebungsvoll kaut er an meinem Finger herum, und ich werde von Hormonen nur so überschüttet. Von einem Augenblick zum nächsten bin ich der deutschen Sprache nicht mehr mächtig.

»Du bissabber ein Süüüßer«, brabble ich. »Ein ganz Feinii, feinii. Da hattu aber scharfe Zähnchen. Hattu Hunger? Feinii, feinii.«

Die beiden Pfleger schauen sich über mich hinweg an und ich will wirklich nicht wissen, was dieser Blick bedeuten soll.

Währenddessen schlabbert mich Dändy völlig mit Hundesabber ein. Überraschenderweise macht es mir nicht das Geringste aus. Mein Finger nimmt langsam die Form eines saftigen Rinderhackbratens an, doch ich finde Dändy einfach nur hinreißend. Endlich komme ich wieder zu mir und richte mich mit verträumtem Gesichtsausdruck und schmerzender Hand wieder auf.

»Na, des is´doch was, der Dändy, oder?«, meint Herr Gröbner und lächelt mich wissend an.

Ich nicke noch völlig in Trance und kann nicht begreifen, wie so ein süßes Baby im Tierheim landen konnte. Hannes klärt mich auf.

»Die Mutter vom Dändy wurde ebenfalls am Zaun angebunden. Kurze Zeit später hat sie 4 Junge gekriegt. Mittlerweile haben wir alle vermittelt, bis auf ihn hier. Er is jetzt zehn Wochen alt.«

Ich lächle. »Er ist wirklich knuffig. Total niedlich.«

»Na sehen Sie«, schaltet

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Miko-Verlag
Cover: Miko-Verlag
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2023
ISBN: 978-3-7554-4304-9

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