Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, versammelten sich alle auf der Veranda vor der Hütte. Merlin, Artus und die Maus namens Wilson. Elian, die Eule, war auch da und saß auf dem Geländer der Veranda und natürlich Karin, die es sich, wie gewohnt, in der Krempe von Merlins Hut bequem gemacht hatte. Nach einer Weile machte Elian: „Schuhu!“ und Merlin räusperte sich: „Du hast Recht, Elian, wir müssen reden.“ Er nahm noch einen Zug aus seine Pfeife, stieß einen Rauchring aus seinem Mund und begann: „Also, wie ich gestern schon sagte, ist Wilson ein Späher. Das bedeutet, dass er, und natürlich alle seine Freunde, mich auf dem Laufenden halten über Dinge, die so passieren.“
Wilson, die Maus verbeugte sich und nickte leicht mit dem Kopf. Merlin seufzte und sah Artus an: „Also, die Sache ist die, Du bist hier nicht mehr sicher, niemand ist im Moment sicher, denn die dunkle Lady will Dich fangen.“
Artus sah Merlin an: „Aber warum? Ich kenne sie doch gar nicht und außerdem war ich immer bei Euch Merlin oder bei Sir Ector, auf seinem Schloss.“
„Ich habe nur eine Vermutung, warum man Dich fangen will, aber ich werde es bald wissen, aber zu müssen wir nach Avalon…“
Artus sprang auf, als er den Namen Avalon hörte: „Nach Avalon? Wir gehen wirklich nach Avalon???“
Merlin lächelte: „Ja, wir müssen nach Avalon, denn nur dort bist Du sicher! Wir werden noch heute Vormittag aufbrechen.“
Artus sah Merlin an, dann Wilson, der ihm zunickte und dann Elian, zu der er sagt: „Elian, wir gehen nach Avalon! Ist das nicht toll?“ Elian ließ ein leises „Schuhu! Schuhu!“ hören.
„Artus, bitte setze Dich einen Moment zu mir.“ Und als Artus sich wieder gesetzt hatte, sagte Merlin ernst: „Artus, es wird eine weite Reise werden und ich weiß nicht, was uns unterwegs erwartet.“
„Aber Elian darf doch mit oder muss sie hier bleiben?“
„Natürlich kommt Elian mit und auch Wilson ist dabei.“ Merlin hörte ein leichtes Surren an seinem rechten Ohr – die Fliege Karin: „Und selbstverständlich komme ich auch mit! Eine muss ja schließlich auf Euch aufpassen!“ Merlin lächelte und sagte leise:
„Natürlich kommst Du mit. Was würden wir auch ohne Dich machen!“
„Eben!“ sagte Karin zufrieden und verschwand wieder in Merlins Hutkrempe.
Natürlich wollte Artus mehr wissen, aber Merlin sagte nur: „Das erzähle ich Dir, wenn wir unterwegs sind. Nun packe ein paar Vorräte ein. Wir nehmen nur mit, was wir tragen können.“
„Wieso, reiten wir denn nicht?“
„Nein, Artus, Wirbelwind kommt nicht mit. Bauer Bertram ist schon auf dem Weg hierher und kümmert sich erstmal um ihn!“
Artus war traurig, denn er ritt gerne, aber er nickte schließlich und verschwand in der Hütte, um die Sachen, die sie für die Reise benötigten, zusammenzupacken.
Es ging schon fast auf Mittag zu, als Merlin auf einmal rief: „Bertram kommt!“ Artus kam aus dem Stall und schaute den Hügel hinab, und dann sah er Bertram, der langsam den Weg herauf kam. Wilson, die Maus, lief zum Holzstoss, wo sie sich zwischen den Holzscheiten versteckte und Elian flog von der Veranda zu der alten Eiche neben der Hütte, wo sie sich auf einem Ast niederließ.
Merlin sagte Artus er solle Wirbelwind aus dem Stall holen und Artus lief los. Bauer Bertram begrüßte Merlin, der ihm ein Stück entgegen gegangen war.
„Hallo Merlin, ist alles bereit?“ Merlin nickte: „Seid gegrüßt, Bertram. Artus holt gerade Wirbelwind. Seid Ihr irgendjemandem auf dem Weg hierher begegnet?“
Bertram schüttelte den Kopf: „Nein, keine Reiter oder sonst jemand.“ Er schlug auf einen großen länglichen Gegenstand, den er sich an den Gürtel seiner Hose gebunden hatte: „Soll ich es ihm geben oder wollt ihr es machen?“
„Nein, gibt Ihr es ihm ruhig!“
Artus kam heran und führte sein Pferd am Zügel.
„Seid gegrüßt, Bertram. Hier ist Wirbelwind. Ihr passt doch gut auf ihn auf und er bekommt doch immer Hafer und frisches Wasser?“
Bertram nickte: „Natürlich passe ich auf ihn auf. Er wird es gut haben bei mir, bis Du ihn wieder abholst.“ Er nahm das Paket, das in ein Leinentuch eingewickelt war, von seinem Gürtel und reichte es Artus: „Ich habe etwas für Dich, Artus. Vielleicht ist es auf eurer Reise von Nutzen.“
Artus sah das Paket und dann Bertram erstaunt an: „Für mich??? Danke, Bertram!“
Artus reichte ihm die Zügel und nahm das Paket entgegen. Er schlug das Tuch auf und als er dann sah, was das Paket enthielt, entfuhr ihm ein Ausruf der Freude: „Oh, ein Schwert! Ein richtiges Schwert! Das kann ich gar nicht annehmen.“
Er hielt ein richtiges Schwert der Hand. Der Griff war schwarz und die Klinge glänzte im Sonnenlicht. Es war natürlich kein so großes Schwert, wie es die Erwachsenen trugen, aber es war auch kein Holzschwert. Und als er vorsichtig mit dem Daumen über die Schneide strich, merkte er, dass die Klinge sehr scharf war. Die Scheide des Schwertes war mit vielen kleinen Figuren übersät, die alle Tiere des Waldes zeigten. Rehe waren da, und Bäume, und einen kleinen Bach konnte man sehen und als er genauer hinschaute, sah er auf einem der Äste eine Eule sitzen und irgendwie war ihm, als ob die Eule auf der Schwertscheide im zublinzelte. Er sah auf und Merlin lachte: „Es ist wohl besser, als dein Holzschwert mit dem Du immer übst! Aber wenn Du es nicht willst, dann nimmt Bertram es wieder mit!“
Artus umfasste das Schwer und die Scheide und hielt sie fest an die Brust gedrückt: „Natürlich will ich es! Danke, Bertram, vielen Dank!!!“
„Es ist das Schwert von meinem Vater, das ich bekam, als ich etwas so alt wie Du warst, Artus, und ich dachte, es wäre gerade richtig für Dich! Merlin sagte mir, dass er Dir bald ein richtiges Schwert besorgen sollte,“ er lächelte verlegen, „Und da ich für das Schwert keine Verwendung habe, wäre es genau das richtige für eure Reise!“
Artus starrt noch immer wie verzaubert auf das Schwert, dann umarmte er Bertram und rief immer wieder: „Danke, Bertram, danke! Das ist ein tolles Schwert, damit kann ich Elian beschützen,“ und mit einem Seitenblick auf Merlin, „und auch Merlin, denn er hat ja kein Schwert und außerdem ist er ein Zauberer, aber ich bin jetzt ein richtiger Ritter!“ Da lachten Merlin und Bertram und Merlin sagte: „Ich bin sicher, Du wirst eines Tages, wenn Du groß bist, ein guter Ritter werden!“
Merlin nahm ein paar Münzen aus seinem Beutel und gab sie Bertram, wobei er sagte: „Hier nehmt dies einstweilen, es wird für die nächsten zwei Monate reichen, damit ihr Hafer kaufen könnt und außerdem einen neuen Flug. Soviel ich weiß, hat der Schmied einen im Dorf gemacht, aber der Käufer wollte nicht bezahlen. Ich habe ihm schon gesagt, dass Ihr den Flug morgen abholen und bezahlen werdet.“ Nun war es Bertram, der überrascht guckte und sich dann ebenso freudig bedanken wollte, aber Merlin winkte nur ab: „Lasst es gut sein, Bertram. Ihr habt es mehr als nur verdient!“
Bertram erzählte Artus noch etwas über das Schwert und der Junge hörte gespannt zu, während Merlin in der Hütte noch einige merkwürdige Sachen aus seiner großen Truhe nahm und sie nacheinander, unter allerlei Gemurmel, in seinem Umhang verschwinden ließ. Dann ging er wieder auf die Veranda, wo er sich auf den Holzstoss setzte, als ob er sich ausruhen wollte. In Wirklichkeit aber wollte er zu Wilson. Als Merlin saß, guckte die kleine Maus zwischen den Holzscheiten hervor, sah sich schnuppernd ein paar Mal um, und dann schlüpfte sie schnell in eine der Taschen von Merlins Umhang und war verschwunden. Auch Karin rührte sich wieder mit einem Surren ihrer Flügel und meinte ungeduldig: „Können wir nun los! Wir müssen bald fort sein!“
Merlin nickte und erhob sich. Bertram sah ihn, nickte mit dem Kopf und sagte zu Artus: „So, mein Junge, es wird Zeit für mich. Ich will mich wieder auf den Weg machen. Und mach Dir keine Sorgen um Wirbelwind, ich werde gut auf ihn aufpassen und ihm immer Hafer und frisches Wasser geben.“
Nachdem er sich auch von Merlin verabschiedet hatte, nahm er die Zügel in die Hand und nach kurzer Zeit verschwanden er und Wirbelwind hinter der Biegung des Weges am Waldrand. Artus stand noch eine Weile da und schaute ihm hinterher, und es war ihm anzusehen, dass er traurig war, weil Wirbelwind nicht mit ihnen kommen konnte.
Er wurde von dem Geräusch aufgeschreckt, das Merlins Stab auf der Veranda machte. Er drehte sich um und sah Merlin dort stehen: Den langen Stab in der rechten Hand, mit dem er ein paar Mal auf den Boden klopfte. Er hielt Artus den kleinen Beutel hin und als Artus ihn sich auf dem Rücken festgeschnallt hatte, pfiff Merlin kurz und die Elian die Eule kam heran geflogen und ließ sich auf der Schulter von Artus nieder.
Er lächelte: „Alles bereit, Artus?“ Der Junge nickte: „Auf nach Avalon?“ „Auf nach Avalon, Artus. Die Dame vom See erwartet uns.“
Und dann gingen sie los. Als sie den Fuß des Hügels erreicht hatten, drehten sie sich um, und Merlin nahm seinen Zauberstab in die Hand, wedelte ein paar Mal zur Hütte hinauf und murmelte einige unverständliche Worte. Artus blieb der Mund offen stehen, als er sah, was der Zauber bewirkte. Ganz langsam erst, dann immer schneller verschwand die Hütte. So, wie die Kreide von seiner Tafel, auf der er schreiben lernte, nach und nach, bei jedem Wischen mit dem Schwamm verschwand. „So!“ meinte Merlin, „Für normale Menschen gibt es auf dem Hügel keine Hütte mehr!“
„Oh!“ sagte Artus und dann: „Aber wir hätten doch hier bleiben können, dann würden sie mich nicht finden, denn sie wüssten doch nicht, dass dort eine Hütte ist!“
„Doch, sie würden sie finden, denn sie verfügen über magische Kräfte. Dieser Zauber wirkt nur bei Menschen, die nicht zaubern können!“ Damit drehte er sich um und ging los. Artus starrte noch immer erstaunt auf den Hügel und er wollte gerade etwas sagen, als er merkte, dass Merlin schon weitergegangen war. Schnell lief er hinterher und bald waren die beiden am Waldrand hinter der Biegung des Weges verschwunden. Der Hügel lag einsam im Sonnenschein und alles war ruhig und friedlich, niemand schien hier zu sein. Doch es war noch jemand da. Jemand, der den Hügel, und den Platz, wo zuvor die Hütte war, sorgfältig beobachtete. Es schien, als würde auf einmal alles Lebende die Luft anhalten. Der leichte Wind schlief ein, die Blätter an den Bäumen hörten auf zu Raschen, nach und nach verstummten auch die Vögel. Und die Bienen, die eben noch umhergesummt waren, ließen sich auf den Blüten nieder und falteten ihre Flügel zusammen, selbst die Grillen um Gras waren verstummt. Es war still – sehr still. Und am Waldrand saß eine Fliege auf einem Zweig und putzte sich erst die Flügel, dann die Vorderbeine und schließlich die Hinterbeine. Dann schaute sie zum Hügel und es war als ob sie jemandem lauschte der leise mit ihr sprach. Hin und wieder drehte sie den Kopf und dann nach einer Weile sagte sie: „Ja, Herrin, sie sind auf dem Weg nach Avalon, zu Euch.“ Sie lauschte wieder und antwortet dann: „Die Feinde sind nicht mehr weit! Ich werde es Merlin sagen.“ Die Fliege flog hoch und auf den Hügel zu, wo unter einem Zauber verborgen, eine unsichtbare Hütte stand. Doch für die Fliege war diese Hütte nicht unsichtbar. Sie flog einmal um die Hütte herum, dann durch das Fenster und ließ sich auf dem Kaminsims nieder, wo sie wie immer eine Schale mit Ziegenmilch und ein Stück Apfel fand. Als sie sich gestärkt hatte, flog sie auf, drehte noch eine Runde und dann verließ sie die Hütte auf dem gleichen Weg, auf dem sie hineingekommen war, durch das Fenster und landete auf dem Geländer der Veranda vor der Hütte. Sie schaute nach Norden, dorthin, wo die dunkle Lady ihre bösen Pläne schmiedete. Aber Karin wusste, für heute waren sie Sicherheit. Karin schwirrte einmal heftig mit den Flügeln und dann war die Stille vorbei. Die Vögel sangen wieder, die Grillen zirpten, die Bienen summten und auch die Blätter der Bäume rauschten wieder in der leichten Brise, die den Hügel hinaufwehte. Alles war so, wie es sein sollte. Karin flog hoch und in einem Bogen machte sie sich auf, um Merlin, Artus, Elian und Wilson zu folgen. Und wer genau hinhörte, konnte verstehen, dass diese Fliege vor Freude im Flug sang: „Avalon, wir kommen! Karin wird bald daheim sein!“ Und dann verschwand auch sie hinter den Bäumen am Waldrand.
Die Reise hatte begonnen.
An diesem Tag passierte nicht mehr viel und als sie abends ihr Lager auf geschlagen, gegessen und sich in ihre Decken gewickelt hatten, da waren sie schon ein ganzes Stück vorwärts gekommen. Früh am Morgen waren sie wieder unterwegs.
Sie waren etwa zwei Stunden unterwegs, da kam Elian von ihrem Rundflug zurück. Sie ließ sich auf Merlins Schulter nieder und rief ein paar Mal leise: „Schuhu!“ Einen Augenblick später flüsterte Merlin: „Pssssst! Da sind zwei Reiter vor uns. Alles in Deckung!“ Schnell duckten sich Merlin und Artus hinter einen Busch und Elian flog auf einen Ast über ihnen. Es dauerte nicht lange, da hörten sie ein
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Texte: Copyright 2005-2013 by Norbert Hesse & Zausel Records
Bildmaterialien: Copyright 2005-2013 by Norbert Hesse & Zausel Records
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2013
ISBN: 978-3-7309-1719-0
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