Der Ausbruch des Ersten Punischen Krieges
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Eine Frage der Kriegsschuld
von
Ryu Takeda Mori
Inhalt
Vorwort
Die Akteure
1 Syrakus
2 Karthago
3 Rom
Zwischenbilanz
Der Kriegsauslöser – Das Hilfegesuch
Die Rekonstruktion der Ereignisse
1 Quellenlage
2 Ein Hilfegesuch an Rom?
3 Die Folgen der „amicitia“-Aufnahme
4 Die Belagerung als Kriegsgrund
5 Der Kriegsausbruch! Der Kriegsausbruch?
Annäherung an die Kriegsschuldfrage
Schlussbemerkung
Quellen- & Literaturverzeichnis
Vorwort
Der Erste Punische Krieg tritt oft hinter den zweiten Krieg zwischen Rom und Karthago zurück. Selbst für antike Autoren wie Polybios, bot er gerade einmal den Stoff für eine Einleitung. Jedoch verkennt man die Bedeutung des ersten römisch-karthagischen Konflikts, wenn man ihn lediglich als ein Vorgeplänkel betrachtet. Der Erste Punische Krieg hat die Weltgeschichte stark beeinflusst und vermutlich dafür gesorgt, dass wir heute von einem Imperium Romanum sprechen. Denn mit dem Ausbruch dieses Krieges hat sich Rom zum ersten Mal auf einen Kriegsschauplatz außerhalb des italischen Festlandes begeben. Am Ende stand der Sieg über die damals vorherrschende Macht im Mittelmeer – Karthago. Das Prestige, jene bezwungen zu haben und der Zugewinn an außeritalischen Besitzungen, ließen Rom von einer Regionalmacht zum Globalplayer aufsteigen, der sich zukünftig immer stärker außerhalb Italiens engagierte und ein Imperium aufbaute. Der Sieg im Ersten Punischen Krieg bedingte – so kann man zu Recht sagen – den Aufstieg Roms zu einer Weltmacht.
Doch wie kam es überhaupt zu diesem Konflikt?
Bereits die antiken Autoren waren sich hier nicht einig. Betrachtet man die drei Hauptquellen Polybios, Cassius Dio/Zonaras und Diodor, wird schnell deutlich, dass jeder der Autoren, die Geschehnisse anders und teils sehr widersprüchlich zu den jeweils anderen Quellen wiedergibt. Der Grund hierfür liegt zumindest bei Polybios und Diodor in der unterschiedlichen Gewichtung ihrer gleichen Quellen. Bei Polybios entstand so auf der einen Seite eine pro-römische Darstellung der Ereignisse, während Diodor eine pro-karthagische Sicht präsentiert. Ein Vergleich bzw. eine systematische Zusammenlegung beider Berichte scheint schon jetzt naheliegend, um den tatsächlichen Begebenheiten des Jahres 264 v. Chr. näher zu kommen.
Die dritte Quelle bietet erneut eine eher pro-römische Sicht der Ereignisse. Cassius Dio setzt dabei vor allem auf Quellenmaterial, das bei Diodor und Polybios nicht in dem Sinne zum Einsatz kam. Seine Darstellung unterscheidet sich daher noch einmal von den beiden Erstgenannten.
Anhand dieser drei Hauptquellen haben Historiker der Gegenwart versucht, ein Bild der tatsächlichen Geschehnisse von 264 v. Chr. zu rekonstruieren. Die Ergebnisse sind zum Teil sehr unterschiedlich ausgefallen. Alfred Heuß sieht den Kriegsausbruch z.B. als ein Ereignis, das keiner vorhersehen konnte und zu einem Krieg führte in den Rom „hineingeschlittert“ sei, ohne tatsächlich Expansionsabsichten in Sizilien verfolgt zu haben. Andere wie Bleckmann, Willing und Zimmermann sehen den Kriegsausbruch hingegen gerade durch Roms Expansionsstreben bedingt. Dabei versuchen Bleckmann und Willing dies durch interne Faktoren zu erklären. Einen Masterplan zur Eroberung Siziliens sehen sie aber dennoch nicht. Wieder andere Althistoriker hinterfragen den genauen Ablauf der Ereignisse, die zum Krieg führten. So etwa Hoffmann, Welwei und Molthagen, aber auch Eckstein und Heftner. Besonders hier führt die Interpretation der Quellen zu unterschiedlichen Ergebnissen, da unterschiedliche Schwerpunkte gelegt wurden. Man kann daher bereits an dieser Stelle festhalten, dass es weder in den Quellen noch in der modernen Forschung einen Konsens darüber gibt, wie und warum es zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges kam. Lediglich das Ereignis, welches den Krieg ermöglichte, nämlich das Hilfegesuch der Mamertiner von Messana, scheint als Fixpunkt anerkannt zu sein.
Diese Arbeit möchte sich daher nun der Aufgabe widmen, die Ereignisse, die zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges führten, erneut zu untersuchen und die hiermit zusammenhängende Kriegsschuldfrage zu klären. Hierzu wird es nötig sein, in einem ersten Teil überhaupt erst einmal die Akteure des Krieges hinsichtlich ihrer Ausgangslage und ihrer Intentionen zu analysieren. Basierend auf dieser fundierten Aussage über die einzelnen Akteure, wird es so im zweiten Teil der Arbeit möglich sein, die Ereignisse, die zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges führten, detailliert zu rekonstruieren, indem unter den Vorgaben aus der Akteursanalyse die unterschiedlichen Quellen interpretiert werden. Am Ende der Arbeit soll auf diese Weise, anhand der Untersuchung der Akteure und der Rekonstruktion der Ereignisse, geklärt werden, warum es überhaupt zum Ausbruch eines Krieges zwischen Rom und Karthago kam und zudem, wer an diesem langen Konflikt tatsächlich die Schuld trägt. Schlussendlich wird die Arbeit in einem kurzen Fazit noch einmal die Ergebnisse dieser Arbeit gebündelt präsentieren.
Analyse der Akteure
Syrakus
Drei Akteure waren in den Kriegsausbruch verwickelt. Rom, Karthago und auch Syrakus. Letzteren gilt es als Erstes vorzustellen, da auf diese Weise eine innersizilische Perspektive erschlossen und zudem das „Setting“ am Vorabend des Kriegsausbruches geklärt werden kann. Bevor jedoch direkt auf Syrakus eingegangen wird, muss ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung der Insel geworfen werden.
Auf Sizilien begann die Besiedlung vor ca. 30.000 Jahren; Ackerbau und die Herstellung von Keramik sind ab dem 5. Jt. v. Chr. bezeugt. Insgesamt scheint es drei Bevölkerungsgruppen gegeben zu haben, die die Insel unter sich aufgeteilt hatten. Die Elymer hielten sich im Nordwesten der Insel auf und gründeten dort die bekannten Städte Eryx und Segesta. In der Inselmitte lebten die Sikaner und die Volksgruppe der Sikuler siedelte im Osten.
Sizilien war unterdessen kein weißer Fleck auf der Landkarte antiker Seefahrervölker. Sowohl Phönizier als auch Griechen kannten die Insel von Handels- und Forschungsreisen in den Westen. Dabei war es gerade die optimale Lage der Insel, die dazu führte, dass dort zuerst Handelsposten und schließlich Kolonien angelegt wurden. Man kann davon ausgehen, dass Phönizier und Griechen etwa zur selben Zeit begannen, die Insel zu besiedeln. Die ältesten Kolonien lassen sich auf beiden Seiten auf die zweite Hälfte des 8. Jh. v. Chr. datieren. Die Phönizier gründeten im Westen die Stadt Motye, wohl kurz vor dem Jahr 700 v. Chr., während die Griechen im Jahr 734 v. Chr. im Osten der Insel die Stadt Naxos errichteten.
Bereits bei der Lokalisierung der Städte fällt auf, dass die phönizischen und griechischen Siedlungen in jenen Gebieten angelegt wurden, die von den Elymern bzw. den Sikulern beherrscht wurden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es wohl nicht überall zu einer gewaltsamen Landnahme gekommen ist. Dies ist vielleicht damit zu erklären, dass seit längerer Zeit Handelsverbindungen bestanden. Jedoch zeigt bereits das Beispiel Syrakus, dass die neuen Siedler nicht als Gäste, sondern als Herren kamen. Die Stadt wurde 733 v. Chr. durch korinthische Siedler gegründet und gehört somit zu den ältesten griechischen Siedlungen Siziliens. Für ihre neue Stadt hatten sich die Siedler die Insel Ortygia, welche später per Damm mit dem Festland verbunden wurde, ausgesucht. Allerdings siedelten hier bereits die Sikuler. Diese wurden nun von den Neuankömmlingen vertrieben. Überdies hinaus gingen von dem neugegründeten Syrakus weitere Koloniegründungen aus, die die Funktion von Außenposten besaßen. Auch hier kam es erneut zu einer Vertreibung der Sikuler. Jedoch wurden nicht alle sikulischen Einwohner der Gegend vertrieben. Sie gerieten stattdessen unter die Herrschaft der Syrakusaner und lebten fortan in einem sklavenähnlichen Verhältnis. Finley fragt sich in diesem Zusammenhang, ob man die Herrschaftsform der Syrakusaner über die Sikuler nicht mit derjenigen Spartas über den Heloten gleichsetzen könne.
Die zahlreichen Koloniegründungen veränderten das Siedlungsbild Siziliens bis ins 6. Jh. gewaltig. Die Alt-Bewohner der Elymer, vor allem aber die der Sikaner und Sikuler dominierten nun das Landesinnere, während im Westen sich phönizische Kolonien zu den elymischen Städten hinzugesellten. Der Nord-Osten, Osten und Süden Siziliens hingegen wurde von griechischen Niederlassungen dominiert. Die Gründung griechischer Kolonien sorgte nicht nur für einen Zustrom neuer Siedler, auch griechisches Kulturgut wurde auf diese Weise exportiert. Leider wurden nicht nur positive Dinge in die neue Welt mitgebracht, sondern auch alte Streitigkeiten, so etwa der Zwist zwischen den nahegelegenen Städten Megara und Korinth. Auch die Tochterstädte, das gleichnamige Megara und das schon erwähnte Syrakus, waren in Sizilien in direkter Nähe zueinander gegründet worden und nicht eben die besten Freunde.
Die griechischen Kolonien Siziliens schienen zudem relativ schnell unter einem weiteren Problem gelitten zu haben. Aufbauend auf der Unzufriedenheit der meist einfachen Bürger mit dem Herrschaftssystem, erlangten Einzelpersonen die Alleinherrschaft in den Städten. Gerade ab dem 6. Jh. scheint hier eine wahre Welle an Tyrannis-Gründungen stattgefunden zu haben. Das hiermit einhergehende Hauptproblem war nun, dass Expansion zu einem beliebten Mittel wurde, dabei also innenpolitische Probleme durch außenpolitische Erfolge kompensiert wurden. Konflikte mit anderen Städten nahmen zu. Mochte auch die Tyrannis zu einer immer verbreiteteren Staatsform werden, bedeutete dies noch lange nicht, dass jeder Stadtstaat dadurch auch gleich zu einer Militärmacht wurde. Dazu brauchte es weiterer Unterstützung und diese sicherte man sich durch das Anwerben von Söldnerheeren. Auf diese Weise entstand für den Tyrannen gleichzeitig ein innenpolitischer Vorteil. Ein ihnen persönlich ergebenes Heer konnte nun auch innerhalb des Bürgerverbandes durch Androhung (oder Ausübung) von Gewalt, die Alleinherrschaft im Streitfall sichern helfen.
Konnte sich eine Stadt keine Söldner oder nicht genügend leisten und besaß auch kein ausreichendes Bürgerheer, blieb ihr nur noch eine letzte Chance, die Stadt zu retten – man bat eine andere lokale oder globale Macht, die dazu in der Lage war, die Polis vor der feindlichen Übermacht zu schützen.
Und genau hiermit ist nun der entscheidende Punkt der inneren Verhältnisse Siziliens genannt. Denn immer öfter wurde eine Macht zum Krisenherd gerufen, die nicht auf Sizilien beheimatet war. Die erste auswärtige Macht, die auf diese Weise in Sizilien eingriff, war Karthago. Bereits gegen 580 v. Chr. wurden die Karthager von den phönizischen und elymischen Städten zur Hilfe gegen griechische Übergriffe gerufen. Doch auch griechische Großmächte wurden zu Rettern in der Not. Athen zum Beispiel schickte bereits 427 v. Chr. Schiffe gegen Syrakus, die jedoch unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten, wurde aber 413 v. Chr. erneut zur Hilfe gerufen und konnte in seinen militärischen Aktionen nur durch die nun von Syrakus zur Hilfe gerufenen Spartaner und Korinther gestoppt werden. Damit war ein neuer Level der Hilfeleistungen erreicht. Man kann nicht direkt von Stellvertreter-Kriegen sprechen, jedoch bedeutete fortan ein innersizilischer Konflikt gleichzeitig Schauplatz eines globalen Krieges zu werden.
Nachdem nun ein grober Abriss über die innersizilischen Verhältnisse gegeben wurde, kann sich der Analyse des eigentlichen Akteurs Syrakus gewidmet werden. Wie bereits geschrieben, gehörte Syrakus zu den ältesten griechischen Kolonien der Insel. Dabei konnte ebenfalls erklärt werden, dass die korinthischen Kolonisten, die sikulischen Siedler aus ihrem Siedlungsgebiet verdrängt bzw. in ein sklavenartiges Verhältnis gezwungen hatten. Es lässt sich also bereits für die Gründungszeit der Stadt ein Expansions- und Herrschaftsgeist erkennen, der prägend für die folgenden Jahrhunderte sein sollte und vor allem von den Tyrannen der Stadt immer wieder demonstriert wurde. Der erste Tyrann der Stadt, Gelon, stammte dabei nicht einmal aus Syrakus, sondern aus der Kolonie Gela. Streitigkeiten zwischen der oligarchischen Führungsschicht und den Bürgern Syrakusʼ führten dazu, dass Erstere Gelon um Hilfe baten und sich so der Tyrann von Gela auch zum Herrscher über Syrakus aufschwingen konnte. Gelon nutzte die neuen Ressourcen schließlich, um eine syrakusanische Hegemonialmacht zu schaffen. Er eroberte die Städte im Umland von Syrakus, so auch die Stadt Megara, welche er vernichtete und seine Bürger deportierte oder versklavte. Durch seine Heirat mit der Tochter des Theron, des Tyrannen von Akragas, schmiedete er überdies ein Bündnis, welches sich 480 v. Chr. beim Angriff der Karthager auf Himera auszahlen sollte. Zusammen mit Theron gelang es Gelon auf diese Weise die Schutzmacht der westsizilischen Städte zu schlagen und Syrakus zu einer der mächtigsten Städte der Insel zu machen.
Syrakus selbst mag in den folgenden zwei Jahrhunderten mehrfach – vor allem durch innenpolitische Wirren – wieder die Vormachtstellung unter den Kolonien verloren haben oder zumindest nicht dazu in der Lage gewesen sein, sie voll auszuüben, dennoch darf man Syrakus spätestens ab der Herrschaft des Gelon und später seines Bruders Hieron, als die wichtigste und mächtigste griechische Stadt auf Sizilien betrachten. Zudem muss man Syrakus ab dem 5. Jh. als diejenige Stadt sehen, die es sich scheinbar zu Aufgabe gemacht hatte, die Karthager von der Insel zu vertreiben. Dies verständlicherweise weniger, um die Griechen, wie sie selbst gerne behaupteten, von den „Barbaren“ zu befreien, sondern vielmehr um den einzigen Konkurrenten um die Vorherrschaft über die gesamte Insel auszuschalten. Eine Erzfeindschaft entstand; dies bot vor allem Handlungsmöglichkeiten für Tyrannen.
Besonders zwei syrakusanische Herrscher müssen daher in diesem Zusammenhang noch genannt werden: Dionysios und Agathokles.
Dionysios gelang es nach einer kurzen Phase anti-tyrannischer Stimmung, im Jahr 405 v. Chr. eine neue Tyrannis zu errichten. Von Nutzen war ihm hier der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 24.10.2022
ISBN: 978-3-7554-2397-3
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