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Tag 22

In 50 Tagen zur Mrs. Grey

- Cassandra Day -


 

Tag 22

 

Mein großer Tag war gekommen.

Drei Wochen lang hatte ich das Büro von ‚Albrecht International‘ genervt, bis sie mir diese Chance gaben, meinen Mr. Grey zu finden. Die Liste mit deutschen Millionären zu googeln, war das kleinste Hindernis gewesen. Das Auskundschaften des Firmensitzes eine ganz andere Herausforderung. Denn auf Panoramafotos ließ sich nie erkennen, ob und wenn ja, was für ein Name über dem Haupteingang prangte. Manchmal hing dort lediglich das Wort ‚Eingang‘ ... Aber dadurch ließ ich mich nicht abbringen und meine Mühen zahlten sich bereits aus.

Ich musste nur noch das Gebäude betreten und mit dem Fahrstuhl zu meinem Liebesglück hochfahren. Endlich hatte ich es geschafft! Mr. Grey warte noch ein bisschen auf mich, dachte ich zuversichtlich, gleich stolpere ich in deine Arme.

Ein letztes Mal zog ich mein Blümchenkleid zurecht, bevor ich das Auto verriegelte. Es war kein klappriger VW-Käfer, ich setzte auf mehr Power unter der Haube, daher fuhr ich einen gebrauchten Sportwagen von Subaru. Ansonsten war ich wie Anastasia Steele. Vom Scheitel, den flachen Tretern, bis zur Schüchternheit. Und dank des biederen Looks sah ich viel jünger aus, als ich es mir mit achtundzwanzig Jahren zugetraut hätte.

„Guten Morgen“, grüßte mich die Empfangsdame im Erdgeschoss, doch dann klingelte ein Telefon und unterbrach sie. Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm sie das Gespräch entgegen. Ich nutzte die Chance und sah mich rasch um. Eine Glasfassade beherrschte das Bürogebäude, während die Dame hinter einem Tresen aus hellen Holzpaneelen halb verschwand.

Ich atmete tief ein und aus und besann mich meiner Nervosität. Im Buch hatte Ana noch nie ein Interview geführt, genau wie ich. Selbst wenn ich viel Erfahrung mit Kundengesprächen besaß, durfte diese mich nicht vom rechten Weg abbringen. Zu viele Geschäftsführer hatten meine Anfragen abgelehnt, sodass ich mir Herrn Albrecht nicht entgehen lassen durfte.

„Ihr Name, bitte?“, erkundigte sich die Sekretärin, nachdem sie wieder aufgelegt hatte. Sie entsprach genau meinen Vorstellungen. Groß, blond und ein sexy Ausschnitt, aber ich würde es sein, die ihren Chef um den Finger wickelte.

„Tanja Schuster“, sagte ich so leise, als bekäme ich vor Aufregung kaum ein Wort heraus. Leider musste ich meinen richtigen Namen angeben. Allein aus Angst, dass die Frau gegenüber von mir den Roman auch gelesen hatte und mein Manöver durchschaute. „Ich habe um 15:00 Uhr einen Termin mit Herrn Albrecht.“

„Ach ja. Das Interview, ich erinnere mich.“ Sie griff erneut nach ihrem Hörer und ließ den Blick über mein prüdes Outfit schweifen. Es klappte wie geplant. „Fahren Sie schon einmal hoch, ich sage oben Bescheid.“

„Danke“, erwiderte ich absichtlich murmelnd. „Einen schönen Tag noch.“

In Gedanken mein Kleid bejubelnd, das ich bei eBay aufgestöbert hatte, kam ich der Aufforderung nach. Sich unscheinbar und unsicher wie ein naives Schulmädchen zu geben, war wirklich anstrengend, dennoch die Sache wert. Dafür zwang ich mich auch in knielange, hochgeschlossene Kleidchen.

Mein Ziel lag im dritten Stock, was nicht die oberste Etage war, aber immerhin. Leider prangte kein beeindruckender Schriftzug über der verglasten Tür, sondern nur ein kleines Logo im oberen Drittel, doch schmälerte dies nicht meine Vorfreude. Solange der Mann hinter dem Schreibtisch mich begeisterte, würde ich alles aushalten. Auch jeden Klaps auf meinem Po.

Zuerst hatte ich die Liste der 500 reichsten Deutschen erfolglos durchgearbeitet, um nun die Firmenchefs meiner Heimatstadt ins Visier zu nehmen. Daher würde ich so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben. So gut er sich verstecken mochte, ich würde meinen Mr. Grey schon aufspüren.

Ich klopfte, besann mich meines Auftretens und öffnete.

Vor mir erstreckte sich kein Panoramaausblick, stattdessen die Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes. Das Büro war nicht gigantisch groß, es wirkte wie ein Kämmerchen, wenn ich ehrlich zu mir war. Zumindest passte der Schreibtisch zu meinen Erwartungen. Aus dunklem Holz und genug Platz bietend, um unanständigen Vorlieben nachzugehen. In dieser Kammer schien er allerdings fehl am Platze. Jedes Wartezimmer eines Arztes musste größer sein als das hier.

Nein. Böser Sarkasmus. Ana kennt keinen Sarkasmus. Sei gefälligst hin und weg. Sei wie Ana. Sei begeistert.

Dank der blöden Treter stolperte ich tatsächlich über die Schwelle, aber mein ausgeprägter Gleichgewichtssinn rettete mich vor einem Sturz. „Die Tür ist mörderisch, nicht wahr?“, erklang eine angenehme Männerstimme. „Da stolpere ich auch ständig.“

Nett, um die peinliche Situation zu entschärfen, ein Mr. Grey stolperte jedoch nicht. Sein unglaublich athletischer Körper wusste bestimmt nicht mal, wie das ging.

Also los, spornte ich mich an. Jetzt kommt es drauf an. Der erste Eindruck.

Langsam hob ich den Kopf, um meinen Mr. Grey zu betrachten - und wurde furchtbar enttäuscht.

Keine grauen Augen. Dafür stinknormale braune.

Herr Albrecht war hochgewachsen, selbst im Sitzen baute er direkten Blickkontakt auf, so wie ich es von einer Führungspersönlichkeit gewöhnt war. Er besaß ein freundliches Gesicht, obwohl es nicht den Drang auslöste, ihn küssen zu wollen. Breite Schultern, immerhin, doch der dunkle Anzug saß etwas zu locker, als wollte er Problemzonen kaschieren, anstatt seine Muskeln zu präsentieren.

Und er war alt. Erschreckend alt. Ich entdeckte graue Strähnen im Haar und eine von Falten zerfurchte Stirn. Natürlich hatte ich mir die Fotos auf der Homepage seiner Firma angesehen, aber das dort abgebildete musste zehn Jahre alt sein. Wenn nicht sogar fünfzehn. Eine unangenehme Wendung, dennoch würde ich mich davon nicht abbringen lassen, ich stand ja schließlich auch auf ältere Schauspieler. Ältere Männer waren erfahrener, im Leben und definitiv im Bett. Außerdem war es sehr, sehr unrealistisch einen reichen Firmenchef unter dreißig zu finden, der sein eigenes Imperium bereits aufgebaut hatte. Allzu kleinlich durfte ich also nicht sein.

„Sie sind Frau Schuster von der Web-Zeitung?“ Herr Albrecht erhob sich und wies lächelnd auf den freien Stuhl vor dem Schreibtisch. Ganz der Gentleman, erkannte ich an. Seine Stimme war zumindest angenehm. Nicht zu weich, dafür ein klein wenig herrisch, sodass ich mich gleich setzte.

Mr. Greys Befehlen würde ich immer Folge leisten.

„Genau, Tanja Schuster“, bestätigte ich zögerlich. „Sie dürfen auch Tanja sagen.“ Ich erwiderte das Lächeln, stellte meine Tasche ab und schlug die Beine übereinander.

„Nun gut. Tanja, was wollen Sie denn von mir wissen?“

Ich räusperte mich und holte mein Tablet hervor, bevor ich antwortete. Technik interessierte mich schon immer, auch wenn sie eher mich beherrschte als ich sie. „Ich schreibe für eine Homepage, die demnächst zu einer Online-Zeitung expandiert, über deutsche Manager, Vorstandsvorsitzende und ihre Firmen. Allerdings drehen sich unsere Reportagen mehr um die private Seite und weniger um die Geschäftsbeziehungen. Wir wollen den Befragten ein Gesicht geben und nicht einfach nur Zahlen präsentieren.“ Zahlen würden mich nicht in ochsenblutrot tapezierte Spielzimmer führen.

Herr Albrecht nickte weiterhin freundlich. Mittlerweile klappte meine Eröffnung ganz gut, die vielen Übungen vor dem Spiegel hatten sich also gelohnt.

Wenn ich sagen würde, dass ich die Besitzerin der Homepage war und vielleicht zwanzig Seitenaufrufe die Woche besaß, würde er mich sofort des Raums verweisen. So klang meine Vorstellung fast professionell. Aber nur fast, denn ich musste ihm ja die unerfahrene, schüchterne graue Maus vorspielen. Gerade von der Uni, noch nicht so wirklich bereit fürs Arbeitsleben. Wie zur Erinnerung rang ich die Hände und senkte den Blick auf mein Tablet. Na los, Mr. Grey, erwecke meine innere Göttin, von der ich nichts ahne. Ahnen sollte? Konnte ich es noch ahnen, wenn ich bereits wusste, was geschehen sollte? Hmmm.

Andererseits konnte ich widersprüchliche Stimmen in meinem Kopf nicht gebrauchen.

„Von Ihrer Zeitung habe ich leider noch nichts gehört“, merkte Herr Albrecht an.

„Oh“, winkte ich ab, „das ist ein kleines, aufstrebendes Studentenblatt.“

„Ach, verstehe.“

Trotz der Nachfrage machte ich mir keine Sorgen, dass meine Homepage Probleme bereiten würde. Es gab so viele Internetseiten, wer machte sich schon die Mühe und recherchierte haarklein, wer dahinter steckte?

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte mich Herr Albrecht. „Dann gebe ich meiner Sekretärin Bescheid. Ich habe Ihnen eine halbe Stunde eingeräumt.“

Sogleich nickte ich, denn für dreißig Minuten hatte ich nicht genügend Fragen eingeplant. Seit wann konnten Firmenchefs sich so viel Zeit nehmen? Das wurde in Filmen und Büchern deutlich kürzer dargestellt.

„Haben Sie vielleicht Tee?“

„Natürlich. Kräuter oder Earl Grey?“

„Earl … Grey, bitte.“ Gegen heiße und kräftige Earls hätte ich auch nichts einzuwenden.

„Kommt sofort.“ Er drückte eine Taste an seinem Telefon und aktivierte die Freisprechfunktion.

„Ja, Herr Albrecht?“

„Eine Teekanne Earl Grey, bitte, Magda. Zwei Tassen und Honig für mich.“ Die Sekretärin flötete eine Bestätigung, woraufhin er zufrieden grinste. Dabei sollte er nicht so süß und zuvorkommend klingen. Eher streng und distanziert. Außerdem sollte er sich nur auf mich konzentrieren. Mir mit fester Stimme befehlen, vor ihm zu knien. Mich auszuziehen.

Hoppla, da preschte meine Fantasie wieder davon. Für Lack und Leder hätten wir später noch Zeit.

Ich öffnete meine App für Notizen und scrollte hoch, so als müsste ich eine endlose Liste überblättern. In Wirklichkeit standen dort nur die Fragen, die ich anhand meines Lieblingsbuchs zusammengefasst hatte. Sie waren nicht identisch, dennoch dicht dran. Schließlich wollte ich keine Romanfigur daten, sondern jemanden, der wie Christian dachte und handelte.

Das Tablet auf meinem Schoß balancierend, suchte ich Herrn Albrechts Blick. Ohne dass ich es merkte, war er aufgestanden und um den Schreibtisch gegangen, sodass er nun auf der Kante links von mir saß. Er strahlte Freundlichkeit aus, sein Lächeln war charmant für einen in die Jahre gekommenen Mann. Jedoch löste dies weder ein Ziehen in meinem Bauch aus noch das Bedürfnis, mich ihm hinzugeben.

Mit Mühe kämpfte ich ein Stirnrunzeln zurück, da ich nun einen freien Blick auf seine Krawatte erhaschte, welche eine Vielzahl von Disneyfiguren zeigte.

Ich meine, Disney, ging es noch abtörnender?

„Sie sind der Gründer der Firma und haben diese komplett selbständig aufgebaut?“, lautete meine erste Frage, während ich krampfhaft ein Kichern unterdrückte. Oh mein Gott, diese Krawatte schlug alles. Welcher Mann in seinem Alter kaufte sich so etwas?

Er sah mich von oben herab an und ich war mir unsicher, ob er mich gerade abcheckte. Ich versuchte ein Lächeln aufzusetzen, was mir angesichts putziger Hasen, tanzender Mäuse und Meerjungenfrauen nicht gelang.

„Ich habe diese Firma zusammen mit meinem Partner aufgebaut, als wir Mitte zwanzig waren. Nach fünf Jahren hat er sich jedoch auszahlen lassen, sodass ich sie alleine weiterführte.“

Ich schrieb stichpunktartig mit, obwohl meine Handschrift furchtbar unleserlich war. Hoffentlich konnte ich das später noch entziffern.

Da öffnete sich die Tür und die Sekretärin brachte den bestellten Tee. Sie hielt sich nicht weiter mit uns auf, sondern verschwand gleich wieder.

„Und seitdem hat Ihre Firma immer weiter expandiert?“, schlussfolgerte ich. „Es war also eine richtige Entscheidung, Ihren Freund gehen zu lassen oder vielleicht einfach nur Glück?“

„Das können Sie auf der Website des Konzerns nachlesen, Frau Schuster.“ Herr Albrecht zog verwundert die Augenbrauen hoch.

„Also kein Glück?“

Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe, aber Herr Albert schien nicht darauf zu reagieren.

„Wollen Sie mir unterstellen, dass es falsch ist, den besten Freund ziehen zu lassen?“, erwiderte er nun leicht erbost.

Sehr schön. Er konnte also doch herrisch werden.

„Wollten Sie mich nicht nach Dingen fragen, die man nicht überall lesen kann?“

„Das tue ich“, meinte ich leise. Anastasia würde jetzt kneifen, ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. Ich mochte es nicht, für Fehler gerügt zu werden, die keine waren. „Auf Ihrer Homepage betonen Sie immer nur, dass der Austritt interessante Perspektiven eröffnete“, konterte ich.

Herr Albrecht trank einen Schluck Tee, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Vielleicht gehörte ein Quäntchen Glück dazu. Ich hatte keine großen Bedenken, da ich meine Mitarbeiter sehr gezielt auswähle. Damit ich genau weiß, wie ich deren Vorteile am besten einsetze. Ich hege hohe Erwartungen, Frau Schuster, belohne aber auch harte Arbeit.“

Yesss, wie in meinem Lieblingsbuch. Die Formulierung stimmte nicht ganz, was soll’s. Ich hatte ihn gereizt und seine dunkle Seite aufblitzen lassen. Sicherlich waren die Fragen naiv und nichts Besonderes, doch um wie Ana einen dominanten Herrn zu finden, musste ich ihren Weg beschreiten.

Ich versuchte einen unschuldigen Blick aufzusetzen, freute mich jedoch innerlich wie die Katze, die gleich die Maus verschlang. Obwohl es eigentlich anders herum sein müsste.

Herr Albrecht musterte mich fragend. Zu gern würde ich seinen Gedanken lauschen. Wollte er mich für meine Unerfahrenheit bestrafen? Mich übers Knie legen?

„Junge Dame?“, unterbrach er meine Überlegungen. „Alles in Ordnung?“

Ich nickte. Ich sollte mich eindeutig besser konzentrieren. Leider schienen meine Tagträume verlockender als mein potenzieller Mr.-Grey-Kandidat. Seine Anwesenheit nahm mich nicht derart ein, dass ich alles andere vergaß.

Jetzt sah Herr Albrecht mich nur mitleidig an. Kein Feuer und vor allem kein Begehren. Ich hatte mich so sehr auf dieses schimmernde Funkeln in seinen Augen gefreut, spätestens dabei wäre ich mir sicher gewesen, den Richtigen gefunden zu haben.

Um ihn doch noch für mich zu gewinnen, musste ich mit den Fragen deutlich anziehen.

„Was sind Ihre Leidenschaften? Also, was unternehmen Sie gerne im Privaten?“, fragte ich zögerlich, obwohl ich wirklich neugierig war.

„Ich besitze ein Segelboot, mit dem ich über die Flüsse fahre und wenn es die Zeit ergibt, auch über das Meer. Zumindest kleinere Strecken.“

Na toll, dachte ich. Ausgerechnet ein Boot. Dabei wurde ich schon seekrank, wenn ich mich auf einen Steg traute. Es lag nicht am Schaukeln und Schwanken, sondern an meiner Angst vor Wasser.

„Segeln Sie auch gerne?“, wollte Herr Albrecht wohl aus Höflichkeit wissen. Oder zeigte er Interesse an mir?

„Ja“, quetschte ich heraus und log schamlos. Wenn ein Mann eine leidenschaftliche Nacht mit mir auf einen Boot verbringen wollte, würde ich mich nicht sträuben. Im besten Falle wären die Stunden so atemberaubend, dass ich meine Beschwerden völlig vergaß.

„Fänden Sie Gefallen an einem kleinen Segeltörn?“

Mir blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Wa-was? Mein Puls raste und mir schoss die Röte in die Wangen. Dabei errötete ich eigentlich nie.

„Ähm … gern“, brachte ich irgendwie hervor. „Ihre Sekretärin hat ja meine Nummer …“

Oh mein Gott! Passierte das gerade wirklich?

„Da lässt sich sicher etwas regeln und wir könnten in aller Ruhe Ihren Artikel besprechen. Sie brauchen bestimmt Fotos. Das wäre doch genau richtig, ein paar Fotos von meiner ganz privaten Seite“, meinte er mit einem Schmunzeln.

Wieso sprach er nun die Punkte an, die im Buch noch vorkommen würden? Auch Christian hatte Aufnahmen zugestimmt und wie Ana hatte ich keinen Fotografen dabei.

Was geschah hier? Hatte ich ihn von meiner unschuldigen Seite überzeugen können? Wollte er mich? War Herr Albrecht mein Mr. Grey? Ich wäre am liebsten kreischend aufgesprungen und auf der Stelle getanzt! Das war leichter gewesen, als zunächst vermutet.

„Haben Sie noch weitere Fragen für Ihren Artikel, Frau Schuster?“, wollte er nun wissen und beugte sich zu mir.

Ach ja, der Artikel, erinnerte ich mich.

Ich scrollte über die Zeilen auf meinem Tablet und übersprang die Frage nach seiner Sexualität. Damit wollte ich mir meine Chance definitiv nicht verderben.

Jetzt hieß es, den Mann ein letztes Mal von meinen Qualitäten zu überzeugen. Unschuldig aufblicken, auf der Lippe kauen und ganz schüchtern und verwirrt wirken. „Mussten Sie das Familienleben Ihrer Firma opfern?“

„Nein“, meinte Herr Albrecht nun.

„Oh.“ Ich stockte. „Wirklich nicht?“

„Nein.“

Das war allerdings eine krasse Abweichung vom Skript zu meinem Liebesglück.

„Fragen Sie warum“, forderte er auf einmal und seine Stimme klang ernster denn je.

Nun war ich tatsächlich unsicher.

„Fragen Sie warum“, wiederholte er und sein Ton ließ keinen Widerspruch zu.

Er konnte sehr wohl die Kontrolle übernehmen.

Ob ich wollte oder nicht, ich kam seinem Befehl nach. „Warum?“

„Weil ...“ Er suchte meinen Blick und meinte schließlich eiskalt: „Ich glücklich verheiratet bin.“

Ach du Schande. „Davon steht auf Ihrer Webseite nichts.“

Herr Albrecht erhob sich und schlenderte wieder zu seinem Schreibtischstuhl zurück.

„Ich halte mein Privatleben gern privat. Für Ihre Zeitung wollte ich eine kleine Ausnahme machen, doch das war wohl eine Fehlentscheidung.“

„Sie tragen keinen Ring!“, meinte ich und ging sofort in eine Abwehrhaltung über. Was war das auf einmal für ein Spiel, das er mit mir trieb?

„Beim Juwelier, um ihn vergrößern zu lassen.“

Noch wollte ich mich nicht geschlagen geben. „Und wieso sehe ich hier nirgendwo ein Foto?“

„Ich bin effizient und konzentriert, deswegen brauche ich nicht viel außer einen Arbeitsplatz.“ Mit der flachen Hand zeigte er über seinen Schreibtisch. „Ich bin nicht nur ein verheirateter Mann, sondern ein zweifacher Opa.“ Er deutete auf die Disneykrawatte und mir wurde speiübel. Auch ohne schwankenden Boden. „Was ich anpacke, hat nichts mit Glück zu tun, Frau Schuster. Aber versuchen Sie ihr Glück gerne weiter.“

Scheiße, wo war ich denn hier gelandet?!

Herr Albrecht drückte den Knopf für ein Gespräch mit seiner Sekretärin. „Bitte begleiten Sie Frau Schuster aus dem Gebäude, meine Liebe. Sie ist mal wieder so eine.“

Zur Antwort erklang ein belustigtes Gackern, sodass ich auf meinem Stuhl zusammensackte.

„Woher …?“, schaffte ich zu formulieren, ehe Herr Albrecht mich unterbrach.

„Sie sind in diesem Halbjahr schon die Dritte, die diese Show abzieht, wenn auch bei Weitem nicht die Überzeugendste.“ Er öffnete eine Schreibtischschublade und knallte eine Ausgabe meines Lieblingsromans auf den Tisch, so fest, dass die Teetassen klirrten.

Anhand der Rillen im Buchrücken hatte er jedoch nur fünfzig Seiten davon gelesen. Die reichten anscheinend aus, um mein Schauspiel zu durchschauen. Vor Schreck rutschte mein Tablet zu Boden und kam mit einem lauten Knacken auf.

„Einen guten Tag noch, Frau Schuster. Das Gespräch ist nun beendet.“

Bevor die Sekretärin mich wirklich des Gebäudes verweisen konnte, stopfte ich meine Sachen in die Tasche und stürmte aus dem Büro. Erneut blieb ich an der bescheuerten Schwelle hängen und schaffte es gerade so zum Fahrstuhl.

Anstatt von meinem zukünftigen Mr. Grey verabschiedet zu werden sowie mit einem Kopf voller verwirrender Sehnsüchte hinabzufahren, wünschte ich, der Boden würde sich unter mir auftun. Gedemütigt schlich ich zu meinem Auto und fuhr heim, ohne mich ein letztes Mal umzusehen.

So hatte ich mir ein Treffen mit meinem potenziellen Traummann nicht vorgestellt.

 

♥ ♥ ♥

 

Den Rest meines Urlaubstages verschwendete ich ebenfalls, da ich im wohl schlimmsten Feierabendstau aller Zeiten festsaß. Ich hatte mich umsonst verkleidet, umsonst für dieses Interview gekämpft und hockte nun in meinem Subaru fest. Dort konnte ich zumindest schreien und mich aufregen, ohne dass mich jemand hörte, besser fühlte ich mich dadurch trotzdem nicht. Schon gar nicht, wenn im Nebenauto ein Pärchen wild rummachte, während alle anderen genervten Fahrer keinen Zentimeter weiter kamen.

Laut Radio hatte irgendwo auf der Strecke ein Auffahrunfall stattgefunden, fast hätte ich in der Redaktion angerufen und es berichtigt. Zwei Auffahrunfälle. So wie Herr Albrecht mich hatte auflaufen lassen und anschließend abservierte, musste ich schwerwiegende Verletzungen davongetragen haben.

Mein Ego war angeknackst und mein Stolz benötigte dringend ein großes Pflaster. Den Kopf aufs Lenkrad gelegt, hatte ich jedenfalls genug Zeit, mich in Selbstmitleid zu suhlen. Bis das Pärchen neben mir die Rücklehnen herunter klappte und ich peinlich berührt in eine andere Richtung starrte.

Wo war mein Mr. Grey, wenn ich ihn brauchte? Mich nach seinen Berührungen verzehrte?

Und was erlaubte sich dieser fiese Kerl? Ich suchte einfach meinen Traumpartner, nur weil dieser Albrecht verheiratet war, musste er nicht so auf meinen Sehnsüchten herumhacken. Ich war bloß eine von vielen verzweifelten Singles, deswegen durfte er nicht auf meinem Herz herumtrampeln!

Dank des Staus blieb mir keine Zeit mehr, nach Hause zu fahren und mich umzuziehen, bevor mein Computerkurs begann. Was den Aufbau von Homepages betraf, war ich eine blutige Anfängerin, aber ich lernte stetig dazu. Wie sollte meine Geschichte auch glaubwürdig klingen, wenn ich nicht mal die Grundkenntnisse beherrschte? Außerdem fürchtete ich, dass mein Mr. Grey es als Vertrauensbruch ansehen würde, wenn ich ihm eines Tages die Wahrheit offenbarte. Gleichzeitig wäre es bestimmt nicht schlecht, wenn er mich für meine Schwindelei ausgiebig bestrafte.

Reichlich frustriert parkte ich also vor Haralds Computerladen und schleppte mich zum letzten Termin des heutigen Tages. Vor ein paar Wochen hatte ich noch keine Ahnung gehabt, wie man eine Webseite erstellt, bis ich im Internet auf eine Anzeige des Ladens stieß: Angeboten wurden Gruppenkurse im kleinen Rahmen, ziemlich preiswert dazu und das Geschäft war mit dem Auto nur zehn Minuten von meinem Zuhause entfernt.

Für mein Anastasia-Cover und um an reiche Firmenchefs zu kommen, brauchte ich dieses Wissen. So brachte mir Christoph, der Sohn des Inhabers, nun seit einigen Wochen immer dienstags und donnerstags das Wichtigste bei.

Der Computerladen war eine Mischung aus Reparaturwerkstatt, Kundendienst, Internetcafé und Programmier-Schule - keine Ahnung, wie sie sich über Wasser hielten. Eine Glocke bimmelte, als ich die Tür aufschob und sofort begrüßte mich Harald vom Tresen aus. Mit einer Freude, als hätte er nur auf mich gewartet.

„Hallo, Tanja!“, strahlte er. „Christoph ist gleich für dich da.“

„Erstmal muss ich zu dir.“ Geknickt zog ich mein Tablet hervor, das beim Sturz in Herrn Albrechts Büro ebenfalls einen Knacks abbekommen hatte. Quer über das Display splitterte nun ein gewaltiger Riss. „Kriegt ihr das hin?“

Harald drehte mein Gerät zwischen den Fingern, woraufhin der Bewegungssensor reagierte und das Tablet aufweckte. Breit grinsend gab er Entwarnung: „Klar, da tauschen wir nur die Frontscheibe aus.“

Ich seufzte erleichtert, wenigstens eine gute Nachricht am heutigen Katastrophentag.

„Bis Donnerstag könnte es knapp werden, aber nächste Woche ist es wieder wie neu“, versprach Harald und ich glaubte ihm. Auf ihn konnte ich mich immer verlassen.

„In Ordnung. Danke.“ Ich wies auf den Gang, der vom Eingangsbereich abzweigte, und wandte mich ab. „Ich gehe schon mal nach hinten.“

„Halt!“, schallte es plötzlich, doch er meinte nicht mich, sondern den Teenager, der nach mir eingetreten war. „Du brauchst dringend einen heißen Kakao mit Marshmallows.“

So einen würde ich auch gern haben, allerdings ließ ich mir meinem Frust nicht anmerken.

Das Mädchen, das ihren Laptop wie ein kleines Kind umklammert hielt, schniefte und jammerte: „Er springt nicht an, da ist mein Leben drin.“

Harald warf den Kaffeevollautomaten an und bot neben den Marshmallows tröstende Worte. Er wusste immer, was seine Kunden brauchten. Wie ein Vater kümmerte er sich um uns, als wären wir alle seine Kinder. Ich war nur durch Zufall auf den Laden gestoßen, hatte ihn aber trotz seiner chaotischen Arbeitsweise bereits empfohlen. Und gern gewonnen sowieso.

Rund um den Tresen stapelte sich Hardware, die zur Abholung bereit war. In Vitrinen konnte der interessierte Kunde die wichtigsten Gadgets betrachten, die er zur Aufrüstung benötigte oder Harald bestellte gleich die passenden Teile. Der vordere Raum war einladend, doch total vollgestopft. Ein wahrer Palast aus Computertowern, Kabeln und allerlei Elektronik.

Dahinter folgte ein größerer Bereich mit mehreren Reihen PCs, in dem sich täglich Gamer zum Zocken trafen. Sobald sie sich bei Harald eingetragen und eine Nummer abgeholt hatten, bot ihnen der Laden fast unbegrenzten Zugriff auf ihre Lieblingsbeschäftigung. Zumindest, bis ihnen das nötige Geld ausging.

Ein weiterer, deutlich kleinerer Raum beherbergte sechs Computerterminals, an denen die Kurse stattfanden, manchmal innerhalb einer Gruppe, manchmal einzeln wie bei mir.

Ich kannte nicht viele Nerds, aber so stellte ich mir ihren Rückzugsort vor. Jalousien immer zugedreht, die Leuchtstoffröhren dauerhaft an und das Brummen der Lüfter verschwand sanft im Hintergrund. Dennoch war es ein gemütlicher Ort, ganz anders als ein Klassenzimmer oder ein normaler Kursraum. Ich hatte noch nie auf so bequemen Drehstühlen Platz genommen und mich gleich in die Gaming-Tastatur, die ich hier nutzte, verliebt. Dazu hatte Christoph die Wände nicht einfach weiß streichen lassen, sondern eine Fototapete aus Screenshots von Games, Filmpostern und allem Möglichen erstellt. In mühsamer Kleinarbeit hatte er dies an die Wände geleimt.

Ich weckte einen PC aus dem Schlafmodus und ließ mich in den Stuhl sinken. Meine Füße schmerzten höllisch, sodass ich die unsäglichen Treter endlich abstreifte. Ich konnte auf fünfzehn Zentimeter hohen ‚Fick mich‘-Schuhen laufen, doch die hier gaben mir den Rest. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett fallen und die heutige Katastrophe vergessen, allerdings freute ich mich auf den Kurs.

Ich durfte nur nicht daran denken, welche Folgen der Termin bei Herrn Albrecht für mich haben könnte. Hoffentlich schickte er nicht meinen Namen per Rundmail an seine Kollegen, um sie vor der Verrückten zu warnen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal einen Decknamen angeben oder gleich Anastasia Steele sagen. Wenn sie mein Manöver durchschauten, würde die Security mich eh hinauswerfen.

Es war eindeutig anstrengender, meinen Mr. Grey ausfindig zu machen als gedacht.

„Wie siehst du denn aus?“, fragte Christoph verwundert, während er eintrat. Ich ließ weiterhin den Kopf hängen.

„Frag nicht.“

„Ist schon wieder Karneval und du gehst als Mauerblümchen?“

„Haha.“ Ich spießte ihn mit einem Blick auf und löste mit einem Griff die Klammer, die meine blonden Locken zusammengehalten hatte. Wild fielen sie mir über die Schultern und ich bauschte sie schnell auf.

„Oder hast du eine Wette verloren?“

„Bitte, der Tag war furchtbar genug.“ Er wollte nett sein und mich aufmuntern, nur war mir nicht danach. Nette Männer kannte ich schon viel zu viele. Das endete immer gleich.

Dennoch konnte ich Christophs Scherze verstehen. Er wusste, dass ich Mitarbeiterin einer Boutique-Kette war, die sich auf Kleidung der oberen Preisklasse spezialisiert hatte. Wir waren nicht Gucci oder Armani, aber einen Pullover unter hundert Euro würde ein Kunde bei uns nicht erstehen. Abgesehen vom Organisatorischen war es mein Job, Männer und Frauen geschmackvoll und edel einzukleiden. Ich liebte meine Arbeit und ich war gut darin. Die passende Kleidung, Schuhe und Accessoires konnten jeden schön aussehen lassen. Wer sich schön fühlte, der strahlte es nach außen hin aus.

Bisher kannte Christoph nur meine gestylte Seite. Immer auf Heels unterwegs, die mich wenigstens fünf Zentimeter größer machten. Ohne diese fühlte ich mit meinem 1,60 Meter einfach nur winzig. Immer dezent geschminkt, sodass das Make-up meine Augen und Lippen betonte. Außerdem verkaufte ich nicht nur die Mode, sondern trug dank des großzügigen Mitarbeiterrabatts auch viele der Stücke.

Und jetzt sah Christoph mich allen Ernstes in alten Omaschuhen, grauen Strumpfhosen und einem verwaschenen Blümchenkleid mit weißem Kragen. Anastasia hatte einen fürchterlichen Modegeschmack meiner Meinung nach.

„Okay, ich bohre nicht weiter, aber die Stilveränderung ist nicht zu deinem Besten, Tanja. Das sieht furchtbar aus.“ Er grinste und stellte eine Tasse Tee vor mir ab. Dieser dampfte nicht mehr, schien jedoch so kräftig, als hätte der Beutel eine halbe Stunde in der Tasse gezogen. „Den magst du doch? Twinings, nicht wahr?“

„Danke.“ Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln und wärmte meine Finger an der Tasse.

Die einzig wahre Gemeinsamkeit zwischen Anastasia Steele und mir war die Vorliebe für Twinings Breakfast Tea. Nur dass sie ihn praktisch zwanzig Sekunden ziehen ließ, während ich meine zwei Teebeutel in der Literkanne regelmäßig vergaß. Vielleicht war Anastasia im Buch so langsam in ihren Schlussfolgerungen, weil sie chronisch unterkoffeeiniert war, scherzte ich manchmal.

Ich wünschte mir so sehr, dass mein Mr. Grey mir bald mein Lieblingsgetränk reichen würde und nicht Christoph. Dennoch nippte ich an der Tasse, um seine liebe Geste zu würdigen. Ich war nur seine Kundin, für ihn gab es keinen Grund, warum er sich meinen Lieblingstee merken musste.

In vielen Punkten war Christoph nur ein halber Christian. Sein Name zum Beispiel. Fing gut an, endete jedoch falsch. Zwar war er groß gewachsen und sportlich gebaut, aber er schlurfte nur in Jeans und T-Shirts durchs Leben. Die Chucks passten wieder zu meinem Traummann, würden sie nicht stets verdreckt sein und aussehen, als hätten sie schon zehntausend Meilen hinter sich.

Zumindest punktete er mit seinem Humor, würde ich einen Partner für Späße suchen. Allerdings wollte ich einen, der mir multiple Orgasmen und ein verbotenes Spielzimmer schenkte.

Er flirtete immer wieder mit mir, trotzdem würde ich nicht auf seine Versuche eingehen. Ich hatte genug Beziehungen mit netten Typen geführt, das brachte nichts. Stattdessen wollte ich Verführung, von der dunklen Seite kosten und mich dem süßen Schmerz der Bestrafung hingeben, der so viel Lust bewirken sollte.

Christoph wäre dabei der Letzte auf meiner Kandidatenliste. Wenn ich es genau bedachte, stand er nicht mal darauf. Schließlich war es mir auch verboten, mit den Stammkunden unserer Bekleidungskette etwas anzufangen. Ihn schien es nicht sehr zu stören, dafür versteckte ich mich umso hartnäckiger hinter dieser Regel. Vertragspartner gingen rein professionell miteinander um.

„Was ist los?“, er zog sich einen Stuhl heran und lächelte aufmunternd. „Oder möchtest du einfach weitermachen, wo wir aufgehört haben?“

„Das willst du nicht wissen“, antwortete ich. Ich konnte doch niemandem offenbaren, dass ich mein Lieblingsbuch nachstellte. Christoph war ein wirklich guter Lehrer. Wie sollte ich ihm gestehen, dass ich eine Homepage baute, um meinen Traumpartner für ein erfülltes Sex-Leben zu finden? Jedes Szenario vor meinem geistigen Auge entwickelte sich schlimmer als das vorherige.

Andererseits würde er mich nicht Ruhe lassen, bis ich etwas erzählte. Mittlerweile kannte ich seine neugierige Ader allzu gut.

„Ich interviewe ich für meine Homepage Manager“, begann ich zögerlich.

„Genau. Deswegen bin ich immer noch geknickt, weil ich dafür nicht in Frage komme.“

„Du managst den Laden hier nicht“, warf ich ein, woraufhin er nur schief grinste. „Außerdem interviewe ich nur die reichsten Geschäftsführer Deutschlands. Da gehörst du eindeutig nicht dazu.“

„Das ist ein wenig snobistisch.“

„Sehe ich anders.“ Für den Lebensstil einer Mrs. Grey brauchte der passende Mann eben Kohle - so stand es schwarz auf weiß in meinem Buch. Fakt, also.

„Wie du meinst.“

„Das Interview war eine Katastrophe“, meinte ich vorsichtig.

„Lag sicherlich am Outfit.“

Ich rümpfte die Nase. „Das hatte schon seinen Grund.“

Christoph winkte ab und wechselte wieder zum eigentlichen Thema. „Heute wollte ich dir beibringen, wie du einen Newsletter einrichtest. Hast du dir schon überlegt, wie du den am besten nutzen kannst?“

Da ich gehofft hatte, heute die Suche zu beenden ... „Nein.“

„Nicht weiter schlimm. Rennt ja nicht weg.“

Die nächsten Minuten verbrachte Christoph damit, mir die einzelnen Schritte zu zeigen und zu erklären, worauf ich achten sollte. Ich hörte jedoch nur mit halbem Ohr zu. Stattdessen musste ich daran denken, wie Herr Albrecht mein Spiel durchschaut und sich einen Spaß daraus gemacht hatte, mich aus seinem Büro zu werfen.

„Und jetzt du.“

„Was hast du gesagt?“

Christoph zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Setz dich erstmal gerade hin, sonst bekommst du noch Rückenschmerzen.“

Sofort kam ich der Aufforderung nach.

„Was ist los?“, fragte er erneut und rollte mit seinem Drehstuhl ein Stück zur Seite. Ich war mir sicher, dass er dies mit Absicht machte. Bei seinen Erläuterungen kam Christoph mir immer näher, als es wohl für einen Kursleiter normal war.

Ich seufzte, in Gedanken wieder bei meinem Katastropheninterview. Bitte, wenn er so drängelte. „Du hast mich doch letztens mit diesem Buch erwischt, über das so viele lästern.“

„Ich erinnere mich“, bestätigte er kühl. „Das Buch, in dem die Frau sich schlagen lässt.“

„Das ist gar nicht so schlimm, ehrlich. Du solltest nichts verurteilen, was du nicht gelesen hast“, verteidigte ich die Geschichte umgehend.

Christoph schwieg lieber, als sich auf eine Diskussion mit mir einzulassen. Denn meistens sah eine Diskussion mit mir folgendermaßen aus: Ich ignorierte seine Argumente und beharrte auf meinen Standpunkt, bis mein Gesprächspartner das Thema wechselte.

Den Wunsch nach meinem persönlichen Mr. Grey würde mir niemand schlecht machen.

Daher erklärte ich Christoph schnell meinen Plan, damit er mich nicht unterbrach. Im Gegenteil. Zum Ende brach er in heiteres Gelächter aus. „Deswegen machst du das alles? Sag mir nicht, auch diesen Kurs hier?“

Ich nickte und kam mir auf einmal besonders dumm vor. Bücher waren nicht das wahre Leben, das würde jetzt definitiv kommen. Aber war der Wunsch falsch, ein Leben wie in einem Buch zu wollen? Welche Frau wollte das nicht? Die Realität gestaltete sich oft so langweilig und wenig romantisch.

„Also ich kenne nur die Witze darüber“, gestand Christoph und rollte mit seinem Stuhl ein weiteres Stück zurück. „Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass es andere Wege gibt, den passenden Mann zu finden.“

„Es geht nicht um den passenden Mann.“ Trotzig verschränkte ich die Arme.

„Achso? Um was dann?“

„Um den unglaublichen Sex.“

Christoph verschluckte sich an seiner Antwort und hustete bei meiner Offenheit. Wenigstens konnte ich ihn überraschen.

„Ich hab lange genug Blümchensex gehabt. Ich will genau das, was Ana im Buch hat.“ Und zwar jede Nacht. Mehrfach. Überall. Das klang notgeiler, als ich eigentlich war. Doch nach ein paar Wochen Singledasein war ein Dildo nur ein mäßiger Ersatz. Besonders wenn ich Romane wie Shades of Grey zwischen die Finger bekam.

„Ist klar.“ Jetzt streichelte der Kerl mir über die Haare, als wäre ich ein naives Kind. Sofort schob ich seine Hand weg. „Hat diese Ana sich komplett für den Kerl verstellt?“

„Nein. Wieso sollte sie das?“

„Wieso machst du das dann?“, konterte er. „So naiv und kindlich bist du nicht, du hast ganz andere Reize.“

Das Kompliment baute mein angeschlagenes Ego wieder auf. Und die Berührung, wenn auch im Scherz gemeint, spendete zumindest ein klein wenig Trost.

„Anastasia schaffte es durch ihre Art, einen so unglaublichen Mann abzukriegen. Also muss ich genauso sein wie sie.“

Was ehrlich gesagt eine riesige Herausforderung war. Mal abgesehen davon, dass Größe und Körperbau nicht übereinstimmten, war ich von Natur aus blond. Nur für keinen Mann der Welt würde ich meine Haare färben. Ich besaß eine ungeheuerliche Klappe, die ich kaum unterdrückte. War ziemlich trinkfest und ging gerne auf Partys, worauf ich vielleicht verzichten könnte, wenn Mr. Grey mich zu seiner Angebeteten machte. Beim besten Willen konnte ich mich nicht für die Klassiker der englischen Literatur begeistern, ich schlief beim Lesen ständig ein. Solange ich jedoch Verfilmungen der Stoffe fand, würde ich mich nicht allzu dumm anstellen.

Es gab nur einen gewaltigen Unterschied, der mein Vorhaben zum Scheitern bringen könnte: Ich war keine Jungfrau mehr.

Ich war achtundzwanzig Jahre alt. Wie sollte ich da keinen Sex gehabt haben? Bisher hatte ich eine Reihe von Beziehungen erlebt, gute wie schlechte, und meine Erfahrungen im Bett konnte ich ebenfalls nicht auslöschen. Daher fürchtete ich, dass mein Mr. Grey mich links liegen ließ, ganz gleich, wie hervorragend ich sonst war. Aber wie zum Teufel sollte ich diesen Makel aufheben? Etwa mit Hypnose? Einer Operation? Das war doch alles keine Lösung.

„Du bist halt keine Romanfigur“, holte mich Christoph aus meinen Gedanken zurück.

Wäre ich trotzdem gern, um mich von Mr. Greys Leidenschaft gefangen nehmen zu lassen. Sowie unter tausendundeinem Orgasmus zu zerbersten, weil er mir unglaubliche Lust bereitete.

„Du kannst das als Mann nicht verstehen“, wehrte ich ab.

Christoph schnaubte abfällig bei meiner Erwiderung. „Wie läuft der Plan denn so? Hast du schon viele Firmengründer gefunden, die auf die Beschreibung und die sexuellen Vorlieben passen?“

„Nein. Entweder steht dort immer ein Konsortium dahinter, sie sind verheiratet oder die Firmen befinden sich in der Hand einer Investorengruppe aus Thailand“, ratterte ich herunter und trommelte mit den Fingern auf den Computertisch. Meine Suche hatte mich in viel zu viele Sackgassen geführt. „Ein paar sind auch wirklich schwul.“

„Du meinst das echt ernst?“, hakte Christoph erschrocken nach.

„Natürlich! Ich will das. Alles aus dem Buch. Ich will einen Mann, der weiß, wie er mit einer Frau umgehen muss.“

„Sie schlagen und schlecht behandeln?“

Bevor ich ihn für seine vorschnelle Meinung schüttelte, trank ich einen Schluck Tee. „Was für einen Mann ich suche, kann dir doch egal sein.“

Für einen Moment wirkte er seltsam still, dann fuhr er mit seinen Scherzen fort. „Hast du Herrn Hipp ausgeschlossen?“

„Da der schon grauhaarig war, als ich ein Kind gewesen bin.“ Mit der freien Hand boxte ich Christoph gegen den Arm. „Was denkst du eigentlich von mir?“

„Vielleicht sollten wir uns wieder um deine Homepage kümmern“, wich Christoph aus und griff nach Tastatur und Maus.

„Vielleicht.“

„Dennoch sollte dich ein Mann so zu schätzen wissen, wie du bist, Tanja. Und sich nicht in das Abbild einer Figur verlieben. Etwas, das du nur krampfhaft vorspielst.“

„Lass das mal meine Sorge sein.“

„Ich hab die Idee!“, stieß er auf einmal aus und sprang von seinem Stuhl auf. Geduldig nippte ich an meinem Tee. Wenn Christoph von einem Geistesblitz getroffen wurde, brodelte es förmlich in ihm. Diese Rastlosigkeit kannte ich bereits, jeden Moment würde er erklären, was ihn antrieb.

„Wir basteln aus deiner Homepage einen Blog!“, verkündete er strahlend.

„Wieso das denn?“

„So kannst du von deiner Jagd berichten und deinen Versuchen, diesen Mr. Grey zu bezirzen.“ Er gab vor, sich meine langen Haare über die Schulter zu schleudern, sodass ich schmunzelte. So übertrieben führte ich mich nicht auf. „Ein Blog hat eine größere Reichweite, du kannst damit viel mehr Menschen ansprechen, vielleicht auch deinen Prügelprinz.“

„Der prügelt nicht!“, zischte ich, ließ mir aber den Vorschlag durch den Kopf gehen. Es klang gar nicht so schlecht. „Und du würdest mir helfen?“

Ich warf einen Blick auf den Computerbildschirm. Der heutige Kurs war beinahe vorbei, dabei hatte ich die meiste Zeit nur über meine Probleme geklagt.

„Ich habe heute Abend nichts vor und gerade steigt nebenan eine LAN-Party, ich bin so oder so hier.“

„Und was würden diese Extrastunden mich kosten?“

„Nichts. Ich habe nur eine Bitte.“

Auf einmal lächelte er mich so sanft an, dass kurz mein Herz stolperte. Ich hatte eine Schwäche für Männer wie Christoph, doch seine Vorgänger hatten es alle bei mir versaut.

„Geh mit mir auf ein Date.“

Oh nein, das entwickelte sich in eine komplett falsche Richtung. Um Christoph diesen Gedanken schnell aus dem Kopf zu schlagen, blieb mir nur eine Lösung: extreme Gegenmaßnahmen.

Also erhob ich mich langsam, mir seines liebevollen Blicks völlig bewusst, und schritt auf ihn zu. Bevor er etwas sagen konnte, packte ich seinen T-Shirt-Kragen. Zog ihn zu mir herunter, bis ich die Finger um seinen Nacken legte.

Für einen Moment wirkte er seltsam entrückt und ließ mich mein Manöver anstandslos durchziehen.

Ich küsste Christoph.

Drei Sekunden lang. Vielleicht waren es auch vier.

Dann schob ich ihn von mir.

„Und hast du dabei etwas gespürt?“, fragte ich ihn vollkommen ruhig und beherrscht.

Er starrte mich verblüfft an.

„Siehst du, ich auch nicht. Kein Funken, kein Kribbeln, kein Drang, dich auf der Stelle auszuziehen. Du bist eindeutig nicht mein Typ und schon gar nicht mein Mr. Grey.“

Jetzt zog Christoph spöttisch die Augenbrauen hoch, er schien sich wieder gefangen zu haben. „Wir besprechen das mit dem Blog einfach beim nächsten Mal“, meinte er schroff und wandte sich zur Tür. „Bis demnächst, Tanja.“

Trotz meines Frontalangriffs reagierte er gar nicht so schlecht, ziemlich abgeklärt sogar. Das musste ich ihm anrechnen.

Dennoch hatte ich mir geschworen, dass ich keine stinknormale Beziehung mehr wollte, dementsprechend hakte ich den Kuss für mich bereits ab. Ich wollte etwas völlig anderes. BDSM. Heißen, verruchten Sex, sodass ich noch tagelang wund war. Dinge, die sich ein netter Typ wie Christoph bestimmt nicht vorstellen könnte.

 

Lieber Leser, liebe Leserin

Lieber Leser, liebe Leserin,

 

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Das Buch ist bereits als E-Book sowie Taschenbuch erschienen.

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Tag der Veröffentlichung: 01.09.2015

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