- Spiel mit mir -
Cassandra Day
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Cassandra Day
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- Spiel mit mir -
Cassandra Day
„Es funktioniert immer noch nicht!“
Ich unterdrückte ein Seufzen und versuchte mit möglichst ruhiger Stimme fortzufahren, so wie es sich für eine Angestellte eines Callcenters gehörte. „Und Sie haben genau die Schritte befolgt, die ich Ihnen vorgeschlagen habe?“
„Ja.“
Wer’s glaubt, dachte ich und verdrehte die Augen.
„Ist der Drucker eingeschaltet?“, probierte ich es hoffnungsvoll. Bei den meisten Problemen war das Finden einer Lösung wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Manchmal fragte ich mich, warum ich überhaupt die Stelle im technischen Support angenommen habe. Tagein, tagaus als Sandsack für die schlechte Laune meiner Anrufer herzuhalten, deprimierte auf lange Sicht.
„Ja“, murrte der Herr am anderen Ende der Leitung. „Ich bin doch nicht blöd.“
Ungehaltene Erwiderung, die nicht weiterhilft, notierte ich in Gedanken und damit waren fast alle Punkte eines typischen Gesprächs abgehakt.
Genervt rieb ich meinen Nasenrücken und blickte auf die Uhr meines Computerbildschirms. Freitage beendeten zwar die anstrengende Arbeitswoche, dafür zogen sie sich endlos dahin, während ich die gute Fee spielen musste, deren Zaubersprüche nicht wirkten. Und im Gegensatz zu einer Fee klagten meine Schutzbefohlenen nicht nur gerne, sondern schoben die Schuld immer vehement auf Andere. Was in den meisten Fällen mich traf. An zweiter Stelle folgten Kollegen, die nur mal kurz am PC waren und seitdem gar nichts mehr klappte. An Dritter diese fiesen neuen Programme und Systemupdates, die sich über Nacht auf den Arbeitsrechner schlichen und alles anders aussehen ließen.
Gekrönt von meiner liebsten Ausrede, die eindeutig außer Konkurrenz lief: „Aber gestern funktionierte das noch!“
„Ich muss diesen Bericht heute in gedruckter Form einreichen“, erinnerte mich der Herr am Telefon.
Was könnte ich übersehen haben? Es schien kein Software-Problem zu sein, der Drucker zeigte keine Fehlermeldung an und dennoch weigerte er sich, zu arbeiten.
„Können Sie nicht ein bisschen schneller machen?“
„Haben Sie die Kabel kontrolliert?“, kam es mir in den Sinn.
„Wieso sollten diese das Problem sein? Ich habe den Drucker nicht bewegt.“
„Manchmal kommen Putzkräfte beim Saubermachen an die Kabel und ziehen diese ein Stück heraus“, erklärte ich bereitwillig.
„Ich dachte, Sie verstehen was von Ihrem Job“, wechselte der Anrufer nun zu Beleidigungen.
„Das tue ich. Deswegen müssen Sie mir jetzt einfach vertrauen und es ausprobieren“, feilschte ich in einer Tonart, als wollte ich ein bockiges Kind zu seinem Gemüse überreden.
„Wenn’s unbedingt sein muss.“
Ich lauschte, wie der Mann auf der anderen Seite mit einem gedämpften Murmeln dem Vorschlag nachkam. Da ertönte das erlösende Ratschen des Druckerkopfes sowie des Papiereinzugs. „Es klappt“, hörte ich es geradeso, dann wurde ich aus der Leitung geworfen.
Über ein Dankeschön hätte ich mich gefreut, erwartete jedoch keines mehr. Vermutlich reichte der Mann nun fix seinen Bericht ein und verschwand dank mir ins Wochenende.
Wie gerne würde ich ebenfalls Feierabend haben, nur dass ich im Großraumbüro des Callcenters noch eine Weile festsaß. Die Mitarbeiter der Firmen, die wir betreuten, machten freitags stets mittags Schluss. Dennoch mussten wir bis in den späten Abend arbeiten, schließlich könnte jemand Überstunden einlegen. Könnte, was aber in der Regel niemals geschah.
Schnell tippte ich mein Ticket und schickte es in die Datenverarbeitung, bevor ich meinen Schreibtisch vergeblich aufräumte. Also das Foto von mir und meinem engsten Freund Malte gerade rückte, Papiere stapelte und den Diätratgeber, den ich zurzeit verinnerlichte, in eine andere Ecke schob.
Niemand hatte mir gesagt, dass es bei diesem Job Tage gab, an denen man vergaß zu essen. Und wiederum Stunden, in denen ich vor Langeweile ein halbes Buch las, während das Telefon schwieg. Dagegen hatte mir einfach jeder eingebläut, wie wichtig eine Ausbildung oder ein Studienabschluss sei. Anstatt mich mit dem Titel ›Bachelor of Science‹ zu rühmen, hatte die Geldnot mich zu diesem Job bei einem Callcenter getrieben. Mittlerweile war ich das zweite Jahr hier beschäftigt und bezweifelte, dass ich je aus diesem Büro herauskommen würde. Die halbhohen Boxen, die die Mitarbeiterschreibtische umschlossen, vervielfältigen sich vor meinen Augen zu einem Labyrinth, aus dem es kein Entrinnen gab.
Gelangweilt tippte ich gegen mein Headset, doch wollte kein Anruf eingehen. Den Stuhl hin und her drehend wartete ich auf die Mittagspause, die wenigen Minuten, in denen ich diesen Telefonkammern entkommen konnte. Abgeleitet von Telefonfolter und Folterkammer, wie Malte gern scherzte.
„Was ziehst du denn für ein Gesicht, Rosa?“, erklang hinter mir prompt seine Stimme. Wir hatten die Idee, uns hier zu bewerben, gemeinsam gefasst. Bei mir waren die Finanzsorgen ausschlaggebend gewesen, Malte hatte zwar sein Studium beendet, wusste aber nicht wirklich etwas damit anzufangen. Ein Bachelor in europäischer Ethnologie half zumindest nicht zwingend beim Geldverdienen.
Der Job im Callcenter war aus der Not geboren, jetzt bescherte er mir den Luxus, meinen besten Freund jeden Tag um mich zu haben.
„Mal wieder nichts zu tun“, seufzte ich.
„Dennoch solltest du nicht aussehen wie drei Tage Regenwetter“, mahnte Malte und setzte sich einfach auf meinen winzigen Schreibtisch. „Kein Wunder, dass unsere Kollegen nie zu dir kommen, um zu quatschen.“
„Wir sitzen am Telefon, niemand kann meinen Gesichtsausdruck sehen.“
„Dafür hören die Anrufer es an deiner Stimme“, konterte Malte.
Seit unserem ersten Zusammentreffen waren wir unzertrennlich. Damals hatte ich mich auf eine Studentenparty geschlichen, während Malte als Erstsemester seine neue Freiheit gebührend feierte. Die Nacht selbst war verschwommen, aber die Jahre, die darauf folgten, würde ich nie missen wollen.
„Wenn ich ständig angegangen werde, darf ich auch mies gelaunt klingen.“
„Sei nicht so pessimistisch.“ Malte stupste mich in die Seite, allerdings war mir im Moment nicht nach Späßen zumute.
Wie immer hatte Malte seine langen, dunklen Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und ignorierte die Kleiderordnung des Büros. Anstatt des vorgeschriebenen Geschäftsanzugs trug er eine Weste mit T-Shirt, was in Kombination mit dem Dreitagebart, ihm die Ausstrahlung eines Rockband-Sängers verlieh. Dazu noch seine dunkelgrünen Augen, das verschmitzte Lächeln sowie die tiefe, weiche Stimme – er wickelte jeden mit seinem Charme um den Finger. Letztere wirkte jedenfalls am Telefon wunderbar besänftigend und war bei den Damen äußerst effizient.
Ich wettete zumindest, dass keine unserer Kolleginnen ahnte, wie viel Zeit es in Anspruch nahm, diesen lässigen Look zu pflegen. Dagegen landete ich mit meinen Bemühungen auf dem letzten Platz: typisch graue Maus. Ohne einen Funken Sexappeal versteckte ich mich in meinen Hosenanzügen.
„Trotz meines sauren Gesichtsausdrucks bist du mich besuchen gekommen“, warf ich ein. Die Beine unter dem Computertisch ausstreckend, rollte ich ein Stück zurück, um Malte ins Gesicht zu sehen. Ich brauchte jetzt eine Dosis seiner sorglosen Art, seine Augen leuchteten beinahe vor Fröhlichkeit.
Maltes Anwesenheit besaß den gleichen Effekt wie ein Schokoriegel mit Karamellfüllung. Nur mit weniger Kalorien.
Aber danach fühlte ich mich immer besser.
„Ich bin meine Runde schon durch“, erklärte Malte. „Gina war beschäftigt, Céline habe ich nicht angetroffen und Anne scheuchte mich weiter. Ich glaube, sie ist auf mich sauer, weil ich nichts von ihr will. Und zum Schluss komme ich stets zu dir.“
„Sehr liebevoll, dass ich das Ende der Reihe bin.“
Er lächelte. „Das Beste kommt zum Schluss, Rosie.“
„Nenn mich nicht so.“ Ein Leben voller dummer Sprüche hatte mich geprägt. Lange Zeit wollte ich meinen Namen nicht mehr hören, bis ich herausfand, wie heiß es klingen konnte, wenn meine Beziehungen mir „Rosa“ ins Ohr hauchten.
„Wie dann? Röschen?“, meinte Malte gespielt flirtend. Er versuchte mich aufzuheitern, doch heute klappte das nicht so recht. „Du bist so hübsch wie eine Rose.“
„Vorsicht, ich hab Dornen.“ Mit einem kräftigen Ruck zog ich ihn von meinem Schreibtisch.
Am liebsten hätte ich Malte geschüttelt, dafür, dass er den halben Tag durch unser Großraumbüro spazierte und trotzdem seine Aufgaben erledigte. Während unser Abteilungsleiter mich jedes Mal erwischte, sollte ich mich nicht auf den Weg zum Kopierer oder zum Kaffeeautomaten begeben.
Meine Abfuhr beeindruckte Malte kaum. Er setzte sich auf meinem Tisch und stützte sich mit den Ellbogen auf, sodass seine Muskeln sich unterm T-Shirt spannten. Wie viele Frauen im Büro wohl darauf schon angesprungen waren?, fragte ich mich und schmunzelte.
„Was machst du da?“ Ich schielte in Richtung meines Telefons, aber die Leitung blieb stumm.
„Es mir bequem.“
„Ach, wirklich.“ Ich runzelte die Stirn. „Muss ich Angst haben, dass du die Hosen runterlässt, weil die nicht gemütlich genug sind?“ Zuhause lief Malte eigentlich nur in Boxershorts herum. Sommer wie Winter.
Prompt hob er theatralisch die Hand, um sie zum Hosenschlitz gleiten zu lassen. „Also, wenn du diesen Anblick so sehr vermisst hast, dann halte ich ihn dir nicht vor.“
„Das ist nicht dein Ernst!“, keifte ich los.
Sofort drehte sich der Abteilungsleiter zu uns um und tadelte mich mit einem strengen Blick. „Bitte, etwas leiser, Rosa, denn einige arbeiten hier.“
Gedemütigt senkte ich den Kopf. Ich hatte nichts verbrochen, dennoch wurde ich verwarnt.
„Genau, Rosa“, stichelte Malte. „Die anderen arbeiten. Außerdem wollte ich nur helfen.“
„Und wie soll diese Hilfe aussehen?“, murmelte ich. „Deine behaarten Beine werden die Probleme der Anrufer nicht lösen. Dazu sehe ich die jedes Wochenende.“
Malte zückte sein Smartphone und kontrollierte die Zeit. „Hast du heute schon was gegessen?“
Ich verzog die Lippen zu einem Schmollmund.
„Na?“, bohrte er nach. „Sei ehrlich.“
„Nein, habe ich nicht.“
„Machst du weiterhin diese bescheuerte Diät?“ Malte stupste den Abnehm-Ratgeber mit einem Finger an, als wäre er hochgiftig.
Zur Antwort pikte ich ihn mit dem Stift in die Seite. „Die ist nicht bescheuert.“
„Frauen.“ Zwar rollte er mit den Augen, ging jedoch nicht weiter darauf ein.
Ich seufzte leise. Jede Frau, die keinen flachen Bauch, straffe Beine und einen knackigen Hintern vorwies, wurde als dick angesehen. Und dicke Frauen waren angeblich weder sexy noch fühlten sich gutaussehende Männer zu ihnen hingezogen.
Ich war nicht mit den XS-Weibchen im Büro zu vergleichen, an allen Stellen meines Körpers sammelten sich ein paar Pfunde zu viel. Size Zero würde ich nie erreichen, allerdings war es mein Ziel, dass meine Kleidergröße zur 36 tendierte und nicht vehement die 40 blieb.
„Ich werde nie Gewicht verlieren, da du mich ständig sabotierst“, beschwerte ich mich, doch mein Magen knurrte hungrig auf. So, als schlüge er sich auf Maltes Seite.
Mein bester Freund beugte sich nach vorne, als wollte er mit meinem Bauch sprechen. „Keine Sorge, deswegen bin ich hier, um dir zu helfen. Du gehst jetzt mit mir Mittag essen.“ Er hob die Hand, bevor ich protestieren konnte. „Und beeil dich, sonst verpasst du Lennart.“
So sehr auch Malte die Eigenschaften eines Frauenschwarms besaß, im Callcenter standen alle Frauen auf unseren Märchenprinzen. Ich bildete da keine Ausnahme.
Peinlicherweise loggte ich mich sogleich aus dem Telefonsystem aus und wand mich unter Maltes breitem Grinsen, als wir Richtung Kantine schlenderten. Wenn schon nicht der Hunger mich aus dem Büro trieb, dann der Wunsch, Lennart für ein paar Minuten zu sehen.
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ISBN Taschenbuch: 978-3-943406-48-1
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2015
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