Die wahre Vollendung des Menschen liegt nicht in dem, was er besitzt, sondern was er ist.
Oscar Wilde
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Der Mond versteckte sich hinter einer dunklen Wolkenwand. Erst vor wenigen Minuten hatte der Wind nachgelassen, dafür schüttete es inzwischen wie aus Kübeln. Die Straßen und Gehwege waren nass und rutschig vom herabgefallenen Laub. Nicks durchtränkte Kleidung klebte ihm unangenehm auf der Haut. Er wollte nur noch so schnell wie möglich in sein warmes Zimmer, heiß duschen und danach ins Bett. Morgen früh würde sein Wecker um sechs Uhr klingeln. Es stand eine wichtige Vorlesung auf dem Plan, die er auf keinen Fall verpassen wollte.
Gemeinsam mit seinen Freunden schlich er um das Studentenwohnheim zur Hintertür. Der Vordereingang war bereits abgeschlossen, wie immer unter der Woche kurz nach Mitternacht. Nur an den Wochenenden gab es Ausnahmen. Aus diesem Grund wollten sie über den Notausgang einsteigen und ungesehen am Wachmann vorbeischleichen.
In Cornwell herrschten strenge Regeln. Jeder noch so kleine Verstoß wurde vom Wachpersonal geahndet und schriftlich festgehalten. Im schlimmsten Fall sogar dem Direktor vorgelegt, der seine Studenten nur allzu gern maßregelte. Bisher hatte Nick sich nichts zuschulden kommen lassen und war noch nie nach der Sperrstunde unterwegs gewesen. Seine fünf Kommilitonen dagegen waren in dieser Hinsicht Profis. Sie kannten alle Schleichwege und Hintertüren.
»Seid leise«, flüsterte Percy und zog einen Schlüssel aus der Hosentasche. Triumphierend hielt er ihn im diffusen Licht der Außenbeleuchtung in die Höhe.
»Wo hast du den her?« Überrascht blickte Nick ihn an.
»Wärst du nicht so ein Stubenhocker, wüsstest du es. Der ist natürlich nachgemacht. Ich habe das Original geklaut, einen Abdruck gemacht und ihn zurückgebracht, bevor es dem Hausmeister aufgefallen ist. War eine Sache von wenigen Minuten.«
»Quatsch nicht, beeil dich lieber. Ich ersauf hier draußen gleich«, beschwerte sich Cole, der seine Jeansjacke fest um sich schlang.
»Ich tu wenigstens etwas für mein Studium«, raunte Nick und sah Percy zu, wie dieser die Tür aufschloss. Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, konnte er sich sein schiefes Grinsen gut vorstellen.
»Sei nicht immer so ein Streber«, feixte Milo und klatschte sich mit Marvin ab, der zustimmend nickte.
»Seid nachsichtig mit unserem Maestro!« Cole legte Nick einen Arm über die Schulter und zog ihn zu sich heran. Zusammen huschten sie hinein, die anderen folgten. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass die Luft rein war, kicherte Cole.
»Ich mache drei rote Kreuze im Kalender. Es ist eine Premiere. Nicolas Harper war heute mit seinen Kumpels Einen trinken und schleicht sich danach heimlich zurück aufs Zimmer.« Aus Spaß wuschelte er Nick durch die feuchten Haare. Cole Thompson war Nicks bester Freund am College und zugleich sein Zimmergenosse. Im Gegensatz zu ihm, nahm Cole es jedoch mit seinem Studium nicht allzu ernst.
»Lass das!«, beschwerte sich Nick und trat demonstrativ einen Schritt zur Seite. »Wir werden noch alle auffliegen, und wenn mein Vater davon erfährt ...«
»Hör auf! Du hast für einen Abend genug Moralapostel gespielt«, stöhnte Lance. Er war schon den ganzen Tag schlecht gelaunt gewesen.
»Du musst echt lockerer werden«, bestätigte Percy und boxte ihm leicht in den Bauch.
»Genau, sei kein Spielverderber.« Cole lachte und die anderen fielen mit ein.
»Seid verdammt noch mal leise!«, zischte Nick. »Macht euch ruhig lustig über mich. Bis zu meinem Konzert habe ich nicht mehr allzu lange Zeit. Da kann ich nicht einfach nach Lust und Laune mit euch losziehen.«
»Behaupte nicht, es hätte dir keinen Spaß gemacht.« Marvin schüttelte fassungslos den Kopf.
Cole zog Nick verschwörerisch zur Seite. »Die Blondine mit dem roten Top ist voll auf dich abgefahren. Außerdem hatte sie eine bombastische Oberweite. Die hättest du echt ansprechen sollen.« Mit einer eindeutigen Geste formte er ihre Brüste nach.
Nick spürte, wie seine Wangen anfingen zu glühen. Natürlich hätte er das tun sollen, wenn er denn auf Mädchen stehen würde. Nur tat er das nun mal nicht und hätte somit nichts davon gehabt. Das dachte er jedes Mal, wenn sein Zimmergenosse mit diesem Thema anfing, aber er war zu feige sich zu outen.
»Oh Mist. Ich habe sie vergessen.« Panisch blieb Nick stehen und tastete vergeblich seine Jackeninnentasche ab.
»Was denn?«
»Meine Noten!«
»Vergiss die dämlichen Noten! Die liegen morgen früh immer noch im Musiksaal und warten auf dich.« Cole schnappte Nick am Arm, er jedoch entzog sich ihm.
»Das verstehst du nicht. Es ist mein Stück.« Nick drehte sich um und rief über seine Schulter hinweg: »Lasst die Tür angelehnt, ich bin gleich wieder zurück.«
»Ich warte auf dich, also beeil dich lieber«, sagte Cole, während sich die anderen verzogen.
Nick rannte in die Richtung, aus der er mit seinen Freunden gekommen war. Doch anstatt den Campus durch das Eingangstor zu verlassen, bog er hundert Meter davor nach links ab und hielt auf ein großes Gebäude zu. Das alte Bauwerk stammte aus der Gründerzeit des Colleges. Das Hauptgebäude war Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erbaut worden. In den letzten Jahrzehnten waren nach und nach weitere Nebengebäude hinzugekommen. Das Gelände beherbergte zudem vier Wohnheime und ein Observatorium.
Von Weitem sah Nick, dass in den Fenstern des vierstöckigen Backsteinhauses mit dem Glockenturm kein Licht brannte. Das war sein Glück. Wäre ein Professor oder der Direktor um diese Uhrzeit noch am Arbeiten, was hin und wieder der Fall war, hätte er nicht so einfach in das Gebäude hineinspazieren können. Er wäre vermutlich erwischt und zur Rede gestellt worden.
Direktor Louis Bennett und sein Vater waren Freunde. Schulfreunde. Sie gingen früher gemeinsam auf die Highschool und später nach Harvard, dort hatten sie Rechtswissenschaften studiert. Während sein Vater in die Politik gegangen war, hatte sich Louis Bennett als leitender Direktor in Cornwell etabliert. Das war Nicks Verhängnis. Er stand mehr als jeder andere Student auf dem Campus unter Beobachtung. Jeden Fehltritt, jeden Zwischenfall bekam sein Vater mitgeteilt, der sich postwendend bei ihm meldete und ihn rügte.
Sein Vater durfte nie erfahren, dass er es gewagt hatte, mit seinen Freunden in der Stadt etwas trinken zu gehen. Nick schwor sich, die nächste Einladung abzulehnen. Sein Musikstudium war ihm heilig, genauso seine Noten. Das anstehende Konzert lag ihm am Herzen. Er hatte es eigenhändig komponiert. Deshalb war es besonders wichtig, seine Noten umgehend zurückzubekommen, schließlich gab es nur diese eine Abschrift: seine handgeschriebene Partitur. Es war ihm immer noch schleierhaft, wieso er sie hatte liegen lassen. Wäre sie verschwunden, würde er sich das niemals verzeihen.
Außer Atem kam Nick vor der Eingangstür zum Stehen. Achtsam beobachtete er die nähere Umgebung, dann prüfte er, ob die Tür verriegelt war. Zu seiner Erleichterung ließ sie sich problemlos öffnen und er schlich hinein. Kein Geräusch war zu hören. Nick huschte weiter, bis zur Treppe, die in der Mitte des Schulgebäudes bis in den Glockenturm hinauf führte. In der dritten und letzten Etage angekommen, steuerte er auf den Musiksaal zu. Dort spielte er fast jeden Abend Klavier. Obwohl der große Raum in halbdunkle Schatten getaucht war, genügte ihm das Licht der brennenden Laternen vor dem Gebäude, um sich zurechtzufinden. Vorsichtig lief er zur Bühne. Seine Notenblätter lagen noch genauso auf dem Stuhl vor dem Klavier, wie er sie zurückgelassen hatte.
Nick fiel ein Stein vom Herzen. Eilig schnappte er sich die Partitur und wollte verschwinden, als er Schritte vernahm. Erschrocken duckte er sich hinter dem Flügel und zog den Hocker zu sich heran. Beides schützte ihn vor unliebsamen Blicken.
Er hörte ein leises Zischen und eine kleine Flamme leuchtete auf, die sofort wieder erlosch. Der Geruch nach Tabak stieg ihm in die Nase. Jemand hatte sich eine Zigarette angezündet und näherte sich.
Nicks Herz raste. Wer auch immer gekommen war, versperrte ihm den Weg zur Tür. Er konnte sich nicht verdrücken, ohne bemerkt zu werden. In Gedanken vor sich hin fluchend, war er zum Warten verdammt.
Momente später wurde nur wenige Meter von ihm entfernt die kleine Lampe neben der Bühne angeknipst.
»Wie oft habe ich dir gesagt, hier wird nicht geraucht?«
Überrascht die Stimme des Direktors zu vernehmen, kroch Nick weiter unter das Klavier und spähte vorsichtig darunter hervor. Den hochgewachsenen dunkelhaarigen Unbekannten in Lederjacke und Kapuzenshirt hatte er auf dem Campus allerdings noch nie gesehen.
Louis Bennett entriss dem jungen Mann gerade die Zigarette, warf sie zu Boden und trat sie mit dem Absatz aus.
»Reg dich nicht auf, das riecht später eh niemand«, kommentierte der Fremde und steckte seine Hände in die Hosentaschen seiner ausgewaschenen zerfransten Jeans.
»Halt die Klappe«, wurde er angeschnauzt. Sein Gegenüber verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, bevor er überhaupt reagieren konnte. Wütend presste er die Lippen aufeinander und fixierte den Direktor mit vor Wut geballten Fäusten. Nick konnte sehen, dass es ihm einige Überwindung kostete, nicht zurückzuschlagen.
»So ist es schon besser, Kenny. Du weißt also noch, wie man sich benimmt«, säuselte Bennett.
Nick verzog angewidert das Gesicht. Er hatte den Freund seines Vaters noch nie ausstehen können. Ihn jetzt so zu erleben, war ungewohnt und passte nicht zu dem normalerweise nach außen souveränen Auftreten des Collegedirektors, der immer die besten Maßanzüge trug und dem die grauen Strähnen im braunen Haar der ohnehin strengen Miene harte Züge verliehen.
»Was willst du von mir?«, fragte der junge Mann, der offenbar Kenny hieß.
»Na was schon. Du hast dich drei Tage nicht blicken lassen. Dafür müsste ich dir eigentlich etwas von deinem Lohn abziehen.« Die Hand des Direktors streichelte zärtlich über die Wange, die er zuvor geohrfeigt hatte. Kennys Schultern spannten sich bei dieser Berührung sichtbar an.
»Sag schon! Wo warst du?«
»Ich bin zweiundzwanzig und dir keine Rechenschaft schuldig«, antwortete er schroff.
Nick glaubte, Kenny würde jeden Moment den Arm von Bennett wegschlagen, stattdessen ließ er zu, dass er ihn auch mit der anderen Hand streichelte und an sich heranzog.
»Du bist zwar volljährig, aber die Kohle habe immer noch ich. Du brauchst doch Geld, oder? Sonst hättest du mich nicht um ein Treffen gebeten.«
»Du hast mich hierher bestellt, nicht ich dich.« Kenny lächelte, aber das Lächeln erreichte nicht seine Augen. Es wirkte so falsch wie Bennetts Tonfall.
»Du weißt doch, wir beide profitieren von unseren Treffen.« Die Finger des Direktors wanderten unter Kennys Shirt.
Nick schluckte. Er wusste nicht, was er von dieser Szene halten sollte. Vor seinen Augen machte sich Bennett an den jungen Mann ran und es war offensichtlich, dass diese Intimität zwischen den beiden nicht zum ersten Mal stattfand. Unweigerlich spürte er einen Stich in der Magengegend.
Louis Bennett entblößte Kennys Oberkörper. Abwechselnd leckte und biss er in die Nippel des jungen Mannes, während seine Finger über dessen Brust wanderten. Schließlich verschloss er ihre Lippen mit einem gierigen Zungenspiel.
Überrascht schnappte Nick nach Luft. Das Bild war so grotesk und der Stich in seinem Magen wurde heftiger. Kenny ließ es widerstandslos geschehen, seine Bewegungen wirkten jedoch mechanisch.
Unerwartet ließ Bennett den jungen Mann los und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bühne. Er öffnete seine Hose und schob sie ein wenig nach unten, dann riss er Kenny an den Haaren zu sich heran. Dieser ging in die Knie und bearbeitete mit dem Mund das erregte Glied. Stöhnend genoss der Direktor den Blowjob.
Abermals hatte Nick den Eindruck, als wüsste Kenny genau, was folgen würde. Unaufgefordert öffnete er seine Jeans, zog sie runter und stützte sich mit den Händen am Rand der Bühne ab. Bennett wartete nicht lange und nahm ihn mit einem heftigen Stoß in Besitz. Nick beobachtete das Geschehen mit weit aufgerissenen Augen und wünschte sich in diesem Augenblick weit weg. Warum hatte er bloß seine Noten vergessen?
Als Louis Bennett mit einem stöhnenden Brummen kam, glühten Nicks Wangen und er schämte sich in Grund und Boden. Er hatte den beiden nicht nur heimlich zugesehen, sondern weitaus mehr mitbekommen, als ihm lieb war. Kenny hatte sich nicht freiwillig hingegeben, so viel stand fest. Allerdings hatte er sich auch nicht dagegen gewehrt.
Nachdem beide wieder angezogen waren, griff Bennett in die Innentasche seines Jacketts und holte ein paar Geldscheine hervor, die er dem jungen Mann vor die Füße warf.
»Das sind fünfzig Dollar«, sagte er bar jedweder Emotion. Sein Blick glitt abfällig nach unten zu Kenny, der die Scheine vom Boden aufsammelte und in die Hosentasche stopfte. »Für mehr hat es heute nicht gereicht. Beim nächsten Mal will ich mehr Gefühl.«
»Wann wird das sein?«
»In zwei Tagen.«
»Und der Saal?«
Bennett legte die Stirn in Falten. »Morgen Nacht. Keine Minute länger, als beim letzten Mal.«
»Was? Nur morgen?« Kenny starrte ihn säuerlich an. »Wir brauchen ihn für mindestens zwei Nächte.«
»Dann hättest du dich eben mehr anstrengen sollen.« Louis Bennett grinste hämisch und drehte sich um. Während er auf die Tür zusteuerte, rief er Kenny über seine Schulter hinweg zu: »Das ist dann auch das letzte Mal. Sucht euch gefälligst einen anderen Ort. Bis Donnerstag will ich alle Spuren beseitigt haben. Wenn das jemand mitbekommt, wirft das nur unnötige Fragen auf. Haben wir uns verstanden?«
Der junge Mann knirschte mit den Zähnen. Nick konnte es im Lichtkegel der Lampe sehen. Als der Direktor sich mit schnellen Schritten entfernte, fischte Kenny eine Zigarettenschachtel hervor und zündete sich eine an.
»Arschloch«, flüsterte er und trat mit dem Fuß gegen die Bühne. »Beim nächsten Mal beiße ich dir höchstens deinen Schwanz ab, du Wichser.« Anschließend knipste er die Lampe aus und schlurfte ebenfalls zum Ausgang. Momente später war er verschwunden und Nick wieder allein.
Erschrocken fuhr Nick hoch und starrte auf den Wecker. Er hatte verschlafen. Schlimmer als das war die Tatsache, dass er ausgerechnet die Vorlesung von Professor Cauldfield über Literaturwissenschaften verpasst hatte. Verärgert sank er zurück aufs Kissen. Nun konnte er auch liegen bleiben. Seine nächste Lesung war um elf Uhr und jetzt war es erst kurz vor neun.
Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und sich von einer Seite auf die andere gewälzt. Die Szene, die er beobachtet hatte, spukte unentwegt durch seinen Kopf. Nicht nur, weil er die beiden in flagranti erwischt hatte, sondern weil er mitbekommen hatte, dass Kenny für seine Dienste bezahlt wurde. Dieser Gedanke brachte den seltsamen Stich in der Magengegend zurück. Aus dem gestrigen Gespräch konnte er schließen, dass es wohl nicht das erste Mal gewesen war. Dabei erinnerte sich Nick pausenlos an Kennys widerwillige Miene. Er hatte seinen Körper des Geldes wegen verkauft. Und für etwas, dass ihm in der kommenden Nacht sehr wichtig zu sein schien.
Insgeheim spielte Nick mit dem Gedanken sich zum Musiksaal zu schleichen. Vielleicht schaffte er es herauszufinden, was dem Typen, der gerade einmal ein Jahr älter war als er, so viel bedeutete, um sich auf solch einen verwerflichen Deal einzulassen.
Was immer es auch war, es musste Kenny sehr am Herzen liegen, damit er sich Bennett freiwillig hingab. Er tat Nick leid, obwohl er ihn nicht verstehen konnte. Für ihn gab es nichts Heiligeres, als den Tasten eines Pianos die wunderschönsten Melodien zu entlocken. Seitdem er seine Mutter das erste Mal hatte spielen hören, lebte er für die Musik. Doch niemals würde er deswegen sich selbst aufgeben oder seinen Körper anbieten.
Ein weiterer Gedanke, den er bis dato verdrängte, kehrte wieder. Kenny war unglaublich attraktiv und unwiderstehlich süß. Süßer als alle Jungs zusammen, die ihn bisher interessiert hatten oder mit denen er intim geworden war. Wobei die Worte heiß und sexy es wohl eher trafen.
Das Geheimnis, dass er schwul war, hatte Nick seit seinem vierzehnten Lebensjahr tief in sich vergraben. Während seiner Internatszeit konnte er es leicht verstecken. Hier im College durfte es ebenfalls niemand wissen. Vor allem seine Eltern durften es unter keinen Umständen erfahren. Wenn sein Vater herausfinden würde, dass er auf Jungs stand, könnte er sich warm anziehen. Christopher William Harper duldete solch eine abartige Perversität nicht. Diese Worte hatte er vor einem Jahr bei seiner Wahl zum Bürgermeister von Albany ausgesprochen und der Beifall war überwältigend gewesen. Gleichzeitig hatte er das musikalische Talent seines Sohnes in den Vordergrund gerückt und ihn als leuchtendes Beispiel für Hartnäckigkeit und Fleiß hervorgehoben. Seitdem stand er nicht nur im Fokus seines Vaters. Jedermann erwartete von ihm, dass er demnächst eine respektable Kandidatin auswählen würde, um sie später zu ehelichen.
Seufzend schloss Nick die Augen und blendete den Gedanken an seinen Vater aus. Diesen Wunsch könnte er weder ihm noch der Gemeinde erfüllen. Doch eines Tages würde er über seinen eigenen Schatten springen und Farbe bekennen müssen.
Sogar sein bester Freund Cole wollte ihn unbedingt verkuppeln, was ihm zurzeit nur recht war. Dadurch konnte er sein Gesicht in der Öffentlichkeit wahren. Allerdings gelang es Nick nicht, sich zum Schein dazu zu überwinden, eine Beziehung einzugehen. Bisher war ihm immer eine Ausrede eingefallen, warum er die scharfe Braut eben nicht heiß fand. Im Spaß frotzelte Cole deshalb oft, Nick würde Männerärsche bevorzugen. Äußerlich gab er sich in diesen Situationen gelassen und lachte über die derben Scherze seines Freundes, innerlich zerriss es ihm jedoch jedes Mal das Herz.
Fünf Semester musste er noch durchhalten. Danach würde er verreisen. Irgendwo hin, wo er seine Musik und seinen Wunsch nach Intimität ausleben könnte. Weit weg von seinem Vater und jeder Person, die sein Geheimnis nicht kennen durfte.
Überraschend wurde die Zimmertür aufgerissen. Nick zuckte zusammen. Cole stürmte mit einem ordinären Fluch auf den Lippen in den Raum und versetzte der Tür einen kräftigen Fußtritt, sodass sie lautstark ins Schloss fiel. Er warf einen Stapel Bücher auf sein Bett und stutzte. »Du bist ja noch da?«
»Sieht wohl so aus.« Nick streckte sich. »Hab verschlafen.«
»Du und verschlafen? Das ist ja ganz was Neues.« Lachend ließ sich Cole auf seine Matratze plumpsen.
Nick schlug die Bettdecke zur Seite und setzte sich auf. Aus den Augenwinkeln musterte er seinen Freund. Cole Thompson war ein verdammt scharfer Typ. Nick hatte das unverschämte Glück mit ihm ein Zimmer zu teilen. Die Studentinnen standen Schlange, und fast jede Woche hatte Cole eine neue Freundin. Sein Körper war durchtrainiert, da er oft in ein nah gelegenes Fitnessstudio ging. Er trug stets die trendigsten Klamotten und seine blonden, schulterlangen Haare band er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Blick aus den dunkelgrünen Augen mit den grauen Sprenkeln darin, fesselte Nick immer wieder. Seinen rechten Oberarm zierte seit Kurzem ein Tattoo: ein Feuer speiender Drache.
»Steht bei dir heute viel an?«, erkundigte sich sein Zimmergenosse.
Wenn er so fragte, wusste Nick, dass er ihn damit auf seine Art um einen Gefallen bat.
»Um was geht es diesmal?«
Zwinkernd grinste Cole ihn an. Wie sehr Nick dieses Grinsen vergötterte.
»Mein Bericht zur Beobachtung durch Spektralanalyse sollte bis morgen fertig sein«, antwortete er, stand auf und kniete sich vor ihm hin. Dann nahm er Nicks Hand in seine. Das tat er nur, um seine Bitte zu unterstreichen, doch für Nick war es eine der Berührungen, die seinen Herzschlag in ungeahnte Höhen trieb. Wie ein Edelmann im achtzehnten Jahrhundert schmachtete Cole ihn übertrieben an. »Du bist meine letzte Rettung, ehrlich«, sagte er theatralisch. »Die Menschheit steht am Abgrund und allein Cole Thompson kann sie jetzt noch vor der endgültigen Vernichtung retten. Aber dazu brauche ich diesen Bericht.«
»Du spinnst.« Nick lachte und spielte mit. Je länger es dauerte, umso intensiver konnte er die sprühende Wärme von ihm in sich aufsaugen, und daran zehren, bis der letzte Funke aufgebraucht war.
»Es ist mein voller Ernst, meine Herzallerliebste«, flötete Cole und klimperte mit den Wimpern. »Was soll die Welt bloß ohne mich tun?«
Nick schüttelte den Kopf. Das war der Moment, als sein Zimmergenosse die Hand zurückzog und sich neben ihm aufs Bett setzte. Das Spiel war vorbei. Nick seufzte innerlich.
»Ich habe heute Abend ein Date mit Nataly«, erklärte sein Freund. »Ich kann sie doch nicht versetzen, nur weil Professor Sanchez das Abgabedatum vorgezogen hat. Du siehst, dein bester Freund steckt in der Klemme.«
»Schon klar, du willst diese Nataly flachlegen.« Nick verdrehte die Augen.
»Hast du sie dir mal näher angesehen? Sie hat riesige Titten! Und erst der geile Arsch in den engen Jeans! Die ist definitiv eine Sünde wert.«
Nick grinste. »Das sagst du jedes Mal. Im nächsten Monat heißt sie Sarah oder …«
»Du brauchst wirklich dringend eine Freundin«, unterbrach ihn Cole, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu tigern. »Vielleicht hätte ich da eine Idee. Am Samstag in zwei Wochen wollen die Jungs nach Rochester. Dort treten einige Bands aus der Umgebung auf. Da sind bestimmt eine Menge heißer Bräute. Ich fresse einen Besen, wenn da keine für dich dabei ist. Sonst stirbst du noch im hohen Alter als schrumpelige Jungfer oder bald an Samenstau.«
In Nicks Hals bildete sich ein Kloß. Er schluckte mehrmals und beobachtete seinen Collegefreund, der anfing begeistert Pläne zu schmieden und nicht weiter auf ihn achtete. Nick hörte ihm zu, fühlte sich jedoch keineswegs wohl in seiner Haut.
»Damit eines feststeht … du kommst an dem Samstag mit. Mir egal, welche Ausrede dir wieder einfällt. Sie wird nicht akzeptiert.«
»Aber … aber mein Konzert ...«
»... Ist erst in ein paar Wochen. Da wird dir ein weiterer Abend Pause nicht schaden. Du klimperst schließlich jeden Tag auf dem Konzertflügel herum.«
»Mal schauen«, gab Nick klein bei, denn auf eine Diskussion hatte er keine Lust. Er würde ohnehin verlieren, also nahm er die Abkürzung und stimmte halbherzig zu.
Cole strahlte. »Ich wusste doch, auf dich ist Verlass. Und für den Bericht hast du etwas gut bei mir.«
»Das will ich hoffen. Inzwischen könnte ich in Physik ebenfalls den Abschluss machen, obwohl ich mich dafür gar nicht eingeschrieben habe.«
Verschmitzt lächelte Cole ihn an. »Dann wird es höchste Zeit. Das nächste Semester ist schneller da, als du denkst. Ein Musikwissenschaftler, der begnadet Klavier spielt und sich nebenbei sehr gut mit Astrophysik auskennt. Das soll dir erst einmal jemand nachmachen.«
»Das glaube ich kaum.« Nick ärgerte sich über sich selbst, weil er sich schon wieder hatte überreden lassen.
»Wunderbar! Ich gehe unter die Dusche.«
Cole zog sich den Pullover über den Kopf und entblößte seinen durchtrainierten Oberkörper. Nick ertappte sich bei dem Gedanken, dass er ihn am liebsten begleitet hätte.
*
Geistesabwesend lief Nick vom Hauptgebäude in Richtung Wohnheim. Seit mehr als einer Stunde überlegte er fieberhaft, wie er den anderen die Idee mit Rochester ausreden könnte. Jedes Mal musste er allen etwas vorspielen und das fiel ihm zunehmend schwerer. Sollte er es wagen und Cole ins Vertrauen ziehen? Sein Bauchgefühl riet ihm dazu. Sein bester Freund hörte ihm immer zu, wenn er dringend einen Menschen zum Reden brauchte. Er war es auch gewesen, der ihn mit Percy und den anderen zusammengebracht hatte.
Nick war erst im dritten Semester, seine Freunde bereits im fünften. Allerdings galt er auf dem College als Naturtalent und hatte somit einen Sonderstatus. Er musste sich nur einen Text oder ein Notenblatt kurz ansehen und behielt alles im Kopf. Das war auch der Grund, warum er für Cole den Bericht verfasste. Ihm fiel es leicht, sein Freund hingegen hätte mehrere Tage benötigt.
»Das wirst du trotzdem wiedergutmachen«, flüsterte Nick.
Während der Vorlesung über historische Sinfonien des achtzehnten Jahrhunderts hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, wie sein Zimmergenosse die Schuld begleichen konnte. In knapp zehn Wochen war Weihnachten, und er wollte nicht nach Hause fahren. Cole musste lediglich seinen Vater …
»… dann werde ich den Direktor benachrichtigen müssen«, hörte Nick plötzlich eine wutschnaubende Stimme, die von der anderen Straßenseite zu ihm herüber donnerte.
Neugierig blieb er stehen und beobachtete das Geschehen. Für einen Moment traute er seinen Augen nicht. In etwa zehn Meter Entfernung stand Kenny mit einer Zigarette in der Hand vor dem Hausmeister, der ihn grimmig ansah.
»Du bist nicht fähig einen Rechen zu benutzen, gönnst dir aber eine Zigarettenpause nach der anderen. Ginge es nach mir, hätte ich dich längst rausgeworfen. Ich weiß echt nicht, warum der Direktor dir das durchgehen lässt. Du hast keinen müden Cent für deine Faulheit verdient.«
»Beruhige dich wieder, Peter«, sagte Kenny und lehnte sich lässig an einen Baumstamm. »Ich bin pünktlich zum Feierabend fertig. Oder habe ich dich jemals im Stich gelassen?«
Der Hausmeister brummte etwas Unverständliches, machte auf dem Absatz kehrt und lief zu dem kleinen Fahrzeug, in dem sich jede Menge Gartenutensilien befanden.
Der Herbst hatte im Staat New York Einzug gehalten. Auf dem Universitätsgelände in Ithaca standen sehr viele Bäume und die verloren allmählich ihre rotgoldene Farbenpracht. Bisher hatte Nick keinen Gedanken daran verschwendet, wer die Straßen und Wege säuberte, das hatte sich nun schlagartig geändert. Sein Herz schlug schneller.
Verstohlen blickte er über seine Schulter. Der Hausmeister fuhr im Wagen davon und ließ seinen Gehilfen allein zurück. Nick fischte sein Smartphone aus der Hosentasche und tippte wahllos darauf herum. In Wirklichkeit schielte er jedoch zu Kenny.
Nick konnte sich sein Verhalten einfach nicht erklären. Es war offensichtlich, dass er kein Student war. Aber warum ließ er sich auf den Direktor ein, wenn er doch einen Job hatte? Beinah schmerzhaft kam ihm die Szene von letzter Nacht in den Sinn. Der Typ war interessant, deshalb war es für ihn umso anziehender und aufregender, Kenny heimlich bei Tageslicht zu beobachten. Seine dunkelbraunen Haare waren stylish verwuschelt und verliehen ihm einen verwegenen Touch. Er trug noch immer die gleichen Klamotten, mit einem Unterschied; die Sneakers hatte er gegen Gummistiefel eingetauscht und die abgenutzte Lederjacke fehlte. Kenny zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, schnippte sie mit dem Finger davon und griff nach dem Rechen, der auf dem nassen Rasen lag. Gerade als er seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, glitt sein Blick zu Nick.
»Was glotzt du so?«, blaffte er ihn an.
Beschämt senkte Nick den Kopf und spürte seinen beschleunigten Herzschlag. Als er sich endlich traute hinüberzusehen, hatte Kenny ihm den Rücken zugedreht.
»Oh man, was bist du nur für ein Idiot!«, fluchte Nick im Stillen.
Wie ein Dieb auf der Flucht hastete er zum Wohnheim. Was hatte er sich dabei gedacht, Kenny derart anzustarren? Eigentlich hatte er das überhaupt nicht gewollt. Die Faszination, die der junge Mann ausgestrahlt hatte, war verflogen und Nick wollte auf dem schnellsten Weg zurück in sein Zimmer, um sich dort zu verkriechen.
*
Der Lärm der Lautsprecherboxen schmerzte in Nicks Ohren. Allmählich wurde ihm durch die dröhnende Musik gepaart mit einer euphorischen Menschenmenge und ziemlich stickiger Luft übel. Bisher war der Samstagabend ein voller Erfolg gewesen. Doch nach dem Auftritt der letzten Band hatte Nick das dringende Bedürfnis allein zu sein. Sein Herz raste in der Brust und seine Gedanken wirbelten wild umher. Er musste unbedingt an die frische Luft, um sich zu beruhigen.
Vieles hatte er an dem Abend erwartet. Einiges davon war eingetroffen, aber diese Überraschung übertraf alles. Die Band Destiny Chains mit ihrem Leadsänger Kenny hatte Nicks Gefühlswelt in ein Chaos verwandelt. Selten hatte er eine Stimme gehört, die so charismatisch und mitreißend war. Fast glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Niemals hätte er damit gerechnet, Kenny in Rochester zu sehen. Dieser Teufelskerl hatte vor dem tobenden Publikum gesungen, als täte er nichts anderes. Dabei hatte er sich mit einer attraktiven Dunkelhaarigen in hautengem Lederoutfit ein E-Gitarren-Battle geliefert, sodass Nick vergessen hatte, zu atmen. Die Band, die Lieder und vor allem Kennys Gesang hatten jeden in dem großen Saal angeheizt.
»Cole«, schrie er über die Musik und der tanzenden Menge hinweg. »Cole!«
Da sein Freund nicht reagierte, kämpfte er sich zu ihm durch und zupfte ihn am T-Shirt. »Ich brauche frische Luft. Ich warte draußen auf euch«, brüllte er ihm ins Ohr und deutete mit dem Kopf zum Ausgang.
Sein Zimmergenosse nickte. Nick bahnte sich einen Weg durch die dichte Menge. Zehn Minuten später stand er endlich im Freien und atmete tief ein. Leider war es vor dem Gebäude fast genauso voll wie drinnen, daher suchte er sich einen ruhigeren Platz. Den fand er um die nächste Ecke, an der sich auch der Hinterausgang der Bar befand.
Entspannt lehnte er sich an die kalte Mauer und genoss den leichten Wind auf seinem mit Schweiß überströmten Gesicht. Sein Herz schlug nach wie vor wie verrückt. So unfassbar es war, aber Kenny hatte ihn dort oben auf der Bühne endgültig in seinen Bann gezogen.
Mit seiner einzigartigen Stimme und einem wahnsinnig präzisen Fingerspiel, mit dem er der E-Gitarre die wunderbarsten Töne entlockt hatte, war es Kenny gelungen, Nicks Innerstes zu berühren. Eine Mischung, von der er wohl die nächsten Tage und Wochen zehren würde. Ein verträumtes Lächeln stahl sich in sein Gesicht.
Plötzlich wurde die Hintertür zur Bar aufgerissen und zwei gut gelaunte Personen stolperten kichernd hinaus. Die Tür fiel hinter den beiden Männern zu und im Schein der spärlichen Straßenbeleuchtung erkannte Nick den Leadsänger sofort. Kenny schubste seinen Begleiter gegen die Wand des gegenüberliegenden Hauses und trat damit genau in den Lichtkegel der Straßenlaterne über ihren Köpfen. Wild begann er, an den Lippen des anderen zu knabbern und zu saugen. Die Hände des Mannes schoben sich hungrig unter Kennys T-Shirt und in die Jeans. Stöhnend gaben sie sich dem Liebesspiel hin.
Nick wandte sich seufzend ab. Ein merkwürdiges Ziehen breitete sich in seiner Magengegend aus und er blickte frustriert zu Boden. Eben noch war er euphorisch und nur wenige Sekunden später fand er sich in einem tiefen schwarzen Loch wieder. Was hatte er erwartet? Dass Kenny sich ihm wie ein liebestrunkener Vollidiot an den Hals werfen würde? Er kannte ihn gar nicht, und außerdem wäre Nick sowieso niemals in seine engere Wahl gekommen. Der Mann an Kennys Seite war groß, muskulös und passte rein optisch viel besser zu ihm als er selbst. Nick fühlte sich mit seinen Designerklamotten ohnehin fehl am Platz.
Wenn Kenny auch nur ahnen würde, was er bereits über ihn wusste, wäre er so oder so bei ihm unten durch. Es musste ein Geheimnis bleiben. Dennoch änderte es nichts an der Tatsache, dass Kenny sich nur ein paar Meter von ihm entfernt mit einem Mann vergnügte, während Nick sich an seine Seite träumte. In diesem Augenblick hätte er alles getan, damit Kenny ihn bemerkte, den anderen von sich stieß und ihn an seiner Stelle in den Arm nahm und hungrig küsste.
»Cole, ich habe ihn gefunden!«, hörte er die bekannte Stimme seines Freundes rufen. Als er sich umdrehte, stand ein grinsender Percy vor ihm. Seine rötlichen Haare schimmerten in dem Licht der Straßenlaterne dunkel. »Hey, Kumpel. Beinahe hätte Cole eine Vermisstenanzeige aufgegeben.« Er wollte Nick einen Arm auf die Schulter legen, stattdessen hielt er mitten in der Bewegung inne und starrte in die Gasse. »Was ist denn da los?«
»Nichts«, antwortete Nick hastig. »Lass uns reingehen.«
»Warte mal!«
Percy lief einige Schritte in die Seitenstraße hinein. Zeitgleich kam Cole mit der restlichen Meute herbeigeeilt. Alle vier deutlich angetrunken, was auch kein Wunder war. Seit sie vor drei Stunden angekommen waren, hatten sie literweise Bier in sich hinein gekippt. Nick hatte sich an Cola gehalten, einer brauchte schließlich einen klaren Kopf und musste den Wagen fahren.
»Und? Geht’s dir besser?«, erkundigte sich Cole feixend.
»Wir wollen noch ein paar Bier trinken und dann nach Hause fahren«, lallte Milo und stützte sich auf Lance, der selbst kaum noch stehen konnte.
»Klingt gut. Aber ich fahre. Ihr habt schon zu viel getrunken. Du hast eine gehörige Alkoholfahne.«
»Ich sag’s doch, du bist ein Moralapos…«
»Hey Jungs, kommt mal her«, rief Percy.
Nick wollte Cole am Ärmel in die entgegengesetzte Richtung ziehen, doch er war bereits auf dem Weg zu Percy. Die anderen folgten ihm, so wie sie es immer taten. Nick stand da und ahnte, dass gleich etwas gewaltig schief laufen würde. Sein Bauch meldete sich zurück, und dieses Mal verspürte er ein verdammt ungutes Gefühl.
»Sieh mal einer an … zwei Schwuchteln«, hörte er Coles abfällige Stimme. Woraufhin die anderen in schallendes Gelächter ausbrachen. Es war ein dreckiges, abstoßendes Lachen. Nick ballte unbewusst die Hände. Diese Worte hatte er in seiner Highschoolzeit oft gehört. Obwohl sie ihm nie gegolten hatten, schmerzten sie jedes Mal.
»Da haben wir zwei Arschficker auf frischer Tat ertappt«, grölte Cole.
Nicks Herzschlag beschleunigte sich erneut und er bekam schwitzige Hände. Cole! Warum hatte er das gesagt?
»Was geht euch das an, ihr unterbelichteten Penner?«, sagte der Mann an Kennys Seite und trat ins Licht. Erst jetzt erkannte Nick ihn als den Keyboarder der Band.
»Pass bloß auf, was du sagst, Schwuchtel«, raunzte Cole und machte einen Schritt auf ihn zu.
Nick verstand die Welt nicht mehr. Warum ausgerechnet Cole? Er war doch sein bester Freund.
»Schau dich mal an, Abschaum.« Kenny baute sich vor seinem Begleiter auf. Seine Miene spiegelte abgrundtiefen Hass wieder. Mit zusammengekniffen Augen taxierte er Cole.
»Oh … der Süße will mir etwas sagen. Sorry, ich stelle gleich mal klar, dass ich nicht bezahlen werde, damit du mir meinen Arsch leckst.« Coles Stimme klang kalt und teuflisch. Er ließ die Gelenke seiner Finger knacken, während die anderen sich im Halbkreis um ihn aufstellten.
»Schade, ich wollte gerade fragen, ob dein Daddy dir genügend Geld mitgegeben hat. Besser wäre es allerdings, wenn du heim zu Mama gehst und dich füttern lässt. Oder bist du neidisch, weil dir keiner deinen kleinen Schwanz lutscht? Schau doch mal, der dürre Rotschopf neben dir sieht aus, als hätte er Lust Bekanntschaft mit deinem Arsch zu machen. Lass dich von ihm mal richtig durchficken.«
»Verdammte Scheiße!« Der Keyboarder drängte sich nach vorn und breitete die Arme aus, um zu zeigen, dass er nicht angreifen wollte. »Hört auf! Alle beide!«
»Was willst du denn?« Percy tat einen Schritt auf den Mann zu. »Hat dein Stricher es dir nicht richtig besorgt?«
Kaum waren die Worte ausgesprochen, stürzten sich Percy und die anderen auf den Keyboarder und brachten ihn zu Fall. Mit Fußtritten und Flüchen prügelten sie auf ihn ein. Cole hatte es auf Kenny abgesehen. Er holte mit der Faust aus und traf ihn mitten im Gesicht.
Nick glaubte sich in einem Albtraum. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, beobachtete er fassungslos das Geschehen. Seine Kehle war trocken und er hatte das Gefühl, als würde ihn jemand würgen. Er wollte rufen, dass sie aufhören sollten, aber sein Hals war wie zugeschnürt. Er bekam keinen Ton heraus. Bei jedem Treffer, den Kenny und der Keyboarder einsteckten, zuckte er zusammen.
Plötzlich hupte hinter Nick ein Auto. Erschrocken drehte er sich um. Eine kleine Gruppe singender Passanten schlenderte an der Seitengasse vorbei und blieb neugierig stehen.
»Hey? Spinnt ihr? Ich rufe die Polizei!«, drohte einer von ihnen und zückte sein Handy. Gerade rechtzeitig. Aufgeschreckt hielten Nicks Freunde inne.
»Los, verschwinden wir!«, rief Cole. Doch ehe er seine eigenen Worte in die Tat umsetzte, trat er Kenny ein letztes Mal in den Unterleib. »Damit du es weißt … Schwuchteln gehören die Schwänze abgeschnitten.«
»Hört auf!«, schrie Nick, der seine Stimme wiedergefunden hatte.
Erneut hupte das Auto. Es stand immer noch am Eingang der Gasse und die Schweinwerfer tauchten den Schauplatz in gleißendes Licht. Nicks Angst pumpte Adrenalin durch seinen Körper. Endlich konnte er sich wieder bewegen. Er rannte auf Cole zu und riss ihn von Kenny fort. »Hör sofort auf!«
»Scheiße!« Cole keuchte und hielt im letzten Moment seine Faust zurück, sonst hätte er Nick getroffen. Sein Freund schüttelte ihn ab und starrte ihn mit funkelnden Augen an. »Was ist los? Die Hure braucht eine Abreibung.«
»Cole!«, brüllte Nick panisch, als er die näherkommende Polizeisirene wahrnahm.
Das deutliche Zeichen, dass sie bald mächtig in der Scheiße sitzen würden, rüttelte auch den Letzten wach. Percy und die anderen ließen vom Keyboarder ab und warfen einen flüchtigen Blick zu den Scheinwerfern des Autos.
»Jungs, wir müssen verschwinden!« Cole schnappte mit seiner blutigen Hand nach Nicks Arm, der sich ihm jedoch entzog.
Für einen Moment war Nick versucht, stehen zu bleiben und auf die Polizei zu warten, um ihnen zu sagen, was passiert war. Doch im selben Augenblick wurde ihm klar, dass dann sein Vater von der Schlägerei erfahren würde. Und vor allem, dass er nicht brav in der Uni war, sondern sich nachts heimlich herumtrieb. Er sprintete los und holte Cole ein, noch bevor der um die nächste Häuserecke verschwand.
Vor dem Fenster durchzogen graue Wolken den morgendlichen Himmel. In Logans Appartement herrschte die gleiche düstere Stimmung, die von einem plötzlichen schmerzerfüllten Aufschrei noch bedrückender wurde.
»Verdammte Scheiße … das brennt!« Kenny stieß Logans Hand von sich und sprang mit leidender Miene verärgert vom Sofa auf. »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, fluchte er und begann auf und ab zu laufen. Seine aufgesprungene Unterlippe brannte wie das Höllenfeuer persönlich.
»Halt die Klappe und pflanze deinen Arsch zurück auf die Couch.« Logans Stimme klang ruhig, hatte aber einen bestimmenden Unterton. Wenn er so mit ihm sprach, war er sauer. Trotzdem kam Kenny der Aufforderung nicht nach. Er blieb stehen und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Zähneknirschend sah er Logan in die grauen Augen und spürte die Wut erneut auflodern. Sie richtete sich nicht gegen seinen besten Freund, denn der hatte ohnehin genug einstecken müssen. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf die fünf halbstarken Möchtegernschläger in Rochester.
»Sobald ich die Arschlöcher in die Finger kriege, können sie ihre künftige Familienplanung in den Wind schießen«, brauste er auf. »Ich weiß genau, wo ich den Pisser Cole und seine Wichsfreunde finde.«
»Du kannst sie alle der Reihe nach kastrieren, aber vorher kommst du her und lässt dich von mir verarzten. Wird’s bald, sonst erlebst du gleich noch eine Tracht Prügel. Wenn ich dann mit dir fertig bin, kannst du mindestens eine Woche nicht mehr auf deinem Arsch sitzen.« Logan blickte ihn ernst an.
Kenny kam knurrend dem Befehl nach. Er bewunderte seinen Bandkollegen insgeheim. Die Arschlöcher hatten seinem besten Freund besonders arg zugesetzt, aber im Gegensatz zu ihm, ließ er sich seine Schmerzen nicht anmerken. Für Kenny war das ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso wenig konnte er seine Gefühle im Zaum halten. Überhaupt lebte er nach dem Motto: Zuerst handeln und später nachdenken. Eine Eigenschaft, die ihm schon oft Ärger eingehandelt hatte. Letzte Nacht war er jedoch unschuldig gewesen.
Kenny musterte Logan eingehend. Sein Gesicht und auch die Handknöchel waren geschwollen. Veilchen zierten seine Augen. Da er das ohnehin zerrissene T-Shirt ausgezogen hatte, konnte Kenny die unzähligen blauen Flecken auf der Brust und den Rippen erkennen. Um Nase und Kinn klebten immer noch getrocknete Blutspritzer, die von den kräftigen Fausthieben der anderen stammten. Obwohl sein sportlicher Oberkörper völlig ramponiert war, hatte Logan nichts von seiner sexy Ausstrahlung eingebüßt. Der Dreitagebart und die dunkelblonden, schulterlangen Haare gehörten ebenso zu seinem Auftreten als Rockmusiker, wie das filigrane Tattoo mit dem Wort Music, das sein Schlüsselbein zierte, wobei das S eine Note darstellte. Noch besser fand Kenny die Tätowierung am rechten Arm. Vom Handgelenk hinauf bis zum Oberarm hatte Logan sich die Tasten eines Keyboards stechen lassen, dessen krönender Abschluss eine große Musiknote auf der Handinnenfläche bildete.
»Hast du genug gestarrt?«, beschwerte sich der Keyboarder und musterte seinen Bandkollegen mit zusammengekniffenen Augen.
Kenny grinste schief und setzte sich endlich hin. »Sehe ich genauso scheiße aus wie du?«
Logans Gesichtszüge entspannten sich und er lachte. »Danke für das Kompliment.«
»Jederzeit.«
»Kann ich dich jetzt verarzten?«
Seufzend gab Kenny den Widerstand auf und sein Freund startete einen neuen Versuch, seine Verletzungen zu behandeln. Behutsam strich er mit einem jodgetränkten Wattebausch über die aufgeplatzte Unterlippe. Sobald der Schmerz kam, hielt Kenny den Atem an und holte erst wieder Luft, als das Brennen ansatzweise nachließ.
»Siehst du … alles halb so schlimm.«
»Das sagst du ...«
Kenny sah schweigend zu, wie Logan die Jodflasche auf dem Boden abstellte und es sich auf der Couch bequem machte. Er rückte näher an ihn heran, legte sich auf die Seite und bettete den Kopf in dessen Schoß. Logans Finger kraulten ihm sanft durch die Haare. Keiner der beiden sagte ein Wort.
Erschöpft schloss Kenny die Augen und genoss den Moment der Ruhe und des Friedens. Schon seit Monaten hatten sie sich nicht mehr so zärtlich angenähert. Ihre Verbindung bestand rein körperlich und diente lediglich der sexuellen Befriedigung. Gefühle spielten dabei meist keine Rolle, abgesehen davon, dass sie beste Freunde, fast wie Brüder waren. Logan lebte mit seiner Freundin April in einer offenen Beziehung. Sie sahen sich nur alle zwei Wochen, was wiederum Kenny mehr als einmal zugutekam. Im Gegensatz zu Logan interessierten ihn nur Männer, außerdem war er fest entschlossen, Single zu bleiben. Er glaubte nicht an einen Mister Right.
Aber es war nicht nur der Sex, der sie miteinander verband, sondern auch die Liebe zur Musik und ihrer Band Destiny Chains. Logan hatte sie vor sieben Jahren mit seinem Kumpel Drake gegründet. Als Leadsänger und Komponist genoss Kenny einen Sonderstatus, der von allen Bandmitgliedern akzeptiert und respektiert wurde. Vor allem, weil er durch sein Aussehen die weiblichen Fans anzog, während Logans jüngere Schwester Megan in ihren figurbetonten Outfits den Männern den Kopf verdrehte. Sie war ein Genie an der E-Gitarre, wusste sich zu bewegen und ließ dabei ihre sexy Kurven für sich sprechen. Die Typen lagen ihr reihenweise zu Füßen.
Kenny und Megan waren mit ihren zweiundzwanzig Jahren die Küken der Band. Logan war sechs Jahre älter und übernahm somit eine Art Vaterfigur. Er war der Vernünftigste der Truppe, der immer versuchte die Ruhe zu bewahren.
Während Kenny so über sein Leben nachdachte, driftete er langsam in einen erholsamen Schlaf. Die nächtlichen Ereignisse hatten ihn auf der Fahrt nach Hause kein Auge zumachen lassen. Auch Logan entschied sich zu Gunsten eines Nickerchens und versuchte, eine bequeme Schlafposition zu finden. Erst als am Nachmittag die Sonne endlich einen Weg durch die Wolken fand und Kenny an der Nase kitzelte öffnete dieser wieder die Lider.
Seufzend setzte sich Kenny auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Verdammte Scheiße, ich muss los.«
»Jetzt schon?« Logan sah verschlafen auf die Uhr an der Wand. »Es ist gerade mal drei. Ich dachte, du fängst erst um sechs an.«
Gähnend streckte Kenny seine Glieder und erhob sich. Logans Hand griff nach ihm und wollte ihn zurück auf seinen Schoß ziehen.
»Sorry … jetzt nicht. Mit tut jeder Knochen weh und ich muss nachher fit sein.« Mit einer flinken Bewegung entzog sich Kenny seinem besten Freund.
Logan stöhnte. »Das sind ja ganz neue Töne von dir.«
»Öfter mal was Neues.« Grinsend fischte Kenny nach seinen Schuhen.
»Ehrlich gesagt mag ich Altbewährtes lieber.« Logan zwinkerte und versuchte erneut ihn zu sich herunterzuziehen. »Nur ein kurzer Ritt.«
»Nein.« Kennys Tonfall ließ keinen Raum für Eventualitäten. Er riss sich los und trat einen Schritt zurück. »Warte auf April. Sie kommt doch heute Abend, oder nicht? Dann könnt ihr zwei euch das Hirn rausvögeln. Aber vorher gib mir noch meine Kohle.«
Logan griff in die Hosentasche seiner Jeans und holte ein Bündel Geldscheine heraus. Er zählte sie ab und drückte seinem Bandkollegen vier Scheine in die Hand. »Achtzig Dollar.«
»Willst du mich veräppeln?« Kenny schnappte sich das Geld, als hätte er Angst auch dieses nicht zu bekommen und ließ es in der eigenen Tasche verschwinden.
Logan zuckte mit den Schultern. »Mehr ist nicht rausgesprungen. Die Summe geht wie immer durch fünf. Du hast sogar zwanzig mehr als die anderen.«
»Der Typ hat dich verarscht. Der Laden war brechend voll. Da hätte viel mehr rausspringen müssen.« Kenny spürte, wie seine Wut erneut aufkeimte. Dieses Mal richtete sie sich gegen den Besitzer der Bar.
»Ich weiß. Das Meiste ging für den Sprit drauf.« Logan schüttelte den Kopf. »Und der Typ hat die Sondereinlage der Bullen abgerechnet.«
»Das war doch nicht unsere Schuld. Die dämlichen Pisser haben angefangen.«
»Auch das weiß ich. Komm schon, reg dich ab und bleib einfach noch etwas.«
»Vergiss es!« Kenny wandte sich um und lief zielstrebig auf die Haustür von Logans Loft zu. Im Vorbeigehen hob er seine Lederjacke auf, die er achtlos im Flur auf den Fußboden hatte fallen lassen.
»Spielverderber!«, rief sein Freund ihm nach. »Sonst bist du nicht so prüde.«
Den Nachruf ließ Kenny unbeantwortet und warf die Tür hinter sich zu. Zornig stürmte er die Treppen hinunter, in den Hof und auf die Straße. Dort zündete er sich eine Zigarette an und verlangsamte seine Schritte. Er benötigte unbedingt Zeit für sich. Normalerweise hasste er es allein zu sein, und noch mehr hasste er es, mit seinen Gedanken allein zu sein. Doch heute begrüßte er die Einsamkeit.
Zurzeit nagte noch ein anderes Problem an seinen Nerven. Nicht einmal Logan wusste davon. Sein Vermieter hatte angekündigt, ab nächsten Monat die Miete zu erhöhen.
Frustriert marschierte Kenny die drei Blocks zu seinem Appartement und dachte über eine mögliche Lösung nach. Obwohl er die Fünfunddreißigquadratmeterwohnung gern als Rumpelkammer bezeichnete, war sie die einzige Unterkunft im Umkreis von zwanzig Meilen, die er sich leisten konnte. Siebzig Dollar die Woche kostete das Zimmer, mit fließend heißem Wasser, einem winzigen Bad und einer Kochnische. Er musste dafür nur den Lärm des in der Nähe liegenden Bahnhofs erdulden und den Geruch des Fischmarkts auf der anderen Straßenseite.
Nach der dritten Zigarette und einem Abstecher zu seinem Lieblingschinesen um die Ecke, stieg er die Treppen in die fünfte Etage nach oben und betrat sein Reich. Seufzend sah er sich das Chaos an und warf die Lederjacke auf die Couch. Eigentlich hätte er dringend aufräumen müssen, danach stand ihm allerdings überhaupt nicht der Sinn. Er musste zusehen, schleunigst einen dritten Job zu finden, der sich mit den beiden anderen Arbeitsstellen vereinbaren ließ. Vormittags half er dem Hausmeister auf dem Campus und abends jobbte er im Fitnesscenter. Ihm standen somit lediglich nachmittags ein paar Stunden zur Verfügung.
»Alles Mist!«, stieß er lauthals aus und entledigte sich seines T-Shirts und der Jeans. Beides gesellte sich zu seiner Jacke. Schnurstracks hielt er auf das Badezimmer zu und musterte sich im Spiegel. »Logan hat nicht übertrieben«, kommentierte er sein Konterfei grimmig.
Ein Veilchen schimmerte unter dem rechten Auge. Die Unterlippe war geschwollen und brannte noch immer vom Jod. Jeder Muskel in seinem Gesicht pochte dumpf, ebenso der Rest seines Körpers. Coles Stiefel hatten deutliche Spuren hinterlassen. Wie sehr er den Wichser hasste. Das würde er ihm büßen ... früher oder später.
Kenny zog seine Shorts aus und stieg unter die Dusche. Gerade als er das Wasser aufdrehen wollte, klingelte das Telefon. Das war vermutlich Logan. Angepisst verließ Kenny das Bad und ging zur Couch hinüber, neben der am Boden das Telefon stand.
»Ich sagte, dass ich keinen Bock habe«, maulte er. »Also spar dir deine Überredungsversuche!«
»Das ist aber schade«, antwortete der Anrufer amüsiert. »Doch heute Abend ist es ohnehin schlecht. Meine Freundin kommt.«
Kenny erschrak und ließ sich aufs Sofa plumpsen »Verdammter Idiot«, fluchte er. »Bennett! Was willst du?«
»Reg dich ab. Darf ich dich nicht einmal anrufen, wenn mir danach ist?«
»Nein!« Kenny schluckte und spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wenn Bennett sich bei ihm meldete, ging es meistens nur um das Eine.
»Ich hörte zufällig von deinen Problemen«, sprach der Direktor weiter, als hätte sein Gesprächspartner keinen Einwand erhoben.
»Ja und …?« Kenny spielte mit dem Gedanken, einfach den Hörer aufzulegen. Aber dann würde das Arschloch erneut anrufen.
»Ich sag es mal so …, ich könnte dir helfen«, säuselte Bennett.
»Ach ja? Was hast du denn so gehört?« Trotz seines Ärgers und der Abscheu, die dieser Mann bei ihm hervorrief, war Kenny neugierig.
»Deine Band hatte einen unliebsamen Zwischenfall mit der Polizei«, antwortete Bennett gelassen. Wie immer genoss er es, am längeren Hebel zu sitzen. »Euer Honorar fiel deswegen nicht so großzügig aus, wie erhofft. Habe ich recht?«
Kenny schwieg.
»Ich weiß ebenfalls, dass dein Vermieter die Miete erhöhen will«, fuhr er fort. »Du bist demnach mal wieder in Geldnot. Ich könnte dir ein wenig unter die Arme greifen. Was hältst du von dieser Idee?«
Im ersten Moment verschlug es Kenny die Sprache. Er fragte sich, woher der Mistkerl das alles wusste, aber eigentlich war es egal. Er konnte es nicht mehr ändern und Bennetts Vorschlag würde ihm keinesfalls gefallen, dessen war er sich sicher.
»Was schwebt dir vor?«, fragte er barsch und hörte ein hämisches Lachen.
»Ich wusste, dass du Interesse hast.«
»Raus mit der Sprache! Was willst du?«
»Schon gut … schon gut«, bedeutete Bennett mit einem lauten Räuspern. »Ich dachte, ich könnte dir ein Appartement kaufen, für dich ganz allein. Größer und näher am Campus. Und ich wäre bereit, euch das Geld zu ersetzen, das ihr in Rochester verloren habt. Vielleicht auch noch ein wenig Taschengeld für dich. Klingt das verlockend?«
Überraschend fand Kenny das Angebot nicht. Doch Bennett tat nie etwas, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Wie die aussah, konnte er sich bildlich ausmalen. Er würde ihm vermutlich Tag und Nacht zur Verfügung stehen müssen. Allerdings fand er es ziemlich erschreckend, dass ausgerechnet ein Mann in seiner Position sich so weit herabließ und ihm solch ein Angebot unterbreitete. Bennett war nicht der Typ, der sein Geld einfach zum Fenster hinauswarf. Ergo musste mehr dahinterstecken.
»Was genau willst du von mir?«
»So ist es brav«, säuselte es am anderen Ende der Leitung. Kenny verzog angewidert das Gesicht. Er konnte das breite, siegessichere Grinsen deutlich vor sich sehen. Am liebsten hätte er ihm in die Weichteile getreten, sodass der alte Sack nie wieder eine Erektion bekommen würde. Vielleicht tat er es tatsächlich ... bei ihrem nächsten Treffen.
»Ich wünsche mir von dir Folgendes: ...«, fuhr Louis Bennett fort und verlieh seinen Worten mit genauer Betonung mehr Nachdruck. »Du wirst mir künftig zwei Nächte in der Woche zur Verfügung stehen. Außerdem will ich nicht nur einen schnellen Fick, wie bisher. Du wirst mir gegenüber Zuneigung zeigen. Aber ich warne dich jetzt schon, keine halben Sachen ... sei überzeugend. Sollte ich das Gefühl haben, dass du mir lediglich etwas vorspielst, wirst du das büßen. Ach ja … und richte deinem Freund Logan aus, dass ich euch für Amandas Geburtstag im Mai buche.«
Kenny schloss die Augen und schluckte. Ihm war hundeelend und er konnte kaum noch atmen. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Dieser ungeheuerliche Deal verschlug ihm die Sprache. Leider wusste er aber eins nur zu gut: Würde er sich nicht auf den Vorschlag einlassen, hätte Bennett bereits die nächste perfide Idee in der Hinterhand. Er würde ihn so oder so an den Eiern packen.
»Ich gebe dir einen Tag Zeit, um es dir zu überlegen«, sagte Louis gönnerhaft. »Morgen Abend erwarte ich deine Antwort.«
»Ich kann dich eh nicht daran hindern«, presste Kenny zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Als er auflegte, hörte er Bennets dreckiges Lachen.
Seine Gedanken wirbelten umher. Ließ er sich auf das Angebot ein, wäre er seine Geldprobleme mit einem Schlag los. Es wäre ihm sogar möglich etwas Kohle zur Seite zu legen. Andererseits gab er damit seine Unabhängigkeit auf, für die er so hart gekämpft hatte. Er wäre auf Louis Bennetts Gunst angewiesen und würde alles, was er sich seit seiner Volljährigkeit aufgebaut hatte, in die Hände des notgeilen Hurenbocks legen. Dieser Gedanke schmerzte am meisten. Bisher hatte er nur aus seinem Körper Kapital geschlagen. Nahm er das Angebot an, würde er auch seine Seele verkaufen. Doch hatte er überhaupt eine Wahl?
»Verfluchte Scheiße!«, schrie er frustriert auf und schlug mit der Faust auf den kleinen Holztisch vor ihm. »Warum? Warum zum Teufel muss er mir das antun?«
Wütend sprang er vom Sofa auf und lief wie ein wildes Tier im Appartement auf und ab. Seine Schmerzen waren für den Moment vergessen. Dass er immer noch nackt war, fiel ihm nicht einmal auf.
Obwohl es Bennett nicht direkt angesprochen hatte – das musste er auch gar nicht – wusste Kenny, dass sich das Arschloch im Klaren war, ihm damit einen verlockenden Köder hingeworfen zu haben. Das Geld, das er künftig bekommen würde, konnte er zum Teil in die Band investieren und Logan und die Jungs damit unterstützen. Regional waren sie bereits bekannt, aber ihnen schwebte ein höheres Ziel vor. Auftritte nicht nur innerhalb des Staates New York, sie wollten über die Staatsgrenze hinaus. Vielleicht könnten sie sich sogar einen neuen Transporter anschaffen, das ramponierte Schlagzeug ersetzen und sich einiges mehr leisten. Die Band war Kennys Leben, seine Leidenschaft, dafür lebte er. Die Musik war seine Passion.
*
Eine Stunde später war Kenny bereits wieder unterwegs. Nach einer kurzen Dusche hatte er es nicht mehr in seinen vier Wänden ausgehalten. Er brauchte dringend frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen. Bennetts Vorschlag war verführerisch und zugleich die mieseste Idee, die sich der Hurenbock bislang ausgedacht hatte. Kenny wollte nicht an ihn oder sein Angebot denken und versuchte, seinen Hass erneut auf Cole und seine Freunde zu lenken.
»Hey Kenny … schon da?«, wunderte sich sein Arbeitskollege Norman, als er dreißig Minuten vor Schichtbeginn an ihm vorbeistürmte. Norman war ein schlaksiger, junger Afroamerikaner, der stets einen kessen Spruch auf den Lippen hatte. Er schob seine Schicht jeden Abend an der Anmeldung des Fitnessstudios. Sie kannten sich nur von der Arbeit, doch er war sympathisch und das allein zählte.
Kenny blieb stehen, drehte sich um und grinste. »Ich muss etwas Dringendes erledigen.«
»Scheiße, was ist denn mit dir passiert?«
»Frag nicht. Weißt du, ob Cole Thompson schon da ist?«
Norman überlegte einen Moment. »Du meinst den blonden aufgeblasenen Macho? Der, der den ganzen Miezen nach dem Training immer Drinks spendiert?«
»Genau der. Ist er da?« Kenny wurde nervös.
»Du hast Glück. Er ist vor ein paar Minuten nach hinten gegangen. Bin ja nicht neugierig, aber was willst du denn von dem?«
»Nicht so wichtig.« Mit einem Nicken verabschiedete sich Kenny und lief geradewegs zur Männerumkleide.
Bevor er eintrat, blickte er sich um. Schaulustige konnte er bei dem, was er vorhatte, nicht gebrauchen. Als er die Tür einen Spaltbreit öffnete und hineinspähte, musste er feststellen, dass Cole nicht allein war. Angespannt wartete er ab, bis auch der Letzte den Raum verlassen hatte. Dann nutzte er die Gelegenheit, endlich seiner Wut ein Ventil zu verschaffen. Er trat ein und schlug die Tür lauter zu als nötig. Mit verschränkten Armen und zusammengebissenen Zähnen blieb er vor Cole stehen, der ihm den nackten Rücken präsentierte.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du auftauchst«, sagte der Blonde gleichgültig, ohne sich umzudrehen.
»War das eigentlich notwendig? Fühlst du dich jetzt besser?«, platzte Kenny heraus.
»Das sollte ich wohl dich fragen.« Cole wandte sich um und taxierte ihn mit einem breiten Grinsen.
Zu Kennys Genugtuung befand sich unter dem linken Auge seines Gegenübers ein fettes Veilchen. Zufrieden verzog er die Mundwinkel ebenfalls zu einem schadenfrohen Lächeln.
»Dass dich das freut, war ja klar«. Cole presste die Lippen fest aufeinander.
»Wenigstens hat Logan gut getroffen. Fühlst du dich ohne deine Bodyguards auch so stark?«
Kenny musste sich zusammenreißen. Die Erinnerung an die gestrige Prügelei war wieder präsent. Es war fast, als würden Coles Schläge von Neuem auf ihn einprasseln. Instinktiv ballte er die Hände zusammen.
»Quatsch nicht so einen Scheiß und lass mich gefälligst in Ruhe. Du und deine Fickerfreunde gehen mir gewaltig auf den Sack.«
»Oh … ein Satz aus deinem Mund, der sogar Sinn ergibt. Wie lange hast du den vorm Spiegel eingeübt?« fragte Kenny bissig.
Einen Augenblick später wurde er grob an den Schultern gepackt und mit dem Rücken gegen eine der geschlossenen Spindtüren gestoßen. Hasserfüllt starrten sie einander in die Augen.
»Du fühlst dich also stark«, stellte Kenny lapidar fest. Er ließ sich nicht beeindrucken.
»Ich kann dich gern spüren lassen wie stark, indem ich dir die Nase breche.« Unbeherrscht schlug Cole mit der Handfläche gegen den Spind, neben Kennys Kopf.
Kenny konnte nicht anders und lachte. »Du drohst mir? Du versuchst tatsächlich, mir zu drohen?« Er verspürte keine Angst. Sein Gegenüber war zu feige, um auf ihn loszugehen, wenn seine nichtsnutzigen Kumpels nicht in der Nähe waren. Er kannte ihn gut. Vermutlich besser, als Cole sich selbst. Mit einem barschen Schlag gegen Coles Brust löste er sich aus seiner Zwangslage, trat aber vorsichtshalber zwei Schritte zur Seite.
»An deiner Stelle würde ich mir gut überlegen, was du tust. Vergiss nicht, ich hab mehr Einfluss, als du jemals haben wirst. Also lass deine prolligen Sprüche stecken. Ich verspreche dir, beim nächsten Mal sieht es für dich und deine trottligen Freunde anders aus. Vielleicht könnte mir dann nämlich aus Versehen etwas herausrutschen, was nicht für deren Ohren bestimmt ist.«
Cole schluckte merklich und stierte ihn an. Sein Blick verriet seine plötzliche Unsicherheit. Sofort hatte er sich jedoch wieder im Griff. »Mach dich nicht lächerlich. Ich halte wenigstens nicht meinen Arsch hin. Du verkaufst dich stattdessen für ein paar Gigs und fühlst dich dabei mächtig wichtig. Wie dumm muss man sein? Sieh dich doch an. Du läufst rum wie der letzte Penner und schuftest für ein paar miese Kröten. Ich dagegen studiere. Wer von uns hat wohl mehr auf dem Kasten?«
»Auf Kosten von Daddy kann jeder studieren«, spie Kenny ihm entgegen, denn Cole hatte seinen wunden Punkt getroffen. »Also? Wer kriecht hier wem in den Arsch? Halt bloß deine Klappe, wenn du weiterhin willst, dass ich dich decke. Schalt mal deine drei Gehirnzellen ein, bevor du dein scheinheiliges Maul aufmachst. Falls nicht, erzähle ich ihm gern, was wirklich passiert ist.«
»Das. Wirst. Du. Nicht. Tun.« Cole betonte jedes Wort und es war ihm anzusehen, dass er um seine Fassung rang. »Nur ein Wort … ich schwöre dir …«
Eine weitere Drohung blieb unausgesprochen, da sich die Tür zur Umkleidekabine öffnete und drei schwatzende junge Männer hereinkamen.
»Glück gehabt«, flüsterte Cole.
»Wenn du meinst.« Kenny lachte und wandte sich zufrieden ab. Obwohl er dem Saftarsch gern noch einen Kinnhaken verpasst hätte, verzichtete er darauf. Die nächste Gelegenheit würde kommen. Bald.
Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch marschierte Kenny aus der Umkleide und zum Ausgang. Über seine Schulter rief er Norman zu, dass er etwas Dringendes zu erledigen hätte und verließ den Laden, ohne eine Antwort abzuwarten.
Er hatte das Gefühl, heute den beschissensten Tag seines Lebens hinter sich zu haben. Oder wenigstens den zweitbeschissensten. Viel schlimmer war nur der Tag, an dem er vor acht Jahren zur Vollwaise geworden war. Die Nachricht über den Tod seines Vaters hatte ihn schwer getroffen und ihn geradewegs in den Abgrund katapultiert. Seitdem befand er sich in der Hölle, gepeinigt von Louis Bennett und seiner gottverdammten Brut.
Da war er wieder, der Gedanke an den Mann, den er am liebsten für immer aus seinem Leben streichen würde. An seinem einundzwanzigsten Geburtstag, vor einem Jahr, hatte er sich alles noch anders vorgestellt. Er rechnete damit, endlich an das Erbe seines Vaters zu kommen und mit vernünftigen Musikinstrumenten wäre es lediglich eine Frage der Zeit gewesen, bis er mit seiner Band in ausverkauften Häusern gespielt hätte. Doch so weit war es nie gekommen. Von dem Geld war angeblich nichts mehr übrig. Die Gigs, die sie an Land zogen, reichten nicht zum Überleben aus. Seine Abhängigkeit von Bennetts Geldbeutel war eine Tatsache, die er ins Auge blicken musste. Daran würde sich auch so schnell nichts ändern, außer er würde endlich einen Job finden, der mehr als hundert Dollar die Woche einbrachte. Bisher erledigte Kenny überall nur die Drecksarbeiten. Auf dem Campus räumte er den Mist weg, den die verwöhnten Bonzen einfach an Ort und Stelle fallen ließen, an der sie gerade standen und im Fitnessstudio war er dafür zuständig, die durchgeschwitzten Handtücher einzusammeln und frische bereitzulegen. Beides Jobs, von denen er bislang mit Ach und Krach seine Miete bezahlen und sich etwas zu essen kaufen konnte. Die restlichen Dollar, die hauptsächlich in die Gemeinschaftskasse der Band flossen, hatte er mit seinem Körper verdient. Darüber hatten außer Logan, der dicht hielt, seine Bandkollegen allerdings keine Kenntnis.
Destiny Chains war sein Ein und Alles. Für die Musik lebte er. Sie war sein Lebenselixier. Nichts und niemand könnte ihn davon abhalten E-Gitarre zu spielen, Songs zu schreiben und als Leadsänger auf der Bühne zu stehen. Die Frage, die er sich nun zu stellen hatte, war simpel, gleichwohl auch verzwickt wie sein bisheriges Leben. Wie weit würde er ohne Bennetts Geld kommen? Sollte er tatsächlich seine hart erkämpfte Freiheit aufgeben und das unmoralische Angebot annehmen?
Jäh ertönte ein lautes Hupen. Erschrocken wirbelte Kenny herum und entkam nur knapp dem Seitenspiegel eines Vans, der mit mehr als den vorgeschriebenen fünfunddreißig Meilen pro Stunde an ihm vorbeirauschte. Wütend ballte er die Faust und rief dem Fahrer wüste Beschimpfungen hinterher, während er versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Erst jetzt bemerkte er, dass ihn sein Weg direkt zum Campus geführt hatte.
Kurz dachte er daran umzukehren und nach Hause zu gehen, entschied sich jedoch dagegen. Er musste sich betäuben, sein Hirn wegschießen, um wenigstens für kurze Zeit seine Sorgen zu vergessen.
Kenny überquerte die Straße und besorgte sich im nah gelegenen Supermarkt eine Flasche Hochprozentiges und eine Schachtel Zigaretten. Anschließend schlenderte er über den Hauptweg des Unigeländes zu den Nebengebäuden. Sie lagen etwas abseits. Sonntagabends trieb sich dort niemand herum, somit wäre er ungestört. Zielstrebig hielt Kenny auf die Bürotür des Hausmeisters zu und stoppte wenige Meter davor. Auf den Stufen des einstöckigen Backsteinhauses hockte eine zusammengekauerte Gestalt. Langsam näherte er sich. Im gleichen Moment fluchte er im Stillen, hergekommen zu sein, anstatt zu Hause seinen Frust zu ertränken. Nun hatte er sich womöglich Arbeit aufgehalst. Was machte jemand freiwillig hier in der Kälte?
»Der Hausmeister ist schon weg«, erklärte Kenny rasch, um unbehelligt ins Büro zu gelangen.
Die Person machte keine Anstalten, etwas zu erwidern und erweckte auch nicht den Eindruck, als hätte sie ihn wahrgenommen.
»Mr. Evans ist erst morgen früh wieder da!«, wiederholte er, dieses Mal ein wenig nachdrücklicher.
Von der gegenüberliegenden Straßenlaterne fiel ein Lichtstrahl auf den Unbekannten, der sich die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Beine hatte er angewinkelt und es schien, als würde er schlafen. Als Kenny sich näher heranwagte, starrte ihn der junge Mann erschrocken an.
»Hey, alles klar bei dir?«
»Ich … ich …«, stotterte er.
»Ich kann mir einen besseren Ort zum Pennen vorstellen. Die Treppen sind alles andere als bequem …, außerdem ist es saukalt.« Kenny überlegte, ob er ein Obdachloser war, der sich heimlich auf das Gelände geschlichen hatte. Das passierte in den Wintermonaten öfter. Doch dieses Jahr waren selbst jetzt im Spätherbst die Nächte empfindlichen kalt geworden. Väterchen Frost würde sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. »Wenn dich einer der Professoren erwischt, rufen die die Polizei.«
Seine Vermutung wurde fast im gleichen Augenblick widerlegt. Der junge Mann sprang auf, wobei die Kapuze nach hinten rutschte und den Blick auf das Gesicht freigab.
»Ich … ich bin schon … weg«, nuschelte der Schwarzhaarige und wollte sich an ihm vorbei drücken, doch Kenny schnappte nach seinem Oberarm und hielt ihn fest. »Warte doch mal!«
»Was soll das? Lass mich los.« Ängstlich blickte der Unbekannte ihn an.
»Ist ja gut.« Kenny ließ ihn los und hob beide Hände, um zu zeigen, dass er keinen weiteren Versuch unternehmen würde, ihn festzuhalten. Er trat sogar einen Schritt zurück.
Interessiert musterte er den jungen Mann, der ihm seltsam bekannt vorkam. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass ihm sein Gegenüber gar nicht so fremd war, wie er angenommen hatte. Das hübsche Antlitz, das zurzeit vom Weinen leicht geschwollen und verzerrt war, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Zuerst war er ihm bei der Arbeit aufgefallen, als der Schwarzhaarige ihn heimlich beobachtet und dabei so getan hatte, als würde er auf dem Smartphone herumtippen. Dann gestern Abend, als er ihn neben Cole in der ersten Reihe vor der Bühne entdeckt hatte.
»Was machst du hier? Du bist doch ein Kumpel von Cole«, stellte er laut fest.
So merkwürdig die Situation auch war, noch erstaunlicher war die Tatsache, dass Kenny überhaupt keine Wut verspürte. Eigentlich hasste er Coles Freunde ebenso sehr wie ihn selbst. Die tiefen Schatten im Gesicht des jungen Mannes und die geröteten Augen weckten jedoch seine Neugier. Aus einem ihm unerfindlichen Grund bereute Kenny plötzlich seine ruppige Art. Er hatte auf einmal das Gefühl, nicht mehr allein mit seiner Verzweiflung zu sein.
»Ich … ich … hau schon ab«, stotterte der Dunkelhaarige und beeilte sich von ihm wegzukommen.
Schweigend beobachtete Kenny, wie der Typ im Licht der Laternen den Weg entlang rannte und hinter einer Ecke verschwand.
»Reisende soll man nicht aufhalten«, flüsterte er trocken.
Seelenruhig zündete er sich eine Zigarette an und blieb vor der geschlossenen Tür zum Hausmeisterbüro stehen. Nach ein paar Zügen ertappte er sich dabei, dass er darüber nachdachte, was wohl passiert war. Coles homophobe Freunde gaben sich normalerweise nicht die Blöße und liefen heulend vor ihm davon. Stattdessen hätten sie die Gelegenheit wahrgenommen, um ihn mit blöden Sprüchen zu bombardieren.
Letztendlich entschied Kenny, dass ihn die Sache überhaupt nichts anging. Sollte dieser behütete Schnösel doch selbst klarkommen, er hatte schließlich eigene Probleme. Mit einem Fingerschnippen warf er den Zigarettenstummel auf den Boden und fischte einen Schlüsselbund aus seiner Lederjacke.
*
Seit der gestrigen Nacht stand Nicks heile Welt Kopf. Er war wütend, tief verletzt und seine Gedanken drehten sich ständig im Kreis. Cole hatte seine Werte mit Füßen getreten. Es schmerzte ihn physisch und marterte ihn psychisch.
»Warum ich? Warum immer ich?« Nick schluchzte und ein weiterer Weinkrampf überkam ihn. Er kämpfte nicht dagegen an. Sein Blick war verschleiert und er suchte verzweifelt einen Ort, an dem er sich ungestört seiner Hoffnungslosigkeit hingeben konnte. Nick fand ihn an der Hintertür des Wohnheims, an dem er sich vor ein paar Tagen mit den Jungs heimlich reingeschlichen hatte. Seufzend setzte er sich auf den oberen Treppenabsatz, versteckt hinter ein paar Hecken und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Würde sein Vater ihn so sehen, müsste er mit einer ordentlichen Tracht Prügel und einer Standpauke rechnen. So war das im Hause Harper. Jede Form von Schwäche war unerwünscht und wurde bestraft. Ein Harper zeigte keine Gefühle. Niemals! Für einen Harper zählten lediglich der Erfolg und das Ansehen der Familie. Er konnte sich glücklich schätzen, dass sein Vater von alldem nichts mitbekam.
Vor vierundzwanzig Stunden war Nicks Welt noch in Ordnung gewesen. Er hatte einen besten Freund besessen und sich sicher gefühlt. Doch Cole hatte sich vor seinen Augen in ein Monster verwandelt. Die Bilder, wie er und die Jungs auf Kenny und den Keyboarder eingedroschen und sich dabei köstlich amüsiert hatten, schnürten ihm fast die Kehle zu. Hustend und weinend quälte ihn nur ein Gedanke: Abhauen!
Weit weg. An einen Ort, an dem er für das, was er war, nicht verurteilt wurde. An dem man ihn akzeptierte und respektierte. Ein Ort, an dem er sich und seine Vorliebe für Männer offen zeigen konnte.
Dieser Traum war viel zu schön, um wahr zu werden. Nick konnte nicht vor seinem Leben fliehen. Das würde sein Vater niemals zulassen. Er würde ihn finden, egal, wo er sich aufhielt. Christopher William Harper erwartete Bestleistungen und kein Coming-out. Und schon gar keinen Sohn, der gegen ihn und die Gesellschaft rebellierte. Bevor er seine Neigung akzeptieren würde, würde er ihn aus der Familie verstoßen.
Aber wie ging es nun weiter? Wie konnte er jetzt noch so tun, als wäre alles in Ordnung?
Cole Thompson hatte ihm auf grausame Art und Weise sein wahres Gesicht offenbart. Er hatte ihm eine unsichtbare Klinge ins Herz gestoßen und sie dabei mehrfach umgedreht. Cole verachtete Menschen wie Nick. Nein! Er hasste sie regelrecht dafür, dass sie nicht der allgemeinen Norm entsprachen, sondern ihren Bedürfnissen und Gefühlen folgten. In der Beziehung war er genau wie Nicks Vater.
»Ich hasse euch! Euch alle beide!« Wütend ballte Nick die Hände zu Fäusten. Plötzlich zuckte er zusammen. Stimmen näherten sich. Eine davon kannte er gut. Panisch sprang er auf und suchte Schutz hinter der nächsten Hecke. Zum Glück war es dunkel und das Licht der kleinen Lampe über der Tür reichte nicht aus, um ihn zu verraten. Gerade rechtzeitig erreichte er das Versteck, da bog Cole mit einer Blondine im Arm um die Ecke und schlenderte zum Hintereingang.
Neugierig schielte Nick zwischen den fast kahlen Zweigen zu ihnen hinüber und atmete so flach wie möglich. Die Angst, entdeckt zu werden, saß tief.
Die beiden küssten sich und Cole fummelte an ihrem Hosenbund herum, was sie wiederum mit leisem Stöhnen beantwortete.
»Lass uns reingehen«, schlug die Blondine vor, als sie ihren Kuss kurz unterbrachen. »Hier ist es kalt.«
»Das kann ich schnell ändern.« Cole fasste ihr unter die Jacke.
»Hör auf!« Unwillig schubste sie ihn von sich weg.
»Jetzt hab dich doch nicht so.«
»Cole!« Die junge Frau verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn säuerlich an. »Ich friere mir wegen dir ganz sicher nicht den Arsch ab. Entweder wir gehen rein oder du kannst es vergessen. Das ist doch dein Wohnheim, oder irre ich mich?«
Cole schien einen Moment nachzudenken, dann nickte er.
»Okay. Aber ich habe kein Einzelzimmer. Wenn das Weichei auf dem Zimmer ist, gehen wir wieder. Ich steh irgendwie nicht so darauf, wenn der Kleine uns zuschaut.«
Sie lachte und beobachtete Cole, der aus seiner Hosentasche den nachgemachten Schlüssel herauszog und damit die Hintertür öffnete. Nur Sekunden später waren sie im Gebäude verschwunden.
In Nicks Kopf hallte das Wort Weichei nach. Cole hatte es erneut getan. Niemals hätte er auch nur geahnt, dass sein vermeintlicher Freund so über ihn dachte. Abermals brannten die Tränen in seinen Augen. Nick wandte sich ab. Wie in Trance lief er los und bemerkte erst, dass er nicht mehr allein war, als er gegen jemanden prallte.
Erschrocken blickte er Kenny an. Sein Puls raste und er fühlte sich zum zweiten Mal an diesem Abend ertappt. Es hatte nicht ausgereicht, dass Kenny ihn erst vor Kurzem weinen sah. Er musste ihn für eine Heulsuse halten. Peinlich berührt machte Nick einen Schritt zur Seite.
»Mist … tut mir leid.«
»Hey … muss es nicht. Ich hätte ja besser aufpassen können.« Kenny lächelte und zog an seiner Zigarette.
Eilig fuhr sich Nick übers Gesicht und rieb sich die Augen.
»Geht mich ja eigentlich nichts an, aber ... Hier, für deine Nase!« Kenny hielt ihm ein Papiertaschentuch hin.
Überrascht starrte Nick darauf, bevor er es zögerlich annahm. Er schnäuzte sich und stand anschließend unschlüssig da. Kenny hatte ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, überrumpelt.
»So ist es doch gleich viel besser.« Kennys Lächeln wurde breiter. »Ich wollte dich vorhin nicht verscheuchen. Für den Fall der Fälle, wenn du irgendein Problem im Zimmer hast oder die Duschen nicht funktionieren, muss ich dich aber auf morgen früh vertrösten. Ich helfe zwar dem Hausmeister, … die Wohnheime sind für mich jedoch tabu, dafür ist allein Mr. Evans zuständig.«
»Nein … nein … es ist nichts kaputt oder so. Ich … ich … wollte nur … etwas spazieren gehen.«
Nick schämte sich in Grund und Boden. Der Wahnsinnstyp redete mit ihm und er hatte nichts Besseres zu tun, als sich ihm wie ein Idiot zu präsentieren.
»Okay. Damit ist das ja geklärt.« Kenny warf die aufgerauchte Zigarette fort und ließ Nick stehen. Er ging zwei Schritte, dann wandte er sich nochmals um. »Ich bin übrigens ein ziemlich guter Zuhörer, wenn du einen brauchst. Sorry, es ist nicht meine Art, jemanden zu belauschen, aber ich konnte nicht weghören. Cole ist ein beschissenes Arschloch. Wegen ihm musst du keine Träne vergeuden.«
Perplex starrte Nick ihn an. Die Peinlichkeiten nahmen kein Ende. Sein Herz klopfte ihm inzwischen bis zum Hals und er spürte sein Gesicht glühen. Er hatte nun exakt zwei Möglichkeiten. Entweder er nahm auf der Stelle Reißaus, oder er stellte sich seinem Gegenüber und zeigte ihm, dass er mehr war als ein heulender Schwächling.
»Du hast recht, Cole ist ein Arschloch«, flüsterte er kaum hörbar.
»Ich muss zugeben … das aus deinem Mund zu hören, überrascht mich.«
»Warum?« Nick fühlte sich unsicher.
»Ich sag’s mal so …, der Typ ist ein notgeiler Wichser. Ich weiß, dass du ein Kumpel von ihm bist. Die Tatsache, dass er jetzt Damenbesuch auf eurem Zimmer hat, bringt dich in eine verzwickte Lage. Klar, du könntest ihn überraschen, was ihm bestimmt nicht gefallen würde. Vielleicht würde er dich vor dieser Tussi zur Sau machen. Damit wäre deine Nacht wohl gelaufen, seine allerdings auch. Oder aber du spazierst weiter in der Kälte herum, ... nebenbei erwähnt, ohne Jacke ... und liegst morgen mit einer ordentlichen Erkältung im Bett.«
»Das geht dich gar nichts an.« Nick spürte allmählich Wut hochkochen. Kenny sprach genau das aus, was ihn quälte und grinste dabei. Somit war er in diesem Moment keineswegs besser als Cole.
»Mag sein«, meinte Kenny und zuckte mit den Schultern. »Ich wollte dir nur helfen. Offensichtlich hast du alles wunderbar im Griff. Dann kann ich ja gehen.« Er präsentierte ihm den Rücken und lief in Richtung des Haupttores davon.
Nick verharrte auf der Stelle. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich seine ohnehin verletzte Gefühlswelt erneut völlig auf den Kopf gestellt. Ins Zimmer konnte er nicht, im Freien herumlaufen war ebenfalls keine Option, denn inzwischen fror er fürchterlich. Viel wichtiger jedoch war: Er wollte auf keinen Fall, dass Kenny verschwand.
»Halt! Warte mal«, rief er und rannte los.
Kenny blieb stehen und sah ihm in keinster Weise überrascht entgegen.
»Woher kennst du eigentlich Cole?«, sprudelte es aus Nick hervor. Seine Wut war der Neugier gewichen.
»Wir gingen auf die gleiche Highschool. Außerdem ist er jetzt VIP-Mitglied in dem Fitnessclub, in dem ich arbeite.«
»Bisher hat er noch nie … jemand mit aufs Zimmer genommen.«
Kenny zwinkerte ihm zu. »Vielleicht hat er es doch und du weißt es nur nicht. Ich hätte da eine Idee. Dir ist kalt. Mir ist kalt. Wie wäre es, wenn wir zusammen einen Kaffee trinken gehen?«
Nick traute seinen Ohren nicht. Hatte ihn Kenny wahrhaftig eingeladen? Das konnte nur ein Traum sein. Heimlich zwickte er sich in den Handrücken und zuckte zusammen, als er den Schmerz spürte. Bis gestern hätte er alles dafür getan, um Kenny ein Stück näher zu sein und mehr über ihn zu erfahren. Ausgerechnet jetzt bekam er jedoch Angst. Er wusste nicht warum, aber die Furcht vor einer Zurückweisung ließ ihn zögern. Seine Handflächen wurden feucht und sein Herzschlag beschleunigte sich.
»Was ist? Hast du Lust?« Kenny griff in die Jackentasche, um die Zigarettenschachtel herauszuholen. »Willst du auch eine?«
»Ähm … ich … ich … ja gern«, stammelte Nick und nahm den dargebotenen Glimmstängel an.
Kenny hielt ihm das brennende Feuerzeug vor die Nase. Nick steckte die Fluppe in den Mund, hielt sie in die Flamme und zog daran. Er atmete den Rauch tief ein, so wie er es bei Kenny gesehen hatte. Augenblicklich kratzte es in seinem Hals, seine Augen begannen zu tränen und er fing an zu husten.
Von der Seite hörte er ein schallendes Lachen, das nur langsam verebbte. Für eine Sekunde blickte er Kenny mit zu Schlitzen verengten Augen an, dann schmunzelte er über sich selbst.
»Das war deine Erste, stimmt’s?«
»Ja … und meine Letzte.« Nick warf sie fort und versuchte den Hustenreiz zu ignorieren.
»Sorry. Ich konnte nicht widerstehen.«
»Das war Absicht?« Obwohl Kenny ihn hochgenommen hatte, konnte er ihm nicht böse sein und erneut huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
Kenny grinste ihn schief an. »Immerhin habe ich dich zum Lachen gebracht. Beim nächsten Mal sagst du einfach Nein. Na komm, lass uns gehen.«
*
Eine Viertelstunde später saßen sie im Freddy’s Diner, einem nahe gelegenen Café. Drinnen war es warm und außer ihnen waren nur vier weitere Gäste anwesend. Die Beiden hatten in einer Ecke am Fenster Platz genommen, weit vom Eingang entfernt. Während Kenny an einem Kaffee nippte, trank Nick einen Schluck aus einer Tasse heißer Schokolade. Die Wärme tat gut und schenkte ihm neue Kraft.
Er konnte es nicht fassen. Erst gestern hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als Kenny einmal privat kennenzulernen. Nun saßen sie gemeinsam hier und es fühlte sich an, als würde ihm ein Freund gegenübersitzen. Mit einem Unterschied, Nick wusste weitaus mehr über Kenny, als er über ihn.
Aus den Augenwinkeln musterte er ihn verstohlen. Er konnte nicht leugnen, dass Kenny ein verdammt heißer Typ war. Seine hellgrünen Augen leuchteten im Licht der Neonröhren über ihren Köpfen und Nick fiel es schwer, sich zu konzentrieren.
»Ich bin übrigens Kenny. Kenny McKee. Der Leadsänger ... du weißt schon«, zwinkerte er ihm plötzlich zu und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
Nick schluckte und rief sich innerlich zur Ruhe auf. Er hoffte, dass Kenny das laute Pochen seines Herzen nicht hörte. »Ich bin Nick. Nicolas Harper.«
»Hi Nick.« Kenny reichte ihm über den Tisch hinweg die Hand.
Zögerlich erwiderte Nick den Händedruck. »Ich habe dich in Rochester singen gehört.«
»Ich weiß.« Kenny grinste und lehnte sich zurück. »Hab ein kleines Andenken an den Abend.« Er zog die Unterlippe zur Seite, sodass die aufgeplatzte Wunde deutlich hervorstach.
»Es tut mir leid. Es tut mir so schrecklich leid.« Nick senkte beschämt den Kopf. Obwohl er nicht an der Aktion beteiligt gewesen war und er Cole und die Jungs dafür verabscheute, hatte er dennoch tatenlos zugesehen. Er umklammerte die Tasse vor sich, als wäre sie ein Rettungsanker auf hoher See. Sein Verhalten war genauso unentschuldbar, als hätte er selbst Hand angelegt.
Kaum waren die Worte verklungen, spürte er Kennys Finger, die sanft sein Handgelenk umfassten.
»Dich trifft keine Schuld. Das waren Cole und seine Freunde, nicht du.«
Verwirrt hob Nick den Blick und sah Kenny direkt in die Augen. »Eigentlich bin ich auch sein Freund«, seufzte er. »Jedenfalls war ich es gestern noch.«
»Aber du hast nicht zugeschlagen ...« Kenny begutachtete Nicks Hände. »Siehst du? Alles heil. Keine aufgeplatzten Knöchel, oder so.« Sein Daumen strich zärtlich über die unversehrte Haut.
Nick schluckte merklich. »Ich hätte sie davon abhalten müssen. Stattdessen stand ich bloß da ... Es war falsch …«
»Lass es gut sein. Ich hab dir schon gesagt, ich kenne Cole. Und seine Möchtegern-Anhängerschaft. Ich wundere mich nur, was du von denen willst. Du ... du bist irgendwie so anders.«
Nick atmete tief durch. »Ich gehöre nicht dazu. Nicht mehr! Bis gestern dachte ich zwar, es wäre so und sie wären meine Freunde. Aber wenn ich ehrlich bin, ich war immer nur das fünfte Rad am Wagen.«
»Soll ich auch ehrlich sein?« Kenny lächelte ihn beruhigend an und sah ihm tief in die Augen. »Schon von der Bühne aus konnte ich sehen, dass du anders bist. Du bist mir sofort aufgefallen, weil du ganz vorne standest.«
Nick fiel ein Stein vom Herzen. Er fühlte sich zum ersten Mal seit dem Zwischenfall ein wenig erleichtert. Das hätte er ihm gern gesagt, doch Kennys Hand auf seiner lenkte ihn viel zu sehr ab. Kenny machte zudem keine Anstalten, an dieser Situation etwas ändern zu wollen. Es schien, als würde es ihm gefallen. Das wiederum beschleunigte Nicks Herzschlag ein weiteres Mal.
»Wenn wir schon ehrlich zueinander sind«, sagte Kenny leise, »drängt sich mir die Frage auf, warum du dir das antust. Wie ich dir vorhin schon sagte. Cole ist es nicht wert, dass man sich überhaupt mit ihm beschäftigt und schon gar nicht, dass man eine Träne wegen ihm vergießt. Vergiss das Arschloch und seine sogenannten Kumpels gleich mit.«
Wie gerne hätte Nick Kenny erklärt, dass er mit allem, was er sagte, recht hatte. Nick war blind für die Wahrheit gewesen und musste nun mit den Konsequenzen leben. Doch er brachte kein Wort hervor. Er schaffte es noch nicht einmal, ihm in die Augen zu sehen.
»Jetzt erzähl mal. Wie hat dir unser Gig gefallen?« Kenny ließ Nicks Hand los und nippte an dem Kaffee, während er ihn interessiert über den Tassenrand ansah.
Obwohl Nick enttäuscht war, dass Kenny sich zurückgezogen hatte, begann er zu schwärmen: »Ihr seid fantastisch! Was sage ich da, es war der helle Wahnsinn! Die Songs sind toll, speziell der letzte an dem Abend!«
Kenny grinste. »Den Song hab ich selbst geschrieben. Er heißt Passion and Crime. Gestern spielten wir ihn zum ersten Mal live vor Publikum. Ich liebe diesen Song.«
Leise stimmte er die Melodie an, schloss die Augen und sang.
When roses cry – love turns to crime
I see it in your eyes tonite
Like a crow over fields of snow
The dark side of your soul.
When shadows dance – a deadly romance
I see it in your eyes tonite
That innocence has lost its light
To the very darkest side
Nick lauschte der sanften Stimme. Sie war so unbeschreiblich anziehend und Kenny sang allein für ihn. Sein Herz hämmerte wild in der Brust und er bekam eine Gänsehaut. Als das Lied zu Ende war, saß Nick sprachlos und völlig überwältigt da.
»Es hat dir gefallen«, stellte Kenny zufrieden fest.
»Es ist wunderschön ... deine Stimme … du … Es war geil!«
»Danke für das Kompliment. Die meisten Songs sind von mir. Mein Freund Logan hat auch drei neue geschrieben, die wir beim nächsten Gig vorstellen wollen. Ich kann es kaum erwarten.«
»Da muss ich dabei sein. Wisst ihr schon, wo ihr auftretet?« Plötzlich war Nick wie ausgewechselt. Er wollte alles über die Band erfahren, aber noch mehr über Kenny.
»Noch nicht. Das ist zurzeit Logans Aufgabe. Er ist der mit den Kontakten. Morgen ist wieder Probe. Wenn du Lust hast, kannst du ja mitkommen.«
»Meinst du das ernst?« Nick glaubte zu träumen.
»Klar. Solange du nicht auf die Idee kommst, Cole mitzubringen, ist alles in bester Ordnung.« Kenny grinste ihn frech an. »Sag an, was studierst du eigentlich? Ebenfalls dieses trockene Physikzeugs wie unser Möchtegern-Macho?«
Nick lachte. »Nein, obwohl Physik gar nicht so schwer ist. Ich studiere Musik- und Politikwissenschaften und spiele Klavier.« Er dachte an das anstehende Konzert, das kurz vor Weihnachten in der Stadthalle von Ithaca stattfinden sollte. Dabei wurde ihm bewusst, wenn er vor einiger Zeit nicht seine handgeschriebene Partitur im Musiksaal vergessen hätte, wüsste er nicht, dass es Kenny überhaupt gab. Leider erinnerte er sich auch an die kompromittierende Situation zwischen ihm und Louis Bennett.
»Cool. Dann kannst du bestimmt auch Keyboard spielen. Du solltest mal mit Logan reden.«
»Ähm … ich weiß nicht«, antwortete Nick und verspürte auf einmal ein ungutes Gefühl. Er konnte es sich nicht erklären. Vermutlich lag es schlichtweg daran, weil alles so plötzlich auf ihn einstürzte. Es schien einfach viel zu schön, um wahr zu sein.
»Ist ja auch egal. Was machst du heute noch?«
»Warten, bis das Zimmer frei ist.« Eigentlich war ihm nicht danach zumute, Cole unter die Augen zu treten.
Kenny schmunzelte verwegen. »Da fällt mir was Besseres ein. Meine Couch wäre frei. Ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, als könnte das bei Cole länger dauern. Wie wär’s?«
»Meinst du das ernst?« Nick war überrascht.
»Ich meine es immer so, wie ich es sage.«
»Wir kennen uns gar nicht.« Überrumpelt biss sich Nick auf die Unterlippe. So hatte er sich ihr Kennenlernen nicht vorgestellt. Wobei er sich auch nie hätte vorstellen können, mit Kenny in diesem Café zu sitzen.
»Du bist Nick. Ich bin Kenny. Und was noch nicht ist, kann ja noch werden. Außerdem fühl ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass du wegen dem Arsch die Nacht in der Kälte verbringst. Gib dir einen Ruck. Versprochen, ich beiße auch nicht.«
Dieser Argumentation hatte Nick nichts entgegenzusetzen und er nickte zögerlich. »Ähm … danke«, stotterte er verlegen. »Ich bezahle dir die Übernachtung ...«
Die Worte waren kaum ausgesprochen, da verfinsterte sich Kennys Blick. »Ich will kein Geld von dir. Ich will dir einfach nur helfen.«
»Sorry«, nuschelte Nick und studierte die leere Tasse, die vor ihm stand.
»Hör auf, dich immer zu entschuldigen.«
Unverhofft spürte Nick einen Zeigefinger unter seinem Kinn. Mit sanftem Druck zwang Kenny ihn dazu, ihm in die Augen zu sehen. Hellgrün traf auf Dunkelbraun. Seine Augen glänzten wie helle Smaragde. Ein heiß-kalter Schauder jagte Nick über den Rücken. Am liebsten hätte er seine Hand ausgestreckt und Kennys Lippen mit den Fingerspitzen berührt. Doch augenblicklich rief er sich zur Räson. Niemand durfte wissen, dass er schwul war, auch nicht Kenny. Hastig zog er sich zurück.
Kenny ließ die Hand sinken. Er wühlte in seiner Hosentasche und zog einen Geldschein hervor, den er auf den Tisch legte. Dann stand er auf und lief zum Ausgang. »Kommst du jetzt mit?«
Nick atmete einmal tief durch und folgte ihm hinaus auf die Straße.
Textauszug von "Passion and Crime" von © Carola Kickers (Urheberin, Texterin)
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Liedtexte dürfen mit ausdrücklicher Genehmigung des ehemaligen
MCK Musikverlages verwendet werden.
Kenny stand in der Küchenzeile seines kleinen Appartements. Den Rücken Nick zugewandt, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, spülte er zwei Gläser. Gedanklich war er jedoch woanders. War es richtig, dass er den Studenten zu sich eingeladen hatte? Sein Bauchgefühl pflichtete ihm bei, doch es gab immer noch einen Cole Thompson. Würde er herausfinden, wen er beherbergte, wäre das ein gefundenes Fressen für ihn und seine Kumpels. Sie nutzten jede noch so belanglose Gelegenheit, um gegen Kenny zu hetzen bis er so gereizt war, dass er einen Fehler beging und sie ihre Fäuste sprechen lassen konnten.
Normalerweise prallten ihre einfältigen Sprüche an ihm ab, nur hin und wieder platzte ihm dann doch der Kragen. Konnte Nick mit solch einer Situation ebenfalls so locker umgehen? Denn eines wusste Kenny genau: Käme heraus, wo Nick sich gerade aufhielt, würde er der Leidtragende sein. Cole und seine Schläger würden sich auf Nick stürzen und das entsprach absolut nicht Kennys Absicht. Denn obwohl er den Kleinen noch nicht lange kannte, mochte er ihn.
Ganz nebenbei gestand er sich ein, dass er bisher noch niemandem wie Nick begegnet war. Dieser dunkelhaarige Typ vereinte gleich mehrere Dinge, die ihn faszinierten. Zum einen sah er verdammt gut aus, zum anderen war er schüchtern, zeigte allerdings einen gewissen Widerwillen, gepaart mit einer ungewöhnlich vorsichtigen Art, die Kenny nicht einzuordnen vermochte. Wesenszüge, die er näher kennenlernen wollte. Darüber hinaus reizte ihn eine bestimmte Sache, die sich sicher lohnen würde, hervor zu kitzeln. Er wusste auch schon wie.
Nachdem Kenny die Gläser abgetrocknet hatte, schenkte er die Cola ein, die er aus dem Kühlschrank genommen hatte, und wandte sich mit einem Grinsen um.
»Hast du Hunger? Ich war zwar nicht einkaufen, aber irgendwo habe ich bestimmt noch etwas. Es soll ja nicht heißen, ich wäre ein schlechter Gastgeber.«
Er trug die Gläsern zur Couch, stellte sie auf dem flachen Tisch davor ab und setzte sich neben Nick. Abwartend blickte er ihn an.
»Kei … keinen Hunger«, stotterte Nick sichtlich verlegen.
»Das ist gut. Ich habe nämlich nur Cracker im Schrank. Sag mal, wie bist du zur Musik gekommen?« Kenny winkelte ein Bein an und drehte sich ein wenig zur Seite, um Nick besser im Blick zu haben. Seinen Ellenbogen stützte er lässig auf der Lehne ab.
»Ähm … ja … das ist eine längere Geschichte ...« Nervös lehnte sich Nick zurück und spielte unsicher mit dem Glas in der Hand. Dabei vermied er den Augenkontakt und studierte stattdessen den Fußboden.
Beinahe hätte Kenny gelacht. Diese Schüchternheit war unglaublich anziehend. Nick war ein verflucht attraktiver Kerl, der mit seinem Aussehen jeden haben könnte, dies aber nicht zeigte. Eine gefährliche Mischung, die Kenny umso mehr imponierte.
»Also wir haben die ganze Nacht Zeit. Außer du möchtest nicht bei mir bleiben?«
»Doch. Klar will ich das.« Nick biss sich auf die Unterlippe und blickte ihn mit großen Augen an, so als müsse er überlegen, was er ihm erzählen durfte. Kenny rechnete schon mit ewigem Schweigen, doch plötzlich sprach Nick leise weiter. »Mit dem Klavier habe ich angefangen, da war ich fünf. Am Anfang war es meine Mutter, die unbedingt wollte, dass ich spiele. Zuerst hatte ich nicht wirklich Lust dazu. Doch auf einmal hat es angefangen Spaß zu machen. Es hat einfach klick gemacht. Früher war meine Mutter selbst eine bekannte Pianistin und mit einem Orchester auf Tourneen. Auf einige ihrer Konzerte in Europa durfte ich mit. Dann hatte sie einen schweren Autounfall. Die Ärzte mussten ihr zwei Finger abnehmen und damit war ihre Karriere zu Ende. Leider hat sie es nie wirklich verkraftet, obwohl sie gut mit der Behinderung zurechtkommt. Sie trägt eine Prothese und kann alltägliche Dinge erledigen, aber nicht mehr spielen.«
»Fühlst du dich schuldig und spielst für sie?«
»Nein.« Nick sah Kenny ernst an. »Ich fühle mich weder schuldig noch musiziere ich an ihrer Stelle. Ich liebe das Klavierspielen. Wenn meine Finger über die Tasten streichen und ihnen wunderschöne Töne entlocken, vergesse ich alles um mich herum. Vielleicht klingt es kitschig, aber ich habe das Gefühl, jedes Mal, wenn ich spiele, schöpfe ich neue Kraft. Musik ist mein Leben. Klavierspielen ist mein Leben. Ohne hätte ich schon alle Hoffnung aufgegeben. Verstehst du? Allein dafür lebe ich. Inzwischen habe ich sogar meine eigene Partitur geschrieben. Kurz vor Weihnachten stelle ich zum ersten Mal mein eigenes Werk vor großem Publikum vor.«
Natürlich konnte Kenny nachvollziehen, was Nick meinte, wenngleich Klassik nicht unbedingt zu seinem bevorzugten Musikgeschmack zählte.
»Du und deine Band, wie seid ihr zusammengekommen?« Nun war Nick am Zug.
»Ich glaube, da muss ich auch ein wenig ausholen. Obwohl es gar nicht viel zu erzählen gibt.« Kenny überlegte, denn ein paar Dinge wollte er nicht preisgeben. »Gesungen hab ich schon mit neun und mit zehn bekam ich meine erste E-Gitarre zum Geburtstag. Von da an gab es kein Halten mehr. Mit ein paar Freunden richteten wir uns in der Garage einen Proberaum ein. Wir übten jeden Tag und waren richtig gut, nur dann … dann musste ich aufhören.«
»Wieso?«
Kenny zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Normalerweise sprach er über dieses Thema mit niemandem. Nick war aber nicht irgendwer für ihn, sondern jemand, der ihm das seltsame Gefühl von Vertrautheit schenkte. Dabei kannten sie sich gerade einmal zwei Stunden. »Es war wegen meinem Dad«, antwortete Kenny schließlich. »Er ist … er war Archäologe. Sein Gebiet waren die indigenen Kulturen Mittel- und Südamerikas. Vor acht Jahren ging er auf eine Expedition nach Peru. Nun ja … von da kam er nicht mehr zurück. Eines Morgens verschwand er von dort spurlos. Eine Woche hatten Rettungsmannschaften nach ihm … oder besser gesagt nach seiner Leiche gesucht. Gefunden hat man ihn erst vier Monate später am Fuß einer schmalen Talsenke. Und das auch nur durch Zufall. Mein Dad war in den Anden von einer Gesteinslawine überrascht worden und wurde von den Felsen begraben.«
Die letzte Person, mit der Kenny über diesen tragischen Unfall gesprochen hatte, war die Kinderpsychologin gewesen, kurz bevor er sein vertrautes Zuhause verlassen musste. Seitdem hatte er versucht, das Geschehene zu verdrängen. Bisher mit Erfolg. Warum er es gerade Nick gegenüber aussprach, wusste er nicht. Es fühlte sich jedoch paradoxerweise gut an. Die Erinnerungen schmerzten zwar immer noch, sie schienen ihm aber nicht mehr das Gefühl zu vermitteln, als würde sich der Boden unter ihm auftun.
»Das tut mir leid«, flüsterte Nick und legte seine Hand auf Kennys Knie. »Wie alt warst du damals?«
»Dreizehn.« Kenny spürte eine wohlige Wärme von Nicks Finger ausstrahlen.
»Und was ist mit deiner Mutter?«, platzte Nick heraus. »Sorry, ich wollte nicht neugierig sein.« Verunsichert zog er seine Hand zurück.
Kenny schnippte die Asche in den Aschenbecher und lächelte. »Du bist genauso neugierig wie ich. Keine Sorge, daran ist nichts Falsches. Merk dir nur eines, wenn ich etwas nicht sagen will, tu ich es auch nicht. Das Gleiche gilt für dich.«
Nun lächelte Nick. »Erzählst du es mir?«
»Von ihr weiß ich leider nicht so viel, wie ich es gerne hätte. Sie starb, da war ich gerade mal vier. Aber sie war eine begnadete Künstlerin, erzählte mir mein Dad immer. Sie malte Landschaftsbilder, sang selbst und gab früher in der Junior Highschool den Kleinen Kunstunterricht. Auf den alten Fotos sahen sie und mein Dad immer sehr glücklich aus. Nach seinem Unfall kam ich in eine Pflegefamilie. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Nick schwieg und nippte an seinem Glas.
»Vertragen sich deine Eltern?«, fragte Kenny, ohne ihn anzusehen.
»Hm, sie sind wohl wie alle Eltern. Manchmal streiten sie sich und versöhnen sich wieder. Ehrlich gesagt, bin ich aber froh, sie erst beim Konzert wiederzusehen.«
»Das ist der Ruf der Freiheit«, neckte Kenny ihn lachend.
»Du hast immerhin deine eigene Wohnung. Wie lange wohnst du schon hier?« Nicks Blick wanderte über das Chaos in Kennys Appartement.
»Seit einem Jahr. Diese Bude würde ich nicht unbedingt als Wohnung bezeichnen. Sie erfüllt ihren Zweck, das reicht. Vor allem ist sie erschwinglich. Die Miete für dein Zimmer im Wohnheim kostet bestimmt drei- oder viermal so viel.«
»Damit könntest du recht haben. Aber Freiheit gehört dort nicht unbedingt zur Ausstattung. Es gelten strenge Regeln an die wir uns halten müssen, wenn wir keinen Ärger bekommen wollen.«
»Oder man hat einen nachgemachten Schlüssel.« Kenny zwinkerte verschwörerisch und entlockte Nick ein befreites Lachen.
»Weißt du was … ich geh schnell duschen. War ein langer Tag. Fühl dich ganz wie zu Hause. Und tu das, was ich auch tun würde.« Kenny drückte die Zigarette aus, stand auf und lief in Richtung Badezimmer, wobei er sich das T-Shirt auszog. Deutlich spürte er Nicks Blick auf sich ruhen.
Obwohl Kenny vorhin bereits geduscht hatte, schloss er die Badezimmertür hinter sich und entledigte sich seiner restlichen Klamotten. Diesmal brachte das warme Wasser die erhoffte Entspannung, als es über seinen Rücken prasselte. Sein Hass war abgeflaut, dafür war seine Neugierde geweckt. Nick war wirklich eine Sünde wert.
Mit feuchten, verstrubbelten Haaren und nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen, kam Kenny keine zehn Minuten später aus dem Bad. Sein Gast zappte durch das Fernsehprogramm, hielt jedoch inne, als er ihn bemerkte. Während Kenny fasziniert das schüchterne Mienenspiel beobachtete, färbten sich Nicks Wangen leicht rosa. Er rutschte nervös hin und her, bis er beschämt den Blick abwandte.
»Bin ich so hässlich, dass du mich nicht ansehen kannst?« Kenny sah an sich herab. Ein großes Tribaltattoo im Skin Art Styl mit verschiedenen Maya Elementen zierte auf der linken Körperhälfte seinen Arm, die Schulter und die Brust.
»Du bist doch nicht hässlich!«, platzte Nick unerwartet heraus und blickte ihm nun direkt in die Augen. Offensichtlich nervös kaute er auf der Unterlippe herum. »Deine Tätowierung ist der Hammer.«
»Sie ist eine Erinnerung an die Arbeit meines Dads. Und jetzt raus mit der Sprache. Seit wann weißt du es?« Kenny fixierte ihn neugierig.
»Seit wann weiß ich was?« Nicks Wangen glühten jäh rot auf.
»Dass du auf Jungs stehst.«
»Ich … ich … also eigentlich …«Verunsichert brach Nick ab und knetete unruhig seine Finger.
»Okay ... okay«, beschwichtigte Kenny lachend und setzte sich neben ihn. »Das war wohl ein bisschen zu direkt. Sorry. Ich wollte dich damit nicht überfahren. Ich verspreche dir, alles, was du mir anvertraust, bleibt unter uns. Und falls es dir hilft: Ich weiß es, seit meinem vierzehnten Lebensjahr. Da war ich in meinen besten Freund verknallt, mit dem ich in der Garage E-Gitarre spielte. Mein erstes Mal hatte ich mit ihm nur kurz darauf. Es war nicht wirklich etwas ernstes, zumindest von seiner Seite aus. Es dauerte auch nicht lange, und er zog sich komplett zurück. Danach hatte er eine Freundin und in der Schule ging er mir aus dem Weg. Ich ihm auch. Als er mitbekam, dass ich nur ein halbes Jahr später einen anderen Jungen kennenlernte, war er sauer auf mich. Aber mir war das egal. Der Typ ist und bleibt ein blöder Idiot.«
»Hast du ... ich meine, bist du mit jemandem zusammen?« Nick schluckte merklich.
»Wenn du mich so fragst ... nein.« Kenny zuckte die Schultern. »Außer du zählst meine Bekanntschaften mit dazu. Und du?«
»Woher weißt du, dass ich schwul bin?«, wich Nick der Frage aus.
»Man könnte sagen … das sieht ein Blinder. Schau nicht so schockiert, das war ein Witz. Okay, nicht unbedingt ein guter. Tut mir leid. Ich würde sagen, wir anderen Männer wissen es einfach. So geht es mir jedenfalls oft. Auch bei dir hatte ich das Gespür dafür. Einige Dinge habe ich mir zusammengereimt. Anders gesagt, es war wohl eine Mischung aus allem.«
»Am College weiß es niemand. Du bist der Erste, der dahintergekommen ist«, gestand Nick kleinlaut. »Es darf nie herauskommen. Du wirst es doch keinem sagen, oder?«
»Ich? Niemals. Alles, was du mir sagst, bleibt in meiner Bude. Oder denkst du, ich laufe über den Campus und erzähle jedem, der es nicht hören will … hey Leute … der da vorne ist schwul. So ein Typ bin ich nicht.«
»Entschuldigung.« Verlegen kaute Nick auf der Unterlippe.
»Warum entschuldigst du dich?«
»Ich wollte dich nicht verärgern.« Unerwartet stand er auf und griff nach seiner Jacke.
Kenny hielt ihn am Handgelenk zurück und blickte Nick tief in die Augen. Er konnte die Angst darin deutlich erkennen. Furcht, die ihm augenscheinlich durch Mark und Bein fuhr. In diesem Moment verspürte Kenny Gewissensbisse. Sein Plan sah vor Nick aus der Reserve zu locken, stattdessen hatte er ihn unnötig bedrängt. »Du musst nicht gehen. Ich bin nicht sauer auf dich oder so. Du musst auch nicht darüber reden, wenn du nicht willst.«
»Warum hast du mich mitgenommen? Willst du ...?« Mit verschreckten Augen starrte ihn Nick an.
»Nein! Das Einzige was ich will, ist, dass du bleibst. Sonst mache ich mir die ganze Nacht Vorwürfe. Gib dir einen Ruck und mir noch eine Chance.«
Nick seufzte und setzte sich wieder. Ohne ein Wort zu sprechen berührte er vorsichtig Kennys Finger, die noch immer das Handgelenk festhielten.
Seine Hand war warm und vermittelte Kenny das Gefühl, als würde Nick kleine elektrisierende Stromstöße aussenden, die auf seiner Haut ein angenehmes Prickeln hinterließen. So etwas kannte er nicht, umso mehr genoss er diesen unbeschreiblichen Augenblick. Doch leider zog Nick bereits im nächsten Moment seine Hand zurück.
Etwas Ungewöhnliches erfüllte plötzlich die Luft. Diese kurze Berührung hatte Kennys Herz in Aufruhr versetzt. In Nicks wunderschönen, leuchtenden dunkelbraunen Augen begann ein Feuer zu lodern, das ihn völlig in den Bann zog. Ein Kribbeln fuhr ihm über den Rücken und es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Weißt du, ich bewundere dich«, sagte Nick aus heiterem Himmel.
»Warum bewunderst du mich?« Leicht verwirrt lehnte sich Kenny mit verschränkten Armen an die Rückenlehne der Couch, während er den Blickkontakt aufrechterhielt.
Nick lächelte zaghaft. »Ich bin mir nicht ganz sicher. Du ... du bist anders. Positiv anders. Du nimmst dass alles so locker und erzählst mir von dir, ohne das Selbe von mir zu fordern. Bisher kenne ich nur Leute, die immer etwas von mir verlangen. Nick tu das. Nick du musst üben. Nick du musst Hausaufgaben machen. Nick du musst ... du musst ... du musst. Verstehst du? Es ist schwer zu erklären.« Er stockte und suchte offenbar nach den richtigen Worten.
»Anscheinend habe ich das falsche Thema gewählt. War keine Absicht. ... Hör zu, du musst nicht, wenn du nicht willst.«
»Nein! Ich denke, ich kann dir vertrauen. Ich sage es dir, wie es ist«, fuhr er fort. »Bis zu meinem ersten Kuss ahnte ich nicht einmal, was ich wirklich fühlte. Im Sport und beim anschließenden Duschen habe ich öfter heimlich die Jungs beobachtet, aber nur, wenn es niemand bemerkte. Doch erst in den letzten zwei Jahren auf dem Internat wurde mir bewusst, dass mich Jungs anziehen. Dort erfuhr ich auch von einem anderen Jungen, der so war wie ich. Wir trafen uns heimlich, küssten uns und so, sind aber nie weitergegangen.« Von Nick schien offenbar die Anspannung abzufallen. Er lächelte und lehnte sich ebenfalls zurück. »Nach dem Internat war ich ein halbes Jahr als Praktikant in der Musikschule bei uns in der Stadt und lernte Steve kennen. Er gab dort Geigenunterricht. Letztendlich waren wir fünf Monate zusammen. Steve hat mir gezeigt, dass es noch mehr als Küssen und Kuscheln gibt. Es war echt ... wunderschön. Drei Monate nach meinem ersten Mal bin ich dann auf’s College gegangen und er ist wohl immer noch Lehrer an der Musikschule.« Ein verträumtes Lächeln stahl sich über sein Gesicht.
Insgeheim wünschte sich Kenny, er hätte auch so eine unschuldige Teenangerzeit verbracht. Unwissend und schüchtern. Er war jedoch schon immer ein Rebell gewesen. Bisher hatte er zwei Beziehungen geführt, die er im Nachhinein eher als lockere Affären ansah. Und dann gab es noch Logan. Sie waren Bandkollegen und pflegten eine gesunde Sexaffäre, aber mehr würde auch nie daraus werden. Diese Entscheidung hatten sie gemeinsam getroffen. Schweren Herzens musste er auch die widerwillige Beziehung mit Louis Bennett dazu zählen. Sie hatte kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag begonnen. Dafür schämte er sich. Nur Logan wusste davon, der das Ganze keineswegs guthieß. Selbst Kennys Beteuerungen, dass er es allein wegen des Geldes tat, hielt seinen besten Freund nicht davon ab, ihm öfters eine Standpauke zu diesem Thema zu halten. Hätte Kenny die Chance, noch einmal von vorn anzufangen, würde er es kein zweites Mal zulassen. Lieber würde er unter der Brücke schlafen. Aber einmal in seinen Fängen, gab es kein Entrinnen mehr. Seufzend zündete sich Kenny eine Zigarette an. »Ich fürchte, wenn du mich näher kennenlernst, bewunderst du mich nicht mehr. Bisher habe ich alles falsch gemacht.«
»Warum?« Nick wirkte überrascht. »Ich würde sofort mit dir tauschen, wenn ich dafür meine eigene Wohnung hätte und tun und lassen könnte, was ich will.«
»Du scheinst bei deinen Eltern ganz schön unter dem Pantoffel zu stehen. Wie alt bist du?«
»Vor drei Monaten wurde ich einundzwanzig.«
»Da du hier aufs College gehst, haben deine Eltern mit Sicherheit sehr viel Geld. Du hattest bestimmt nie Geldsorgen. Ich schon.«
Nick schluckte sichtbar. »Du kannst mir glauben, Geld ist nicht alles. Ich würde auf mein Erbe verzichten, wenn ich sagen könnte, das hier ist meine Wohnung und hier kann ich machen, was ich will. Freunde einladen. Party machen. Einfach tun, wozu ich Lust habe. Einfach ich selbst sein. Frei sein.«
»Freiheit hat ihren Preis«, antwortete Kenny leise.
»Alles hat seinen Preis. Und jeder bezahlt das, wozu er bereit ist.«
»Touché.«
Erneut musste Kenny an Bennett denken. Spätestens morgen Abend verlangte der eine Entscheidung von ihm. War er wirklich bereit, diesen Preis zu bezahlen? Nach dem Gespräch mit Nick war er sich unsicher. Es schien, als hätte ihre Unterhaltung seine Situation noch verschärft.
»Ich habe eine Idee.« Nick strahlte auf einmal übers ganze Gesicht. »Inzwischen sagt mir mein Magen, dass er doch Hunger hat. Wie wär’s? Ich lade dich zu einer Pizza ein?«
Diese Ablenkung kam Kenny gerade recht. Er willigte ohne zu zögern ein und zeigte auf das Telefon, das neben dem Sofa auf dem Boden stand. »Du musst nur die Drei drücken. Mein Lieblingsitaliener ist als Kurzwahl gespeichert. Während du bestellst, ziehe ich mir was an. Ich hätte gern Salami, Champignons und Oliven mit extra viel Käse.«
Wohl wissend, dass er Nick provozieren würde, stand er auf und zog das Handtuch von den Hüften, während er langsam in Richtung Matratze lief, die am anderen Ende des Appartments unter einem Haufen Klamotten begraben war. Normalerweise schlief er auf der Couch, aber die wollte er heute seinem Gast überlassen, dessen Blick er deutlich auf seinem nackten Hintern spürte.
»Aus ihm kitzle ich die Lust auch noch hervor«, dachte er und schob die Klamotten von der Liegestätte. Nebenbei hörte er Nicks Stimme, der sich wieder gefasst hatte und zwei Pizzen bestellte. »Wie lautet eigentlich die Adresse?«, rief er, als Kenny gerade eine Boxershorts gefunden hatte.
Nackt drehte er sich um und nannte Straße und Hausnummer. »Die wissen schon Bescheid. Sollen wie immer bei McKee klingeln.«
Amüsiert über Nick, der perplex die Adresse ins Telefon stammelte und sichtlich erleichtert war, dass er auflegen konnte, nutzte Kenny die Gelegenheit, um ihn noch weiter zu reizen. Betont langsam zog er sich die Boxershorts über. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Röte in Nicks Gesicht stieg. Lächelnd kramte er in dem Kleiderhaufen ein weiteres Mal herum. Als er gefunden hatte, was er suchte, schlenderte er wieder zurück.
»Hier, ein T-Shirt für dich.« Mit Schwung warf er es ihm zu. Nick fing es verunsichert auf. »Handtücher und alles andere findest du im Bad, für den Fall, dass du duschen willst.«
»Ähm … danke. Das ist eine gute Idee ... « Nick stand hastig auf und flüchtete ins Badezimmer.
Kenny grinste frech und machte es sich mit verschränkten Armen im Nacken auf der Couch gemütlich. Der Plan war aufgegangen. Sein Gefühl hatte ihn nicht betrogen. Nicks schüchterne Art wirkte wie ein Magnet auf ihn, dem er sich nicht entziehen wollte und konnte. Darüber hinaus war er sich inzwischen absolut sicher, er hatte sich heute Abend richtig entschieden. Sein Interesse wuchs und damit etwas, was er nicht kannte. Er war nicht einmal in der Lage, es einzuordnen oder zu beschreiben. Und jetzt, in dem er Nick ein wenig besser einschätzen konnte, wollte er es langsam angehen. Ein Wesenszug, der selbst für ihn neu war. Nick schien es allerdings wert zu sein, nicht überstürzt zu handeln. Er wollte ihn nicht vergraulen, sondern näher kennenlernen.
*
Schlaftrunken streckte sich Kenny unter der Decke aus und drehte sich mit einem leisen Brummen auf die Seite, als seine Wohnungstür aufgerissen wurde.
Schlagartig fiel ihm ein, dass Logan nichts von seinem nächtlichen Gast wusste. Bevor das Unvermeidliche geschah, kannte Kenny bereits die Folgen. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er hoch und blickte zur Couch hinüber.
Noch ehe er sich bemerkbar machen konnte, beugte sich Logan über den schlafenden Nick, der sich fest in die Decke eingekuschelt hatte und presste ihm einen Kuss auf die Wange. Anschließend kniff er ihm in den Oberarm. Das tat er jedes Mal, wenn er Lust verspürte, Kenny morgens schon auf den Kecks zu gehen. Logan spielte gern den besonderen Weckdienst.
»Guten Morgen, Langschläfer. Aufstehen! Ich habe dir sogar extra starken Kaffee mitgebracht.«
Fast im gleichen Moment schreckte Nick hoch. Panisch sprang er ans Ende der Couch, zog die Beine an, die Decke fest um sich geschlungen und starrte Logan mit großen Augen an. »Wer zur Hölle bist du?« Logan trat einen Schritt zurück und hob skeptisch die Augenbrauen.
»Was … wer … wer bist du?«, stotterte Nick.
Kenny beobachtete die beiden und musste sich ein Lachen verkneifen. Die Situation war zum Schreien komisch.
»Ich habe zuerst gefragt«, stellte Logan klar und ließ sich auf den Sessel fallen, der der Couch genau gegenüber stand. »Wieso schläfst du auf Kennys Couch? Wo ist er eigentlich?«
»Wenn du mich suchst, ich bin hier«, rief Kenny und streckte gähnend seine Glieder. »Belästige gefälligst nicht meine Gäste. Du bist ja schlimmer als ein Elefant im Porzellanladen.«
Betont langsam wandte Logan den Kopf in seine Richtung. »Na, so fett bin ich auch wieder nicht. Ich wundere mich nur gerade ... Du hast unter dem ganzen Zeug deine Schlafmatratze wiedergefunden?«
»Tja, du wolltest meinen Kleiderschrank reparieren, schon vergessen?«
»Ich vergesse nie etwas.« Logan stand auf und ging auf Kenny zu.
»Das war vor vier Monaten.« Grinsend lehnte sich Kenny mit dem Rücken gegen die Wand.
Logan ging vor ihm in die Hocke, legte beide Hände in seinen Nacken und zog ihn näher zu sich heran. Im nächsten Augenblick trafen sich ihre Lippen. Instinktiv öffnete Kenny den Mund und ihre Zungen spielten intensiv miteinander.
Plötzlich erinnerte er sich an seinen Gast. Ruckartig stieß er Logan von sich, der ihn irritiert anstierte. Mit einem scharfen Seitenblick zu Nick, schlug er schließlich die Decke zur Seite und erhob sich.
»Der da ist immer so. Wunder dich nicht.«
»Wer ist denn der da?« Logan stand unerwartet hinter ihm und schlang beide Arme um Kennys Hüften. Seine Hände wanderten unter das T-Shirt und streichelten sanft seinen Bauch.
Vor vierundzwanzig Stunden hätte Kenny keinerlei Einwände erhoben, doch mit Nick hatte sich von einem Moment zum anderen alles verändert. Logans Verhalten, das unter normalen Umständen vermutlich unter der Dusche den Höhepunkt gefunden hätte, rief in Nick falsche Bilder herauf. Das war genau das Gegenteil von dem, was Kenny sich erhoffte. Also schnappte er sich Logans Hände, bevor sie in seine Boxershorts wanderten und drehte sich zu seinem Freund um. Scham war für Logan nämlich ein Fremdwort.
»Wir müssen reden«, zischte Kenny zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Jetzt. Sofort. Im Badezimmer.«
»Habe ich etwas verpasst?« Logan starrte ihn an, als hätte er Suaheli gesprochen.
»Nein. Aber wir müssen trotzdem reden. Jetzt!«
Kenny zog Logan an der Hand hinter sich her und warf Nick einen entschuldigenden Blick zu. »Sorry. Ich muss mit ihm etwas ganz Dringendes besprechen. Geht um die Band. Kannst ruhig meinen Kaffee trinken.« Er deutete im Vorbeigehen mit dem Kinn auf den Pappbecher, den Logan mitgebracht hatte und der auf dem Couchtisch ruhte.
»Er ist mit Milch«, ergänzte Logan grinsend.
Bereits im nächsten Moment hatten sie das Bad erreicht und Kenny schloss eilig die Tür.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was war das eben für ein Auftritt?«, platzte Kenny heraus, der sich am Waschbecken abstützte und im Spiegel darüber seinen Freund im Blick hatte. Der lehnte mit verschränkten Armen an der Wand gegenüber und wirkte ehrlich überrascht.
»Was meinst du? Bisher hast du noch keinen Kuss abgebrochen und Fummeln hat dir auch immer gefallen. Was ist dein Problem?«
»Falls es dir nicht aufgefallen ist, aber ich habe Besuch.«
»Ja. Ist mir aufgefallen. Und? Das hat dich noch nie gestört.« Logan grinste.
Kenny seufzte. »Toll. Danke für deinen geistreichen Erguss.«
»Immer wieder gern. Aber wenn wir schon dabei sind, wer ist das Schnuckelchen überhaupt?«
»Ich sag’s dir, wenn du mir erklärst, warum du schon so früh hier bist.« Sieben Uhr morgens war keine Uhrzeit, an der Logan freiwillig das Bett verließ. Er drehte sich um, lehnte sich mit dem Hintern an das Waschbecken und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. »Alter vor Schönheit. Also raus mit der Sprache.«
»Um es kurz zu machen: April und ich gehen seit heute Nacht getrennte Wege.«
»Was? Wieso das?« Mit dieser Nachricht hatte Kenny nicht gerechnet.
»Eigentlich nichts Weltbewegendes, ich hatte ihre Launen einfach satt«, seufzte Logan. »Ich weiß ja, dass du sie nie wirklich mochtest. Jetzt hat sie den Bogen eindeutig überspannt und ich bin es leid, den Müll hinter ihr wegzuräumen. April hat vorhin ihre Sachen gepackt und ist ausgezogen. Seitdem bin ich mit dem Motorrad rumgefahren und zufällig bei dir gelandet.«
Kenny nickte. Er gab es nicht zu, aber er freute sich über die Trennung. April hatte nicht nur besondere Vorstellungen von Sex besessen, sondern auch mit Drogen gedealt. Logan konnte froh sein, dass er endlich den Schritt gewagt hatte. Andererseits konnte er sein momentanes Gefühlschaos nachvollziehen. Er befand sich ja gerade selbst mittendrin.
»Sieh es positiv«, sagte Kenny leise und nahm Logan dabei in eine feste Umarmung, die er ebenso intensiv erwiderte. »Ein Problem weniger, mit dem du dich herumärgern musst.«
»Du meinst wohl … eine blöde Kuh weniger«, ergänzte Logan und machte einen Schritt zurück. Frech grinste er Kenny an. »Und jetzt zu deinem Schnuckelchen. Ich will jedes dreckige Detail hören und wage es ja nicht, etwas auszulassen.«
Kenny lachte und erzählte in knappen Sätzen, was gestern Abend geschehen war, wobei er den Namen Cole Thompson außen vor ließ. Logan kannte ihn mindestens genauso gut wie er, und die Erinnerungen an die Schlägerei waren noch allgegenwärtig. Auch sein Interesse an Nick behielt er fürs erste für sich.
»Mein Kennylein … der Retter in der Not. Süß!«
»Wenn du es so nennen willst.« Kenny dachte an Cole und fragte sich, ob Nick es in Erwägung zog, ins Wohnheim zurückzukehren. Insgeheim wünschte er sich, dass er blieb. Obwohl sie sich erst kurz kannten, hinterließ Nick bei ihm das Gefühl, als würden sie sich schon ewig kennen.
»Noch etwas anders. Ich habe da so ein scheiß Problem mit Bennett ...« Beschämt senkte er den Blick. »Dieser Mistarsch hat mir ein Ultimatum gesetzt.«
»Hör mir auf mit dem notgeilen Hurenbock.« Logans Tonfall war schlagartig ernst geworden und er ballte die Hände zu Fäusten. »Was will er denn dieses Mal?«
»Eindeutig zu viel«, flüsterte Kenny und spürte einen Stich in der Magengegend.
Logan entspannte sich ein wenig, nahm Kennys Gesicht zwischen seine Hände und legte die Stirn an seine.
»Ich habe nie verstanden, warum du dich von ihm erpressen lässt. So jemanden wie dich hat er nicht verdient. Und mit der Kohle war er in letzter Zeit auch ziemlich geizig. Und jetzt raus mit der Sprache.«
Kenny holte tief Luft und sog dabei den Duft von Logans Aftershave ein. Er liebte diesen süßlich-rauchigen Geruch von Moschus und Sandelholz, denn mit ihm verband er eine innige Freundschaft. Logan kannte Kennys bisheriges Leben in fast allen Einzelheiten und er kannte seines ebenfalls. Für beide gab es keine Geheimnisse. Deshalb fiel es ihm nicht schwer, von dem Telefongespräch zu erzählen. Er fand es auch nicht für notwendig, seine Verzweiflung zu unterdrücken. Die Tränen, die in seinen Augen hochstiegen, ließ er zu.
»Hey, mein Kleiner«, flüsterte Logan und küsste ihn sanft auf die Wange. »Du gehst keinesfalls auf seine Erpressung ein. Verstanden? Wir finden einen anderen Weg.«
Kenny nickte und seufzte leise auf.
»Sehr gut. Und wegen dem Proberaum, darum kümmere ich mich. Heute Abend treffen wir uns erst einmal bei mir. Ich sage den Jungs Bescheid.«
Bevor Kenny etwas antworten konnte, trafen sich ihre Lippen zu einem erneuten Kuss. Doch dieses Mal war dieser nicht hungrig, sondern sanft und beruhigend. Kenny ließ ihn zu. Er brauchte die Nähe seines besten Freundes. Zum ersten Mal, seitdem er vor der schwierigen Entscheidung stand, die er Bennett verdankte, fühlte er sich verstanden und für den Moment geborgen.
Nick saß verwirrt auf der Couch und umklammerte den Pappbecher mit dem Kaffee. Das unerwartete Auftauchen des Keyboarders hatte seinen Puls in die Höhe schnellen lassen. Inzwischen war der erste Schock jedoch verflogen. Gegen seinen Willen belauschte er das Gespräch, das Kenny und Logan im Badezimmer führten. Mit jedem weiteren Wort, das er hörte, ging es ihm mieser. Kennys Offenbarung über den Collegedirektor versetzte ihn in eine Art Schockstarre. Nie wieder könnte er Louis Bennett ohne Vorbehalte begegnen. Unentwegt geisterten ihm die Bilder durch den Kopf, als er Kenny zusammen mit dem Direktor heimlich beobachtet hatte. Obwohl er unschuldig in diese Situation hineingeraten war, fühlte er sich elend. In seinem Magen bildete sich ein merkwürdiges Ziehen, wenngleich er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Gerade rechtzeitig, denn die Badezimmertür öffnete sich und die beiden kehrten zurück.
Kenny lächelte kurz und lief direkt auf den Kleiderhaufen am Boden zu, während der Keyboarder zu ihm kam und Nick neugierig musterte.
»Sorry, ich war eben ziemlich unhöflich und habe mich überhaupt nicht vorgestellt«, sagte er und reichte ihm die Hand. »Ich bin Logan.«
»Nick.« Zaghaft erwiderte er den Händedruck des Keyboarders und grinste verlegen.
»Hi Nick. Leider habe ich jetzt keine Zeit zum Quatschen, aber eventuell hast du ja Lust mit Kenny heute Abend bei mir vorbei zu kommen. Die anderen Bandmitglieder sind ebenfalls da.«
Nick war überrascht, dass Logan ihn einfach einlud, denn irgendwie hatte er das Gefühl, als müsse er gegen ihn konkurrieren. »Cool. Ich komme gern. Kenny hat es auch schon vorgeschlagen.«
»Na dann. Wir sehen uns später.« Logan klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter und drehte sich um. »Soll ich dich ein Stück mitnehmen?«, fragte er Kenny, der inzwischen Jeans und ein T-Shirt trug.
»Lass mal. Aber vielleicht will ja Nick mitgenommen werden?« Fragend ruhte sein Blick auf seinem Gast.
»Ähm … ich … ich«, stammelte Nick überrumpelt. »Wenn es dir … also, wenn du nichts dagegen hast … würde ich gerne noch bleiben Ich lasse heute die Vorlesungen sausen.«
»Kein Thema.« Kenny zwinkerte ihm zu.
Kurz hatte Nick den Eindruck, als wäre sein Gastgeber über seine Entscheidung erleichtert, was ihn wiederum in seinem Entschluss stärkte. Er verspürte im Moment nicht die geringste Lust, sich wie ein vorschriftsmäßiger Student zu verhalten. Die Zeit in Kennys Nähe schien ihm dafür viel zu kostbar zu sein.
»Demnach musst du allein fahren«, wandte sich Kenny grinsend an Logan.
»Schade. Dann bis heute Abend.« Der Keyboarder warf ihnen einen Luftkuss zu. »Seid brav und tut nichts, was ich nicht auch tun würde.«
»Verschwinde, du Idiot«, rief Kenny und pfefferte ihm seine Lederjacke hinterher.
Logan ging rechtzeitig in Deckung und verließ lachend die Wohnung.
Heimlich beobachtete Nick jede von Kennys Bewegungen. Er sah so verdammt gut aus. Das Tattoo, das momentan lediglich am Arm zu sehen war, ließ ihn noch attraktiver wirken. An Kenny stimmte einfach alles. Er war sportlich gebaut, jedoch kein Kraftprotz. Sein Hintern war knackig, und als er an den Rest dachte, trieb es ihm abermals die Röte ins Gesicht. Zudem kämpfte er gegen den Drang an, einfach aufzustehen und Kenny zu umarmen, sich an seine Brust zu schmiegen, den Kopf an seine Schulter zu betten, seinen Atem im Nacken zu spüren.
Die Ernüchterung erfolgte auf dem Fuß. Unweigerlich schoben sich die Bilder von Kenny und Logan vor sein inneres Auge. Sie waren sehr intim miteinander umgegangen, das weit über eine normale Freundschaft hinaus zu gehen schien. Vor allem, wenn er an ihre Küsse in der Seitengasse dachte. Auf die Frage, ob er einen Freund hätte, hatte er allerdings verneint. Hatte er gelogen? Aber war es wirklich so? Seufzend wandte Nick den Blick ab, stand auf und griff nach seinen Klamotten.
»Willst du als Erster ins Bad?«, holte Kenny ihn die Gegenwart zurück und tauchte neben ihm auf.
Bewusst mied Nick den Augenkontakt und faltete die Wolldecke ordentlich zusammen, mit der er sich in der Nacht zugedeckt hatte. »Du kannst ruhig gehen. Ich trinke erst noch deinen Kaffee aus.«
»Okay. Ich bin gleich fertig.« Kenny zögerte und Nick dachte schon, er würde es sich anders überlegen, doch da drehte sich sein Gastgeber um und verschwand im Bad.
Nick wartete, bis die Tür zugefallen war, dann setzte er sich wieder auf das Sofa. Abermals umklammerte er den Pappbecher. Seine Gedanken drifteten erneut zu den beiden Rockmusikern ab. Er war sich sicher, dass sie ihr erotisches Verhältnis intensivierten würden, jetzt da Logan Single war. Es war ihm nicht entgangen, wie gut sich die beiden verstanden und offenbar auch vertrauten. Diese Tatsachen nagten an ihm, mehr als er zugeben wollte. Er hatte Kenny längst in sein Herz geschlossen. Sobald er in seiner Nähe war, kribbelte sein ganzer Körper. Sein Herz schlug Purzelbäume und er hatte das Gefühl, als würde die Luft zwischen ihnen knistern. Höchstwahrscheinlich sah das jedoch nur er so, weil er sich wünschte, Kenny könnte ebenfalls an ihm interessiert sein.
Diese niederschmetternde Erkenntnis wirbelte einen weiteren Aspekt auf, den er bisher weit von sich geschoben hatte. Cole Thompson.
Wie sollte er sich künftig ihm gegenüber verhalten? Immerhin teilten sie sich ein Zimmer. Dass Cole sich zudem als homophob geoutet hatte, machte die Situation kaum besser. Vorerst konnte Nick sich nicht vorstellen, ihm ohne Vorbehalte gegenüberzutreten. Die Enttäuschung und die Wut saßen viel zu tief. Am liebsten würde er überhaupt nie mehr zurückgehen. Deshalb hatte er zum ersten Mal die Lesungen ausfallen lassen. Den verpassten Stoff konnte er ohnehin ohne Probleme nachlesen.
»Du kannst, bin fertig«, sagte Kenny, als er aus dem Badezimmer trat.
Nick schnappte sich seine Jeans und den Kapuzenpullover und verschwand im Bad.
Zehn Minuten später stand er fix und fertig vor Kenny und glaubte, sein Herz würde Saltos schlagen. Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen, blickte er in diese glänzenden hellgrünen Augen und stand kurz davor sich darin zu verlieren. Faszinierend und fesselnd beschrieb nicht annähernd, wie sehr Kenny ihn vereinnahmte. Hinter dem Grün loderte ein ungezügeltes Feuer, woraufhin Nicks Knie weich wurden. Seine Kehle war plötzlich ganz trocken und ein aufregendes Prickeln wanderte über seine Haut. Er fühlte etwas, dass er bisher nicht kannte. Es war, als würden tausend Schmetterlinge in seinem Bauch herumwuseln. Sich zu konzentrieren fiel ihm unglaublich schwer. Für ihn existierte momentan allein Kenny. Langsam glitt sein Blick über seinen Körper und er schluckte den wachsenden Kloß im Hals herunter.
Kenny strahlte eine verführerische Aura aus, der sich Nick nicht entziehen konnte. Die Jeans, das leicht anliegende T-Shirt und die dunkle Lederjacke betonten seinen perfekten Körperbau. Die verwuschelten Haare rundeten das taffe Image eines waschechten Rebellen ab. Für den Bruchteil einer Sekunde war Nick versucht sich ihm zu nähern und seine Lippen sanft mit den eigenen zu liebkosen. Seine Arme um ihn zu legen und sich an ihn zu kuscheln.
Keine Ahnung, wie lange er einfach nur dagestanden hatte, aber ihm kam es wie eine wunderschöne Ewigkeit vor. Eine Unendlichkeit, die gerne andauern durfte. Doch der Zauber verflog, als das schrille Klingeln eines Handys die Stille zwischen ihnen durchbrach.
»Verfluchte Scheiße!« Hastig kramte Kenny in der Jackentasche herum. Er zog sein Smartphone hervor, sah auf das Display und drückte den Anruf weg. »Das war ja klar. Pech gehabt, Mr. Evans. Heute habe ich keine Lust zu arbeiten.«
»Bekommst du keinen Ärger?«
»Ganz ehrlich? Ist mir egal.« Kenny grinste verschlagen und suchte etwas auf dem Tischchen vor der Couch. Zufrieden hielt er die Wohnungsschlüssel in die Höhe. »Und du? Hast du schon öfter Vorlesungen geschwänzt?«
»Ähm … eigentlich … nun ja«, stammelte Nick. Er hatte keine Ahnung, wie er darauf antworten sollte.
»Hey, dafür musst du dich nicht schämen. Ich wundere mich bis heute, dass ich wegen meiner ständigen Fehlzeiten auf der Highschool nicht ein Jahr angehängt bekam. Lag wahrscheinlich an meinen guten Noten.«
»Ich hab noch nie geschwänzt«, gab Nick kleinlaut zu.
»Wie? Echt jetzt? Niemals nie?« Kenny sah ihn verblüfft an.
Nick schmunzelte. »Wirklich. Das ist das erste Mal.«
»Also immer ein braver Schüler? Das schreit gerade danach, heute ganz viel Spaß zu haben.« Kenny schnappte Nick am Ärmel und zog ihn in Richtung Wohnungstür. »Auf geht’s.«
»Moment ... warte mal. Was hast du vor?«
»Was haben wir vor«, verbesserte Kenny und grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich dachte da an einen Ausflug.«
»Wie wäre es … Ich lade uns zuerst zu einem Frühstück ein.«
»Abgemacht. Man sollte den Tag nicht hungrig beginnen.«
Sie verließen die Wohnung und saßen keine fünf Minuten später in Kennys Lieblingscafé um die Ecke. Es war das gleiche Diner, in dem sie vergangene Nacht gewesen waren. Nick fand bald heraus, warum Kenny es mochte. Der Grund hieß Josh Miller. Er war der Bassist von Destiny Chains und jobbte hier als Aushilfskoch und Bedienung.
»Dein neuer Freund?«, fragte der Schwarzhaarige seinen Bandkollegen, nachdem Kenny sie miteinander bekannt gemacht hatte.
Nick spürte seine Wangen glühen.
»Er ist ein Freund«, antwortete Kenny gut gelaunt. »Nick hatte ein paar Schwierigkeiten und ich habe ihm aus der Patsche geholfen. Und du: Sei gefälligst nicht so neugierig.« Er boxte Josh in die Seite.
Der Bassist grinste schief und auch Nick rang sich ein Lächeln ab. Er hätte zwar viel lieber eine andere Antwort gehört, doch das schien reines Wunschdenken zu sein. Skeptisch musterte er den großen, schlanken Musiker.
Josh trug eine ausgefranste braune Jeans und trotz der Jahreszeit ein ärmelloses olivgrünes T-Shirt. Beide Oberarme waren bunt tätowiert, selbst der Hals und die Finger waren mit kleinen Tattoos geschmückt. Eine Kette mit einem Raubtierzahn baumelte auf seiner Brust. Der Dreitagebart und das ansteckende fröhliche Lächeln ließen ihn allerdings sofort sympathisch erscheinen.
»Wie geht’s denn Lilly?«, erkundigte sich Kenny.
»Die Frage meinst du nicht ernst, oder?«, gab Josh zurück. »Sie hat die halbe Nacht geschrien, wollte nichts trinken und zum Schluss ist sie auf meinem Arm eingeschlafen. Es war also wie immer wundervoll.«
Nick sah ihn mit großen Augen an.
»Josh und seine Freundin Megan sind seit sechs Monaten glückliche Eltern«, erklärte Kenny. »Megan hast du auch schon gesehen. Sie stand mit auf der Bühne. Sie ist Logans jüngere Schwester.«
»Glückwunsch«, sagte Nick. Er erinnerte sich sehr gut an die Frau in dem heißen Outfit, die mit der E-Gitarre ordentlich für Stimmung gesorgt hatte.
»Bin heute wieder zu spät gekommen. Das war jetzt das dritte Mal innerhalb von vier Tagen. Am liebsten würde mich Freddy feuern. Aber wenn er das tut, bekommt er mächtig Ärger mit meiner Süßen.«
»Warum?« Verwundert blickte Nick zwischen den beiden hin und her.
Abermals war es Kenny, der antwortete. »Der Laden gehört Logans Stiefvater. Er würde quasi seinen künftigen Schwiegersohn vor die Tür setzen. Da hätte Megan sicherlich etwas dagegen. Logan erst recht, der steht mit ihm eh schon auf Kriegsfuß.«
Kenny und Josh prusteten gleichzeitig los. Da Nick sich nach dem morgendlichen Auftritt gut vorstellen konnte, wie Logan den Racheengel mimte, fiel er mit ein.
»So, genug von mir ... was kann ich euch bringen?« Josh zog einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Hosentasche.
»Mir das Übliche«, sagte Kenny und blickte zu Nick. »Auf was hast du Lust?«
»Was ist denn dein Übliches?«
»Rühreier mit Speck und Pancakes mit Ahornsirup. Dazu einen starken Kaffee«
»Klingt gut. Ich nehme das Gleiche.«
»Kommt sofort«, quittierte Josh und eilte hinter die Theke. Sekunden später kam er mit einer Kanne frisch aufgebrühten Kaffee zurück, schenkte ihnen in die bereits auf dem Tisch stehenden Tassen ein und verschwand danach in der Küche.
»Mal sehen, vielleicht bringen sie Lilly heute Abend mit. Josh ist ganz stolz auf seine Kleine. Aber pssst ... das weißt du nicht von mir. Er gibt sich gern stark und unnahbar. In Wahrheit hat er jedoch ein Herz aus Samt. Wenn er könnte, würde er den ganzen Tag mit Lilly spazieren gehen oder noch besser mit ihr auf der Couch kuscheln.«
Nick grinste und versuchte, sich Josh dabei vorzustellen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen.
»Jetzt zu dir.« Kenny legte den Kopf schief und klimperte mit den Wimpern.
»Was? Wie? Was meinst du?« Verwirrt starrte Nick ihn an.
»Liegt das nicht auf der Hand? Du schwänzt die Vorlesungen. Schön und gut. Doch du kannst Cole nicht ewig aus dem Weg gehen.«
Nick seufzte laut. Warum musste Kenny dieses Thema ausgerechnet jetzt ansprechen?
»Sag schon. Was hast du vor?«
»Gute Frage ...« Nick zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Wenn ich nur an gestern denke ... es ... es tut so verdammt weh ... und ich ...«
Unvermutet ergriff Kenny seine Hand und drückte sie. Augenblicklich kehrte das Prickeln auf der Haut zurück und Nick entfielen die restlichen Worte. Er sah erst auf Kennys Finger und dann in seine Augen. Erneut schien es, als würde in ihnen ein unberechenbares Feuer lodern.
»Ich kann mir gut vorstellen, wie es ist, wenn sich der Zimmergenosse plötzlich als Schwulenhasser outet. Dann auch noch mit anhören zu müssen, wie besagter Freund einen als lästige Fliege bezeichnet, ist alles andere als einfach. Ich gebe dir einen guten Rat. Vergiss ihn! Er ist es nicht wert, dass du über ihn nachdenkst. Eure Freundschaft basiert eh nur auf Gefälligkeiten. Hab ich recht? Frag dich mal ... was hast du für ihn getan, und was hat er jemals für dich getan?«
Nick biss sich auf die Unterlippe und senkte verlegen den Blick. Kennys Worte entsprachen der Wahrheit. Sie schmerzten und brachten ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er konnte sich momentan bei seinem neuen Freund verstecken: Aber für wie lange?
»Du musst darauf nicht antworten. Ich kenne solche Typen. Sie sind alle gleich.«
Nick schaute verdutzt auf.
»Ich hab dir doch erzählt, dass ich Cole von früher kenne. In der Highschool hat er bei mir die gleiche Nummer abgezogen..«
»Er hat dich ...?« Nicks Herz raste vor Aufregung. Überraschender hätte dieses Geständnis nicht sein können.
»Da ich das Gefühl habe, dass ich dir vertrauen kann, erzähl ich dir jetzt etwas. Nachdem ich in die Pflegefamilie kam und die Schule gewechselt hatte, war ich ziemlich allein. Zuerst versuchte ich mich hinter meinen Schulbüchern zu verstecken, merkte aber rasch, dass es nichts für mich war. Ich vermisste die Musik. Der Unterricht war langweilig, und als ich mehr als nur einmal eine Schlägerei anfing, baten die Lehrer meine Pflegeeltern zu einem Gespräch. Sie meinten, dass ich einen hohen IQ hätte und ich angeblich schneller lernen würde als meine Mitschüler. Deswegen hatten sie vorgeschlagen, dass ich auf eine andere Schule gehen sollte, wo ich mehr gefördert würde. Meine Pflegeeltern lehnten den Vorschlag strikt als Unsinn ab, vor allem, weil es Geld gekostet hätte. Zu meinem Pech hat Cole davon Wind bekommen und nebenbei auch herausgefunden, dass ich schwul bin. Das war ein gefundenes Fressen für ihn. Er drohte, er würde es meinen Pflegeeltern stecken und an der ganzen Schule herumerzählen, wenn ich nicht für ihn die Schulaufgaben erledigen würde. Damals war ich nicht so selbstsicher wie heute, also ließ ich mich darauf ein. Ich war so blöd. Dafür hasse ich mich heute noch. Ein Jahr später habe ich es ihm dann heimgezahlt. Zuerst erzählte ich den Lehrern, wer tatsächlich seine Aufgaben machte, und zum Schluss hab ich mich vor der gesamten Schule geoutet.«
»Echt? Das hast du wirklich getan?« Nick war fasziniert von Kennys Offenheit.
Kenny grinste von einem Ohr zum anderen. »Wie sich herausstellte, war ich nicht der einzige Kerl an der Schule, der auf Jungs stand und sogar ein paar Mädchen schlossen sich uns an. Cole war natürlich stinksauer, da er Extraarbeiten abliefern musste. Mein Outing hat ihm jedoch am meisten zu schaffen gemacht. In einer Mittagspause trieb ich ihn schließlich mit einem anderen Jungen zur Weißglut. Den restlichen Tag verbrachten wir zwar in der Notaufnahme, es hat sich aber trotzdem gelohnt. Ich hatte einen gebrochenen Arm, geprellte Rippen und ein blaues Auge, Cole kassierte dafür einen Schulverweis.«
Nick war hin- und hergerissen. Er stellte sich die Situation vor und wusste, so viel Mut würde er nie und nimmer aufbringen. »Du bist ja wahnsinnig.«
»Cole kam aber nicht nur mit dem Schulverweis davon. Als es mir besser ging, spendierte ich ihm einen weiteren Aufenthalt in der Notaufnahme. Das war ihm eine Lehre, denn seitdem ist er nie mehr handgreiflich geworden. Bis zu diesen Samstag. Da war er bloß so stark, weil er seine Kumpels im Schlepptau hatte.« Kenny lachte bitter.
Nick versuchte, sich ein Lächeln abzuringen. Er fand es nur halb so witzig, schließlich hätte es für Kenny auch diesmal im Krankenhaus enden können. Zum Glück brachte Josh das Frühstück und Nick war froh über diese Unterbrechung.
»Mit besten Grüßen aus der Küche.« Josh stellte die Teller auf dem Tisch ab. »Logan hat mich angerufen. Wir treffen uns alle heute Abend bei ihm.«
»Ich weiß«, sagte Kenny bereits mit vollem Mund. Er stopfte sich sogleich das nächste Stück Pancake zwischen die Zähne.
»Okay. Lasst es euch schmecken. Ich muss wieder an den Herd. Mein Schwiegerdrache lässt sonst noch den Speck anbrennen. Wir sehen uns.« Mit einem Handschlag verabschiedete sich Josh von ihnen.
Während beide ihr Frühstück genossen, erzählte Kenny ein wenig von seinem Job im Fitnessclub und von seinem Chef Mr. Evans, der höchstwahrscheinlich momentan auf die Barrikaden ging, weil sein Helfer nicht zur Arbeit erschienen war.
Anschließend war Nick an der Reihe. Insgeheim schämte er sich. Er konnte nichts berichten, was annähernd so interessant und rebellisch war. Seine bisherigen Abenteuer beschränkten sich auf ausgiebige Wanderungen in den Rocky Mountains mit seinen Mitschülern aus dem Internat. Sowie die Ski-Urlaube mit seinen Eltern in Aspen. Nicht einmal die Europareise vor zwei Jahren konnte mit Kennys Erzählungen mithalten. Bis sie schließlich auf das Thema Lampenfieber zu sprechen kamen. Nick gestand kleinlaut, dass er sich fast die Fingernägel abkaute, bevor er vor ein großes Publikum trat. Kenny dagegen liebte dieses Gefühl und der zusätzliche Adrenalinschub verlieh ihm darüber hinaus sogar eine gehörige Portion Energie.
Zwei Stunden später saßen sie immer noch in Freddy’s Diner und tranken bereits die dritte Tasse Kaffee. Nick fühlte sich wohl und wünschte, sie könnten ewig hier sitzen und sich einfach nur unterhalten. Kennys Gesellschaft tat ihm unbeschreiblich gut, dass er zeitweise sogar vergaß, dass er das College schwänzte. Letztendlich war es Kenny, der meinte, es wäre Zeit für einen ausgedehnten Ausflug auf seiner Maschine.
»Du hast ein eigenes Motorrad?«, fragte Nick beeindruckt.
»Logan hat sich erst diesen Sommer eine neue Triumph gekauft. Seine alte Honda hat er mir zu einem Freundschaftspreis überlassen«, erklärte Kenny breit grinsend und stolz. »Ich weiß, es herrschen nicht unbedingt die besten Temperaturen für einen Ausflug, aber immerhin scheint die Sonne. Also? Wie wär’s?«
Nick glaubte, sich verhört zu haben. Bisher war er noch nie auf einem Motorrad gefahren. Es hätte sogar schneien können, um nichts auf der Welt hätte er sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen.
»Du strahlst wie ein Atomkraftwerk. Das deute ich als ein Ja.«
»Auf jeden Fall!« Nick konnte sich vor Freude kaum zügeln. Aus einem Impuls heraus sprang er auf und zog Kenny von seinem Stuhl. Er griff in die Hosentasche und fischte eine Zwanzigdollarnote heraus, die er auf den Tisch legte, bevor er mit Kenny im Schlepptau das Diner verließ.
*
Fest an Kennys Rücken gepresst, saß Nick auf der schwarzen Honda und konnte sein Glück kaum fassen. Die Arme um Kennys Taille geschlungen, genoss er die rasante Fahrt über den Highway 13, der von der Stadt hinaus ins Umland von Ithaca führte. Um sich vor dem kalten Fahrtwind zu schützen, hatte Kenny ihm eine Jacke, seinen alten Helm sowie ein Halstuch und sein zweites paar Lederhandschuhe geliehen.
Es war ein erregendes und zugleich unbeschreibliches Gefühl, das Nick durchfuhr. Die Landschaft rauschte an ihnen vorbei und es kam ihm so vor, als wäre er zum ersten Mal in seinem Leben absolut frei. Nichts konnte ihn aufhalten. Sobald Kenny beschleunigte, pumpte Nicks Herz pures Adrenalin durch seinen Körper. Ein wohliger Schauder lief ihm über den Rücken. Nichts, wirklich rein gar nichts, war mit diesem berauschenden Gefühl vergleichbar.
Irgendwann verließ Kenny den Highway und bog zum Stewart Park ab, der direkt am Cayuga Lake lag. Anstatt auf einem der Parkplätze zu parken, lenkte er das Motorrad in Richtung des Sees. Erst als sie das Ufer in der Nähe eines Boots-Clubs erreichten, schaltete Kenny den Motor aus und zog den Helm ab.
Nick tat es ihm gleich und sog die frische Luft in seine Lungen. Beide stiegen ab und Nick legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen ließ er sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Er breitete die Arme aus, drehte sich langsam im Kreis und konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Das war es. Das war seine Vorstellung von Freiheit.
»Du bist verrückt!« Lachend schüttelte Kenny den Kopf.
»Vielleicht … vielleicht aber auch nicht ...« Nick drehte sich noch einige Male um die eigene Achse, bis ihm schwindlig wurde und er stolperte. Kenny fing ihn gerade rechtzeitig auf.
Eng umschlungen hielten sie sich in den Armen und sahen sich tief in die Augen. Nicks Herz pochte laut vor purer Lebensfreude und Faszination für Kenny. Er legte ihm die Hände in den Nacken und plötzlich waren sie sich ganz nahe. So nahe, dass er glaubte, Kennys beschleunigten Herzschlag zu hören. Sein Atem streichelte Nicks Wange und er schloss instinktiv die Augen. Ihre Lippen berührten sich. Zuerst sanft und zurückhaltend. Kennys Zungenspitze fuhr über seinen Mund und begehrte Einlass. Bereitwillig gab sich Nick den zärtlichen und verspielten Liebkosungen hin. Kenny schmeckte so süß. Je länger ihre Zungen sich neckten, desto forscher wurde er.
Hungrig genoss Nick diesen unendlich währenden Kuss. Als sie sich voneinander lösten, kam es ihm vor, als würde er schweben. In seinem Bauch tanzten die Schmetterlinge einen wilden Tango und sein gesamter Körper war wie elektrisiert. Nichts um ihn herum existierte mehr. Er hatte nur noch Augen und Ohren für Kenny.
Einige Zeit standen sie lediglich da und blickten sich an, bis Kenny den Kopf schief legte und ihn sehnsüchtig anlächelte. Er griff nach Nicks Händen und streichelte mit den Daumen über seinen Handrücken.
»Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du verdammt gut küssen kannst?«, flüsterte er und berührte Nicks Nasenspitze mit seiner.
»Nein, du bist der Erste«, raunte Nick.
Einen Atemzug später trafen sich ihre Lippen ein weiteres Mal. Spielerisch liebkosten sich ihre Zungen. Nick wurde von einer ihm unbekannten Erregung erfasst. Sie rauschte durch seinen Körper, drängte seine Schüchternheit in den Hintergrund und er begann, die Initiative zu ergreifen. Lustvoll gab er sich ganz seinen wachsenden Gefühlen hin. Er saugte begierig an Kennys Lippen und forderte seine Zunge zu einem heißen Liebesspiel heraus. Nur zu gerne ließ sich Kenny auf das Spiel ein, doch nach einer Weile schob er Nick sanft von sich und blickte ihn atemlos an.
Nick wusste nicht, wie lange sie hier gestanden und sich in ihrer Leidenschaft verloren hatten. Allerdings stand für ihn eines fest. Kennys Küsse bargen so viel Zärtlichkeit und Sehnsucht, dass er ihn auf der Stelle gleich wieder geküsst hätte.
Lachend hielt Kenny ihn auf Abstand. »Du bist ein Nimmersatt. Lass mich erst mal Luft holen.«
Nick grinste verlegen, hauchte ihm ein Küsschen auf die Lippen und trat schweren Herzens einen Schritt zurück.
»Jetzt guck nicht so traurig. Ich lauf dir ja nicht davon. Wie wäre es denn mit einem kleinen Spaziergang?« Kenny küsste Nick sanft auf die Nasenspitze, als er zustimmend nickte.
Hand in Hand schlenderten sie zum Seeufer. Beide schwiegen. Nick genoss die Nähe und Wärme, die Kenny ausstrahlte, und konnte sein Glück kaum fassen. Schließlich erreichten sie einen Felsen, der nahe am Ufer aus dem Wasser emporragte. Dort nahmen sie nebeneinander Platz, rückten zusammen und ließen die Beine baumeln. Nick bettete seinen Kopf auf Kennys linker Schulter, während er ihm den rechten Arm und die Taille legte.
»Am liebsten hätte ich dich gestern schon geküsst«, brach Kenny als Erster das Schweigen.
»Und warum hast du es nicht getan? Ich hätte es nämlich auch gewollt. Gib’s zu, du wolltest mich testen.« Nick zog einen Schmollmund und brachte Kenny damit zum Lachen.
»Blitzmerker.«
Nick boxte ihm spielerisch auf den Oberarm, woraufhin Kenny kichernd sein Gesicht in Nicks Haaren vergrub. Ein Grinsen schlich sich auf Nicks Lippen. Er genoss die Nähe des Mannes, der ihm gehörig den Kopf verdreht hatte.
Überraschend löste sich Kenny von ihm und blickte ihn ernst an. »Nachdem wir das nun geklärt haben, könntest du jetzt ruhig mit der Sprache rausrücken. Und keine Ausflüchte mehr.«
»Was meinst du?« Überrascht setzte sich Nick auf.
»Das weißt du ganz genau. Ich bleibe auch die ganze Nacht hier sitzen, wenn es sein muss.«
Nick schluckte merklich. Seine Unsicherheit kehrte rasend schnell zurück.
»Jetzt frag mich schon«, forderte Kenny ihn auf und grinste frech.
Nick seufzte und nahm all seinen Mut zusammen. »Okay … okay. Könnte ich … also wäre deine Couch eventuell für ein paar weitere Nächte frei?«
»Ja. Verdammt noch mal.«
Nick fiel ein Stein vom Herzen. Nicht nur, weil er Cole an den kommenden Tagen nicht über den Weg laufen musste, sondern weil Kenny ihm das Gefühl gab, endlich er selbst sein zu dürfen. Bei ihm musste er sich nicht wie der sittsame Sohn aus gutem Haus geben. Bei ihm konnte er sagen, was er wirklich dachte und fühlte. Das war ein Stück Freiheit, das er sich immer gewünscht hatte, aber bisher zu feige war, es sich auch zu nehmen. Vor purer Freude beugte er sich zu Kenny, und ehe er sich versah, waren sie in einem weiteren stürmischen Kuss gefangen.
Die Veröffentlichung des Romanes als eBook, Taschenbuch und kindle-unlimited ist am 27. Oktober 2017
weitere Infos dazu findet ihr auf
Texte: Madison Clark
Bildmaterialien: www.123rf.com
Cover: Madison Clark
Lektorat: Connexx Verlag
Satz: Madison Clark
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2014
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