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Es war eine kühle Nacht im April. Wir kamen gerade aus dem Urlaub, wo meine Mutter schon Zeiten zuvor einen neuen Mann kennen lernte. Ich mochte ihn nicht gut leiden, aber er war trotzdem irgendwie freundlich. Nach diesem letzten Urlaub entschloss meine Mutter mit ihm zusammen zu ziehen. Weit weg von meiner Schwester und mir. Widerwillig, aber dennoch entschlossen das alles gut wird, fing ich also an schon mal ein paar Sachen von mir in eine große Reisetasche zu packen. Schließlich rief meine Mutter mich aus der Küche zu sich. Die Tränen kullerten über meine Wangen, als ich daran dachte, dass sie mich vielleicht nie wieder so rufen würde. Trotzdem wischte ich die Tränen aus den Augen und ging zu ihr in die Küche, setze mich auf den roten Barhocker, nahm mir eine Zigarette und zündete sie an. Nach einem tiefen Zug, sah ich ihr dann in die Augen und wartete, bis sie anfing mit mir zu reden.
„Du bist dir ganz sicher, dass du zu deinem Freund ziehen willst und nicht mitkommen möchtest?“, fragte sie mich mit zittriger Stimme „Ich meine, du hättest dort auch ein eigenes Zimmer, dürftest am Wochenende weg gehen und die Ausbildungsmöglichkeiten sind sowieso viel besser“ fuhr sie fort. Schon wieder konnte ich ihr nicht in die Augen sehen. Es war hart ihr zu sagen, dass ich hier bleiben wollte. „Ich werde das schon schaffen, mach dir da mal keine Sorgen“ versuchte ich so cool wie möglich zu sagen. Auch sie nahm sich nun eine Zigarette und setzte sich vor mir auf den anderen Barhocker. Sie sah mich an und ich wusste genau, dass ich etwas sagen musste. Etwas, was sie hören wollte. Also sagte ich ihr, dass sie keinen Grund hätte sich sorgen zu machen. Ich war schließlich schon alt genug und außerdem hatte ich ja immer noch meinen Freund, der mir auch in den letzten drei Jahren immer zur Seite stand. Sie schien sich damit zufrieden zu geben und mit einem „geh nun ins Bett, wir müssen Morgen sehr früh aufstehen“ stand sie auf und ging ins Wohnzimmer. Ich tat also was sie von mir verlange, ging in mein Zimmer und legte mich schlafen.
Das packen der Sachen ging recht fix, da ich nicht viel besaß. Viele Leute kamen vorbei um zu helfen, darunter auch mein Freund. Er redete davon, was wir alles schönes machen würden wenn ich erst einmal bei ihm wohne und wie wir von nun an jeden Abend zusammen einschlafen könnten. Mir gefiel diese Vorstellung, was mir das unterdrücken der Trauer an diesem Tag erheblich erleichterte.
Nachdem alles gepackt, die Möbel im Transporter und die Wohnung noch einmal gefegt wurde, kehrte allmählich Stille ein. Die Räume waren alle dunkel, nur noch in der Küche brannte Licht. Langsam ging ich von Raum zu Raum und sah, wie erschreckend leer und einsam doch alles war. Nichts ist mehr übrig geblieben von dem, was ich mal mein Zuhause nannte. Ich stand in meinem Zimmer, sah die rot gestrichene Wand und bemerkte, mit wie viel Liebe diese Wohnung mal eingerichtet war. Ich wünschte, dass ich nur noch eine Nacht hätte in meinem Bett liegen können, nur noch einen Abend mehr mit meiner Mutter im Wohnzimmer sitzen können. Aber nun war alles vorbei. Ich drehte mich um, ging ins Wohnzimmer, welches ebenfalls dunkel war und setzte mich auf den kalten Steinboden, der vorher mit hübschen Läufern belegt war. Vor mir sah ich die lila Wand, vor der gestern noch das Sofa stand, auf welches meine Mutter immer gesessen hat Abends, ich neben ihr und zusammen haben wir einfach nur Fernseher geschaut. Es mag komisch klingen, aber es war etwas besonderes. Das wurde mir erst klar in dem Moment, als es zu spät war.
Mein Freund setzte sich zu mir auf den Boden, nahm mich in den Arm und sagte nichts. Auch ich starrte weiterhin nur auf die lila Wand. Plötzlich ging meine Mutter langsam, ohne einen Blick zu mir, an mir vorbei auf den Balkon. Ich beobachtete sie eine Weile, doch sie stand nur da und tat nichts. Ich stand auf, ging zu ihr auf den Balkon und beobachtete sie weiter, doch sie tat immer noch nichts. Sie blickte nur auf den Hof, mit einem Blick, so leer und abwesend, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. „Es ist soweit“, sagte sie plötzlich, dann drehte sie sich zu mir. „Ist es falsch, was ich mache?“ Ich wusste nicht was ich antworten sollte, ich wollte ihr nicht im Weg stehen, ich wollte nur das sie glücklich wird mit ihrem neuen Freund. „Nein,“ sagte ich „du hörst nur auf dein Herz. Und was dein Herz dir sagt, kann nicht falsch sein.“ Sie nahm mich in den Arm und brach in Tränen aus. Sie hielt mich einfach fest, eine ganze Weile standen wir nur da, dann ging sie wieder in die Wohnung.
Der Rest ging ziemlich schnell. Wir gingen alle vor die Türe um uns zu verabschieden, sie stieg zu ihm ins Auto und sie fuhren los. Für mich war der Moment gekommen, wo ich lernen musste selbstständig zu sein. Zur Not hatte ich ja noch immer meinen Freund, dachte ich.

Die ersten tage gingen gut vorbei. Ich habe meine Sachen in seinen Schränken verteilt und mich relativ gut bei ihm eingelebt. Wir lachten viel miteinander, unternahmen ein paar Kleinigkeiten wie Kinobesuche oder gingen uns Essen von der Pommesbude holen. Ich ging jeden Morgen aus dem Haus zur Schule und bekam so monatlich Geld, mit welchem ich dann zwischendurch einkaufen ging oder ihm eine kleine Überraschung mit brauchte.
Wir verstanden uns gut, doch irgendwann kamen wir auf das Thema Drogen zu sprechen. Er nahm Drogen, was mir natürlich nicht gefiel. Doch ausreden ließ er es sich auch nicht, er sagte immer es sei nichts dabei und ich könnte es nicht beurteilen, wenn ich selber noch nie etwas genommen hätte. Trotzdem beharrte ich darauf, dass er es sein lässt. Von da an fingen wir uns immer mehr an zu streiten. Bald ging es so weit, dass wir uns wegen jeder Kleinigkeit stritten und irgendwann fing die ganze Sache an zu eskalieren.

Eines Abends lagen wir zusammen in seinem Bett und schauten uns einen Film an. Er fing an mich zu streicheln, zärtlich meinen Rücken entlang. Seine Finger glitten vorsichtig in Richtung Bauch und schließlich runter Richtung Intimbereich. Ich stieß seinen Arm weg, drehte mich um und wollte nur noch schlafen. Ich hatte keine Lust darauf, da wir uns die ganzen Tage nur noch stritten. Wieder versuchte er mit seiner Hand in meine Hose zu kommen. „Hör auf!“ zischte ich und hielt seine Hand fest. „Mein Gott, stell dich an!“, sagte er genervt, drehte sich um und schlief ein. Das ganze ging ein paar Tage so.

***

Nichtsahnend kam ich von der Schule. Das er schlechte Laune hatte wusste ich schon vom Vortag, deswegen beschloss ich ihm ein paar Blumen mit zu bringen als kleine Versöhnung. Also ging ich in den Blumenladen und holte die schönsten Rosen die sie dort hatten. Ich freute mich darauf, wieder zu kommen und gab ihm voller Freude die Blumen. „Danke“, sagte er und legte die Rosen auf den Tisch. Dann stand er auf und küsste mich. Wieder strichen seine Hände langsam über meinen Rücken, vorsichtig hinunter bis hin zu meinem Po. „Ich möchte das nicht“, sagte ich und wollte gerade seine Hand nehmen. Im selben Moment packte er meine Haare und drückte mich mit voller kraft gegen den Kleiderschrank. „Mir ist egal was du willst, es geht nicht immer nur nach dir, jetzt wird getan was ich möchte!“ Er schrie mich an und drückte mich immer noch gegen den Schrank, dann packte er mich und warf mich aufs Bett. Ich wollte ihn anschreien, dass er es lassen soll, doch bevor ich einen Ton raus bekam, sprang er auf mich, drückte mir den Mund mit seiner Hand zu und sagte „wenn du jetzt schreist, schlag ich dich mit dem Kopf gegen die Wand“ Ich hatte das erste mal Angst vor ihm. Er öffnete meine Hose und zog sie runter. „Bitte mach das nicht!“, flehte ich und brauch in Tränen aus. „Halt die Schnauze!“ schrie er mich wieder an und schlug neben meinem Kopf auf das Bett. Nun sagte ich nichts mehr, und hoffte, dass es bald vorbei war.
Am nächsten Morgen ging ich früher aus dem Haus, ich wollte einfach nur weg von ihm. Nach der Schule ließ ich mir auch noch Zeit, da ich wusste das er zu einem Bekannten wollte. Also wartete ich draußen bis er weg war. Er blieb den ganzen Tag weg, also war ich froh, dass ich die Zeit für mich nutzen konnte und ein wenig die Erlebnisse vom Vortag verarbeiten konnte.
Ich ging früher ins Bett als sonst und schlief schnell ein. Kurze Zeit später wurde ich wieder wach. Wieder lag er neben mir und streichelte meinen Körper. „Bitte...“ sagte ich nur in der Hoffnung, er würde aufhören. Daraufhin sagte er nur leise „pssst“ und ging langsam in meine Hose. Wieder sagte ich ganz ruhig „bitte“ und merkte dabei, wie mein Körper anfing zu zittern. Er packte meine Haare. „Ich habe dir gestern schon einmal was dazu gesagt“, meinte er nur und machte weiter. Wieder hoffte ich, dass diese Nacht schnell um gehen würde.

***

Er riss mich aus dem Schlaf, er war betrunken. „Ich habe gesagt du sollst wach sein, wenn ich nach Hause komme!“ schrie er mich an. „Es tut mir leid, es wurde alles so spät. Ich bin einfach eingeschlafen!“, bettelte ich. Doch er hörte nicht auf. Er schrie mich immer weiter an. Mir kamen die Tränen. Plötzlich packte er mich an den Haaren und zog mein Gesicht nah an seines heran. „Wieso verdammt noch mal kannst du nicht einmal machen was ich sage?!“ schrie er wieder. „Bitte mach das nicht!“, sagte ich unter Panik im lauten Ton. „Ich habe dir schon hundert mal gesagt du sollst dich nicht trauen zu schreien!“ schrie er mich immer noch an. In dem Moment schlug er mich immer wieder mit dem Kopf aufs Bett. Ich bettelte, doch je mehr ich bettelte, desto fester schlug er mich aufs Bett. Dann drückte er mich aufs Bett, hielt meinen Kopf fest und machte seine Hose auf. „Du hast was gut zu machen, Mädchen!“, sagte er nur. Ich versuchte mich dagegen zu wehren. Doch je öfter ich versuchte mich zu wehren, desto aggressiver wurde er. Er fing an meine Arme zu drücken und drohte mir, wenn ich nicht mache was er sage, würde er mich an die Wand drücken und immer wieder in mein Gesicht treten.
Ich hatte Angst, dass ich diesen Abend nicht mehr unversehrt überstehe, also tat ich was er verlangte.
Jede Nacht das selbe Spiel. Er war den Tag über weg, kam Nachts nach Hause und weckte mich um mich fertig zu machen. Mittlerweile war ich ein psychisches Wrack. Ich wollte das alles nicht mehr. Nur was sollte ich tun? Ich hatte niemanden mehr. Mit meiner Mutter konnte ich nicht darüber reden, sie war glücklich wo sie jetzt war. Meine Schwester interessierte sich kaum für mich und eine Wohnung hatte ich auch nicht. Ich konnte einfach nichts tun, außer mir jeden Abend zu wünschen, dass ich endlich sterbe.

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Tag der Veröffentlichung: 02.01.2011

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