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Benommen starrte Valerie Marco an die Decke ihres Zimmers. Ihr Zimmer war es eigentlich nicht. Es war ein Zimmer im St. Nobel Hospital, wie jedes andere in diesem Spital auch. Trotzdem, sie war nicht unbedingt ein Patient, wie jede andere in diesem kleinen Spital.
Traurig schaute sie in den Spiegel, der gegenüber ihres Bettes hing und der die bittere Wahrheit wiedergab. Und schon wieder wollte der Tränenstrom nicht aufhören. Seit Wochen und Monaten war sie mit ihrer "Scheiße", wie sie es nannte, beschäftigt. Die Ärzte und Krankenschwestern konnten noch so liebenswürdig sein. Brustkrebs lässt sich nicht immer besiegen. Da konnte der liebe Herr Doktor, ihre Freunde und ihre Famile noch so viel predigen. Dass sie leben würde, so richtig leben ohne Sorgen, daran dachte Valerie, schon lange nicht mehr. Ihre langen Haare, die sie sich schon seit Jahren hat wachsen lassen und auf die sie ganz besonders stolz gewesen war, hatte sie schon verloren. Mit Tränen gefüllten Augen dachte sie an glücklichere Tage zurück, wo ihre Haare noch im Wind wehten, während sie auf ihrem Pferd, Monrose, am Strand galoppierte. Solche glücklichen Momente hatte sie schon lange nicht mehr erlebt. Ihre beste Freundin, Magdalen, war jeden Tag bei ihr und versuchte ihr das Leben erträglicher zu machen. Arme Magdalen, vermutlich leidet sie am allermeisten, dachte Valerie verzweifelt. Magdalen und Valerie waren unzertrennlich, und Magdalens Schulleistungen und Kontakt zu anderen seien drastisch gefallen, seit Valerie im Krankenhaus lag, wie ihr, ihr Klassenvorstand berichtete. Ohne zu Wissen was für ein schlechtes Gewissen, sie Valerie in ihrem ohnehin schon traurigen Kopf gesetzt hatte, verließ die Lehrerin das Spital.
Magdalen machte fast alle Ärzte im St. Nobel Hospital wahnsinnig. Es kam nicht selten vor, dass sie einen Anfall bekam und die Ärzte schwören ließ, ihre beste Freundin nicht sterben zu lassen. Manchmal fiel sie vor lauter Schluchzen in Ohnmacht, aber manchmal musste man sie mit Gewalt aus dem Spital entfernen.
Was wird aus Monrose wenn ich nicht mehr da bin? Was wird aus Magdalen und meinen Eltern wenn ich nicht mehr da bin? Und was wird aus Derrick wenn ich nicht mehr da bin? Diese drei Sätze murmelte Valerie sogar im Schlaf. Überhaupt, jeder Satz, den sie dachte fing mit, was wird aus und endete mit, wenn ich nicht mehr da bin. Hin und wieder schämt sie sich sogar dafür, dass ihre Gedanken fast schon egoistisch waren. Das sie nicht ernsthaft glauben sollte, dass alles immer nur um sie drehte. Sie redete sich ein, dass, das Glück geliebter Menschen, nicht nur an ihr abhängen könnte.
Plötzlich hörte Valerie, wie sich die weiße gestrichene Tür öffente und Stimmen in den Raum drangen. Sie stellte sich schlafend und verspürte nicht den Wunsch mit irgendjemanden zu sprechen. "Sie schläft", hörte sie ihre Mutter, Eleanor, wispern. "Umso besser, dann müssen wir es ihr nicht gleich sagen", hörte Valerie die von Schluchzen unterbrochene Stimme ihres Vaters, David. "Nun, lassen Sie es aber nicht zu lange auf sich warten", meinte Doktor Arnold mit warnender Stimme, "Schließlich soll das arme Mädchen noch etwas in den letzten drei Monaten ihres Lebens anstellen!" Dann folgte eine Pause bevor Eleanor: "Ja, Sie haben natürlich Recht", antwortete. Das Stimmengewirr verließ wieder den Raum. Leere, entsetzlich Leere in Valeries Kopf doch dann, brach aus ihrem Kopf wütende Gedanken frei: Ich wusste es doch! Natürlich, warum habe ich noch zu hoffen gewagt? Seit Tagen, habe ich mir ausgemalt, was ich tun werde, wenn es endgültig aus ist. Ich habe noch genug Zeit zum Ausheulen, um die Starke zu spielen, bis die wiederkommen

, dachte Valerie. Was wird jetzt aus diesen drei Monaten, die ich noch habe. Nachdenk, nachdenk, nachdenk,...Es war schon immer mein Traum gewesen ein Buch zu schreiben. Vielleicht nicht unbedingt ein Liebes- oder Abenteuerroman, aber eine ganz normale Erzählung, wie als würde ich sie während einer ganz normalen Englisch Stunde, bei Mrs. Duckworth schreiben. Außerdem will ich noch viele Ausritte mit Monrose und natürlich mit meiner einzigen und letzten große Liebe, Derrick machen. Und zu allerletzt will ich mich von allen verabschieden und ihnen sagen, dass sie nicht um mich trauern sollen.

Die Liste war einigermaßen simpel und Valerie erschrak, dass ihre Gedanken so abschließend und normal klangen. Eine gewisse Ruhe überkam sie und nach langer, langer Zeit, wiedermal mit einem Lächeln auf die Lippen, schloss sie die Augen, wissend, was sie tun würde.

Lachend schnellten die vier über den Sandstrand. Es war so lange her, dass alle vier wieder einmal, endlich vereint, auf ihren Pferden in den Wellen planschten. Wie haben wir sie alle vermisst, dachte Derrick und war kurz davor es laut zu schreien. Magdalens Freund, Tom, schien das gleiche zu denken und die beiden tauschten unsichere Blicke. Bald aber wird die Phase kommen, wo die Freunde, Valerie endgültig verloren hatten. Das wusste jeder von ihnen.
Valerie hatte Tag und Nacht an ihrem Buch gearbeitet. Den Titel hatte sie noch nicht verraten, aber dass es um die Verwirklichung irgendeines Traumes ging, wusste man bereits. Derrick und Magdalen waren Valeries ständige Begleiter geworden.
Später, als sie sich alle auf der Wiese in den goldenen Strahlen sonnten, gab Valerie die Neuigkeit bekannt.
"Leute, ich werde mein Buch veröffentlichen." - "Was?", kam es wie aus einem Mund und alle setzten sich auf. "Ich habe einen Verlag für 'Nicht nur ein Traum' gefunden". - "Das Buch heißt, 'Nicht nur ein Traum'?", fragte Magdalen. "Ja, und es wird genau nach meinem Tod veröffentlicht. Das habe ich so fest gelegt." Betroffenes Schweigen. Und eine endlos lang erscheinende Pause, nach dem schellen Gespräch. "Warum?", flüsterte Derrick. Valerie dachte kurz nach."Ich weiß es nicht, irgendetwas sagt mir, dass ich es nicht mehr zu erleben brauche." Fassungslos starrten ihre Freunde sie an. "Ich habe noch knapp eine Woche, bis ich wieder ins Krankenhaus muss", Valerie setzte sich auch auf. "Bitte, erspart mir die Erklärungen", bat sie lächelnd, "Es ist mein Entschluss und ich will, dass die Leute an mich denken, auch wenn sie mich gar nicht kennen." So unsinnig diese Aussage auch klingen mag, die Freunde akzeptierten es.

"Die Buchpräsentation ist schon voll im Gange, sind Sie sicher, dass sie nicht kommen kann", schnautzte Derrick den Oberarzt zum so und so vielten Male an. "Nein, verdammt nochmal Junge, mit deiner Freundin wird es spätestens heute Abend vorbei sein." Doch er bereute es schon, dass er Valeries baldiges Ende so direkt ausgedrückt hatte. "Hör zu, sie wollte es doch selber nicht, oder?" Er wartete gar nicht auf Derricks Antwort, sondern fuhr fort, "Und nun geh zu ihr und steh ihr in den letzten Stunden bei".
Valerie versuchte sich aufzusetzen. Doch Derrick machte ihr ein Zeichen liegen zu bleiben. Ihre Eltern waren auch bei ihr. Magdalen war zögernd und nervös zur Buchpräsentation gegangen, um ihre beste Freundin zu vertreten.
"Was machst du denn hier?", krächzte Valerie. "Du hast doch deinen Platz in der ersten Reihe bei der Buchpräsentation, bei Tom und Magdalen." - "Du bist mir wichtiger, als dein Buch, obwohl es sicher den Nobelpreis gewinnen würde". Valerie lächelte und sprach: "Nimm den Nobelpreis an meiner Stelle, falls einer kommt." - "Ich werde es mir merken", sagte Derrick gequält. "Denk an mich, aber quäl' dich nicht wegen mir und ihr übrigens auch nicht", Valeries Blick streifte ihre weinenden Eltern, die ihre Hand hielten. "Nein, ich bleibe bei dir und nichts wird sich ändern." Derrick küsste sie auf die Stirn und dann schloss Valerie die Augen - mit einem Lächeln auf den Lippen.

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Tag der Veröffentlichung: 19.01.2009

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