„Sie übernehmen eine gute Mannschaft, Tom!“ Mit zufriedener Miene führte der scheidende Jugendeishockeytrainer der Wilden Huskies des EHC Waldburg, Wolfgang Niederdeich, seinen künftigen Nachfolger in die renommierte Eishalle des Vereins, wo Assistent Volker Reichert gerade die Trainingseinheit der erfolgreichen Knaben beendete.
„Unsere Kids führen seit fast vier Jahren ungeschlagen die Tabelle ihres jeweiligen Jahrgangs an und haben in der Region kaum noch einen ernst zunehmenden Gegner. Wir sind inzwischen auch international sehr erfolgreich, aber das wissen Sie ja. Der Star unserer Supermannschaft ist ein Mädchen. Svenja Schlüter zählt erst zwölf Lenze und begann ihre Karriere bei uns mit knapp vier Jahren in der Laufschule und dann bei den Kleinstschülern. Sie ist seitdem nicht mehr aufzuhalten und hat sich kontinuierlich mit den Kameraden von damals bis in die Knabenmannschaft hochgearbeitet. Das Mädel gilt als absolutes Ausnahmetalent. Es waren nicht nur ihre Tore, sondern vor allem ihr herausragendes Gespür für Taktik und die Feinheiten des Eishockeysports, welches das Team überhaupt zu dem machte, was es heute ist.“
„Ich habe mich doch wohl gerade verhört? Wollen Sie etwa ernsthaft behaupten, dass ausgerechnet ein Mädchen Ihnen diese grandiosen Erfolge beschert? Davon wusste ich gar nichts und das geht doch auch nicht. Spätestens, wenn das Jugendalter erreicht wird, muss sie raus!“, entgegnete Tom Meisner überrascht und auch leicht ärgerlich.
Ein Mädchen in einer Jungenmannschaft war für den erzkonservativen vierzigjährigen Eishockeyjugendtrainer wirklich das Allerletzte. Bei den ganz kleinen, den Bambinis, mag es vielleicht noch gehen. Aber Eishockey ist nun mal ein sehr harter Sport und nur etwas für richtige Männer. Mädchen sollten zum Eiskunstlauf gehen oder wenn, dann wenigstens in einer der reinen Mädchen-und Damenmannschaften spielen. Meisner trainierte seit Jahren erfolgreich Jugendteams und hatte es dabei zu beachtlichen Erfolgen, auch bei seinem letzten Verein, dem EHC, aus der Landeshauptstadt München gebracht. Sein Vorgänger in Waldburg, Wolfgang Niederdeich, erhielt plötzlich ein sehr lukratives Angebot als Landestrainer und war nun zu höheren Aufgaben berufen.
So wurde der Weg frei für Tom, welcher ursprünglich aus der Gegend stammte und so endlich wieder mit seiner Familie in die alte Heimat zurückziehen konnte. „Grotesk“, dachte er. „Ein Mädchen! Aber nicht mehr lange in meinem Team. Dafür werde ich als Erstes sorgen!“
In seiner Mannschaft sollte es nur harte Kerle geben, die ihren Weg machen und eines Tages von ihm für die Bundesliga aufgebaut werden konnten.
Wolfgang Niederdeich lebte seit dreißig Jahren in Waldburg und wies seinem Begleiter peinlich berührt und etwas erschrocken über dessen impulsive Bemerkung mit der Hand den Weg in die Umkleidehalle der Kinder.
„Hallo, Jungs, wie angekündigt, stelle ich euch heute euren neuen Trainer, Herrn Tom Meisner, vor. Er hat ja bisher sehr erfolgreich die Buben in München trainiert und wird euch nun sicher sehr weit nach vorne bringen.“ Svenja war bereits angezogen und kam gleich interessiert aus dem angrenzenden Lehrerumkleideraum heraus, der ihr vom Verein zum Umziehen und Duschen zur Verfügung gestellt wurde, als sie Wolfgangs angenehme Stimme aus der gegenüberliegenden Kabine hörte. Wenn man es nicht besser wüsste, käme wohl niemand auf die Idee, dass der Junge mit den dunkelblonden kurzgeschnittenen Haaren vom biologischen Grundgeschlecht her weiblich war. Sie streckte ihrem neuen Trainer fröhlich die Hand entgegen. „Dann sage ich mal als Kapitän der Wilden Huskies herzlich willkommen, Trainer. Ich bin Sven Schlüter!“
Tom Meisner war wie vom Blitz erstarrt. „Dann bist du also das Mädchen, Svenja! Du kannst gleich deine Sachen packen. Mädchen können bei mir in einer Jungenmannschaft nicht bleiben. Das müsstest du eigentlich selbst wissen.“ Es dauerte fast eine Ewigkeit, bis Svenja die Tragweite des Augenblicks begriffen hatte. Noch immer hielt sie ihre Hand ausgestreckt, doch dann zog sie sie wie in Trance zurück.
Auch die Jungen starrten den hageren Mann mit den kalten herzlosen Augen entsetzt an. Dass sollte wohl ein schlechter Scherz sein! Ohne Svenja würde das Team wieder dorthin zurückkehren, wo es mal war, in der Versenkung. Erst mit Svenja, die mit ihnen zusammen in frühester Kindheit das Schlittschuhlaufen gelernt hatte, und durch ihr überragendes Talent, waren sie in den letzten Jahren überhaupt bis an die Spitze gekommen. Svenja schoss nicht nur die Tore, sie koordinierte auch das gesamte Spiel. Die zwölfjährige Gymnasiastin galt nicht nur beim Eishockey als Koryphäe. Sie war obendrein sehr intelligent und ahnte instinktiv, dass dies jetzt nicht der richtige Moment sein konnte, um aufzubegehren. Sie musste erst mit ihren Eltern sprechen. Im Augenblick machte es keinen Sinn, einem anscheinend eigensinnigen und hartherzigen Mann die Stirn zu bieten. Stolz nahm sie ihre Sporttasche auf, warf Wolfgang Niederdeich einen traurigen Blick zu und verließ mit lautem „Na, dann Tschüss, Freunde!“ die Eishalle, die seit nun fast acht Jahren ihre Heimat war. Einen Moment später saß sie auf ihrem Fahrrad. Sie hatte es nicht weit bis nach Hause. Svenja fühlte sich von den Eindrücken der vergangenen Minuten vollkommen erschlagen. Mit letzter Kraft gelang es ihr gerade noch das Rad in die Garage zu stellen. Sie war wütend und enttäuscht. So etwas gab es doch gar nicht!
Eishockey war ihr Leben und die Eishalle in Waldburg ihr zweites Zuhause. Sie stürzte hastig nach oben in ihr Zimmer und warf mit einer heftigen Handbewegung die Sporttasche auf den Boden. Und das Gemeine daran war, Svenja erlebte sich selbst noch nicht einmal als Mädchen. Seit frühester Kindheit wollte sie schon immer viel lieber ein Junge sein. Auch ihre Eltern und selbst die Lehrer in der Schule hatten rasch bemerkt, dass sie anders war, als die anderen Kinder und vor allem als die Mädchen in ihrer Klasse.
Vor drei Jahren schon fuhren die Eltern mit ihr nach Hamburg. Sie wurde dort fachärztlich untersucht und erhielt dann in München einige Termine bei einer erfahrenen Kinder-und Jugendpsychologin. Mehrere aufwändige Arztbesuche in anderen Städten schlossen sich an. Zwei Gutachter bestätigten vor einem halben Jahr die Diagnose ihrer Psychotherapeutin. Svenja war Frau zu Mann transsexuell.
Dabei handelt es sich um eine besondere Art von Geschlechtsidentitätsstörung, bei der die Betroffenen häufig bereits seit frühester Kindheit in der sicheren inneren Gewissheit leben, nicht dem biologischen, sondern dem Gegengeschlecht anzugehören. Die Ärzte mussten erst einmal Svenjas Eltern beruhigen. Über die Ursachen der Störung sei kaum etwas bekannt und die Eltern hätten auch garantiert bei ihrer Erziehung nichts falsch gemacht. Im Gegenteil. Durch das frühe Erkennen der Anzeichen einer möglichen transsexuellen Prägung, wäre man heute viel eher und schneller in der Lage, den Kindern und Jugendlichen zu helfen. Früher wurden Transsexuelle fast immer ausgegrenzt, denunziert und hatten als Erwachsene nicht selten mit entsetzlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu rechnen. Häufig wurden gerade Frauen, die mit einem männlichen Körper geboren worden waren, für ihr von der Außenwelt als abnorm angesehenes Verhalten ins Gefängnis gesteckt. Operationsmethoden gab es so gut wie keine und wenn, dann nur im Ausland. Viele verzweifelte Menschen suchten Hilfe bei zweifelhaften und wenig ausgebildeten Ärzten, zum Beispiel auch in Casablanca in Marokko. Nicht wenige mussten dann den letzten Versuch, endlich mit dem eigenen gefühlten Geschlecht in Einklang leben zu dürfen, mit diesem bezahlen.
Heute sind nicht nur die medizinischen Möglichkeiten optimiert worden, auch Recht und Gesetz haben sich inzwischen weiterentwickelt und neue Erkenntnisse aus vielen wissenschaftlichen Studien zeigen, wie wichtig bereits die Früherkennung auf diesem Gebiet ist. Sven soll bereits im April mit einer besonderen Form der Hormonbehandlung anfangen. Seine weiblichen Keimdrüsen werden dann durch eine Spritze unterdrückt, so dass im weiteren Verlauf die gegengeschlechtliche Behandlung mit dem männlichen Hormon Testosteron beginnen kann. Er wird in Hamburg weiterhin von seinem Facharzt betreut und auf die geschlechtsangleichende Operation, die aus rechtlichen Gründen erst mit Einsetzen der Volljährigkeit ab dem achtzehnten Lebensjahr erfolgen darf, vorbereitet werden. Wenn das Amtsgericht nach dem Eingriff alle Unterlagen zusammen hat, darf er auch seine Vornamen und seinen Personenstand im Geburtsregister ändern lassen. Weil sich durch das frühe Eingreifen bei ihm im Gegensatz zu erwachsenen Frau zu Mann Transsexuellen erst gar keine Brust entwickeln wird, besteht die Operation nur aus der Entfernung der inneren Geschlechtsorgane und dem Aufbau eines männlichen Geschlechtsteils. Auch diese Operation wird heute schon mit sehr guten Ergebnissen von plastischen Chirurgen vorgenommen und am Ende der Behandlung kann Sven größtenteils wie ein ganz normaler junger Mann leben. Lediglich auf eigene Kinder wird er verzichten und natürlich bis zum Lebensende regelmäßig männliche Hormone einnehmen müssen.
Traurig blickte sich Sven in seinem Zimmer um. Seine Eltern, die Lehrer und auch die Mitschüler betrachteten ihn als einen Jungen. Überall sprachen sie ihn mit seinem männlichen Vornamen an. Sein Zimmer war mit dem Computer, den Postern und all den Technikbüchern zu seinem zweiten Hobby Flugzeuge, auch nicht wie ein Mädchenzimmer eingerichtet. Er schlief nur in Eishockeybettwäsche und typische Mädchenkleidung sowie Schminkutensilien konnte man hier nirgendwo finden. Sven war ein Junge und wollte auch so von anderen Menschen wahrgenommen werden. Er hatte sich im Internet viele Erfahrungsberichte anderer Transsexueller durchgelesen, die erst als Erwachsene die dringend benötigte Hilfe bekommen konnten und unter sehr großen, meist lebenslang nicht mehr behebbaren psychischen Folgen leiden mussten. So gesehen ging es ihm eigentlich gut. Seine Behandlung hatte bereits eingesetzt und seine Umgebung half ihm, weil ihn alle so akzeptierten, wie er war. Und nun das! Jetzt, wo alles erst richtig schön werden sollte und er sich am Ziel seiner Träume wähnte, schmiss man ihn aus der Mannschaft, für die er alles gegeben hatte. Nur mühsam konnte er Tränen der Enttäuschung und tiefsten Demütigung zurückhalten. Aber ein Junge heult ja nicht.
Mit sorgenvollem Blick sah die fünfzehnjährige Anja Schlüter ihren kleinen Bruder ins Haus rennen. Er machte auf sie einen sehr verstörten Eindruck. Irgendetwas musste ihn furchtbar mitgenommen haben. „Sven, was ist denn los? Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Kann ich dir helfen?“ Sie klopfte kurz an seine Tür und fand ihre Vermutung bestätigt. Sven hockte, den Tränen nah, auf dem Bett. Jetzt war schwesterlicher Trost gefragt. Die Familie hielt nach Bekanntwerden von Svens Problematik wie Pech und Schwefel zusammen. Anja, die Eltern und auch die Großeltern auf beiden Seiten werden Sven bei seinem schweren Weg begleiten und unterstützen, wo sie nur können.
„Ich bin draußen. Sie haben mich rausgeschmissen! Hörst du? Da kommt so ein dämlicher Kerl aus München, übernimmt als neuer Trainer die Mannschaft und das erste, was er macht, er jagt mich aus dem Team, weil ich für ihn ein Mädchen bin. Anja, das ist doch nicht o.k., oder?“ Dann konnte sich Sven nicht mehr halten. Schluchzend brach der sonst so cool wirkende Junge in den Armen seiner Schwester zusammen und heulte nun wirklich wie ein Schlosshund. Auch Anja war zunächst erschrocken zusammengezuckt. Aber sie verfügte über eine sehr rasche Auffassungsgabe und fand für alle Probleme schnell eine neue Lösung. Ihr Gehirn begann sogleich fieberhaft an zu arbeiten. Einen Augenblick später schmunzelte sie zufrieden. „Also, ich bin wie immer ein Genie. Die Lösung ist ganz einfach. Du trittst aus dem Verein aus und suchst dir einen neuen Club. Mit dem Bus bist du in einer Stunde drüben in Elmendingen. Dann hast du zwar einen etwas längeren Anfahrtsweg, aber du kannst wieder ganz normal Eishockey spielen. Die Mannschaft dort ist noch drittklassig. Sie werden froh sein, dich zu kriegen und ich kenne auch den Trainer. Er ist der Vater einer Schulfreundin. Unsere Eltern kennen ihn ebenfalls gut und vor allem ist er ein vernünftiger Mensch und nicht so ein Arsch wie dieser Tom Meisner. In ein paar Monaten hast du die Jungs an die Tabellenspitze gebracht und dann zahlst du es diesem ignoranten Idioten heim. Besieg deine alte Mannschaft. Die Kumpels werden dir das nicht verübeln. Du konntest ja gar nicht anders. Vielleicht wechseln sie auch und dann hat dieser Trottel mal das Nachsehen!“
„Ach, Anja, was würde ich tun, wenn ich dich nicht hätte. Das ist wirklich die beste Lösung. Ich fahre morgen gleich hin. Hast du vielleicht ein Taschentuch?“ Lächelnd ließ Anja ihren kleinen Bruder los und zog ein Paket Papiertaschentücher aus ihrer Hosentasche hervor. Am Abend wurde bei Schlüters Familienrat abgehalten. Vater und Mutter reagierten anfangs entsetzt, meinten aber auch, es wäre besser, großes Aufsehen zu vermeiden und gaben dann gern ihre Zustimmung zu dem Wechsel. Erleichtert fuhr Sven am nächsten Nachmittag mit dem Bus in die einige Kilometer entfernte Nachbargemeinde. Der Trainer hieß Frank Berger und konnte über die seiner Meinung nach intolerante Haltung des Kollegen nur fassungslos den Kopf schütteln. Natürlich gab es rechtliche Regeln für Mädchen, die in Jungenmannschaften spielten und so ganz unrecht hätte der neue Trainer leider nicht. Aber die gelten doch erst von der Jugend an, also frühestens ab dem fünfzehnten Lebensjahr, und bei Sven wäre ja ohnehin alles anders. In kurzer Zeit würde er sich körperlich wie ein normaler Junge weiter entwickeln können und nach der Operation wäre er ein Mann, wie jeder andere auch. Mit wenigen Worten berichtete Berger seinem Vorstandvorsitzenden Mark Schäfer am Handy von der Situation.
„Also, als Jurist habe ich da keinerlei Bedenken. Auch Mädchen können noch eine Weile bis zum vollendeten fünfzehnten und sogar sechzehnten Lebensjahr bei den Jungen spielen. Das ist normal üblich und wird überall so gehandhabt. Aber der Junge ist doch auch transsexuell. Die Behandlung ist eingeleitet und muss nur noch abgewartet werden. Warum man ihm jetzt Steine in den Weg legen will, weiß ich beim besten Willen nicht. Doch Tom Meisner hat da seine eigenen Ansichten, die nicht überall geteilt werden. Er wurde wohl nicht umsonst aus München weggelobt“, erzählte der langjährige Geschäftsführer des Vereins, der als Anwalt eine eigene kleine Kanzlei betrieb und den Club natürlich auch in allen juristischen Fragen beriet.
„Was du nicht sagst. Das klingt ja überaus interessant. Sehen wir uns heute Abend im Vereinsheim auf ein Bier?“ Frank Berger freute sich. Der kleine Sven war ein Ausnahmetalent und kam ihm gerade recht. Wenn sich Meisners Haltung herumsprach, würden vielleicht noch mehr Waldburger zu den Spielen seiner Eisteddys kommen und Konkurrenz belebte bekanntlich das Geschäft. Außerdem war es seiner Meinung nach eine Schweinerei, den Jungen nur wegen seines Geschlechts zu diskriminieren. In den folgenden Monaten konnte sich Sven problemlos in die neue Mannschaft integrieren. Selbst ein Fahrdienst hatte sich ergeben. Eines der Handballmädchen stammte ebenfalls aus Waldburg und musste zur gleichen Zeit zum Training wie Sven. Gerne durfte er dort im Auto mitfahren. Auch einige andere jüngere Kinder aus der Turnersparte wurden am Nachmittag etwas früher von ihren Müttern in den Nachbarverein gebracht. Sven benötigte also nur ganz selten den Bus. Sein Spielerpass wurde sofort vom Verband freigegeben. So durfte er schon wenige Wochen nach dem offiziellen Wechsel für seinen neuen Verein spielen. Der Erfolg ließ, wie von seinem Trainer Frank Berger erwartet, auch nicht lange auf sich warten. Berger plante geschickt die neue Spielerzusammensetzung und baute seinen Schützling mit großem Weitblick genau auf dessen starker Position ein. Schon die nächsten Spiele konnten die Eisteddys mit sehr hohen Siegen für sich entscheiden. Langsam neigte sich die Turniersaison ihrem Ende entgegen. Das letzte und entscheidende Spiel um die Meisterschaft sollte die Mannschaft am 28. März ausgerechnet gegen den Erzrivalen aus Waldburg bestreiten. Und dieser Tag brachte Svens jungem Leben endgültig die Wende.
Er schoss den Puck aus allen Entfernungen fast olympiareif ins gegnerische Tor. Die zahlreichen verzückten Zuschauer in der kleinen vollbesetzten Halle tobten. Viele Väter gaben Tom Meisner bereits hinter vor gehaltener Hand die alleinige Schuld am langsamen Abstieg des Waldburger Teams. Jetzt war auch noch die Meisterschaft weg. Aber sie gönnten es den Nachbarn und vor allem Sven. Die Eltern der Waldburger Kinder bewunderten den Zusammenhalt in Svens Familie und die vernünftige ruhige Haltung seiner Eltern, nicht mit Protest auf den Rauswurf zu reagieren, sondern ihrem Sohn ohne großes Aufsehen die einfachste Alternative anzubieten.
„Das lass ich mir nicht gefallen. Das wird ein juristisches Nachspiel haben!“ Tom Meisner war nach dem Schlusspfiff des Unparteiischen wütend auf Frank Berger zugelaufen. Dann besann er sich und machte auf dem Absatz kehrt. Am Abend legte er beim Verband schriftlichen Einspruch gegen Svens Aufstellung ein und stellte den Antrag, Mädchen künftig nur noch in den Klassen der Kleinst-und Kleinschüler zusammen mit den Jungen spielen zu lassen. Man würde sich des Falles annehmen, lautete einige Tage später die lapidare Antwort. In Waldburg reagierten die sonst so besonnenen Bürger sehr ablehnend auf den Münchner Trainer, der ihnen zu Beginn der Saison als die größte Errungenschaft des Vereins anvisiert worden war.
So blieben die peinlichen Vorfälle auch der Presse nicht mehr verborgen. Der Chefredakteur des „Waldburger Boten“, Karl Schneider, kümmerte sich persönlich um die neue Story in seiner Zeitung. Er sprach zuerst mit den Eltern und natürlich mit Sven. Dann recherchierte der eingefleischte Journalist äußerst sorgfältig auf Websites, bei Ärzten und in transsexuellen Selbsthilfegruppen. Nach einer Woche konnte sich sein Artikel sehen lassen. Auf einer ganzen Seite beschrieb Schneider das Leben des Jungen und machte dann auch auf die vielfältigen Probleme, die diese Störung zwangsläufig für die Betroffenen und ihre Familien mitbringt, aufmerksam. Hunderte Leserbriefe unterstützten seine Ansicht und nicht eben wenige wollten von Tom Meisner eine öffentliche Entschuldigung hören. Dabei wurden auch Rücktrittsforderungen laut. Meisner konnte sich aber nicht mit dem Gedanken arrangieren, Sven wieder in sein Team aufzunehmen. Nach drei Monaten zog er selbst die Konsequenzen und suchte sich einen neuen Verein außerhalb Bayerns. Die Wilden Huskies von Waldburg und ihre einstigen Rivalen, die Eisteddys aus Elmendingen fusionierten kurze Zeit später.
Sven spielte weiter erfolgreich für seinen neuen und nun gleichzeitig auch alten Verein unter Trainer Frank Berger. Mit achtzehn Jahren unterzog er sich seiner geschlechtsangleichenden Operation und begann nach der Erholungspause mit dem Training in der ersten Herrenmannschaft. Sein weiterer erfolgreicher Weg führte ihn von dort unaufhaltsam auch in die deutsche Eishockeynationalmannschaft, mit der er zusammen viele internationale Titel und zweimal die Olympische Goldmedaille gewinnen konnte.
Texte: alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese Geschichte kam in die Anthologie des Chaotic Revelry Verlags
Homophiliastica
Ich schlaf mit wem ich will